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Milchwirtschaft.

Spiis und Milch.

A

 

ls zur Zeit der Mailänderkriege der Herzog Sforza den zum Mahl geladenen Gesandten der Schweiz kostbare Südfrüchte zum Nachtisch auftragen ließ, rühmte er: die wachsen uns alle Jahre zweimal. «Und diese Früchte hier gedeihen uns alle Tage zweimal!» rief einer der Eidgenossen und wies auf einen Schweizerkäse, den er hatte herbringen lassen. 1 Die gewöhnliche Bezeichnung solcher «Frucht» ist allerdings Spịịs, und an ihr nimmt ebenbürtig neben dem Käse der Ziger teil. Ebenso würde es die Butter 2 tun, wenn nicht ihre Seltenheit sie dem frischen Genusse selbst des Älplers in der Regel entzöge. Man unterscheidet daher Aihen u nd Spịịs. Daß dagegen Chääs u nd Zĭ̦ger zu dieser Auszeichnung als «Speise» par excellence gelangt sind, rührt von den Zeiten her, wo Kaffee und Bäckerbrot noch seltene oder unbekannte Dinge im Gebirge waren. 3 Noch zur Stunde führen die Käselaibe und Zigerstöcke der Alpbauern in ihren Speichern die Gesamtbenennung Spịịs; und Geisspịịs heißen die ebensolchen kleinern Produkte der Ziegenwirtschaft, welche die Wärchmanna ( S. 324) und Ziegenhirten in einem eigenen kleinen Speicher des Alplägers bergen. Zu der mit großem Stolz 4 als solcher anerkannten «Spịịs» gehörte aber natürlich von jeher auch die noch unverarbeitete Milch, 383 obwohl man sie häufiger dem Dicken als Dï̦nns oder als Ware̥ms ( S. 353) gegenüberstellt. Wird schon dem großen, starken Hirten, der des Alkohols in keiner Form gewohnt ist, von ein paar Zügen noch so guten Weins g’stu̦ren und ï̦bel, 5 und bewährt sich vollends in alten Köpfen dies Getränk selten als «der Greise Milch» — welch ein Anrecht hat dann erst das Kind auf wirkliche Milch, als seine naturgemäßeste Nahrung! Folgende drollig gewendete Tiroler Fabel, 6 auf Grindelwaldnisch wiedergegben, sagt dies in origineller Weise.

Milchtreger, vom Huus der Alp zue.

Es jungs, chlịị ns Bä́re̥lli ist ŭ̦s ’nem Waald ụụsa choon und hed gar grị̈ị̈se̥lli ch g’mueled und ist umha g’schnŭ̦de̥rred und hed si ch schrecke̥lli ch g’hä̆ben. Duḁ g’sehd das e̥s Buechfinke̥lli, wa ŭ̦f ’nem Boïm uehi in ’er Grĭ̦tte̥lle n (Astgabel) sịị ns Nästli g’hä̆ben heed. Und es hed si ch sịịner ’tụụred, un d es hed zue ’mmu̦ grïefd u nd g’fräägd: Was hest, du arm’s Bä̆re̥lli? Duḁ hed ’s Tierli no ch vi̦i̦l stẹrher aa nfaan brïelen und hed’s lụter Wasser ’gränned, u nd g’seid: Ach, e̥s hed epper ze mmi̦i̦’m Mïeti gschossen (es erschossen) u nd jetz is’s tood, un d i ch haa n kei ns Gotts-Trëpfe̥lli Milch meh z’sụụgen. «Du tumm’s Bä̆re̥lli, i ch han o ch no ch mịị n Llä̆btăg kei n’s Trëpfe̥lli Milch g’sŭ̦gen u nd bbin doch starchs un d ggrooßes worden!» 384 Jaa, jaa, mu̦ g’sehds eppa dịịne n Ggnä̆glinen (Beinchen) aan! seid der Bäär und ist wịịters ’zottled.

Wie kämen aber die im Sommer aufs Tal angewiesenen Leute groß und klein, denen weder Hewgeiß ( S. 278) noch «Heimkühe» zur Verfügung stehen, zur Deckung ihres Milchbedarfs ohne den S. 383 u. 385 abgebildeten Chum-mer-z’Hilf in tausend Nöten? Es ist der Milchtrĕger, der zur Alpzeit Morgen um Morgen bis drei Stunden weit seinen mächtigen Tụtel ( S. 393) plattet volla zu Tale schafft und die schon im Winter zuvor in Verding genommenen Kundenhäuser bedient. Handelt es sich, wie an der Schattseite, um kürzere Wege und kleinere Quanta, so genügt es, am Platz unserer baumstarken Männer, an den auch anderwärts 7 üblichern Milchbuebnen. In jeder Hand ein Bräntli oder Bränte̥lli haltend, können sie auf frei getragenem Kopf ihr standesbewußt aufgesetztes Lä̆derchä̆ppi ungehindert zur Geltung bringen.

So bedeutend nun aber der direkte Milchkonsum ist, so übertrifft ihn doch die Milchverarbeitung bei weitem und zwar schon um des eigenen Verbrauchs willen. Allerdings sind armer Lịịte n Chääs und rịịcher Lị̈ị̈te n Chind aṇgänds zịịtig: der Käse des gänzlich Mittellosen ist glịị ch g’machta u nd glịị ch g’gäßna, wie im Unterland auch. Allein schon beim mäßig Bemittelten, der sich zu jeder Mahlzeit sịị ns Brëëse̥lli Chääs zulegt und damit sich den kostspieligen Fleischankauf erspart, kann man jeden Tag dem eben in der Loiben hantieren gehenden Familienglied zurufen hören: Bring deṇṇ grad e n Wegge n Chääs 8 oder e n Chääsbi̦ssa! Ja früher, als hier oben die Bettelei Auswärtiger und Einheimischer noch hoch im Schwange ging und das mueten für Käse, Ziger und Milch fast wie ein Gewerbe betrieben wurde, ging es noch ganz anders über die armen Mu̦tschle̥ni ( S. 401), Stëck ( S. 409) und Aihe nfäßle̥ni her.

Milchtreger uf der Liwwi.

Es konnte aber trotzdem noch vorkommen, daß in besagten Loiben ganze Regimenter verschimmelter Oichenhä̆fen neben würmer­zerfressenen schwịịnigen Hammen paradierten, von dumm-stolzer Eitelkeit und nachbarlicher Eifersucht sorglich vor Verminderung gehütet. Es konnte sich ereignen, daß bei einer Erbteilung dreißig Fäßleni Siedebutter zum Vorschein kamen, welche die von langen Schimmelbärten eingerahmten Aufschriften trugen: « der 9 Aichen haben wir dieses Jahr (so und so) 385 gemacht.» Am Ende hatte doch von solch kostbarer Gabe der vielgenannte Ankenbättler mehr, dem auf seinem eifrigen Gang von Haus zu Haus das unter der Kopfbedeckung geborgene Schmalz das Gesicht verräterisch übermalte ( «Schwitze n wie n en Ankenbättler» rührt von dieser Schnurre her.) 10 Die Butter diente sonst dem Oberwalliser auch, um seine ein- bis dreihundert­jährigen Paradekäse von Zeit zu Zeit einzureiben. 11 Dieselben Dienste leistete dem ehemaligen Grindelwaldner der Speck, um wenigstens hundertjährige Stücke aufzubewahren. Vom zehnten Jahr an sowieso an Güte verlierend, waren natürlich diese Laibe durch solche Prozedur nicht genießbarer geworden. Allein die Auftragung von Geburtstag und Namen des Kindes, welches zugleich mit dem Käse «das Licht der Welt erblickt» hatte, gab das Fundament zu einer Familienchronik ab, zu welcher der glückliche Verfertiger und dessen Erben vor den zur Schaustellung Zugelassenen jeweilen den mündlien Auf- und Ausbau besorgten. 12 Eine Art Konservierung konnte man sich übrigens auch durch die gefälligen Dienste gewisser lebender 386 Wesen besorgen lassen, und sie galten überdies dem verständnisvollen Beschauer noch als Wahrzeichen der Wohlhabenheit. Das waren die Chääsmilwi (Käsemilben). Ein später durch Fleiß, Geschick und glückliche Heirat zu großer Wohlhabenheit gelangter Grindelwaldner wandte sich als selbständig wirtschaftender Jüngling in momentaner Geldverlegenheit an einen reichen filzigen Verwandten. Der aber speiste ihn herzlos-protzig mit dem Bescheid ab: Du muest machen, daß d’ brav Chääsmilwi uberchụụst! (Brav als Adverb: ausgiebig, reichlich.) Aus all diesen Zügen erklärt sich der Hụụschääs als geduldete alte, immer in der Familie gebliebene Dienstperson.

Den Ruf, dessen sich seit alter Zeit Grindelwalds Butter 13 und Käse 14 erfreuen, verdankt letzterer u. a. einer Maßregel, welcher allerdings auch im Orte selbst nicht überall zugestimmt wird. Mit dem feinen Aroma und herrlichen Geschmack der Alpenkuhmilch mischt man nämlich, um den Käse schni̦ttiger (geschmeidiger) zu machen und besonders auch zur Verbesserung des Magerkäses, in kleinem Bruchteil den Fett- und Eiweißreichtum der Ziegenmilch. Dieser Reichtum, um dessenwillen d’Geismilch starhi genannt wird, eignet in besonders hohem Maße der Ziegenmilch von Grindelwald und seiner Umgebung. 15 Sie gilt allerdings bei all ihren Vorzügen auch für chĕltigi (kältend). So übersetzt man sich nämlich die «Sprache» des Magens, der besonders bei schwächlichen Personen das schärfer ausgeschiedene 16 und feiner zerteilte Fett langsamer verdaut, also einigermaßen als Belästigung zu empfinden gibt. Der kräftige und im Freien sich tummelnde Bergbewohner dagegen schätzt sie gerade deswegen sehr hoch als Ggaffẹmilch, und dem an Auszehrung Leidenden gilt sie als wahres Heilmittel. Mit gleich viel Wasser und (zur Behebung des Fettgeschmacks) mit einer Prise Salz zusammengesotten, bietet sie eine vorzügliche Erfrischung. — Natürlich ist es von großem Belang, ob das Tier die aromatischen Kräuter der Alpweide, oder aber Räckolter und Chri̦i̦snï̦wwe̥ni (Fichtentriebe) 17 verzehre; in letzterem Falle geiße̥lled oder mä̆gge̥lled die Milch bis zur Unausstehlichkeit. Aber ebenso auf die Beschaffenheit der Kuhmilch ist der Weidgang von Einfluß, wie er schon als solcher auch das Quantum steigert. 18 Wie sunniger d’Alp, wie besser der 387 Chääs. Sodann geben junge Kühe feißt’ri Milch als alte, 19 und altmälch Chïeh liefern doppelt so viel Rahm, sowie auch etwas mehr Käsestoff 20 als nï̦wmälhu̦. Auch das Quantum der Milch erleidet allerlei Einflüsse. Auf guter Weide kann eine Ziege den Sechszehntel 21 des Jahresertrages einer Kuh mächtig überschreiten, auch wenn dieser auf 280 Kilogramm 22 ansteigt und damit den Zäntner 23 Alpchääs uf d’Chueh 24 noch überbietet. Der höchste Milchertrag: bis 22 Liter im Tag, fällt uf d’s erst Chrụụd. Gegen Ende August aber faad d’Milch a n schwịịnnen, weil d’s Veh gaalted und insbesondere die stark periodisierenden Chïeh gaalten (an Milchertrag abnehmen). Ähnlichen Rückgang erzeugen schwüle Sommerhitze und anhaltendes Regenwetter. Eine Gelti führt man absichtlich herbei während der letzten sieben Wochen der Tragzeit; die Kühe sollen alsdann allmählich mit der Milchabsonderung ganz aufhören: sie sollen ergalten, gaaltu̦ sein oder verschweinnen. Man überspringt zunächst eine Melkzeit: man ubermaaled die Kuh. Bald wird sie bloß noch alle drei Tage gemolken und kurz darauf ist sie gaalti. 25

Liefert die gaalt Chueh oder Geis keine, so gibt das geltig Tier, wa mid dem Ụụter nid im Greis ist, Zăs’ra oder zăs’rigi, z’fätzneti, also geronnene und unbrauchbare Milch: es dräcked. Solch geltigem Veh reicht man zur allgemeinen Säftereinigung Geltibulver. Die kranke und erstickt oder erstu̦ckt (dem Umschlagen nahe) Milch wirkt auf den Geschmacksinn verschieden: bald rä̆he̥lled sie, ist rä̆he̥lligi (ranzig); bald schmeckt sie saligi oder g’saalzni, bald wịịde nsụụri. Jedenfalls sieht sie auch immer trüb, truebled aus, statt schön weiß wie der Milchbach am obern Gletscher, mit einem leisen Ton ins Gelbliche, der vom Fettgehalte zeugt. So wird im Tirolischen 26 als «grüne Milch» auch die Biestmilch gescholten, obwohl sie ebenso dem natürlichen Verlauf der Procreation angehört, wie das erste Ei einer Henne: das Biestei. 27

Unter diesen Belehrungen ist die Zeit vor mälhe n verflossen. Die Melkstunde wiederholt sich bloß im Unterland bei einem äußerst milchreichen Tier dreimal, obschon bei solcher Kürzung die Feißti der Milch um vieles gewinnen würde. Auch an sich wäre die Mittagsmilch die feißtist, während die Morgenmilch die mä̆gerrist 28 bleibt. Sehr stark hängt aber die Masse und Güte der Milch auch von der Pünktlichkeit und Tüchtigkeit des Melkers ab. Drum ist die Wahl desselben 388 eine so wichtige Angelegenheit. Eine Geis, wa mu̦ mag mid Gwaalt am Sti̦i̦l uufg’lïften, vertraut man schließlich der ersten besten Person an ( S. 352), selbst Kindern, wie ja auch die Cronegg 29 berichtet: «Zwei meitleni wolten Ein geis mälhen, eins hat die geiß bei Einem horen, das andre malch die geis.» Die Kuh dagegen überantwortet man womöglich der immer gleichen Vertrauensperson, die ihren Ausweis mittelst der beiden Mälchren führt: der große n Chnïttlen am Vordergelenk der Daumen. Tägliche Hantierung festigt einen solchen Mä̆lher immer noch. Wer dagegen bloß gelegentlich aushilft, z. B. beim ersten zuehimälchen 30 nach dem Bezug eines neuen Lägers, an welches sich die Tiere erst wieder gewöhnen müssen, oder beim ụụßen dï̦ï̦r ch mälhen auf zu weit vom Läger entfernter Weide ( S. 311), där hed dï̦ï̦r chg’mŏlhes, ehe er sich dessen versieht. Man konnte ihm eben nicht, wie etwa dem Anfänger, die lindmälhen Tiere auslesen, denen die Milch fast wie von selber ụụsg’hịjd. Er mußte sich auch an solche Kühe wagen, welche zääjmälhu̦, chä̆chchu 31 z’mälhe n, ja u nmmŭ̦glichu̦ z’mälhe n sind. (Dieses u nmmŭ̦gli ch ist nicht «unmöglich», sondern: schwierig und daher auch unangenehm zu behandeln, gemäß der ethischen Bedeutungs­abzweigung von «mögen». 32 Gute Synonyme zu mŭ̦gli ch und u nmmŭ̦gli ch sind gä̆big und ungä̆big, chommli ch und u nchommli ch. Du bist e̥n ummŭ̦gliha, e̥n u nmmu̦glihi, e̥s ummu̦gli chß: bei dir ist nicht gut sein, mit dir ist nicht gut verkehren. Äär da ist vi̦i̦l der mu̦glicher! Ein sehr schwieriger Gebirgspfad, aber auch ein schlecht unterhaltener Weg ist en u̦ nmmu̦gliha Wääg) En u nmmu̦gliha Chrï̦ppel, e̥s u nmmụgli chß Më̆bel oder dergleichen schilt man eine Kuh, we nn sie si ch nid gäre n laad mälhen und eina n fï̦rha rïehrd (so heftig nach einem ausschlägt, daß er von ihrer Seite weg in den offenen Gang des Stalles «hervor»kugelt). Aber auch ohne ihre Schuld ist sie bisweilen u nmmu̦glihi z’mälhen; z. B. we nn s’ zääji 33 (zähmelk) ist, old strŭ̦pfelochti: mit allzu kurzen Zitzen, die bloß ein strï̦pfen gestatten. Langstrichige Euter können übrigens allmählich zu kurzstrichigen verkümmern, wenn ein Pfuscher nu̦mmḁ n so i’n Napf găgled, daß die sich überstürzenden Strï̦pfe̥lle̥ni Milch im Melkfaß zischen: tschị̆pp tschä̆pp tschị̆pp tschä̆pp. Der richtige Melker entlockt langen Zitzen Zịịßa um Zịịßa z’lenge n Zï̦ï̦gen, so daß es bedächtig 389 rauscht: schschụmm schschamm schschụmm schschamm. — Manch ein Milchtier ist aber auch sonstwie mit abnormem Ụter (Euter) behaftet. Da steht eine Kuh, welche hi̦ndschigi oder bläästigi ist: das Euter hat einen so mächtigen Umfang und ist so chächchs (straff), daß der Melker nicht beed Hälbliga von der rechten Seite her erreichen kann, sondern z’beede n Sịịte n zuehi mues. Das Euter einer andern ist so zusammen­geschrumpft, daß es d’s T’hẹlli machd wie der Schüler, der nach altem Disziplinarbrauch, zum Empfang eines «Tötzi» mit dem Lineal, die Finger zusammenklauben mußte. Eine dritte ist ein Drịịstri̦i̦chch: sie hat nur drei Zitzen, wie da und dort eine Ziege als Ei nstri̦i̦chch nur éinen Strĭ̦chchen am Euter aufweist. Eine vierte ist prä̆ßni: sie bringt von der Weide ein straffes Euter her; allein sie hat den Schlier ( S. 335), und von dem zur Heilung aufgestrichenen, später abgetrockneten Leim (Lehm) wurden die Strichche n sehr, und jede Berührung schmi̦rzd nun das Tier: tued mu̦ weh. Das Bestreichen mit Anken oder Nịịdlen bringt Linderung; besonders das Strĭ̦chche nsalb aus Butter, Baumöl und Eiweiß, oder noch lieber aus Hïenderschmu̦tz macht die Zitzen g’schmeidiger; allein das Melkgeschäft wird dadurch verdrießlich. Ein fünftes Tier ist von Natur chĭ̦tzli chß, ohne deswegen etwa «g’sị̈ị̈nigs» ( S. 376) heißen zu dürfen. Als sein Euter sich entwickelte: 390 wa’s hed g’flaammed oder wa’s ist mit dem Flaamme n choon, hat man unterlassen, es durch zeitweiliges leises Betasten an das spätere Melken zu gewöhnen.

Melchstühle von oben u. vorn.

Unter so verschiebenartiger Bewandtnis kann nun dasselbe beginnen. Zum Anfang und zum Ende des Geschäfts läcked die Kuh: sie nimmt den ins Maul geschobenen Stŭ̦pf Saalz mit höchstem Vergnügen an und tschu̦rgged wohl noch an der darreichenden Hand, um sich ja auch den letzten Nachgeschmack nicht entgehen zu lassen. So läßt sie es in der Regel willig geschehen, ja sie erwartet es oft mit Verlangen, daß der Melker vor ihren Augen sich den Mälchstuehl angürtet, wenn er ihn nicht bei irgend welcher andern Gelegenheit ( S. 418) zum Sitz gewählt und also bereits a n ’mmu̦ heed. Für die höchst bemerkenswerte Kunstfertigkeit, welche der Grindelwaldner in seinen winterlichen Mußestunden an dieses aus Bergahorn gefertigte Gerät wendet, beweist freilich das Tier weniger Interesse, als für das angehängte Salbhŏren (Schmier­büchschen), welches das Stri̦chche nsalb ( S. 389) enthält. Nun darf der Mann, wohl auch ein Neuling, oder gar eine Stellvertreterin getrost a bha rlaan: durch Streichen der Zitzen die Milchabsonderung anregen. (Es ist das «aa nrüste n» des Unterberners, welchem dagegen die willige Kuh «d’Milch ahe n laat»). 34 Ohne z’rïehrren (auszuschlagen) hält die gute Kuh die nun z’g’rächtem beginnende Prozedur aus vom Aa nstrŭ̦pf bis zum ụụsstrï̦pfen: dem gründlichen Ausmelken. Daß während des Akts der Fettgehalt der Milch sich bis aufs Zehnfache steigert, 35 weiß auch ohne Chemie der Schlaumeier, der noch ohne Konflikt mit dem Gesetz für den Handel nur obenab milchd und die letzten Züge aus dem Euter für sich behält. Der Oberemmentaler begnügt sich darum beim Milchmessen auf der Alp ( S. 320) nicht mit gewöhnlichem Melken; er bb’lĭ̦gget die Kühe oder bb’lĭ̦ggred sa uus: macht ihr Euter ganz lu̦ggs, d. i. locker, schwammig weich, indem er ihm auch noch den allerletzten dünnen, kurzen Strahl, das letzte Zịịse̥lli entlockt. Das gänzlich zusammen­geschrumpfte Euter gleicht dann einer verbb’lĭ̦ggeten Person, welche Runzeln kriegt, also am Verblühen ist und die Jugendfrische verliert. Einem Grindelwaldner dagegen, welchen man der Filzigkeit oder der Knauserei bezichtigen will, redet man nach, er plĭ̦gg’ri, um sich ja kein Tröpfelchen entgehen zu lassen. 36 — Während 391 der rechte Hälblig des Euters gemolken wird, rüstet der linke seine Bereitschaft. Das benutzt ein erfahrener Melker, wenn er uber d’s Chrị̈ị̈z oder uber Egg milchd, um damit Masse und Güte des Ertrag aufs Höchste zur steigern. Aufgeklärte erblicken in diesem Kunstgriff freilich nur ein Nachklingen des abergläubischen Kreuzmachens, womit das Hineinhuschen böser Geister in die Milchgänge abgewehrt und eine allfällig verhä̆xeti Chueh wieder enthext werden sollte, so daß sie nach wie vor die Milch in einer kräftigen Zịịßen (Strahl) nach der andern entlasse.

Milchmälchtra älterer Form.

Die Ziege wird, wie das im dichten Gewog und Gedräng des Alplägers nicht wohl anders zu machen ist, von hinna g’molhen. Der Melkende ist dabei aufmerksam genug, um alle Kombinations­möglichkeiten kommender Ereignisse im Auge zu behalten: und nur e̥s Wịịbli da newwa n im Land ahi darf bei Abwicklung eines unvorhergesehenen Intermezzo die Vertröstung geäußert haben: zĭ̦blen nu̦mmḁn, Geiße̥lli, i ch haan den n e̥s Fŏlli!

Eine größere Fŏlla, mit deren Gestalt der Volksmund das Grindelwaldtal vergleicht ( d’s Taal ist wie n e n Folla), steckt in einer Gri̦tte̥llen (Astgabel) oder einem einfachen Gestelle und gibt damit den Seihtrichter ab. Dieses Gestell allein, der Follenhä̆ber, heißt in Bedretto «Pferdchen» ( cavaleta), 37 und z. B. in Graubünden ist es mit dem Trichter zu einem Stück verbunden, dem auch nur éin Name eignet. Hierauf gestützt, dürfen wir wohl auch unsere Folla mit dem «Füllen» als Traggestell in Verbindung bringen. 38 Näher legen sich natürlich heute «füllen» und «voll». Fï̦ll sa, we nn d’chajst! ruft man in witziger Deutung. Ein Verehrer aber des zum Bieten animierenden Branntweins will an einer Steigerung bloß ga n g’sehn, ob er eppa e n «Volla» uberchëëm. Das gründliche Durchseihen oder richten besorgt nach bewährter alter Weise das Vollschoib aus Lütschentaler-Pflanzenpräparaten wie Hăse nchri̦i̦s (Keulenbärlapp, 392 Lycopodium clavatum), Wolfzand ( Lycopodium Selago) oder Liella (Waldrebe, Clematis vitalba).

Suufnapf.

Gemolken wird in die nach diesem Zweck benannte Mälchtra, tautologisch Milchmälchtra, oder in das Mälchterli. Ihr schmales Oval gestattet ein bequemes Einklemmen zwischen die Knie. Früher diente dazu der kreisrunde Mälchnapf, in welchem man zugleich die Milch aufbewahrte. Wohlgefüllte Näpf machten in Reih und Glied Parade; ein bloß halbgefüllter Napf begegnete etwa solchen halb verächtlichen Blicken wie die gleichsam charakterlos zwischen Schön und «Wüst» schwankende Witterung, von welcher man noch heute sagt: e̥s ist nummen ḁ lsó halbnäpfigs Wätter. Die bestimmte Größe (wenigstens 10 l = 1 Ziger: S. 321) gewisser Arten Näpfe machte diese zu Mä̆snäpfen; 39 von diesen unterscheiden sich das kleine, etwa 5 dl fassende Näpfi, Nịịdlennäpfi oder Mu̦tte̥lli und der bis 4 l fassende Napf, Milchnapf, Sụụfnapf (vgl. sụụffen S. 257). Dem Lötschentaler ist noch heute der Halbnapf = 1 kg Korn- u. dgl. Gewicht, der Napf = 2 kg, das Halbfi̦i̦schi (s̆s̆) = 8 kg, das Fịịschi 16 kg.

Handbräntli.

Bloß als Aufbewahrungs­gerät dient das ebenfalls hölzerne und etwa 5 dl Rahm fassende Mu̦tte̥lli 40 (s. o., aus dem nicht mehr grindelwaldnischen «Mutten»). 41 Zum einhändigen Tragen dient auch die blecherne Pi̦nta, das Pintli oder das Tụụlu̦m, Tụ̆lu̦ng, Tụlong (fz. toulon; wie Térrina = Suppe nchopf eines der Leitwörter für Verwandtschaft zwischen Grindelwald und Lötschental). Gleiche Dienste leisten das hölzerne, ovale Brä̆ntli und das noch kleinere Bränte̥lli, Hampränte̥lli (Handbränte̥lli), worin auch Milch, Kaffee und dgl. zur Mahlzeit aufs Feld getragen wird, wiil d’Sach gar lang warmi blịịbt drịịn. Auf den Rücken aber gehört die zum Wassertansport gebrauchte, schwere Bränta, wie der unentbehrliche Bschittitụtel und der um so appetitlicher aussehende Milchtụtel, gewöhnlicher kurzweg der Tụtel (alt: «Tụụtel») geheißen. Sein auf der Rückenseite 393 flacherer, auf der Außenseite dem Kreis angenäherter Durchschnitt läßt ihn auch etwa als Gegenbild, als alter ego seines dickleibigen Trägers erscheinen. In allen denkbaren Verkleinerungs­formen: als das Tịịti, Tị̈ị̈te̥lli, Milchtị̈ị̈te̥lli, humoristisch auch «der Gŭ̦sel» oder das Gŭ̦si geheißen, ersetzt er etwa das Bräntli. Das Butterstoßfaß hinwieder, in welchem man auch Schlagsahne blääjd, ist das Stoos- oder Blääj-Tị̈ị̈ti oder -Tị̈ị̈te̥lli, indes das Drehbutterfaß je nach seiner Größe als Trool- oder Trë̆ë̆l-Tụụtel oder -Tịịte̥lli bezeichnet wird. 42

Milchleffel.

Eine namentlich im Stall vorgenommene Abwaschung der Euter vor dem Melken erleichtert natürlich allen übrigen Reinlichkeits­dienst. Man sieht daher an richtigen Älplerhänden auch keinen alten Fratt (Schmutzkruste) mit dazwischen eingegrabenem Hacker (Schründen) sich festsetzen. Die Milchgeschirre behandelt man nach jedem Gebrauch eigens in der heißen Schotte, welche nachher ins Schweinefutter kommt. Dieses heißt daher die Wä̆schi (s̆s̆; S. 297).

Was vom Trag-, gilt auch vom Schöpfgerät, zu allernächst von der hölzernen Nịịdle nchellen, womit die Milch, entrahmt wird. Ihr ähnelt in der Form die zu allerlei, auch minder appetitlichem Gebrauch dienende Strue̥ffa. Diese trägt ihrerseits ihren Namen über auf den Kahn, worin ein Gueren-Enti uber d’s Wäldmeer weidliged. Allerlei Dienste (so z. B. als gewaltiger Pfeifenkopf) leistet auch der (hölzerne) Goon. Der Milchgoon aber oder das Gooni erinnert als mächtiger Schöpflöffel für Schotte und Sirwe̥nda ( S. 400) an den römischen congius (ital. cogno) als Milchmaß. Was man mit dem Goon in einem Griff zu fassen vermag, heißt eine Schapfe̥ta oder viel gebräuchlicher: e n Schëpf (Überhaupt svw. ein ziemlich großes Quantum). Bloß noch belustigend kingt altgrindelwaldnisch e n Schapf oder e̥s Schapfli in gleicher Bedeutung. Verkleinert (jedoch mitunter ebenfalls als Goon gescholten) erscheint dies Gerät als Lëffel verschiedener Größe, aber immer von runder Form. Und zwar besteht ebenfalls aus Holz der Milchlëffel, wegen des zierlichen Henkels auch etwa Haaggilëffel geheißen. 394 Sein Gebrauch zum Schöpfen ließ ihn in der Sage ebenso frevelhaft wortspielend mit dem Schöpfer zusammenbringen, wie in harmlosem Unverständnis ein gutes Kind d’s Atten deṇ grooßen Haagge nllëffel als Schöpfer deutete. Gleichsam eine kleine Ausgabe davon ist d’s Haagge nllëffe̥lli. Aus Blech ist heute der Nịịdlellëffel oder Eßlöffel, den man ehemals, wie heute noch im Emmental, 43 in der Rịịglen aufbewahrte.

 
1   Kyburtz a 11.   2  Ebd. A 20.   3  Vgl. JG. Jacob 2, 134. 151.   4  Vgl. die Verse Lf. 492.   5   Alpina (1808) 3, 211.   6   Lusern 208.   7   Osenbr. 6, 110 f.   8  Der Wecken (vgl. den Scheidiweggen S. 182) ist gleicherweise keilförnig wie der «Bissen» zum «Unterlegen» unter den wackligen Tisch, und wie der «Chääsbitz», der auch die Satteldächer der Deutschherren-Kirchtürme benennt.   9  Der Artikel als Demonstrativ: dieser (diesen).   10  Zu Lf. 484.   11   Goms 90, 92.   12  Vgl. Museum 2, 781; Kyburtz A 22.   13   Altm. 17.   14   Museum 2, 781; Fäsi bei v. Tav. 5.   15  Laut gütiger brieflicher Mitteilung des Kantonschemikers Dr. Schaffer in Bern nähert diese Milch sich stark dem Maximum respektive Minimum folgender Prozentzahlen, welche überhaupt für bernische Ziegenmilch gelten: 2,30-4,38 Casein und Albumin (Käse- und Zigerstoff); 2,14-4,72 Fett; 2,07-4,77 Milchzucker; 0,51-0,93 Mineralstoffe; 86,74-90,46 Wasser. Vgl. damit eine Analyse für die Schweiz: Schaff. M. 2; eine solche aus Braunschweig: Fankh. 41.   16  «In vollkommener Emulsion erhaltene»: Fankh. 41; vgl. And. 579.   17  Vgl. S. 354.   18   Schaff. M. 4.   19  Ebd.   20   Kasth. 22, 257 ff.   21   Wyß 745.   22   Bern V. 126. 284.   23  Zu 50 kg.   24   Wyß 623. Nach Zürn liefert eine gute Ziege auf 1 kg Körpergewicht 4-5 l Milch, also relativ doppelt so viel wie eine Durchschnittskuh.   25  Vgl. S. 344.   26   Lusern 263.   27  Vgl. unterbernisches Briesch: Lf. 285; Kluge 40 f.   28   Schaff. M. 4.   29   GlM. 168.   30  Hauchdissimilation.   31  «Keck» (lebendig) ist eben auch «fest, stark, drall» ( Kluge 190); chächch oder chüehn (kühn) sind im Unterland auch unreife, zähe Geschwüre.   32  Vgl. Einen oder einander mögen: gerne haben, ihm oder sich gut sein. So auch sagt der Aargauer: i mag in’s Bett = wünsche zu Bette zu gehen. Wir «möchten» gerne das und das.   33  Ahd. zâhi.   34   Lf. 286   35   Schaff. M. 1-4.   36  Mit diesem b’lü̦̆ggen, plü̦̆ggen (lŭ̦gg machen) wird etwa das ähnlich klingende b’lịịggen, plịịggen (belügen, mit Lügen in Schrecken jagen, überhaupt erschrecken, auch nur verscheuchen) vermengt. Diese Ableitung aus lügen, mhd. liegen, ahd. liogan setzt allerdings voraus, daß auch hier wieder eine Vermengung etwa mit liegen: lĭ̦ge n oder «lĭ̦gge n», mhd. ahd. ligen oder licken (dies aus « ligjan») vorliege.   37  Laut Luchsinger im A. f. Vk. 9, 260. Seiner schönen Arbeit sind hier noch einige andere Daten entnommen. Vgl. auch Lötsch 109.   38  Die frühere Schreibung «Milchfolke», die uns in einem Inventar von 1776 ( Lf. 328, aus dem Familienarchiv Althaus im Bifang) begegnet ist, weist zurück auf ahd. «die fulicha» (weibliches Füllen) aus «der folo» = pullus, poulin und zu «das fulin» ( Graff 3, 471). Andere Tiernamen für Geräte, unter denen auch «die Folter» zu «Füllen» gehört, findet man in den Wörterbüchern unter «Bock», «Esel»» usw. (vgl. S. 86 f.).   39   Habsb. 1, 212 f.; 2 a, 173 nach schwz. Id. 4, 452; vgl. Lf. 317.   40   GlM. 136.   41  Aus lat. modius ( Öchsli 16), woher auch der Mütt.   42  Zugrunde liegt die als Schallnachahmung des Saugens gebildete Gruppe «die tuta, tute», das tüttel, tüttelin ( mamma, mamilla: mhd. WB. 3, 154; Graff 5, 381). Formen und Hauptzweck des Geräts stimmten dazu.   43   Lf. 515; vgl. Lötsch 71.  
 

Niidla und Anken.

In unverstandenem Ausdruck nennt der Emmentaler die Rahmdecke über der gesottenen Milch «Chüejjer.» Es ist in spassigem Grindelwaldnerbild der Chïejjer in Uberhŏsen; gewöhnlich indes sagt man dafür der Roim. (Mit ihm verwechseln Unkundige etwa den Poppel oder Truebel: kranke oder angesäuerte Käsmilch, welche beim Sieden bricht, insbesondere solche von Ziegen: Geißpoppel oder Geißtruebel.) So wenig natürlich besonders der Älpler ihn verachtet, so ist es doch ein ganz ander Ding um die unmittelbar von der Satte weg genossene roui Nịịdla, ganz besonders aber um die Schlagsahne: die ’blääjt, gschwungen oder mïed Nịịdla. 1 Freilich kann hier «aus éinem Brunnen Süß und Bitter fließen». Ist doch Nịịdla ässen es frëidigs aa nfaan und es trụŭ̦rigs naa chlaan! Denn d’Nịịdla verbinded: sie «stillt» den Appetit so rasch und so gründlich, wie ein Verband den Blutstrom der Wunde «stillt». Wie bald ist mu̦ volla bis in all Zääjji ụsi (in alle Zehen hinaus)! Das Gefühl der Übersättigung macht einen zoopa, păßna, lampiga, und d’s Härz tued einen (oder eim) brennen: man bekommt Sodbrennen. Wer daher guetig (ausgiebig) oder sogar chụụm z’grächtem angefangen hat, halte mitten im höchsten Genuß inne. Denn den hastigen Esser tueds aa nfaan nịịschen (schütteln wie im Fieber), und er wird g’stŭ̦ffla (bekommt Gänsehaut), eh er sich’s versieht. Weh ihm, wenn dann sein junger Gastgeber noch ein Schalk ist und dem Unerfahrnen etwa rät, drịị Mal ab dem Sụụffitotzen ahi z’gumpen, oder sich anerbietet, mit ihm Stäcke n z’ziehn! Besser wäre ihm gewesen, jener andere Schalk von Älpler an Scheidegg hätte ihn eingeladen: 395 jetz chu̦m inha gan Nịịdla nähn! und hätte ihm dann den Napf d’s under ụụf (umgestürzt) auf den Sụụffitotzen gestellt. Gewitzigte sind denn auch im Genuß dieser feinsten Gabe der Nerthus äußerst vorsichtig; und während eine, die sich auf ihren Magen verlassen darf, der Ansicht ist: es ist fï̦r alls Gäld schaad, wa mmu̦ nid fïr Nịịdla gi bd, antwortet ein anderer auf die Frage: hest du d’Nịịdla gääre̥n? oder hest du sa gäre̥ nllochtig? Emme̥l wohl! Ei nmḁl fï̦r d’s Mụụl! aber (freilich) sie tued me̥r nid wohl.

Treeltutel.

Der richtige Älpler handelt auch — und gerade recht — in diesem Punkte generös, wenn die augenblickliche Sachlage es irgend zugibt. Wen n e̥r grad am nịịdlen ist oder g’răd g’nịịdled’s heed, dann fahndet er mit der Schöpfkelle auf die letzten Rahmreste in der Satte: er tued nahifahren, um ja dem Gaste wacker Nịịdla aa nz’reisen. Und er drängt zum Leeressen des Napfs: zum ụụsässen; denn aufbewahren läßt sich einmal aufgetischte Sahne nicht und der richtige Älpler mag nicht in dem Maße mid ’nem jedre n g’meindren, daß er dessen Reste aufäße; äs hed ’nen ab. Si tued nid gueten d’raab (sie wird durch Stehenbleiben nicht besser)! erklärt er mit diplomatischer Höflichkeit. Ein andermal muß freilich der gute Wille für die Tat einstehen. Abgesehen davon, daß kein Älpler von ganz andersartiger Arbeit auf weitem freiem Felde weglaufen kann, um für einen allen Verstandes baaren Touristen in der Hütte zu hantieren, geschieht es zuweilen, daß die Rahmbildung versagt. Wenn es an der erforderlichen Wärme von 10 bis 15° fehlt, so ziehd d’Milch ni̦d z’g’rächtem ụụf. Bei Ziegenmilch geschieht dies überhaupt nach 12 Stunden nicht mehr.

Aus Rahm läßt sich etwa ein Viertel seines Gewichtes zu Butter verarbeiten, so daß zwei Liter guten Rahms ein halbes Kilo Butter geben: e n Maß gueti Nịịdla es Pfund Aihen. Das Stoßbutterfaß heißt darum etwa spaßhaft Nịịdle nschẹle̥m. Der Aihen oder Oihen, wie man noch vor einem Menschenalter sagte und schrieb, dient gemäß seiner ursprünglichen Verwendung 2 auch 396 als Medizin und ist also in zwiefachem Sinne «der Schweitzeren Öl». 3 Was sodann ein Ankbock oder ehemaliger Aichbock (Butterbrot) ist, wissen natürlich auch Grindelwaldner Kinder, obwohl sie im Jahre höchstens zweimal dazu kommen. In den letzten herbstlichen Alptagen nämlich wird g’anked, um sich für den langen Winter zu verproviantieren, wenn nicht — ohne den «Ankenträger» 4 des Unterlandes — das köstliche 5 Produkt doch noch um gutes Geld zum sehnlich wartenden Käufer wandert. In dieser Zeit, wa mu̦ ụụsalped, entsteigen dann aber auch dem Ank- oder Trëël-Tụtel Tag für Tag hübsche Ankballe̥ni, die bei nicht sofortigem Verbrauch durch tägliches ụụfstrịịhen zu stattlichen Anke nstëcken anwachsen. An ihrer schönen glatten Oberfläche ist dann nichts mehr von den Anktrïebe̥llinen (kleinen Butterfetzchen) zu gewahren, wie sie beim Buttern sich einstellen. Das saubere weiße Aussehen dieser Ballen veranlaßte zwei hübsche Übertragungen. Aus der Wetterhorngruppe blinkt bei hellem Himmel das mit ewigem Schnee bedeckte Ankballi oder Ankbälli, auch das kleine Ankbälli 5a (es gibt auch ein Ankbälli an der Südwestseite des Wetterhorns) 5b entgegen, und der gleiche Name, mit Anktụtel abwechselnd, eignet der europäischen Trollblume. — Auch im Frühling wird da und dort gebuttert:

We d’Spächte rollen,
Gid’s Ziger- und Ankechnollen;
Aber we d’Spächta pfiffen,
Su gid’s Schnee u Riiffen.

Der Mejjen-Nï̦w-Anken genießt des Rufes, das ganze Jahr über gut und schön zu bleiben, wenn er sauber ausgeknetet und ein wenig überzuckert werde. Sonst aber mißrät die Frühlingsbutter leicht. Sie wird plŭ̦drigi (schmierig weich); der Scheid vollzieht sich nämlich nicht gut, weil die richtige Temperatur schwer einzuhalten ist: mŭ̦ verwärmeds gären, oder: äs ist ohni dri̦ n z’wärme n scho n z’ware̥ms, und die Scheiba (das durchlöcherte Brett im Faß) kann nicht richtig arbeiten. Das Produkt wird dann rasch eingesotten, und die Feime: Der Ank- oder der Aichfeim oder -feem schmälzt gewisse Speisen äußerst appetitlich. Besonders lecker aber findet man um Neujahr die Ankfeimchuehe̥ni oder Chuehibrood (zu welch letzterer Bezeichnung man das 1 kg schwere Brëëtlibrod 5c des Alltagstisches in Gegensatz stellt). D’s Tïpfli u̦f dem i aber bildet auch zu solchem Neujahrsschmaus selbstverständlich wieder die ’blääjt Nịịdla.

397 Man sagt übrigens statt Ankfeim nun etwa auch Anke nrụụmmi (wie im Emmental «Anke nrụụmme n»); und den Satz, daß jeglicherlei Untlauterkeit in Handel und Wandel zu gegebener Zeit an den Tag komme, bekommt man zu Grindelwald gelegentlich in der Fassung zu hören: ä̆s chunnd denn i n Lŭ̦gibatti’s Anke nrrụụmmi umhi fï̦̆rha.

 
1   Müed (vgl. bereits S. 282) stellt sich als adjektivisch isoliertes Partizip (mü-de) zu mü-hen (ahd. muoen quälen, ärgern: es hed mi gmiejd). Man «quält» die «Schlag»sahne, etwa wie der Südfranzose « tourmente la salade», wenn er den Salat nach gastronomischer Vorschrift umrührt wie ein Narr.   2  Nämlich als Salbe in allerlei Fällen, wie noch heute die als Speisefett weniger geschätzte Ziegenbutter. «Schmieren» (vgl. «Schmäär») war ja auch die Bedeutung des altindischen an’j (an’dsch). Die ahd. Schreibung ancho wiederholt sich z. B. noch in «Anchenmerit» 1361 ( Font. 8, 397).   3   Kyburtz a 40.   4  Ebd. A 18.   5   GlM. 36.   5a   Cool. BO. 130 f.   5b  W 1.   5c  Vgl. den Chäslichääs S. 401.  
 

Chäsen.

Hauptgegenstand der Milchwirtschaft ist nun aber doch die Käsebereitung: das chäsen. 1

In der Fị̈ị̈rgrueben ist das dürre Scheiterholz bereits in Brand gesetzt: aa ng’steckds. Das pufft und knallt und wirft hier einen Sprangen (Kohlenstück), dort einen empor. Diese geraten auch etwa in den Käsekessel, sammeln sich an dessen Boden an und können als Bereicherung der Wäschi (s̆s̆) leicht von der Käsemasse entfernt werden. In einer Ecke steht auf geflochtenem Strohring, der Chessiträ̆tsch geheißen, der außen rußige, inwendig um so blankere Kupferkessel. Solcher Chesse̥ni gibt es im ganzen viererlei. Zunächst unterscheidet man der Form nach das Plattchessi mit gerader Wandung und konischer Form und das Hăfe nchessi, dessen Wandung unten ausgebuchtet ist, also einen Bụ̆del (Bauch) bildet. Beide Arten werden Chessi genannt, wenn sie mehr als ungefähr 180 Liter fassen und Chesse̥lli, wenn ihr Umfang geringer ist. So ein Chessi wiegt seine sechszig bis achtzig Kilogramm, und ihr Transport auf dem Rääf von Läger zu Läger über regennassen Alpboden (s. S. 307) darf immerhin eine Kraftprobe heißen. Mittelst des halbkreisförmigen Aufhängebogens, die Hiena genannt und etwa als Chääs­chessi­hiena z. B. von der Chorbhienen (Handhabe am Korb) unterschieden, hängt das Chessi am Drehbaum: dem Tu̦rner. 2 Einem senkrecht gestellten Wandelboim (Wendelbaum) vergleichbar, läßt dieser etwas übermannshohe, gezimmerte Fichtenstamm sich fï̦rha und zuehi rï̦cken. Dies geschieht unter weithin hörbarem Gekreische: raaxen und gigaaxen, welches den Sennen etwa einladet, einen Zuehitrịịber neckisch «Tŭ̦rnersalb» auszusenden. Das untere Ende des Drehbaumes ruht in der ungefähr einen Dezimeter weiten Aushöhlung eines andern mächtigen Fichtenstammes, der als Tu̦u̦rnerholz längs der Hüttenwand am Boden liegt. Oben bietet dem Drehbaum Anhalt und Drehpunkt die in die Hüttenwand eingelassene und waagrecht gegen den Herd hin gerichtete Turner schääri. Sie besteht 398 gewöhnlich — daher ihr Name — aus einer starken natürlichen Astgabel, einer Gri̦tte̥llen. In halber Höhe des Turners ist der etwa meterlange Turnerarm eingelassen. Zu größerer Festigkeit dieses Kesselträgers hilft an der Einfügungsstelle eine Verdickung: der Grind, welcher das Durchschlüpfen verhindert und überdies als schräge Stütze die Sprị̈ị̈za, Turnersprị̈ị̈za. 2a Eine Einkerbung des Armes: der Hienenhi̦ck, nimmt die Hiena und damit den Kessel auf, und die Käsebereitung kann beginnen.

Zunächst nimmt der Kessel sämtliche Morgenmilch in Empfang, wie sie frisch von den Kühen und (je nach Grundsatz und Methode, S. 386) auch von den Ziegen eines Senntums herkommt. Über das Feuer gerückt — uber g’rï̦ckd —, wird sie hier g’wärmed; und sie leewed zunächst einmal (wird lau), während man die Hinzufügung der nächtigen (am Vorabend gemolkenen) Milch vorbereitet. In allen Fällen wird diese zunächst entrahmt: mu̦ nimmd d’Nịịdla ab. Ein kleiner Teil desselben wird in e̥s Napfli ’taan und für anderweitigen Gebrauch ( S. 399) beiseite gestellt: dänna ’taan. Um nun feißt z’chäsen, was die Regel bildet, wird der Rahm über die Morgenmilch gegossen und mid der Chellen gued zertrĭ̦ben. Geschieht letzteres mangelhaft oder gar nicht, so mischt sich der Rahm nicht mit der Milch; er schwimmt in erbsengroßen Klümpchen oben auf und gibt wilda oder toïba Chääs. Zugleich ist obzusorgen, daß d’Milch d’Nịịdla nid verbrïejd. Das geschieht bereits, wenn die mit dem Temperatursinn des entblößten Vorderarms erprobte Wärme von ungefähr 37-38° C 3 überstiegen wird. Die Milch darf bloß eppḁs wẹrmer wa n chïehwarmi werden; sonst gerinnt der Rahm zu Klümpchen, welche abermals obenauf schwimmen bleiben. Ist die Milch dagegen z’leewwi (zu lau, zu wenig warm), so vollziehen sich die nötigen Prozesse ebenfalls mangelhaft. D’Nịịdla in der Or dnu̦g ịị nchäsen ist e n Chụụst, wa nid e n jedra chaan. — Soll der Käse bloß halbfeißta werden, um Butterbereitung auf die Fremdensaison zu ermöglichen, so wird ihm aller Rahm der Abendmilch vorenthalten. Will man (während des täglichen Butterns in der letzten Alpzeit) sogar nur mä̆ge̥rren (Magerkäse bereiten), so wird der Rahm auch der Morgenmilch entzogen.

In die genügend g’wärmet und deshalb nun abg’rïckd Milch des Kessels wird jetzt auch die abg’nụụnn oder abg’nịịdlet Milch der Satten g’schï̦tted, bis auf einige Liter Wellmilch ( S. 408). Die ganze Masse wird jetzt langsam auf 31-35° C enwärmt; größere Quanta 399 indes bringt man bloß auf 29-31° und brïejd sie nachher ( S. 400) um so intensiver. Vorderhand wird nun z’dicke n g’leid: mu̦ tued d’s Chăslu̦b oder d’s Chăslŭ̦g 4 dri̦i̦n (in die Milch). Im Chaslugchï̦̆bel wurde für den Vorrat einer Woche Labpulver oder ein Stück Chalbermăgen mit 27° warmer Schotten oder leewwem Wasser übergossen; und ein Stu̦pf (eine Prise) Salz sorgte dafür, daß ’s besser aangrịịffi. Auf die Nịịdelchella wird nun eine vom erfahrenen Oïge nmmääs diktierte Probe von einem Drittel Chaslug und zwei Drittel Milch genommen; dicked (gerinnt) die Probe aṇgänds (sofort), so ist das Chaslug gut. Durch stëërren (umrühren) mit der Nịịdle nchellen wird die derart gemischte Milch i n Schwung versetzt und dann eine Viertelstunde ruhig gelassen. So dicked sie: sie gerinnt zum Schlu̦ck. Diese puddingähnliche, feine Masse ladet 5 den Sennen zu einem wohlverdienten z’Nị̈ị̈ni (Neunuhrbrot) ein, das er sich wohl noch durch Übergießen mit dem weggestellten Rahm ( S. 398) leckerer macht. Das gönnt er sich erst recht, wenn er wiederholt vergeblich von seiner Zwischen­beschäftigung am Brunnen hergekommen war und ausrufen gemußt: álliwịịl no ch nid Schluck!

Nachdem derselbe num endlich doch gediehen, wird er vielerorts mit dem Schluck- oder Zigersăbel («Schluckdegen» 6 ) zerschnitten, immer aber mit der Nịịdle nchellen umg’chehrd oder umg’wëlpd (umgedreht). Damit kommen die zu Boden gesunkenen Unreinigkeiten als dräckiga Schluck samt den Sprangen ( S. 397) oben auf und können in die Sï̦wtrẹihi befördert werden. Jetzt wird der gereinigte Schluck mit dem Brä̆chcher, einem sauber geschälten Taṇṇgrotzli (jungen Fichtchen) gstëërd. Dies geschieht erst langsam und zwar so lange, bis der Schluck zaarta 7 gnueg ist, d. h. bis die ganze Masse sich in erbsengroße Stückchen aufgelöst hat.

In diesen neuen Zustand versetzt, wird der Schluck — nach neuer Ruhepause und nachfolgendem Aufrühren — uberg’rï̦ckd und erwärmt: ’briejd. Zu stark gebrühter Käse heißt z’wohl g’machta, 400 oder man sagt einfach: e̥r ist z’wohl. 8 Zu wenig gebrüht, ist er ï̦bel gmachta: er zerfließt und muß lange Zeit im Järb ( S. 402) bleiben. Sehr wenig haltbar, ist er für Transport und Handel ungeeignet; um so geschätzter, weil sehr milta (mild), ist er auf des Älplers eigenem Tisch.

Gleichzeitig, während einer Viertel- oder Halbstunde, wird mit dem Brecher g’stëërrd. Dadurch verhütet man ein klotziges Aufsitzen der Masse am Boden und gestaltet zugleich die Käsepartikelchen fester. Eine auf die Handfläche genommene Probe soll sich als gleichmäßig durchgearbeitet: als glịịchli ch erweisen. Kinder, die den ebensolchen Hantierungen der winterlichen Talkäserei zuschauen, warten längst auf ihr Inspektionshonorar und lassen sich eine solche zwischen den Fingern ausgepreßte Probe als Chääsvŏgel oder Wĭ̦gger, (im Hasli auch als Wĭ̦gge nfisch, vgl. S. 296), schenken. Erwachsenen schmeckt er nicht sonderlich, so wenig wie die auf die Zähne genommene Probe. Rĭ̦tschged (quietscht, «gixet») 9 diese etwa so, wie das Knirschen der Kühe mit den Zähnen sich anhört, so ist die Durcharbeitung gelungen und die Masse für die Erfordernisse einer langen Dauerhaftigkeit gnueg briejti. (Ihre Wärme ist auf 45-52° C gestiegen.) Sie wird also wieder abgrï̦ckd und unter fortwährendem stëërren abgekühlt. Zum Zwecke solcher Abkühlung hatte man schon vorher etwa eine bis zwei Gepsen voll des aus dem Käseteig sich ausscheidenden Käserwassers, Sï̦rwe̥nda oder Sï̦rbe̥nda 10 geheißen, ụụsa g’nu̦u̦n und gießt sie jetzt in das kleine wallende Meer zurück. Dieses wird nun neuerdings in Wirbel versetzt. Nach einer kleinen Halbstunde läßt man die Masse während fünf bis zehn Minuten si ch setzen und i n d’Mitti g’hịjen. Bei längerer Ruhe aber würde die Masse festi und chächchi. Häufiges welpen macht, daß beide Seiten schön gleichmäßig gelocht werden.

Jetzt ist das ụụsatuen zu besorgen. Ganz kleine Massen hebt man einfach mit den Händen heraus. Auf der Alp dagegen nimmt man ein Gepsli oder aber das Chäästuech, Chäästuechli zur Hand. Das war ehedem ein Nesseltuech. Leider mußte das feine und feste Nesselgewebe sich ersetzen lassen durch das gröbere aus Hajf- oder Hawfrịịsti (den durch die Hechel geordneten langen Fasern des Hanfs). Das Chääsbëgli, ein einfacher, sauberer Tannenzweig, führt Ränder und Zipfel des Tuches scharf an den Wänden und dem Boden des Kessels hin.

Gemalt von F. Brand.

Bemaltes Geschirr.

Zwo Platti, 1 Chindbettibutälla,
1 Ggaffechrueg, 4 Dorfgutterleni.

Fätterli von innen.

Fätterli von außen.

(In Ovalansicht.)

401 Aber nun wohin mit dem Zeug? In der kleinen winterlichen Hauskäserei des Tales, deren Produkte weit mehr als Hụụsspịịs denn als Handelsware zur Verwertung kommen, verbringt man den Käseteig in einen sattenähnlichen, doch bloß etwa zwei bis drei Dezimeter Durchmesser aufweisenden Formnapf: die Fätte̥rra, 11 oder das noch kleinere Fätterli. Man unterscheidet übrigens die nach Art der Satte aus Dauben gefügte Gepslifätte̥rra von der gedrechselten oder ’trääjte n Fätte̥rren. Durch die zahlreichen Löcher dieses Formnapfes tropft die Sï̦rwe̥nda in das darunter gebettete Fätte̥rreṇgepsli. Ein derart gefertigtes Käselaibchen heißt im Simmental Fätte̥rre nchääs, in Grindelwald Mŭ̦tsch, Mŭ̦tschli, Mŭ̦tschlichääs. Es ist eben gleichsam nur ein Stummel, kein «rechter» Käse, auf dessen Gelingen der Senne einen so großen Stolz setzt, daß ein Fehlschlagen ihn dem Spott und Hohn der andern Sennen preisgibt und ihn ehedem zum Auswandern oder in Kriegsdienste treiben konnte. 12 Der einzig «rechte» Käse ist der Chäslichääs 13 oder Järbchääs. Den erstern, immer noch bescheidenen Namen führt er im Bewußtsein des Gegensatzes zwischen den heutigen Laiben von zwölf bis fünfzehn Kilogramm und den ehemaligen von sechsfacher Schwere ( S. 319). Die letztere Bezeichnung kommt von folgender Packungzweise:

Chääsbritt.

(vgl. S. 449.)

Aus dem Kessel kommt der Käse u̦f d’s Laad. Das ist ein Bri̦tt mit zwei Rändern, zwei zusammenlaufenden Abflußrinnen und bisweilen zwei bogenförmigen Einschnitten in der Vorderseite, das s mu̦ besser zuehi chënn. Seine Ausdehnnungen sind etwa hundertfünfzig, hundert, fünf Centimeter. Unter ihm zieht sich einer ganzen Hüttenwand entlang der Schotte ntroog, vom Britt getrennt durch zwoo Lịịsti. Auf dem Laad liegt das under Lădbri̦tt, und über dieses breitet sich das Chäästuechli. In dasselbe wird der Käseteig ịị np’hackd. Um de n 402 P’hack schlägt sich der Formreif: der Jäärb, der Ladjäärb oder auch nur das Jäärbli 14 und wird mittelst Schnuer und Trïegle n zusammengezogen. Zu dieser seitlichen muß die senkrechte Pressung kommen. Zu dem Ende lastet auf der Verp’hacku̦g das ober Ladbritt und über dessen Querleisten das dicke Lĕdli. Ein aufgelegtes Tï̦tschi (Klötzchen) schützt dieses vor dem mächtigen Druck des senkrecht gestellten runden, einen Dezimeter dicken Lădstäcken oder des Sperzel, auf welchem die sehr schwere Lădu̦g ruht. Dieselbe besteht aus zwei waagrecht gelegten Të̆ldnen (der Tolden ist ein starker Tannenstamm von beträchtlicher Länge), beschwert mit einem oder mehreren Felsstücken, und durch ein Querbrett getragen. Eine Hebelvorrichtung unter dem Dache gestattet das Heben und Senken der Lădu̦g und damit die Regelung des Pressens mittelst einer Zugschnur. Die Pressung wird nach etwa drei Viertelstunden unterbrochen und der Käse e ntlăden, damit er chueli (sich verkühle) und nicht vorzeitig in Gärung gerate. Erchueled, wird er neuerdings gepreßt, um ja alle Käsemilch zu entfernen. Am folgenden Vormittag verdrängt ihn sein Nachfolger, und er 403 muß nach dem Spịịher wandern. Man enthebt ihn also der Lădu̦g und verpackt ihn zwischen die Traagbri̦tter oder in den Ịịnbund. Dieser wird auf ein Găbe̥lli geladen, und der Spịhermaan oder auch ein kräftiger Spịherbueb marschiert damit ab. Als «Käsgaumer» 15 haben die mit dem spĭ̦he̥rren beauftragten Spĭ̦hermanna und Spĭ̦herbueben nicht bloß den regelmäßigen Transport der frischen Käse und Zigerstöcke von der Alphütte nach dem Speicher, sondern hier auch deren Pflege während der Alpzeit zu besorgen. Trotz dem oft stundenweiten Weg und dem bei Regenwetter sehr verdrießlichen «Nicht-Weg» langen sie, vereinzelt oder gesellig, wohlgemut an. Ihre Last stellen sie auf der Spịherschŏri ( S. 412) oder auf dem Lëibli (der kleinen Laube) zwischen äußerer und innerer Speichertüre ab, und das Chääsli wird ab’bunden. Die Chääsle̥ni sind ja fĕrigi: leicht transportierbar und würden nötigenfalls durch zerschnịịden und halbieren des Teigs im Kessel zu solchen geformt. Allein d’Lẹngi machd d’Strẹngi; und Knaben, die sich auch bei solcher Einschränkung überladen sähen, würden flu̦gs den Streik von den Werkstätten des Unterlandes nach der friedlichen Alp hinauf verpflanzen: Traage n si die, wa si machen, old aber miechen nịịd selhi!

Käse im Järb, auf dem Weg zum Speicher; der Chääs im Iinbund, ii’bundna.

Die Jungen aber, die uns als äußerst zuvorkommende Lehrer begleiten, schreiten sofort zu einer künstlerischen Prozedur: der Chääs­rie̥mmen­hŏbel rie̥mmed oder entkantet die frischen Laibe, worauf nötigenfalls noch ältere Stücke nahig’riemned werden. Die beiden Chääsrie̥mme n je eines Laibes gelten als erste Abschlagszahlung an den gehabten «Mühwalt» und werden wenigstens von Knabengaumen ordentlich genießbar gefunden. Nach vollzogener Verschönerung geht die nach außen etwas bauchige Umrandung des Laibes, der Järbschlag, hübsch in die obere und untere Scheibenfläche über. Den Järb als Formreif aber ersetzt nun die geradwandige Chäässchĭ̦na, das Schĭ̦ne̥lli, das Umschlĕgli. Zuvor jedoch wird der Laib auf ein rundes, mit Ohrnen (Ösen) zum Anfassen versehenes Traagbri̦ttli gelegt, behufs Abwaschens und Salzens. Dann erst erhält der Neuling den ihm gebührenden letzten Platz auf einer Stĕli (Käsbank). Die eine Längswand des Speichers sowie der Loiben im 404 Talhaus trägt lauter Stĕle̥ni für Käse, die andere auch Zĭ̦gerstĕle̥ni. ( I’ n Stẹlinen heißt ein kleines Waldstück am Mettenberg.)

Behufs neuer Behandlung wandern nun auch die ältern Käse Stück um Stück auf den Chäästi̦i̦sch oder Salzti̦i̦sch. Mit Hülfe des schwertartigen Chäässchleipfers werden sie der Stĕli enthoben und zu allernächst mit dem in Salz getauchten Spiicherhŭ̦del tüchtig abgewaschen. Ein ebenso sorglich unterhaltener Stĕlihŭ̦del dient zum ụsawi̦schen (s̆s̆) des eben leer gewordenen Platzes. Der Abtrëchchner aber, als Dritter im Bunde, fährt energisch über Scheibenfläche und Järbschlag. Jetzt langt die Hand des längst mit dem Salzschurz Umgürteten nach dem Salzchĭ̦stli, oder Salzchŏpfli, oder Salzg’schĭ̦dli (-g’schĭ̦rli), das aus der Salzdrucken neue Speisung empfangen hat. Gut­scheinenden­falls wird in einem flachen Behälter, die Salzschĭ̦fe̥rra oder bloß Schĭ̦fe̥rra geheißen, mit dem Salzrịịber, einem flachen Brettchen, die Würze zart (feinkörnig) gerieben. Nun bekommt der Pflegling eine starke Hampfe̥lla auf den Leib appliziert; in zwei Tagen wird er sie auf die Unterseite, in vier Tagen wieder, wie jetzt, ŏbennahă abkriegen. In den Zwischentagen werden die vom Salzwasser gebildeten Tï̦pf mittelst der Zerstrịịchbï̦rsten zerstrĭ̦chchen, damit das Salz den Käse gründlich durchdringe. Geschieht dies nicht, so wird der Käse z’luemma (fade). Des unverwöhnten Älplers seiner Gaumen urteilt denn auch ebenso rasch nach dem fecken (kosten) eines minimen Brëëse̥llis: da ist z’wenig Salz dri̦i̦n, wie seine Beobachtungsgabe ihn an einem Vermögen, auf welchem kein Segen ruht, zu entdecken gibt: da ist z’wenig Salz draan! Auch das Übermaß schadet, doch weniger für den Geschmack, als für das Auge. Übersalzner oder «angesteckter» Käse — aa ng’steckta Chääs — bekommt eine weißliche Salzhụ̆ụ̆t, wirft auch kleine Spältle̥ni, welche den Laib zersprẹnggen, so daß er häßliche Risse kriegt. Schließlich werden die an ihrem Platz in der Stĕli zerstrichenen Käse glĭ̦fted (ein wenig gehoben und wieder fallen gelassen), damit sie nicht ankleben. Ein schlürfendes Geräusch: ein schlu̦rggen zeigt an, wie nötig diese kleine Bemühung war.

Gärender Käse und Ziger stößt auf seiner Gru̦sten (Kruste) fortwährend Abschuppungen aus: Jä̆st; er ist jä̆stiga. Da der Jäst wie Unreinigkeiten aussieht, schabt der Unkundige ihn je und je mid ’nem Hëlzli ab und beraubt damit die Ware eines großen Teiles ihrer nachmaligen Schmackhaftigkeit und Haltbarkeit. Aus ähnlicher Unkunde entfernt man vor dem Genießen eine abg’hï̦wne n Stückleins Käse die Grŭsta, in welcher doch — ähnlich wie unter der äußersten dünnen Schale des Obstes — der Bluemmen (vgl. S. 237 f.) der Qualität und 405 des Wohlgeschmacks sich birgt. Wer es besser weiß, begnügt sich mit oberflächlichem Abschaben der wirklichen Unreinigkeit. Ebenso versteht er sich auf den großen Unterschied zwischen so geheißenem fụlem Chääs und tatsächlich fauler Ware.

Chääsloiba.

So wehmütig die Abfahrt von der Alp zu stimmen im stande ist: 16 einen gemütlichen Abschluß bringt sie doch im Chääswäägget als Vorbereitung zum Spịịsteillen ( S. 320). Auskerbung mit dem Taschenmesser oder Aufpinselung von Rinderstutz ( S. 428) bezeichnet an jedem Käse dessen Gewicht in Pfunden (zu 500 Gramm). es gelten hiefür folgende Ziffern: 17

406 Sorglich in Stroh oder Heu verpackt, wird auf Găbe̥llinen, Hŏrigen (Hornschlitten S. 85) oder Räderschlitten ( S. 87) die Ware nach den Loiben (Obergemächern) der Talhäuser verbracht.

 
1  Trotz der ganz eigenartigen Technik und Sprache hier summarischer dargestellt als in Lf. 487-491.   2  Turnen = drehen, wenden, sagt schon Notker.   2a  Vgl. S. 212 und Lf. 435. Sprießen, sprüüzen und spritzen sind Schwesterformen.   3  Alp- und Talkäsereien rechnen immer noch nach Réaumur.   4  Die Zurückführung auf «Käselab» («der Laab»: Kasth. 22, 190) s. Lf. 488; And. 470. Die Nebenform auf -ug ist analogisiert aus -ung, vgl. Hornug, Or(d)nug usw.   5  Vgl. den gebratnen Käse mit Wein, oder aber Suifeta mit Weißbrot als Henkersmahl: Wallis S. 43. Im Lötschental aber wird die große Suifgepfa zum gemeinsamen Auslöffeln auf den Mittagstisch gestellt.   6   Wyß 588.   7  Wie sich unser dem Romanischen entlehntes «fein» an findere (spalten) knüpft, so zart an «zerren» i. S. v. reißen, brechen ( Mhd. WB. 3, 902; Graff 5, 691 f.). Das Synonymenpaar «fein und zart» erhob sich erst durch die Zwischen­bedeutungen dünn ( S. 424), klein ( S. 233), reizend ( mignon), Zuneigung und Wohlwollen erweckend, zu der heute gemeinsamen und zu der jedem Wort eigenen Bedeutung.   8  Auf diesem Wege hat die Sprache manches bloße Verstärkungsadverb zum Adjektiv (und zwar sogar aus prädikativer in attributive Stellung) vorrücken lassen.   9   Lf. 490.   10  Aus lat. serum (wässerige Ausscheidung) bildete sich sowohl unterbernisches Sirte und Sirpe ( Lf. 490), wie unsere Formen.   11  Aus romanischen factura, afz. faiture ( A. f. Vk. 9, 272 f.) i. S. v. Gestalt, Form (vgl. fz. façon aus factio). Den Prototyp dieser Fätterren des Oberwallis und Berner Oberlandes zeigt das « factorium» prähistorischer Ausgrabungen: ein ausgehöhlter Holzklotz mit durchlöchertem Boden. Vgl. Gauchat 8.   12   Museum (1785) 2, 782.   13  Vgl. das «Bröötlibroot» S. 396 und unter « Herd und Tisch».   14  Der Järb, aus deutschem gerwen oder garwen = «gar» machen, bereiten, zurüsten (später speziell «gerben») wanderte noch zur Zeit der Fabrikation großer Alpkäse von der Alp ins Tal, und so auch aus dem deutschen Oberwallis mit seiner ausgebildeten Milchwirtschaft ( A. f. Vk. 9, 186) ins welsche hinunter. Das glarnerische «Girb» und «Wirb», das «Gerb» Unterwaldens und das «Gärb» des Wallis, das «Werb» und «Erb» Appenzells (alles nach Anderegg) entspricht lokalen Lautgewohnheiten und ist zu beurteilen wie gäten &Vert; jäten, Genf &Vert; Jänf, gegohren &Vert; gejohren (basler. Kräuterbuch 267), Lilien &Vert; Lilgen &Vert; Jiljen ( S. 261) &Vert; Gilgen usw. Dem deutschen gerwen aber entspricht fachlich romanisches facere, faire (machen, bereiten), welchem obiges factura = Fäterra entstammt. Romanisch ist ebenso die S. 408 f. zu besprechende Fischella gleich der Gebse ( gabata, gebisa) und dem Goon ( S. 393). Auch «Kessel» ist ja lat. catillus, catînus, eigentlich Pfanne, während die echt älplerisch-deutsche Verkleinerung des großen und schweren ( S. 397) Geräts zum Chessi und Chesseli an den sprach­geschichtlich ähnlichen Turner gemahnt usw. Man sieht hier gleichsam die Fertigkeit und Gewandtheit der enetbirgischen Molkerei mit germanischer Kraftentfaltung legiert. Man denke auch an den «Käse» selbst, der als römischer câseus die brüheartige « justa» ( Kluge 187) der Germanen ersetzte; wie deutsch klingt uns jetzt der «Chääs» und ebenso der «Ziger» ( S. 406 f.) der neuen Talkäsereien und der alten Alphütten!   15   Osenbr. 6, 109 f.   16  Der jüngere Wyß: Ach wie churzen üsi Tage!   17  Vgl. die «Bauernzahlen» in Steblers Arbeiten über die Walliser Teßlen: Schweiz I (s. bei «Eigentumszeichen»). Im Unterbernischen blieb davon noch das «Pureföifi»: Lf. 606.  
 

Der und die Ziger.

Bleibt noch kurz der Zĭ̦ger zu verhandeln. Als Maß war er schon S. 321 zu besprechen, und gemeßner statt gewogner Ziger begegnet uns in den Urkunden häufig. Aus einem Unterwaldner-Imi Milch gab es einen Ziger, den das Kloster Engelberg 16 Pfund schwer einforderte. In ein zuckerhutförmiges Tannenrindengefäß gestoßen und mit zwei Bechern Salz gesättigt mußte er präsentiert werden. 1 Die bernische Regierung aber ordnete 1479 an, daß auf dem Zigerkongreß in Thun die Amtleute mit den Alpgenossen­schaften über ein einheitliches Zigergewicht verhandeln. 2 Ein solches wird auch vorausgesetzt, wenn z. B. 1309 dreizehn Grindel­waldner­lehen an Österreich «XIII zigern, der jeglicher X schilling wert sin soll», 3 entrichten mußten, oder wenn das Kloster Interlaken 1357 aus Grindelwald «drie ziger», aus Iseltwald 69 Ziger 4 einforderte.

Die Frage erhebt sich aber von selbst, ob so vornehme Herrschaften sich mit einem Produkt, das wir heute Ziger heißen, begnügt hätten. Und wirklich lehrt die Geschichte, 5 daß man unter Ziger bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts vielmehr die mittelst Achchis ( S. 408) aus der Vollmilch ausgeschiedene einheitliche Masse von Käse- und Zigerstoff (Caseïn und Albumin) verstand. (Man vergleiche, wie der magere Glarnerkräuterkäse noch heute unter dem Namen Schăbzĭ̦ger umgeht.) Bei gelindem Feuer wurde die Vollmilch durch Zuguß saurer Molken zum Gerinnen gebracht, worauf man das Gerinnsel z. B. in die obenerwähnte Form preßte. Der heutige Schottenziger ist also ein ganz anderes Produkt als jener alte «Ziger». Nach ersterm gäbe es im Grund noch ein weiteres Nebenprodukt: aus der Schotte läßt sich Milchzucker kondensieren. Auch in Grindelwald hed mu ’zuckred, bis die eigens hiezu erforderlichen Zuckerchesse̥ni und — die Wälder zu stark darunter litten.

Die ehemalige Geringschätzung des Schottenzigers hat auf unsere Zeit das Wort vererbt: Chääs und Brod hei’s nie erfahren, was der Zĭ̦ger fï̦r n e n Pï̦ï̦rstel ist. Er finde sich, hieß das, nicht auf dem Tische des Begüterten mit alltäglich dreimal aufgestelltem 407 Käse und Bäckerbrot zusammen. Er gehöre vielmehr auf den Tisch des Mittellosen als Zukost zu den Kartoffeln. Solcher Kostverächter gibt es doch wohl heute unter den Älplern wenige mehr. Bloß măge nwee’igi Lị̈ị̈t (Magenbeschwerden Unterworfene) müssen ihn mịịde n wie Gift. Gesunden (wie auch Blutarmen) dagegen bekommt er, frisch aus dem Kessel oder kalt genossen, so vortrefflich, daß er die Fleischkost für viele Tage entbehrlich macht und sie z. B. für den Hasler auf large Zeiten vom Speisezettel gänzlich absetzt. Und zwar macht er jegliche Aufbesserung seines Gehalts so unnötig, daß das auf Alp und Vorsaß so beliebte Übergießen von Zigermilch oder Ziger und Milch mit Rahm (im Oberwallis mit Honig 6 ) beinahe als Leckerei erscheint. Schwerer entbehrlich ist die köstliche Zutat zu dem weitaus größtenteils gesalzen und gegoren konsumierten Ziger.

Zu dieser hohen Genießbarkeit kommt seine Haltbarkeit als Roichziger. Das Räuchern in der Zĭ̦gerrëiki hält auch den Grŏdel (Insektenlarve) und andere Schmarotzer fern. Als außerordentlich milta wird der Ziger geschätzt, wenn er aus den Rückständen des fetten Ziegenkäses bereitet ist. Ein solcher ¼ bis 1 kg schwerer Ziegenziger heißt in Uri und Unterwalden «Zigergaus», um Brienz eine «Gais», in Grindelwald eine Gois oder ein Goisli, im Hasli «Gaus» oder «Gŭ̦gger» oder «Guggergaus». Der Name Gaisli rührt daher, daß man den Truebel oder Poppel des Ziegenzigers, welcher im Kessel nicht zu einer kompakten Masse gesotten werden kann und daher durch die Öffnungen der Fische̥llen ( S. 409) schlüpfen würde ( mŭ̦ b’hätt ’nen nid in der Fischellen), sofort nach dem scheiden abschöpft, in ein sauberes Tuchstück (einen Hudel) verpackt und zum Vertropfen aufhängt. Auch aus schwach gesottenem Kuhziger lassen sich, wenn man ausnahmsweise nicht seine Formung zu Stöcken vorzieht, Gaisleni gestalten. 7

Die Schotten­zigerbereitung ist wesentlich gleich wie im Unterland. Die nach Enthebung des Käses zurückbleibende Si̦rwe̥nda wird erwelld, 408 und sie brŭ̦sled (brodelt) bei dem den Mittelalpen entsprechenden Siedepunkt von 93-94°. Die zugegossene Wellmilch, ( S. 398), etwa 1 l auf 20 l Sirwe̥nda, läßt den Quark solider und reichlicher, nur weniger fein ausfallen. Das rïe̥hrren mit dem Brecher soll das anbraaten (anbrennen) der Masse verhüten. Jetzt werden dem bedeckten hölzernen Essignapf: dem Achchistutel, je nach der Masse 4-6 l Achchis 8 (vgl. den Achchisschopf hinter Bußalp) entnommen und dri̦ n’taan. Es ist saure Schotte, welcher man beim Achchissetzen Sirwenda zugegossen hat. Das Achchis bricht die erwallt Chääsmilch und verzögert zugleich ein weiteres erwallen, bei welchem neuerdings das Achchis ergossen, d. h. der Achchistutel nachgefüllt wird. Fehler beim Zuguß in die wallende Masse, oder auch mangelhafte Reinigung der Satten bewirkt, daß jene truebleti statt lụụteri aufwallt, einen Truebel (vgl. S. 394) gibt. Infolgedessen wird aus den ausgefällten Klümpchen statt kunstgerechten Zigers ein bloßer Rä̆sel, Ggŭ̦ggerrä̆sel; der Anfänger in der Sennerei (der «Erstwärcher» 9 ) hed ni̦d g’scheiden, er hed nu̦mmḁ n ’ggŭ̦ggred. Sein Ziger bildet nicht eine über der Schotte sich zusammen­schließende Masse, sondern schwimmt in kleinen wilden Flocken in der Schotte herum und läßt sich mit der Kelle nicht fangen. Die grünliche Schotte mit den weißen Flocken erscheint dem witzigen Sachkenner gesprenkelt oder g’sprịịdel wie der Ggŭ̦gger (Kuckuck), der auf jedes ggŭ̦ggren (Nachahmung seines Rufes) zu neugierigem Horchen und gewissenhaftem Antworten auf einen nahen Baum heranfliegt (und also leicht beobachtet werden kann). Im Oberhasli ist der Witz derart gewendet und nun auch verbraucht, daß «Gugger» dort unverfänglich den Rauchziger (sowie den Vorbruch 10 ) bedeutet.

In elegant geführten Hieben nun zerhaud der degenartige hölzerne Zĭ̦gersăbel die Masse, damit nicht die siedende Schotte sich selbst den Durchbruch durch die Zigerdecke verschaffe und damit die letztere zu sehr zersplittere. Ist sie in erwünschtem Maße g’sottni, so wird sie mit der durchlöcherten Zĭ̦gerchellen abg’nu̦u̦n und in die sauber gereinigte Zĭ̦gerfische̥lla, Fĭ̦sche̥lla (s̆s̆) 11 verpackt. Diese hohe, aus Brettern lose gefügte Kiste mit Seitenschlitzen zum abtropfen hat noch 409 heute (vgl. S. 321) in jedem Zị̈ị̈gli ihr ganz bestimmtes Maß, das beim Spịịs teillen als Einheit gilt. Im Hasli dagegen, so wie im Unterland wird der Ziger gewogen, wie dies teilweise schon im Mittelalter geschah. So entrichtete 1372 «ein Gut an Rotenegga ierlich einen Centnern zigern», 12 und 1528 wurde denen «vff Sant Batten berg» jedes Pfund Ziger für «6 Haller» angeschlagen. 13 — Auch die Fische̥lla kann Gegenstand der Neckerei werden: statt des zur auspressenden Belastung genau passenden Zĭ̦gertï̦tschi schleppt etwa ein Genasführter einige recht schwere Felsstücke zu «Fische̥lle nsteinen» beim Umzug von Läger zu Läger als Vermehrung der ohnehin schweren Rückenlast mit.

Fischella.

Auf dem mit Handgriff versehenen Zĭ̦gerlădli oder Zĭ̦gerbri̦ttli wird der 5 kg schwere Stock g’spịịhe̥rred. Jeden zweiten oder dritten Tag fordert er Durchsättigung mit einer tüchtigen Hampfe̥lle n Salz. Ein streichholz­ähnliches Chnĕbe̥lli, das am schmalen Unterrand der zuerst gesalzenen Seite verbleibt, mahnt den «Saumer», die vier sukzessive zu salzenden senkrechten Seiten gẹng uf die rächt Hand z’welpen, damit er nicht hier eine überspringe, dort eine doppelt salze. Wen n er da nid Or dnug heed, su ist er aaṇgänds aa ntribna (gleichsam wie ein Schiffer an unbekannter Küste; er ist desorientiert); är weis s ni̦mmeh, waraan e̥r ist. Die wohlgeratenen Stücke aber, die da in stolzer Reihe sich präsentieren wie eine Zeile granitner Abweissteine an offner Heerstraße, laden dennoch den erfahrnen Esser zum Zugreifen ein.

 
1   Öchsli 94. 209.   2   Alpz. Mai 1906, 103.   3   Font. 4, 384. 386. 388.   4   F. 8, 181.   5   Öchsli 208. 209 nach Zay, Goldau 339; Gfd. 7, 140.   6   Goms 83; vgl. dagegen JG. Rabeneltern 219.   7  Neben der Ziege ist da aber die Gans im Spiele, und zwar in sarkastischem Sinne. Statt der grauen Haargänse und der schön weißgefiederten Martinsgänse aus dem Unterland, mußten die vornehmen Klosterherren mit den graulichen Rauchzigerstöcken und den allerdings schön weißen, aber doch nicht Gänsebraten bietenden frischen Stöcken aus den Alphütten vorlieb nehmen; statt der Federgans gab’s nur eine Zigergans oder, mit grindel­waldnischer Entrundung, Zigergois. (Vgl. Haif statt Hanf und Boim statt Baum; zu Ziger- und Guggergaus: S. 408 und schwz. Id. 2, 373; zum sarkastisch gebrauchten Tiernamen: Wiggefisch und Chääsvogel S. 296 und das Gitzi schwz. Id. 2, 578.) Die Älpler hoben die Spottworte etwa so auf, wie seinerzeit die Schweizer den österreichischen «Schwaizer», die Hugenotten die « huguenots» (Eidgenossen), die Geusen die « gueux» (Lumpen).   8  So im Berner Oberland und im Avers, «Echis» im Simmental, Schwarzenburg, Seeland, Eches im Zürcher Weinland, «Aches» im Wallis, entsprechend goth. akît oder akêt, aus lat. acētum (c = k), gegenüber umgestelltem « atēcum», ezzich, Essig. Vgl. Suur: Lf. 492.   9   Goms 89.   10   Schwz. Id. 2, 189; Lf. 485.   11  Aus fiscella (Binsenkorb) und dies aus fiscus (Korb, Geldkatze, Kasse, Staatsschatz). Daß die «Fischel» ein bestimmtes Maß repräsentierte und der in ihr geformte Ziger ein bestimmtes Quantum darstellen mußte ( S. 406), beweist noch die alte Fischel von Saas = 15 Liter. ( Saas 103.)   12   Font. 9, 303.   13  Ämterbücher Interlaken A 31.  
 

Zigerchella.


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