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»Lieber Freund,« schrieb Nelson, »wenn Sie dies lesen, bin ich schon auf und davon. Unternehmen Sie nichts zu meiner Auffindung. Sie werden nur Unannehmlichkeiten haben und zu keinem Resultat kommen. Alles wäre anders gewesen, wenn nicht dieser besondere Umstand eingetroffen wäre, von dem ich Ihnen gestern erzählte. Hätte Lizzie mich nicht schon vor dem Duell verlassen, wäre es mir ein Vergnügen, hier in der schönsten Stadt der Welt einen Monat mit Ihnen zu verbringen. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist, und Nachforschungen darf ich nicht anstellen. Lieber Freund – erlauben Sie mir diese Anrede –, vielleicht sind Ihre Ansichten über mich nicht so falsch; aber ich bin doch auch ein Mensch, der menschlich fühlt. Sie wissen ja selbst, daß ich mich der Kugel meines Gegners aussetzte. Es geschah aus Verzweiflung über das Vorhergegangene. Warum hat sie mich verlassen? Fragen Sie mich nicht. Sie werden es nie erfahren. – Weil Sie in schwieriger Lage mir als Freund Beistand leisteten, gebe ich Ihnen noch eine Auskunft. Monsieur Zephyr ist nicht Mitglied des Jockeiklubs. Wie schon gesagt, beleidigen kann ihn niemand. Nun wissen Sie genug. Vermeiden Sie aber jegliches Duell mit ihm; im Schießen ist er nicht sicher. Dazu sitzen seine Finger zu lose. Es kommt vor, daß im entscheidenden Moment der eine schießt und der andere nicht.
Als Beweis meiner Freundschaft und Dankbarkeit bitte ich Sie, lieber Asbjörn Krag, beiliegendes kleines Schmuckstück anzunehmen. Sollte dieser Ring Sie sehr in Erstaunen setzen, dann diene zu Ihrer Beruhigung, daß ich bei meiner Ehre versichere, diesen Ring nicht gestohlen zu haben.
Ihr
Nelson.«
Nachdem Krag unter ständig zunehmender Verwunderung den Brief gelesen hatte, konstatierte er, daß er dank der Schnelligkeit seines Agenten schon feststellen konnte, woher der Ring stammte.
Es war gestohlenes Gut. Das hatte Nelson auch gewußt. Die letzten Worte seines Briefes deuteten darauf hin. Sicherlich hatte er ihn nicht selbst gestohlen. Wie war er aber in den Besitz des Ringes gelangt? Krag rechnete aus, daß er sehr wohl die letzte Nacht in Kristiania zur Ausführung des Diebstahls benutzt haben könnte. Gerade in der Nacht, wo niemand ihn in Verdacht hatte, ließ sich ein Einbruch am besten bewerkstelligen. Und das noch gerade eben vor seiner Abreise nach Frankreich, um Sir Cyrus Holmes' Forderung nachzukommen. Diese Möglichkeit lag ja immerhin vor. Dann wäre Nelson aber mit einer einzig dastehenden Dreistigkeit zu Werke gegangen. Unwillkürlich wurden Krags Gedanken auf Helfershelfer gelenkt. Die Szene auf der Rückfahrt vom Bois de Boulogne und Nelsons Niedergeschlagenheit nach dem Frühstück im Petit Riche kamen ihm wieder in den Sinn. Diese Ausbrüche kamen von Herzen. So konnte sich auch der beste Schauspieler nicht verstellen.
In dieser Sache war alles unwahrscheinlich. Hatte vielleicht Lizzie mit den Diebstählen zu tun? Wer war Lizzie überhaupt? Ja, wer war der Forschungsreisende Cyrus Holmes? War er wirklich der berühmte Entdecker? Dem Detektiv wurde ganz heiß. Das ganze, überaus sinnreiche Gebäude, das er konstruiert hatte, schien zu wanken; er sah schon die Umrisse eines ungeheuren Schwindels, deren Urheber Nelson und Lizzie und der Mann waren, der sich Cyrus Holmes nannte, aber unmöglich der bekannte Forscher sein konnte. Krag versuchte, diese Gedanken von sich zu weisen. Nein, nein, so hing die Sache nicht zusammen. Er begab sich schleunigst nach dem Hotel Continental, wo er sofort feststellte, daß Nelson morgens früh ohne Hinterlassung einer Adresse sich nach dem Süden begeben hatte.
»Reiste er allein?«
»Ja.« Neugier und angeborene Lust der Franzosen, Polizei zu agieren, veranlaßten den Portier, zu fragen:
»War etwas mit ihm los?«
Krag zeigte ihm seine Legitimation, worauf er erfuhr, daß die Dame, die Nelson begleitet hatte, ihn in der verflossenen Nacht verlassen habe, nachdem in ihren Zimmern ein lauter Wortwechsel, von Weinen unterbrochen, vorangegangen war. Die Dame hatte das Hotel ohne jegliches Gepäck, nur mit einem schwarzen Regenmantel bekleidet, verlassen.
Asbjörn Krag kam jetzt auf den Gedanken, sofort Cyrus Holmes aufzusuchen. Als er sein Hotel erreicht hatte, erfuhr er, daß auch dieser Herr abgereist sei. Ja, er erfuhr noch mehr. Am frühen Morgen des gestrigen Tages hatte sich im Hotel eine sehr peinliche Szene abgespielt.
Eine junge, scheinbar sehr erregte und nervöse Dame hatte um eine Unterredung mit Cyrus Holmes gebeten. Man hatte sie in das Zimmer des berühmten Forschers geführt, wo sie etwa zehn Minuten mit dem Herrn gesprochen hatte. Dann war sie aber noch aufgeregter und heftig weinend wieder herausgekommen. Sir Cyrus selbst führte sie. Anfänglich hatte es den Anschein, als ob er sie am Arme festhielt, um sie zu stützen; aber bald darauf merkte das erstaunte Hauspersonal, daß er sie an die Luft gesetzt hatte. In diesem Augenblick sah er entsetzlich aus. Bis vor die Haustür brachte er die Dame; dann ging er in sein Zimmer zurück, verlangte seine Rechnung und reiste einige Stunden später – wahrscheinlich nach England – ab.
Krag fragte den Portier, ob er von früheren Besuchen her Sir Cyrus kenne.
Der Portier lächelte. »Den berühmten Forscher kennt doch jeder Pariser.«
»Kannten Sie denn auch die schwarzgekleidete Dame?«
»Nein, gar nicht.«
Dieser dreitägige Aufenthalt in Paris hatte bewirkt, daß Asbjörn Krag vollständig darüber im Zweifel war, was er nun tun sollte.
Und doch war seine Laune nicht die schlechteste; denn mit Hilfe des Ringes und Holmsens Brief war es ihm gelungen, festzustellen, daß Nelson wirklich ein Dieb war oder doch wenigstens in Verbindung mit Dieben stand. Den Beweis hatte er ja in der Hand. Nur war es ihm nicht klar, welche Rolle die übrigen Personen eigentlich gespielt hatten. – Sollte er Nelsons Verfolgung wieder aufnehmen? Würde es ihm in dem dichten Eisenbahnnetz Südfrankreichs gelingen, ihn zu finden? Wäre es nicht besser, den Spuren der schwarzgekleideten Dame zu folgen? – Oder Monsieur Zephyr? – Oder gar Cyrus Holmes? – Krag hegte Zweifel, ob es ihm gelingen würde, dieser Sache auf den Grund zu kommen. Es sollte ihm gelingen.