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Am Rhein.

Deurenburg, Du köstlich Schlößlein,
Stolze Zinnenbraut vom Rheine,
Prangst an seiner Hügelkette
Gleich dem bunten Edelsteine!
Aus dem schilf'gen Uferkranze,
Aus der Fluthen grünem Schooße,
Hebst Du schlank Dein lieblich Antlitz,
Wie am Felsenhang die Rose.
Zauberwasser, die smaragdnen,
Spülen schmeichelnd Deine Füße,
Singen rauschend ihre Lieder,
Dir zu huldigen, o Süße;
Heben rollend ihre Häupter
Schaumgekrönt, im heißen Drange,
Daß mit sehnsuchtsvollem Arm Dich
Glitzernd ihre Fluth umfange!
Und sie sprühen silberfunken,
Wellen seufzen, tausend Wellen,
Und sie stürzen sich zum Felsen,
Ihre Stirn dran zu zerschellen.
Deurenburg, Du Unbarmherz'ge,
Fühllos thronst Du an dem Strande,
Schlingst um Deine trotz'gen Thürme
Epheugrüne Festgewande,
Blickst mit ewig gleichem Lächeln
Strahlend in dem Sonnenscheine,
Wundervolle, hochgebaute
Zinnenbraut am deutschen Rheine! –
Hornruf hallt und Abendläuten
Zu dem breiten Strome nieder,
Und die Mägde in dem Burgfried
Summen Feierabendlieder.
In dem trauten Wohngemache,
Dessen runde Fensterbogen
Wie drei starre Augen blicken
Nieder in die breiten Wogen,
Wo im hohen Rittersessel,
Stumm das Haupt zurückgeleget,
Franz von Deurenburg, der Alte,
Einsam sonst der Ruhe pfleget,
Da glüht heute rother Lichtschein,
Schatten hin und wieder schwirren,
Und auf schwerer Eichentafel
Hört man Silberkannen klirren.
In dem Sessel sitzt der Ritter,
Doch wie sonst nicht düster schweigend,
Nein, in mark'gem Beifallslachen
Oftmals Haupt und Rücken neigend,
Und ihm gegenüber, fleißig
Beim Gespräch und bei dem Weine,
Lustig, aufgeregt hantirend,
Robert von dem Frankensteine.
»So, nun wißt Ihr Alles, Ritter,
Kündet' Euch mit jedem Satze
Eine seltsame Historie
Von der Maus und ihrer Katze,«
Schließt er endlich seine Rede,
»Und ich hoff', es soll nicht fehlen
Am Erfolg, darf ich hinfüro
Nur auf Euern Beistand zählen!«
Und mit ehrlich treuem Drucke
Reicht er ihm die Hand entgegen.
»Ja, das darfst Du!« ruft der Alte,
»Darfst's bei Gott auf allen Wegen,
Du, der Sohn des lieben Freundes,
Meines wack'ren Kampfgenossen,
Hast mit einem Schuß den Vogel
Meines Herzens abgeschossen.
Was auch sollte solchem Raufbold
Gegenüber Weigern nützen?
Besser ist's, als Freund und Helfer
Seine Schelmstreich' unterstützen.
Mag denn Katz' und Mäuslein ringen,
Jedes sich den Sieg erhoffen;
Auf der Deurenburg steht Beiden
Gastlich Thor und Thüre offen!« –
»Und Ihr werdet als Er'miten
Mich empfangen, ohne Zaudern?
Sorgen auch, daß Knecht' und Mägde
Nicht bei Jungfrau Nella plaudern?«
»Sei versichert,« nickt der Alte,
»Sie erfährt im ganzen Hause,
Daß ein Eremit seit Jahren
Wohnet in der nahen Klause.«
»Dank Euch, edler Freund,« ruft Robert,
Ihm zum Wohl den Krug noch füllend;
Dann sich hastig in die braune,
Wallend weite Kutte hüllend,
Nimmt er Abschied. Bis zur Thüre
Noch der Ritter ihn begleitet,
Wo er mit viel frommen Wünschen
Von dem guten Klausner scheidet.
»Gisberth!« ruft er, »leucht' dem alten
Würd'gen Mann zu rechten Wegen.«
»Dank Euch!« murmelt Robert, tiefer
Die Kapuze noch sich legend
In das Antlitz; – und so wankt er
Durch das Thor, wo vor vier Stunden
Als ein Klausner von dem Berge
Gastlich Einlaß er gefunden.

*

Wochen sind seit dem verstrichen;
In dem buntgefärbten Laube
Spielt der Herbstwind, fegt die Blätter
Wirbelnd nieder zu dem Staube,
Und er pfeift um Thurm und Söller,
Streitet mit der Wetterfahne,
Reißt die schlanken Weingewinde
Frevelnd von dem Burgaltane;
Zaust schön Nella's schwarzen Schleier,
Wenn sie durch den Schloßhof schreitet,
Just als ob er dem Gewebe
Seinen holden Dienst beneidet.
Nella aber steht und schauet
Sinnend nieder in die Wellen,
Die mit schaumgekröntem Haupte
Sturmgepeitscht am Strand zerschellen,
Und sie legt um Guda's Nacken
Ihren Arm: »solch' herbstlich Klingen
Mahnet mich, Du liebe Kleine,
An Dein traurig Liedersingen,
O, wie lieb' ich Deine Weisen,
Deines Sanges traurig Minnen.
Seit von Fulda wir geschieden,
Kann ich Heit'res nicht beginnen;
Seit Bertholdus ich verrathen
Jenes Ritters Stand und Namen,
Tausend quälende Gedanken
Tag und Nacht zu Sinn mir kamen,
Und die Ruhe hier, die Stille,
Nichts will fröhlich mich zerstreuen,
Und doch will und darf ich niemals
Den Verrath an ihm bereuen.«
Tiefe Stille herrscht, es blicket
Nella in die grünen Wogen,
Und sie murmelt: »Wie viel Herzen
Hat wohl schon das Glück betrogen!
Gudula, o sage – rede,
Ob ich recht nicht hab' gehandelt,
Da ich ihn verrieth? Was hat nur
Mein Gewissen so verwandelt?«
»Hättet Ihr's dem Abt verschwiegen,
Fräulein, wär' es ein Verbrechen,
Was Ihr auf das Kreuz geschworen,
Konntet, durftet Ihr nicht brechen!«
Nella athmet auf: »so ist es,
Albern, thöricht Grillenfangen!
Ach, und dennoch füllet Eins mich
Doch mit namenlosem Bangen:
Furchtbar rächen wird Bertholdus,
Hat Vergeltung ihm geschworen,
Fehd' erklärt dem Frankensteiner;
Gudula, er ist verloren!«
»Dann geschieht ihm recht, Vieledle!«
Zürnet listig, schlau die Kleine,
»Warum raubt er? Traun, die Schuld ist
Doch nicht Eure; 's ist die seine!
O, und wie er Euch gekränket
Bei der Fuhrt, am Breitgescheide,
Wie er ungerufen, frechlich,
Hülfreich stand Euch stets zur Seite – «
»Hülfreich! ach, das ist's ja, Liebe,
Bin zu Dank ihm reich verpflichtet,
Hab' zum Lohn für seine Treue
Nun zu Grunde ihn gerichtet!
Frechlich, sagst Du, mich gekränket?
Niemals ist's ihm eingefallen,
Stets der Höflichste, der Beste,
Guda, war er mir vor Allen!
Ach, könnt' ich doch in dem tiefen
Grünen Strome drunten enden,
Oder könnt' ich die Gefahren
Hülfreich ihm vom Haupte wenden!«
Und mit hast'gem Schritt enteilet
Sie durch herbstlich Sturmeswehen,
Aber lächelnd hat das Waldkind
Und voll Glück ihr nachgesehen
Und geflüstert: »Hast im Hasse,
Wie der Herbst, sein Glück genommen,
Jetzt wird's Frühling, Deine Liebe
Wird wie goldne Sonne kommen,
Auf sein einsam, trübes Herze
Wird sie zaubermächtig glühen,
Und dann steigt aus Schutt und Trümmern
Doppelt reich das neue Blühen!« –

*

Aus dem tiefen Burgthor ritten
Beide Frau'n, ins Land zu streifen;
Kalt war's, silberhell die Zweige,
Schon that's in den Nächten reifen,
Und die ersten Flocken wehten
Weiß und glitzernd um die Wangen,
Auf dem Beet die letzten Astern
Ließen schwarz die Köpfe hangen.
In dem pelzverbrämten Mantel
Reitet Nella wohlgeborgen,
Reitet langsam durch die Tannen,
Sonder Lust und sonder Sorgen.
Sieh', da sitzt auf moos'gem Steine,
Tief gebeugt von Noth und Jahren,
Just ein Klausner an dem Wege.
In den silberweißen Haaren,
Die in struppig langen Wellen
Aus der zwilchenen Kapuze
Um die Stirn und Wangen quellen,
Spielt der Wind. Mit schnellen Blicken
Streifet Nella jetzt den Alten,
Schickt sich an, mit güt'gem Nicken,
Ihren Zelter anzuhalten;
In die Tasche an dem Kleide
Greift sie hastig, sucht behende,
Wirft den kleinen Opferheller
Grüßend in des Klausners Hände
Und will weiter reiten. Plötzlich
Blickt sie auf und schrickt und schauet
Jäh betroffen in sein Antlitz,
Drin ein großes Auge blauet,
Das sie ernst und seltsam anblickt.
Wie gebannt hält sie am Platze,
Seufzt tief auf und denkt im Herzen:
»O, wie mahnt mich an der Katze
Augen dieser Blick des Alten!« –
Ob's zum Schutz bei scharfem Winde,
Jetzt erst sieht sie vor den Lippen
Sorgsam hüllend eine Binde,
Die sein halbes Antlitz decket,
Und mit mitleidsvollem Sorgen
Fragt sie leis: »Wohin des Weges?
Rauh und neblig ist der Morgen,
Nicht gemacht zur Rast im Freien.
Ihr seid alt, ehrwürd'ger Vater;
Seht, gar dicht fängt's an zu schneien.«
Voll trifft sie sein Blick: »Ich wandre
Nach der Deurenburg, o Fraue,
Daß ich nach dem alten Freunde,
Meinem edlen Ritter, schaue.
Langsam geht's nur von der Stelle,
Doch ich habe Zeit und Weile,
Sehnsucht hilft mir, daß im Geiste
Meinem Fuß voraus ich eile.«
Sanft, gedämpft klingt seine Stimme,
Und er wendet sich zum Gehen,
Nella aber rufet freundlich:
»In der Burg auf Wiedersehen!«
»Pax vobiscum«! nickt der Alte,
Und das Fräulein sprengt von dannen,
Silberhelle Flocken rieseln
Abgestreifet von den Tannen;
Doch der Klausner wächst und reckt sich,
Schaut ihr nach und lacht verstohlen:
»Für den Heller, Jungfrau Nella,
Will ich mir den Ablaß holen,
Wenn ich frecher Raubgeselle
Jene schwere Schuld begangen,
Mir ein Mäuslein, hinterlistig,
Sammt dem Herzen einzufangen!« –
An dem Burgthor fragte Nella,
Forschte eifrig beim Gesinde
Nach dem alten, fremden Klausner
Mit der räthselhaften Binde
Vor dem Munde. Doch sie hörte
Nur die theilnahmslose Mähre,
Daß er schon seit langen Jahren
Oefters Gast beim Ritter wäre,
Daß er drüben auf dem Berge
Gegenüber einsam hause;
Dort der Wachtthurm, holzgezimmert,
Bilde seine stille Klause.
Nella hört's und seufzt und sinnet,
Greift zu Spindel, Flachs und Rade,
Schreitet zu des Ohms Gemache
Nieder von der Kemenate,
Setzt sich schweigend zum Kamine,
Auf der Männer Rede lauschend,
Hie und da ein freundlich Grüßen,
Kurzes Wort mit ihnen tauschend.
»Nella!« ruft der Ritter plötzlich,
»Tritt herzu und nimm die Kanne,
Fülle Du einmal den Becher
Diesem wackern alten Manne;
Ist sein Haar auch schon bereifet,
Schätzt er hoch doch solche Tugend,
Und er denkt bei Deinem Anblick
Doppelt gern entfloh'ner Jugend!«
Schnell folgt Nella seinem Rufe,
Will die schwere Kanne heben,
Doch sie fühlt beim Blick des Klausners
Ihre Hände jäh erbeben,
Und zum Scherz sich zwingend, fragt sie:
»Sitte ist's bei Edeldamen,
Daß wir bei des Trunks Kredenzen
Nennen unsern Gast bei Namen,
Sagt, wie heißt Ihr?« Schnelles Lächeln
Spielet auf des Alten Zügen:
»Ein Gelübde heißt mich schweigen
Und verbietet mir zu lügen!
Meinen Namen, Fräulein, hab' ich
Selbst fast mit der Zeit vergessen,
Aber ›Pater Felis‹ nannten
Mich die Leute unterdessen.«
»Pater Felix? Seid Ihr glücklich,
Daß man Felix Euch benannte?« –
Doch der Klausner schaffet emsig
Ordnend plötzlich am Gewande
Und entgegnet: »Nein, Ihr irrt Euch,
›Felix‹ hab' ich nicht gesaget,
Sondern ›Felis‹, glücklich bin ich
Auch nicht sehr, Gott sei's geklaget!«
»Felis«! ruft der alte Ritter,
Lachet auf, daß hell es schallet,
Daß es rings an Wand und Decke
Urgewaltig wiederhallet,
Und als Nella jäh betroffen
Wortlos starret auf die Beiden,
Sagt er schnell: »Vergebt, Ihr Lieben,
Ach, an alte, tolle Zeiten
Hat der Name mich gemahnet!
Felis! – Felis! – es trieb's Keiner
Je so keck wie er! Zum Teufel!
's giebt auch hier zu Land Lateiner.«
Langsam führt die Hand des Klausners
Nun zu Mund des Bechers Blinken,
Doch die breite, schwarze Binde
Hindert merklich ihn am Trinken,
Und voll Neugier forschet Nella:
»Sprecht, was soll dies Band bedeuten?«
Leise lacht der Mönch: ›Der Maulkorb‹
Heißt es spottend bei den Leuten;
Denn es ist ein alt' Gelübde,
Wer die Mäßigkeit verschworen
Und sich Einsamkeit und Schweigen
Für sein Leben auserkoren,
Der trägt zur beständigen Mahnung
Eine Binde vor dem Munde,
Daß er reuig sich erinn're
Seiner Schuld und Bußestunde!« –
»Warum seid Ihr Mönch geworden?«
Forschet Nella eifrig weiter,
»War't von Kind an Ihr bestimmet
Zu des Glaubens heil'gem Streiter?«
»Nein, ich war ein Ritter, Fräulein,
War mit Leib und Seel' ein Ritter;
War kein Roß zu wild im Stalle,
War zu hoch nie Liebchens Gitter,
Und kein feindlich Schwert zu scharf mir!
Aber seht, solch' ein Geselle
Findet Händel, Raufen, Tollen,
Und ein böses Wort fliegt schnelle. –
O, daß doch die bösen Worte
Möchten schwinden von der Erden,
Denn um solcher Worte Willen
Kann ich nie mehr glücklich werden!
Habe einen Trautgesellen
Wohl im wilden Zorn und Hassen,
Statt das Näh're zu erforschen,
Schnöd' und tückisch einst verlassen,
Ihn den Feinden überliefert,
Die ihn hart und schnell gerichtet,
Die des armen, braven Burschen
Ganzes Lebensglück vernichtet!
Als es längst gescheh'n, nach Jahren,
Da erfuhr ich wahre Kunde,
Daß ich schuldlos Blut verrathen! –
Drum die Binde auf dem Munde.
Sühnen konnt' ich's nicht am Freunde,
Er war tief in Noth gestorben;
Darum habe ich zur Buße
Dieses ernste Kleid erworben,
Doch ich möchte Jeden warnen,
Möchte flehen aller Orten:
Hütet Euch in blindem Hasse,
Menschen, vor solch' bösen Worten!« –
Nellas Haupt ist tief gesunken,
Bleich geworden sind die Wangen,
Und aus angstgequältem Herzen
Leise Seufzer sich entrangen.
»Pater Felis!« fragt sie leise,
»Saget mir bei Gottes Gnaden,
Ist es auch ein schwer' Verbrechen,
Einen Schuldigen verrathen?« –
»Was ist schuldig? seht, es trüget
Oft der Schein bei vielen Dingen,
Oft erst können lange Jahre
Eines Räthsels Lösung bringen.
Auch bei meinem Trautgesellen
Konnt' ich kaum Bedenken tragen,
Denn vor meinen Augen hatt' er
Einen Rittersmann erschlagen!«
»Und war schuldlos?« Voll Entsetzen
Zittert Nella. »Nein! o saget
Bei dem ew'gen Heil der Seele,
Daß Ihr ihn gerecht verklaget!«
»Er war schuldlos!« Dumpf und drohend
Klingt des Klausners ernste Stimme:
»Er erschlug den Mann aus Nothwehr,
Nicht, wie ich geglaubt, im Grimme;
Todschlag, und zur Wehre setzen,
Fräulein, das ist grundverschieden!
Und kein Mensch soll kecklich wagen
Ein Gericht, man irrt hienieden!« –
Wankend steht am Sessel Nella,
Athemringend, angstbefangen,
Langsam rollen große Thränen
Zitternd über ihre Wangen.
Schnell erhebt sich jetzt der Klausner,
Nickt dem Ritter stumme Grüße,
Wirft verstohlen einen heißen
Abschiedsblick noch auf die Süße
Und geht schweigend durch die Thüre.
Draußen fallen weiße, dichte
Flocken schmeichlerisch hernieder,
Und mit brennendem Gesichte,
Wie mit langen, durst'gen Zügen
Athmet er das kühle Wehen:
»Herr, der Du die Herzen lenkest,
Laß das süße Heil geschehen,
Laß in der Geliebten Seele
Sturm und Ruh zugleich mich bringen,
Ihr zum Heil und mir zum Glücke
Laß, o Gott, mein Werk gelingen!« –
Und er schreitet zu der Kammer,
Drum die Herbsteswinde stürmen,
Hört, wie sich am Bergesfuße
Brausend hoch die Wellen thürmen;
Doch ihm deucht's wie Frühlingswehen,
Wie ein Klang von Lust und Lieben...
– Auf der Deurenburg sind heute
Lang' zwei Fenster hell geblieben. –


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