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Einundsechzigstes Capitel.
Meerfahrt.


Am achten Tage nach jener denkwürdigen Nacht stand Romola am Ufer des mittelländischen Meeres, das milde sommerliche Wogen der See oberhalb des, damals ein Fischerdorf bildenden Viareggio beobachtend.

Auf's Neue war sie aus Florenz geflüchtet, aber dieses Mal hatte keine bannende Stimme sie zurückgerufen; und wiederum trug sie das dunkle geistliche Gewand, aber dieses Mal mit ihrem wunden Herzen kehrte sie sich nicht daran, daß es eine Verkleidung war. Ein neuer Aufruhr, eine neue Verzweiflung hatte sich in ihr erhoben. Was war es ihr, ob sie dieses oder jenes Abzeichen trug, oder ob sie bei ihrem eigenen Namen genannt wurde? Sie verzweifelte daran, eine bestimmte, diesem Namen zukommende Pflicht zu finden. Welche Macht gab es, die für sie jenes geheiligte erhabene Motiv schuf, das die Menschen Pflicht nennen, das aber keine innere Nöthigung, außer vermittelst einer äußeren Form gläubiger Liebe haben kann? Alle Bande gewaltiger Liebe waren gesprengt. In ihrer Ehe, dem erhabensten jener Bande, sah sie nicht mehr die mystische Einheit, welche ihre eigene Bürgschaft der Unauflösbarkeit ist, ja sie sah darin nicht einmal mehr eine freiwillige Verpflichtung; hatte sie nicht bewiesen, daß die Dinge, für die sie sich verbürgt hatte, unmöglich waren? Der Trieb, sich frei zu machen, war wieder mit überwältigender Kraft erwacht, und doch konnte die Freiheit nur ein Wechsel, ein Unglück sein. Für das Weib, welches einsieht, daß die Hauptverbindung ihres Lebens nichts weiter als ein Irrthum war, giebt es keinen Ersatz. Sie hatte ihren Kranz verloren. Das tiefste Geheimniß menschlicher Beglückung hatte sich ihr halb entdeckt, und war dann für immer entschwunden.

Und jetzt war auch Romola's kräftigste Stütze bei diesem tiefsten Kummer des Weibes von ihr gewichen. Die Vision eines großen Vorhabens, irgend eines Lebenszweckes, der das Dulden adeln und die gewöhnlichen Thaten eines Lebens im Staube mit göttlicher Gluth verklären konnte, war ihr jetzt in dem Bewußtsein einer Verwirrung in menschlichen Dingen verschwunden, die jedes Streben zu einem bloßen Zerren an verworrenen Fäden, jede Genossenschaft behufs des Widerstandes oder der Vertheidigung zur Unbilligkeit und Absonderung vom Ganzen machte. Wer war denn, genau genommen, der für sie den höchsten Heroismus, nicht den Heroismus harten, selbstbezähmenden Duldens, sondern den freiwilliger selbstaufopferungsvoller Liebe dargestellt hatte? Was war der Gegenstand, um dessen willen er gerungen hatte? Romola hatte ihren Glauben an Savonarola, die glühende Bewunderung für ihn verloren, welche sie seine Verirrungen vergessen und nur den großen Kreis der Bahn, die er durchschritt, beobachten ließ. Jetzt, da ihr lebendiges Gefühl für ihren Pathen sie mit dem Mönch verfeindet hatte, erblickte sie alle abstoßenden und widersinnigen Einzelheiten seiner Lehren mit einer peinlichen Klarheit, welche dieselben übertrieben vergrößerte. In der Bitterkeit ihrer Täuschung sagte sie, daß sein Streben nach Verjüngung der Kirche und der Welt weiter nichts sei, als ein Streben nach einem bloßen Namen, der am Ende nichts mehr bedeutete, als der Titel eines Bachs – einem Namen, welcher thatsächlich nicht nur die Maßregeln bedeutete, die seine Stellung in Florenz befestigen, ja oft nur bedenkliche Thaten und Worte, die seinen Einfluß vor den Folgen seiner eigenen Irrthümer schützen sollten. Und diese politische Reform, welche einst ihrem Leben ein neues Interesse verliehen hatte, schien jetzt zu engherzigen Plänen für die Sicherheit der Stadt Florenz, zu verächtlichen Widersprüchen mit den abwechselnden Bekenntnissen blinden Glaubens an die göttliche Fürsorge zusammenzuschrumpfen.

Es war unvermeidlich, daß sie den Frate bei einer Frage persönlichen Duldens, welche sie mit den Augen ihrer subjectiven Zärtlichkeit, er mit den Augen objectiver Ueberzeugung betrachtete, unbillig beurteilte. In seiner Aussage, daß die Sache seiner Partei die Sache des Reichs Gottes sei, vernahm sie nur den Ton des Egoismus. Dergleichen Worte sind vielleicht selten ohne diesen geringeren in ihnen ruhenden Ton geäußert worden, aber sie sind die stillschweigende Bedingung jeder energischen Ueberzeugung. Und wenn eine solche energische Ueberzeugung, die ein hohes und fernes Ziel verfolgt, oft Gefahr läuft, eine Teufelsanbetung zu werden, bei welcher der Gläubige Sohn und Tochter mit einer kaum einem Opfer gleichenden Bereitwilligkeit durch das Feuer gehen läßt, so hat auch das zarte Mitgefühl für den Nächsten seine Gefahren, und ist oft furchtsam und zweifelnd bei den höheren Zwecken, ohne die das Leben sich nie zur Religion erheben kann. Auf diese Art wurde die arme Romola von ihren Thränen geblendet.

Niemand, der je erfahren hat, was es heißt, auf solche Weise den Glauben an den Nebenmenschen zu verlieren, den er innig geliebt und geehrt hat, wird leichthin behaupten, daß ein ähnlicher Schlag den Glauben an die unsichtbare Allgüte unerschüttert lassen kann. Mit der Abnahme des hohen menschlichen Vertrauens nimmt auch die Würde des Lebens ab; wir hören auf, an unser besseres Ich zu glauben, da auch dieses ein Theil der in unseren Augen entwürdigten Natur ist, und alle die feineren Triebe der Seele werden abgestumpft. Romola fühlte sogar die Quellen ihres einst so werkthätigen Mitleids mit Anderen versiegen und sich den unfruchtbaren egoistischen Klagen überlassen. Hatte nicht auch sie ihren Kummer gehabt? und wie Wenige hatten sich ihrer angenommen, während sie doch für so Viele gesorgt hatte! Sie hatte genug gethan; sie hatte nach dem Unmöglichen gestrebt, und war des erdrückenden tumultvollen Lebens müde. Sie sehnte sich nach der Ruhe im bloßen Empfinden, wovon sie oft in den schwülen Nachmittagen ihrer frühen Jugend geträumt hatte, als sie najadengleich auf den Wassern zu treiben gewähnt hatte.

Die hellen Wogen schienen sie einzuladen; sie wünschte sich auf ihnen betten und einschlummern zu können, und dann vom Schlaf in den Tod hinüber zu gleiten. Aber Romola konnte nicht so geradezu den Tod suchen, die Fülle ihres jungen Lebens widersetzte sich dem; sie konnte eben nur wünschen, daß der Tod kommen möge.

An dem Platze, an welchem sie stehen blieb, befand sich ein tiefer Einschnitt in's Land, und ein kleines Boot mit einem Segel war daselbst befestigt. In ihrer Sehnsucht, über die Wasser, die sich jetzt in den flachfallenden Sonnenstrahlen golden färbten, dahinzugleiten, dachte sie an eine Erzählung, welche zu denen gehörte, bei denen sie im Boccaccio am liebsten verweilt hatte, wenn ihr Vater eingeschlafen war und sie von ihrem Sitz auf den Fußboden herniederglitt und das Decamerone las. Es war die Geschichte der schönen Gostanza, welche in ihrem Liebessiechthum nicht länger zu leben wünschte, aber da ihr der Muth fehlte, selbst Hand an ihr junges Leben zu legen, sich in ein Boot gesetzt hatte und der See zugetrieben war; dann, sich im Boot niederlegend, den Mantel um ihr Haupt geschlungen hatte, in der Hoffnung, Schiffbruch zu leiden, so daß ihre Furcht nichts helfen würde, dem Tode zu entfliehen. Diese Erinnerung war ein bloßer Gedanke in Romola's Seele geblieben, ohne zu einem bestimmten Wunsch zu werden; jetzt aber, als sie wieder in ihrem Auf- und Abgehen inne hielt, sah sie, sich schwarz gegen das röthliche Gold abzeichnend, ein zweites Boot mit einem Manne darin, welcher der Bucht zufuhr, wo das erstere, kleinere Boot lag. Wieder weiter gehend, sah sie endlich den Mann landen, sein Boot an's Ufer ziehen und dasselbe entladen. Vielleicht war er auch der Eigenthümer des kleineren Bootes; er konnte sich bald entfernen und mit ihm die Gelegenheit für sie, das kleinere Boot zu kaufen. Sie hatte sich noch nicht eingestanden, daß sie sich desselben bedienen wollte, sie fühlte aber eine plötzliche Lust, sich die Möglichkeit des Gebrauchs zu sichern – eine Lust, welche die halbunbewußte Umwandlung eines Gedankens in einen Wunsch verrieth.

»Gehört dieses kleine Boot Euch auch zu?« fragte sie den Fischer, der, etwas erschrocken über die hohe dunkelgraue Gestalt, aufblickte, und der frommen, so geheimnißvoll in der abendlichen Einsamkeit umherwandernden Schwester seine Ehrfurcht bezeigte.

Es war allerdings sein Boot; ein altes, kaum mehr seehaltendes, doch für Jeden, der es kaufen wollte, der Ausbesserung werthes Fahrzeug. Durch den Segen San Antonio's, dessen Kapelle drüben im Dorfe stand, war sein Fischfang immer glücklich gewesen, und er hatte jetzt ein besseres Boot, das einst dem Gianni, der nun gestorben war, gehört hatte. Aber er hatte das alte noch nicht verkauft. Romola fragte ihn, was es werth sei, und warf, während er beschäftigt war, den Preis in ein kleines auf dem Boden liegendes und die Reste seiner Mittagsmahlzeit enthaltendes Säckchen. Hierauf beobachtete sie ihn, wie er sein Segel reffte, und fragte ihn, wie er es stellen würde, wenn er in See stechen wollte, und dann wartete sie, auf und ab gehend, bis er sich entfernt hatte.

Die Idee, in diesem Boote auf den dunkelnden Wellen davon zu gleiten, wurde mehr und mehr zu einem Sehnen, wie der Gedanke, an einen kühlen Bach in der Schwüle zu einem brennenden Durst wird. Von der Bürde der Wahl befreit zu werden, wenn jeder Grund ihres Lebens zernichtet war, sich schlafend dem Schicksal zu überlassen, das ihr entweder den Tod oder neue Bedürfnisse, die ein neues Leben in ihr erwecken möchten, bringen würde – das war ein Gedanke, der sie um so mehr anlockte, als die laue Abendluft ihr den Wunsch einflößte, in der stillen Einsamkeit auszuruhen, statt in das Geräusch und die Hitze des Dorfes zurückzukehren.

Endlich hatte der langsame Fischer alle seine Geräthschaften zusammengenommen und ging seines Weges. Rasch zog sich das Gold an Himmel und Meer zurück und ward immer matter, kein lebendes Wesen war in Sicht und man vernahm keinen Ton als das einschläfernde, eintönige Gemurmel der Wellen. In dieser See gab es keine Strömung; welche sie fortführen konnte, wenn sie auf deren Ebbe wartete, aber Romola glaubte, daß der Landwind aufspringe. Sie stieg in das Boot, machte das Segel los und befestigte es, wie sie es in diesem ersten kurzen Unterricht gelernt hatte. Sie sah, daß es den leichten Landwind fing, und das war Alles, was sie verlangte. Dann löste sie das Boot von der Vertauung, und versuchte es mit einem Ruder fortzubewegen, bis sie fern ab vom Land, und die See selbst schon im Westen dunkel war und die Sterne wie ein über den weiten Himmel zuckendes Leben aufgegangen waren. Endlich legte sie die Riemen nieder und warf ihre Kapuze zurück; indem sie das darunter befindliche, ihr Haar bindende Tuch abnahm, faltete sie Beides unter ihrem Kopfe, wie ein Kissen, auf einer der Bootsrippen zusammen. Ihr schönes Haupt war noch sehr jung und konnte ein hartes Kissen vertragen.

Und so lag sie, während die laue Nachtluft sie, als sie über die Wasser dahinglitt und die immer tiefere Ruhe des Himmels betrachtete, anfächelte. Sie war jetzt allein; sie hatte sich von allen Anforderungen, selbst von der Last des Wählens, welche immer schwerer und schwerer drückt, wenn die Ansprüche ihre leitende Macht eingebüßt haben, frei gemacht.

Hatte sie irgend etwas dem Traume ihrer Jugend Aehnliches gefunden? Nein! Erinnerungen hingen an ihr wie das Gewicht gebrochener Schwingen, die nie wieder erhoben werden konnten – Erinnerungen an menschliche Theilnahme, welche selbst in ihrem Weh einen Durst zurückläßt, den zu stillen es der großen Mutter an Milch gebricht. Romola fühlte sich in diesen weiten Räumen von Luft und Meer verwaist. Sie las in dieser fernen symbolischen Schrift des Himmels keine an sie gesendete Botschaft der Liebe, und mit einem tiefen Seufzer wünschte sie in den Tod zu gleiten.

Sie zog von Neuem die Kapuze über das Haupt und bedeckte ihr Antlitz, die Dunkelheit dem Lichte der Sterne vorziehend, welches ihr wie das kalte Licht von Augen, die sie anstierten, ohne sie zu sehen, erschien. Sie fühlte jetzt, daß sie im Grabe sei, aber auch da keine Ruhe; sie berührte die Hände der geliebten Todten neben ihr, und suchte sie zu erwecken.



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