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Der alte Daniel

Was war doch das für eine nette, liebe, feine Geschichte vom alten Daniel, der sich durchaus wollte schröpfen lassen, und von der Schwester Karoline, die das Schröpfen nicht zugeben wollte! Die allemal den Einspänner hinterherschickte, daß er den alten Mann heil wieder ins Altersheim bringe! Den Zug versäumen, die Uhr zurückstellen! Mit der Zeit wird ihm die Sache schon über werden!

Der Einspänner Dies ist ein im Altersheim gebrauchter Spitzname wie auf der nächsten Seite: »Geheimrat«. war ein Juwel. Prompt führte er seinen Auftrag aus.

Wie hätte es die Schwester Karoline auch anfangen sollen? Was hätte sie dem alten Daniel sagen sollen, wovon er seine verschwollenen Beine habe? Dick wie die Kannen waren sie aufgelaufen. Oder müßte sie die Zügel des Regiments straffer anziehen? – Müßte sie grimmigen Mundes ihre Verbote erlassen? – Warum denn aber einschränken? – Warum denn ihnen ihre Freiheit nicht lassen? – Man macht sie ein wenig müde mit Winkelzügen, die alten Knaben. Dadurch kommen sie von selber ab von ihren Marotten.

Ja – aber – trotz des Einspänners und der Winkelzüge – – Schwester Karoline hatte den alten Daniel gern. Und nicht nur aus dem Grunde, weil sie sich sagte, sie werde ihn kaum noch lange im Altersheim zu versorgen haben. Noch ein oder zwei Jährchen vielleicht, dann werde der liebe Herrgott ihn durch die Himmelstür eintreten lassen, und ihm alle Glorie seiner Macht und Liebe zeigen.

Nein, sie hatte ihn auch gern um seines ganzen Habitus willen, der was vom emeritierten Pfarrer an sich hatte – den bedachtsamen, ein wenig schwerfälligen Gang, das kahlrasierte, wachsfarbene Gesicht, das kreideweiße volle Haar, das unter der hochköpfigen dunkeln Schirmmütze hervorplusterte, den schwärzlichen Rock von sackartigem Schnitt, der hochgeschlossen und ziemlich lang war.

Wenn man ihn so dahergehen sah, hatte es immer den Anschein, als komme er einen Berg herauf, oder als laufe er einen Berg hinab. Stand er dann aber ganz nahe, so rückten alle Annahmen sich ins Lot, und man erschaute einen kleinen, kindlichen, naiven Mann mit breiten Schultern und gehörigem Oberkörper, der ein bißchen verkürzt im Piedestal (Fußgestell) war. Und dem Latein und Hebräisch seinen Kopf nie angefüllt hatten.

Der alte Daniel hatte sich seit drei Jahren schröpfen lassen, alljährlich zur Sommerszeit Er hatte einen Freund, der es so hielt seit fünfzehn Jahren. Jährlich einen kleinen Blutabzug, hatte der Freund gesagt, müsse sich der Mensch verschaffen. Das Fieberblut müsse dem Körper entzogen werden. Der ganze Blutkreislauf gerate in ein beschleunigtes Tempo dadurch.

Und nun hub, da der Sommer nahte, der alte Daniel von seinem Projekt des Schröpf ens zu reden an. Er redete zum Geheimrat, zum Schlosser Findekorn, zum Einspänner – zu all den siebenundvierzig alten Männern, die der Segnungen des Altersheims mit ihm teilhaftig wurden.

Aber er konnte in den unterschiedlichen Gemütern nicht Wurzel schlagen. Sie waren im großen und ganzen für das Schröpfen nicht eingenommen. Die Feldarbeiter, die Forschen unter den alten Knaben, pfiffen auf den »Spuk«, der Geheimrat zog den Stand der heutigen Wissenschaft zu Rate, welche – – Julus Patz aber, ein niederträchtiger alter Geselle, Quängler und Don Juan, lief der Schwester Karoline über den Weg und beklagte sich, daß der alte Daniel lästig falle.

Ja, und dann sprach der alte Daniel mit der Schwester Karoline selbst. Er sagte, daß er morgen mit dem Frühesten hinabgehen werde und hinauf fahren werde – hinab gen Pöhlstädt, dem Marktflecken, zur Bahnstation, und hinauf gen Rudolstadt zum Behufe des Schröpfens. Und dann schickte die Schwester Karoline den Einspänner hinterher, der seine Uhr um eine halbe Stunde zurückgestellt hatte.

Den Regenschirm geschultert stürzte der lange, blonde Mann von dannen. Er hatte eine Zigarre angezündet, an der er wie an einem Zwieback kaute.

So holte er den alten Daniel ein, und sie lehnten, dann nebeneinander gegen die Barriere zur Seite des Weges.

»Die Schwester hat mich geschickt«, sagte der Einspänner, »ich soll mitgehe. Aber mer haben noch Zeit, das eilt noch nicht.« Mit der Uhr in der Hand belehrte er den alten Daniel, der friedlich ein wenig den Kopf rückte.

Es war ein wunderbarer Erntetag voll heißem, starken Sonnenschein. Eilfertig liefen die Frauen an ihnen vorüber zur Erntearbeit. Die Männer waren zumeist in den Fabriken und Werkstätten, die Frauen mußten die Ökonomie betreiben.

Sie sprachen beide vom Schröpfen.

Des Einspänners Stimme krähte ein bjßchen, die vom alten Daniel klang sacht und flach. Der Einspänner führte Gründe dagegen an, der alte Daniel Gründe dafür. Aber alles kam freundlich und einträchtig, ohne Zank und Hitze. Und dann sah der Einspänner nach der Uhr und sagte: »Ja, was ist das – wie lange sitzen wir hier – wir müssen lebendig werden …« Und kaum, daß sie sich in Gang gesetzt hatten, so pfiff unten der Zug daher, der sie schon hätte mitnehmen sollen.

»Verpaßt!« sagte der Einspänner und drückte die Brust heraus. »In Unterhaltungen därf ma sich nicht einlassen, ehe man am Ziele ist.« Und dann schlug er vor, umzukehren.

Davon wollte aber der alte Daniel nichts wissen. In drei Stunden gehe der nächste Zug, sagte er, den er abwarten werde.

Da er von seinem Vorhaben nicht abzubringen war, schlug der Einspänner weiter vor, sie wollten mitsammen in den Marktflecken hinein gehen, daselbst den Schuster aufsuchen und eine Bestellung von der Schwester Karoline ausrichten. Und als sie von ihrem Gange zurückgekehrt waren, sagte er, es wäre gescheit, wenn sie draußen ein bißchen umhertreten würden.

Zwei Minuten vom Bahnhof entfernt lockte ein Türbänkchen im Hausschatten. Da setzten sie sich nieder.

Sie sprachen ein bißchen von alten Tagen und neuen Tagen, vom Schuster und vom Schröpfen und von ihren Leibgerichten, und der Einspänner setzte eine neue Zigarre in Brand, als der alte Daniel schon in Schlaf versank. Sein Handstock lehnte neben ihm am Bänkchen, die großen faltigen Hände lagen auf beiden Knien, Friede der Seele, Erstaunen eines arglosen Kindes war über seine flachen Züge ausgebreitet.

Der Einspänner hatte seine langen Beine vorgeschoben. Wenn er sich vorbückte, streifte die Sonne seinen blonden Plüschkopf mit den eingestreuten weißen Haaren und seinen fahlen Schnurrbart, streifte die tausend und tausend Sommersprossen und die vielen Falten und Fältchen, die sein Gesicht bedeckten.

Die Sonne brannte. Die Luft war schwer und heiß. Die Ortsstraße lag verödet da in tiefem Frieden. Allmählich schlossen sich auch dem Einspänner die Augen.

Von einem gellenden Pfiff wurden die beiden Helden wach: Der Zug war eingefahren.

Nun fuchtelte der Einspänner mit seinen langen Armen umher und tobte mit seiner krähenden Stimme.

Der alte Daniel war verblüfft.

Er lief darauf los. Ehe er jedoch mit seinem braven Geleitsmann konnte zur Stelle kommen, war der Zug bereits abgefahren.

Der Einspänner drückte wieder die Brust heraus, und seine Zunge sprach wie folgt: »Itze müssen wir heim. Um Urlaub über Mittge (Mittag) haben wir nicht angefragt.«

Das sah der alte Daniel ein, und er gab ohne Umstände zu: »Freilich gegen die Hausordnung dürfen wir nicht verstoßen.«

Das Wort vom Schröpfen war zu einem verhexten Pfennig geworden. Jeder gab ihn weiter und behielt ihn doch in der Tasche. Wie ein Schnupfen war das Wort, der alle angesteckt hatte und zuletzt das ganze Altersheim durchseuchte. In der Küche, im Waschhaus, im Stübchen bei der Flickerin, überall wurde vom Schröpfen gesprochen. Dann auch im Eßzimmer, im Tagesraum, auf dem Hof, im Garten. Der Hofmeister hörte die Heuarbeiter darüber lachen und sich streiten; im Kuhstall und Schweinestall erzählten sie sich Schröpfgeschichten.

Es mischte sich sogar in die Träume ein. Ihrer etliche träumten, sie zögen in ihrer Heimat aus, um sich schröpfen zu lassen. Aber sie wurden nachher wach im Altersheim mit dem Tischchen-decke-dich, mit den geheimnisvollen Gelassen, aus denen ihre Wäsche blank hervorging, in denen Rock und Hose sauber hergerichtet wurden. Und der Pfennig kursierte weiter, und der Schnupfen nahm bedenkliche Dimensionen an.

Er drang auch in das Zimmer der Schwester Karoline, die mit ihrem Besuch, der Schwester vom Genesungsheim, beim Kaffee saß.

Also was ist nun vorgegangen? Wirklich, der alte Daniel ist wieder zum Schröpfen ausgewesen?

Das ist er, und zwar gleich am nächsten Tage, noch ehe eisernen Kaffee eingenommen hatte, zu wahrhaft nachtschlafender Frühe, um nur ja nicht wieder den Zug zu versäumen.

Und die Schwester Karoline hat wieder den Einspänner als Geleitsmann hinterhergeschickt?

Ach, wie schwer würde dem Vorstand oft das Leben gemacht werden, wenn nicht der Einspänner im Altersheim wäre! So ein beflissener und dankbarer Mensch mit allen Tugenden einer Vertrauensperson. Ja, die Schwester Karoline hatte den Einspänner wieder hinterhergeschickt. Der Auftrag hatte diesmal gelautet, daß er getrost mit dem alten Daniel abfahren möge. So viele Heilgehilfen er aber mit dem alten Knaben aufsuchen werde, so müsse er ihn dennoch ungeschröpft wieder in das Altersheim zurückbringen.

Und das Problem hatte der Einspänner gelöst?

Großartig gelöst.

Ja, aber wie denn, wie?

Die Heilgehilfen hatten einstimmig erklärt, daß sie ohne ärztliches Attest nicht schröpfen dürften.

Das ist ja aber kostbar! Wie hat er das denn angestellt?

Die Schwester Karoline lachte und zuckte die Achseln. Aber es war den beiden Schwestern gerade, als hörten sie den Einspänner also sprechen: »Hier is doch recht, wir möchten uns schröpfen lossen. Aber wir müssen vorausschicke, daß wir's Attest vom Doktor vergessen haben.«

Und sie sahen im Geist die lange Gestalt des Einspänners stehen, der seine Zeichen warnender Abwehr machte.

»Und am nächsten Tage?« fragt die Schwester aus dem Genesungsheim, und ihr vornehmes, ernstes Gesicht zuckt vom herzlichen Lachen.

Die Schwester Karoline deckt die Hand über die Augen und lacht ebenfalls. »Am nächsten Tage hat sich der alte Daniel zum dritten Male aufgemacht, wieder vor Tau und Tage, diesmal, um ein Attest einzuholen vom Arzt im Marktflecken.«

»Und was hat er gesagt, der Doktor?«

»Angeschnauzt hat er den alten Mann.«

»Und jetzt nun?«

»Jetzt liegt der alte Daniel krank zu Bett. Die langen Fußwanderungen drei Tage hintereinander haben ihn angegriffen. Er braucht doch wohl eine Stunde vom Altersheim bis zum Marktflecken. Vom Schröpfen hat er nicht wieder angefangen.«

»Ist nun wohl sehr niedergeschlagen; wie?«

»Behüte! Da es nicht durchzuführen war, so hat er sich still und heiter darein gefunden.« Die Schwester Karoline blickt zur Kirche hinüber. »Können Sie sich etwas Rührenderes vorstellen, als diesen stillen, heiteren Greis?« sagt sie zu ihrer Besucherin. »Ein Gedanke taucht in ihm auf wie ein Fisch, der an die Oberfläche des Wassers kommt. Im nächsten Augenblick ist er wieder verschwunden. Es ist ja schon so vieles wesenlos für ihn geworden. – Ja, was bleibt denn wesentlich bei fünfundachtzig Jahren?« unterbricht sie sich, »doch nur die Erinnerung an Recht und Unrecht in der eigenen Handlungsweise und die Hand des allgewaltigen Gottes, die auf das Kreuz des Erlösers deutet.«

Es wurde zum Abendessen geläutet. An allen Enden tauchten die alten Männer auf und eilten zum Speisesaal, tapernd und holprig die Siechen und Invaliden, im gemachen Schritt ihres Alltags die noch Lebenskräftigen und Strammen.

Nachher saßen sie dann mit dem Pfeifchen im Garten und auf dem Hof.

Allgemach kam die Dunkelheit. Da standen sie einer nach dem andern auf und gingen zur Ruhe.

 

Als die Schwester Karoline hausfraulich, in frischer Gelassenheit ihre Runde durch die Stuben machte, ob Betten und Waschtische in der gehörigen Ordnung seien, tauchte im langen Korridor plötzlich der Einspänner auf. Die Mütze hing im straffen Arm zur Seite herab. Mit seiner langen, mageren Gestalt stand er aufrecht da wie eine Gerte; sein nicht eben großes Gesicht aber war in stummem Jubel zusammengedrückt, so daß die langen, fahlen Schnurrbartenden bis an den Saum des Unterkiefers herunterhingen. Und er brachte heraus, der alte Daniel habe Zahnweh und spreche davon, sich den Zahn ziehen zu lassen.

»Kindliche Hartnäckigkeit«, dachte die Schwester Karoline und fing herzlich zu lachen an. Die Schnupfenepidemie im Altersheim war erloschen, der verhexte Pfennig war verschwunden. Der alte Daniel tappte seit etlichen Tagen in kindlicher Heiterkeit wieder mit seinem Handstock umher.

Die Schwester Karoline suchte den alten Daniel auf, der im Polsterstuhl im Tagesraum saß, und man hörte, als sie zu sprechen begann, einen kleinen, kurzen, humoristisch gefärbten Baß erklingen.

»Sie haben Zahnschmerzen, Daniel? Was muß ich hören.«

Der alte Daniel hatte sich aus dem Lehnstuhl aufgerafft und hatte sein Mützchen vom weißen Scheitel genommen. »Jo – jo – das is mir mächtig 'neingefohre.«

»Rheumatismus«, gab die Schwester Karoline zur Antwort.

Er machte den Mund ein wenig auf, als höre er nicht recht. »Nää«, sagte er sodann und schüttelte den Kopf, »den muß ich ausreißen losse.«

»Das ist aber unnötig, Daniel, und schade um den guten Zahn.«

Er stand da mit dem Mützchen in der Hand, hatte den Kopf seitlich gerückt und seine hellen, stumpfen Augen voll froher Zuversicht auf die Schwester gerichtet.

Es war ihm nicht auszureden. Die Gefahr tauchte auf, daß wieder ein verhexter Pfennig in Umlauf komme.

Die Schwester wurde vom Lachen und der Rührung erfaßt. Sie sah ein, daß sie dem alten Daniel seinen kleinen Blutabzug bewilligen müsse. Und sie gab dem Einspänner den Auftrag, er solle den Geleitsmann machen.

Als der Doktor die beiden Männer kommen sah, schrie er betroffen los: »Was soll's? Was gibt's? Etwa wieder ehr Attest?« Nein, nein, er solle nur dem alten Daniel einen Zahn ausziehen.

Er schimpfte, zog ab.er schließlich den Zahn doch aus, einen kerngesunden Burschen mit mächtiger Wurzel, einen Zahn aus dem Munde eines Fünfundachtzigjährigen, auf den ein Dreißigjähriger hätte stolz sein können.

Der alte Daniel verfolgte seinen kleinen Bluterguß mit hoher Befriedigung, betrachtete seinen Zahn von allen Ecken und steckte ihn in die Westentasche. Darauf sagte er nickend dem Arzt schönen Dank und zog mit dem Einspänner wieder heim.

Und mit einem Male fing er an, beredsam zu werden. Er erzählte, daß ihn seine Mutter, eine Witfrau, da er ein kleiner Junge von acht Jahren gewesen, zu zwei alten Damen ausgeliehen habe, wo er Wasser holen und die Stiefel habe putzen müssen. Mit zwölf Jahren sei er Laufbursche im Geschäft geworden, mit fünfzehn Jahren Arbeitsbursche. Hinterher habe er seinen Dienst bei den Pferden genommen, darin er über fünfzig Jahre verblieben sei. Geheiratet hatte er nicht. Er hatte lange Jahre für seine Mutter sorgen müssen. Zuletzt war er noch als eine Art Faktotum auf dem Hofe seines alten Herrn umhergewankt. Neben ihm her ging der Einspänner, der seinen Regenschirm geschultert hatte. Gelegentlich summte er ein wenig, sprach auch, wenn die Gedanken ihn allzu sehr bedrängten, ein paar Worte vor sich hin. Und plötzlich fing er an zu erzählen von seinem Aufenthalt in Australien.

 

Die Kaffeezeit war schon vorüber, als sie heimkamen. Im Hofwinkel sägten zwei alte Rentenempfänger Holz, andre kamen daher mit Spaten und Harke auf der Achsel zur Gartenarbeit.

Der alte Daniel tappte durch das Eßzimmer und setzte sich hinten auf den großen überdeckten Podest, der dem Hause angebaut ist.

Im Gemüsegarten wurde fleißig gearbeitet. An einer Seite des Schmuckgartens, in der haushohen gezimmerten Laube mit ihren verschiedenen Tischen und reichlichen Bänken saßen ein paar Faule, die ihre Zigarre rauchten. Auch im Verlauf des Gartens waren noch Bänke zum Ausruhen für die alten Männer angebracht. Und dann war hart an der Gartenmauer über eingeschlagenen Pfählen ein Brettersitz, der der Schwester Karoline gehörte. Wie sie vom Fenster ihres Wohnzimmers aus den ganzen Hof übersehen konnte, so hier den Garten vom Bänklein an der Mauer.

Da saß sie auch jetzt, die große, weiße Latzschürze über das graue Kleid gebunden, mit der Brosche an silberner Kette, dem Abzeichen der Oberschwestern, vorn am weißen Kragen. Ihre Fäuste lagen auf den Knien, ihre Augen, die von unvergleichlich schöner stahlblauer Farbe waren und einen jugendlichen Glanz bewahrt hatten, ihre Augen liefen gemach über die Beete und Steige, über die fleißigen Arbeiter und die Müßiggänger, und erschauten immer wieder den alten Daniel, wie er sich sonnte und mit seinem kindlichen Lächeln, das jetzt ein wenig vom Satten hatte, in den schönen Sommertag hineindämmerte.

Gelegentlich tastete er nach der Westentasche und zog den kerngesunden Zahn hervor, den er in stummer, freudiger Bewunderung betrachtete. Ganz sacht, ohne stürmische Sommerglut beschien ihn die liebe Sonne.

Just so war es im Altersheim. Just so ging die Schwester Karoline mit ihren alten Männern um. Sie brannte ihnen nicht auf den Pelz, daß sie unruhig wurden und die Fürsorge als etwas Bedrückendes empfanden.

Die Sonne war den westlichen Bergen nahegekommen. Blaß und hell lagen ihre Strahlen auf den Gartenwegen. Mit verklärendem, mondscheinhaften Licht umspielten sie so Haus und Laubenbau und umschwebten die Kronen der Bäume, ohne mehr tief zwischen die Äste hineinzudringen. Allmählich wurden sie kürzer und dunkler und waren um eine Weile verschwunden. – –

Will denn kein Maler seine Leinwand für mich aufspannen?

Er male mir ein langgestrecktes herrschaftliches Landhaus mit weißen Wänden und großem, aus bräunlichem Holz erbauten Podest. Zwei Stufen führen in den Garten hinab. Auf dem Podest sitzt ein alter Mann mit breiten Schultern und kurzen Beinen. Ein Ausdruck heitrer Einfalt ruht auf seinen stillen Mienen. Zu Füßen liegt der Garten mit Blumenbeeten und Rasenflächen, die von Strauchwerk unterbrochen werden.

Und am Ende des Gartens weilt die Schwester Karoline auf ihrem unbequemen Sitz.

Die letzten Sonnenstrahlen müssen vom Himmel fallen und über die Schwester gleiten. Die Sonnenstrahlen müssen so fallen, daß man die Sonne vergißt und statt dessen wähnt, diese warmen gleitenden Strahlen hätten ihren Ursprung in den schönen Augen der Diakonissin.


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