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1931

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An Stefan Zweig

Wien IX, Berggasse 19, 7. Februar 1931

Sehr geehrter Herr Doktor

Ich habe Ihr letztes Werk erhalten und von neuem gelesen, diesmal natürlich mit mehr persönlicher Anteilnahme als an Ihren früheren fesselnden Produktionen. Wenn ich Ihnen meine Eindrücke in kritischer Weise mitteilen darf, möchte ich sagen: am meisten harmonisch, gerecht und vornehm erschien mir der Mesmer. Ich denke auch wie Sie, daß das eigentliche Wesen seines Fundes, also der Suggestion, bis heute nicht festgestellt ist, und daß hier Raum für etwas Neues bleibt.

An der Mary Baker-Edd stört mich, daß Sie die Intensität so sehr herausgearbeitet haben. Diese imponiert unsereinem, der den pathologischen Gesichtspunkt nicht loswerden kann, viel weniger. Wir wissen, daß der Tobsüchtige im Anfall Kräfte entbindet, die ihm normalerweise nicht zu Gebote stehen. Das Verrückte und das Frevelhafte der Begebenheit mit Mary Baker-Eddy kommt in Ihrer Darstellung nicht zur Geltung, auch nicht das unsäglich Betrübliche des amerikanischen Hintergrundes.

Daß einem das eigene Portrait nicht gefällt, oder daß man sich in ihm nicht erkennt, ist eine gemeine und altbekannte Tatsache. Darum eile ich, meiner Befriedigung Ausdruck zu geben, daß Sie das Wichtigste an meinem Fall richtig erkannt haben. Nämlich, daß soweit Leistung in Betracht kommt, diese nicht so sehr Sache des Intellekts als des Charakters war. Das ist der Kern Ihrer Auffassung, und das glaube ich auch selbst. Sonst könnte ich es beanstanden, daß Sie das kleinbürgerlich korrekte Element an mir allzu ausschließlich betonen, der Kerl ist doch etwas komplizierter; zu Ihrer Schilderung stimmt nicht, daß ich doch meine Kopfschmerzen und Müdigkeiten gehabt habe, wie ein anderer, daß ich leidenschaftlicher Raucher war (ich wollt ich war es noch), der der Zigarre den größten Anteil an seiner Selbstbeherrschung und Ausdauer in der Arbeit zugestand, daß ich bei aller gerühmten Anspruchslosigkeit viel Opfer für meine Sammlung griechischer, römischer und ägyptischer Antiquitäten gebracht und eigentlich mehr Archäologie als Psychologie gelesen habe, daß ich bis zum Krieg und einmal nachher wenigstens einmal im Jahr für Tage oder Wochen in Rom sein mußte, und dergleichen. Ich weiß von der Kleinkunst her, daß das Format den Künstler zu Vereinfachungen und Weglassungen nötigt, aber dann entsteht leicht ein falsches Bild.

Ich gehe wahrscheinlich nicht irre in der Annahme, daß Ihnen der Inhalt der psychoanalytischen Lehre bis zur Abfassung des Buches fremd war. Umsomehr Anerkennung verdient es, daß Sie sich seither so viel zu eigen gemacht haben. An zwei Stellen kann man Sie kritisieren. Sie erwähnen fast gar nicht die Technik der freien Assoziation, die vielen als die bedeutsamste Neuerung der Psychoanalyse erscheint, der methodische Schlüssel zu den Ergebnissen der Analyse ist, und Sie lassen mich das Verständnis der Träume vom Kindertraum her gewinnen, was historisch nicht zutrifft, nur in didaktischer Absicht so dargestellt wird.

Auch Ihr letzter Zweifel, ob sich die Analyse zur Ausübung für gewöhnliche Menschenkinder eignet, führt sich auf solche Unkenntnis der Technik zurück. Zur Zeit da das Mikroskop ein neues Instrument in den Händen des Arztes war, konnte man in den Handbüchern der Physiologie lesen, welche selten vorhandenen Eigenschaften der Mikroskopiker zu besitzen verpflichtet sei. Dieselben Anforderungen stellte man später an den Chirurgen, heute lernt jeder Student mikroskopieren, und gute Chirurgen werden in Schulen gezüchtet. Daß es jeder nicht gleich gut macht, dagegen gibt es auf keinem Gebiet Abhilfe.

Mit herzlichen Grüßen in Ihre Ferien
Ihr Freud

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An Max Schiller

Wien IX, Berggasse 19, 26. März 1931

Lieber Herr Doktor

Es ist ein so interessantes Erlebnis, daß ich meine Theorien gegen Mme. Yvette und Onkel Max verteidigen soll. Ich wollte nur, es ginge anders als schriftlich, trotz meiner schlechten Sprache und abnehmenden Gehörs.

Und wirklich, ich habe gar nicht die Absicht, Ihnen viel nachzugeben, über das Geständnis hinaus, daß wir so wenig wissen. Sehen Sie zum Beispiel, da war in den letzten Tagen Charlie Chaplin in Wien, beinahe hätte ich ihn auch gesehen, aber es war ihm zu kalt, er ist eilig abgereist. Er ist unzweifelhaft ein großer Künstler, gewiß, er spielt immer nur eine und dieselbe Figur, den schwächlichen, armen, hilflosen, ungeschickten Jungen, dem es aber am Ende gut ausgeht. Nun glauben Sie, daß er für diese Rolle an sein eigenes Ich vergessen muß? Im Gegenteile, er spielt immer nur sich selbst, wie er in seiner trübseligen Jugend war. Er kann von diesen Eindrücken nicht loskommen und holt sich heute noch die Entschädigung für die Entbehrungen und Demütigungen jener Zeit. Er ist sozusagen ein besonders einfacher, durchsichtiger Fall.

Die Idee, daß die Leistungen der Künstler intern bedingt werden durch ihre Kindheitseindrücke, Schicksale, Verdrängungen und Enttäuschungen, hat uns bereits viel Aufklärung gebracht und wird darum von uns hoch gehalten. Ich habe mich einmal an einen der Allergrößten gewagt, von dem leider nur zu wenig bekannt ist, an Leonardo da Vinci. Ich konnte wenigstens wahrscheinlich machen, daß die ›Heilige Anna selbdritt‹, die Sie ja täglich im Louvre besuchen können, ohne die eigentümliche Kindheitsgeschichte Leonardos nicht verständlich wäre. Manches andere möglicherweise auch nicht.

Nun werden Sie sagen, Mme. Yvette hat aber nicht eine einzige Rolle, sie spielt mit gleicher Meisterschaft alle möglichen Figuren: Heilige, Sünder, Kokette, Tugendhafte, Verbrecher und Naive. Das ist wahr und beweist ein ungewöhnlich reiches und anpassungsfähiges Seelenleben. Aber ich würde nicht verzagen, dies ganze Repertoire auf die Erfahrungen und Konflikte ihrer Jugendjahre zurückzuführen. Es wäre verlockend, hier fortzusetzen, aber etwas hält mich zurück. Ich weiß, daß unerwünschte Analysen Unwillen hervorrufen, und möchte nichts tun, was die herzliche Sympathie stört, die unsere Beziehung beherrscht.

Mit freundschaftlichem Gruß für Sie und Mme Yvette

Ihr Freud

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An Romain Rolland

Wien, Mai 1931

Verehrter Freund

Sie haben meinen Scherz mit den kostbarsten Auskünften über Ihre eigene Person beantwortet. Reichen Dank dafür!

So nahe dem unvermeidlichen Lebensende, durch neuerliche Operation daran gemahnt, und da ich Sie kaum je wiedersehen werde, darf ich Ihnen gestehen, daß ich die geheimnisvolle Anziehung von Mensch zu Mensch kaum je so lebhaft verspürt habe, wie bei Ihnen, vielleicht mit der Erkenntnis all unserer Verschiedenheiten irgendwie verknüpft.

Leben Sie wohl!

Ihr Freud


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