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Frühlingslieder, Frühlingsstimmen
Wachen auf im dunklen Walde,
Sonnenschein und Thauwindküsse
Schmeicheln um die Wiesenhalde,
Und das Moos, mit hellen Spitzen,
Gänseblümchen, frisch von Wangen,
Noch den Schlaf in beiden Aeuglein,
Steh'n sie scheu und traumbefangen,
Wissen nicht, daß leis' und heimlich
Lenz in dieses Thal geflogen,
Daß die weiße, flock'ge Decke
Von dem Rasen er gezogen,
Daß die kleinen, holden Blumen
Er geweckt mit süßen Küssen,
Daß sie ihm, nur ihm alleine
Blühen, duften, leben müssen!
Und er flog auch jetzt im Walde
Noch umher auf Silberschwingen,
Hörte auf dem weichen Boden
Rosseshuf und Schritte klingen,
Und er sah, gewiegt im Sattel,
Einer Jungfrau düster Prangen;
Schwarz weht ihr Gewand und Schleier,
Bleich wie Marmor schau'n die Wangen.
Frühling liebt nicht dunkle Farben,
Liebt kein Auge feucht von Thränen,
Keine Seufzer, keine Klagen
Und kein ungestilltes Sehnen,
Also flog er kosend näher,
Flüsterte mit süßem Wehen:
»Nimm den Frühling auf im Herzen,
Dann wird all' Dein Leid vergehen!«
Nella aber seufzte traurig:
»Mir hilft weder Lenz noch Sonne,
Ach, in ew'ge Nacht versunken
Ist mir meines Lebens Wonne!
Will d'rum ewig von ihm scheiden
Und den frommen Schleier tragen,
In dem Kloster will ich weinend
Meiner Liebe Leid beklagen.
Seit mir gestern Todeskunde
Von dem Liebsten ward geschicket,
Ist der Blüthenbaum des Lebens
Bis zur Wurzel mir geknicket,
Abgestorben, welk und klagend,
Letzter Rest viel stolzer Habe,
Trauert er, zu spät erkennend,
Auf des Glückes frühem Grabe!
Ach, die Schlang', die ihn gestochen,
Gift'ger Wurm, der ihn benaget,
War mein Stolz, unsel'ger Stolz nur,
Gott im Himmel sei's geklaget!
Hab' der Lieb' mein Herz verschlossen,
Hegte Hochmuth, grenzenlosen,
Seine Frucht muß ich jetzt ernten,
Dornen, ach, statt Liebesrosen.
Trost und Zuspruch heiß ersehn' ich
Und ein mildes Wort mir Armen!
Darum hin zur Klause eil' ich,
Pater Felis hat Erbarmen;
Und mir sagt es Herzensahnung,
Werd' getröstet von ihm scheiden,
Jener treue Alte wird mich
Auf den Weg des Friedens leiten.«
Also ritt sie sinnend weiter,
Ernst gefolgt von Hans, dem Knappen,
Langsam nur treibt sie bergaufwärts
Ihren schwarzgezäumten Rappen.
Endlich sieht durch Tannendickicht
Sie des Klausners Wartthurm ragen,
Ja, er selbst steht in der Thüre,
Hastig sein »Grüß Gott« zu sagen;
Reicht ihr schnell die Hand entgegen,
Von dem Rosse sie zu heben,
Armer Alter! Nella fühlt es,
Wie ihm Arm und Finger beben.
»Kommt zu Felis Ihr, Vielholde?«
Fragt er schnell, und Nella nicket:
»Eine trostlos Unglücksel'ge
Ist es, ach, die Ihr erblicket;
Euern Rath und Euern Segen
Will ich heute mir erflehen,
Will Euch beichten, und Ihr sollet
In das tiefste Herz mir sehen!«
Wieder rinnen helle Thränen,
Nella ringt die weißen Hände:
»Wollte Gott, o guter Klausner,
Daß ich jemals Frieden fände!«
Auf die Holzbank vor der Klause
Weist der Alte, winket schweigend;
»Redet!« sagt er, Haupt und Antlitz
Tief zur Brust hernieder neigend,
Und harrt lautlos. Nella folgt ihm,
Reicher noch die Thränen flossen, –
Fern zum Abhang hin entschwindet
Knappe Hans mit beiden Rossen.
Leise erst und bang und zitternd,
Hebt die Maid an zu erzählen
Von der Holzenburg, dem Ritter,
Und kein Wort will sie verhehlen;
Aber schneller fliegt ihr Athem,
Hohe Gluth steigt in die Wangen,
Ungestüm wie Wind und Wogen,
Jubelnd fast die Worte klangen,
Als sie seine Liebe schildert,
Sein getreuliches Begegnen, –
Denn für all' die Hülf' und Dienste
Muß sie tausendfach ihn segnen!
Und die Stimme sinket wieder,
Leise flüsternd, tief erreget,
Und sie schildert, wie die Liebe
Heimlich, wonnig sie beweget,
Wie sie sich ins Herz geschlichen,
Heiß mit Stolz und Trotz gerungen,
Wie, gleich gift'gem Hauch des Todes,
Dann sein Namen ihr erklungen.
Und sie ringt voll Qual die Hände:
»Ach, ich schwur, ihn zu verrathen,
Habe namenloses Elend
Drum auf ihn und mich geladen;
Hab' zum Lohn für seine Treue,
Für sein wankelloses Lieben,
Ihn in Kampf um Gut und Habe,
Ja, selbst in den Tod getrieben!
Nun erfaßt mich wilde Reue,
Bang' Verzweifeln, endlos Sehnen,
Ach, und nichts hab' ich zur Sühne,
Als der Liebe heiße Thränen!
Ja, ich lieb' ihn, – lieb' ihn! – Felis,
Alle Welt mag's jetzo wissen,
Hab' den Stolz mit Todesqualen
Läuternd aus dem Herz gerissen!
Ewig krankend nun an Sehnsucht,
Wär' ich besser nie geboren,
Warum marterst Du mich, Minne,
Eh' besessen, schon verloren.«
Und das Antlitz in die Hände
Drückend, schluchzend abgewendet,
Hat schön Nella ihre Beichte
In dem Thränenstrom geendet.
Es erhebt sich jach der Klausner;
»Giebt's denn Hoffnung nicht auf Erden?«
Murmelt er, »vielleicht, Vieledle,
Könnt Ihr doch noch glücklich werden!«
»Ohne ihn? – mit einem Andern?
Eher wird das Herz mir brechen;
Ach, Ihr kennt nicht Liebe, Pater,
Würdet sonst nicht also sprechen!
In ein Kloster will ich gehen,
Und den Rath, den treuen, frommen
Eures Mundes drob zu hören,
Felis, bin ich hergekommen!«
Vor sich nieder starrt der Klausner,
Scheint in Fiebergluth zu beben,
Rauh fast vor Erregung spricht er:
»Gut, ich will Euch Hülfe geben,
Doch nicht selber. Just zur Stunde
Kehrt' ein Gast hier ein zur Klause,
Der weiß wohl noch bess're Kunde,
Harret seiner; er wird kommen!« –
Hastig ist er eingetreten
Durch die Thüre, – ihre Hände
Faltet Nella, stumm zu beten,
Und, verstrickt ganz in ihr Sinnen,
Merkt sie nicht der Zeit Entfliehen,
Auf zum Himmel starrt sie traurig,
Wo die weißen Wolken ziehen.
Plötzlich hört sie's rasseln, klirren,
Wendet sich, zur Thür zu schauen,
Und ein Schrei gellt durch die Stille,
Wonne – Schrecken – Luft und Grauen:
»Robert!« und sie steht und zittert,
Und sie sieht durch ihre Thränen
Vor sich ihren schwarzen Ritter.
Ist's ein Trugbild? … Traumeswähnen?
Regungslos steht der Geliebte,
Durchs geschlossene Visir
Schickt sein Auge nur, das große,
Liebdurchflammten Gruß zu ihr,
Und von seinen Lippen plötzlich
Hört sie's leise flüsternd klingen,
Ach, wie diese Worte zaub'risch
Ihr durch Herz und Seele dringen:
»Hörtet Ihr wohl je das Märlein
Von der Katz' und Maus, Vielholde?
Zwei gewalt'ge Hexenmeister
Hat die Katze in dem Solde:
Ihre grünen, wunderlichen
Augen sind es, die mit langen,
Regungslosen Zauberblicken
Unrettbar die Seele fangen!
In die grünen Räthselaugen
Starrt die Maus, .. kann nicht vom Platze,
Wie gebannt in ihr Verhängniß,
Taumelt sie ans Herz der Katze!« –
Und er öffnet seine Arme,
Hebt sie sehnend ihr entgegen,
Läßt den Blick in ihrem glühen,
Ohne seinen Fuß zu regen.
Und halb weinend, lachend, bebend,
Wie von süßem Bann berücket,
Unvermögend ihn zu brechen,
Fest aufs Herz die Hand gedrücket,
Ganz das Werkzeug ihres Glückes,
Haltlos, Thränen auf den Wangen,
Liebesjauchzen auf den Lippen,
Fest und ewiglich gefangen,
Nur den Blick in seinem Blicke,
Folgend nur dem Zauberwinken,
Taumelt sie, die Maus, der Katze
Zitternd an die Brust zu sinken!
Und auf seinen Silberschwingen
Kam der junge Lenz geflogen,
Triumphirend, strahlend ist er
In die Herzen eingezogen.
Und es flammte durch die Lüfte,
Wie der Glanz von tausend Sonnen,
Wie ein Klang von namenlosen,
Glückdurchbebten Frühlingswonnen!
Hand in Hand und Lipp' auf Lippe,
Liebestrunken, glückverschollen,
Braust durch jener Beiden Seele
In Accorden, wundervollen,
Aus der Nacht des Leids entrungen,
Kampfgeläutert und in Schmerzen
Ernst geheiligt, jenes hohe,
Einz'ge Lied vom Menschenherzen,
Lied der wonnenreichsten Fülle,
Das sich ringt aus dornenlosen,
Duftberauschten, schäumendvollen
Kelchen rother Liebesrosen!
*
Wochen sind ins Land gezogen,
Und ein Kränzlein ist geflochten,
Denn das Mäuslein ist der Katze
Minnigliche Hausfrau worden!
Junges, vollstes Glück der Liebe,
Dessen Himmel ewig blauet,
Hat die Deurenburg am Rheine
Still und friedlich noch geschauet;
Dann jedoch sind leiche Wolken,
Schatten drüber hingeflogen:
Ritter Robert, unmuthgrimmig,
Ist zur Heimath hingezogen,
Wo der König, treu dem Worte,
Auf des Wack'ren Hülfe sinnet,
Ihm mit Schwertesmacht die Burgen
Von dem Feind zurückgewinnet.
Hessenl. Beschreib., II. Th. 10. Cap. S. 292: »Im Jahre 1248 belagerte und eroberte König Wilhelm das Schloß Frankenstein, und die dazu gehörige Statt Salzungen an der Werra.
Hei, wie hat Herrn Robert's Klinge
Funkenhellen Zorn gesprühet,
Hei, wie hat ihm Muth und Liebe
Hoffend aus dem Aug' geglühet!
Und die Zeit ist schnell gekommen,
Daß er wieder Herr des seinen,
Daß das Glück im Schloß der Väter
Ihn mit Nella durfte einen.
Lange Jahre, reich an Segen,
Sind dem Paare drin verstrichen,
Herz und Seel' ist jung geblieben,
Ob die Locken auch erblichen. – –
Gudula ist heimgekehret,
Und sie spann in süßem sinnen
An der Mutter Seite fleißig
Flachs zu feinem Hochzeitlinnen,
Bis es an die Thür geklopfet,
Bis ein schlanker Jüngling nahte,
Gerhardus von Rile hieß er,
Und er war durch Gottes Gnade
Steinmetz an dem Cölner Dome,
Mit dem Bau des Werks betrauet.
Also ward das Bild zur Wahrheit,
Das in Wolken er geschauet.
Mit dem Kusse heil'ger Liebe
Durfte er die Spinn'rin wecken
Aus den Träumen, um nun wachend
Ihr ein Ringlein anzustecken;
Ja, ein Ringlein ohne Ende,
Endlos wohl wie Glück und Frieden,
Das im Kreis begabter Kinder
Beiden Gatten lang beschieden.
Also sagt's die Dombaukunde. – –
Robert's Wartthurm an dem Rheine
Hat der Landesfürst geschauet,
Hat ihn sich zum lust'gen Schlosse
Hoch und stattlich ausgebauet,
Hessenl. Beschreib., II. Th. 3. Cap.: »schloß Neu Catzenelnbogen, die Katz' genant, ist im Jahr 1300 vom Grafen Johansen zu Catzenelnbogen, erbauet worden, auf ödem Fels da früher eine Clausen gestanden, hat zwar schlecht Ansehn, ist aber fest.«
Und da es bekannt im Lande,
Welch' ein Spiel man einst getrieben,
Ist den Burgen stets als Namen
»Katz' und Maus« noch beigeblieben.
*
Als ich jüngst durch die Ruinen
Wandelte in ernstem Lauschen,
Tönte in den Epheuranken
Plötzlich ein geheimes Rauschen;
Flüsternd leis' wie Geisterstimmen,
Grüßte mich ein holdes Klingen,
Und es tönte mir zu Häupten
Wie der Klang von Silberschwingen,
»Nella's Leid und Nella's Liebe
Zu den Schwestern trag', den süßen,
Thränen trocknend, Sehnsucht tröstend,
Sag', die Minne läßt Euch grüßen!«
* * *
Druck von G. Bernstein in Berlin.