Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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4.

Fides sass vor einem Stickrahmen in der offenen Verandatür. Draussen band der Gärtner einen Zweig prächtiger Maréchal Niel, der sich unter der Last der Blüten tief herabbeugte, an den Stock. Ein paar Tauben liefen auf dem weissen Kiesplatz vor der dreistufigen Steintreppe, die in den Garten hinabführte, jagten sich, scharrten und warfen sich in die Brust und gurrten.

Alles lag in warmer, heller Sonne. Breit flutete ein Streifen goldenen Lichtes durch die offene, weinumrankte Veranda ins Zimmer hinein, machte die Silberschnallen auf Fides kleinen Bronzeschuhen blitzen und funkeln, die Ringe an ihrer schlanken, etwas grossen Hand, und den Silberpfeil, der den schweren Knoten des vollen blonden Haares hielt. Auch dieses weiche seidenweiche Blondhaar leuchtete, und die kleinen Ringel- und Kräusellöckchen über der Stirne sahen ganz goldig aus. Und die bunte Seide in ihrem Körbchen, die fast vollendete Stickerei im Rahmen, leuchteten und schillerten in tausend Nuancen.

Der süsse Duft der Rosen drang durch die offene Tür und erfüllte den ganzen Raum, bis zu Randers, der am Flügel sass und phantasierte.

Ganz in sich zusammengesunken, das Kinn auf die Brust gesenkt, mit starrem Blick auf die Tasten, als wollte er sie auch mit den Blicken bändigen, sass er da; die Hände waren in rastloser Bewegung, eine eigenartige, steigende Bewegung, storchartig.

Schon eine halbe Stunde sass er am Instrument. Monotone, chaotische Phantasieen wie das endlose Auf- und Abwogen einer kochenden, glühenden Flüssigkeit. Eine dumpfe, verhaltene Leidenschaftlichkeit, die sich in wirren Selbstgesprächen verzehrte.

Fides wagte nicht, ihn zu unterbrechen, Sie konnte diesem Spiel nicht mehr folgen. Ihre Aufmerksamkeit war in ein verwundertes Staunen übergegangen, dann hatte sie leise gelächelt. Ihr verwöhntes, geschultes Ohr konnte wohl eine Zeitlang an diesem Sturm und Drang einer naturalistischen Musikbegabung ein erstauntes Gefallen finden, dann aber ermüdete sie. Die Formlosigkeit dieser wild durch einandertaumelnden, schlüpfenden und kriechenden Tonfiguren, und das gleichmässige Forte heftiger, böser Akkorde, die grollten und schalten und um sich bissen, tat ihr weh. Aber sie mochte ihn nicht stören, ihn nicht kränken. Es war das erste Mal, dass er sich unaufgefordert an den Flügel gesetzt hatte und seine Versicherung, er könne nicht spielen, Lügen strafte. Er hatte sich bisher immer nur begnügt, ihr zuzuhören, im Schaukelstuhl liegend, die Beine lang von sich gestreckt, und mit geschlossenen Augen sich gegen die Aussenwelt absperrend.

Fides stand jetzt leise auf, stellte den Stickrahmen beiseite und trat in die Veranda hinaus. Sofort hörte er auf. Er hatte ihren Schatten durchs Zimmer gleiten sehen. Er fühlte es, dass sie ging, fühlte es körperlich.

Fides wollte die Stufen in den Garten hinuntergehen, als sie ihn hinter sich hörte. Sie wandte sich um, mit lächelndem, fragenden Blick.

»Sie spotten,« sagte er, »ich habe Sie gequält mit meinem Unsinn.«

»Sie spielen also doch,« sagte sie ausweichend. Er lachte gutmütig, etwas verlegen.

»Nicht der Rede wert, gnädigste Komtesse. Was haben Sie nur von mir gedacht. Aber ich finde nie ein Ende, verliere mich so leicht.«

»In alle Tiefen,« scherzte sie.

Sie gingen in den Garten hinab. Sie standen vor den Rosen, und Fides bog einen vollen Zweig zu sich herab und sog den süssen Duft ein. Die Zweige schmiegten sich ihr an Stirn und Wangen, legten sich mit üppigen gelben Kelchen und zarten schimmernden Knospen auf das helle Gold ihres blonden Scheitels, das in der Sonne einen rötlichen Glanz annahm und ihn an das Familienporträt im Speisesaal erinnerte. Dasselbe rote Goldblond, derselbe weisse durchsichtige Teint, der doch nichts Krankhaftes hatte. Nur ernster, stolzer war das Gesicht der Mutter; etwas nordisch Strenges war in den Zügen der dänischen Baronin, die dem Grafen eine Tochter schenkte und starb.

In dieser schlanken Mädchengestalt vor ihm war das Strenge und Stolze durch die Anmut der Jugend gemildert. Wie entzückend sah sie in dem leichten, hellblauen Kleid aus. Der Ärmel war leicht zurückgefallen, als sie die Hand nach den Rosen ausstreckte, und der weisse Sammet ihres bei aller Fülle doch schlanken Armes leuchtete mit warmem, matten Glanz.

Fides bat ihn, ihren Gartenhut zu holen. Ob sie nicht einen Spaziergang machen wollten.

Er ging, den Hut zu holen, der auf dem Esstisch lag. Er zögerte drinnen einen Augenblick und verschlang vom Fenster aus ihre Gestalt mit den Blicken.

In der Veranda fand er seine Mütze, eine schon etwas mitgenommene, einst weisse Strandmütze. Er befestigte das schmale lederne Sturmband unterm Kinn, obgleich das schönste Wetter war und nur ein ganz schwaches Lüftchen wehte.

»Warum tragen Sie eigentlich immer dieses Sturmband?« fragte sie. »Ich finde es hässlich.«

»O,« sagte er leicht errötend. »Mögen Sie es nicht? Ich finde, es sieht so – männlich aus.«

Er fand nicht gleich einen andern Ausdruck.

Sie lachte.

»Was ist denn da männliches dabei?«

»Das hat mir als Kind schon immer so imponiert,« erklärte er. »Bei den Kapitänen und nachher bei den Militärs. Ich denke dabei immer an einen Mann im Sturm. Es ist gleichsam, als sässe nun mit der Mütze auch der Kopf fester. So, nun kommt her, ich biete euch die Stirn!«

Sie lachte wieder.

»Fürchten Sie, so leicht den Kopf zu verlieren?« »Aber im Sturm.«

»Aber es weht ja gar nicht.«

»Das macht ja nichts.«

»Aber es sieht so komisch aus, jetzt bei Sonnenschein und ruhigem Wetter. Und ich mag nichts am Manne, was nach Affektation aussieht.«

»So dürfen Sie es nicht nennen,« verteidigte er sich, obgleich er sich getroffen fühlte.

Es war wirklich ein wenig der Wunsch gewesen, ihr zu imponieren, der ihm das Band unters Kinn gezogen hatte.

»Sehen Sie, es steckt ein Seemann in mir, und der macht sich in so kleinen Äusserlichkeiten Luft. Der unterdrückte Seemann in mir.«

Sie sah ihn von der Seite an. Er hatte wirklich nichts Seemännisches, wie er so neben ihr herstieg; diese eckige, hagere, hohe Figur, und das Pincenez!

Aber er erzählte ihr, dass es sein grösster Wunsch gewesen wäre, zur See zu gehen, Kapitän zu werden, aber dass ihn die Umstände, vor allem seine Kurzsichtigkeit, auf eine andere Bahn gedrängt hätten.

»Ein bebrillter Seemann, wie lächerlich!« rief er aus.

Aber dann entwarf er ein glänzendes Bild von dem Leben eines Seemannes, von seiner Freiheit, seinem Mut, seinem Heldentum, und er berauschte sich an seinen grossen Worten.

»Sie, als Aristokratin, müssen mir das nachempfinden können, Komtesse,« eiferte er. »Gibt es einen aristokratischeren Beruf als den des Kapitäns.«

Ihre Augen leuchteten ihn an. War das in ihm? Er hatte bisher keinen heldenhaften Eindruck auf sie gemacht. Jetzt sprach er wie ein alter Wikinger von Sturm und Kampf, und sie hörte aus dem Klang seiner Stimme den Ton echter Leidenschaft und Sehnsucht.

Er hatte das Sturmband nicht gelöst. Sie freute sich darüber. Er war wenigstens nicht eitel. Und er hatte Charakter, liess sich seine kleinen Eigenheiten und Liebhabereien nicht einfach von einer absprechenden Kritik wegblasen.

Und wie er so neben ihr ging, das scharfe Profil mit der etwas langen, geraden Nase und dem runden festen Kinn halb von dem Mützenschirm beschattet, die breiten knochigen Schultern etwas hinaufgezogen, als stemmten sie sich gegen eine unsichtbare Last, fand sie auf einmal, dass er doch männlicher aussehe, als wie er ihr bisher vorgekommen war. Sie konnte sich ihn trotz der Brille recht gut auf der Kommandobrücke denken, den Südwester auf, oder die goldbordierte Mütze des Kommandeurs, natürlich mit dem Sturmband unterm Kinn.

Aber was daran so aristokratisch wäre, fragte sie.

»Vor allem die Exklusivität seiner Stellung, seine absolute Souveränität. Er ist Herr über Leben und Tod. Alle Verantwortung trägt er allein. Welch ein Gefühl für einen Mann! Welch ein Kraft- und Machtbewusstsein, welch ein Lebensbewusstsein! Und nehmen Sie dazu das Meer. Im Sturm! Der Kampf der Elemente! Er zittert nicht, er beherrscht das Meer, er fürchtet es nicht. Und wenn er unterliegt in diesem Kampf, wie weiss er zu sterben. Ein Held. Bis zum letzten Atemzug auf seinem Posten. Sehen Sie, das ist der Mann in seiner ganzen Männlichkeit, in seiner Grösse, der heldische Mann, die aristokratische Natur!«

Sie lächelte über seinen Eifer, aber sie hörte ihm aufmerksam zu und streifte ihn wieder mit einem bewundernden Blick.

Aber er hatte ihr Lächeln bemerkt und lachte nun auch, lachte laut und gutmütig.

Da war er mal wieder in Feuer gekommen! Aber er hatte doch recht, und er wollte es von ihr bestätigt haben. Und sie sagte: »Ja, ja. Sie wissen das so wunderhübsch zu sagen. Man wird ganz warm dabei. Es ist wie ein Gedicht. Es ist wirklich schade, dass Sie kein Seemann geworden sind.«

Sie hatten den Park verlassen und gingen auf dem schmalen Fusssteig durchs Roggenfeld. Die See wurde sichtbar. Ein Segel schien an dem Horizont festgeklebt. Die See glitzerte und flimmerte, das Segel leuchtete. Ein Paar Möwen kreisten bis übers Feld.

Randers, der jetzt hinter Fides ging, rupfte eine Ähre nach der andern und zerpflückte sie.

Und dann fing er wieder von der See an, von der Nordsee.

»Was meinen Sie zu einem Blockhaus an der See, in den Dünen, oder oben in den norwegischen Schären?«

»Was Sie für Einfälle haben. Warum gerade ein Blockhaus?«

»Weil es sich der Natur anschmiegen muss. Einsam, versteckt, grau in grauer Wildnis. Aber innen muss es natürlich behaglich sein.«

»Kienruss und Tran, und gedörrte Fische an den Wänden,« spottete sie.

Er lachte.

»Warum nicht auch so? Aber ich dachte es mir doch anders. Comfortable. Mit Teppichen. Und ein Bechstein darf nicht fehlen. Und Sie spielen Chopin.«

»Ich?«

»Ja, wäre das nicht schön? So ganz weltfern, nur die Einsamkeit, die Natur. Musik, Bücher –«

»Sie sind ja der reinste Romantiker,« unterbrach sie ihn.

»Aber denken Sie sich mal da hinein. Diese wundersamen Spaziergänge in den Dünen, am Abendstrand.«

»Und wenn wir heimkommen, schälen wir gemeinschaftlich Kartoffel, rösten einen Seehund am Spiess und kochen Tee.«

»Sie spotten wieder.«

Er war wirklich etwas gereizt.

Sie lachte hell heraus.

»Das empfinden Sie nun als Spott, wenn ich praktisch an das Nötigste denke. Sie wären imstande, ein Haus ohne Speisekammer zu bauen.«

»Die soll ja auch da sein.«

»Dann hört sich's schon anders an. Also nicht nur Musik und Sentiments. Ja, ich will es mir doch überlegen. Es wäre mal etwas anderes. Am Ende fänden sich noch welche, die sich anschlössen.«

»Um Gottes Willen! Keinen dritten! Das ist ja gerade die Hauptsache, nur zu zweien.«

»Nur wir beide?«

Er sagte nicht ja. Er lachte nur. Welcher Einfall, ihr das alles zu sagen. Und empfindlich zu sein, dass sie es nicht ernst nahm!


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