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Der Bock meckert

1

Am nächsten Tag, als die Zeit vorgeschritten war, rappelte Per Anders sich auf, aber er war nicht recht viel wert. Ständig war er draußen und sah immer wieder nach den Buben, stand blaugefroren und barhaupt da und klagte über sie: hatten sie denn mit dem Dreschen vor Weihnachten schon aufgehört? In Juwika sollte der Dreschflegel doch bis zum Tag der Thomasmesse gehen, das wußten sie doch? »Hungert die Häusler nicht aus«, sagte er, »aber haltet sie zur Arbeit an. – Morgen oder übermorgen nehmen wir die Schweine her, daß ihr es nur wißt, das darf jetzt nicht mehr hinausgeschoben werden.« Und plötzlich fragte er, ob sie die Pferde getränkt hätten? Dann kroch er wieder hinein, alt und eingeschrumpft; von hinten war er ganz elend anzusehen.

»Jetzt glaube ich fast, daß der Vater mich zum letztenmal beim Schopf gehabt hat«, sagte Jens hinter ihm her.

Per lächelte und war mit ihm einig, er war heute so umgänglich. Die reine Unschuld, wie Jens sagte.

Per Anders ging in die Stube und setzte sich zu Ane, die mit ihrer Handarbeit beschäftigt war. – »Du mußt nicht böse sein, Ane«, sagte er endlich. »Weil du zweimal zu den Häuslern hinübergehen mußtest. Du hast dich dein Leben lang nicht krumm geschleppt mit Gaben, Ane. Doch gewiß, das weiß ich: Sie sollten lieber Prügel haben als zu essen, die Faulpelze. Aber ich weiß nicht recht. Es tut so wohl im Körper; einem selbst, meine ich. Wenn man alt wird und innerlich blutlos – du wirst jetzt auch älter, Ane. – Denn –«, so sagte er und sah lächelnd vor sich hin, »früher war ich der ältere von uns beiden.« Dann kam er auf andere Gedanken: »He, he, Brandwarnung! Was ist das für ein Untier?«

Ane blickte unter ihrem Kopftuch hervor; nun hatte er wahrhaftig nicht mehr weit zum Ende; die Zeit, die verging so merkwürdig rasch.

»Ja, ja, aber irgend etwas muß ein armer Teufel wohl glauben dürfen«, sagte er, und dann ging er.

Am Abend kam er ihr nach bis zur Stalltür, sie war drin und versorgte die Schlachttiere. Ein paarmal fuhr er dem großen Widder über den Nacken: »Fühl doch, Ane, fühl doch da. Der wird gerade recht.« Er gab keine Ruhe, bis auch sie gefühlt hatte. »Ja, was meinst du, Ane?« – »Ja, ja.« – »Ja, gibt der nicht einen richtigen Leichenschmaus? Ich könnte mir keinen besseren wünschen.«

»Solch ein Gerede!« fuhr Ane ihn an und zog die Stalltür zu, und dann gingen sie ins Haus. Sie sah, wie schwer es ihm fiel. Er merkte es und murrte: »Das Schuhzeug ist ein Dreck heutzutage, es ist ein Jammer. Nein: ›Niedrige Absätze und starken Faden‹, sagte der alte Per Juwika, und das war ein Wort!«

Zugleich rutschte er auf dem Glatteis aus und blieb sitzen. – Du lachst wohl diesmal auch, du? dachte er und sah sie an.

Ane Juwika lachte niemals, außer wenn einer hinfiel, aber da lachte sie ein für allemal. Sie lachte so, daß sie blau wurde und meinte, eine große Sünde zu begehen. Per Anders kam wieder auf die Füße. Sie wollte ihm dabei helfen, aber er schüttelte sie ab. Das war das erstemal, daß er sich ihr Lachen nahegehen ließ.

Am Abend sucht er Per auf, der oben auf dem Dachboden ist und ein neues Bett zurechtschreinert. Per Anders setzt sich zu ihm auf die Hobelbank, ihm mitten in den Weg. Er blickt in das Gebälk hinauf, auf dem ein Haufen Bretter und anderes Nutzholz liegt. Dann räuspert er sich.

»Sollte es nun so kommen, Per, daß ich bald dahin muß – aber schau, das werde ich wohl doch noch nicht –, dann gehören diese Bretter da zu meinem Sarg. Vergiß das nicht.«

Er deutete auf ein paar dicke Föhrenbohlen. »Denn ich will Bretter haben, die ein bißchen was aushalten. Ich war ein Dummkopf, daß ich meinen Sarg fortgeliehen habe – es ist nichts Rechtes, sich auf andere verlassen zu müssen, wenn man einen Sarg braucht. Aber du bist ja nicht ungeschickt, du bringst das schon zuwege. Mach ihn stark, Per!«

Er redete über dies und jenes und ließ sich wieder von der Bank hinuntergleiten und ging hinaus. Unter der Türe drehte er sich um, wollte noch etwas sagen, konnte sich aber nicht mehr darauf besinnen.

Am Abend saß er auf der Bettkante und betrachtete Per; dies dauerte eine lange Weile. Er atmete schwer, und das Gesicht war ratlos und armselig; es sah aus, als rede er mit sich selber. Dann kroch er unter die Decke und legte sich schlafen. Per glaubte zu hören, daß er etwas von Jens murmelte.

An diesem Abend legten sie sich alle zeitig schlafen, denn sie waren müde von der vorhergegangenen Nacht, und außerdem wollten die Burschen am nächsten Morgen frühzeitig auf, um zur Mühle zu rudern. Sie hatten ihre eigene Mühle im Herbst leer laufen lassen, sie war jetzt nicht zu gebrauchen – das erstemal, daß in Juwika etwas fehlschlug, sagte Per Anders –, und nun mußten sie das Getreide bis nach Björland fahren.

Jens war in den Pferdestall gegangen, und Per blieb auf der Bettkante sitzen und horchte: kam er denn nicht mehr herein? Per kleidete sich nicht aus, und nach einer Weile ging er in die Küche und trank, und dann ging er einen Sprung zum Stall hinüber. Die Pferde hatten ihr Futter fast ausgefressen, Jens aber war fort. »Heute abend wieder …« murmelte Per, und dann ging er hinein.

Es war sternenklar und still, ein leiser kalter Hauch von Osten; die Moore lagen weiß und schön da. Der Wald säumte die Hänge wie ein weiches Band.

Valborg lag wach, aber sie tat, als schliefe sie. Sie wußte, was los war; und außerdem war sie ja nicht gewöhnt, sich in Per einzudrängen. Sie kannte ihn so wenig. Besonders wenn es sich um den Bruder handelte, schwieg er ihr gegenüber immer. Jetzt aber sagte er, wie er so im Dunkeln bei der Herdstätte stand:

»Heute nacht ist er wieder zu den Häuslerplätzen.«

Oh, das sei doch nicht so gewiß, meinte sie langsam.

»Doch, doch, freilich ist es gewiß«, erwiderte er. Und dabei stieß er zwischen den Zähnen hervor:

»Einem solchen Frauenzimmer zuliebe – – Ja, du solltest weiß Gott, Prügel haben, Bursche.«

Er ging noch einmal in die Kammer hinüber und sah nach, wie es um den Vater stand.

Der Alte schlief kurzatmig und mühsam, drehte sich röchelnd, dann lag er da und plagte sich, wollte etwas sagen.

Ob Per denn nicht schlafen gehen wolle? wagte Valborg zu sagen.

»Doch, doch, freilich. Sei du nur still und schlafe«, ermahnte er sie.

Als er hörte, daß sie schlief, legte er sich in den Kleidern hin, auf die Felldecke, neben sie. Er schlief nicht. Die Wanduhr stand dort in ihrem Schrank und tickte, das Pendel schlug hin und her, und der Alte draußen in der Kammer rang nach Luft. Eine Sache konnte Per niemals ergründen: ob die Mutter schlief. Ja, und auch nicht, was sie wußte und was sie nicht wußte.

Es war schon weit über Mitternacht, als er Jens an der äußeren Tür hantieren hörte – Jens öffnete sie ganz leise und kam in den Gang. Dort stand auch schon Per; dies war ebenso still vor sich gegangen.

Die Brüder erkannten einander im Dunkeln; sie standen sich gegenüber, gleichsam als hielten sie einander mit den Blicken fest. Per schloß die Tür hinter sich. Er merkte förmlich, daß Jens jetzt nicht höhnisch lächelte.

»Wo bist du wieder gewesen, he?« fragte er leise.

Es kam keine Antwort.

»Schämst du dich denn gar nicht?«

»Das geht dich nichts an.«

»O doch, Jens, es geht mich schon etwas an. Das weißt du.«

Jens schwieg wiederum und wollte an ihm vorbei die Treppe hinaufgehen. Per trat ihm in den Weg:

»Damit du's nur weißt, Jens, wenn du mir mit einer von den Häuslerstöchtern auf den Hof kommst – dann werde ich nicht alt in Juwika, ich nicht.«

Er sah Jens vor sich stehen: als habe ihm ein Zweig auf den Mund geschlagen. Denn das hatte der Bruder sich am allerwenigsten erwartet.

»Nein – nein«, meinte Jens. »Im übrigen – damit hat es gar keine Gefahr, nein, nein.«

»Pfui Teufel«, sagte Per. Er ging wieder in seine Stube.

»Ja, spuck du nur aus, dann vergeht's«, sagte Jens, er stieg zum Dachraum hinauf.

»Freilich ist es schlimm, daß er es so treibt«, sagte Valborg, sie war so froh, daß sie kaum wußte, was sie sagte, weil Per endlich gesprochen hatte.

»Oh. Der Jens – um den brauchst du dich nicht zu kümmern. Er kommt schon wieder zurecht. Der weiß, was er tut. Er ist nicht von gestern, nein, wahrhaftig. Wenn er nur will.«

Valborg merkte, wie er bebte, als er sich endlich zu Bett legte.

Jens oben richtete sich in seinem Bett auf und gähnte: »Morgen wird die Sonne schon wieder scheinen.«

2

So war es auch. Blanker Himmel und blanker Fjord, und die Juwiksöhne fuhren zur Mühle.

Jens war wie immer, es taugte ihm stets, von daheim fortzukommen. Er pfiff oder sang vor sich hin, und ab und zu ahmte er den einen oder den andern Nachbarn nach. Er kannte alle Leute in der Gemeinde, und auf jedem Hof, an dem sie vorbeiruderten, war einer, von dem er eine Geschichte wußte. Dazwischen hinein ruderte er aus allen Kräften, und er war stark im Rudern wie ein Pferd.

Per sagte nichts. Er konnte bisweilen ganz böse werden auf Jens; aber doch fühlte er sich nie wohl, wenn sie nicht beieinander waren. Er war froh, daß Jens nicht mehr an das dachte, was er am Abend zuvor gesagt hatte. Denn das wäre ihm doch am ärgsten gewesen, wenn er von Juwika hätte fortziehen müssen, oder wenn Jens es getan hätte. Die Ruder kreischten und sangen ihm in den Ohren: »Wenn er nur nicht fortgeht! Wenn er nur nicht fortgeht!«

Und plötzlich sagte Jens, wie aus innerster Seele heraus:

»Jeder für sich, Per, sind wir doch zwei jämmerliche Kerle. Sind wir aber beieinander, dann sind wir zwei Mannsbilder recht und schlecht; im Guten wie im Bösen!«

Per gab keine Antwort, doch Jens schien es, als lege er sich stärker in die Riemen; sie trugen das Boot förmlich auf den Rudern.

Aber Per war durchaus nicht so froh. Er hatte ein neues und seltsames Gefühl: »Der Ältere soll dem Jüngeren dienen«, oder: Er sah es so deutlich vor sich, was er hätte tun sollen. Wer sollte denn die Leitung haben, wenn nicht er? Aber Jens war ein merkwürdiger Bruder.

»Jetzt habe ich die Hand darauf. Und jetzt halte ich fest«, er sagte es ganz unversehens.

Jens wollte wissen, worum es sich handle. »Es ist nichts, gar nichts. Aber ich sitze manchmal so da und grüble ein wenig nach.« – »Ja, das kann man sich denken!« sagte Jens. – »Ich höre so deutlich, was sie zu mir sagen. Aber das ist nicht so geradean.« – »Und wie krumm wir rudern!« sagte Jens. Dann schwieg er, und es war nichts mehr mit ihm zu wollen.

– – – Bei der Mühle waren eine Menge Leute, so dass sie lange warten mußten. Das Juwikboot hatte viel Getreide zu mahlen, sie fuhren nicht mit einer Kleinigkeit zur Mühle, hieß es. Als sie auf dem Heimweg waren, kam Südwestwind auf, ein ganz grober, und da mußten sie umkehren, denn mit einem Boot voll Mehl auf den stürmischen Fjord hinauszurudern, hat keinen Sinn. »Und vergiß nicht, dieses Wetter ist noch unverbraucht«, meinte Jens, »das kann lange dauern.« Sie waren rasch darüber einig, und so gingen sie in den Kramladen und kauften sich ein jeder einen halben Pegel – sie könnten ebensogut hineinspringen wie hineinkriechen, ins Warten und Trinken, sagten sie. Es waren noch mehrere da, die sich auch einen halben Pegel kauften; und der Branntwein war so gut, daß sie sich alle richtig satt daran tranken. Ehe Jens sich's versah, war er hitzig geworden, er lachte, aber er schlug zu – das taten die anderen auch, und nun kochte es in ihm über, das sollten sie sein lassen! Mann für Mann schlug er sie nieder. Man nannte ihn den Juwikbären, und wenn er schon in diesem Ruf stand, so wollte er auch seine Freude daran haben. Diesmal jedoch wären sie seiner gewiß Herr geworden, es waren ihrer zu viele gegen ihn, aber nun wurde auch Per zornig, mit blauem Gesicht griff er zur Axt und sprang mit einem Satz hinzu. Da durchfuhr sie gleichsam ein guter Geist: er nahm ihnen die Trunkenheit und alle andere Gefährlichkeit, so erzählten sie später selbst – denn wie soll man gegen eine Axt und einen tollwütigen Wolf ankommen? – Schließlich tranken Per und Jens noch einen halben Pegel, vergruben sich dann irgendwo im Heu und schliefen.

Als sie erwachten, hatte der Wind nachgelassen; es war Abend, und die Juwiksöhne machten sich auf den Heimweg. Denn es war ja fast Weihnachten, fiel ihnen nun ein.

Die Dunkelheit kam und legte sich zwischen die Berge. Das Wasser wurde schwarz und glänzend. Ein seltsam stiller Abend, die Ruderschläge riefen in die Felsen hinein und erhielten Antwort; die Berge ragten über ihnen schwarz in die Luft. Es war kurz nach Neumond, und die Mondsichel stand weiß und dünn am Himmel, warf nur über die Bergspitzen auf der Nordseite einen gelbweißen Schimmer, der aussah wie ein Lichtschein auf einem Kirchhof. Sie ruderten und ruderten. Sie hatten nichts zu reden, und das Schweigen war wie ein dritter Mann im Boot. – Höfe und Häuslerplätze, die wie ausgestorben am Strand entlang lagen, ließen sie hinter sich. Da und dort war eine Stelle vom Mond beschienen, ein graues Bergantlitz, ein paar erschreckte graue Häuser, die zu solch einem fremden Tag erwacht waren; dann war wieder alles nichts als Schneeflecke und schwarze Berge.

Es ward Nacht. Nie noch hatten sie so auf dem Grunde der Nacht gerudert. Da plötzlich erklang oben in den Bergen ein Schrei, das Land selbst öffnete sich und schrie!

»Die Steineule!« sagte Jens.

Per ermunterte sich, denn es tat wohl, daß endlich einer etwas sagte; dann legte er die Hand an den Mund und antwortete: Hu–uh!, daß es in den Bergen schallte. Er war ein Meister im Nachahmen der Steineule, einmal hatte er sie bis zum Haus gelockt, und auch dieses Mal kam sie gleich näher auf die Felswand heraus und antwortete. Das ging einige Zeit lustig hin und her, sie ruderten und schrien, und die Steineule kam rufend nach. Bald aber froren sie in ihren Kleidern, denn jetzt war sie dicht über ihnen, sie sahen sie nicht, aber sie schrie lauter und wilder, als ein Vogel eigentlich konnte. Sie antworteten aus Trotz. – »Wir wollen dich lehren, Totenlieder zu singen!« rief Jens, und man konnte hören, daß seine Stimme nicht ganz echt klang.

Da kam sie herbei und setzte sich zu ihnen auf die Mastspitze. Ein großer schwarzer Lappen kam durch die Luft herab, ohne einen Laut, wie der Geist eines Abgeschiedenen; ein großer Kopf und Fledermausschwingen.

»Hau!« sang es aus seinem Schnabel heraus, sie hörten, wie weit und häßlich aufgesperrt er war.

»Das – das ist kein Vogel«, sagte Per, er spuckte ruhig aus.

»Fahr zur Hölle, wo du hergekommen bist!« schrie Jens und rüttelte am Mast.

Der Schwarze breitete die Schwingen aus, blieb jedoch sitzen. Er war noch unheimlicher jetzt, da er schwieg.

Jens nahm das Ruder und drohte damit hinauf. Es nützte nichts. Nun schrie der Vogel wieder, mit Menschenstimme! Per konnte nicht unterlassen zu antworten. Da lachte es kalt über ihnen, gleichsam als hörten sie einen irren Menschen, in den der Böse gefahren war.

Und nun antwortete es von oben zwischen den Bergen, oben im Schwarzfels bei Juwika, es lachte lange und lustig, die Haare konnten einem zu Berge steigen. Der dort oben auf dem Masttopp hebt sich weg und fliegt davon – jetzt sind sie zwei im Boot und zwei oben in den Bergen! Und jetzt ruft es, gerade wie sie da sitzen und darauf warten: Per und Jens! ruft es, Per und Jens!

Die Burschen schwiegen und ruderten. Daheim binden sie das Boot an einen Stein bei der Bootslände, werfen den Dregganker achtern aus dem Boot und gehen ihrer Wege.

Dann aber dreht Jens sich um und schwört einen blanken Eid, das wollten sie denn doch nicht, das Mehl sollte hinaufgebracht werden, und wenn er die Arbeit allein tun müßte. – »Ja, das meine ich doch auch!« sagte Per. Sie machten sich daran: Jens stand mit den hochgezogenen Wasserstiefeln im Wasser und hob Sack für Sack hinaus, und Per legte sie neben den Schuppen hin, es ging, als wäre Spreu in den Säcken. Da sie aber schon einmal damit angefangen hatten, konnten sie ebensogut das Mehl gleich in den Schuppen tragen, und dann zogen sie das Boot an Land.

Sie waren jetzt ganz ruhig, nahmen die Vorratskiste und den Milchkübel und gingen hinauf.

»Das war wohl das gleiche wie das, was die Burschen von Skarsvaag voriges Jahr erlebt haben«, meinte Jens – im Grunde war es ihm gleichgültig, was es war, aber er blieb stehen und lauschte nach Osten.

»Wer nur wüßt, was so etwas von einem will«, murmelte Per. »Im übrigen aber: Wenn ich durstig bin, so trinke ich, und bin ich zornig, so schlage ich zu, ich frag nicht lange.«

Er fühlte sich glühend heiß und ging. »Wer mir etwas Gutes tun will, der mag mit mir reden wie ein Mensch.« Die Burschen von Skarsvaag, ja, die waren abgeschreckt und kuriert; aber das waren ja auch keine Kerle, in denen steckte kein Leben.

Was aber war nun das hier? Da geht jemand vor ihnen her den Weg hinauf, ein kleiner alter und rundrückiger Mann, er ist verhutzelt und steifbeinig, aber er läßt sie zurück, verschwindet in dem Halbdunkel oben am Hang.

»Hm, hm!« sagte Per. »Soweit ist's also.« – »Da wird es für den Vater bald Abend werden«, meinte Jens. Denn der dort wollte nicht ihnen ans Leben.

Sie schreiten aus und gehen weiter.

Doch Per Anders schlief in der Kammer, rang ein wenig nach Luft und war unruhig, sonst aber war ihm nichts anzumerken.

»Morgen ist er wieder auf den Beinen«, sagte Jens; er verließ die Stube mit erleichtertem Herzen.

Per kam nach. Wenn ich nur wüßte, was er von mir wollte, dieser Vogel, dachte er; denn ein Vogel war es und nichts anderes, aber hätte er nicht daheimbleiben können?

3

Per Anders kam am nächsten Tage nicht auf die Beine. Sie sahen bald, welchen Weg es nehmen würde.

Jens und Per taten, als merkten sie es nicht. Waren sie beide allein, so machte Jens sich über das Geschehnis in der Nacht lustig: Es war nichts vorgefallen, nicht das geringste, es war die reine Lüge gewesen, da oben auf der Mastspitze – höchstens eine verirrte Steineule! – »Ja?« fragte Per; denn er hatte es auch nicht für mehr angesehen. Aber Jens lächelte, wie er so dahinging: Per solle ihn doch nicht zum Narren halten. Er ertappte ihn immer wieder dabei, wie er grübelnd dastand. Jetzt steht er dort, als habe man ihm die Pelzmütze über die Augen gezogen, er sieht nichts als schwarze Dunkelheit; und er muß ihr bis auf den Grund dringen! Ich bin wahrhaftig ein glücklicher Mensch, ich! Dasselbe sagte er zu Per, als er zu ihm in die Schmiede kam: »Ich bin ein glücklicher Mann, Per!« – Er stemmte die Fäuste hart auf die Bank. – »So?« Per sah auf. Er hatte nie daran gezweifelt. »Aber einer, der nicht weiß, ob er vorwärts oder rückwärts soll«, murmelte er über seiner Arbeit. »Zu hören, daß etwas mit einem spricht, und dann doch kein Wort zu hören!« – Jens war schon draußen.

Als Per ins Haus gehen wollte, begegnete er einer Frau mit einem Milchkübel in der Hand. Er sah sie an. Sie war wohl von drüben über dem Fjord. Sein Gesicht erstarrte, wie immer, wenn er sich Bettlern gegenübersah. Dann rief er in die Küche hinein zu Valborg, und sie kam heraus. »Hier steht eine mit einem Milchkübel«, sagte er. »Du mußt ihr etwas geben, damit sie nicht zu betteln braucht.« Er war wieder zur Stelle, als das Weib sich um die Hausecke schlich: »Hast du deinen Mann nicht dabei? Ja, dann sag ihm, er soll in die Schmiede hinaufkommen.« Der Mann kam; es war der Holzdieb, dem sie nachgejagt waren. »Wo hast du den Sack?« fragte Per. Der Mann zog ihn unter der Joppe heraus. »Komm her« – und Per ging zum Vorratshaus. Dort füllte er den Sack und warf ihn dem andern auf den Rücken; der Mann sank fast darunter zusammen. Per wandte sich ab und ging weg, als sei er zornig, und der andere blieb mit seinem Dank stehen. Nun drehte Per sich ihm wieder zu; er lachte und machte die Augen klein: »Wenn du noch einmal zum Holzstehlen kommst, darin kriegst du Prügel. Na, du hast dich ordentlich in die Ruder gelegt, das letztemal, als du unterwegs warst.«

Im übrigen gingen die Weihnachtsvorbereitungen vor sich wie gewöhnlich, die Schweine bluteten, und das Bier gärte, alles wurde zur rechten Zeit fertig, und dann wurden die Kleider und der Körper einer gründlichen Wäsche unterzogen. Und der Winter kam, der weißeste Winter mit Mond und Weihnachtsschlittenbahn. Ein jeder fühlte sich leichter, man atmete wie ein neuer Mensch. Die Erde rings um einen wurde zum Freund, und auch die See leuchtete auf, sogar die beißende Kälte fühlte man wie einen alten Bekannten. Mit der Nacht brauchte man sich nicht länger abzuraufen, sie kam nicht herein, ein Gotteswort, wenn man hinaus mußte, ein kleines Vaterunser, ehe man einschlief, das war schon genug.

Der Alte schlief viel. Oft aber lag er auch wach da, fragte nach den Buben und was sie trieben und ob Brennholz im Hause sei oder ob sie auch nicht vergessen hätten, die Gäule zu tränken. Ein anderes Mal fuhr er aus dem Halbschlaf auf, keuchte und ächzte, das Atmen fiel ihm schwer, ihm wurde heiß, er wußte nicht warum, es war eine rechte Plage! »Es wird noch das ganze Werk in mir zum Stehen bringen!« jammerte er. Dann mußte Ane hereinkommen und ihn frisch betten. »Ich werde doch wohl nicht mitten in der Weihnachtsarbeit sterben? meinte er. Am Morgen des Weihnachtsvortages fragte er, ob sie den Nachbarn etwas von ihrem Schlachtvorrat gesandt hätten. Doch, sie waren überall gewesen. Ja, aber auch bei der Aasel? Sie sahen einander an, dann aber antwortete Valborg: »Ja, gerade soll der Per fort.« Da richtete er sich auf: »Gott segne dich, wenn du auch lügst. Du meinst es gut, Valborg.« – Und Per mußte sich auf den Weg machen.

Am Weihnachtsabend fühlte Per Anders sich besser. In die Badestube kam er zwar nicht, aber Per mußte mit dem Barbiermesser kommen und ihn barbieren, und er zog ein neues Hemd an und dann saß er im Bett und aß, während die anderen rings um den Tisch saßen; den Weihnachtsfisch konnte man sich doch nicht entgehen lassen, meinte er, und die Grütze auch nicht. »Weihnachten muß Weihnachten sein, und wenn es auch das letzte für mich sein sollte«, fügte er hinzu. Neben ihm standen zwei dicke Weihnachtslichte, und Klein-Anders kniete vor seinem Bett und verzehrte sein Abendbrot bei ihm. »Ja, ja«, sagte er zu dem Jungen. »Jetzt ist es bald um mich geschehen. Und um deinen Vater auch bald, dann bist du an der Reihe. Greif zu, iß und laß mich sehen, daß aus dir ein tüchtiger Kerl wird. Fürchtest du dich vor dem Weihnachtsbock, hm?« – O nein, Anders fürchtete sich nicht, wie er da so kniete.

Aber als er dann kam, erfaßte den Buben doch die Angst: der Bock legte ein langes, gelbweißes Gesicht an die Scheibe und meckerte so, daß sich für Anders alles herumdrehte, es war ein unmenschlich häßliches Tier, und ihnen allen war übel zumute, nicht nur ihm, die Dirnen sprangen von den Stühlen auf und schrien, sie griffen nach dem, was ihnen am nächsten war und die eine hatte den Kleinknecht zu fassen bekommen und saß nun da und hielt ihn fest, eine Große und Dicke mit einem kleinen dünnen und bleichen Halbwüchsigen im Arm.

»Jens!« rief Per Anders im Bett. Er rief es noch einmal, und nun so, daß Jens hereingeschlichen kam. – »Treibt mir keine Kinderstreiche«, warnte er. »Denn wenn dich die Angst nicht schon gepackt hat, so wird sie dich noch packen; vergiß das nicht, Jens. Denn du bist kein solcher Kerl, wie du glaubst. O nein, so siehst du mir nicht aus. Mir war's, als hätte sich der Tod angesagt.«

In dieser Nacht konnte er nicht schlafen, das Essen bekam ihm nicht. Auch die anderen schliefen nicht, sie durchwachten die Nacht, wie es der Brauch war. Per aber war die meiste Zeit beim Vater drinnen.

Es ging jetzt rasch bergab mit dem Alten, und dies war nicht die letzte Nacht, die Per in der Kammer verbringen mußte. Ein ums andere Mal glaubten sie, es sei das Ende. Ane kam überhaupt nicht mehr zum Schlafen, sie war immer bei Per Anders, und er gehorchte ihr wie ein Kind. »Leg dich hin«, sagte sie, »ja, so, dann wird es gleich besser.« – »Meinst du?« sagte er, zugleich erstaunt und froh. Gleich darauf mußte sie wiederkommen. Per beugte sich über ihn: »Ihr müßt doch wohl begreifen, daß die Mutter auch Schlaf braucht.« »Ja, wirklich? – Ja, ja. Aber soll ich denn nicht bald wieder gesund werden, hm, hm!« Er vertrug es nicht, daß die anderen sahen, wie schlecht es um ihn stand. »Gib du auf das Deine acht und laß mich auf das Meine achten«, sagte er zu Per.

Eines Tages, in der Zeit vor Neujahr, fing er an, davon zu reden, daß er seine Töchter sehen wolle. »Wo sind denn die Kinder?« sagte er manchmal plötzlich, während er so halb schlummernd dalag. Ein paarmal glaubte er, sie seien bei ihm, dann lag er da und sprach leise mit ihnen. »Das ist schlimm mit dir, Klein-Ane«, sagte er. »Aus dir ist auch nichts Rechtes geworden. Ja, ja. Ich hör schon, was du sagst. Aber da hilft nichts: du mußt dich hüten! – Bist du das, Aasel? Jag du dein Eichhorn in den Wald und komm hierher – du meinst, du hättest Mehl genug und kämst den Winter hindurch zurecht, he?« – Dann sagte er frisch und ruhig zu Ane: »Du mußt nach den Töchtern schicken, es ist so gut, wenn sie alle miteinander hier sind; wenn sie die Stube füllen.«

Man sandte nach Haaberg und nach Vikan, und sie kamen am Neujahrstag. Es war wie ein großes Gastgelage in Juwika. – Aasel brachte alle ihre kleinen Buben mit, der Mann fuhr sie bis zur Bootslände und ruderte wieder nach Hause; Ane kam gleich nach ihr in einem kleinen Boot. Es dauerte eine Weile, ehe sie Aasel einen Blick schenkte, und sie befreundete sich nicht weiter mit ihr.

Per Anders hatte schwere Tage gehabt, es stach ihn so sehr in der Brust, daß er es nicht ganz verbergen konnte: er sprach nicht geradezu darüber, aber er wurde rot und heiß und war nicht immer ganz bei sich.

Als er sah, daß Ane gekommen war, versuchte er, sich im Bett aufzusetzen; aber das vermochte er nicht. Als Aasel mit den Kindern zu ihm ans Bett trat, wischte er sich gleichsam den Schlaf aus den Augen, lächelte ein wenig dem Licht zu. wie einer, der die Zeit verschlafen hat, und dann begrüßte er sie, still und stark, zuerst Aasel, und dann die Kleinen, dem Alter nach hinab, eines nach dem anderen: »So, das ist der Anders! Und das der Per? Und das der Jens? – Herrgott, so viele Juwikinger!«

Er wollte mit ihnen sprechen, konnte aber nicht. Sie hörten, wie die Brust ihm die Worte abdrückte. Er sah sie noch einmal der Reihe nach an; dann blickte er in die Stube hinaus zu Jens und Per, die dort saßen und Karten spielten.

Es war ein weißer Tag, und das Licht schien stark durch die Fenster herein, lag auf der Wand und auf allen Gesichtern, man fühlte die winterblanke Luft und den Neuschnee draußen. Der Boden war neu und weißgescheuert und mit kleingehackten Wacholderzweigen bestreut, die Wände hell, aber wohlbekannt, mit Borden und Geschirr und Wandschränken, treue Gesichter für alle, die hierher gehörten.

In Stube und Kammer herrschte Stille. Es war gleichsam so lange her, seit sie alle miteinander hiergewesen waren. Nur die Uhr an der Wand wagte ihren Weg zu machen; sie konnte wohl immer gehen, ihr war der Weg altgewohnt.

Endlich besann sich die Hausmutter und dachte daran, daß die Gäste nicht vom Weihnachtstrunk allein leben konnten, sondern auch zu essen haben mußten. Jens stand auf und ging hinaus. Da trat Ane Haaberg ans Bett, ihr Gesicht war blank vor Feierlichkeit und Selbstzufriedenheit, sie blinzelte mit den Augen und holte Atem. Dann setzte sie sich auf den Bettrand und ergriff die Hand des Vaters.

»Jetzt, Vater, jetzt braucht Ihr keine Angst mehr um meinetwillen zu haben. Ich tu – nichts Unrechtes.«

Er drückte ihre Hand; er murmelte etwas wie einen Dank.

»Ja, denn ich darf ja – – keinen Eid ablegen; nach dem, was ich gehört habe. Nicht ich, sondern die anderen, heißt es. Darüber also braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen.«

Per Anders wandte ihr die Augen zu. Wandte sie wieder ab. Dann schüttelte er den Kopf, ein ganz klein wenig.

»Ja, denn es ist respektierlich!« sagte Ane.

Er drehte sich auf die Seite, ächzte ein wenig, denn er hatte große Schmerzen, und dann fing er an. dem Anders, der seinem Bett am nächsten stand, den Kopf zu streicheln.

»Du Anders, du Anders. Ich glaube, mit dir wird es einmal gut gehen. Wenngleich du wohl auch kein ganzer Juwikbauer wirst. Wenngleich es eher schwer als leicht für dich werden wird, armer Kerl.« Er sah ihn lange an, die Augen waren unendlich fahl und fern.

Dann lehnte er sich wieder zurück, bekam einen Hustenanfall und rang schwer. Ane, die Tochter, kam mit Tropfen und wollte sie ihm eingeben. Er schob sie von sich: Tropfen waren noch nie über seine Lippen gekommen!

Als er sich wieder erholt hatte, lag er da und lächelte. »Setz dich hierher, Aasel«, befahl er. »Für mich ist es nicht schwer, siehst du, denn ich habe immer das Glück mit mir – es ist keine Sache zu sterben, weißt du, wenn man bei Mondenschein und klarem Wetter sterben darf. Ich fühlte es jetzt: Das ist nicht nur Unsinn. – Und haben wir nicht Glück gehabt, du, daß wir vor Weihnachten ein bißchen Branntwein gebrannt haben? Ich habe immer Glück gehabt, es hat es schon nicht anders gewagt.«

Er schlief wieder ein und erwachte nicht vor dem nächsten Tag. Die beiden Töchter blieben die ganze Nacht hindurch auf; Ane aber war müde und erschöpft und schlief die meiste Zeit, und das tat auch die Mutter. Der Alte lag da und redete vor sich hin, und bisweilen lachte er; es war unheimlich anzuhören. Aasel sagte später, wenn er es am ärgsten getrieben habe, sei ihr gewesen, als habe sie am ganzen Leib eine Gänsehaut gehabt; um Mitternacht lag er da und lauschte, umfaßte die Bettkante und stützte sich auf: »Hört doch den häßlichen Bock, wie er meckert! O nein, zum Teufel, mich erschreckst du nicht!« – Der Mondschein fiel in die Stube, daß es in den Wänden knisterte, draußen war es so saugend gelb und still, dies war schlimmer als die schwärzeste Dunkelheit.

Als Ane und Aasel am nächsten Tag im Begriff standen, heimzufahren, besann er sich und blickte um sich:

»Wo bleibt ihr denn, Kinder? Kommt doch ein wenig näher her! Man ist so allein zum Schluß. Man liegt so mutterseelenallein da. – Ich bin von den Leuten rings umher fortgegangen. Sie blieben in der Dunkelheit zurück. Laßt sie. Kommt hierher!« – Sie standen alle rings um das Bett.

Er blickte von Per zu Valborg: »Ja, ja, Per. Ja, ja, Valborg. Versucht miteinander auszukommen. Juwika ist mühsam. Und – der Per ist mühsam. Jetzt kommt mir alles so sonderbar vor. Du mußt aber doch gut zu ihm sein, Valborg. Wenn du zu weich wirst, dann weiß ich nicht, wie es gehen soll.«

Dann wendet er sich von Per weg, will ihn nicht mehr sehen. Er fällt immer mehr ab.

»O nein, hier ist keiner für Juwika gewachsen. Das Geschlecht hat sich zerspalten, meine ich.«

Sie ahnten, wie er es vor sich sah: Keiner von ihnen taugte so recht, keiner von ihnen, und da ist es schwer, von allem fortzugehen.

»Aasel, wo bist du?« Sie beugte sich zu ihm hinab. »Ja, da bist du!« Er lächelte wie ein Kind und suchte nach ihren Händen. »Du muß dich recht um das Kleinvieh in Juwika annehmen, wenn du so weit kommst. Und dann mußt du das Moor gründlich trockenlegen, da haben sie was zu schaffen, deine Buben. – Und – und – dann mußt du gut sein gegen den Jens und die Beret, die haben es nicht so leicht. Weiter war es nichts mehr. So, jetzt – nehme ich den Stab.«

Er schlief schon fast, als er dies sagte. Jens lächelte ein wenig und ging hinaus.

Ane und Aasel nahmen Abschied und fuhren fort. Sie wollten bald wiederkommen; sie wollten vor seinem Tode noch einmal herüberschauen.

4

Es kam nicht dazu. Die Nacht darauf, gegen den Morgen zu, war es überstanden. Fast die ganze Zeit lag er da und redete; dies kam wohl daher, daß er früher nie zuviel geredet hatte, aber er sprach mit sich selber, und man konnte nicht recht klug aus dem werden, was er sagte. Die Vorfahren machten ihm zu schaffen. Es klang so, als sei er selbst bald der eine und bald der andere von ihnen.

Er war der Groß-Per, der den Ommunstrand-Alten samt dem Pferd durchs Eis beförderte; gleich darauf war er der Bären-Anders: »Wagst du es, so mutterseelenallein und nur mit der Axt in der Herbstnacht hier zu liegen und auf den Bären zu warten?« Eine Weile lag er seufzend da. – »Das ist der Geiz-Per, der da«, sagte er. »Ja, ja, aus wenig wird viel; wenn nur eines zum andern kommt, zum Hof kommt; das mag Gott wissen. Heringsnetz? Woher doch! Ich nahm alles, was im Fjord offen dalag. Willst du stehlen, Kind, dann darfst du nicht dastehen und zittern, du mußt es nehmen, als wenn es dir gehörte. Jetzt bin ich mächtig und reich – aber im Reiche Gottes, dort sollte ich sein, ja. Ich weiß, was ich tue: ich trage den ganzen Plunder wieder zurück! Das ist eine Mannestat: Diebesbeute wieder zurücktragen! Frieden im Schuppen, sage ich – glaubst du, ich fürchte mich vor Geistern! – – Nein, Kind, ich bin der Vater selber. Der Anders selber. Das Weib prügeln, ja, wer sollte sie denn sonst prügeln, sag mir das einer? Jetzt habe ich die Grenze abgeschritten, jetzt ist Juwika fertig – und jetzt bin ich betrunken, und jetzt soll ein jeder von euch Prügel haben, denn ich bin ja nur einmal im Jahr betrunken, he? – – – He, he, he! Da hast du den Per Anders vor dir, das siehst du doch wohl. Den Per und auch den Anders, ja. Da stehe ich und sehe euch an, Leute. Und höre euch zu. Herrgott, sie sind klein und ängstlich. Ja, es ist gefährlich. Hört ihr den Bock? Er meckert um meinetwillen, und sie fahren zusammen. Hört ihr es in der Alt-Stube drüben rumpeln? Hört ihr es ums Haus herumgehen? Unten im Schuppen sitzt ein schwarzer Kerl. Was ich im Schuppen gesehen habe? Das geht euch nichts an, Kinder. Das ertragt ihr nicht. Aber an dem, wahrhaftig, an dem haben sie sich vielleicht doch die Hörner abgestoßen, viele von den Juwikingern. Denn der Leibhaftige ist mächtig; es ist keine Schande, dem Kerl aus dem Weg zu gehen.« – – »Zaubere nur!« ruft er plötzlich – »ich will schon standhalten, ich! Aber du, Per, du bist ja nur ein Kind. Du und der Jens, ihr zwei miteinander gebt kaum einen Ganzen. Ein bißchen ungläubig, ja, ist das etwas Großartiges? Brecht ihr Bahn durch das Dunkel, so wie ich es getan habe? Hahaha.«

– – – Die Dirnen wagten nicht, sich in dieser Nacht schlafen zu legen. Sie blieben in der Stube sitzen und schliefen dort. Denn sie hörten es draußen meckern. Sie hörten es drüben in der Alt-Stube geistern. Ane saß ganz in ihrem Kopftuch verborgen da. Sie las einen Psalm oder vielleicht das heilige Vaterunser.

Dann fährt er auf und lauscht: »Hört ihr den Bock!« Aber er legt sich wieder zurück und lächelt: »Ach was, es ist nur die Leiter an der Birke. Die macht mir nicht Angst.«

Draußen an der Hauswand stand etwas Arges, das merkten sie. Und auf dem Dach ritt etwas Schlimmes. Es war eine Unglücksnacht.

Per Anders hatte einen Anfall, kämpfte schwer und röchelnd um Atem. Dann sagte er: »Komm jetzt, Ane. Gib mir jetzt den Stab.«

»Bete zu Gott, bete zu Gott!« flüsterte sie eifrig.

»M–m. Hab ich nicht früher zu ihm gebetet, so – – –«

Das war das letzte, was er sagte. Ane öffnete die Tür, damit die Seele hinausfinde, und dann legte sie die Leiche zurecht, wie es getan werden mußte. Sie gewahrte den kleinen Anders, der in der Tür stand. Im selben Augenblick sah auch Valborg ihn stehen, und sie fragten alle beide: »Was schaust du, Anders?«

Der Knabe deutete auf das Fußende des Bettes: »Was war das für ein Mann, der dort stand?«

»Dort?« Sie sahen einander an. Die Knie versagten ihnen. Valborg nahm den Knaben und brachte ihn zu Bett.

Eine Weile später standen Jens und Per vor dem Haus. Sie wußten nicht, ob sie hineingehen und sich schlafen legen oder was sie sonst tun sollten; sie wußten gleichsam gar nichts. Sie wußten auch nichts zu sagen. Sie blickten nur zum Mond hinauf.

Die Wolken kamen von Osten her gesegelt, wollten nach Westen aufs Meer hinaus. Sie holten den Mond ein, der auch auf dem Weg nach Westen war, umhüllten ihn und wollten ihn mit sich nehmen. Da machte er kehrt und fuhr gen Osten, den Wolken gerade entgegen, so daß es hinter ihm wirbelte. Er lächelte gelb, aber nach Osten wollte er, das war für ihn der Sinn des Lebens.


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