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Gegen zehn Uhr Morgens, am siebenundzwanzigsten Februar wälzte sich der Strom der die Straßen von Florenz Durchziehenden ersichtlich nach San Marco zu. Es war der letzte Carnevalsmorgen, und Jedermann wußte, daß noch ein Freudenfeuer der Eitelkeiten dem alten Palaste gegenüber vorbereitet wurde; aber es war augenscheinlich, daß der Mittelpunkt des Volksinteresses jetzt anderswo lag.
Die Piazza di San Marco war von einer Menge besetzt, von der man keine andere Bewegung sah als die, welche vom Drängen Neuhinzugekommener herrührte, welche, wo sich nur eine Lücke zeigte, gewaltsam hineinzudringen versuchten; aber die Vorderreihen waren bereits eng geschlossen und widerstanden dem Druck. Diese Reihen umstanden der Kirche gegenüber eine halbkreisförmige Schranke, innerhalb welcher die Brüder Dominikaner von San Marco sich bereits versammelten.
Aber die interimistische, über der Kirchthür errichtete hölzerne Kanzel war noch leer. Sie sollte jedoch sogleich von dem Manne betreten werden, den der Befehl des Papstes von der Kanzel des Domes verbannt hatte, mit dem die übrigen Geistlichen in Florenz nicht verkehren, den die florentinischen Bürger bei Strafe des Banns nicht anhören durften. Dieser Mann hatte gesagt: »Ein schlechter ungläubiger Papst, der den päpstlichen Stuhl durch Bestechungen bestiegen hat, ist nicht der Statthalter Christi! Seine Flüche sind zerbrochene Schwerter, er führt einen Griff ohne Klinge in der Hand. Seine Befehle streiten gegen das christliche Leben, es ist gerecht, ihnen nicht zu gehorchen, ja es ist ungerecht, ihnen zu gehorchen.« – Und das Volk strömte noch immer herbei, ihn zu hören, wenn er in seiner Kirche von San Marco predigte. obgleich der Papst fürchterliche Drohungen über Florenz aussprach, wenn es nicht diesen verpesteten Schismatiker aufgäbe und ihn nach Rom schickte, auf daß er dort bekehrt würde, und doch empfing das Volk noch immer, wie es am heutigen Morgen der Fall war, das Abendmahl aus den excommunicirten Händen. Denn wie, wenn dieser Mönch wirklich eher über die himmlischen Blitzstrahlen zu gebieten hatte, als der officielle Nachfolger des heiligen Petrus? Es war dieses eine wichtige Frage, welche für die große Masse des Volks nicht durch die äußerste vom Mönche vorgeschlagene Prüfung, nämlich: was mit dem höchsten geistlichen Gesetz übereinstimmte und was nicht? zu entscheiden war. Nein, in einem solchen Falle würde Gott, wenn er den Frate zu seinem Propheten erwählt hatte, um den Hohenpriester, der das mystische Gewand unwürdig trug, zu tadeln, seine Wahl durch irgend ein unverkennbares Zeichen bezeugen. So lange der Glauben an den Propheten mit keinem äußeren Unheil drohte, sondern eher noch die zuverlässige Hoffnung ganz ausnahmsweiser Sicherheit enthielt, bedurfte es keines solchen Zeichens; sein Predigen war eine Musik, nach deren Tönen das Volk den Weg, den es zu gehen wünschte, ging; jetzt aber, da der Glauben eine unmittelbare Schädigung ihres Handels, das Wanken der Stellung ihrer Stadt unter den übrigen italiänischen Staaten und ein Interdiet gegen die Stadt bedeutete, entstand unvermeidlich die Frage: welches Wunder hast Du aufzuweisen? Erst langsam, dann immer rascher und rascher drang diese verhängnißvolle Frage zu Savonarola's Ohren; sie verlangte eine Antwort, äußerlich in der Erklärung, daß zur rechten Zeit das Wunder geschehen werde – innerlich in nicht ganz sicherem Glauben (denn welcher Glaube kann nicht wanken?), daß, wenn das Bedürfniß eines Wunders dringend würde, das Werk, welches er vorhatte, zu groß sei, als daß die göttliche Macht es unterbrechen würde. Sein Glauben wankte, aber nicht seine Rede; es ist das Loos jedes Menschen, der, um den großen Haufen zu befriedigen, sprechen muß, oft in Gemäßheit des Glaubens von gestern zu sprechen, und zwar in der Hoffnung, daß derselbe morgen wiederkehren werde.
Die hölzerne Kanzel war als Zurüstung für einen Auftritt, der wirklich eine Antwort auf die Ungeduld des Volkes nach irgend einer übernatürlichen Bürgschaft der Sendung des Propheten war, über der Kirchenthüre errichtet worden. Während aber die Klostergeistlichen in schwarzen Mänteln eintraten und sich zurecht machten, waren die Gesichter der Menge noch nicht sehr eifrig der Kanzel zugekehrt; man fühlte, daß Savonarola noch nicht gleich erscheinen würde, sondern hatte ein Interesse daran, die verschiedenen Mönche herauszufinden, denn einige derselben gehörten vornehmen florentinischen Familien an. Viele Andere hatten Väter, Brüder oder Vettern unter den Handwerkern und Krämern, aus welchen der größte Theil der Versammlung bestand. Erst als die Zahl der Mönche vollständig war und sie ihre Bücher durcheinandergewühlt und zu singen begonnen hatten, hieß es im Volke: Jetzt wird Fra Girolamo gleich kommen.
Diese Erwartung, nicht aber irgend ein Zauber der bekannten Klagen der Psalmodie, bewirkte, daß Schweigen und Harren sich, wie ein bleich machendes feierliches Licht über die Menge der emporgerichteten, alle gegen die leere Kanzel gewendeten Gesichter ergoß.
Im nächsten Augenblicke aber war die Kanzel nicht mehr leer. Eine vom Kopf bis zu den Füßen in eine schwarze Kapuze und Kutte gehüllte Gestalt war hinaufgetreten und kniete mit gesenktem Haupt und abgewendetem Gesicht. Dem lebhaften Volk schien die Zeit lang zu werden, während die schwarze Gestalt kniete und die Mönche beteten. Aber die Stille wurde nicht unterbrochen, denn die Zwiesprach des Mönchs mit dem Himmel war für diese gemischte Menge noch mit elektrischer Scheu gefüllt, so daß Diejenigen, welche bereits den Willen hegten, ihn zu steinigen, ihre Arme ermatten fühlten. Endlich kam eine Bewegung in die Menge, indem Jeder seinen Nachbar mit einer kurzen, zitterespengleichen Berührung anzustoßen schien, wie wenn Leute, die auf irgend etwas am Himmel sichtbar werden Sollendes gewartet haben, plötzlich das Erwartete schweigend erscheinen sehen. Der Mönch hatte sich erhoben, wendete sich gegen das Volk und schob seine Kapuze theilweise zurück. Die eintönige Klage der Psalmodie war verstummt, und den in der Nähe der Kanzel Stehenden war es, als ob die Klänge, die eben ihr Ohr erfüllt hatten, plötzlich in der Gewalt von Savonarola's blitzenden Augen untergesunken wären, als er schweigend umherblickte. Dann streckte er seine Hände aus, welche in ihrer außerordentlichen Zartheit aus einem animalischen, zum Greifen bestimmten Werkzeug in Empfindungsorgane verklärt schienen, welche zu fein waren, um irgend einer gröberen Berührung zu bedürfen – Hände, die wie eine flehende Sprache aus dem Theil seiner Seele kamen, der von seinen strengen leidenschaftlichen, jetzt mit tieferen Linien um Mund und Stirn, als vierundvierzig Jahre eines gewöhnlichen Lebens zu ziehen pflegen, befurchten Gesicht verdeckt wurde.
Gleich indem er die Hände ausstreckte, sanken Einige aus den ersten Reihen der Anwesenden auf die Knie, und da und dort folgte irgend ein weiter entfernt stehender, andächtiger Anhänger ihrem Beispiel, aber die größere Menge blieb stehen, Einige dem Antriebe widerstehend, vor diesem Excommunicirten zu knieen (denn konnte ihn nicht ein schreckliches Gericht selbst während des Segens ereilen?) – Andere von Verachtung und Haß gegen den ehrgeizigen Betrüger ergriffen, der dieses neue Schauspiel ersonnen hatte, vor dem sie aber nichts destoweniger sich unmächtig fühlten, wie vor dem Triumph irgend einer Mode.
Jetzt aber erhob sich die Stimme, zuerst klar und leise, die Worte der Absolution: » Misereatur vestri« aussprechend, und wieder fielen Mehre auf die Kniee; und als die Stimme immer lauter und klarer erscholl, wurden der aufgerichtet Stehenden immer weniger, bis sie bei den Worten: » Benedicat vos omnipotens Deus!« sich zu einem männlichen Aufschrei erhob, als ob sie ihre Macht zum Segnen, selbst unter den Klauen eines Dämons, der sie zu ersticken trachtete, beweisen wollte – sie erklang wie eine Posaune bis an die äußersten Enden der Piazza, und alle Häupter beugten sich vor ihr.
Nachdem Savonarola diesen Segen gesprochen hatte, kniete er selbst und verhüllte vor augenblicklicher Erschöpfung sein Antlitz. Dieses gewaltige Aufsprudeln von Aufregungen war ihm ein Lebensbedürfniß; er selbst hatte vor langer Zeit zum Volke gesagt: Ohne Predigen kann ich nicht leben! – aber es war ein Leben, das ihn zerstörte.
Einige Augenblicke später hatten Einige sich wieder erhoben, aber der größere Theil blieb in knieender Stellung, und die Gesichter Aller waren gespannt auf ihn gerichtet. Er hatte eine Krystallschale, in welcher die geweihte Hostie lag, in die Hände genommen und redete das Volk an:
»Ihr erinnert Euch, meine Kinder, daß ich Euch vor drei Tagen gebeten habe, wenn ich dieses Sakrament Angesichts Eurer Aller in meinen Händen halte, zum Allerhöchsten zu flehen, daß, wenn mein Werk nicht von Ihm kommt, Er Sein Feuer schicken und mich vernichten möge, damit ich aus seinem Lichte, das ich durch meine Falschheit verhüllt habe, in die ewige Dunkelheit versinke. Ich flehe Euch jetzt wieder an, dieses Gebet zu verrichten, und zwar jetzt gleich zur Stelle.«
Eine athemlose Stille herrschte; vielleicht betete Niemand ernstlich, wenn schon Einige im Geiste frommen Gehorsams einen Versuch dazu machten. Jeder fühlte vor allen Dingen, daß Savonarola betete – nicht mit lauter, aber in der weiten Stille deutlich vernehmbarer Stimme:
»Herr, wenn ich nicht mit aufrichtigem Geiste gearbeitet habe, wenn mein Wort nicht von Dir stammt, so schlage mich in diesem Augenblick mit Deinem Donner, und laß das Feuer Deines Zornes mich verzehren.«
Er hielt inne und stand regungslos da, das heilige Mysterium in der Hand haltend, die Augen zum Himmel erhoben, und mit einer zitternden Aufregung in seinem ganzen Wesen. Unter allen übrigen Anwesenden regte sich und sprach Niemand, während das Licht der Sonne, welches in der letzten Viertelstunde hier und da das Grau des Himmels durchbrochen hatte, jetzt nur von Zeit zu Zeit auf die Klostermauer Streifen warf, so daß mehre ängstliche Zuschauer furchtsam bebten. Bald aber theilte sich das trübe Grau immer mehr, und lieblich und schnell wie ein Lächeln ergoß sich ein Strom des Glanzes auf das Krystallgefäß, und verbreitete sich mit milder Verklärung über Savonarola's Antlitz.
Ein augenblicklicher Ruf tönte durch die ganze Piazza: »Da seht die Antwort!«
Der warme Glanz und der laute Ruf durchzuckten den Körper Savonarola's. Es war sein letzter Augenblick ungetrübten Triumphs, und in seiner verzückten Zuversicht fühlte er sich zu einem größeren, noch zukünftigen Augenblick erhoben, wo er vor einer Versammlung stände, welche die ganze Christenheit vorstellte, von der er wieder als der Bote erhabenster Gerechtigkeit erkannt und sich mit göttlicher Kraft erfüllt sehen würde. Es war nur ein Augenblick, welcher sich in dieser Ahnung ausbreitete. Während der Ruf noch in seinen Ohren tönte, kehrte er in die Kirche zurück, da er fühlte, daß er diese gewaltige Anspannung nicht länger ertragen könne.
Als der Frate aber verschwunden war, und das Sonnenlicht nichts Besonderes mehr in seiner Beleuchtung zu haben schien, sondern sich unparteiisch über alles Reine und Unreine ergoß, erhob sich zugleich mit der allgemeinen Bewegung ein Gewirre von Stimmen, in welchem gewisse starke Mißtöne und verschiedene Tonarten von Gelächter darthaten, daß bei dem vorhergehenden Schweigen und allgemeinen Niederknieen Feindseligkeit und Hohn nur widerwillig einem augenblicklichen Zauber nachgegeben hatten.
»Mir kommt es vor, als ob der Beifall der Kritik weicht,« sagte Tito, welcher diesen Auftritt mit großer Aufmerksamkeit von der oberen Loggia eines der Kirche gegenüberliegenden Hauses beobachtet hatte, »nichts destoweniger war es ein ergreifender Augenblick; wie, Messer Pietro? Fra Girolamo ist der Mann, Einem begreiflich zu machen, daß es eine Zeit gab, da die Mönchskutte noch mehr ein Symbol der Gewalt über die Gemüther der Männer, als über die Schlüssel zu den Speiseschränken der Weiber war.«
»Gewiß,« antwortete Pietro Cennini; »und bis ich einen Beweis gesehen habe, daß Fra Girolamo weit weniger Glauben an die Gerichte Gottes hat, als der gewöhnliche Schlag Menschen, statt beträchtlich mehr davon zu haben, werde ich nicht glauben, daß er dem Himmel auf solche Weise Trotz bieten würde, wenn seine Seele mit einer wissentlichen Lüge belastet wäre.«