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Gudula.

Habt Ihr jemals Eure Andacht
In dem stillen Wald gehalten,
Wo auf mächtig grünbemoosten,
Weitverzweigten Buchensäulen
Eine Kuppel rund sich wölbet,
Köstlicher und wunderbarer,
Als sie Menschenhand je baute?
Tausend, tausend Zweiglein sind es,
Draus ein Baldachin gewebet,
Hunderttausend grüne Blätter,
Drauf in zauberfeinen Linien
Hohe Hymnen stehn geschrieben,
Hymnen zu der Ehre Gottes.
Und in diesem Waldesdome
Wohnen tausend fromme Zungen,
In dem Laube weht ein Odem,
Singt es wie mit Engelsstimmen,
Wenn der Wind auf großer Harfe
Ihr Geflüster hold begleitet.
Leute auch, viel groß und kleine,
Gehen in die Waldesmesse,
Fürnehmlich die lieben Sänger,
Vöglein mit der Silberkehle,
Und das Eichhorn auf dem Stamme
Sitzt und legt wie zum Gebete
Seine Pfötlein fromm zusammen.
Häslein auch schlüpft scheu durchs Buschwerk
Zu dem freien Buchwalddome,
Und es lauscht – und fleht – und bittet –
Setzt sich aufrecht – hebt die Pfötlein –
Blickt mit klarem Aug' zum Himmel.
Neben ihm auf weichem Moose
Schreiten leis die schlanken Rehe,
Thuen andachtsvoll sich nieder,
Horchen auf Gesang und Predigt.
Doch das schlaue, stolze Füchslein
Gleicht gar manchem Menschenkinde,
Heuchlerisch sitzt's in dem hohen
Kirchenstuhl, dem hohlen Baumstamm,
Blinzelt listig nach den Betern
Und bedenkt sich, wen am ersten
Nun von all den lieben Freunden
Es am Kragen packen werde,
Um das Fell über die Ohren
Ihm zu zieh'n, – das heißt … versteht sich –
Wenn der Gottesdienst vorüber! –
Heute auch war Mess' und Hochamt
In dem Buchwald, der am Fuße
Von dem Wartburgsberg sich hinzieht,
Und der Chor der lieben Sänger
War um eine Zunge reicher
Noch denn sonst: Im weichen Moose,
Unter schwankendem Gezweige,
Das ein blühend Faulbaumstämmlein
Wie ein weißer Flockenregen
Durch das lichte Buchgrün webte,
Lag ein Dirnchen, hielt die Arme
Träumend unterm Kopf verschränket,
Daß die braune, schwere Flechte,
Glänzend wie das Harz der Tanne,
Schlangengleich sich drüber ringelt.
Trug ein dunkelzwilchnes Röcklein,
Glatt und schlicht; und schmucklos Mieder
Spannt sich um die runde Hüfte,
Hält das weiße Hemd zusammen,
Das sich faltig um den Hals schmiegt,
Und das an dem Miederausschnitt
Wird vom Strauße überhangen,
Dessen schaukelnd blaue Glocken
Zahllos in dem Moose blühen.
Dirnleins braune Augensterne
Blicken sinnend in die Wipfel,
Und ein Lied erklinget leise
Summend von den frischen Lippen,
Und der Wind fängt's auf und trägt es
Zu dem Thal, wo hart am Wege
Rosenknösplein an dem Zweig nickt,
Will's ihm singen und es küssen,
Daß es seinen Kelch ihm öffne.
Also sang das holde Mägdlein:

»Wenn der Morgen früht
Und die Primel blüht,
Lenzesfreud'!
Wenn die Quelle sprüht
Und die Rose glüht,
Sommerzeit!
Wenn die Blätter weh'n
Und im Staub vergeh'n,
Wintersruh'!
Daß Dich Gott behüt!
Wann trägst Knosp' und Blüth' –
Minne Du?! …«

Gudula, das Kind der Waldfrau,
Lauschte jetzt mit klugem Auge
Rings umher, ob irgend Antwort
Auf ihr fragend Lied erschalle,
Und sie nickt verständnißinnig
Zu den sonnenlichten Wipfeln.
Darin klang und sang es leise,
Just als ob ein Beifallsflüstern
Durch das Blattwerk lief, und zärtlich
Rieseln weiße Blüthenflocken
Auf das Haupt des Dirnleins nieder.
Gudula fuhr fort zu singen:

»Ich weiß es wohl, ich weiß es wohl,
Was Minne will besagen,
Ich hörte in dem Holderstrauch
Die Nachtigall es klagen,
Ich las es in der Rose Kelch,
Der purpurn sich erschlossen,
Als er bei Mondes Silberschein
Den süßen Duft ergossen!
Ich fühlte es im stillen Wald
Auf leisen Schwingen wehen,
So zauberhold durch Blüthenthau
Muß Göttin Minne gehen!
Ich weiß es wohl, was Minne ist,
Und nahm sie mir zu eigen,
Wem aber, wem – ach kommt und helft!
Wem soll ich sie erzeigen?«

Wieder zog's durchs Laub wie zartes
Rauschen, und die hohen Buchen
Steckten ihre Köpf' zusammen,
Und sie rauschten: »seltsam, seltsam,
Wer versteht wohl Mädchenherzen?«
Und die Sonnenstrahlen huschten
Goldigglänzend durch die Stämme,
Schmeichelten beim Glockenblümchen
Und dem schlanken Farrenkraute
Um den köstlich klaren Frühtrunk,
Den der Thau in ihren Kelchen
Demantglitzernd ausgegossen.
Kuckuck lachte aus dem Thalgrund,
Und der Meister Specht, der biedre,
War schon fleißig bei der Arbeit,
Klopfte, daß die Spähne flogen
Mahnend in den Schooß des Dirnleins.
Gudula erhob sich langsam,
Griff zur Seite nach dem Körbchen,
Drin in duftend hohen Packen
Heilsam Waldkraut eingesammelt,
Und schritt sinnend, suchend weiter,
Dachte d'ran, daß sie versprochen,
Nach den ausgestellten Netzen
Und den Sprenkeln auf der Wiese
Und nach gutem Fang zu schauen.
In Gedanken war sie langsam
In dem Walde hingeschritten,
Bis er endlich, lichter werdend,
An dem Wiesenhange grenzte.
Wogend Grün schwamm vor den Blicken,
Wunderlieblich übersäet
Von viel tausend Blumenkelchen,
Blau und roth am Stengel nickend,
Goldiggelb die Köpflein hebend
Und in sammetweichen Flocken
Weiß wie Schnee im Winde wehend,
D'rüber hin fiel schräg die Sonne,
Und sie weckte ros'gen Schimmer
Auf dem üpp'gen Sauerampfer,
Daß es schien, als walle Nebel
Purpurn dampfend auf der Wiese.
Ach, welch' zauberhaftes Blitzen,
Wenn die hellen Strahlengarben
In dem Thau am Blattwerk spielen,
Wenn der Wind den Rothdorn schüttelt,
Daß er plötzlich, Funken sprühend,
Steht in diamant'nem Regen!
Gudula stand lange sinnend,
Blickte mit verklärtem Auge
In die Pracht, und durch die Seele
Zog es leis wie eine Ahnung
Vom verlornen Paradiese,
Plötzlich zuckt sie auf, es schärft sich
Jäh ihr Blick, und schnell sich bückend
Hinter junge Fichtenstämme,
Lugt sie sorglich durch die Zweige,
Recht voll mädchenhafter Neugier.
Langsam wandelt durch die Wiese
Ein Kartäusermönch. – Das lange,
Priesterliche Kleid umweht ihn
Weit und düster, daß es aussieht,
Als sei jener Mann ein Wölklein,
Welches einsam durch den Glanz zieht.
Tief geneigt hält er das Antlitz,
Emsig in dem Buche lesend,
Dessen gelblich Pergamentblatt
Weithin in der Sonne leuchtet.
Dann bleibt wiederum er stehen,
Blickt gedankenvoll zum Himmel,
Kritzelt etwas in das Büchlein
Und geht querfeldein d'rauf weiter.
Gudula steht und belauscht ihn,
Heller Schalk blitzt aus dem Auge,
Und in beide Wangen senken
Sich die übermüth'gen Grübchen.
»Mönchlein,« denkt sie, »arger Träumer,
Siehst Du nicht die Netze liegen?
Flatterst Du als seltne Beute
Heut Freund Reimar in die Schlinge?«
Und sie kichert, reckt das Köpfchen
Schadenfroh durch das Gezweige.
»Richtig! richtig! … hei er stolpert! …
Hu wie knäult sich's um die Füße,
Rathlos steht der fromme Bruder,
Hebt entsetzt die Beine, – watet
Just, als ob im Schlamm er stecke,
Ach und jetzt … hilf Gott, wie drollig!
Hupft er zornig, schlägt die Arme,
Diese langen, schwarzen Arme
Fuchtelnd durch die Luft, gerade
Wie ein Puthahn, den die bösen
Buben an der Sonnenwende
Auf ein heißes Blech gesetzet!«
Gudula stützt beide Arme
In die Seiten, und sie lachet,
Daß die hellen Thränen leuchten
In den klaren Schelmenaugen;
Doch dann sieget schnell das Mitleid.
»Nur gemach! gemach! ich komme!«
Ruft sie laut, und wie ein Rehlein,
Schlank und mit behenden Schritten,
Eilt sie schnell durch Klee und Ginster
Zu dem netzgefangnen Mönche.
Hochgeröthet sind die Wangen,
Und sie steht und zeigt die Zähne
Lachend zwischen frischen Lippen:
»Ei, ehrwürd'ger Herr! wer hätte
Solchen Fang sich träumen lassen,
Wahrlich, niemals hat im Netze
Solch' ein Dompfäfflein gezappelt,
Und ich glaub', der alte Reimar
Hat in seinem ganzen Leben
Solchen noch nicht abgerichtet!«
In des Mönches bleiches Antlitz
Ist gar dunkle Gluth gestiegen,
Er will Dank ihr sagen – reden,
Und er senkt verwirrt die Blicke,
Stottert kauderwelsche Dinge.
»Nur Geduld! zerreißt dem alten
Vogelsteller nicht die Maschen,
Sonst kann ich den nächsten Sonntag
Wieder in den Rauchfang schreiben
Und den Schaden auskuriren,
Statt zum Ringelreih'n zu springen!«
Und sie kniete zu ihm nieder,
Löste sorglich seine Fesseln;
Ach, mit wie viel bösen Fädlein
War der fromme Herr umstricket!
»Seht doch, Herr, wie ins Verhängniß
Ahnungslos Ihr seid getaumelt,
Lockten Euch vielleicht die rothen
Vogelbeeren, die dort winken,
Oder wart Ihr in Gedanken
So entrückt dem Erdentreiben,
Daß Ihr zwischen Klee und Blüthen
Keine Hinterlist vermuthet?«
Auf das tief geneigte Köpfchen,
Goldbraun in der Sonne schimmernd,
Blickte fassungslos der Bruder,
Auf den weißen Mädchennacken,
Der wie Märzenschnee und Lilie
Ihm zu Füßen schlank sich wieget,
Und er spricht mit bangem Zögern:
»Habe Dank für Deine Mühe,
Die mich säumigen Gesellen
Unverdienter Weis' befreiet.
Hoffentlich wird diese Lehre
Mich die Augen öffnen lassen,
Wenn ich künftig hier lustwandle.
Sprich, bist Du des Vogelstellers
Mägdlein oder Enkeltochter?
Reimar nanntest Du den Alten.«
»Nein, Herr, nichts von beiden bin ich,«
Lacht das Dirnlein auf den Knieen,
Löst und zerrt noch an dem Netze,
»Reimar ist mein Freund und Lehrer
In dem Harfenspiel, wir sehen
Oft uns hier am Vogelheerde,
Denn mein Mütterlein, Frau Dorta,
Ist des Frauenstifts Sanct Annen
Kräuterfrau, und ich bin täglich
Hier im stillen Wald zu finden,
Um die edlen Wunderpflanzen
Für das Hospital zu sammeln.
So … nun hebt den Fuß … behutsam …
Schreitet rückwärts! … sachte, – sachte! …
Nehmt mir ja das ganze Garn mit! …
Ei, Glück auf! … nun fliege Vogel!« –
Und mit klaren Kinderaugen
Blickt sie lustig auf zum Mönche,
Der befreit, mit heißen Wangen,
Nochmals Dankesworte stammelt.
Jetzt zum ersten Male sieht sie
Ihres Schützlings volles Antlitz,
Sieht die bleichen, edlen Züge,
Große, leuchtend blaue Augen,
Deren Blick so ernst und sinnend
Und von Wimpern tief verschleiert,
Daß es scheint, als sei er träumend,
Wie nach Innen zu gerichtet;
Blonde, schwere Lockenringel
Fallen tief auf Stirn und Schläfen.
Seltsam, warum blickt die Kleine
Plötzlich so verwirrt und schweigend?
Warum stocket ihr die Rede,
Warum wendet sie das Antlitz,
Springt verlegen auf vom Rasen?
Wie ihr Blick zur Seite weichet,
Sieht sie eins der Pergamente
Von dem Wind ins Gras gewirbelt,
Und sie faßt es schnell und will es
Seinem Herrn zurück erstatten,
O, da sieht sie auf dem Blatte
Wundervolle Malereien,
Hohe, spitzgewölbte Fenster,
Steingehauene Figuren,
D'raus die schlanken Säulen ragen,
Und ein Kuppeldach, ein köstlich
Hochgewölbtes, d'ran die Englein
Schweben wie in Gottes Himmel.
Athemlos starrt d'rauf das Mägdlein,
Und ein leises: »Oh«! der Wonne,
Des süß staunenden Entzückens
Klingt von ihren rothen Lippen.
Wie gebannt steht der Kartäuser,
Starrt sie an gleich wie im Traume,
Und bis tief ins Herz getroffen
Von dem ersten, stummen Lobe,
Hebt tief athmend seine Brust sich,
Und er fragt voll Hast: »Gefällt's Dir?«
Wieder trifft ihr Blick den seinen,
Und ums Blatt die Hände faltend,
Fragt sie schlicht: »O, frommer Bruder,
Kündet mir, wo solch' ein Haus steht,
Wo ich solche Pracht mag schauen,
Drin die Engel Gottes schweben?
Wär' es auch im fernen, fernen
Heil'gen Land beim Grab des Herren,
Ach, ich wollte sonder Ruhe
Tag und Nacht voll Sehnsucht wandern,
Bis ich's schaute, – – und dann sterben!«
Auf der bleichen Stirn des Mönches
Brennt es jetzt wie dunkler Purpur,
Ueberirdisch Strahlen flammet
Aus den Augen, und es zittern
Wie im Fieber ihm die Lippen.
»Dirnlein!« ruft er, »mög' der Himmel
Dich für diese Worte segnen,
Mög' er's tausendfach vergelten,
Wie Du mich so hoch entzückest!
Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet
Mit armseligem Verstande,
Ach, so wie mein Geist mir's malet,
Kann kein Griffel es beschreiben,
Kann kein Menschenwitz es fassen,
Keine Kunst es je vollenden!
Ich jedoch, ich seh's im Traume
Wunderherrlich sich gestalten,
Sehe es mit wachem Auge,
Wo ich wandle, wo ich gehe,
Wie ein Blendwerk sich erheben
Aus dem Dunst der matten Sinne!
Wenn der Sonne Abschiedsglühen
Noch die Wolkenwand vergoldet,
Die am Himmel hochgethürmet
Ernst und majestätisch raget,
Ja, dann seh' ich's plötzlich zaub'risch,
Wie die Massen hold zerfließen,
Wie ein wundervoller Bau sich
D'raus erhebt, mit gold'nen Thürmen,
Schlank und zierlich, kreuzgekrönet,
Hallen wölben sich zum Langhaus,
Und zwei Reihen Marmelsäulen
Stützen seine breitgebogte,
Lichtdurchstrahlte Münsterdecke,
Und ich stehe, und ich starre
Süß geblendet in die Helle,
Hebe flehend meine Hände
Zu dem gnadenreichen Trugbild:
»Ach, verweil' Du stolzer Münster,
Daß ich mir Dein Bildniß präge
In die durst'ge, durst'ge Seele!« –
Gudula sah auf den Jüngling,
Dessen glückverklärte Züge
Wie in heil'gem Feuer brannten,
Wie aus diesem bleichen Träumer
Plötzlich ein Prophet geworden,
Der mit stolzer, todesmuth'ger
Hand ein Banner schwang, zur Ehre
Seiner Kunst und seines Glaubens,
Und es zog durch ihre Seele
Wie ein ahnungsvolles Schauern:
Jenes Blendwerk seiner Träume
Wird er einst mit eig'nen Händen
Sich zum ew'gen Denkmal bauen.
Leise nickten alle Blumen,
Und der Wind fuhr durch die Gräser,
Daß sie zitternd sich ihm neigten,
Doch der Mönch sprach langsam weiter,
Ruhiger, mit heller Stimme,
Noch durchbebt von all' dem Glücke,
Daß er endlich eine Seele
Fand, die ihn versteh'n will: »soll ich
Dir noch mehr der Bilder zeigen?
Hab' hier noch ein ganzes Büchlein,
Drin die einzelnen Partieen
Und Abtheilungen des Münsters,
Wie ich gerne einen baute,
Aufgezeichnet sind mit Schreibsaft.«
»O, wie gern, ehrwürd'ger Bruder!
Laß mich Alles, Alles schauen,
Ach, und glaub' mir, daß ich all' mein
Spärlich Theilchen Witz und Klugheit
Sammeln will, die volle Schönheit
Deines Kunstwerks zu begreifen.
Sieh', dort liegt ein Stamm im Grase,
Breit und moosig, hab' schon oftmals
D'rauf die Mittagsrast gehalten!« –
Und mit kindlich frohem Eifer
Faßte sie die Hand des Mönches,
Zog ihn fort durch Gras und Blüthen
Und blieb plötzlich steh'n und sagte
Mit treuherzig holdem Lächeln,
Während ihn ein schalkhaft Blinzeln
Aus dem Auge traf: »Bevor ich
Hier aus diesen Pergamenten
Dich und Deine allertiefsten,
Innersten Gedanken lese,
Sage mir, mit welchem Namen
Ich den lieben Künstler nenne,
Ihn den Heiligen empfehle?«
Herzlich drückt er ihre Rechte,
Setzt sich ihr zur Seite nieder
Und spricht fröhlich: »Als die Mutter
Mich zur Taufe trug, da ward mir
Als ein weltlich guter Namen
Otto Gerhard beigegeben,
Und ich hörte oft die traute,
Weiche Frauenstimme rufen:
›Otto! Otto! … herzig Söhnlein!‹
Und es wuchsen diese Klänge
Mir durch Herz und Leib und Seele,
Daß ich nie wohl Lieb'res kannte.
Als die Eltern heimgegangen,
Niemand mehr war, der mich liebte,
Und als ich dies ernste Kleid hier
Zu des Lebens Endziel kürte, –
Du mußt wissen, daß Novize
Ich bei den Kartäuser Mönchen
Auf drei Probejahr geworden, –
Da ertrug ich's nicht, daß mürrisch
Fremde und gleichgült'ge Zungen
Mir den lieben Namen nannten,
Und ich ward: Gerhardus Rochus,
Aber meinen Vaternamen –
Bin gebürtig von dem Rheine
Aus dem kleinen Dörflein Rile, –
Legte ich damit zu Grabe.«
»Bist Du glücklich in dem Kloster?«
»Glücklich?!« – – o wie klang es seltsam
Von des jungen Träumers Lippen,
Eine ganze Welt voll Jammer,
Sehnsucht und Ergebung bebte
Durch dies eine, kurze Wörtlein.
Dann senkt' er das Haupt und schüttelt's
Ernst und spricht voll tiefer Wehmuth:
»Keiner, Keiner, ach, versteht mich,
Als Phantast bin ich verspottet,
Und die Blätter hier, die schaute
Außer Dir kein Menschenauge!«
»Armer Mann!« – sprach leis die Dirne,
Und sie fühlt ein schneidend Wehe
Durch die Seele zieh'n, »O zeig' mir,
Zeig' mir diese Blätter, Bruder!« –
Hastig thut er's, breitet selig
Sie auf seiner Freundin Kniee,
Und mit glückberedter Zunge
Giebt er eifrig die Erklärung,
Hier ein Säulenknauf, – das Querschiff,
Kreuz- und Langhaus, – dort vom Thurme
Flücht'ger Umriß, – hier ein Bogen,
Die Façade und ihr Bildwerk,
Auch ein Giebel, und zum Schlusse
Noch der Thurmhelm. – Tief geneigt
Das schlanke Köpfchen, und die Hände
Wie in Andacht ernst gefaltet,
Saß das Waldkind, schaute mit den
Großen Augen wie im Traume
Auf die Bilder. »Ja Du hast es
Aus den Wolken abgelesen,
Gerhard Rochus, solch' ein Münster
Kann nur Gottes Hand erbauen,
Ach, wie wolltest Du die Englein
An den Bogen schweben lassen,
Und wer fände einen Steinmetz',
Der ein solches Kirchthor meißelt?«
Um des Mönches Lippen spielte
Ein gar zuversichtlich Lächeln,
Und mit einem Blick, der trunken
Ueber seine Bilder schweifte,
Sprach er kühn: »Dürft' ich's versuchen,
Hätt' ich Mittel zu beginnen,
O, ich weiß, die lieben Heil'gen
Ließen es gewiß gelingen.«
Weiter plauderten die Beiden,
Und die lang entbehrte Wonne
Dieses treuen Seelenaustauschs
Glich dem Sonnenschein im Lenze;
Unter seinem warmen Athem
Schmolz des Mönches stille Scheue,
Und es quoll, vom Eis des Trübsinns
Und der Einsamkeit entlastet,
Nun in hohen, ungestümen
Grundaufquellend sel'gen Wogen
Seine Seele durch die Worte,
Hell klang sie wie Maienjubel,
Diese Sprache des Vertrauens,
Klang wie eine treue Botschaft
Fernen, lang ersehnten Glückes,
Die verheißt: »Harr' aus und hoffe,
Deinem Herrn sollst Du ein Haus bau'n!« –
Endlich schied Gerhardus Rochus,
Doch er sprach: »Ich komme wieder
Hier an diese selbe Stelle,
Und ich zeige den Entwurf Dir,
Der mich Tag und Nacht verfolget.
Alles hab' ich aufgezeichnet,
Fehlt mir nichts mehr, nur die Chöre,
Diese beiden köstlich schönen
Rundungen kann ich nicht finden.«
»Zeig' sie mir, ich harre Deiner,«
Lächelt Gudula zur Antwort,
Hand in Hand führt sie ihn schweigend
Auf den rechten Weg zum Thale.
»Gott behüt' Dich, Gerhard Rochus,
Brauchst Du jemals Freundes Zuspruch,
Denk' an Gudula im Walde!
Mach's nicht wie die andern Vöglein,
Die aus Reimars Netz ich löste,
Flatt're hoch, hoch auf zum Ruhme,
Aber bleib' nicht in den Wolken,
Kehr' zurück, Gerhardus Rochus.«


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