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30. Kapitel

Ich hatte mich in eine falsche und lächerliche Situation gebracht, aber ich hatte wenigstens der Erregung, welche mich seit gestern beherrschte, Luft gemacht und ich wußte, wie ich diesen ersten Tag verbringen sollte, dessen Ende ich sonst nicht hätte abwarten können.

Als ich nach Hause kam, war Konstantin bereits aufgestanden. Er hatte mich überall gesucht. Ich setzte ihn von dem, was soeben geschehen, in Kenntnis.

»Das war recht töricht,« sagte er, »aber ich hätte wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt. Begrüße meinen Vater und umarme deinen Sohn; ich werde indessen einen meiner Kameraden aufsuchen.«

Zur bestimmten Stunde trafen wir auf dem Kampfplatze ein. Ich hatte den Degen als Waffe gewählt. Ich focht leidlich, Serge weit besser als ich; er hielt sich jedoch in der Defensive. Als ich sah, daß er mich schonen wollte, kochte das Blut in mir und schoß siedend heiß in meine Wangen. Mit dem linken Arm die Stirne schützend und in der rechten Hand den Degen wie eine Lanze haltend, drang ich blindlings auf meinen Gegner ein, welcher einen solchen Ausfall nicht erwartet hatte. Er sank nieder. Ich hatte ihm in der rechten Seite eine tiefe Wunde beigebracht.

»Der Stoß entspricht zwar nicht ganz der Regel,« sagte er mit fester Stimme, »aber er sitzt tief. Wenn ich sterbe, mein Herr, so seien Sie überzeugt, daß ich trostlos bin, daß ich Ihnen ein so großes Leid zugefügt habe. Wenn ich jedoch davonkomme, so werde ich – darauf gebe ich Ihnen nochmals mein Ehrenwort – in keinerlei Beziehungen mehr zu jener Person treten, welche mir die Waffe in die Hand gedrückt hat. Ich habe sie von diesem meinem unabänderlichen Entschlusse auch bereits in Kenntnis setzen lassen.«

Darauf verlor er die Besinnung. Man brachte den Verletzten nach dem Schlosse du Val, dessen Besitzer Serge kannte, und wir kehrten nach Paris zurück.

»Diese Sache wäre gut abgelaufen,« sagte Konstantin, als wir allein waren und uns umarmten. »Das hat dir doch einige Erleichterung verschafft?«

»Jawohl.«

»Das ist vorläufig auch viel wert. Hoffen wir, daß der andere davonkommt. Das ist ein Mann von Charakter. Du bist das Opfer, er ist der Betrogene. Ihr habt euch gegenseitig nichts vorzuwerfen, und was die Hauptsache ist, mein Arrangement ist nicht gestört. Iza wird ein schönes Gesicht gemacht haben, als sie von seinem Entschlusse Kenntnis erhielt. Offen gestanden, sie hätte sich mit einem Manne wie du und einem Geliebten wie er begnügen können. Etwas Besseres konnte sie nicht finden.«

Als wir wieder bei Konstantin eintraten, wartete dort ein Dienstmann mit einem Briefe auf mich, welcher wie folgt lautete:

»Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist es nicht notwendig, irgend etwas zu verheimlichen. Sie brauchen sich in Zukunft um Felix nicht zu kümmern. Dieses Kind ist nicht das Ihrige. Geben Sie mir die Erlaubnis, es zu mir zu nehmen, und Sie werden sodann weder von ihm noch von seiner Mutter jemals wieder etwas zu hören bekommen.

Isabella Clémenceau,
geborene Gräfin Dobronowska

Ich zeigte Konstantin den Brief.

»Sie lügt,« sagte er, »das weißt du ebenso gut wie ich. Sie fühlt sich in ihren Voraussetzungen und Hoffnungen getäuscht und will sich nun an dir rächen. »Geborene Gräfin Dobronowska« ist übrigens sehr gut! Man tut am besten, über die Sache zu lachen.«

Dann wandte er sich zu dem Dienstmann und sagte zu ihm, indem er ihm fünf Franks gab:

»Sagen Sie dieser Dame, es wäre schon gut; wir behielten das Kind, reisten ab, und Sie seien für den Weg bezahlt ... Und du,« sagte er zu mir, »kannst ruhig sein. Felix wird das Haus meiner Schwester nicht verlassen, und deine Frau wird es niemals betreten Machen wir uns reisefertig.«

*

Konstantin hatte das Richtige getroffen; dieser Ausbruch der Leidenschaft, dieser Zorn und dieser Kampf, das Blut, welches geflossen, hatten mir tatsächlich Erleichterung verschafft. Ich hätte diese auch dann gefühlt, wenn mein Blut geflossen wäre. Es drängte mich, etwas Männliches, Würdiges zu begehen und alles, was in mir gärte, zur Explosion zu bringen. Hätte ich nicht Serge gefordert, ich hätte den Erstbesten bei der nächsten Gelegenheit provoziert. Die Natur ist in solchen Fällen verständiger als alle Gelehrten und alle philosophischen Einwendungen. Sie will, daß wir uns mit offenem Visier dem Feinde gegenüberstellen; wir töten, oder wir werden getötet, aber wie immer das Resultat ausfalle, es hat Erleichterung gewährt.

Ich war zufrieden mit mir. Ich konnte frank und frei Herrn Ritz, seiner Tochter und seinem Schwiegersohne ins Auge sehen, was mir gestern nicht möglich gewesen wäre. Ich hatte meine Ehre hergestellt: man konnte mich beklagen, aber man durfte mich nicht verdächtigen und einer unmännlichen Schwäche zeihen. Ich war unglücklich, aber ich war nicht lächerlich. Mit Serge fühlte ich mich ausgesöhnt; seine Haltung auf dem Kampfplatze hatte mir Achtung abgenötigt.

Ich brauche Ihnen nicht eingehend auszuführen, was in meinem Innern vorging. Sie sind ein Mann und Sie werden mich verstehen. Kurz, ich hatte das Gefühl, daß ich Iza vollständig und für immer aus meinem Leben gestrichen. Es schien mir, als ob ich ruhig in Paris bleiben könnte, und daß die Reise nicht vonnöten wäre; ich glaubte, ich könnte diesem Weibe begegnen, ohne irgend welche Erregung zu verspüren, und ich war der Meinung, daß ich niemals mehr an sie denken würde.

Mir war zugestoßen, wovon auch andere und berühmte Männer nicht verschont geblieben waren. Ich war von denjenigen, die ich geliebt, nicht verstanden worden. War ich der erste, welcher in eine derartige Lage geraten war?

Es blieb mir meine Gesundheit, meine Arbeit, das Renommee, mein gutes Gewissen und die Achtung und Freundschaft der anständigen Leute; ich wäre bei Beginn meiner Laufbahn mit einer dieser Eigenschaften zufrieden gewesen. Dem Himmel sei Dank dafür, daß der Fehltritt eines Weibes die Welt nicht aus den Angeln heben kann, so sehr er uns in unserem Innersten aufwühlt.

Der Sommer, der Lenz, die Blumen und die Kunst, die ganze fröhliche, lachende Natur, ja sogar die Liebe selbst bestanden nach wie vor. Wenn dieses Weib überhaupt nicht auf die Welt gekommen wäre, hätte ich ebenfalls ohne dasselbe leben müssen.

Mein Talent hatte einer so heftigen Erschütterung bedurft, um sich zum Genie zu entfalten. Was hätte Michel Angelo an meiner Stelle getan? Er hätte verächtlich die Schultern gezuckt und ein bedeutendes Werk in Angriff genommen. Aber man braucht ja nicht so hoch zu greifen. Was machen andere, minder berühmte, ganz unbekannte Männer in einem solchen Falle? Sie arbeiten und vergessen. Die Arbeit ist das Allheilmittel gegen solche Wunden.

»Warum soll ich denn Konstantin belästigen,« sagte ich zu Herrn Ritz, »warum soll ich ihn aus seinem gewohnten Leben reißen? Ich fühle mich stark genug und kann bereits der Hilfe entraten. Ich bin aus einem Traum erwacht, nichts weiter! Ich war in ein hübsches Mädchen verliebt, so mußte es früher oder später kommen; ich habe sie besessen, und jetzt ist sie gestorben. Ist das ein Unglück? Ich werde mein früheres Leben wieder aufnehmen, als wäre nichts vorgefallen. Ich werde nur etwas mehr in Ihrem Hause verkehren. Gehöre ich denn nicht mehr zu Ihrer Familie? Ihre Tochter wird mein Kind mit ihren Kindern erziehen. Ich kann jetzt viel mehr arbeiten, da ich ganz frei bin.«

Dieser vortreffliche Mann war mit großer Aufmerksamkeit meinen Worten gefolgt; er sah mich liebevoll an, wie einen ein erfahrener Arzt ansieht, dem ein Kranker einreden will, daß er schon ganz gesund sei, und welcher sich, um ihn zu beruhigen, stellt, als ob er es selbst glaube, der aber trotzdem weiß, daß ein neuer Anfall möglich ist.

»Sie haben ganz recht,« sagte er. »Aber diese Veränderung scheint mir dennoch nicht weniger notwendig. Nach jedem Sturze muß man einige Zeit laufen, schon um sich zu vergewissern, daß man sich nicht die Knochen zerschlagen hat. Gehen Sie nur nach Rom. Diese Reise, welche Sie bis jetzt unterlassen haben, wird Ihnen nach jeder Richtung hin von Nutzen sein. Wäre ich nicht alt und müde, so würde ich Sie begleiten. Aber mein junger und fröhlicher Sohn gibt für Sie einen besseren Begleiter ab. Und schließlich brauche ich nicht bis nach Rom zu gehen, um mich davon zu überzeugen, daß ich gegenwärtig zu nichts mehr gut bin.«


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