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Wetter und Klima.

A

 

ls der Fürst des Tales schaut das Wätterhoren in seiner ganzen Stattlichkeit auf das Dorf und dessen Umgebung herunter — vom Fuß zum Haupte ein Paradestück. Aus je größerer Ferne aber der Blick zu ihm hinan schweift, desto mehr wandelt sich ihm die imposante Höhe der Westfront in die Länge des bloßen Oberbaues, der sich behaglich gegen Südost erstreckt und am fernen Horizont sich die kühn aufstrebende, breite Felsenmauer des Bärglistocks aufsetzt. Das Großartige tauscht sich damit mehr und mehr an das Anmutige, das Vertrauliche und Vertraute. Dem Bauern, dem Älpler, dem Hirten zumal des Lütschentals scheint der Berg gerade aus der größern Ferne menschlich näher zu treten und setzt sich mit ihm in enge Beziehung als vielsagender und fleißig beratener Wetterprophet.

Deutlicher als andere Berge redet er schon mit der mächtig ausgedehnten Flanke seines Gletschers, worunter (vgl. S. 56) nicht bloß der obere Grindelwaldgletscher, sondern noch vielmehr dessen ganzes Firngebiet verstanden ist. Wenn dieser «Gletscher» sich bis zu intensivem Dunkelgrau trübt, de nn cha nn mu̦ nid määjjen! Denn es ist Föhn im Spiel, und in einem bis drei Tagen würde das Heu verregnet werden. Ebenso bewirkt der Föhn, daß d’Wätterlouina am Morgen niederfährt, worauf es unfehlbar leid tued. Chu̦nnd s’ am Aaben d, su̦ schëënneds oder tolled’s dagegen. Viel summarischer prophezeit der Eiger. We nn d’Schloßlouina chunnd, su̦ tued’s schon umhi leid; und wenn die Abbrüche des untern Gletschers über dem Ende der neu eröffneten Lütschinenschlucht bis zehnmal an einem Tage hinunterdonnern, su̦ reised’s e n Fehnd an.

149 Ähnlich steht’s mit Nebel und Wolken als Wetterzeichen. Ungleich den Voralpenstöcken des Pilatus (2133 m), des Niesen (2366 m) und selbst noch des Titlis (3239 m), deren «Hut» das Wetter als «gut» vorausverkündet, deuten Wetterhorn, Eiger, Tschuggen und Männlichen bei Ausstattung mit einem schwarz und dicht vom Gipfel herunterhängenden Tschä̆bihuet auf ungünstigen Wetterumschlag. Der Eiger en Huet, tued d’s Wätter nid gued. Mit seiner Höhe (3974 m) und der Eigenart seines Aufbaues trotzt namentlich er dem Wätterdị̈ị̈tsch des Voralpengebiets. Der Kenner blickt auch schon scharf auf die Nebel oder Wolkenzüge, die den «Hut» abgeben werden. Wenn vom Tunnelloch der Jungfraubahn her ein Wölklein dï̦r ch d’Wätterchä̆hla oder d’Wätterchella (vgl. S. 15) aufsteigt und wenn es zugleich hind’r dem Eiger grad ueha trịịbd, so hat der Kundige der Anzeichen genug. Am Wetterhorn aber gestalten sich dieselben viel mannigfaltiger, abgestufter, nuancenreicher. Das liegt schon an seiner dem Tal zugekehrten offenen, breiten, weithin überschaubaren Westfront und seiner dem Eiger nachstrebenden Gipfelhöhe (3703 m). Hieher schaut vorzugsweise das forschende Auge und gsehd am liebsten nịịd: am Wätterhore n soll der Luft stilla sịịn! Fahren von ihm getriebene Nebelfetzen und am Berg ausgehängte Wolkenfahnen nur leise, kaum bemerkbar, hin und her, so läßt ein Wetterumschlag wohl noch drei Tage auf sich warten; je rascher aber die Bewegung, desto schleuniger der Anzug des Wätters. Auch die Konsistenz der Dunstgebilde redet ihr Wort: dünner, bịịsiga Nä̆bel ist schoondliha, dicker dagegen rä̆ge̥lliha, oder wie der Lütschentaler sagt: wätterliha. Dazu kommt natürlich die Windrichtung. Wenn der Nebel um die untern Partien der Bergwand lsó gfĕßled umha schlịịchd u nd si chlsó i n d’Chrinni inhi leid, so wird das ebenso ungern gesehen, wie wenn sich ein Nebelstreif langgezogen, lengsche̥locht gegen das Faulborn hin bewegt. Denn da erhält auch der Wetterhorngipfel bald seine Hueti oder Hïete̥ni aufgesetzt, welche mitten im schönsten Wetter baldigen Regen anzeigen. Auch nur e n bschwäärliha Luft, e n Fehndluft ist es, der gegen die große Scheidegg hin trịịbd. Noch zwei, drei Tage kann er schönes Wetter garantieren; aber nachher tued’s den n ụụs oder lëësd den n ụụs! Schëënn old wị̈est kann der jedenfalls immer kalte Wind bringen, der umgekehrt vom Hasli her weht; entschieden schönes Wetter sendet bloß der Wind, der gegen Wetterhorn und Eiger hinweht.

Der so vieles sagende Wetterberg gibt aber die Bedeutung seines Namens nicht bloß solcher vorausrechnenden Beobachtung zu würdigen, sondern auch der eindrucksvollen Erinnerung zu kosten ( S. 5). Wegen 150 seiner Isoliertheit ein rechter Sammler von Ungewittern, hat er mit Blitzschlägen auch Schicksalsschläge in manch eines Führers und Touristen Haus hinein versetzt.

Als Wetterberg deutet man auch das Lauterbrunner Kanzel- oder Wetterhorn (Vorstufe des Tschingelhorns). 1 Ein ihm benachbartes Firnjoch heißt die «Wetterlücke». «Wetterkessel» heißt seit Abraham Roth 2 der oberste Teil des Rosenlauigletschers. Ist indes schon diese Bezeichnung nicht volkstümlich geworden, so drang der etwas zu vollmundige Benennungs­vorschlag «Wettereismeer» 3 für das Gletscherbecken der Wetterhorngruppe gar nicht durch.

Grindelwald hat also an seinem Wetterhorn eine imposante Wettersäule. Gleichwohl sah es sich im Sommer 1906 zur Aufstellung einer eigenen, kleinen, aber ebenfalls stattlichen meteorologischen Säule veranlaßt. Vor dem schönen Eigergarten im Angesicht aller drei Riesenhäupter hat der Kur- und Verkehrsverein einen Lambrecht-Apparat aus Göttingen hergepflanzt, dessen fünffache Ausstattung schon beweist, ein wie verwickeltes Ding in Wahrheit das «Ablesen» des Wetters aus seinen Vor- und Anzeichen ist.

Was ist das Wetter? Die Gelehrtenwelt ringt eben heute um eine zutreffende Umgrenzung dieses scheinbar so einfachen Begriffs. 4 Um so weniger steht unserm volkskundlichen Werk ein Definitionsversuch an und zu. Wir wollen das vorliegende kleine Wetterkapitel lediglich als eine Art Zusammenfassung volkstümlich-praktischer Anwendung der Witterungs­erscheinungen betrachtet wissen, welche nur schon aus den bisher betrachteten Faktoren der Boden und Wassergestalten, der Windzüge, der Wärmeverteilung hervorgehen. (Ganz außer Spiel müssen wir die «Wetterkräfte» lassen, welche z. B. der Zusammenfall der erdnahen Marsopposition am 6. Juli 1907 mit dem nassen und kalten Vorsommer d. J. so nahe legt.)

«Witterung» ist die grundlegende Bedeutung des mundartlichen «Wetter». D’s Wätter ist gẹng no ch besser wa n d’Lị̈ị̈t: so lautet ein ganz gescheidtes ceterum censeo als Abschluß derjenigen Verhandlungsreihe, der bekanntlich am allermeisten Beliebtheit zukommt. 5 Ebenso gescheidt, wie die einzig bleibende Auskunft, ist die Anheimstellung landwirtschaftlicher Maßnahmen an die Witterung: we nn’s am Wätter ist (wenn die Witterung günstig ist). Man frägt sich auch im uneigentlichen 151 Sinn, auf Menschenlaunen deutend, ob wohl für dies und jenes Anbringen Wätter sịịg und findet vielleicht: Nein, jetz ist anders Wätter! Denn man hat unterlassen, bei einem Vielmögenden, der gueds Wätter und schlächts Wätter gleichsam in Händen hat und nach Laune verteilt, auch seinerseits gueds Wätter z’machen. Daß man solches, buchstäblich verstanden, bleiben lasse, erklärt ausdrücklich die humoristische Ergebungsformel: es sëll ni̦i̦d, u nd well ni̦i̦d, und denn bigähr ’s grăd sú̦st ni̦i̦d (nämlich: in Schön umzuschlagen). Machtlos, ist man also auf bloßes Konstatieren angewiesen: Es wollt umhi mid and’rem Wätter choon. «Ob ächt?» E inmmḁl wohl! — Es hŭ̦rnĭ̦gled; e̥s hị̈ị̈zd; e̥s chụụde̥rred; es ist Moị̈delwätter; es ist e n sụụra wïesta Tag; e n ghŭ̦dla Tag; es ist g’hŭ̦del. (So seid mu̦, we nnlsó nä̆blig ist u nd si ch ịị nlaad: der Nebel sich senkt). Es wollt umhi leid tuen. Vorderhand schwebt es noch zwischen Schön und Regnerisch: d’s Wätter ist ḁ lsó moisigs. Jedenfalls ist es zur Heuernte ungeeignet: es ist dŭ̦se̥m. Doch nein, die Wolken zerteilen sich: d’s Wätter tued si ch ụụf! Schon ist es ụụftaa n’s: es wird heiter, es wird schëënn; wohl, es gi bd tolls Wätter! 6 Statt schön gilt aber gutes altgrindel­waldnisches schoon wenigstens noch in der Wetterkunde, und zwar ganz im nämlichen Sinne, wie wir über der Schönegg 7 als modernem Gasthof die sehr alte, bereits 1146 verurkundete 8 Häusergruppe Schonegg 9 haben. Die umlautlose Form ist eben (ähnlich wie bei fast und fest, spaat und spät, hart und hert) eigentlich Adverbialform auf o neben der umgelauteten Adjektivform auf i. Sie vermischte sich aber nach Verschleifen der Endungen in der Bedeutung mit « scôni» und verwitterte allmählich zu unserm «schon», «scho n». Neben déjà umschreibt dies dem Grindelwaldner auch das bedingt einräumende «zwar»: si̦ sịị n schón armi, aber sie chënne ns doch g’machen. Wie aber im Schriftdeutschen doch «schonen» noch die alte Bedeutung «schön erhalten» durchblicken läßt, so hat die Mundart aus der Bedeutung «schön werden» sogar eine 152 ganze kleine Wortfamilie gebildet und lebendig erhalten. Es schooned: es wird oder ist schön. Es schooned gued, denn es schooned us dem Fehnd; der Fehnd heite̥rred ụụs; es gibt einen Fehndschoon, und der ist d’s halb besser (noch einmal so gut), wie jeder andere Schoon. Humoristisch sagt angesichts eines solchen der Grindelwaldner, er well gan de n Schoon zerhĕglen: aus Leibeskräften darauf los mähen; der Regen werde sich dann zeitig genug einstellen, ihm das schöne Heu zu durchnässen. «Schonet» also der Föhn gut, weil warm, so schooned’s us der Bịịse n chaald und auf zweifelhafte Dauer; e̥s schooned wohl; oder: e̥s schooned schoon, aber nid gued. Da muß man sich zufrieden geben mit dem Mittelding des Halbschoons. Ein noch schärferes Urteil, das dem Bịịsnäbel ( S. 100) gilt, lautet: d’Bịịsa ist nid schoondlihi; ihr Walten ist nid schoondli chß, verspricht nicht schönes Wetter.

Der Erfahrung gemäß nun aber, daß das Unangenehme, Verdrießliche auf den Saiten des Gemüt das Gegenteil weit übertönt, sehen wir den Begriff des Wetters mehr und mehr auf den prägnanten des schlimmen, bösen Wetters sich einschränken. Wär den ganze n Tag am Wätter sịị n mues s, bekommt seine Strapazen nicht bloß auf dem verwättreten, abg’wättrete n G’sicht wiedergespiegelt; auch «ein verwettert Maul» 10 legt dann etwa Zeugnis ab von «wettermäßig zorniger» 11 Seele; und es ist nur gut, daß der feinere Oberländer die daherigen Ausdrücke nach der harmlosen Seite hin mechanisiert. Der Baum da ist lsó hăgelvolla, daß man ihn kaum leer zu pflücken vermag. Allein die Kirschen schmecken so wättersgued, daß man die Arbeit doch eben gern übernimmt. Wir sehen schon hier «das Wetter» sich noch mehr zum «Gewitter» verengern, das «schlechte» zum «bösen», das unliebsame zum «harten» Wetter. So auch unterscheidet sich vom gewöhnlichen «Regenwetter» sehr bedeutsam das «rägenwätter, welches mit starkem donner und blitzen begleitet» war und «härdbrich» mit sich brachte. 12 In Grindelwald wätte̥rred’s, wenn’s stark regnet, sei’s mit, sei’s ohne Donner und Blitz; 13 um so unzweideutiger redet man auch im Oberland wie anderwärts vom großen, starhen, grịịslihen Wätter. Ja, die Cronegg 14 erzählt: «Mitte Sommer 1679 hat das wäter an Bußalp hinder der Burg 60 Schaf auf Eim Platz erschlagen.» So fortschreitend verengert sich der Begriff von der Witterung bis zum «Wetterschlag». Doch weiß hie und da ein Grindelwaldner auch von einem gefährlichen als einem giftige n G’witter zu reden.

153 Und darüber steht ihm wohl ein Urteil zu! «In keinem europäischen Gebirg wie in den Alpen tritt das Walten der atmosphärischen Tätigkeit in so furchtbarer Größe und unter so gewaltigen Kraftäußerungen auf». 15 Wie wechselvoll aber auch die Bilderreihe, «wenn ein zürnend Gewitter übers Tal hin in die schützenden Berge hineinfährt, schwarz und grausig sie verhüllend, und dann bald wieder das in die Gewitterwolken hineinleuchtende Sonnenlicht um so zauberischer erglänzt und ein siebenfarbiger Friedensbogen das unvergleichliche Bild umspannt!» 16 Den Eindruck der Szenenfolge erhöht ihre erstaunlich rasche Abwicklung. «In zwei, drei Stunden zieht ein Gewitter über Kiental, Sefinen, Lauterbrunnen, Wengernalp, Grindelwald, große Scheidegg, Haslital, wohl selbst Unterwalden und Uri, und scheint wieder die Sonne». 17 Ein anderes entladet sich «blitzschnell», von der Suleck herstürmend, über dem Männlichen. Wirbelnde Wolken hüllen rasch den noch höher Gestiegenen ein; in wenigen Sekunden blitzt es dicht um ihn herum, laute, trockene Donnerschläge rasseln um ihn wie gellende Glockentöne, bis vielleicht ein heftiger Graupelsturm die Luft «klärt». 18 Doch gibt es Oigste ng’witter, welche unter unbeschreiblich eigenartigem Grollen und Dröhnen vom Nachmittag des einen Tages durch die ganze Nacht bis in den folgenden Vormittag ohne Unterbruch Mensch und Vieh in Spannung erhalten. (So am 21./22. August 1905.)

Es «heimli chß» Dḁrbịḁsịịn in schaurig schönem Gewittersturm auf hohem Gipfel! Da sind allerdings der Schịịn und der Chnall nahe genug beisammen. «Ein kalter Blitzstrahl, ein Schlag auf den Kopf; Feuer sprüht aus der surrenden Eisaxt, die im Gipfel steckt.» 19 Vor solchem Erlebnis bewahrt der Gletscher, weil das Eis die Luftelektrizität absorbiert. Drum gibt es hier keine Blitzschläge, auch kein Singen der Bergstöcke und Eispickel. 20 Über die Häupter hin zuckt der Blitz; es gli̦tzined, aber es schießd ni̦i̦d: der Blitz schlägt nicht ein. Das tut er um so lieber auf felsigem und ganz besonders auf quarzhaltigem Boden, so daß er geradezu als Verräter von Kristallen gilt. Wa ’s vi̦i̦l ịị nschießd, da sịị n wohl eppa Strahli. Schießig (aufgebracht, aufbrausend) würde dann allerdings, wer auf solche Indizien hin erfolglos grübe. Nirgends größer als hier ist aber auch für einen, der nicht nach erprobter Führer Art gleichsam d’s Wätter schmeckd (die Blitzgefahr aus der Beschaffenheit der Luft herausriecht), das Risiko, erschossen oder erschlăgen zu werden. Die « Cronegg» 154 meldet genug solcher Unfälle an Gebäuden, an Vieh und auch an Menschen: an Grindel (21. Juli 1628; 21 Mitte August 1745); auf dem Faulhorn (11. September 1868 und 28. Juli 1872) vor Anbringung der sechs Blitzableiter; an Itramen (5. September 1880), und ungezählte auf den vom Blitz zerpflügten Gipfeln des Männlichen und Tschuggen.

Gar nicht so selten sind die Fälle, wa ’s i n’ds blu̦tt Holz tonndred. (Nicht ganz selten entladen sich Gewitter im Winter und im Frühling, wo die Bäume noch nicht belaubt sind.) Recht manchem Rückenschmerz könnte darum abgeholfen werden, wenn der Patient noch Rückenmark genug besäße, beim ersten Frühlingsdonner vordertsi ch Totz uber Meiß z’uberwëlpen! (vorwärts kopfüber zu kugeln.) Mächtige Märzgewitter (wie 1776) mit Lawinen, und Augustgewitter (wie 1588 und 1649) mit verheerenden Erdbrüchen, führen in der Cronegg die Bezeichnung «die Wätterli̦hi». Unter dieser Wätterlï̦̆hi versteht der Grindelwaldner eigentlich ein Tage und Wochen lang anhaltendes Regenwetter mit sehr starken Niederschlägen. Einmal jedoch begegnet das Wort doch auch für den Sinn des «Wetterleuchtens». Solches vo n wịịtna gli̦tzĭ̦nen (vgl. S. 142) oder wätterlịịhen (spaßhaft auch von übel angewöhntem Stirnrunzeln oder nervösem Augenzwinkern gesagt) entzückt oder erschreckt Grindelwalds Bewohner recht häufig. Erhaben stumme Ferngewitter «leuchten» da (nach guter Volksdeutung) 22 jetzt über die Faulhornkette herein, führen jetzt (wie am 1. Oktober 1897 seit acht Uhr abends) an der Viescherwand eine himmlisch schöne Pantomime auf. Am 11. Dezember 1753 aber «kam ein weterlihe, die wehrt bis zum 26 tag vnd war gantz wie im Sommer.»

D’Wätterlĭ̦hi chu̦nnd, we nn’s an der Pfanne n mĕdred oder Meder gi̦i̦d ( S. 116). Solche Prophezeiung eröffnet uns eine lange Reihe von Wetterregeln, aus denen wir, um nicht zwecklos zu ermüden, nur folgende wenige herausheben. Nach der Ortweid, 23 dem Wätterlooch Grindelwalds hinschauend, sagt man etwa: Jetz chunnd’s umhi dick im Ort! oder: es hed newwa e n lleida Satz im Ort; es wollt den n umhi anders! Ein anderes Mal heißt es beim Blick an den Himmel: Es ist newwḁ n da ḁ lsó Hi̦lwi-Chị̆der; es ist nid sicher, daß’s den ganze n Tag schooned. Die ’bbutzd aus der Dickmilch gezogene Nịịdle nchella deutet auf Schön. Schlechtes Wetter wird kommen: we nn’s d’Sunna abwischd (wenn die glanzvolle Sonne des frühen Morgens oder späten Abends plötzlich nur noch sehr matt oder gar nicht mehr die Berggipfel bescheint); wenn am Abend 155 d’Su̦nna bleihi e̥m inha schịịnd; wenn’s am Morge n rëëted (Morgenrot gibt); wenn’s e̥s hinna ahi laad (wenn das treibende Gewölk nach Nordosten hinter Faulhornkette und Wetterhorn verschwindet); schoondli ch ist’s dagegen, we nn ’s e̥s obe n fï̦̆rha trịịbd.

Die lehrreichen Pflanzenorakel 24 ganz übergehend, ziehen wir auch nur wenige Tierbeobachtungen herein. Schlecht Wetter gibt’s, we nn d’s Gfleïg bëës’s ist; wenn d’Schlangi fï̦rha chë̆men; wenn d’Rä̆ge nmŏle̥ni nidsi ch ggraaggen (ggraagge n s’ obsi ch, su̦ chu̦nnd’s umhi gued); we nn d’Spịịri teï̦̆if fleị̈gen; wenn d’Henni chrääjjen u nd frị̈ej z’Sädel gaan; wenn d’Schneehenna brị̈eled. Das kann u nzịịtiga Schnee bedeuten; ebenso we nn d’Amsli 24a ahig’hịjen (sich in Scharen auf die Ebene herunterlassen); besonders aber, we nn d’s Veh huested. Auf langen Winter deutet spätes trịịben oder jăgen (Begattung) der Gemschinen und frühes Sicheingraben der Mu̦rwe̥nden ( S. 137). Stopfen diese ihre Höhlen dicht zu, so wird der Winter streng. Pfeifen oder kläffen sie häufig, so regnet’s bald; hewwe n d’Mu̦rwe̥ndi, su̦ schooned’s.

So viel vom Wetter. Es besteht in den Einzelerscheinungen, wie dagegen das Klima in den Gesamterscheinungen einer größern Zahl von Wetterzuständen. Letzteres hat uns bereits S. 146 gelegentlich beschäftigt, als wir die klimatische Ausgeglichenheit der Talschaft gegenüber den alpinen Extremen zwischen der Zä̆hmi und der Wildi hervorhoben. Letztere Ausdrücke sind so charakteristisch, daß sie als Ersatz für die Bezeichnungen «im Talgebiet» und «im Bergrevier» sogar in das obrigkeitliche Führerreglement (§ 32) vom 10. März 1902 übergegangen sind. («In der Zähme»; «in der Wilde».) Die Ortskunde unterscheidet den zahmen und den wilden Andrift südlich von Leißigen. Dagegen gibt es ohne Pendant einen Wildgärst neben dem Faulhorn, ein Wildschloß am Eiger, einen «Wildstrubel» usw. (S. «wild und zahm».) Zăhmi Alpreviere wie der Lauchbühl bieten willkommene Zuflucht für die Weidetiere, wenn Sommerschnee sie vom Scheidegg-Oberläger treibt. Dort auch beginnt für Grindelwald so recht «der Frühling in den Alpen». Denn der Ụụstag mues von der Zä̆hmi choon. Er beginnt drum auch an sonnigen Gehängen der Talschaft bisweilen überraschend früh. Dies bringen schon die durchschnittlich milden Winter mit sich. Während auf dem Grünhorn ein Ausschlag der Gegensätze zwischen 40/0 und 0/40 Grad 25 konstatiert worden ist, zeigen die im «Echo von Grindelwald» regelmäßig verzeichneten Wettersäulen-Ablesungen im großen 156 Durchschnitt eine wunderbare Nähe beider Grenzen. Darum zählt es auch zu den höchsten Annehmlichkeiten einer Winterreise ins Gebirg, wenn einer statt von echt bundesstädtischem Nordwind oder von gut limmat-athenischem Nebel wieder einmal von einer fröhlich quietschenden und in hellem Lichte schimmernden Grindelwaldner Schneedecke den späten Morgengruß empfängt. Wie leicht und frei atmet da die Lungina wieder auf! Selbst die anderthalb bis zwei Meter hohe Schneedecke der Talwände im Winter 1906/07 hat die Grindelwaldner nicht geschreckt. Sie vermochte lediglich einem lebhaften Graubart, der trotz bestem Eifer mit dem Reinhalten der Terrasse immer wieder von vorn anfangen mußte, den Ausruf zu entlocken: Das ist bloß e̥s Cheibe n Gflĭ̦der! Er bedauerte einzig die Gebirgsbewohner, wa nịịmmeh hei n ze’r Hụụstï̦ï̦r ụsi chënnen, weil gerade da der Wind seine Sperrforts errichtet hatte.

Wie hätte er erst, bei Kenntnisnahme von alten Nachrichten, 26 die alten Grindelwaldner bedauert, welche noch anfangs Mai 1565 bei ihren Häusern den Schnee mannstief vorfanden, am 19. Dezember 1572 eine Anzahl erdrückter oder erstickter Menschen und Tiere u̦s ịị n­g’chrụụtete n (z’sä̆me n­g’chrụụtete n, ịị ndrïckte n, z’sä̆me n­g’rittne n) G’hältren hervorziehen mußten, den ganzen Winter 1576/77 kaum von Haus zu Haus und gar nid ze’m Taal ụụṣ hei n chënnen!

Diese bösen Schneejahre 1565-1580 mit ihrer untern Grenze der beispiellosen Gletscher­abschmelzung um 1540 und der obern Grenze maximalen Gletschervorstoßes ( S. 53) um 1600 erinnern einigermaßen an die volkstümliche große Idee von «Jahreszeiten höherer Ordnung». Je weniger sich aber eine solche bis zur Stunde wissenschaftlich unterbauen läßt, desto plastischer ergeht sich die Einbildungskraft in den Vorstellungen einer künftigen schlagweisen Weltkatastropfe und einer vormaligen plötzlichen weitgreifenden Naturverwilderung als Strafe für menschlichen Übermut. Hierauf gründen sich ja die (in anderem Zusammenhang zu besprechenden) Blümlisalpsagen.

Drehbarer hölzerner Stallriegel.

 
1   Stud. T. 55 f.; P. 131.   2  141.   3  Ebd.   4   Berd. 1, 29. 85 ff. 122; 2, 82 ff.; 3, 22. 40. 55 ff. 65-68 (Würdigung Marti’s); 113 ff. 130; 4, 94 ff. NW. 1904, 993 ff. 1016; 1905, 242 ff. 285. 576. 592. 1020; Mohn 241; 367 ff. 381 ff.; Hann 116, 186 ff. 208; Untg. 74 ff.; MGw.   5  Prof. Lazarus hat darüber in seinen «Idealen Fragen» eine interessante Art Statistik veröffentlicht.   6  E tolli Frau, tolls Wätter, toll heizen: drei Parallelbelege zum Ideengang von brav, welches uns durch franz. brave, ital. bravo und damit aus ml. barbarus (i. S. v. naturwüchsig) zugekommen ist. (Vgl. Körting, rom. WB.) Auch «toll» ist «brav» in dem gut bäuerlichen Sinn von urkräftig und zugleich damit stattlich. Die auffällige, aber wirkliche Worteinheit mit schriftdeutschen «toll» wird vermittelt durch die Übergangsbegriffe unternehmungslustig, wagemutig, vermessen, «tollkühn». Ahd. tol war aber geradezu svw. stupid, und dies (vgl. stupor) geht zurück auf das Verb twil, twal, twâlen i. S. v. starr werden oder sein: Mhd. WB. 3, 159 f. — Auch das «sich vertwellen», das «Vertwelli» des Kinderspiels gehört, weil dem ordinären Sinn kindlich, kindisch und töricht durcheinander gehen, hieher. (Ebd. 160.) Ein Stück Bedeutungsgeschichte!   7  F 3.   8   Font. 1, 422.   9  G 3.   10   JG. Ztgst. 2, 117.   11   JG. Böhneler 192.   12   Cronegg zum 19. Sept. 1749.   13  Gotthelf schreibt ebenso oft «wettern» wie «wittern», wenn vom Gewitter die Rede ist.   14   GlM. 169.   15   Berlepsch 17.   16  Gerwer in ÄFG. XXVI; vgl. Osenbr. 6, 72 f. (Hochgewitter); JG. BwM. 189 ff.; JG. Wass. 21 f. (Honegg); Täuber 110.   17   Wyß 569. 356.   18  Vgl. ÄFG. 125 f.   19  Tbr. 110.   20   Heß 14.   21   GlM. 168.   22   Kluge 404. Die Blitze «laichen» (springen) in hohem Bogen (wie die Salme) empor.   23  C 1.   24  Schwz. Bauer 1905, 35; Emment.-Bl. 1902, 2. Aug.   24a  Wohl: Schwarzdrosseln.   25   Zschokke 29.   26   Krehbiel 73.  
 


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