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XLV.

Krags Mitteilung machte auf Lizzie nicht den von ihm erwarteten Eindruck.

»Hält er sich wirklich wieder in Europa auf?« sagte sie nur. »Ich glaubte, er wäre noch in Amerika. Als wir uns zuletzt sahen, wollte er nach San Franzisko.«

Asbjörn Krag machte große Augen.

»Haben Sie denn nach den aufregenden Erlebnissen noch mit ihm gesprochen?« fragte er erstaunt.

»Das ließ sich nicht vermeiden,« antwortete sie mit müder Stimme. »Wir trafen uns immer wieder zufällig bei den großen Rennen und in den Spielsälen Europas. Er tat jedoch immer sehr geheimnisvoll und kühl mir gegenüber, als fürchtete er, mir Schwierigkeiten zu bereiten. Zuweilen wurde er verfolgt, aber merkwürdigerweise kann ihm niemand etwas anhaben. Wo sitzt er?«

»Ich sehe ihn jetzt nicht,« entgegnete Krag. »Vorhin schlenkerte er durchs Lokal. Er schien jemand zu suchen.«

»Dann ist er wahrscheinlich im Spielsaal.«

»Interessiert ihn denn das Spiel so sehr?«

»Absolut nicht; es hat gar keinen Reiz für ihn.«

Die Zeit war mittlerweile vorgeschritten und der Lärm im Lokal hatte sich gesteigert. Dieser festliche Lärm, der von den vielen Stimmen herrührte, dies Durcheinander fröhlichen Lachens, heiterer Musik und dem lauten Hin und Her der Menschen. Sogar Lizzie schien sich für einen Moment ganz der herrschenden Stimmung hinzugeben; dieser Lebenslust, die den gewaltigen Raum erfüllte. Oder sollte es nur die Nähe ihres Sohnes sein, die ihre Augen glänzen ließen. Sie erbat sich mehr Champagner und genoß ziemlich viel davon. »Die Aermste,« dachte Krag, »sie ist fieberhaft aufgeregt.« Mehrere Male fragte sie nach Herbert. »Sehen Sie ihn jetzt? War das sein Lachen?« In der Weise fragte sie unausgesetzt.

»Er spricht immer nur mit dem ›Engel‹. Nun trinkt er ihr zu. Nun begibt er sich mit dem ›Engel‹ in den Tanzsaal. Nun kommt er zurück. Er ist vom Tanzen erhitzt. Er liegt ganz in den Fesseln der Roten.« So mußte Krag andauernd berichten.

Ihre Erregung stieg; ein paarmal sagte sie: »Ich kenne sie. Sie ist kein Engel; eher ein Teufel. Was macht der Baron?«

»Er schürt das Feuer,« gab Krag zur Antwort. »Er selbst trinkt fast nichts, doch Herberts Glas läßt er nicht leer werden.«

Für kurze Zeit wurde sie schweigsam, dann flüsterte sie: »Sicher ist das ein Komplott.«

Bald darauf fügte sie hinzu: »Ich muß ihn sehen.«

»Wenn Sie aufstehen und sich hinter dem Pfeiler verstecken, werden Sie ihn sehen können.«

Sie tat, wie Krag ihr geraten hatte.

Mit der einen Hand hielt sie sich an dem Pfeiler fest und blickte nach dem Tische ihres Sohnes hinüber.

Dort hatte die Ausgelassenheit ihren Höhepunkt erreicht. Herbert trank gerade aus dem Glase des »Engels« und schmückte dann ihr Haupt mit Blumen.

Krag sah nur Lizzies zuckende Hand. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen; doch schien es ihm, daß diese Hand, die sich so fest an den Marmor preßte, den heftigen Zwiespalt ihres Innern deutlich zum Ausdruck brachte. Ihre Schultern hoben und senkten sich in tiefen Atemzügen.

Krag rief sie wieder zurück.

»Lassen Sie mich trinken; viel, viel Wein trinken!« sagte sie und ergriff mit zitternden Händen das Glas. Sie war sehr bleich und ihre Augen glänzten. Man sah es ihr an, sie kämpfte mit den Tränen.

Nach einer Weile sagte Krag: »Jetzt gehen sie fort.«

»Alle?«

»Ja, Herbert mit dem ›Engel‹ am Arm an der Spitze. Er singt und wirft mit Gold um sich.«

»Werden sie von den Menschen beobachtet?«

»Nein, niemand kümmert sich um sie. Alle sind vergnügt und lustig. Hören Sie den ohrenbetäubenden Lärm?«

»Sind sie fort?« fragte sie.

»Ja, jetzt sind sie fort.«

Krag versuchte, um sie zu beruhigen, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Sie kam ihm aber plötzlich so geistesabwesend vor.

»Sie haben recht,« sagte sie nach einiger Zeit, »hier ist ein ohrenbetäubender Lärm. Es greift mich hier zu sehr an. Lassen Sie uns gehen.«

Es war schon recht spät geworden. Lizzie und Krag gerieten mitten in eine aufbrechende Gesellschaft hinein. In der großen Halle herrschte entsetzliches Gedränge. Nur sehr langsam kam man vorwärts; in diesem Lärm verstand man kaum sein eigenes Wort. Von einem der Säle her ertönte Tanzmusik. Blumenduft und Parfüm schwängerte die Luft.

Erst unter den großen Bäumen vor dem Kasino, in denen der Nachtwind spielte, ließ sich wieder tief Atem schöpfen. Auch hier wimmelte es von Menschen, hier gingen sie zu Paaren, in Haufen, einzeln, hier fuhren sie in Wagen und Autos. Als sie den Ausgang passierten, fühlte Krag deutlich, daß jemand ihn anstarrte. Er sah sich forschend in der Menge um, und es schien ihm, er hätte Nelsons Gesicht gesehen. Genau wußte er es aber nicht. Ihn im Gedränge wiederzufinden, war unmöglich.

Krag brachte Lizzie ins Hotel. Er hätte gern noch einiges über Herbert gehört, doch schien es ihm, daß Lizzie darüber nicht sprechen mochte.

»Glauben Sie nun nicht auch, daß er in Gefahr ist?« fragte Krag sie.

»Ja,« war ihre kurze Antwort.

»Ich finde, Sie müssen schnell handeln.«

»Das finde ich auch. Aber nur nicht heute abend. Lassen Sie mich jetzt allein. Ich kann nicht mehr.«

»Wann sind Sie morgen für mich zu sprechen?«

»Um zwölf Uhr.«

»Nicht vor zwölf?«

»Nun, dann um elf Uhr. Kommen Sie hierher ins Hotel.«

Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und eilte die teppichbelegten Treppen hinauf.

Krag hatte das sichere Gefühl, daß Frau Lizzie irgendeinen Entschluß gefaßt habe, und er fürchtete, sie könnte einen übereilten Schritt tun. Augenscheinlich war es ihr eben ganz gleichgültig gewesen, zu welcher Zeit er sich bei ihr einstellte. Würde sie auf eigene Faust etwas unternehmen? Wie mochte ihr Plan sein? Sie kannte ja den »Engel«. Aber wie mochte das Verhältnis zwischen ihnen sein. Krag sah deutlich, daß hier eine Mutter für ihren Sohn kämpfte, und er wußte, daß Lizzie zu allem fähig war. Ihr fehlte aber das seelische Gleichgewicht, um klug vorzugehen.

Krag war in einer Weise von diesem Abend gar nicht befriedigt. In recht schlechter Laune begab er sich wieder zurück, um noch für ein paar Stunden im Menschengewirr unterzutauchen. Er hoffte im stillen, Herbert irgendwo zu finden; aber nirgends sah er den jungen Mann. Dagegen traf er Baron Sixten mit seinem Freund am Spieltisch. Die beiden schienen ganz im Spiel aufzugehen, was Krag sehr beruhigte. Auch Nelson kam ihm nicht zu Gesicht.

Endlich begab sich Asbjörn Krag zur Ruhe.

Er mochte wohl etwa drei Stunden geschlafen haben, als ein heftiges Klopfen ihn weckte.

Er sprang auf und fragte, was los wäre.

Eine Stimme – es war die des Hoteldieners – antwortete:

»Ein wichtiger Bescheid!«

»Ein Brief?« fragte Krag.

»Ja,« entgegnete der Diener.

Krag zog sich an. Er sah nach der Uhr, die Zeiger wiesen auf fünfeinhalb Uhr. Graue Dämmerung stahl sich durch die Gardinen von draußen herein und erfüllte das Zimmer mit gespensterhaftem Zwielicht.

Krag öffnete und der Hoteldiener überreichte dem Detektiv einen Brief.

Lizzie hatte ihn geschrieben. Er überflog die Zeilen.

»Ein Unglück ist geschehen. Ich warte im Vestibül,« las er.

»Sagen Sie, daß ich sofort kommen werde,« rief er dem Diener zu.

Nach wenigen Minuten stand Krag im Vestibül. In der Portierloge brannte ein einsames Licht. Einige Männer waren damit beschäftigt, die Steinfliesen des Fußbodens zu besprengen.

Eine schwarzvermummte Gestalt ging ihm entgegen. Lizzie.

»Um Gottes willen, wo kommen Sie her?« rief Krag aus.

»Vom Telegraphenamt,« antwortete sie.

Möglicherweise war es nur das trübe Licht, das Lizzie alt und müde erscheinen ließ; Krag erschrak über ihr verändertes Aussehen.

»Nehmen Sie Ihren Ueberzieher mit,« sagte sie traurig. »Es regnet.«


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