Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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14.

Randers hatte nach Wenningstedt wollen. Er musste die Sache mit dem Wirt ordnen. So davon zu laufen, ohne zu zahlen. Aber Randers konnte an diesem Nachmittag nicht nach Wenningstedt. Der Nebel wollte es nicht, der leichte, ziehende Nebel, der sich ganz plötzlich erhoben hatte! Der Himmel war noch klar, aber Strand, Watten, See, alles war in diesem weisslichen Nebelmeer ertrunken.

Dumm! sagte Randers laut.

Ob er in den Krug ginge? Dahin fände er auch durch den Nebel.

Am Ende war es ein ganz netter Schreib- und Leseabend. Er könnte auch zu Hause bleiben. Die neuen Maeterlincks lagen noch unaufgeschnitten da und der letzte d'Annunzio, »Triumph des Todes.«

Er warf einen Blick in den Roman, schlug achtlos eine Seite auf:

»Sein Herz schwoll vor verworrener Sehnsucht nach physischer Kraft, nach siegreicher Gesundheit, nach einem Leben voll fast wilden Genusses, nach einfacher unverbildeter Liebe, nach der grossen, ursprünglichen Freiheit. Er empfand wie ein augenblickliches Bedürfnis, die alte Hülle, die ihn bedrückte, zu zerbrechen und ihr als ein gänzlich neuer Mensch zu entsteigen, frei von allen Nebeln, die ihn betrübt, von allen Gebrechen, die ihn behindert hatten. Er hatte die verführerische Vision eines zukünftigen Daseins, in dem er, erlöst von allen verhängnisvollen Eigenschaften, von aller äusseren Tyrannei, von jedem traurigen Irrtum, die Dinge sah, als ob er sie zum erstenmale sähe und vor sich das ganze weite Weltall hatte, offen wie ein menschliches Angesicht. Konnte denn das Wunder nicht von diesem jungen Weibe kommen, das an dem Steintisch unter der stillen Eiche das neue Brot gebrochen und mit ihm geteilt hatte? konnte es denn nicht an diesem Tage beginnen, das neue Leben?«

Das hielt ihn.

Randers steckte die Lampe an. Er wollte lesen.

Das neue Leben von diesem Weibe?

Er wollte gerade die Fensterläden schliessen als es draussen klopfte. Der wackelige Türgriff klirrte, und die Tür knarrte, als würde sie zögernd geöffnet.

Randers trat mit der Lampe in der Hand auf den Flur hinaus und sah erstaunt in das ebenso erstaunte Gesicht Fräulein Lorenzens.

»Verzeihen Sie,« sagte sie, »ich sah hier plötzlich ein Licht aufleuchten. Man sieht keine Hand vor Augen draussen. Ich finde mich nicht zurecht.«

»Sie sind dicht vor Rantum,« sagte er, immer noch verwirrt.

Sie lachte.

»Höchst erfreulich. Aber ich sehe es nicht.«

Sie war seiner Einladung ins Zimmer gefolgt. Sie war ganz durchnässt vom Nebel, und er sah an ihrem Kleid Spuren von feuchtem Sand. Sie musste gefallen sein.

»Sie entschuldigen diesen Aufzug,« sagte sie, »ich bin wohl sechsmal gestolpert.«

»Sie haben sich doch nicht verletzt?«

Sie besah ihre Hände, die ohne Handschuhe waren.

»Ein paar Schrammen,« lachte sie.

»Ich hole Ihnen Wasser. Darf ich Ihnen irgend etwas geben? Sie können in dem Nebel nicht weiter.«

»O danke, bemühen Sie sich nicht. Wenn ich nur bis Rantum komme.«

»Es klärt sich gewiss noch auf. Aber ich bringe Sie noch hin.«

»Wenn es sich noch aufklärt, und Sie erlauben, dass ich verweile?«

Sie liess sich auf dem angebotenen Sofaplatz nieder.

Er sah, dass sie verwundert war, eine solche Behausung hier zu treffen.

»Mein Blockhaus,« sagte er.

»Das ist ja märchenhaft. Sie wohnen hier?«

»Seit dem Herbst.«

»Das muss köstlich sein.«

»Wenn man Einsamkeit liebt.«

Sie sah ihn forschend an. Er wurde rot unter diesen Blicken. Seine Sünde vom roten Kliff fiel ihm plötzlich ein.

»Ich bin auch hierhergekommen, um die Einsamkeit zu suchen,« sagte sie, »ich habe sie ja auch in Wenningstedt, jetzt noch, so lange keine Badegäste kommen.«

»Ja, die Badegäste!«

»Aber dies ist wirklich beneidenswert. Und Sie werden länger hier hausen?«

»So lange es mir gefällt.«

»Und ganz allein?«

Er zuckte die Achseln.

»Was soll man machen? Die schönste Einsamkeit ist freilich die zu zweien.«

»Meinen Sie?«

Er lächelte etwas verlegen.

»Einsamkeit will sprechen,« sagte er.

Sie hatte gedankenlos mit dem Roman gespielt und warf jetzt einen flüchtigen Blick auf den Titel.

»Mögen Sie den?« fragte sie.

»Sie nicht?«

»Nein. Er quält mich. Er füttert einem zu Tode. Zu masslos. Man schenkt eine Rose, einen Strauss, aber man schüttet einem nicht einen Waschkorb voll Rosen über den Kopf, wenn man nicht die Absicht hat, einen angenehm zu ersticken.«

Er lachte.

»Sie haben nicht unrecht.«

Sie wurde wieder unruhig, sah nach der Uhr und warf einen Blick nach dem Fenster.

»Wie soll ich nach Wenningstedt kommen, wenn der Nebel nicht nachlässt?«

»Übernachten Sie in Rantum.«

»Kann man denn das?«

»Gewiss!«

Er stiess den Laden auf. Sie sahen beide ins Graue; ein dicker, undurchdringlicher Nebel.

»Er ist stärker geworden,« sagte er.

Sie schwieg und sah ratlos in die graue Dunstmasse.

»Es ist nicht weit bis Rantum?«

»Eine halbe Stunde. Freilich, in diesem Nebel geht's nicht so schnell.«

»Entsetzlich!«

Es kam aus tiefstem Herzen, aber sie lachte doch dabei.

»Wollen Sie durchaus nach Rantum, bringe ich sie hin,« sagte er, »aber wenn ich Ihnen dienen darf, ich habe oben ein freies Zimmer, ein Fremdenzimmer, ganz komfortable.«

Er war ganz rot.

»Aber nein,« rief sie ungläubig aus.

»Aber doch! Es hat's noch niemand benutzt. Wenn Sie ihm die die Weihe geben wollen. Es ist alles vorhanden, dessen Sie bedürfen könnten, wenigstens für eine Nacht.«

Sie wurde etwas verlegen. Aber dann sagte sie nach kurzem Besinnen »ja«.

»Welch ein Abenteuer!«

»Eine Nacht in Nebelheim,« scherzte er.


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