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1925

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An Julius Tandler

Wien IX, Berggasse 19, 8. März 1925

Verehrter Herr Professor

Dr. Th. Reik, einer meiner bestausgebildeten nichtärztlichen Schüler, teilt mir mit, daß ihm vom Wiener Magistrat mit Verfügung vom 24. Februar 1925 die Ausübung der psychoanalytischen Praxis untersagt wurde.

Ich gedenke einer Unterhaltung mit Ihnen über diesen Gegenstand, welche eine mir sehr erfreuliche Übereinstimmung unserer Anschauungen ergab. Sie schienen meine Äußerung beifällig aufzunehmen, daß »als Laie in der Psychoanalyse jeder zu betrachten ist, der nicht eine befriedigende Ausbildung in der Theorie und Technik derselben nachweisen könne«, gleichgültig, ob er ein ärztliches Diplom besitze oder nicht.

Die Begründungen in dem Schriftstück des Wiener Magistrats scheinen mir gewichtige Einwendungen zuzulassen. Sie setzen sich vor allem über zwei nicht zu verleugnende Tatsachen hinaus, erstens, daß die Psychoanalyse weder als Wissenschaft noch als Technik eine rein ärztliche Angelegenheit ist, zweitens, daß sie den Studenten der Medizin an der Universität nicht gelehrt wird.

Ich erblicke in der Verfügung des Magistrats einen unberechtigten Übergriff zugunsten der ärztlichen Standesinteressen, zum Schaden der Kranken und der Forschung.

Das therapeutische Interesse bleibt gewahrt, wenn dem Arzt die Entscheidung vorbehalten ist, ob ein bestimmter Fall dem psychoanalytischen Verfahren unterzogen werden darf oder nicht. Solche Entscheidungen habe ich selbst in allen Fällen von Dr. Reik getroffen. Ich nehme mir ja auch das Recht, einen Patienten, der an Gehmüdigkeit und Fußschmerzen leidet, zum orthopädischen Schuster zu schicken, anstatt ihm Antineuralgica und Elektrizität zu verordnen, wenn ich bei ihm die Diagnose auf Plattfuß stellen kann.

Wenn die offiziellen Stellen, denen die Psychoanalyse bisher so wenig zu danken hatte, diese nun als einen wirksamen, unter Umständen gefährlichen Eingriff anerkennen wollen, so mögen sie Garantien dafür schaffen, daß solche Eingriffe nicht leichtfertig von Unkundigen – ob Ärzte oder nicht – vorgenommen werden. Ein solches Aufsichtsorgan wäre in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung ohne Mühe zu konstituieren.

Ich bitte Sie, Herrn Dr. Reik eine Unterredung in seiner Sache zu gewähren. Er ist auch Überbringer einer kürzlich veröffentlichten ›Ergographie‹ von mir.

In vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener Freud

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An Lou Andreas-Salomé

Wien IX, Berggasse 19, 10. Mai 1925

Liebste Lou

Sonntagnachmittag und Stille! Am Vormittag habe ich mit Hilfe von Anna und Maschine die infolge meiner verjährten Unvorsichtigkeit aufgelaufenen Briefschulden erledigt, und (nun) kann ich Ihnen danken und mit Ihnen plaudern.

Zuvor danke ich noch Ihrem lieben alten Herrn für seine liebenswürdigen, dem Unbekannten gespendeten Zeilen. Möge es ihm gut gehen, so lange es ihm noch selbst gefällt.

Mir gefällt es nicht mehr intensiv genug. Eine Kruste von Unempfindlichkeit umzieht mich langsam; was ich klaglos konstatiere. Es ist auch ein natürlicher Ablauf, eine Art des Beginns, anorganisch zu werden. Die »Abgeklärtheit des Alters« heißt man es, glaube ich. Es muß wohl mit einer entscheidenden Wendung in der Relation der beiden von mir supponierten Triebe zusammenhängen. Die Änderung dabei ist vielleicht nicht sehr auffällig, alles ist interessevoll geblieben, was früher so war, auch die Qualitäten sind nicht viel anders, aber es fehlt irgendein Nachhall; ich unmusikalischer Mensch stelle mir so den Unterschied vor, ob man das Pedal tritt oder nicht. Der nie aussetzende sensible Druck einer Unmenge lästiger Sensationen muß diese sonst vielleicht vorzeitige Situation, diese Disposition, alles sub specie aeternitatis zu empfinden, beschleunigt haben.

Sonst existiere ich eigentlich noch erträglich. Glaube sogar, etwas für unsere Dinge Fundamentales gefunden zu haben, was ich noch eine Weile für mich behalten will. Eine Entdeckung, deren man sich eigentlich schämen müßte, denn solche Verhältnisse sollte man von Anfang an erraten haben und nicht erst nach dreißig Jahren auffinden. Ein neuer Beweis, daß überall mit Wasser gekocht wird...

Daß die Absichten, ein Wiedersehen herzustellen, so ungünstig verlaufen, ist nicht recht. Nach Homburg werde ich sehr wahrscheinlich nicht kommen, aber ich werde darauf bestehen, daß Anna hingeht, und dann sollte sie Sie dort treffen. Über die Einzelheiten unserer Existenz werden Sie ja fortlaufend unterrichtet.

Mit herzlichem Gruß
Ihr Freud


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