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1914

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An Hermann Struck

Wien IX, Berggasse 19, 7. November 1914

Hochgeehrter Herr

Ich habe mit Bewunderung gesehen, wie ernsthaft Sie die Arbeit an meinem Konterfei nehmen. Wahrscheinlich ist dies die Art, wie Sie überhaupt arbeiten.

Auf Ihre versprochenen Bemerkungen zum ›Moses‹ bin ich sehr gespannt. Da sie bisher nicht eingetroffen sind, will ich die Rücksendung der Probedrucke und diesen Brief nicht länger aufschieben. Ehe ich noch Ihre Äußerungen kenne, will ich mich beeilen auszusagen, daß ich den Grundfehler meiner Arbeit gut kenne. Er liegt im Bestreben, den Künstler rationell zu erfassen wie einen Forscher oder Techniker, während er doch ein Wesen besonderer Art (ist), erhaben, selbstherrlich, verrucht, zeitweilig recht unbegreiflich.

Ein Büchlein über Leonardo da Vinci, das ich geschrieben habe, muß gerade nicht für Ihren Geschmack sein. Es setzt voraus, daß man an homosexuellen Themen keinen Anstoß nehme, und daß man mit den krummen Wegen der Psychoanalyse recht vertraut sei. Es ist übrigens auch halb Romandichtung. Ich möchte nicht, daß Sie die Sicherheit unserer sonstigen Ermittlungen nach diesem Muster beurteilen. Eine Kleinigkeit, die wenigstens in die Nähe einer anderen Kunst kommt, sende ich Ihnen gleichzeitig unter Kreuzband.

Nun gehe ich an die kritischen Bemerkungen, die Sie von mir verlangen (die meiner Frau und anderer dabei mitverarbeitet). Sie sind mir nur durch Ihre Äußerung ermöglicht worden, daß wir unserer Inkompetenz versichert sein dürfen. Sonst getraute ich mich überhaupt keiner Kritik. Der Allerinkompetenteste bin ohne Zweifel ich selbst. Wenn Sie trotzdem hören wollen, so nehmen Sie Folgendes gnädig hin. Die Radierung finde ich eine reizende Idealisierung. So möchte ich aussehen und bin vielleicht auf dem Wege dazu, aber jedenfalls auf dem Wege steckengeblieben. Sie haben das Ruppige und Eckige in Abgerundetes und Welliges übersetzt. Ein Eindruck von Unähnlichkeit ist meines Erachtens durch etwas Nebensächliches hineingekommen, durch die Behandlung der Haare. Sie haben mir die Abteilung auf diese Seite verlegt, während ich sie nach dem Zeugnis der Lithographie auf der anderen trage. Ferner läuft der Haaransatz an der Schläfe bei mir eher nach vorn konkav. Sie haben ihn durch Abrundung sehr verschönert...

Sehr wahrscheinlich liegt diese Korrektur in Ihrer Absicht. Die Radierung empfinde ich also als große Auszeichnung. Sie gefällt mir bei jedem Ansehen besser.

Zur Lithographie habe ich ein unfreundlicheres Verhältnis. Das Jüdische in dem Kopf hat meine volle Zustimmung, aber etwas anderes hat mich fremd angemutet. Ich fand heraus, es war die übertriebene Öffnung des Mundes, die Vorstreckung des Vollbarts und der Vorsprung an seiner äußeren Kontur. Bei der Forschung, woher diese Züge kommen mögen, fiel mir die schöne, bösartige Orchidee ein, die Orchibestia Karlsbadiensis, die wir miteinander geteilt haben. Das ergäbe also eine Mischfigur, wie es in der ›Traumdeutung‹ heißt, von Jud und Orchidee!

Jetzt bin ich mit meinen Bemerkungen zu Ende und darf mich wieder ganz Ihrem Wohlwollen empfehlen. Für die Zusendung der vollendeten Blätter werde ich Ihnen sehr danken, in einer vorläufig ohnmächtigen Dankbarkeit.

Vielleicht hätten wir unser Beisammensein in Karlsbad anders ausgenützt, wenn wir die Plötzlichkeit seiner Beendigung und die Unwahrscheinlichkeit seiner Wiederholung geahnt hätten.

Ich soll Ihnen noch die besten Grüße von meiner Frau ausrichten, an die ich die meinigen anschließe.

Ihr sehr ergebener
Freud


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