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30. Kapitel

U 233

Als Harm Ott in Wilhelmshaven ankam, fand es sich, daß er mit seinem Bruder nicht mehr auf demselben Schiff war. Es war da eine Veränderung eingetreten. Er fand ihn aber an andrer Stelle, und ging mit ihm in die Stadt und erzählte ihm sofort auf der Straße das Bekenntnis des Knechts und dazu auch die selige Freude der Mutter und die Not des Vaters. Danach erzählte er ihm auch, wie er alles übrige angetroffen hatte, und was er von Emma und Klaus und den Kleinen Gutes zu berichten hatte. »Und nun,« sagte er zuletzt, »scheint mir, kannst du dich in Altensiel wieder sehn lassen. Der Knecht und sie alle da sorgen dafür, daß die ganze Sache so bekannt wird, wie sie gewesen ist. Es hält dich also nun kein Mensch mehr für den Pfeifer.«

Bruder Eggert stellte sich, daß man fürchten konnte, er fiele hintenüber, und sagte ausbrechend und hochmütig – man hörte ordentlich die wilde Freude in seinen Worten: »Allerdings kann ich mich jetzt wieder sehn lassen! Ja, ich will mich sogar wieder sehn lassen! Sobald ich nur Urlaub bekommen kann, will ich hin! Ich will mich den Leuten zeigen, und will auch am Hof vorübergehn, den Siebenweg entlang! Aber weh dem Menschen, sage ich dir, der es wagt, mich anzureden oder mir auch nur zuzunicken! Ich werde die Augen aufreißen und ihn fragen: »Haben wir Schweine zusammen gehütet? Soviel ich weiß, nicht! Ich kenne dich nicht, und ich wünsche auch nicht, dich zu kennen!‹ Was ist an der Sache geändert, daß auch sie nun wissen, was ich immer schon wußte, nämlich, daß ich es nicht getan habe!? Das Schlimme, das Verruchte, das Unerträgliche, das Verrücktmachende ist, daß sie es geglaubt haben! Daß sie geglaubt haben, ich ... ich ... wolle meine Familie unglücklich und verächtlich machen ... ich ... ich!« Er wollte sagen: der für jeden einzelnen von euch siebenmal durchs Feuer gegangen wäre! Er schlug sich vor die Brust und war so laut und wild, daß sein Bruder ihn mit leiser Stimme bat, doch stiller zu sein, daß die Leute nichts merkten. »Ja, ja, ich will jetzt hin!« sagte er. »Ich will hin, sobald ich Urlaub habe, und will mich wie ein Steinpfahl vor der Kirche aufpflanzen, dicht an der Straße, vor der Kirche, daß sie sich an mir ärgern sollen, solange ich lebe!«

Harm schwieg traurig; es war völlig trostlos und dunkel in seiner Seele. Mutlos sagte er: »So ... dann ist da also nichts zu machen. Dann ist es mit dir und mit uns für alle Zeit unsres Lebens verschüttet, und es wäre das beste, wenn Gott es so machte, daß du überhaupt nicht zurückkämst ... Ich mache dir keinen Vorwurf, daß du so wild bist, daß sich alles in dir aufbäumt. Ich weiß, daß der Vater gräßlich an dir gehandelt hat. Grade dich, der das feurigste Herz hat, dich zu beschuldigen, daß du die Deinen verstören und zum Spott machen wolltest! Aber du mußt doch auch verstehn, Eggert, daß, so wie du überschnell und zuspringend bist, der Vater überungeschickt ist! Er ist seelisch unsicher, ja, sozusagen farbenblind. Er hat sich da eben verhauen! Wir sind alle Menschen.«

Eggert Ott hörte jetzt wenigstens an, was der Bruder sagte; ja, er konnte nun, da er vor jedermann schuldlos dastand, seinen bruder ansehn und mit ihm über die Sache reden. Also bekam sein Bruder seit Jahren zum erstenmal wieder den Strahl seiner herrischen Augen, als er zornig sagte: »War er mein Vater? Hatte ich siebzehn Jahre mit ihm im selben Hause gelebt? Also schweig! Meine Mutter will ich sehn ... ja, die will ich sehn! . .. Denn die hat immer an mich geglaubt, ganz selbstverständlich. Sie wußte, daß ich weiß war und nicht schwarz, daß ich ein Mensch war und kein Untier. Sie hatte das Gefühl in sich, in jeder ihrer Fingerspitzen! Ebenso Reimer ... aber der ist tot... Aber die andern? ... Zehn Schritt vom Leib oder ich schlag' ihnen den Schädel ein!«

»Nun ... ich bin auch noch da,« sagte sein Bruder, »und dann Höbke Suhl.«

»Ja, die auch.«

»Da kannst du hingehn, und Mutter kann dich da besuchen.«

»Ja, das kann angehn! ... So! ...Und nun laß uns von andern» reden! Käst du schon gehört... es werden in letzter Zeit viele Leute für U-Boote angefordert. Ob sie was Besondres damit planen, weiß ich nicht. Genug... du wirst natürlich deinen Posten nicht verlassen wollen; und ich möchte auch nicht, daß du es tätest. Aber ich... ich habe mich gemeldet und bin angenommen. Ich bin jetzt auf der U-Bootschule und mache den Schießkursus durch.«

Harm Ott sagte bedrückt: »Ich dachte, die Eltern hätten nun schon genug Angst: der eine gefallen und noch zwei zu Schiff, und der vierte im Feld ... aber ich kann dich verstehn.«

»Wer weiß,« sagte Eggert in seiner raschen vorspringenden Weise, um dem Gespräch ein Ende zu machen, »vielleicht fahren wir eines Tages mit hundert U-Booten nach Schottland hinauf, und brechen da in ihre Häfen und machen alles kurz und klein ... Genug, wenn wir denn noch weiterkämpfen müssen, so wird mir dies am besten gefallen.« Er atmete langsam und hoch auf.

Harm Ott freute sich über den neuen frischen Ton, den der Bruder in der Kehle hatte. Es war klar, daß es ihm mächtig gut getan, daß die Beschuldigung und das Mißtrauen nicht mehr zwischen ihm und den Menschen stand, daß nun eine reine, wenn auch zornige Sache geschaffen war. Es war dieser stolzen Seele offenbar ein schönes Labsal gekommen. ›Wer weiß,‹ dachte er in seiner mutigen Weise, ›vielleicht geht es nun weiter so: er wird so allmählich immer heller und gütiger werden; und es kommt doch noch alles zum Guten.‹

Also blieb Harm beim Admiral, und tat bei den Herren des Stabes seinen Dienst, und stand vor der Tür des Admirals, wo die Wache, das blanke Entermesser an der Schulter, auf und abgeht; und Eggert hauste in der U-Bootschule und im Mutterschiff, und stand im Innern des Turms, und riß das Luk auf und sprang ans Geschütz und griff nach den Kurbeln; hinter ihm stand, wie hingehext, der Kamerad, die Granate in der Hand ...

Und so kam der Winter 1916/17.

Dieser harte Winter ... da die Frauen in den großen Städten stundenlang in langen Reihen wartend vor den Läden standen und wenn's gut ging, mit einem kümmerlichen kleinen Einkauf, oft genug aber mit leerem Korb wieder heimkamen zu ihren Kindern ... da so viele Kinder so oft, so oft hungrig und weinend in ihren Betten lagen und die armen Mütter von Kind zu Kind gingen im Dunkeln, und ihre Köpfe strichen und mit heißem Schluchzen gute Worte sagten, die ihnen im Munde stecken blieben ... da neben den Ängsten um die Teuren draußen an den Fronten Hunger und Kälte durch das deutsche Volk ging, da ein Ekel über die ganze Menschheit, ja über die ganze Schöpfung durch unsre Seelen ging, die solch Morden unter Männern und solch Leid über die schuldlosen Kinder und Frauen zuließ ... da alle Herzen immer und immer das eine fragten: wann kommt das Ende? Wann scheint wieder die Sonne? Gott, wann ist wieder Leben Herr und nicht Wahnsinn?

Hätte das deutsche Volk kein reines Gewissen gehabt, so hätte es den Kampf aufgegeben. Aber das ganze deutsche Volk hatte ein reines Gewissen, ein jeder Mann, der Kaiser und seine Regierung und die Könige, und die Führer und alle Beamten, und die Bürger und Bauern und Arbeiter, und die Frauen und Kinder. Sie hatten alle ein reines Gewissen. Sie wußten alle: wir haben diesen Krieg nicht ersonnen, nicht gewollt, nicht vorbereitet, nicht angefangen. Gott im Himmel weiß es und wird einst über uns alle richten. Wir wollten den Frieden, Güte, Verständigung, Leben und Leben lassen. Aber die Führer Frankreichs und Rußlands glaubten an Zeichen und Wunder, die am Himmel und auf Erden erschienen wären – Zeichen und Wunder waren falsch –; und die Reichen Englands meinten, sie wären noch nicht reich genug, und konnten nicht ansehn, daß wir tüchtig und stark und reich wurden; und so kam der Krieg. Hätte das deutsche Volk ein schlechtes Gewissen gehabt, so hätte es das Schwert sinken lassen und hätte gesagt: ›Es ist genug des Todes und des Frauen- und Kinderweinens! Macht mit mir, was ihr wollt! Gott wird richten zwischen euch und mir.‹ Aber nun hatte das ganze deutsche Volk ein reines Gewissen. Und da mußte es weiterkämpfen. Es mußte! Denn das Gewissen, zumal das germanische, ist ein schrecklich Ding. Es ist stärker als alles; es ist fast stärker und trotziger als Gott und Gottes Macht.

Also kämpfte das deutsche Volk und seine Verbündeten weiter, auch in diesem Winter. Seine Männer lauschten und schlichen, gruben und bauten in den bitterkalten Nächten, standen in den verschneiten Gräben, wachten tief unten in Höhlen und Gängen. Seine Flotte, die tapfere, starke vom Skagerrak, fuhr hinaus auf die Nordsee ... es rauschten die blauen Wogen und hoben sich vor dem Bug ..., und seine kleinen Schiffe, die flinken Torpedoboote, Schaum überm Deck, jagten durchs nächtliche Meer und suchten den Feind. Und seine Frauen und Kinder ertrugen weiter Ängste und Entbehrung.

Aber so tapfer und tüchtig das deutsche Volk auch kämpfte, und so oft es auch siegte, nun schon fast drei Jahre lang ... es konnte immer noch nicht durchsiegen!

Es waren zu viele der Feinde. England, das stolze, das machtvolle, das lügen- und listenreiche, das von Ängsten gehetzte, verführte immer mehr Völker und jagte sie in den Kampf. Einem ungeheueren, edlen, rasenden Tiger gleich, die mächtigen Füße im wirbelnden Meer, wälzte es sich in seiner Kraft um die ganze Erde, und riß mit seinen rasenden Pranken die Erde und die Völker auf, daß sie mit ihm für seine Macht und seine Ehre und seine Meinung von der Welt kämpften.

Wer schafft ein Ende? Wer schafft ein Ende? Zwei germanische Gewissen gegeneinander ... eins, das alte, verstockte und verirrte, das von seinem Recht redet und meint sein Geld, und von Gott und meint seine Macht ... das andere, das junge, frische, kühne ... das ist der Tod der Menschheit! Wer schafft ein Ende? Wer bändigt den Tiger, daß er nachläßt, wer lähmt ihm die rasende Kraft? Wer nimmt ihm den Glauben und den Mut, daß er ewig siegen, raffen, rauben und herrschen und die Welt besitzen soll? Wer beweist ihm klar, daß es immer noch gegen Gottes Willen ist, daß eine einzige Art herrsche auf Erden, sondern daß er will, daß sie buntfarben bleiben soll, seinen Augen zu Gefallen, daß ihm ein Turm von Babel oder Rom immer noch nicht recht ist?! Daß die Völker nebeneinander und als Brüder miteinander leben sollen?!

Ah ... wie sie arbeiten! ... Sieh doch, wie sie arbeiten! ... Wie sie in den Werkstätten in München und Stuttgart, in Jena und Frankfurt an seinen Maschinen, an peinlich genauen Apparaten wägen und proben, beobachten und richten! Wie sie in den großen Hallen in Essen und Berlin, in Magdeburg und Köln schmieden und schweißen, biegen und bohren, hämmern und löten! Wie sie in den Häfen von Hamburg und Kiel, Danzig und Stettin fügen und passen, behorchen und proben, bemannen und ins Wasser lassen, heben lassen und sinken ... ein kleines Fahrzeug ... ein Spielzeug ... ein ... Niegesehnes ... ein Neues ... ein Wunderding des Menschengrübelns ... dreißig deutsche Männer darin ... nun ein Wunderding deutscher Treue!

Was treibt es in dem kurzen, kalten Wintertag, bei Nebel und Sonnenschein und tief in der kalten Nacht sein Spiel im Hafen?! Treibt und sinkt ... und liegt am Grund ... und jagt durch die Tiefe ... und hebt sich wieder ... und jagt vorwärts, in seinem Bauch die dreißig Mann, Schulter an Schulter? Was schleicht es in der dunklen Winternacht aus dem Hafen und strebt der Nordsee zu ... und da ... und da ... und dort noch einer ... und da ... es sind ja wohl mehr als hundert?! Wahrhaftig, wie sie so schweigsam, und so grau und glanzlos, und so schmal und bewegungslos dahingleiten ... wahrhaftig, jener hat recht gehabt ... das sind Ratten! ... Was wollen die Ratten? ... Was fahren sie hinaus zu hundert, hinter ihnen die wirbelnde See?

Nordöstlich der Themsemündung, in der Tiefe, die langen, rauschenden Wogen der Nordsee über sich, stehn die dreißig Mann in ihrer Maschine, jeder an seinem Posten in der heißen, fettigen Luft, hager geworden, die Augen tief in den Höhlen, die Kleidung öldurchtränkt, seit vierzehn Tagen unterwegs.

Vor vierzehn Tagen waren sie in einer sternklaren Nacht durch den Kanal gefahren, den Turm über Wasser, die drei Wachthabenden die Augen nach allen Seiten. Da hatte der Obermatrose plötzlich mit der Hand nach Südost gedeutet, wortlos ... still, mit klopfendem Herzen ... »Was ist das da, Herr Kaptnleutnant?« Da ... fern in Südost, am nächtlichen, blauen Himmel, flogen goldene Striche gen Himmel, wirr durcheinander ... immer zu ... immer zu ... »Was ist das, Herr Kapitänleutnant?« Horch ... es rollt Donner herüber ... Da hatte der Kapitänleutnant dem Obermatrosen auf die Schulter getippt und hatte leise gesagt: »Zu dreien herauf!« Und da waren sie heraufgekommen, immer drei nach drei; und er hatte zehnmal mit dem Arm hinübergewiesen; und hatte zehnmal immer mit derselben leisen, ruhigen, ernsten Stimme gesagt: »Die Front in Flandern! ... Und sie hatten hinübergestarrt, wortlos, atemlos, und waren wieder hinabgeklettert. In der Stunde hatten sie sich vorgenommen: sie wollten den Brüdern da helfen ... den Brüdern dort unter dem feurigen Streifen, unter dem Brüllen der Kanonen.

Der Kommandant, ein kleiner Mann mit bartlosem, scharfem Gesicht, ganz in Leder, steht im Turm, Schulter an Schulter neben ihm Wachtoffizier und Steuermann. Durch die Scheiben dringt ein grüner Dämmerschein, der rasch heller und heller wird; das Boot schaukelt stärker. Nun ist das Sehrohr heraus; der Kommandant sieht auf das Glas. Er ist einen Augenblick nicht im Bild. Es ist eine lange, hohe Dünung und noch früh am Morgen, und durch Wolken und Wellen bricht schräg ein erster Schein von Licht, und verwirrt das Ganze. Nichts zu sehn? Nein, nichts ... Doch da, im Westen ... vor der dunklen Wolke kaum zu sehn ... gar nicht mehr fern, ein Dampfer mit Kurs von England ostwärts.

Der Kommandant nennt den Kurs ... das Sehrohr verschwindet wieder ... das Boot wendet und fährt dem Dampfer entgegen, völlig weggetaucht ... ein Unsichtbares, ein Wesenloses ... ein Garnichts! ... Eine entsetzliche, furchtbare Waffe! Ein schrecklicher Feind!

Zwanzig Minuten ...

Der Kommandant läßt wieder auf Sehrohrtiefe gehn ... Vorsichtig ... das lange, gierige Auge reckt sich heraus.

Ja ... es stimmt.

Auftauchen! ... Geschützmannschaft klar!

Die vier Mann springen heran. Das Boot hebt sich. Das Luk stiegt auf. Die vier Mann springen heraus und stehn am wassertriefenden Geschütz und lösen die Zurrings.

»Fünfzig hundert! ...«

Eggert Ott steht gebeugt, die beiden Kurbeln in den Händen. Eine Welle rauscht kniehoch übers Deck.

»Feuer!«

Der Schuß kracht. Mit rasendem Sausen, Wind und Wogen überschreiend, heult die Granate übers Meer ... zu kurz!

»Einundfünfzig hundert!«

»Feuer!«

Die sitzt schon besser ...

Die dritte sitzt gut ... Mittschiffs, aus dem Wasser, schießt ein jäher heller Schein auf; Rauch steigt hoch. Er versucht abzudrehen, aber stockt. Der Schuß hat die Maschine getroffen.

Nun! ... nun feuert auch er! ...

Und schießt gut!

Auf ihn!... Der traf wieder! Wieder Mittschiffs! Splitter und Rauch gehn hoch.

Aber da kommt vom Turm der Ruf vom Kommandanten. Er hat im Westen, in rasender Fahrt heranschießend, zwei ... drei Torpedoboote gesichtet.

»Tauchen!«

Die Zurrings fest ... Eine Granate des Feindes heult noch eben über sie weg ... Mit raschem Sprung in den Turm hinab ... eilig durch die Räume ...

Das Boot sinkt. Weggetaucht fährt es mit höchster Kraft auf den Dampfer zu, der schief, aber noch schwimmfähig auf der Stelle liegt. Lange Minuten vergehn.

Tausend Meter ...

Acht hundert ...

»Torpedo klar! ...«

Eggert Ott steht schon am Sprachrohr.

Da sind schon die Kommandos. Er ruft sie weiter.

»Los! ...«

Ein Ruck geht durch das Boot ... ein Zittern der Länge nach ... sie stehn alle ohne Bewegung, atemlos ... die Augen liegen tiefer noch in den Höhlen ... Ist das nicht mehr als fünfzig Sekunden? ... wie quälend das ist! ... wie quälend ... ach, wenn doch! ... Da! Ein schwerer metallischer Klang dringt zu ihnen herüber ...

Nun hinunter in die Tiefe ... Schnell! Schnell!

So! ... Nun sind sie in Sicherheit!

Der Kommandant gibt den neuen Kurs. Die Geschützmannschaft erzählt, was sie erlebt. In Eggert Otts Augen brennt die Erregung.

Der Maschinist fragt: »Wie groß war er, Herr Kaptnleutnant?«

Der Kommandant steht schon über dem Lloydregistgebeugt: »Oh, so ... viertausend ... warten Sie ... da ist er schon! ... hier ... die Colchester von der Lerwicklinie ... hat wohl Lebensmittel holen sollen von Dänemark ... viertausend zweihundert.«

»So! ... Die haben sie denn also wenige« ...«

»Was gibt's zu Mittag, Koch? ...«

»Sie schossen aber gut!«

»Ich habe noch einen zweiten Schuß gehört von der andern Seite ... ganz deutlich ... gleich nachdem unser Torpedo gesessen hat ...«

»Ja ... ja ... ich auch! ...«

»Das war der erste Schuß von den Zerstörern.«

»Na ... wir kamen noch zur rechten Zeit unter Wasser!«

Vierzig Minuten lang sind sie unterm Meer verschwunden. Dann tauchen sie vorsichtig auf Sehrohrtiefe auf. Der Kommandant sieht in den Spiegel ... Ja, da liegt er ... mit starker Schlagseite ...

»In zehn Minuten ist er weg. Die Mannschaft ist schon über die Reling.«

Das Sehrohr verschwindet wieder.

Eine Stunde lang fahren sie wieder unter dem Meere, völlig weggetaucht. Wo sind sie? Ja, wer kann das sagen? Was sind sie? Ein wesenloses Ding, ein Nichts ... ein Garnichts.

Wie weit ist das Meer! Wie schön gehn die Wogen! Wie glücklich ist England! O, England! O, England! Wie groß und reich und mächtig bist du...

Wohin, Käpt'n?

Nach Folkestone! ... Nach Harwich! ... Nach London! . .. Mit Öl von Boston! ... Fischbeladen von Bergen nach Hull! Ein leichter Kreuzer auf der Fahrt von Scarborough nach Dover! Alle Engländer? Alle Engländer! ... Wer hat die meisten Schiffe? ... Wem gehört das Meer? ... Wer sieht hochmütig über Meer und Länder? ... O, England! O, England!

Das Meer ist unruhig und das Schiff tief beladen: vorn Grubenholz, hinten russischer Roggen. Es legt sich schwer und schwankend in jedes Wellental, und wenn es aus dem Tal herausbricht, dann stürmt vom vorm Bug, wohl zehn Meter hoch, gelbweißer Gischt empor. >Aber wir machen doch zwölf Knoten, und heute abend sind wir am Pier von Harwich. Wir kamen immer ... wir kamen immer an den Pier von Harwich, und trinken einen Grog im London Hotel und sitzen nachher noch in der Kneipe von Jackson. Immer!! ... Wenn nur das verdammte Geschütz am Heck nicht wäre ... das verdammte Geschütz, das einen immer wieder erinnert ... immer wieder erinnert ... daß ...< Der alte Kapitän auf der Brücke, ein großes, etwas altmodisches Glas in der Linken, schüttelt den Kopf. Seine Augen sind übernächtig, seine Hände zittern von Übermüdung. Wer ihm das gesagt hätte, daß er, ein englischer Kapitän, sich auf dem Meer fürchten müsse! Auf dem Meer, das England gehört, so lange er und seine Väter denken konnten! Da ... was ist das? Da ... an Steuerbord! ... Er beißt die Lippen zusammen und wird blaß. Die ganze Mannschaft – sie hat seit vorgestern, seit sie Christiania verließen, kein Auge zugemacht, und ist wirr, verängstigt, übermüde – starrt südwestwärts, wo der Dampfer, der noch eben ruhig und klar lief, plötzlich, in Rauch gehüllt, still und tot liegt. Und nun scheint Feuer durch den Rauch; und fern über die Wogen kommt ein Stoß und ein Ruck.

Sie vergessen einen Augenblick die Wache. Die schmerzenden Augen, überwacht und überangestrengt, starren auf den fernen Feuerschein.

»Wir machen doch zwölf Meilen, Steuermann?«

»Jawohl, Kap'tän ... zwölf Meilen.«

»So ... so ...«

»Das Glas Grog im London Hotel wird uns diesmal schmecken, Kap'tän.«

»Ja ... ja! In fünf Stunden sind wir ...« Er wollte sagen: ›in Sicherheit,‹ schämte sich aber, es zu sagen, und sagte noch einmal: »dann sind wir ...«

In dem Augenblick brüllt der Koch, der mit einer Tasse Tee die Brücke betritt, daß es wie ein Schuß von einem Ende des Schiffs zum andern hallt: ... » There ... ooh ... ooh...« und deutet mit der Hand übers Heck.

» Damned ... Fire! Fire!«

Der Engländer ist etwas früher da ... Es sind etwa dreißig hundert ... Seine erste Granate saust dicht über Eggert Otts Kopf und schlägt keine zwanzig Meter vom Heck ins Wasser ... ein Strich weißklaren Wassers brodelt und springt auf wie ein Quell. Am Gestänge festgehakt steht er, gebeugt, die Kurbeln in den Händen, bis an die Knie im wirbelnden Wasser ...

»... ist eingestellt ...«

»Feuer!«

Der Schuß sitzt ... es ist kein Kunststück. Die Brücke des Engländers brennt lichterloh; es sieht aus, als wenn da eine zerrissene rote Fahne steht, von heftigem Wind gezerrt.

Da ... unterm Heck getroffen! ... Er hat sein Teil! ...

Verdammt ... wie gut er schießt!

»Schnell tauchen! Schnell!« ... Daß sie dem wütenden Feuer entgehen!

Eggert Ott langt mit der rechten Hand nach der Geschützreling, sich loszuhaken ... Nummer zwei, früher fertig, springt eben an ihm vorbei ...

Da kommt noch eine Granate, wohl die letzte von seinem Bord ... Weh, die trifft! ... O weh, wir sind hin! ... Das ist der Tod!

Nummer zwei, neben Eggert Ott, fliegt zur Seite, wie wenn ein zerrissener Mantel durch die Luft fährt. Nummer drei, Eggert Ott, schlägt hart gegen die Reling ... Die beiden Offiziere, vom Luftdruck gegen die Turmwand geschleudert, reißen sich wieder hoch, rufen um Hilfe für den Gestürzten; zwei Mann springen aus dem Turm, fassen und schleppen Eggert Ott herein und ziehen ihn hinab; die Luke schlägt zu; das Boot taucht weg.

Achtundzwanzig Männer horchen atemlos. Noch ein dumpfer Schlag, wie aus einer andern Welt. Nun sind sie in Sicherheit, im Schoße des Meeres.

»Was war es? Wo? ... Ist Behrens tot?«

»Ott auch?«

Der Bootsmannsmaat, dem die Nase plötzlich blaß und spitz geworden ist, kniet über Eggert Ott und reißt immer mehr schneeweiße Watte aus dem aufgerissenen Kasten. »Der rechte Arm ist ganz zerrissen ... gleich an der Achsel ... Herrgott, was hat der Mensch für lebendiges Blut! ... Er muß rasch in ordentliche Behandlung, Herr Kaptitänleutnant!«

Der Kommandant, der sich auch über ihn gebeugt hat, richtet sich mit einem Ruck auf und ruft dem Steuermann zu: »Südsüdost, Steuermann ... mit aller Kraft! ... Es ist ein rascher uno braver Mann.«


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