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ennzeichnet einen Emmentaler Berghof mit unterdrücktem Weidgang das fünfmonatliche «ii nstellen» bei Grünfutter und ein siebenmonatliches bei Heu und Emd, so heißt es in Grindelwald: fïïf Maanenda weiden, sĭ̦be n Maanenda ịịnhirten. Sei es aber, daß einer sein Vieh z’hirteṇ gäbi, sei es, daß man die Durchwinterung selber besorge: die Wintru̦g gehört zu den allerwichtigsten Angelegenheiten des Alpbauers. Neben Durchwinterung bedeutet «Wintrug» auch den sie ermöglichenden Besitz an Heugut; und es ist charakteristisch, daß letzterer analog der Grundsteuerschatzung auch schon als Maß für öffentliche Lasten gedient hat. 1 In ungünstigen Jahrgängen bis zur ersten Weidegelegenheit e n Chueh ụsiwintren ist für einen, der nicht über beträchtliche Mittel verfügt, eine entschiedene Kunst: e̥s hed en Năsa! Hier wie bei irgend einer glücklichen Lösung einer schwierigen Aufgabe kann es heißen: e n schwĭ̦riga Faal hed si ch da bigangen! Es heißt drum auch von einem gut aussehenden Menschen: er hed gued g’wintred. Ja, e n Gwintre̥ta ist ein in alle Sättel gerechter, en ertrĭ̦bna (in seinem Fach durch und durch bewanderter), sogar auch ein durchtriebener, ein abgefeimter Mensch.
Erst recht der Grindelwaldner weiß aber auch, das s mu̦ nịịd weniger vermag wan e̥s măgers Chueli z’haan, und daß o ch 333 die g’schi̦chte n Llị̈ị̈t si ch laa n bschịịßen, aber d’s Veh ni̦i̦d u nd d’s Land ni̦i̦d. En «Ertrĭ̦bna» der eben gezeichneten Art prahlte, är heig all chënne n bschịịße n, wan die mälch Chueh niid. In doppeltem Sinn ist daher nịịdraatsig fuetren e̥s ’trŏge ns Gschäft: indem man zu wenig und indem man zu viel Nahrung verabreicht. Nichts wäre verkehrter, als eine Winterfütterung auch noch um Mittag, auf welchen umgekehrt gerade die menschliche Hauptmahlzeit fällt. Im Stalle soll die Kuh zwischen Morgen- und Abendfütterung ruhig liegen oder stehen, auf der Weide mag sie sich’s Tag und Nacht so behaglich machen, wie jeweils die Umstände es mitgeben. Von einem Mittag braucht gerade sie, die ohne Uhr auf eine Halbstunde genau ihre Melkzeit kennt, gar nichts zu wissen. Daher die Umschreibung einer Inkompetenz: där versteid dḁrvo n so vi̦i̦l wie n e n Chueh vom Mittág.
So lang irgend möglich, wird das Vieh an die Weide gewiesen; denn bald und lang genug geht’s ja ans Fueter, das man seinem Wortbegriffe gemäß 2 darreichen muß. Und zwar ist das Futter um so ausschließlicher Dürrfutter, da die herrlichen Alpenkräuter jedes Kunstfuttersurrogat als Verschwendung ausschließen. Mit ihnen ist auch das Gläck im Sinne des Unterlandes 3 überflüssig gemacht. Gläck bedeutet einfach die Salzgabe vor und nach dem Melken, sowie zu irgendwelcher Anlockung eines Tieres, wobei aber zu vermeiden ist, daß ein solches gar zu gläckloos: leidenschaftlich lecksüchtig werde. Es wird ihm daher nur eine vorsichtig abgemessene Prise: ein Stŭ̦pf, ins Maul geschoben. Schafen und mit ihnen geweideten Ziegen legt der Hirte von Zeit zu Zeit eine Portion solch unentbehrlicher Würze (oder vielmehr Nahrung) auf eine Felsplatte hin. Die Umgebung eines solchen ist der vielgenannte Gläckstein. Nach solcher Ernährungsart bemißt sich auch das Tränkebedürfnis, das aber der Grindelwaldner noch nach andern Rücksichten auf seine berechnende Weise regelt. Findet er es vorteilhaft, möglichst viel Vieh zur Ausbeutung des sommerlichen Alpnutzens durchzuwintern, so trẹichd der Älpler und trịịchd die Kuh bloß am Morgen und setzt damit Luft und Bedürfnis nach Atzung um etwas herunter. Kommt es dagegen auf das Maximum auch der winterlichen Milchergiebigkeit an, wie die kurze Winterkurzeit Grindelwalds sie fordert und lohnt, so wird durch Tränken auch am Abend die Freßlust gesteigert. An dem Umstande freilich, daß eine Kuh sich doch nicht zur Milchmaschine machen läßt, findet der Trick seine Grenzen. Auch weniger in seinem Dienst als im Gebot der Einzelumstände liegt der Wechsel der Tränkmethode. Mu̦ trẹichd ịịn oder trẹichd ụụs: man trägt dem Vieh das Wasser zu, also in den Stall 334 «hinein», oder man entläßt es «aus» dem Stall zum meist nahen, bisweilen jedoch auch ziemlich entfernten Brunnen. Solcher Tränkeweg — ein richtiger Bummel! Die an ungebundenes Freileben gewöhnten Tiere wollen das Halbstündchen außer dem Stall offenbar recht auskosten. Der Hinweg zwar bildet, wo möglich, eine mathematisch genaue Gerade als kürzeste Linie. Um so kurzweiliger gestaltet sich der Heimweg, und gut ist nur, daß das silberhell tönende Gglëggli am Hals einer jeden der Bummlerinnen genaue Kontrolle gestattet. Hier ein komisch neugieriger Blick, wie es in der so ganz andersartigen Winterlandschaft des Tales aussehe, worauf der Theorieminute aus sehr praktischen Gründen ein gemütlich anhaltendes ranggen am nächsten Baume folgt. Dort ein mutwilliges Stampfen im metertiefen Schnee und, von der gleichen Unternehmungslust getragen, ein paar keineswegs unbeholfene Sätze — bis der Hirte chëtted: Choom! Choom ßä́! ßä̆! ßä̆! Sä choom! Chalbschi! chụụtsch! chụụtsch! Und zögernd zwar, doch ohne Widerstreben wird dem Rufe Folge geleistet.
Neben der Fütterung dient der Stall der Krankenpflege. Schonungslos wird das gesunde Vieh bei jeglicher Witterung nach der Melkzeit zur Tăgweid oder Abe ndweid von der Alphütte weggetrieben. Karg berechnend wird während der traurigen Tage der sommerlichen Schneeflucht ịị ng’handled (Ịịnhandlen heißt eigentlich: dem im Frühling und Herbst weidenden Vieh Dürrfutter in die Baarni legen; natürlich bedarf es dann dessen weniger, als wenn man ịịnhirted, S. 332). Alles tut man, um in rauher Gegend rauhes Vieh zu behalten; aber chrankem Veh mues mu̦ borgen! Das gebietet nicht bloß die Nützlichkeitsrücksicht, welche der Verstand diktiert; der heutige Grindelwaldner ist — in entschiedenem Gegensatze zum vormaligen — ein Viehhalter, der zu gegebener Stunde «sich des Viehes erbarmt». Da spielen denn das Trajch (der Viehkrank), die Bï̦lve̥rle̥ni und die homöopathischen Chrï̦̆ge̥lle̥ni die ihnen gebührende Rolle. Alle die Viehkrankheiten 4 nun, deren im Band « Lützelflüh» 5 einläßlich gedacht ist, werden trotz ihrer Wichtigkeit hier übergangen. Wir erwähnen bloß der spezifisch alpwirtschaftlichen Vorkommnisse dieser Art. Milzbrand und Rauschbrand, letzterer hier Viertel (im Simmental «Angriff») geheißen, weil ein Vierteil des Leibes samt der aufgequollnen und beim Streichen rauschenden Haut schwarz wird, führen meist zum Tod. Die Tiere verrä̆blen (nicht in rohem, sondern im Sinn des alten «hinwegfallen»); dann verrichtet der nicht umsonst jährlich mit Fr. 250 besoldete Wasenmeister ( Abdecker, Schinter), welcher «schindet und außhalet» (1669), sein 335 für den Alpwirt sehr trauriges Amt. Die obligatorische Viehversicherung, seit 1904 in den drei hiezu geschaffenen Kreisen Grindelwalds eingeführt, hat daher in unserer Talschaft ihre allgemein gewürdigte Berechtigung. Dies umso mehr, da gemeingefährliche Brästen schon öfters über den Marktplatz von Unterseen oder von Unterwalden der im Oberhasli und von hier aus in Grindelwald verhängnisvollen Einzug hielten. An Scheidegg starben 1746 innert weniger Wochen 28 Kühe, auch an Grindel viele. Namen wie die «ober Prastalp» (bei Mürren) deuten auf die in solchen Fällen nötige Absonderung. In neuerer Zeit wütete wiederholt die Maul- und Klauenseuche. Sie heißt hier einfach d’Sịịch, wie denn die gegen sie angewandten Mittel auch andern Krankheiten, namentlich der Lahmheit der Kühe, gelten. Sie raffte 1839 in den Kantonen Bern und Freiburg über zweitausend Stück Rindvieh dahin, 6 suchte verheerend die Bachalp heim, zwang zur Rückkehr in die Ställe nach vier Alptagen und trieb zum Notbehelf, den kränksten Tieren zarte Weidekräuter in den Mund zu schieben. Mit gïetigen (kühlenden) Mitteln 7 sucht man Übeln zuvorzukommen wie den Schlier: dem Viertel des Unterlandes. 8 Denn zu rasch würde sonst die Milch der entzündeten Zitzen schlächti: trueble̥ti (trübe); sie gääb e n Truebel old e n vëlliga Poppel (klotzige Masse); sie würde brächchen oder zerhịjen, und schließlich bliebe das Euter trocken. Der samt Essig aufgestrichene Lehmbrei wirkt denn auch trefflich. Nur hinterläßt er gern beim Abtrocknen und gleichzeitigen Sichzusammenziehen Sprünge in den Zitzen, welche leicht sehr werden (dem Wundwerden nahe kommen) und das Melkgeschäft heikel machen. Diese Sehri tritt auch ein, wenn tiefhängende Euter der Weidekühe in lehmigen Schlamm eintauchen. Gefährlicher ist es, wenn in demselben schwere Tiere ịị nträtten oder ịị nghịjen. Bei dem gewaltsamen Versuch, die Füße aus dem Looch oder der Grappen heraufzuziehen, können sie wi lịịcht! (wie leicht!) einen Fuß oder die Huft, ja v’lí̦cht (vielleicht) de n Rri̦gggrat zerhịjen. Bisweilen bleiben klobige Reste solchen Kots zwischen den Hufen sitzen und erzeugen Fuesfị̈̆li. Rauher, steiniger Boden hinwieder macht die Füße wund — kurz, aus oft unerkannten Gründen wird bald hier, bald dort ein Tier lams («lahmes»). 9 Bisweilen ist Hore nzwang (Hufverhärtung mit Sohlenaustrieb) im Spiel. An innern Krankheiten wie Dï̦nnbị̈ị̈hï̦̆gi (hartnäckigem Durchfall) leiden besonders blëëdi Tiere, wa ni̦d vi̦i̦l më̆gen haan: wenig Strapazen und extreme Temperaturen aushalten 336 und leicht in dieser oder jener Weise alpsï̦chtig («weidesiech») 10 werden. So besonders die weißen Kühe. — Jungviehstücke werden nicht selten geplagt vom Pĭ̦tscher: einem flechtenartigen, sehr erblichen Hautausschlag. 11 An den Augenlidern oder andern Körperstellen wuchern oft faustgroße Fịịgi («Feigen»), welche der Älpler kurzerhand chnï̦pfd: mit einem Seidenfaden abbindet. — Streitsüchtige Tiere, welche beim geringsten Anlaß einander d’Schlacht anbieten, tragen geritzte oder zerschundene Hautstellen: Schï̦rpfliga, als «Schmisse» davon. Ja da und dort büßt eine Kuh ihre allzu unüberlegte Forderung zur Mensur als lebenslängliche Trägerin eines Mụtthŏren. Das ist ein abgestoßenes und im besten Fall durch einen u ng’fërmten (häßlichen) Ansatz zur Neubildung ersetztes Horn. Zumeist bleibt freilich auch dieser geringe Trost noch aus, und das Einhŏren muß obendrein seinen körperlichen Defekt auf den ethischen einer ledigen Mutter übertragen, von der man ohne Abwägung von Schuld und Unglück sagt: si heigi e̥s Hŏren ab. Der Älpler aber muß noch zufrieden sein, wenn er die sehr unfachmännische Amputation so rechtzeitig gewahrt, daß er durch kunstgerechten Verband den erschöpfenden Blutverlust und die Entzündung des hervortretenden Määrgel (Mark) verhindern kann.
Ernährung, Krankenpflege, Aufzucht — damit ist auch die dritte Tätigkeitsgruppe im Stall genannt. Die alten Schaf-, Schweine- und Pferdezüchter legten unbeholfene Tiersäuglinge, an deren gutem Aufwachsen ihnen gelegen war, eigenhändig an die Zitzen: sie hei n s’ z’wä̆g g’leid. Daher ist z’wä̆glĕgen der technische Ausdruck für aufziehen, großziehen; ja er wird — ganz der Älplersprache angemessen — völlig unbefangen auf Kinderpflege, Erziehung und Berufsbildung übertragen. Ein schlecht aufgenährtes Kind ist schlächt z’wäggleids. Ein hoffnungsvoller Junge läßt sich sogar zu einer gelehrten Berufsart, einer Staatsbeamtung z’wä̆glĕgen, wenn er — analog dem zur Aufzucht geeigneten Jungtier — z’wä̆glĕgiga ist. (Vgl. «hirten» S. 330.) Nächste Bedingung hiezu ist beim Tier die Anlage zum raschen Emporwachsen: Z’wäglĕgtier mïeße n gwä̆x’rigi sịịn. Fehlt’s hieran, so gedeihen sie nicht: sie tïen nịịd, sie sịịn u ntäätigi. 12 Die Haustierpflege beginnt gleich mit dem Augenblick, wo das Pferd fï̦̆lined, das Schaf lammred, das Schwein fähdled, die Kuh chalbred, die Ziege (gleich der Gemse) gịtzined oder gi̦tzled, überhaupt ein Muttertier jï̦ngled. 337 Ja mit einer Ungeduld, welche fast vergi̦tzled (in Bern: vergiblet, im Oberhasli: «vergi̦nzled»), wird während mancher Nacht von noch wenig Erfahrnen e’ner Chueh g’wached, bis sie endlich u nmmueßed (unruhig wird: durch Ausschlagen die Wehen verarbeitet).
Links oben ein seltenes Beispiel von Schnitzerei,
haut relief mit Bemalung.
Die übrigen Beispiele zeigen Details der Möbel-Bemalung (18. Jahrh.)
Gemalt von F. Brand.
Der Ziegenbesitzer sieht es natürlich gerne, wenn die Mehrzahl der ihm geschenkten Gi̦tze̥ni aus Stäädlen (Stäärlen) besteht. Die Stäädla ist nämlich das weibliche Zicklein. 13 Und noch einmal so gern wird es gesehen, wenn nicht beim jungen Tier unheimliche Chnï̦̆be̥ni (Höckerchen) auf eine künftige g’hórenochti Geis deuten, wenn es vielmehr beim ungehörnten Mŭ̦tsch, Gi̦tzimu̦tsch verbleibt, der nicht gefährlich stichd (stößt).
Gegenstand besonders sorgfältiger Pflege sind aber begreiflich die Chalber. Schon ihr wäärden (zur Welt kommen) veranlaßt Redensarten. «Jetzt rechtfertigt euch!» heißt im Mund des Viehpflegers: jetz tïed e̥ wch da sị̈ị̈fe̥rren! (Die Sị̈ị̈fri oder Reini: placenta.) Das Bild sodann vom Glückspilz und das entgegengesetzte vom Pechvogel lauten grindelwaldnerisch: Wäm d’s Glï̦ck wi̦i̦l, däm chalbred no ch der Schịịdstock (oder der Schịịdtotzen: Klotz, auf welchem man Holz spaltet). U nd wwäm’s ni̦d wi̦i̦l, däm erwi̦rfd no ch der Gi̦tzibock (das Ziegenböcklein). — Das Werfen der Kälber sieht der Grindelwaldnerbauer am liebsten im Dezember und Januar. Er kann in diesem Fall die Jungtiere schon im folgenden Sommer als Loifchalber zur Alp geben: u̦f d’Alp ghịjen, und sie da ungehütet sich selber überlassen: ’ne̥ n d’Wĕli gään oder ’ne̥ n’s gsoorged’s gään, So gelangt er ohne Geldeinsatz rasch zu Nachwuchs. Das Kalben hinwieder, welches einen Monat vor der Frühlingsweide erfolgt, bietet andere Vorteile: es vereinigt die größte Milchergiebigkeit des Futters mit dessen größtem Umsatz durch die Kuh. Damit stellt ein Milchtier, das seine achtzehnmal zum Kalben kommt (bis es nicht mehr b’heed und nicht mehr traagends wird) ein respektables Kapital dar. Obendrein ist eine Kuh, wa ḁ lséve̥l («also viel», so viel) dï̦r chhi n gmachd’s heed und gleichwohl no ch ni̦d zerlott’re̥ti ist, sondern immer noch die Vorderbeine stramm und straff geschlossen hält, auch in der Kreuzgegend d’Gnḁge̥ni ni̦d laad z’alle n Sịịten ụụsiggarren, ḁlso gẹng no ch b’schloss’ni ist, ein erfreuliches Zeugnis für die Gesundheit des Alplebens.
338 Das zum Z’wä̆glĕgchalb bestimmte Soïgchalb oder Treihichalb ist natürlich seltener ein Chalbstier, häufiger ein Chïehlichalb, kürzer und gewöhnlicher Chälbli genannt. In der Hätschelsprache heißt das anmutige Tierchen «kleines Kühlein»: Chụụtsche̥lli, woraus alle die unterländischen Umdeutungen und Umformungen Chụ̆tschi, Gụ̆tschi, Gụ̆tsche̥li u. dgl, geworden und auch etwa nach Grindelwald gedrungen sind. Das Tierchen soll aber recht bald dem Hätschelstadium entwachsen. Dazu bedarf es guter und vieler Milch, deren Tagesgewicht bis auf den Zehntel des Leibesgewichts ansteigt. Daß daher Aufzucht und Molkerei Konkurrenten sind, die einander ausschließen, leuchtet ein; und sehr passend kleidet die Sentenz: wer zu viel will, bekommt am Ende nichts, sich in die Bilderrede: Mu̦ chan n ni̦d Chalber z’wä̆glĕgen u nd den n no ch vi̦i̦l chäsen. Da aber im Alpengelände als Fremdenort die Milch so überaus teuer ist, soll das Tier sie auch möglichst gut verarbeiten. Chalber seïggen (säugen) ist daher sozusagen eine Kunst, mit welcher auch die peinlichste Reinlichkeit verbunden sein will. Der Tränkekübel: die Gelta trägt einen zylindrischen hölzernen Ausflußschnabel: den Zoïggen, welcher dem Kalb wie eine Euterzitze in den zum Saugen emporgehaltenen Mund reicht. Später zwingt ein flach gedrückter Spuelen zum Saugen mit gesenktem Kopf, als Vorübung zum selbständigen Trinken. Zugleich verhindert ein Maulkorb unzeitiges Naschen. Nur allmälig und sehr spät wird die Milch entzogen. Noch ziemlich vorgerückte Jungtiere erhalten jeden Abend etwa einen Liter; und es ist beinahe rührend, sie immer um die nämliche bestimmte Zeit zwei oder mehr Stunden weit von ihrer Tagweide herrennen zu sehen, um ihre Trë̆pfe̥lli in Empfang zu nehmen. Dafür mögen sie sich hüten, etwa eine Kuh anzusaugen! Wo ein derartiger Verdacht besteht, erhält das Junge ein halfterähnliches breites Lederband mit zolllangem Stachelbesatz über die Nase geschnallt. Eine von diesen Chalberzoim berührte Kuh besorgt dann schon die nötige Disziplin.
Den Namen Chalb führt das Jungtier im ersten Lebensjahr. Im zweiten heißt es Mẹischrind (s̆) oder Meischli (s̆s̆), wenn groß gebaut, eine Meischa (s̆s̆). Im dritten ist es ein Zịịtrind oder eine Zịịtchalba; wohl auch bereits eine junge Kuh: eine Mẹischchueh, wenn es als Chalberchueh (Kuh, die jüngst geworfen hat) sich so früh in die Zahl der Milchspenderinnen einreiht. Das im Alter parallel gehende männliche Junge ist ein Mẹischstier. 14 Aus dem Zịịtrind 339 oder der Zịịtchalbe n wird dagegen erst im vierten Jahr die Zi̦i̦tchueh. Vgl. das «Zịịtgeißli» im Wallis: die eben ausgewachsene Ziege. Eine um noch ein Jahr hinausgeschobene Trächtigkeit trägt dem Tier die Bezeichnung Uberchalba, eine noch weiter sich jährende den Spaß- oder auch Schimpfnamen Uber- und ẹm-uberha-Chalba ein.
Während seines Wachstums muß das Jungtier sich erzieherischen Eingriffen unterwerfen wie z. B. dem Anlegen des Hornführers. Solchem Hŏre nzwinger, Hŏrenbändiger oder Hŏre nsteller verdanken aber Grindelwalds alpkundige Besucher den Anblick so vieler prächtig gewundener und wie Elfenbein feiner Hörner.
Unterdes wächst auch der Chalbstier oder das Mŭ̦nichalb, das Mŭ̦ne̥lli oder der junge Mŭ̦ni heran zum Zuchtstier, sei’s als Mẹisch- oder als Zịịtstier, falls er nicht als kastrierter Ox zum Schlachten bestimmt wird. Gleich letzterm wandern auch der Stack (der Schimbock des Lötschentals) und der Frĭ̦schig (s̆s̆: kastrierter Ziegenbock und Schafbock), 15 frühzeitig zum Metzger. Das nämliche Schicksal teilen das Metzgchalb und die große Mehrzahl der Gï̦̆tze̥ni, deren überhaupt in der Schweiz jährlich bei dreihunderttausend Stück geschlachtet werden. 16 Der Fleischbank verfallen ebenso die lang u ntraagend bleibende Kuh und die mit dem achten Jahr unrentabel werdende Ziege. Wie diese beiden fortan zum galte n Veh ( S. 344) gerechnet werden, so von vornherein die Gu̦sta: Ziege, welche zur erwarteten Zeit nicht wirft, und die ubergäänd Gu̦sta, welche erst im vierten Jahr sich mit Muttersorgen zu beladen gedacht hatte. Wie wenig der große und der kleine Alpwirt mit derlei Prinzipien einverstanden seien, beweisen sie etwa mit der beißenden Neckfrage an eine müßiggängerische Marktbesucherin: Wolltist mid dem Gu̦stli z’Määrt? (Stehst du am Markte feil wie eine nicht leistende, darum 340 unbegehrte Ziege?) Nicht ein «Gusti» wie im Unterland, wohl aber gu̦st’s ist ein Rind, bevor es mid dem Flaamme n chunnd (bevor sein Euter zu schwellen anfängt). So sind auch Stuten ohne Fohlen und daher ohne Milchabsonderung gu̦stu̦. — Dem Schlächter überantwortet man im weitern die u ntraagenden und die ubergäänden (ihre Würfe überjährenden) Geiß, sowie den Ei nstri̦chch: Zicklein mit nur einer Zitze. Gleich dem Schwein werden alle diese Tiere entweder im Haus geschlachtet — ịị ng’metzged — oder dem Fleischer angeboten.
Der kommt und untersucht. Ist das Tier in der Hụụt g’fassed’s (fett)? Ist speziell die Kuh gued i’n Griffen? (Gibt sie unten am Euter gut in die Hand?) Alles visidierren unterbleibt natürlich bei der Notschlachtung, die übrigens der Berufsschlächter gerne dem in Sachen meist selber kundigen Eigner überläßt. Besonders geschieht dies, wo ein tötlich verunglücktes Tier ni̦d e’s g’rächte n Toods umchoon ist.
Ein «gerechter», d. h. mit Brauch und Recht und Ordnung gleichermaßen vereinbarer Tod des Tieres ist also der durch Menschenhand. Das ist der Fall, wenn diese Hand als eine streng berufsmäßig eingeübte ein wo immer möglich ahnungs-, angst- und schmerzloses Sterben berbeiführt.
Das zunächst abgezogene Fääl verdrängt heute noch in burschikoser, wie ehedem in gemeiner Sprache die Bezeichnung «Haut» auch beim Menschen: der «guten Haut» des Deutschen stellt der Seeländer «es schlächts Fääl» und der Grindelwaldner es g’schi̦chts Fääl (ein geschicktes Frauenzimmer) gegenüber. Die Geishị̈ị̈ti jedoch wandern als zuvor gegerbte Geisfääl (und als kunstreich gearbeitete Galanterie waren) ins Ausland. 17 Das samt der Wolle gebeizte Schaffell hinwieder heißt der Schaafhäärden und diente ehemals zum Wätterschutz ( S. 95). Die feißten oder feißtlochtigen Tiere liefern in die Küche Niere nfeißti. Nur da, wa’s feißt zue und har geid (wo man unreinlich hantiert), greift man ohne Not zu den ekelhaften Fettsurrogaten. Wie Nierenfett, siedet die Bäuerin auch das Schmäär der Schweine mit Butter zusammen. Ebenso wird das Schmalz der Wiederkäuer und mitunter sogar der Schmutz junger Pferde heute nicht mehr von der Küche ausgeschlossen. Sind der Weisel (Speiseröhre), der Gurgel, das Glï̦ngg (Brusteingeweide) usw. ausgehoben und der Kopf samt Sï̦wschnu̦rren und Chinnbäcklinen abg’hï̦wwen, so bleiben am Chä̆nel des Schweins noch die schwịịnige n Sịịti (Speckseiten) und die Schwịịnshammi eigens zu behandeln. Man unterschied 341 die letztern ehemals von den Schaf- und Geishammlinen, welche indes heute Lĭ̦dleni heißen. (Einzahl: das Lĭ̦dli, auch: das Lid.) Schon früher jedoch redete man weit und breit in der Runde ohne Gefahr des Mißverständnisses von den Grindelwaldnerhammen. 18 Man verkaufte sie um gutes Geld und begnügte sich zu eigenem Wohlleben mit den Gnăgi̦nen. Dieses Gnăgi kreuzt sich in seiner Wortgeschichte seltsam mit Bein. Es bedeutet zunächst den zu nagenden Knochen, dann den Knochen im lebenden Leib, insbesondere die Schenkelknochen und zu guter letzt die Schenkel selbst, auch die des Menschen. Wer sich zu einem Gange sputet («beindlet» oder «scheichlet»), nimmd d’Gnăge̥ni fï̦rha (vgl. S. 84). In drolliger Schülersprache aber heißt ein präpariertes Menschenskelett der Gnăgimaan oder das Lịịte nggrĭ̦gel.
Nicht neuere Anatomie indes, sondern ältere Lebenslehre mache hier den Schluß. Die Schule von Salerno hat einen Spruch 19 in Umlauf gebracht, dem ein Theolog der supranaturalistischen Schule 20 die erbauliche Fassung gab:
Das Weibvolk sich ergetzt mit Nähen und mit Spinnen
Und sorget, daß die Schwein fett werden ohne Finnen.
Der Metzger schneidet aus die Hammen von zwölf Pfund.
Kommt dann noch Wein dazu, sind sie nicht ungesund.
1
GlM. 167.
2
Lf. 247.
3
Ebd. Dagegen
Lötsch 84 (Wachholder, Alpenrosen, Mehl, Salz).
4
Vgl.
Alpina 1, 143-55.
5
249-252.
6
Professor
Heß.
7
Vgl. dagegen magische:
Lf. 455 f.
8
Lf. 250.
Schlier als lehmartiger Koth auch im Ortsnamen Schlieren. Schlierig = schlammig.
Odenwald V. 153.
9
S. 235, Fußn. 7.
10
Kasth. 25, 44.
11
Vgl. auch
Wyß 425.
12
Obwohl im Nhd. aus sehr inhaltreichem Vollverb zum Füll- und Hülfsverb erniedrigt, erscheint «tun» doch noch mundartlich z. B. in der Bedeutung «an seine Gestalt wenden» oder «legen», also zunehmen und gut aussehen; vgl. «Gunther und Hagen, die Recken wohlgetan», (stattlich, schön); die
getaene (Schönheit) usw.
13
Das Wort ist weibliche Umformung (Genusmotion) von ahd. (
Graff 6, 702) und mhd. (
WB. 2, 2, 619) «das»
stërl. Dies verhält sich zu «der»
stëro, stër (ebd.) ähnlich wie lat.
sterilis zu «
sterus» (Georges 2, 1594); unfruchtbar, weil (wie die allermeisten männlichen Tiere) jung der Schlachtbank verfallen (
Lf. 258). Mhd.
stër und
stërl sind Widder, ahd.
stëro aber ist auch sonst männliches Tier.
14
Mit dem Bestimmungswort
Ziit- ist im Grunde die normale Zeit gemeint, in welcher der erste Wurf zu erwarten steht. Das Dringen der Gegenwart auf raschen Wertumsatz verlegt aber, wo es irgend angeht, dieses Ereignis bereits in das zweite Jahr: das Jahr der noch vollen Entwicklung, welches man ganz analog auch beim Menschen noch in Monate einteilt und nach solchen abschätzt:
das Chind ist jetz denn achtzähe Mannenda aalds. Im Lateinischen nun, welches in der Urkundensprache der Klöster-Grundherrschaft so manchen Brocken auch in unser bäuerliches Leben hineinwarf, heißt der Monat
mensis. Daher redet man in älterer Sprache (z. B. laut
Gfd. 21, 220 und laut
Habsb. 1, 300 nach
schwz. Id. 3, 219; 4, 334) vom
Mensekalb, und noch heute sowohl im Oberwallis (vgl.
Goms 69) z. B. vom
Menschstier, wie bei den Walsern im Prättigau (nach unserer eigenen Abhörung) von der
Menscha. (
Sch aus
s ist ein bekanntes Charakteristum der Walsersprache, Vgl.
Pomatt 211.) Gemäß dem so verbreiteten Ersatz des
n durch
j oder durch Ersatzdehnung wurde aus solchem Mens- oder Mensch- z. B. das
Maißrind in Uri und Entlebuch, das
Määßrind oder
Määßli in Glarus, der
Maißochs in Uri (
Alpina 1, 114), sowie das
Maischrinderli in Unterwalden und unsere grindelwaldnischen
Meischrind, Meischchueh, Meischscha, Meischschli. (Bemerkenswertes Zeugnis für alten Zusammenhang mit dem Wallis.)
15
Vgl. dagegen «Frischling» (junges Wildschwein).
16
Fankh. 4. 64.
17
Zürn 48.
18
Wyß 613;
König 31.
19
Caro porcina sine vino pejor ovina; si tribuas vinum, erit cibus et medicina.
20
Kyburtz A 6.
Mu̦ mues scharpf z’wä̆glĕge n, we nn mŭ̦ ze nnewwḁs Gälds choo n wi̦i̦l l; mu̦ chụnnd dḁrmid besser z’Platz wa n mid chäsen u nd Milch verchoïffen. Diesen alpwirtschaftlichen Elementarsatz bringt man nunmehr auch in Grindelwald immer zielbewußter zur Geltung. Alte Leute erklären: Frïejjer hed der Pụụr u̦f drịị old vier Chïeh chụụm eppa e̥s Chalb z’wä̆gg’leid, jetz lieber uf d’Chueh zwei old drịị. Das neunzehnte Jahrhundert hat so die alte Viehhaltung immer strammer und methodischer zur Rindviehzucht entwickelt und dafür im Lauf seiner ersten Jahrzehnte die vormals auch in Grindelwald bedeutende Pferdezucht ganz eingehen lassen. «Rascher Wertumsatz» wurde hier wie allerwärts zur wirtschaftlichen Maxime erhoben. Wär frïejjer nid e n Fï̦̆limä̆hra g’häben heed, ist kei n Pụụr g’sïïn. Da grasten ganze kleine Pferdeherden an Rŏsalp, an der Rŏshaalten, 1 im Roßbŏden, oder wie die 342 abgesonderten Weiden hier für Mä̆hri mid Fïlinen, dort für gŭ̦sti Roß sonst noch heißen mochten. Da aber d’Roß u nd d’Schaaf ’s e̥s z’teïff nään, d. h. Gräser und Kräuter nicht wie das Rind abreißen, sondern mit ihren scharfen Zähnen so kurz abbeißen, daß eine Wiederbestockung schwer wird, werden die guten Weidestellen der Kuhalpen durch sie schwer geschädigt. In allen Bergschaften außer Bußalp bestand daher zugunsten der Pferde Weidezwang. Besonders litten darunter Itramen, Wärgistal und Grindel; für letzteres kamen dazu noch rechtswidrige Übergriffe der Scheitegger, denen erst der Spruchbrief von 1559 2 ein Ende machte. Schädigungen durch die Hufe vermied man durch Abziehen der hintern Eisen, 3 welche gelegentlich liegen blieben und damit etwa zu voreiligen Argumentationen für vorhistorische Alpansiedlung führten: sie hein alti Ịịse n funden. Alles in allem kam es also einer rationelleren Alpwirtschaft zugute, daß die einjährigen Pferde, d’Jährliga, nịịmmeh rächt hei n welle n ziehn (keinen guten Absatz mehr fanden) und dagegen das Rindvieh, d’s Veh, hed aa nfaa n Rŏsprịịsa 4 gälten. Da hed mu̦ duḁ mid de n Rossen ụụf ghëërd! 5 Ist mit der Pferdezucht nịịd meh z’mache n gsịịn und hat eine Talschaft ohne Pflug und Erntewagen für Bauernpferde keine Verwendung, so verleiht hier heute dem edlen Tiere bloß der Fremdenverkehr so viel Existenzberechtigung, daß die Zählung von 1906 doch 57 Pferde, 1 Maultier und 1 Esel aufwies. 6 Gerade das bis Grindelwald fahrende Dampfroß schafft auch dem Roos vermehrte Arbeit auf Straße und Saumpfad bis hinan aufs Faulhorn. Ein- bis vierspännig jagen in den beiden Kurzeiten Wagen und Schlitten einher; Eiswagen knarren, und in den zwischen jenen liegenden Bauzeiten quietschen zu unerwünschter Ohrenweide die Kiesfuhrwerke. Die kurzen Erwerbsperioden aber machen das Pferd zum Gegenstand eines regen Kaufes, Tausches, Mietens. Daher sieht man wohl nie es măgers Më̆bel, e n mmăge̥rra Chrï̦ppel, e n Chrï̦ppel-Esel (d. i. altes, mageres Pferd) auf Straße und Saumweg. Auch Entstellungen durch Unfälle oder zutage tretende Untugenden werden durch den Fremdenverkehr rasch ausgemerzt. Daher kann ein Tier, das noch gestern im Vollgefühl seiner Jugendkraft mit hoch erhobenem Kopf g’wieche̥rred oder g’rĭ̦chche̥lled heed, heute selbst eines «Hablichen» Tisch mit Rŏsbị̆ff (humoristisch umgedeutetes roast beef) decken. Wohlgenährt sehen auch die Pastĭ̦ga (der Pasti ist svw. Pastĕsel, 7 Lastesel) und die 343 zum Tragen und Ziehen gleich tauglichen Mụụltĭ̦ga (der Mụụlti ist Maultier) aus. (S. « Verkehr».)
Stabil und wenig berührt von der in der Schweiz allgemeinen Zunahme um 80% zwischen 1866 und 1906, bewahrt die Grindelwaldner Schweinezucht mit ihren 409 Schweinen im Jahre 1906 ihre von der Natur der Sache gegebenes Verhältnis zur Alpwirtschaft. Auf der Alp denn auch muß man den Dickhäuter in seinem wahren, vielfach ergötzlichen Wesen beobachten. Während wir eben in unserer Alphütte uns zu Betrachtungen ganz anderer Art anschicken, schlägt an unser Ohr ein Höllenlärm. Von jener um Steinwurfsweite entfernten Hütte dringt er her. Das schreit, das heult, das ggịịßed, das grunzt, das rochchled, daß es durch Mark und Bein fährt. Neun Borsteriche drängen einander vom Platz an der Türe, stehen an derselben polzgraad ụụf, stürzen wieder, kollern, wirbeln durcheinander, bis plötzlich von innen die «Pforte» sich auftut. Da stürmt’s hinein wie ein Kosakenheer, und im nächsten Augenblick sind die Kehlen mäuschenstill. Man hört nichts als schlürfen und schmatzen: schlappen, schlu̦rpfen, ggŏdlen, schmatzren. In Reih und Glied hat die so plötzlich disziplinierte Bande sich aufgestellt am langen Sï̦wtroog, den der Senne nicht rasch genug mit sï̦wleewwer, verdünnter Schotten nachfüllen kann. Diese Augen- und Ohrenweide kann, wer Lust hat, täglich dreimal zu immer denselben Stunden genießen. Denn so oft — und so genau zur Zeit, als trügen sie eine Sackuhr bei sich — verlassen die Schweine ihre Weide im Sï̦wboden und ähnlichen Plätzen. Hier hatte soeben noch das eine der Tiere wählerisch im Gras umha g’nŭ̦sched (s̆) u nd g’nïeld (geschnobert und gewählt), ein zweites zur Abnutzung seiner Zähne an einen Stück Holz g’chnä̆tsched, ein drittes, im Schlamme liegend und alli Vieri von sich streckend, als wirkliche Rochchelmŏhra behaglich g’rëchchëlled (gerochelt, gegrunzt), ein viertes ist mutwillig umha g’ju̦ffed. Da plötzlich, wie auf einen Appell, ging’s zum ordentlichen Mahl. Es bedurfte dazu keines lockenden hŏß! hŏß! Ebensowenig ist aber ein wegtreibendes husch! husch! vonnöten. Selbst von einem appetitlichen Reste läuft das wohlgesättigte Schwein weg; denn o ch n e n Su̦w weis s, we nn s’gnueg heed. Ein anderes ist es mit dem chëtten (anlockend rufen) oder zeeken (herlocken) zu ungewöhnlicher Zeit. Diesem Locken folgen aber immer nur die Schweine, welche zur Hütte des Rufenden gehören. Überhaupt sind auch diese Tiere, dank ihrem Freileben im Gebirge, mit ganz bemerkenswerter Intelligenz begabt. Es gehört zu den kleinen Erinnerungen an den großen Brand von 1892 auch der Zug vom geretteten Ferkel, das in der Dunkelheit seinen auf der Wiese kampierenden Eigner aus einer Menge heraus 344 an der Stimme erkannte und bei ihm Zuflucht suchte. 8 Ebenso stählt aber der Aufenthalt in freier Alpenluft die Körperkraft auch eines solchen doch nur zum Fettklumpen bestimmten Geschöpfs. Dasselbe ist imstande, Türen aus den Angeln oder Zapfen zu heben und beträchtliche Strecken weit mitzuschleppen. Es trägt die selbst auferlegte Last auf dem zähen Wĭ̦derbĭ̦rst (Haarwirbel) seines Rückens. («Wĭ̦derbi̦rst» heißt auch ein widerspänstiges, bösartiges Schwein selbst.) — Für gewöhnlich allerdings betätigt es solche Kraft fast nur im nïe̥llen (wühlen) und muß zur Abwehr beträchtlicher Schädigungen alljährlich zweimal, unter Mithülfe der zum Milchmessen erschienenen Talleute, g’ringed werden. Die stark abgehärteten Tiere ertragen übrigens diese Prozedur sozusagen schmerzlos. Ebenso leicht übersteht der junge Beer (Eber) das heillen (kastrieren), die Moora, Fähdlimoora, (selten:) die Loosa, das Loosi (Mutterschwein) das schnịịden oder gaaltslen (Ovariotomie). Beides geschieht durch den Sï̦wschnịịder oder Sï̦wgaaltsler. Die Kreuzhafte, womit die Wunden vernäht werden, führten darauf, von einer groben Flickerei zu sagen: das ist de nn f rịị n ḁ lsó e̥n Gaaltsle̥ta! (In diesen Ableitungen aus gaalt zeigt sich der Bedeutungskern des einfachen Worts: zur Prokreation unfähig und daher — da zu dieser die Milcherzeugung naturgeschichtlich mitgehört — auch «trocken stehend»; vgl. geltig ( S. 386): kranke Milch gebend.) Immerhin kommt die g’schnitte n Moora seltener vor als der Motz ( S. 296) und das Motzli, welche beide darum auch einzig in die bildliche Sprache übergehen. Wie der «guet Mutz» (zu lat. mutus und frz. mouton: verstümmelt) den alles über sich ergehen lassenden «Gutmütigen» bezeichnet, so ist der «Chu̦chchimutz»: Chu̦chchimotz das Aschenbrödel. Als Schelte jedoch auf einen weiblichen Grobian dient der Trŏgmotz. — Dem Unterland sind hinwieder mit Grindelwald gemeinsam die vielsinnigen Zusammensetzungen mit Sŭ̦ww und Sï̦wli. 9 Arg verderbte Speise, häßlich zerkrümeltes Brot, zerknülltes Papier, nachlässig zerstreutes Samengut, zerworfenes Wasser z. B. ist versï̦wweds. Ein im Zickzack oder Chehrs-wịịs bergan führender Pfad und ebenso ein Betrunkener, der solchen auf ebener Straße nachahmt, geid Sï̦wseichs-wịịs usw. Seltener hört man Schwịịn und Schwịịndli und doch wohl auch das zoologische Unikum Schwịịnhund; häufiger schon redet man vom Schwịnigen in dieser erneuerten beiwörtlichen Grundbedeutung. 10 Der eigentliche generelle Name für «Schwein» aber lautet Fähdli. 11 Dies ist der Form nach eine Verkleinerung von altdeutschem farch = 345 lateinischem porcus (le porc). 12 Schon das farch, varch bildete abstufend das värh-el (Ferkel) und das värh-el-în = Fährli oder, mit der nun genugsam angetroffenen Erhöhung des rl zu dl: Fähdli. Da nun für die Zuchttiere (Eber und Mutterschwein) die bereits erwähnten eigenen Namen bestehen, diese Pfleglinge auch eigens gestallt und behandelt werden, so bleiben in der Tat für die generelle Benennung und Besorgung bloß noch die zu schlachtenden Schweine verschiedener Würfe übrig. Man gi bd de n Fähdlinen (reicht ihnen ihr Futter), tued de n Fähdlinen ụụfschëpfen (entleert ihren Urinsammler), tued d’Fähdle̥ni z’Märt usw. Will man die ganz kleinen, noch saugenden, dabei so niedlichen und ergötzlichen Tierchen: die Spanferkel eigen als kleine bezeichnen, so ersetzt man das als Verkleinerungssilbe verbrauchte -li durch das aus dem Walliser -ji vergröberte -schi und sagt das Fä̆dschi, die Fä̆dsche̥ni. Aus dem entwöhnten Fädschi, das statt der Muttermilch nun reine Ziegen- oder Kuhmilch erhält, wird das Milchfähdli. Bekommt es zur allmählich entzogenen Milch mehr und mehr Mais oder Haferflocken oder Haferkernen, wohl auch Kartoffeln und jedenfalls immer mitgesottene Flachssamen, so rückt es zum Suppe nfähdli auf. Ist es erstarkt genug, um Schotte und anderes Spülicht oder Wäschi (s̆s̆), überhaupt Küchenabfälle zu verwerten, so avanciert es zum Wäschifähdli. Da es eben in diesem Stadium zur Alp kommt, gedeiht es bei solcher Kost überraschend gut ( S. 297); nur darf allerdings das Spülicht nicht auf allzu knapp beschränkten Haushalt schließen lassen wie bei Leuten, deren Armut man mit dem Spotte kennzeichnet: die machen dï̦nni Wäschi! — Das angehende Schlachttier endlich heißt Mastfähdli.
Der Herbst hat und wieder ins Tal versetzt, und da bietet sich uns ein zum vorigen gegensätzliches Bild: das «Lamm, das vor seinem Scherer verstummt.» 13 Ein Schaf «geht an die Schäre». 14 Auf ausgemustertem Tisch (statt auf quälerischem Schragen) liegt es gebunden oder von einem Knaben mit sanfter Gewalt festgehalten. Es ergibt sich in sein Geschick als ein bereits gewohntes, da ja das Bänze n schä̆ren jeden Herbst und Frühling sich wiederholt. Ja, in letzterer Jahreszeit empfindet das Tier die Prozedur als Wohltat, während für den Eigentümer das Gschäär unter Umständen zum «Gescher» im übertragenen Sinne: zu lästiger Umständlichkeit mit wenig oder keinem Erfolge wird. Der Aufenthalt vieler Schafe nämlich in oft viel zu kleinem, daher dumpfigem Winterstall kann bewirken, daß die Wolle häßlich schmutzig 346 zusammenbackt und Zăgla bildet. In solch verzăgleter Wolle n setzt sich dann der Zä̆gg oder Zä̆chch (die Zecke) fest — unverschämt zudringlich wie Menschen, von denen man sagt: das sịị n f rịị Zä̆chchen!
Im Winter eben, wie im Sommer, muß das Schaf gleich der ihm 15 zoologisch so nah verwandten Ziege erfahren, was es mit ihrer gemeinsamen Bezeichnung «das Trïecht» auf sich hat. 16 In scheinbar übertragenem Sinne nämlich nennt man Trïecht auch eine moralisch minderwertige (verleumderische, diebische, arbeitsscheue) Familie, deren Angehörige kei n Charakter hein.
Will man die Geringschätzung eines Haustieres noch weiter treiben, so sagt man etwa: das ist e n rrächta Wĭ̦scher (s̆)! e n chlịịnna Wischer! Namentlich das schlecht aufgenährte Schwein wird auch ein Nŭ̦scher (s̆) gescholten. Allerdings sind solche Komplimente häufig zweischneidige Schwerter: das zurückgebliebene ist eben mitunter auch das verwahrloste Tier. Ähnliches wie von derartiger Individualisierung gilt von gewissen Massenbezeichnungen. Zwischen beiden hält sich obiges «Trïecht», indem es auch etwa ein einzelnes Schaf oder Zieglein meint. 17 Nur der Masse gilt, wie ursprünglich verächtliches «Schmalvieh», 18 namentlich auch «die Häärd». Welcher Abstand gegen das Wertgefühl der biblischen «Herde»! (Vgl. auch «Hirt» S. 329 f.) Die Schriftsprache hat da seinerzeit einen Hochflug unternommen, den sie wieder aufgegeben hat (man denke an das «Herdenbewußtsein» der «Herdenmenschen»), 18a und dem die Mundart des täglichen Lebens wohl nie gefolgt ist. Zur Häärd gehören insbesondere die als Individuen kaum recht unterschiedenen, geschweige eines Namens gewürdigten «Herdschafe», 19 welche nicht in Gesellschaft der Kühe und Chïehgeißen ( S. 353) weiden dürfen. Letzteres ist die Prärogative der Chïehbänzen und Geisbänzen, welche allerdings auch nur als angehende Fleischlieferanten sich solcher Bevorzugung erfreuen und in oben ( S. 317) erwähnter Weise die Kuhweide gefährden dürfen. Jene Herdschafe aber, wie verwildert sehen sie 347 zuweilen gegen den Herbst aus! Herrenlos geberden sich ja auch Herdeziegen. Allein die müssen doch jeden Abend und jeden Morgen sich zur Alphütte begeben und über ihren Ertrag, der von ihrem Betragen so sehr abhängt, die Zensur ergehen lassen. Nicht zweimal täglich, sondern zweimal jährlich werden die Bänze n zur Nutzung herangezugen — welche Zwischenräume ungebundener Freiheit! Die bleibt freilich im Winterstall ein bloßes Wort. Um so reeller wird sie im Sommer ausgekostet. Da ersteigen die Schafe die obersten Gräte: Schaafgräät am Gemschberg; das Wetterhorn herbergt sie im obren Bärg, im bëësen Bärgli; der Mettenberg sieht sie auf seinen Wure̥mbärgli (s. «Zelle̥ni») hinter dem gefährlichen Heide nllooch; in der Nähe des untern Gletschers grasen sie die den Kühen unzugänglichen Stellen des Gletscherbärg, des Zä̆senbärg, der herrlichen Bä̆niségg ab, soweit solche nicht den Gemsen überlassen bleiben. Hier weideten aber noch zu Gruners 20 Zeit zwischen Eis und ewigem Schnee achthundert Schafe, und auf den Zäsenberg trieben noch 1850 zwei Hirten tausend bis dreizehnhundert 21 Stück Trïecht. Die Tiere steigen noch bis fast zu oberst auf die Oberwandflueh 22 in der Schreckhorngruppe — wie wäre denn nicht das ganze grüne Gewand des schroffen Eiger ihr Revier: der ober und under Challi-Schafbärg, der Bohne̥rre n-Schafbärg! In lose Rudel zerstreut: zersä̆dret treiben sie sich in den entlegensten Einöden umher. Vor einbrechender Nacht jedoch, bei Unwetter und Raubtiergefahr rotte n sie̥ si ch zsä̆men und bergen sich unter einer möglichst hochgelegenen Balm. Zahmere Herden tun dies an tiefer gelegenen offenen Stellen, wie z. B. am Schaaflä̆gergrä̆bli, das in den Bärgel fließt. Vor widrigen Ereignissen aber wie Sommerschneefall flüchten alle sich törichterweise nur immer höher; hilflos und willenlos lassen sie sich schließlich einschneien, und die unermüdlich nach ihnen Suchenden finden sie vielleicht zuletzt so verelendet, daß sie einander die Wolle vom Leibe gezerrt haben. — In solcher Gezähmtheit dann allerdings gaa n vi̦i̦l gidultigi Schaaf in ei n Stall, den man ihnen im Tal anweist. Sonst aber sind die einheimischen Bärgschaaf keineswegs stumpfsinnig. Der Hirte unterscheidet sie an ihrem Benehmen sofort von den zuehag’choifte n fremden. Steinschläge z. B. wittern sie so fein, daß, wenn von Ausweichen längst keine Rede mehr ist, sie einfach stillständlige n mit dem Kopf, oder mit dem Hinterleib, oder mit dem direkt gefährdeten Bein zï̦cken (eine kleine Bewegung machen) und das Felsstück knapp aber unschädlich über 348 oder unter dem bedrohten Leibesteil durchfliegen lassen. Oder aber sie nehmen in der gegebenen Sekunde einen wohlabgemessenen Satz, e n Ggu̦mp über den Schopf, der sie erschlagen, zermalmen könnte, und grasen sofort ruhig weiter. 23
Wohl gibt es, wo man nicht an Ausnutzung der obersten Alpreviere durch derart trainierte Geschöpfe denken will oder kann, Mittel, sie in sicherer und gut erreichbarer Nähe zu behalten. Es frägt sich bloß, wie weit im Fall eines Referendums die Schützlinge mit solchem Schutz sich einverstanden erklären würden. Man hemmd die Schafe derart, daß das rechte oder das linke Fußpaar durch eine Hemmi, d. i. eine zweckmäßig lange Schnur, zu kurzen Schritten gezwungen wird. Vor allem hindert man dadurch das Überspringen von Zäunen. Lederüberzüge über den Tschä̆gglinen ( S. 315) schützen diese gegen schmerzendes Einschneiden. Quälerischer und bloß etwa bösartigen Widdern vorbehalten ist das Binden eines Bengels oder schmalen Bri̦tts um den Hals. Ein dä n Wwääg ’bri̦ttle̥ta Boonz (Kerl), dem bei jeder Bewegung das halbmeterlange Holzstück sich um die Vorderbeine schlägt, verarbeitet seine Wut innerlich, bis sie gekühlt ist, und stellt seine gefährlichen Angriffe auf Menschen oder Weidekühe ein. Der «Trüegle» 24 des Unterlandes endlich entsprach früher in Aussehen und Zweck der Sï̦wschild.
Das naturgemäßeste und freundlichste Zähmungsmittel ist freilich — so weit es sich überhaupt in Anwendung bringen läßt — die Menschennähe. Je verlassener, desto anhänglicher sind Schafe gleich Kindern: die chëmen ei’m naa ch wie d’Bänzen! So schon dem ersten besten Fremden gegenüber. Dem Wanderer an der Engi des Wetterhorns z. B. laufen sie lange Strecken weit beharrlich nach — wie dann erst ihrem Hirten. Sein Jauchzen oder seinen Ruf: hotzgsch! hotzgsch! hotzgsch! hoooljĕljĕljĕljĕ hotzgsch! hotzgsch! kennen sie stundenweit. Ihr Blöcken erschallt wie ein hundertstimmiger Freudenruf, und die Herde fliegt wie n e n Llouina ihm entgegen. 25 Wissen oder vermuten sie erst, daß er ihnen auf dem bestens bekannten Gläckstein ihres Weidebereichs Salz streuen wird, dann mag er nur auf die Sicherung seines Leibes und die der jungen Schäfchen bedacht sein.
Mit der herbstlichen Alpentladung verbindet sich das Bänzenụụsziehn, zu unterscheiden vom «Schaafscheid» des Oberhasli, des Guggisberg und anderwärts. Der Zweck beider ist freilich der nämliche: Zustellung der gealpeten Schafe an deren Eigentümer und ihre Anhandnahme durch letztere. Ihre Eigentumskennzeichen tragen bis Tiere zumeist noch a’n Ohren; wie, wird in der zusammenhängenden Erörterung 349 der Hụs- und Veh- oder Ohrzeichen dargelegt. Die ganze Häärd treibt man in einen Färrịch (Pferch) zusammen und läßt sie z. B. durch dessen Angitoor oder Engitoor an der untern Grindelstepfi Stück um Stück durchschlüpfen.
Daß es dort auch ein Pfăffe ntëëri gibt, führt uns auf das weitere Thema alter grundherrlicher Forderungen auch an Schafen. Unter «Pfaffen» sind hier die Chorherren der ehemaligen Propstei Interlaken verstanden, und diese forderte jeweils im Herbst eine nennenswerte Zahl schlachtbereiter Hämmel auch von Grindelwaldnern. Wir finden aus den Jahren 1354, 1357, 1361, 1363 Einzüge von jeweils 8, 26, 11 Stück verzeichnet. 26 Nur ein Gut an Rothenegg brauchte z. B. 1372 bloß einen Hammel 27 zu liefern; ein Lehen aber am Dürrenberg und eins uff em Blatti mußten 1331 vier Schafe 28 entrichten. So forderte aber auch schon Habsburg-Österreich z. B. 1309 von jedem seiner dreizehn Grindelwaldner-Lehen «XX widere, der jeglicher IIII schilling wert sin sol». 29
Der Hammel trägt in den Abgaberödeln der Grundherren die uralte Bezeichnung urfor. Wir erkennen darin unser weithin verbreitetes Wort der U̦rfel. Grindelwald und Oberwallis haben es freilich durch den Frĭ̦schĭ̦g (s̆s̆) verdrängt. Früher 30 bedeutete «Uu̦r̦fel» gleichzeitig den Widder, 31 besonders den jungen, noch saugenden: den Spinnwidder. 32 350 Auch solche wurden z. B. 1363 und 1379 als Lehenzins gefordert von dem Gut «zu Schingelberg». 33 Man sagt heute dafür das Wĭ̦derlämmschi (s̆s̆) oder Wĭ̦derli im Gegensatze zum weiblichen Chĭ̦lberlämmschi, Chĭ̦lberli. 34 Das Auli oder die Au 35 geht, wenn sie ein Lamm, Lämmschi oder auch zwei Lammer, Lämmsche̥ni (s̆s̆) werfen will, nä̆ben uụṣ, mitunter zum Verdruß des Weideplatz wechselnden Hirten, nach dessen Sprechweise drum auch eine leichtfertig sich von ihrem Posten entfernende Person dḁrvo n llammred. Trotzdem oder gerade weil d ’Lämmscheni nie së̆lle n von ’er n Menschenhand aa ngfassed wärde n, wịịl s’ in däm Faal ihru̦ Lä̆btăg nie frịịrd, sind sie mit ihrem zutunlichen und muntern Wesen allerliebste Geschöpfchen. Sie werden drum auch weit und breit mit dem sonst noch nicht herabgewürdigten Menschennamen Bänz (Bendicht) gekost. Gleicherweise wurde aber auch etwa der Widder als «Jährling» 36 früher, zu den Zeiten sorgfältigerer Rassenzucht, auf seiner eigenen Weide (vgl. Widderfäld, Widderbŏdmi u. dgl.) als zahms und zutrauliches Tier gehätschelt. Daher ging der Kosename auch auf ihn über: mịịn Bänz ist grëëser wan dịịna, aber nĭ̦d so raatliha. (Raatli ch: wohlgepflegt, ziemlich fett.) Das Lamm kann dann als Bänzi oder sogar als Bänze̥lli von ihm unterschieden werden, und der Schmeichelname geht von ihm auf geliebkoste Kinder über: O, du̦u̦ bist e n llieba Bänz! e̥s liebes Bänzi! e̥s tụụsigs Chätzers Bänze̥lli! — O mị’s Bänzli! o mi’s Bänzli! Dieser ergreifende Klageruf einer sonst ziemlich rauhen Oberhaslerin über ihrem totgefallenen, siebenjährigen Großsöhnchen (welches nicht etwa Bendicht, sondern Fritz hieß) tönt uns noch heute in den Ohren. — Zunächst in der Kindersprache, dann auch in der gewöhnlichen übertragen sich Bänz und Bänzi auf die Samenkolben verschiedener Pflanzen wie die wohlriechenden des Adelgrases, die prächtig braunen des Schwärzleins, die rosenroten des Schlangenknöterichs und Alpenampfers. Klingt auch hier noch das Kosende durch, so kehrte dagegen der Name mechanisiert und allen Gefühlswerts entbehrend zurück auf den bloß noch als «Rummel» behandelten Rest der einst so belangreichen Schafzucht, welche 1906 auf die Zahl 250 zurückgegangen ist. Heute werden Bänzen ụụs’zŏgen ( S. 348), Bänze n g’schŏren ( S. 345), Mastbänze n g’metzged. Man würde jetzt auch Bänze n mälhen, wenn Kasthofers 37 Bemühungen 351 um Einführung der Bergamasker- und der friesischen Schäferei nicht bloß einigen vereinzelten Versuchen gerufen hätte — gleich wie man jetzt Kaschmirziegen scheren 38 und eine der alten Frutigtuchfabrikation ebenbürtige Grindelwaldner Industrie 39 betreiben würde, wenn nicht der Forstmann auch hier der «Prediger in der Wüste» geblieben wäre.
1
A 2.
2
Abgedruckt im
GlM. 43 f.
3
Tschudi 535.
4
Vgl.
v. Tav. 5 nach Fäsi.
5
Vgl.
Alpina 1, 121;
Bern V. 70 f.;
Stat. 02, 1, 63 ff.; 05, 2, 78.
6
Stat. 06, 2, 62.
7
Romanisches
basto (Saumsattel) kam durch enetbirgische Säumer als Rückentlehnung ins Wallis und ins Berneroberland, Vgl.
Kluge 30.
8
Brand 23.
9
Lf. 294 ff.
10
Swîn als
sû-în = von der Sau herkommend;
Kluge 341.
11
Mit der bereits bekannten Erhöhung des
r zu
d; z. B. in Städla
S. 397.
12
Graff 3, 681;
mhd. WB. 3, 272.
13
Jes. 53, 7.
14
Reg. 103 (1510).
15
Wie besonders Brehm hervorhebt.
16
Die
trucht (
Graff 5, 517;
mhd. WB. 3, 121) war = der Trupp, befehligt und versorgt vom «Vorgesetzten des Trupps»: dem
truchsazo, truch(t)säße, Truchseß (
Kluge 383).
Das bernische «Getrüecht»,
Trüecht bedeutet von daher eine zusammengewürfelte oder auch hausgenössige Schar unruhiger, schwer in Ordnung zu haltender Leute, namentlich Kinder. Solche Schar ist ebenfalls zunächst verstanden unter oberländischem
Triecht; dann aber und hauptsächlich geht hier der Ausdruck über auf so schwer disziplinierbare Gruppen oder Herden halbverwilderter Weidetiere, wie eben Ziegen und Schafe es oft sind.
17
Eine Spracherscheinung wie «Kamerad» u. a.
18
Smales vih:
Habsb. 1, 460; vgl. engl.
small (klein). Die Herabsetzung klingt noch durch in «schmälen».
18a
Welch ein Abstand in der Tat zwischen dem Ton eines 23. Psalms («Gott ist mein Hirte») oder des Christuswortes Joh. 10 («Ich bin der gute Hirte») und — the
gregariousness of mankind bei Schopenhauer (Aphorismen 62 ff.)
19
Gusset 86.
20
1, 79.
21
Stud. P. 212: «bis zweitausend».
22
Stud. T. 74; vgl.
Tschudi 524-533;
E. v. G. 1905, 53 f.
23
Schafhirt Brawand.
24
Lf. 71.
25
Schafhirt Brawand.
26
Font. 8, 62. 181. 536.
27
F. 9, 303;
Reg. 77.
28
F. 5, 845.
29
F. 4, 383, 486. 388.
30
Habsb. 2, 449. 554 nach
schwz. Id. 1, 444 f.
31
Dies scheint sogar die Urbedeutung zu sein. Die alten Formen
urfar, urfuor, urfor, Urfer (
Font. 8, 62. 181. 636) sprechen deutlich für eine Zusammensetzung mit ahd.
far, farri, farro (
Graff 3, 663), was zwar ausschließlich den Farren (Stier) bedeutet, aber z. B. durch ags.
farr = Eber auf den Oberbegriff «männliches Zuchttier» zurückgeführt wird. Die vorauszusetzende Form «
fars» kehrt wieder in «die Färse»: junge Kuh oder vielmehr: junges Tier, so daß die genau entsprechende Spezialisierung unseres
urfar auf den jungen, noch nicht zuchtfähgen Widder führt. Daß dies sogar der noch saugende Widder (
spinwider:
Habsb. 2
a, 449) sein kann, lehrt der Ersatz von «Urfer» durch «Frischschig», welches Wort ja mit «Frischling» (junges Wildschwein) die Ableitung aus frisch svw. «neu, jung, munter, rüstig, keck» (
Kluge 120) teilt. Die allermeisten jungen Widder wandern nun aber auf die Schlachtbank, und
urfor bekam damit die Bedeutung «Schlachttier». Mit dem Aufkommen der Kastration, des «Verstümmelns» (lat.
mutilare) zu Schlachtzwecken verteilten sich die dies bezeichnenden Substantive
Motz (Mutz, vgl. mutz und
mutt) auf den kastrierten Eber, und
mouton auf den kastrierten Widder. Aufs neue aber machte sich hier die Herdennatur des Schafes geltend: «
mouton» ging kurzweg auf das gesamte Schafgeschlecht über, wie dies zuvor mit «
brebis» (aus lat.
vervex und verwandt mit
verres, Eber, lettisch
wersis, Stier und idg.
wrsón, männliches Geschöpf) geschehen war. Auf die letztgenannte «Urform» gehen auch «Auer» (Auerhahn) und «Ur» (der
Uurhahn,
S. 194) zurück (
Kluge 21). «Ur» aber erhielt eine tautologische Auffrischung in obigem «
far»; so entstand «Urfar», Urfel in ältester und späterer Bedeutung. Solche Auffrischungen spielen überhaupt im Sprachleben eine große Rolle.
32
Mhd. (
WB. 2, 2, 553) das oder die
spünne (Mutterbrust und Muttermilch); berlinerisch spennen (entwöhnen, jemand von sich fernhalten: Krüger, Einl. in d. griech. Spr. 109).
33
Font. 8, 536;
Habsb. 2
a, 553.
34
Vgl.
Lf. 255.
35
Urverwandt mit lat.
ovis (Schaf) ist ahd. die
awi, mhd. die
owe (Schäfchen und Mutterschaf). Zu
ewist (
Schafställi)
36
Kluge 405.
37
22, 33; 25, 244.
38
Ebd. 25, 49 und
Ök. Q. 30, B 19, 1-6;
Zürn 28. 31-35.
39
Kasth. 2, 146.
I ch hätt lieber en Geis g’fïehrd! So hätte sehr wohl auch grindelwaldnerisch jenes geflügelte Wort lauten können, womit 1906 am Langnauer Schützenfestzug ein Emmentaler Küherbübchen das ihm zugeteilte Kühermädchen bekomplimentierte. Hier wie dort auch könnte es das Schwesterchen eines solchen angehenden Ritters von Toggenburg gewesen sein, das auf die Frage seiner Lehrerin: wann ist man reich? antwortete: Eh, we nn mu̦ vi̦i̦l Geiß heed! Diese Weisheit aus Kindermund wird zwar keine Nationalökonomie je zu der ihrigen machen; sie wird aber das in ihr steckende Salzkörnchen der Wahrheit, daß «Reichtum» ein bloß relativer Begriff ist, immer mehr fecken (chï̦sten, kosten) und würdigen. Jahr um Jahr wird dem Durchbruch der Erkenntnis, daß in seiner Art o ch e̥s Geispụụrli chan n e n rrịịha Maa n sịịn, vorgearbeitet durch die Gründung von Ziegenzuchtgenossenschaften. Einzig im Jahr 1906 entstanden im Kanton Bern deren zwei, um dem schweizerischen Verband sich anzugliedern: zu Interlaken, also im Herzen des Oberlandes, und bei Wangen, also einem Fabrikstädtchen des schweizerischen Mittellandes. Der Fabrikbevölkerung mit ihrem aufs Minimum des Umfangs eingeschränkten, aber um so intensiver betriebenen Landbau empfiehlt sich demnach das kleine Milchtier immer dringender als einfacher oder doppelter Besitz der Familie eines chlịịnne n Manndli. Im Alpgelände aber ist die Ziege bei weiten nicht bloß «die Kuh des Armen», sondern sie gehört wie ein Ring in der Kette mit in die Viehwirtschaft auch des hăblichen, ja des reichen Mannes. So kamen denn auch im Jahre 1906 auf die 543 Viehbesitzer Grindelwalds neben 2710 Stücken Rindvieh 1097 Ziegen, also ungefähr auf jeden fünf Stück Rindvieh (worunter zwei Kühe) und zwei Ziegen, wie dagegen kaum ein Schwein, kaum ein «halbes» Schaf und kaum ein «Zehntel» Pferd. Die Zahlenverhältnisse wiederholen sich annähernd im gesamten Amt Interlaken, während 1906 im gesamten Kanton Bern das Rindvieh 77,2%, 352 der Bestand an Pferden 13,2%, an Schweinen 7,5%, an Schafen 0,8% und auch an Ziegen bloß 1,3%, des Viehbesitzes ausmachte. 2 Zumal für die Alpreviere legen sich also die Vorteile der Haltung einer ansehnlichen Zahl Ziegen neben dem natürlich überwiegenden Rindvieh nahe: mu̦ mues i’n Bärgen beeder Gattug haan. Das gebietet schon die verschiedene Beweidbarkeit und Ausnutzungsfähigkeit der Alpbezirke. Da wa d’Chị̈eh nịị-mmeh dar chënnen, jagd mu̦ de nn d’Geiß uehi. Dazu kommt bei den mannigfaltigen Gefahren der Bergweide und der großen Abhängigkeit von den klimatischen Wechselfällen die Verteilung des Risikos auf viel mehr Chancen. Mụ̆ hed de nn d’Eier nid alli in ei’m Chrätte̥lli. Endlich gehört zu dem Vorteil, wonach es in einer Bauernfamilie für alle Glieder groß und klein jahraus, jahrein Beschäftigung gibt, auch die Möglichkeit, die Ziege selbst einer sehr leistungsschwachen Menschenkraft anzuvertrauen. Ein sehr bezeichnendes Pendant zu dem «Kindermund» im Eingang dieses Abschnittes bildet jenes Wort, das eine sehsundachtzigjährige Lützelflüherin 3 gesprochen hat, das aber ebensogut in den Mund einer ebensolchen Grindelwaldnerin in dieser Fassung passen würde: Ja, i ch chchënnti stärben und blịịbe n llĭ̦gen, es merkti’s nŭ̦mmḁ n niemmḁn; aber das miehi ja nịịd; nummḁn hätte n d’Geiß denn nịịd z’frässen. Rührend sticht solches Wichtignehmen eines geringen Berufes vom Spaß eines zur Rindviehfütterung schreitenden Bauers ab, är well sịịner Geis gaṇ gään, aber auch von der Abweisung einer Angelegenheit, die uns nichts angeht: i ch ha n mmi ch dér Geis nịịd aa ng’nŭ̦ŭ̦n! (Der Zürcher sagt: «Wär si ch der Geis a nnimmd, mueß se hüete n»; d.h. einer einmal an die Hand genommenen Sache muß man treu bis zu Ende dienen, auch und gerade dann, wenn sie uns Verdrießlichkeiten bringt.)
Wie gut ermöglicht aber das Alpengelände auch der nichtbäuerlichen Familie, die kei n Schueh Land ihr eigen nennt, die Haltung einiger Ziegen! Die Erörterung über das Bärghew ( S. 280) macht diesen Umstand in der Hauptsache begreiflich. Es kommt dazu noch die Erwägung, wie gä̆big (bequem) neben diesem allerdings sauren Erwerb die Ernährung der Tiere sich gestaltet mit den vom Bannwart schadlos eingeräumten Waldrevieren, den Blättern von Eschen, Bergahorn, Haseln, Vogel- und Mehlbeerbäumen, der sonst gering geschätzten Vegetation der Wegränder u. dgl. So helfen selbst Kinder ein ordentliches Tschï̦ppe̥lli Geißen, sowohl eigene als um zehn bis zwölf Franken 4 in Pflege genommene, durchwintern. Wenn die Tiere dann nach dem Frühlingswurf 353 umhi a n d’Milch chë̆men, kommen sie auf die Alp und tragen ihren Besitzern schöne Realnutzungen ( Geisspịịs: S. 382) ein.
Wie gut aber und wie reich die Sommermilch einer richtig genährten Ziege ist — sie geiße̥lled kaum oder gar nicht — bekommt auch der Nichtälpler in mannigfacher Lage zu würdigen. Die im Talgut verbleibende Familie des Bauers, welcher in der Regel seinen gesamten Großviehstand z’Alp tued, ohne eine «Heimkuh» zurückzubehalten, verschafft sie ihren sonmerlichen Milchbedarf mittelst der bereits S. 278 erwähnten Hewgeis. Die Hewwergeis hinwieder, die dem Wildheusammler wie ein Hündlein nachläuft, verschafft ihm auch seine einzige flüssige Nahrung: liefert ihn Ware̥m’s zu Brot und Käse. Mit Ware̥ms bezeichnet der Grindelwaldner jede flüssige Nahrung, als Suppe, Milch, Kaffee, die ja über dem Feuer bereitet werden. Milch wird aber auch direkt chïechware̥m oder geißware̥m genossen und kann, selbst wenn kaltgestellt, noch unter den obigen Begriff des «Warmen» fallen. Wen n mmŭ̦ nid Ware̥ms heed, sŭ̦ hilfd eine n d’s Ässen ni̦d so gued. Ein unzufriedener Knecht erklärte: I ch wollt in däm Platz nĭ̦mme̥ n sịịn; i ch wollt ei ns eppa (irgendwo hin), wa n i ch d’s Warma nid alls chaalts mues s (nämlich genießen).
Dem Galtviehhirten ist manchmal ebenfalls eine Ziege zu seiner Beköstigung angewiesen. «Du bist ja mị z’Im bis-Geis!» ruft liebkosend Kuhns Geißbueb einem seiner Tiere zu. Dem Holzhauer und Wurzelgräber bietet sie ebensalls die einzige Zukost zu Brot und Käse und ist ihnen zudem eine treue und kurzweilige Gesellschafterin. Allein wie wollte auch die Familie des Älplers, wenn sie die Heuernte in der Vorsaß besorgt und stunderweit in der Runde nichts zu kaufen ist, ohne ebensolche Versorgung auskommen!
Machen wir uns nun aber mit dem Leben der Alpziegen etwas eingehender zu schaffen! Unter ihnen gibt es einen Unterschied zwischen Chïehgeißen und Häärdgeißen. Erstere dürfen mit dem Großvieh weiden, gleichwie die Chïehbänzen ( S. 346). Ihre Besitzer müssen aber diese Vergünstigung durch erhöhten Bärgsatz ( S. 317) wett machen: die Tiere müssen meh Bärg lĕgen. Sie steigen übrigens in ihrer Eige̥llĭ̦hi, d. i. hier: in ihrem Widerwillen gegen beschmutztes und unsauber zertretenes Weidegras, den Kühen immer etwas voraus und gesellen sich oft mit den auf eigene Weide angewiesenen Herdeziegen zu losen Rudeln. In solchem Vereine tun sie es den Schafen in Ersteigung unglaublicher Höhen soweit gleich, als die Nötigung zur allabendlichen Rückkehr nach dem Alpläger um die Melkzeit es irgend erlaubt. In gemsenartiger Sicherheit betreten sie mit ihren harten und scharfen Hufrändern 354 die abschüssigsten Steinplatten, die schmalsten Felsränder. Selten verstelld (versteigt) sich eine und muß vom Hirten unter eigener Lebensgefahr heruntergeholt werden. 5 Drum hießen ja auch bis auf den großen Haller die Alpen «Geißberge», 6 und bis zur Stunde nennen sich die von ihnen herabgestürzten erratischen Blöcke «Geißberger». «Der Heigersgeißberg» hieß noch zu Gruners 7 Zeit die Mittellegi des Eiger ( S. 4), und «Geishorn» ist bei dem Genfer Micheli du Crest ein anderer Name für das «Jungfrauenhorn», d. i. die Jungfrauspitze. 8 Eine Geishaalta liegt am Schwarzhorn; eine andere bildet eine Vorsaß. Über den Geißbach des Scheidegg-Oberlägers führt die ober, mittlist, under Geisbrï̦gg, und ins Tal hinunter reicht der Ort bi’r Geisschị̈ị̈r. 9
Der Bock (welche einfache Bezeichnung nur der Ziegen-, nie der Schafbock trägt) macht mit seinem «kapriziösen» Wesen, welches vom dumm-dreisten oder versteckt boshaften des Widders sehr absticht, der Sprache mehrfach zu schaffen. So muß z. B. ein Mädchen ohne gesetztes Wesen, welches andertwärts «Ruedi» oder «Herr Gottlieb» u. dgl. betitelt wird, dem Älpler Hotzelbock, Rollbock heißen. (Im Unterland: der «Rŏlibock», der «Rŏli», «wo de̥s ume n rŏlet».)
Der unwiderstehliche Trieb nach Nahrungswechsel, dessen Befriedigung freilich auch mehr Milch erzeugt als das reichste einseitige Futter, verleitet die Ziege zu den unglaublichsten Näschereien. Nicht umsonst sind ihre Geschmacksorgane äußerst scharf. Sie kann schon deswegen auch grindelwaldnisch 10 der erst Ape̥teegger heißen, wofern man das Mitschlüpfenlassen giftiger Pflanzen als bewußte kräuterkundige Auswahl deuten will. In Wahrheit freilich gereichen ihr Tollkirsche, Germe̥rra ( Veratrum) u. dgl. zum Verhängnis. Größern Schaden stiftet jedoch ihre Naschhaftigkeit durch das abfrässen (den «Viehverbiß») junger Waldbäume, von denen der Hirte sie nicht fleißig genug furtsprẹnggen kann. Viel Holzwuchs wird dadurch in hohem Maße beeinträchtigt. Ein von Ziegen schandbar zugerichtetes Geisgrotzli oder Geistannli bei Mürren ist im alpinen Museum in Bern abgebildet. Das schlaue Tier frißt dabei immer zuerst die zarten Gipfeltriebe ab, um sich das Bäumchen in erreichbarer Höhe zu behalten. Es richtet sich wohl auch am übermannshohen Stamme auf und sucht durch dessen Niederbiegen die obersten Zweige zu erreichen, 11 oder trachtet ihn niederzureiten. Durch die kleinste Zaunlücke wissen Ziegen zu brechen; selbst mit einem der «Trüegle n» 12 ähnlichen Rückengestell schlüpfen sie, sich auf die Seite legend, unten durch. 13 Dabei sind sie in hohem Maß ei ntäännigu̦: 355 mit einem Eigensinn, dessen Nichtbefriedigung sie galtu̦ machen kann, just auf das versessen, was man ihnen am dringendsten verwehren muß. 14
Und doch haben sie ihren Hïrten, wenn der sie nur nicht roh behandelt, so lieb! Sie laufen ihm weite Strecken nach, legen sich nieder wo er und streiten sich um die Gunst seiner Nähe. 15 Man erzählt von einer Ziegenschar, welche zwei Tage und Nächte lang nicht von der Stelle wich, wo ihr einäugiger Hirte durch Steinschlag auch noch um sein anderes Auge gekommen war und endlich hilflos daliegend aufgefunden wurde. Haben die Tiere ihren Wärter längere Zeit nicht mehr gesehen: auf unglaubliche Strecken hin beantworten sie sein Rufen und rennen über Stock und Stein zu ihn heran. Ihr Gruß besteht im Lecken seiner Hand, im Beschnuppern und Beknuppern seines Gewandes. Der Hirte versteht die Sprache schon: unter die Freude des Wiedersehens mischt sich die Berechnung, ob es wohl wieder Zeit zu dem Prischen Salz sei, das auch diese Wiederkäuer nach mehrtägigem Vermissen neuerdings zu erhalten hoffen. Zur Entgegennahme der Gabe lockt der Hirte die erste ihm zu Gesichte kommende Ziege — er chëtted ihre: Gi̦tz, chuon! Gi̦tz, chuon! Gĭ̦dĭ̦, chuon! Gĭ̦si! Gĭ̦se̥lli, du gueti Geisa! Geiß, Geiß! Geiß! chuon! Wie im Flug — im Schwi̦ck — hat sich die zerstreute Schar gesammelt, und eine sucht die andere von der bestreuten Platte unter der schützenden Balm dänna z’spoisen. Dann muß der Hirte seine ganze Autorität ins Feld führen, um auch nur eine Spur von Disziplin unter die geschlossene lose Schar zu bringen. Diese unverschämt Zudringliche plịịggd er (scheucht oder schreckt sie zurück): gsch! gsch! gsch! jäpp! jäpp! jäpp! Der nämliche Scheuchruf aber, womit er den einen watz machd (Angst einflößt), veranlaßt andere, gerade bei ihm Schutz zu suchen. Ja jenes zurückgedrängte Tierchen zëëkd er (lockt er heran): chu̦m du̦ nu̦mmḁn oo ch! chu̦m da anha! So!
In solch geborgener Salzleckstelle, die zugleich als Nacht- und Wetterasyl dient, schätzen aber namentlich die jungen Tiere auch dreifach die Nähe des Hirten, der ihren Alten hilft, sie gegen Wilddiebe, Adler, Füchse zu schützen. Im Gefühl der Sicherheit seiner Führung horchen Alte und Junge gespannt auf sein Pfeifen, schauen zurück und geben von der Richtung des vor ihren Augen hingeworfenen Steins links oder rechts ab. Wissen sie doch bereits, daß es in diesem Fall um ’ne n Wä̆xel (einen Wechsel): den Bezug eines neuen Weideplatzes zu tun ist. Im Vorschauen sind überhaupt diese Tiere Meister. Selten kommt es vor, daß eine Ziege erfalld (totfällt), oder daß eine vom Blitz erschossen wird. Denn ihren Wetterschutz unter hochragenden Gegenständen verlassen 356 sie bei erkannter Gefahr augenblicklich, selbst bei strömendem Regen, der ihnen doch sonst so zuwider ist. Auch in ganz neuen Verhältnissen finden sie sich merkwürdig rasch zurecht. In dichten Scharen auf offener Straße vorwärts getrieben, verteilen sie sich beim Heraneilen eines Fuhrwerks in augenblicklicher Entschlossenheit gerade soweit nach links und rechts, als zum Durchpaß eben nötig ist. 16
Das nennt man g’merkig! Ebenso g’merkig nähren die Ziegen sich am Vorabend eines allermeist voraus erkannten Regentages noch recht ausgiebig, da ihnen nasses Futter wie nasses und kaltes Wetter gleich sehr zuwider ist. Im Regen zur Weide getrieben, lassen sie die Köpfe und Ohren hangen und gehen im Gänsemarsch hintereinander nach dem nächsten Rasenplatz, um in dichtem Beisammenstehen sich zu wärmen. Dies ist übrigens auch dem Hirten recht, da dieser wohl weiß: we nn’s naas ist, nää n d’Tschagge n meh wa n d’s Mụụl. — Auch den Schneefall ahnen die Ziegen voraus, und sie fliehen vor ihm dem Tale zu. Ebenso genau aber wittern sie die Zeit der Abfahrt von der Alp. Eine Ziege verschwand jedesmal einen oder zwei Tage vor derselben und fand sich dann unfehlbar in ihrem Frühjahrsheim in der Vorsaß wohlbehalten vor. Auch in dieser Beziehung also unvergleichlich gescheiter als selbst die Bergschafe, setzen sie statt der sprichwörtlichen Lammsgebuld ihr Ungestüm ein, wenn sie in den Schutz des Menschen oder auch nur zum beruhigenden Anblick seiner Nähe zu gelangen streben. Als unverbesserliche Subjektivisten erheben sie selbst in des Hauses Nähe, wenn sie nicht gerade zur erwarteten Zeit heimgeholt oder doch besucht werden, es schị̈ị̈zli chß Gmuel, als ob weiß der Himmel was für ein Unglück geschehen wäre. Sie g’hei n si ch («gehaben sich», d. h. sie klagen und jammern) in langgezogenen hohen und wellenartig dynamisierten Fisteltönen, daß ’s Gott erbarm’. So bald ihnen dann aber aus ihrer schrecklichen Not geholfen ist, dämpfen sie des Menschen Ärger oder Zorn durch ebenso zutrauliches wie munteres, mitunter auch höchst possierliches Wesen.
Sie werden denn auch sofort inne, wer sich um sie interessiert, und die unverfrorenste einer Schar macht sich unter leisem mĭ̦gge̥llen (meckern) an ihn heran: tued n en aa nzäpflen, damit er sich mit ihr zu schaffen mache. Ein hübscher Mŭ̦tsch klettert sogar bis vor das Fenster des Alpstŭ̦be̥lli heran, răffled (raffelt, knuppert), um sich bemerkbar zu machen, am Rahmenwerk trotz dessen neuem Firnisbelag 357 und reibt an einer bedrohlich klirrenden Scheibe den Kopf. Es klingt wie eine Einladung, vom Abendbrot weg ins Lä̆ger hinauszukommen und sich da neuerdings den Märt anzusehen: sechundneunzig Ziegen, die des Hirten und zugleich Wärchmaa nns harren, um ihrer teilweise drückenden Milchlast entledigt zu werden. Eine um die andere stelld si ch z’wääg; nur da und dort eine muß herangerufen werden: Geis, chŭ̦m!
Denn Geis íst Geis! Und selbst in Grindelwald, auf dessen Boden (Bänisegg) uns Kuhns Geisreihen 17 versetzt, klingen dessen zahlreiche Ziegennamen uns nun entgegen wie ein Märchen aus alten Zeiten. Kaum daß einige besonders auffällige Merkmale Bezeichnungen veranlassen, die aber auch als solche mehr der Rassennuance als dem Individuum gelten. So führt e n g’straamme̥ti Geis mit dunklen Streifen über dem grauen Leib oder Kopf noch den echten Grindelwaldner- oder Lauterbrunner-Namen Sträämmel oder Straamma. Die schwarze Branda, welche ehedem als Heideṇgeis 18 gespenstisch umging, um die Leute z’plịịggen (zu schrecken), und die dunkelbraune Rueßa heben sich ab von der Schneewen oder der Chrịịden. Ein weißer Bauch- oder Seitenstreif charakterisiert die Schilta, ein weißer Gesichtsstreif oder Stirnfleck die g’hŏrenocht (gehörnte) Blăsa oder aber den (ungehörnten) Blăsimŭtsch. Ein schwarzgrauer Rückenstreif kennzeichnet das Gemschi. Übrigens soll die hübsche gemsfarbige Hăsli-Mutta sich im Milchertrag auszeichnen. Halb weiß und halb schwarz ist die Halsa, gelbbraun die Golda, hellbraun mit dunklern Streifen (dem Gemschistrichch): die Tiera, schwarz mit nelkenförmiger weißer Zeichnung auf der Stirn die Nä̆ga, weiß mit kleinen dunklen Flecken das Truebe̥lli.
Gemolken, geben die Tiere nun erst sich ihrer Freiheitslust hin. Vor allem ist jederzeit dem Salztäschchen, das dem Melker von der rechten Seite herunterbammelt, eine gründliche Untersuchung auf Echtheit seines Inhalts zugedacht. In einem fort hören wir denn auch hier ein halb umwilliges, dort ein halb lachendes La ß g’sehn da! He da! Zwanzigmal verjagt und zwanzigmal wieder erschienen, ersinnt das Volk sich endlich andere Kurzweil. Zwei zufällig in Berührung geratene g’hŏrenocht Hasligeiß, schreckli ch gleitig (flink), wie sie ihrer Art nach sind, fordern sich zur Satisfaktion heraus: sie stächchen. Vielleicht, um wirklich ein Mütchen zu kühlen; vielleicht auch nur um des Kitzels willen, den der niemals gebürstete Nacken so wohlig empfindet; oder gar nur, um die bei noch jüngern Tieren so außerordentlich hübsch 358 geformten, in vielem an die Krickel der Gemse gemahnenden Hĭ̦re̥ni in Parade zu stellen. Gilt es wirklich Ernst, so hat die entschlossenere und flinkere im Nu einen Schopf (Felsstück erklettert, senkt provozierend ihr Gehörn und putsch! putsch! prallen zwei Stirnen ordentlich weit hörbar aneinander. Zwei Mŭ̦tteni ( S. 337) oder Mu̦tschen 19 dagegen stellen sich kriegerisch auf die Hinterbeine. Während der Sekunde aber, welche diese strategische Disposition in Anspruch nimmt, kommt der einen der launische Einfall, es den gehörnten nahiz’machen. Ihre bloßen Hinterfüße erklettern also rücklings die Stufen eines Felstrümmerhaufens. Mit ihrer Arbeit hält jedoch die des Hirns nicht Schritt; unser Tier bemißt im Eifer die Stoßdistanz grundfalsch und wird vom Ansturm der Gegnerin kläglich niedergeritten. Es erhebt sich sofort, um’s besser zu machen; allein bereits ist die stolze Siegerin weg. Zänkisch mischt sich diese unter einen abseits angesammelten Trupp unschöner, langzottiger, aber äußerst friedlicher und um ihres schönen Milchertrags willen weit und breit geschätzter Păste̥rren 20 von Haslimu̦tten und Saane nmu̦tsch oder Saane nmụtten. 21 Wir nehmen uns eines der gemaßregelten Tiere an. Da wandelt sich aṇgänds (sofort) die Roheit gegen Schwäche in Unterwürfigkeit gegen den Überlegenen. Um ein Streicheln werbend, folgt uns die Xanthippe Schritt vor Schritt. Wir stehlen uns seitab in die Menge hinein. Da, welch verblüffte Miene! So unaussprechlich dumm kann nur ein sehr gescheites Wesen dreinschauen — fï̦rhag’sehn! Dann aber breiten sich die Züge stoischer Ergebung über das Gesicht, und bald erbarmt sich der Schlaf der Gedemütigten. Auf der schmalen Fläche eines Steinklotzes starren unbeweglich vier Beine, und zwischen den vorderen senkt sich tief zu Boden so etwas wie ein Kopf. In kurzem jedoch klappen jene wie ein Taschenmesser zusammen; eines der Vorderbeine streckt sich als Projektion der Körperlinie grade aus, und der Kopf bettet sich hin auf das kalte, harte Kissen.
1
Vgl.
Alpz. Mai 1906, 96-99.
2
An Hand von
Stat. 06, 2, 62. 74 f.
3
Echo vom Emmental 1904, 77.
4
Fankh. 48.
5
Ebd. 9 ff.;
Tschudi 561-523.
6
Frei 199.
7
1, 94.
8
Grun. 1, 108.
9
C 3.
10
Vgl,
A. f. Vk. 9, 209;
Zürn 1. 17.
11
Vgl.
Fankh. 65.
12
Lf. 71.
13
Fankh. 6;
Zürn 14.
14
Ebd, 9;
Zürn 17.
15
Vgl.
Fankh. 33;
And. 554.
16
Es erinnert dies an das menschliche Distanzgefühl z. B. beim Londonerkutscher, der mit erstaunlicher Genauigkeit die für die Breite seiner Wagenachse zu bahnende Gasse durch das dichteste Menschengewühl vom Bock aus abmißt.
17
AR. 1820, 230. ff.
18
GlM. 90.
19
Vgl.
S. 344 und
schwz. Id. 4, 598.
20
Der
Paster = Bastard bekommt neben sich eine weibliche
Pasterra = Bastardin.
21
Vgl. Werrens lustiges Gedicht von der «Saanenmutte im Berliner zoologischen Garten», erschienen im Saanen-Anzeiger.
«Still wi uf eren Alp» 1 oder «wie in einer Sennhütte im Winter» 2 — «auf der Alm ist gar schön das Leben»: welche Gegensätze! Zur hohen Alpzeit ist allerdings hier oben das Leben bewegt und bunt genug. Zu guter Morgenstunde schon erweckt dich aus süßem Schlummer auf 359 hartem Lager silbernes und blechernes Schellengetön in wunderlichem Gemisch. Häßlich genug dringt ins Ohr das Scherbengeräusch einer in letzter Nacht verunglückten Tschangglen. (Tschanggla bedeutet z. B. im Simmental Kuhglocke im guten Sinn, in Grindelwald dagegen eigentlich eine geringe Blechschelle.) Noch gestern hatte sie eine ehrsame Chlŏpfa heißen dürfen, und spezieller Rinderchlopfa, wenn sie Nacken und Wamme eines Jungtiers umschloß. (Der Nacken heißt Näcken, im Unterland mit Aphärese: «Äcke n»; die Wamme des Rindes und Schweines wird der Lämpen geheißen und auf drei Heimwesen, 3 sowie auf die Lämpenégg 4 übertragen, ähnlich wie die Wärgistalergüter Trịịhelégg 5 mit ihrer waldigen Einfassung auch noch heute einigermaßen an die Umrisse einer Trịịchlen erinnern). Trịịchla, Rindertrịịchla, Trịịhe̥lli, Chalbertrịịhe̥lli (aus älterem «Tringgle», «Tringle», «Tringelen», 6 «Kuhtringelen» 7 und dies vielleicht vom Triangel, dem dreieckigen stählernen Schlaginstrument herzuleiten) sind aber die gewöhnlichen Bezeichnungen dieses «Klanggeschells». Dasselbe besteht heute aus Eisenblech. Das Löten der Fügungsstelle mit Kupfer, welches dann etwa über die Naht hinausfließt, kann freilich an die ehemaligen genieteten Kupferschellen erinnern. Außer dem Stoff ist für die Trịịchla auch die ebenflächige, nach unten sich ausweitende Wand charakteristisch. Am Hals namentlich der Jung- und Kleintiere bammelnd, verrät die Schelle bis in beträchtliche Fernen den Aufenthalt, das Tun und Treiben ihrer Trägerin bei Tag und bei Nacht. Schon ein einzelnes «Geschäll» tönt ziemlich laut; wie dann erst ein ganzes Band voll: e n Riesche̥lla Trịịchli, wie man sie ehemals, vor dem polizeilichen Verbot, nach Art des Haberfeldtreibens bi ’ner Trịịchle̥ten hinter dem Tambụụr her vor den Ohren des der Volksjustiz Verfallenen g’schï̦tted heed! Harmloser kündigt der verhallende und anwachsende Ton das hastige Fort- oder Heraneilen der muntern jungen Springer an: mu̦ g’hëërd Rinder trịịchlen. Ebenso regellos in Tempo und Dynamik trịịchled im Hụụs umha, wer halb zweck- und ziellos in demselben umherstürmt. Bedächtig dagegen, weil sehr zielbewußt, ist der zur Welterforschung ausgesandte Grindelwaldner Gweren-Enti 8 wiịṭers trịịchled und ze’m Tellti («Tälchen») ụụs ’zottled. Böte letzteres auch mit dem Unterwallis um Martinach anthropologische Vergleichungspunkte, so hätte der einheimische Witz wohl nicht verfehlt, dem Enti in ebenfalls figürlichem Sinn noch eine Plu̦mpa ohni Challen (einen Kropf) an den Hals zu hängen. ( Der Challen ist der Klöppel oder Schwengel, welchen der Su̦sten, im 360 Lötschental: der Sŭ̦stel, d. i. der Klöppelring, frei hin und her schwingen läßt.) Plumpa heißt nämlich die mächtige Eisenblechschelle mit bauchig ausgestülpter und unten sich enge schließender Wandung. Ihr dumpfhohler Ton gibt den richtigen Baß ab zum Silbergeläut der Herdenglocken, zu dessen altem Preise hier nichts neues beizufügen ist. Ein Wort nur ist am Platze vom Band, das der Kuh so schön zu Halse steht: vom Halsband. Noch heute läßt der Älpler, wenn und wo der eigenhändig gefertigte, ordinäre Plumpe nrriemmen ihm nicht genügt, sich den beim Berufsmann bestellten Sattlerriemmen ein schönes Geld kosten. Wie erst ehemals! Gab er um das Jahr 1715 9 für eine «Tringelen oder Schällen» zwei bis drei Dublonen aus, so für das Halsband eine, und man ließ «Rahmen, Wappen, Jahr-Zahl von mancherlei Farb Läder darauf setzen». Allein auch das Holz gab zu allen Zeiten Glockenriemen ab von anspruchlosester Anfertigung bis zum Prunkstück mit Metallbeschläge auf rotbemaltem Grund. 10 Noch mehr aber wollte von jeher das Ohr — auch des wenig Bemittelten — sich am Klang erfreuen, welchen die Gglŏgga (gleichbedeutend, doch seltener: die Schä̆lla, im Lötschental dagegen gewöhnlich: die «Schalla») von sich gibt. Es fällt auf, mit welcher Sorgfalt und musikalischem Gefühl die Bergsennen, ohne Kenntnis von Terzen und Quinten, darauf sehen, daß sogar beim Zusammenreimen der Kuhschellen das Ohr nicht etwa durch Mißtöne verletzt werde. 11 Dem Kunstsinn der Berneroberländer soll dabei ein schon vor Menschenaltern lebender Glockengießer zu Matten bei Interlaken entgegengekommen sein, dessen Namen wir mit keiner Mühe erforschen konnten. Der herrliche Silberton dieser Matte ngglëgglinen, die von Rindern und Ziegen denn auch mit sichtbarem Vergnügen getragen und geschüttelt — g’weigged — werden, erfreut noch heute das Ohr des Neulings, wenn er es bei Tag oder bei Nacht von der Alpweide oder dem Winterstalle her zu hören bekommt. Die Glöckchen sind daher bald um keinen Preis mehr zu haben, und an Steigerungen tïe n sĭ̦ sĭ̦ e̥nandren uehi steig’ren, daß s’ drịị ganz groß Gloggi derfï̦r uberchäämen. Das macht nicht etwa bloß ihre antiquarische Seltenheit, sondern die Steigerung des Wohlklangs mit dem Alter, die übrigens, wie der guten Geige, bis auf einen gewissen Grad jeder guten Glocke eigen ist. Es gibt denn auch Grindelwaldner, welche ihre vom Änigroosi (Urgroßvater) her fortgeerbten Kuhglocken um keinen Preis hergeben würden. Mit dem Idealisten den Schalk vereinigend, würden sie eher etwa einem Antiquitätenjäger den Rat erteilen, er möge 361 so viele neue Glocken, als sein Geschäft nur immer fordere und erlaube, a’ n Rroich hẹihen; dann werden sie von Tag zu Tag immer besser. (Der Spaßvogel beobachtet dabei anscheinend harmlos, wie der also Beratene die Analogie mit Rauchwürsten und Schinken auffasse.)
Keinen Spaß aber versteht die Kuh, welcher man «ihre» Glocke nimmt und wohl gar einer mitgrasenden Weidegenossin unhängt. Und das erst recht nicht, wenn sie von Jugend auf erst durch das Umhängen eines Rëlli (Rö̆li), 12 dann durch das hẹichen von immer größern Glocken vom Umfang eines zierlich kleinen Täßchens an zum Tragen eines Stücks wie eine kleine Schüssel gewöhnt ist. Einem ungewöhnten und auch sonst aus übler Laune nicht aufgelegten, namentlich einem g’sịịnige n ( S. 375 f.) Tier ist die Glocke eine widerwärtige und am Weiden hindernde Belastung. Es sucht sich derselben denn auch mitunter auf recht schlaue Manier — durch geschickt angestelltes ụụsschlëïffen — zu entledigen. Dem gewöhnten und obendrein von Natur freundlicher veranlagten Tiere wird dagegen die Last zur Lust, die Beschwerde eine Ehre, und mit welchem Selbstbewußtsein läßt es sich am «schönsten Tag seines Lebens» die groß Gglogga hẹihen! Nimmt man ihm sie wieder — welche Reihe tiefer seelischer Erregungen! Das erste ist, das die Kuh große, helle Tränen weint: sie grä̆nned in der ganzen tiefen und vollen Bedeutung, welche der Oberländer diesem Worte beilegt. 13 Sie grollt alsdann und verweigert jegliche Nahrung. Schließlich jedoch kommt sie und bettelt um die Glocke mit Schmeicheln, mit Zutunlichkeit aller Art, mit ranggen — Reiben des Kopfes — am Arm des Äplers. Dieser Arm, der die Glocke genommen, möge sie doch wieder geben! Hilft aber das Bitten nicht, dann wandelt sich das Weh in Wut: wie rasend stürzt das Tier sich auf die Nebenbuhlerin, und es setzt einen Hörnerkampf ab auf Tod und Leben.
In den Glockenton mischen sich Stimmen, welche uns aus der Poesie der Alp in deren gemeinste Alltäglichkeit zurückführen. Doch dem Sennen kommen sie gerade recht. Er erkennt am Muhen jedes einzelne seiner Rinder, am Gemecker seine Ziegen: sie antworten auf einen stillschweigend vorausgesetzten Appell. Von der nächtlichen Abe ndweid im Bereich der Hütte haben sie sich zum morgendlichen Melken eingestellt. Diese Kuh mit tiefhängendem, straffem Euter trí̦mächted, trịịsched (s̆s̆): ein Gemisch; von tief heraufgeholtem Seufzen und unterdrücktem Muhen ruft den Melker heraus zu schleuniger Entgegennahme ihrer drückenden Last; 362 si bblanged gar grị̈ị̈se̥lli ch na ch ’mmu̦. Möglicherweise ist sie seine besondere Milchnerin; allein sie ist von der schweren Arbeit des Weidens und der sehr unvollkommenen Nachtruhe im Freien schon jetzt schrëcke̥lli ch mïedi — wie wird sie es erst am Abend sein! Vielleicht ist sie obendrein lĭ̦dschi (wehleidig) und gnietigi (maßleidig, zu böser Laune veranlagt, daher unsympathisch, lästig, wie denn auch ein ähnlich gearteter Mensch meh gnietiga wan gä̆biga ist). Da liegt sie ächzend, nimmt lĭ̦glĭ̦gen (liegend) die Salzgabe an und erhebt sich erst, we nn’s abso̥lut sịị n mmues. Ein ungestümes Tier dagegen muht rasch und heftig nacheinander: es liejd (stößt hohe Fisteltöne aus), wie insbesondere auch der Stier auf abendlicher Heimkehr tut. Der nämliche poogged oder proogged, wenn er schießig (aufgebracht) ist, weil ihm irgend eppḁs Ungueds in die Quere gelaufen. Mit tief gesenktem Kopf stößt er ingrimmig einen dumpfen, hohlen Laut rasch nach dem andern aus. In neutraler Stimmung dagegen, wenn es weder besonders Böses noch apărtig Gutes zu berichten gibt, begnügt er sich mit einem ganz gewöhnlichen brï̦llen. Dies halblaute dumpfe Muhen erfolgt allegro oder largo ganz nach der Laune des Augenblicks. Unheimlicher ist der Brï̦llen einer an Nymphomanie leidenden Kuh, welche nach Art eines stierigen Rindes fortwährend ein dumpf grollendes Muhen hören läßt. Im umfassendsten und allgemeinsten Sinne brïeled 14 oder mueled das Rindvieh, das auf der Weide oder im Läger seine Kehlübungen anstellt, in Freude oder Leid e n Muel ụụslaad, es Gmuel verfïehrd. Auch irgend ein anderes stimmbegabtes Tier mueled, wenn seine Kehle nicht gerade besonders erbauliche Töne zum besten gibt. Aufs muelen versteht sich alles Kleinvieh meisterlich, und z. B. Krähen oder Alpendohlen ( Tä̆hi) vermuelen ihre Feinde unter wütendem Anfliegen. Brïelen aber wird sogar auf leblose Dinge übertragen. Zu denkbar wirksamstem Feuerlärm läßt die Lokomotive der Talbahn ihre schrillen Pfiffe ertönen: sie tïen de n Zu̦u̦g z’brïelen. Der alte Gruner 15 redet von der Staublawinen Krachen und Knallen «wie das Brühlen des heftigsten Donners». Auch der Sturz eines Felsstückes: «im Lufft ein brülen thet er machen», 16 ganz so, wie beim Platzen seiner Spalten «der Gletscher brült». 17 D’Lĭ̦tschina brïeled, und der Sturmwind tost und heult im Gebirge: äs brïeled i’n Bärgen.
Jetzt erschallen Menschenstimmen. Begleitet von einem Tätsch (Katsch, Klaps) mit flacher Hand auf den Hinterrücken eines Jungtieres 363 hören wir ein freundliches, doch entschiedenes: gang jetz dru̦ber i̦nhi en Bitz! (Geh jetzt «ein wenig», d. h. aber bis zum Abend, «hinauf und hinein», eben zur stundenweit entfernten Weide.) Lauter ertönt das Rufen eines Treibbuben: Hŏi! hŏi! hoo! hai! gang jetz! hooi! Einen andern hören wir: Alee ( allez)! hị̈ị̈ tschu̦! abg’schŏben! Den meisten Ärger macht ihm das Kleinvieh: hier eine eigensinnige Ziege, dort ein störrisches Schaf, jetzt wieder ein träges Schwein. Ist endlich an ihnen alle Liebesmüh verloren, so kommt (jedoch äußerst selten, um die Wirkung nicht der Abstumpfung auszusetzen) der Trịịbbueb mit der ultima ratio: die Rä̆lla 18 oder Tschä̆de̥rra setzt mit ihrem Klappern den Ohren der Ziegen und Schafe (und so auch den vom Saatfeld zu verscheuchenden Vögeln) so energisch zu, daß die sich nun gerne zur Wanderschaft entschließen. Den gleichen Dienst leistet bei Schweinen die Sï̦wschnu̦rra: ein an einer Schnur rasch geschwungenes dünnes Brettchen.
Damit ist das Läger wieder für einen Tag geräumt: mu̦ hed ụụs’trĭ̦ben («das Veich wider ausgelassen»). 19 Die Kühe gehen rechts, die Ziegen links (oder umgekehrt) auf die stundenweit entfernte Tagweide: i n d’Tăgweid. Nur an Regentagen bleibt es in der Nähe des Lägers in der Zämi (in milder Lage), oder sucht den Bereich des Waldes auf, um wenigstens die Vorstellung eines Schutzes und Anhaltes zu haben. Einige klimmen höher, um sich in Gebüschgruppen zu bergen. Dort muß der Trịịbbueb sie dänna wĕhrren: wie leicht könnte es auf dem steilen schlüpfrigen Boden eini aharïehrren, dahárrïehrren! Dem Älper sind übrigens auch solche Regentage recht: an ihnen werden die sonst unbesuchten Weideplätze mit ausgenützt. Dem Weidevieh selbst bekommen solche Tage recht gut, und es liebt sie in gewissem Maße sogar. Es wird damit in gesunder fortwährender, obwohl mäßiger Bewegung erhalten, und der Regen ersetzt ihnen ausreichend Striegel umd Bürste, welche begreiflich nicht zum Alpinventar (und leider auch nicht überall zum Stallinventar!) gehören. Grade an solchen Tagen am auffälligsten vereint sich der Anblick des spiegelblanken Äußern mit dem erfreuenden Eindrucke fast durchgängiger Gesundheit und Lebensfülle im Alpenviehbestand. Wirklich gilt vom Alpvieh mit Ausnahme der Ziegen: es mag de n Rä̆gen besser haa n wa n d’Hitz. (Haan = haben: aushalten.) Große Hitze tut ihm weh, wie wohlig es auch im Gegenteil die Stunden behaglichen Sonnenscheins nach langem Regen auskostet ( S. 129). Übrigens steht ihm gegen Hitze wie Kälte mannigfaltiger Schutz zu Gebote. Die langen, krausen, wirren Haare, welche beim altrassigen 364 Grindelwaldnervieh auch den Sommer über e n strụụbi Haarlĕgi darstellen und den Tieren leicht den falschen Schein der Verwahrlosung geben, bilden eine den Unwettern und kalten Sommernächten angemessene Ausstattung. Gegen rauhe Nachtluft schützen starke Innenhaare der Ohrmuscheln den Gehörgang. We nn d’Sunna zuehi zï̦nted (stechend grell und brennend heiß scheint), so wehren lange Oigshaar (Wimpern) das zu stark vom nackten Fels zurückgeworfene Licht vom Auge ab. Gleichwohl werden katarrhalische Übel mancher Art nicht immer vermieden; sichtbar redet von ihnen namentlich der bei nicht wenigen Tieren hartnäckige Flu̦u̦s (Augenbutteransatz). Derselbe wird dadurch noch begünstigt, daß bei Mangel an Alpenställen das Vieh sich in schwüler Hitze vor Wetterumschlag Stellen aufsucht, wo ihm ein scharfer Luftzug das quälerisch zusetzende G’fleig (Geschmeiß) vom Leibe halten hilft. D’Chïeh gaa n z’Stand, wa’s zï̦̆gig ist; und es bietet einen hübschen Anblick, wenn je zwei sich zugetane Tiere, Kopf gegen Schwanz gerichtet, sich ganz nahe zusammenstellen, um einander die zudringlichen Quäler abzuwehren. So manche Kühlung spendende Stelle hat sich darum auch im Namen Stand oder Hŏhstand verewigt: der alt Stand, der Hŏhstand am Schwarzhorn sowohl als im heutigen Wohnungsbereich, 20 die Hŏhstandweid am Mühlebachfall usw. Laue Sommernächte sodann, oder eben solche Tage locken die Tiere zum Schlaf auf ähnlichen Anhöhen: dem hübschen und aussichtsreichen Schlaafhu̦bel als Kulm der großen Scheidegg; dem Schlaafbŏden in Wasserwendi; der Schlaafbïele nflueh an der Hinterburgalp; den drei «Schlaafeggen» und sechs «Schlafeggweiden» im Kandergrund, der «Schlafplatte» über der Urweid usw. Auch andere Gelegenheiten zur Kühlung bieten sich: eine Plĕtscha Schnee (größerer Fleck lange haftenden Schnees), ein Teich, ein Bach verschaffen dem Fuß und damit dem ganzen Leib ein unbeschreibliches Behagen. Mehr als die Hufe setzt allerdings das Weidetier dem Wasser nicht gerne aus, und nur Not lehrd d’Chue watten (Not bricht Eisen).
Solche Stunden werden denn auch ausgekostet! Zunächst dienen sie dem ebenso unerläßlichen wie gemütlichen Geschäft des chä̆wlen: des Wiederkauens, welchem das Rind so wie so 30 bis 70 Minuten (wie das Schaf deren 20 bis 45) 21 nach vollzogener Sättigung widmen muß. Nur daß jetzt in der Gemütlichkeit die Glieder sich wohlig strecken, die Augen behaglich zwinkern und nur die Kinnlade sich mit merkbarer Energie bewegt. Drum die Übertragung auf das eifrige «chĭ̦fle n» (keifen, 365 eigentlich aber das Bewegen des «Chĭ̦fel» oder Kiefers). 22 Einer Person, die immer etwas zu reklamieren, aufzubegehren findet, ruft man zu: Was hest aber umhi ei ns z’chäwlen! — Fern von solchem Gehaben, rufen vielmehr die Tiere ab und zu eins dem andern so etwas wie «Wohl bekomms!» entgegen. Ja, damit das Geschäft in recht anhaltend kostbarem Frieden geschehe, geben einige oder gibt wenigstens eins der jüngsten Mitglieder der Bande irgend eine improvisierte Dilettanten-Vorstellung: springt etwa aus dem Haufen hervor, tummelt sich possenhaft an der Halde umher und kehrt trabend zur Menge zurück. Da es aber nicht wohl angeht, die Komplimente mittelst einer Verbeugung zu fischen fordert ein einfacher Blick Beifall: han i ch’s eppa umhi nid rächt gmachd? is’ ’s e̥ wch denn nid schëën g’nueg g’gange? Einer alten Kuh jedoch, die nie genug bekommt, 23 ist das z’dumms, und sie nimmt davon wenig Notiz. Mit plumper Würdehaftigkeit und schwerfälliger Vorsicht, jedenfall aber für ihre «Person» um den Eindruck eines «großen Abgangs» bemüht, schreitet 366 sie rechts ab zu neuer Weide. Ihr folgt, sorgloser, eine um die andere, um sich behaglich an einem vereinsamten Baumstamm zu reiben: z’ranggen — wie auch zwei junge Leutchen, die sich mögen, da so an enand’ren umha ranggen.
Da fängt plötzlich eins der ältern Tiere an, mit hoch erhobener Nase ḁ lsó im Luft umha z’schmecken. Dann schüttelt es sich: es flĭ̦de̥rred si ch, als wollte es sich einer Schnee oder ähnlichen Last entledigen. Mitten in schönsten Wetter, bei wolkenlosem Himmel! Allein das Weidevieh versteht es besser und ist dem Älpler, der seine Augen braucht, ein Wetterprophet für einen Tag, zwei Tage voraus. Der Mann hält sich alsdann gefaßt auf all die Szenen, die sich auf der Alp ohne Stall so schreckensvoll abspielen, und die in Wort und Bild dem Leser schon so vielfach vorgeführt worden sind. 24 Nichts von allem ist so gefürchtet wie der Hăgel. Die herniedersausenden Körner werden vom Vieh wie Peitschenschläge empfunden und jagen es in unbeschreiblichen Schrecken. Dies um so mehr, da am vorausgehenden Tag der Wetterumschlag sich den empfindlichsten Tieren so in die Füße gesetzt hat, daß alte Älpler diese in Heimina (gutem Heinrich: S. 245) zu baden sich veranlaßt sahen. In seinem Schrecken stürzt das Vieh sich achtlos bergunter nach dem vermeintlich rettenden Wald, wenn nicht der Älpler und seine Buben ihm zuvorkommen durch Zusammentreiben an einen dicht gedrängten Haufen. Da stehen die Tiere still mit ängstlich starrem Blick, mit gesenktem Kopf, zitternd am ganzen Leibe, bis das Unwetter sich verzogen hat. Wenn nur immer zu solchem Zusammentreiben noch die Zeit langt und nicht wie am 10. September 1906, wo es eine von zwei totgefallenen Kühen z’Hŭ̦del u nd z’Fätze n zerrị̈ehrd heed, die Angst dem Retter zuvorkommt! Wie schwer aber wird solche Rettung erst im Sturm und Wettergraus der dunklen Nacht, wo nur ein greller Blitz hier, einer dort die fürchterliche Sachlage auf Sekunden beleuchtet! Mehr als ein Trüppchen Vieh ist auf diese Weise eine jähe Fluh hinuntergestürzt, und es blieb den Eignern höchstens der Trost: es hed sĭ̦ ei nmal denen usi grïehrd, wa sĭ̦ ghä̆ben hein. (Der Verlust traf nicht ganz Mittellose.)
Nur eine Erscheinung kommt heute dem Hagelwetter als Schreckenerreger gleich: die des fremden Hundes. Folgende zum Glück ergötzlich endende Geschichte, die sich im Herbst 1906 in der Nähe Solothurns abspielte, könnte sich auch in Grindelwald bei einem Vorsaß-Aufzug ereignet haben.
367 Da hed a lsó e n chlịịnna Graiser e n Chue dï̦r ch d’s Dorf uus ’trĭ̦ben. D’Chue ist vorab, und der Chlịịnn ist hinna naahi n und hed mid sịịner churzeṇ Geisle n llustig g’chlepfd. Duḁ ist us’nem Hụụs e n wïesta bi̦ssiga Ggäwwer u̦f dän Bueb los und ist ’mu̦ zwisse n d’Bei n gschossen. Der Bueb hed lụụt ụụf g’gịịßed u nd mit der Geislen dri̦ n g’rïehrd, was er hed më̆gen. D’Chueh hed das g’hëërd und ist na ch ’nem paar Schritte n ’blĭ̦be n staan. Duḁ hed s’ aangänds g’merkd, um was ’s z’tuen ist. Sie ist uf den Hund los, hed n e̥n u̦f d’Hŏre̥ n g’nu̦u̦n und n e n wïest an en Garteshaag aa ng’rïehrd. Är hed wä̆ge n sị’m ggääwe̥rren d’Chueh niid g’seh n g’hä̆ben. Är ist erchlï̦pfd und hed si ch g’strääßd und ist aṇgänds i n d’s Hundshụụs inhi. Aber d’Chueh ist mu̦ naa ch, hed’ d’Hŏre n z’Bŏde n g’laan und hed mid wild verträäjten Oige n g’lotzed, ob er umhi chë̆mi. Sie ist gg’rä̆chcheti g’sịịn fï̦r’s nois 25 ụụfz’nää n mid ’mu̦. Aber däär hed si ch nịị-mmeh laa n mmerken! Wa’s ’ra ist lẹngs g’nueg g’sịịn, hed s’ ei ns von ĭhra lẹnge n spitzen Hornen in aller Teïbi i’n Ịị nschloif vom Hundshụụs inhi g’stoßen. E n Mu̦pf! e n Stoos! u nd d’s Hụụs ist midsammt dem Hund i n d’Mistgï̦lla inhi g’hịjd, wa dḁrnä̆be n g’sịịn ist. Duḁ hed s’ g’achted, wie där fịe̥ndsä̆lig Hellsaatḁn ụ̆si g’schwummen ist, u nd wwie’s n e n g’schï̦tted heed, u nd wie n er in allem Ung’reis in e̥m Wăge nschopf si ch versteckd heed. Dḁrnaa ch hed d’s Chuehli si̦s Hoi pt stolz und hochmïetig i’ n Luft g’hä̆ben und ist sịị n Wwääg umhi wịịters ’trample̥d. Un d d’s Bïebi hi̦nna naahi und hed mit der Geisle n llustig gchlepferled.
Auf hoher Alp laufen derartige Begegnungen weniger glatt ab. Nu̦mmḁn ni̦d Hï̦nd uf d’Alp nähn! Sobald die Kuhschar ein solches Tier aus der Ferne wittert, brüllen die Tiere heftig und rasseln mit den Ketten, woran sie allenfalls gebunden sind. Sind sie frei, so laufen sie mit aufgeworfenem Schwanz und vorgestreckten Hörnern, unter heftigem Ausschlagen mit den Füßen dem vermeintlichen oder wirklichen Feind auf weite Strecken entgegen. Erstellt sich dieser (um turnerisch zu reden), so umringen sie ihn und töten ihn unfehlbar, wenn er nicht jetzt noch mit eingeklemmtem Schwanz unter Geheul die Flucht ergreift. 26 Es bringt sich hier ein äußerst interessantes Vererbungsgesetz zur Geltung. Ist nicht der Hund ein Vetter des Wolfs, und dieser ein Gesinnungsgenosse des Bären? Vom Kampf der Kühe und Stiere aber gegen diese Bestien wissen noch ältere Grindelwaldner 27 lebhaft zu erzählen. Ein langgezogenes dumpfes, grollendes Muhen kündete an, daß die Weidetiere den Räuber von ferne gewittert. Alle eilten in vollen Sätzen einher 368 und hielten sich bereit, den Feind zwischen die Hörner zu nehmen. Zögerte der zu kommen, so suchte die Wut sich andere Entladung: unter den Kühen selber 28 begann ein fürchterlicher Hörnerkampf. Einem Scheidegg-Hirten gelang die Verhütung einer Katastrophe dadurch, daß er sich, rasch eine provisorische Harzfackel anfertigte und sie brennend dem belauschten Bären auf den Rücken warf. Der lief laut heulend uber d’s Hŏren ụụsi und kollerte i n d’s Pfanni ahi (einen Absturz auf der Haslerseite). So glimpflich liefen freilich nicht alle Kämpfe mit dem Räuber ab, an dessen einstige Behausungen noch Namen erinnern, wie bi’m Bärbach, 29 die Bä̆regg (früher auch Bä̆renegg oder der Bären 30 geheißen; der Bären ist auch ein sehr steiler Hang im Hŏhlenwang) mit dem Kamm von Oberbä̆ren, das Bäre nfliehli am Eingang des Rotthals, Am 29. September 1792 wurde auf Grindelwaldnerboden ein mächtiger Bär erlegt. Uf der Ggï̦nte̥lliegg hinder Itramen hed er sị n Schaal g’hä̆ben, worin sich Überreste von siebzehn Schafen fanden; unfern unter einer Tanne hatte er sein Näst. Am genannten Tage trieben drei Itramer, darunter ein Kaufmann ze’n Aspen, die Bestie durch Schüsse bergauf, dem jungen Hans Kaufmann bi’m Ruedihụụs vor die Flinte. Mid Fï̦ï̦rsteinbï̦xen hei n s’zue ’mmu̦ gschossen, wobei jedoch die naß gewordenen Ladungen versagten. Die wilde Jagd ging bis in die Nähe des Wärgistalbachs. Im fịịste̥rreṇ Grăben endlich kam es zwischen Mann und Bär zum Kampf auf Leben und Tod. Mit dem brechenden Kolben endlich hed duḁ der Choifmḁn Hans den Bär z’Tod g’rïehrd. Die vier Jäger durften, Gaben sammelnd, im engern Oberland die Haut zur Schau tragen; Hans Kaufmann aber wurde 1811 Jagdaufseher im Bezirk Itramen. 31 Einen im Berner-Museum aufgestellten Bären schoß um 1800 ein Lauterbrunner Namens Graf. Aber noch hauste unter zahlreichen Schädigungen im Bä̆re nllooch bei der Trịịhelegg am Fuß des Eigers ein Bär, der im August 1815 von wenig Treibern nach der Kleinen Scheidegg gejagt, aber nicht erwischt werden konnte. Im selben Monat verlor sich die Spur eines Bären am obren Bärg gegen die Schreckhörner hin. 32 Der letzte Bär auf Grindelwaldnerboden soll um 1810 am Bärhaag an Itramen geschossen worden sein.
So intensiv ist nun aber der Schrecken vor jeglichem Raubtier den Kühen angeerbt, daß ein bloßer, gegen Sturm und Wetter umgehängter 369 Schaafhäärden ( S. 95) oder ein ebensolches Ziegenfell samt aufgesetztem Tschä̆bihuet 33 (Wetterhut) die ruhig grasenden Tiere aufregen kann. Unversehens stürmen sie von allen Seiten herbei, den ahnungslosen Friedensstörer gebührend zu empfangen. Ja, die bloßen Blutspuren einer nicht genügend verborgenen Notschlachtung können die unglücklichen Finder derart empören, daß sie gleichsam auf dem Wege drahtloser Telegraphie einander schleunigst über den ganzen Weidebezirk hin verständigen. Sie b’schicke n zsä̆men: bieten sozusagen zur Versammlung auf wie die Älpler zum Tagwaan ( S. 323), nur unvergleichlich rascher. Im Umsehen sind sie beieinander, aber bloß, um neuerdings für ihre Wut unter sich selbst Objekte der Entladung zu suchen: voll Raserei fallen sie übereinander her. — Wer bisher nicht gewußt hat, warum Kühe und namentlich Stiere (ebenso Hähne verschiedener Rassen) durch rote Farbe gereizt werden, merkt es jetzt.
Vieles hängt bei solchen Kampfszenen vom Verhalten des Mŭ̦ni ab. Bären und Wölfe erzogen von selbst die heute seltenen Chraftmŭ̦niga (wie auch Menschen von hervorragender Körperstärke heißen). Ein solcher stemmte seinen Kopf gegen einen Bären, welchen er an eine Felswand zuehi ’pŭ̦ffd und längst zu einer flachen Scheibe zerchnorsed hatte, noch drei Tage und Nächte lang so unausgesetzt, daß er bei seiner endlichen Auffindung die Füße mehrere Zoll tief im Boden stecken hatte. 34 Der illustrierte, was mŭ̦nen, mŭ̦nigen, dï̦r chhi nstieren bedeuten will! Als Sultan, aber auch als Schützer seiner Herde 35 duldet er noch heute nicht, daß man ihm eine Kuh (zumal eine stierigi) vor der Nase weg führe. Da heißt es: Mŭ̦ni bëës! Er wird unhandlich, ungä̆biga. Er kann sich derart ereifern, daß er häärded: mit dem ganzen Kopfe, ihn über und über beschmutzend, wühlt er in der Erde; oder er schürft, den Kopf gesenkt, mit beiden Füßen abwechselnd tiefe und breite Erdfurchen auf. Ist er im höchsten Grad erzürnt, dann schießt er pfeilschnell auf vorübergehende Menschen, auch den Eigner nicht kennend, der ihm die beschwichtigende Salzgabe langt. Doch dieser weiß in den meisten Fällen schon, wie er dem meisterlos Gewordenen de n Meister zeigd. Einen nicht gar zu eingefleischten «Dubelgrind» weist er durch Steinwürfe, durch ein paar tüchtige Hiebe mit der Peitsche auf die Nase, uber d’Oïgen inhi old z’allervord’rist u̦f d’Hŏren, vielleicht auch nur durch das bloße Vorzeigen dieses sehr gefürchteten Züchtigers in die Schranken. Leider sind aber damit gar nicht alle Unfälle ausgeschlossen; und namentlich Personen, die einen Stier schon gereizt 370 haben, mögen vor diesem künftig si ch scharpf in Acht nään. Im allgemeinen jedoch werden bösartige Tiere von unsern vielbesuchten Alpen mit aller Strenge ferngehalten. Auch ein zuweilen etwas launischer Muni, der sonst loiba (gutartig) ist, dreht sich höchstens langsam um, um dem fremden Passanten die Signalemente zu einem allfälligen Steckbrief abzunehmen. Meist aber sind die Tiere froh, unbehelligt ihrer Wege gehen zu dürfen. Der Stiere nstand 36 unserer Tage ist eben mehr und mehr aus dem Verteidiger vorzugsweise der Vermehrer einer zweckmäßig herangebildeten Rasse geworden. Fand doch schon 1789 der Erlenbacher Jakob Boß, es sei «auch zu der Erhaltung einer guten Veichzucht sehr veill an denen so genannten muni oder Wuchersteiren gelegen.» Deshalb weiden nunmehr auf den Alpen die anerchennte n Mu̦niga durchwegs ungesondert mit den Kühen, während früher zwecks Mastung z. B. auf der Stieregg mit den Stieregghï̦tten, auf der «Stierendungelalp», auf dem Oxe nwang und Oxe nlä̆ger, dem Oxenhoren (3903 m), 37 dem Ferrenberg ( Verrichberg) 38 u. dgl., der Zuchtstier, «Schellstier», Farren oder (mit Lautverschiebung) «Pfarrstier» 39 sich tummelte.
Da und dort muß ein zu mächtig gewachsener Stier im Alpstall gepflegt werden, weil er auf der Weide zu schwer auftrat und sich an scharfen Steinen die Hufe verletzte. Sehr schweren Kühen kann das nämliche begegnen, auch ebensolchem Kleinvieh; und we nn mmu̦ nịịd dḁrfï̦ï̦r tued, so kann schon nach den ersten Weidetagen die sehr schmerzhafte Hautentblößung zu langsamer Blutvergiftung führen. In vielem kann dies Unheil dadurch verhütet werden, daß man den Tschăggen (wie die Hufe des Rindviehs und etwa auch der Huef des Pferdes heißen) und das Tschäggli (des Kleinviehs) an jedem Fuß vor dem Alptrieb untersucht. Jedenfalls sind sie immer während des Ruhigstellens im Winter zu lang gewachsen und müssen mit dem eigens dazu geschmiedeten Tschăgg-Ịịsen (auch etwa Băl-Ịịseṇ) sachkundig geschnitten werden. Einzig die Afterklauen, ebenfalls Tschä̆ggle̥ni geheißen, haben solches tschăggnen (vgl. den Spaß auf S. 25) nicht nötig. Erst solche Vorkehr macht das Weidetier dann auch für den ganzen Sommer gẹngigs oder gangbars (zum Gehen geschickt). Damit wird es auch g’weidigs: es bekommt Fähigkeit und Lust zum Beweiden sogar sehr schwieriger Stellen. Mit einer Geschicklichkeit im Turnen, welche Bewunderung verdient, 40 rä̆blen oder răglen die Grindelwaldnerkühe alten Schlags gleich den Hasler- 371 und Wallisserkühlein über rutschendes Trümmergeschiebe, über Schëpf, Blatti und Hĭ̦re̥ni, über Felsen und Vorsprünge. So freilich nur, wenn sie bereits einige Stunden nach der Geburt fest und entschieden sich auf die Beine zu stellen versucht haben: si ch ergĭ̦fe̥rred hein, z’wäg grăgled oder ụụfg’rä̆bled sịịn und bei dieser Gewöhnung ein sicheres Auftreten behalten werden. Unter beständigem Schutz aufgewachsene Tiere, die etwa anderwärts als «Summerchïeh», «Heimchïeh», «Voorchïeh» einen oder mehrere Sommer lang im Talstall oder auf Heimweide behalten worden waren, taugen für schwierigere Grindelwaldnerweide nicht. Sie sind furchtsam im Steigen; ja sie zittern bei kleinen Gefahren und kommen endlich ins Überschlagen — e̥s uberschlaad sĭ̦ — was ihnen einen fast sichern Tod bringt. Gewohnte Steigerinnen dagegen verlieren auch in der äußersten Not den Kopf nicht. Im Augenblick, wo eine gewahrt, daß sie an regennasser Felswand, wie von unsichtbarer Macht «geschoben», ahi schụụfled: da verspĕrzd, versperrd das wackere Tier aus Leibeskräften mit den Hinterbeinen, Es vermag damit der Schwerkraft ein für längere Zeit hinreichendes Gegengewicht zu bieten. Dabei dreht es, so oft und so weit die gefährliche Lage ihm gestattet, den Kopf nach oben. Wie sehnlich g’sehd’s uehi, ob nicht bald der Retter komme! Und er kommt! Mittelst Seil und Sparren ist schon manch ein Tier dem Rachen des Todes entrissen worden.
Der Älper atmet also doch jeden Abend erleichtert auf, wenn seine Chïehbueben, Zuehitrịịbbueben, Zuehitrịịber, Trịịbbueben ihm jedes seiner zwanzig bis dreißig oder mehr Stücke heil und gesund zur Hütte gebracht haben. In Rinnen und Kehlen, auf Sätteln und Gräten haben sie stundenweit, oft in strömendem Regen und unter heulendem Sturm, gegen den Herbst auch schon bei der so plötzlich einbrechenden Nacht, Tier um Tier aufgesucht und von noch eifrigem Weiden wiederholt weggetrieben. Nun sammeln sich die einzelnen zu Grüppchen und Trüppchen, diese zu Gruppen und Truppen von rechts und links, wie die Quellen und Bächlein zum Bach, zum Fluß und Strom sich sammeln. Die immer gleichen, eben zwei Hufe breit in das Grün eingetretenen Pfade, Trejjen, laufen allmählich in einen «Weg» zusammen, der nach berühmten Muster dennoch «kein Weg» ist. Denn der Beschauer des Zuges, der da der Hütte sich naht, kann trotz allem Beiseitestehen nie sicher sein, daß nicht eins der Tiere unversehens ihn rampi (streife). 41 Das hindert ihn indes nicht am Überschauen des langen und breiten Heerzugs, der beinahe zum Vergleich mit einem 372 langsam und müde daherwallenden Pilgerzug reizen möchte, obwohl er bloß eine Trịịbe̥ta geheißen wird. So abgemessen schreitet das daher von strenger Tagesarbeit, um deren Früchte abzuliefern und alsdann wieder an das nämliche Werk der Nacht zu gehen.
Vor der Türe steht der Älpler und lockt: Choom! Choom! Chalbschi, Chalbschi, chu̦u̦m! 42 Zueha, Mu̦ni! Hai! Solch lockendes chëtten und zëëken ist den Rindern, die überhaupt gern menschliche Stimmen hören, die denkbar lieblichste Musik. Vom Platze weg verkauftes Vieh, das die Stimme seines ehemaligen Meisters hört, fängt an zu laufen, durchbricht Zäune und Hecken und eilt wie besessen dem Klange nach, der in ihm eine geradezu krankhafte Lẹngizịịt («Längiziti», Heimweh, Sehnsucht) erweckt hat. Der Name des Tieres, der heute überhaupt auf der Alp fast nur noch zur Kenntlichmachung, selten mehr zum Anrufe dient, spielt dabei keine Rolle. Daß z. B. ein Stier Sä̆mi (Samuel) oder Chrŭ̦sti (Christian) heiße, weiß dieser kaum; er hört auf den Namen «Mŭ̦ni».
Wie elektrisiert durch den Ruf des Hirten, eilt die Herde nun raaß der Hütte zu. Voran schreitet, wie billig, der Chï̦̆nig (König) oder die Fuehrgeis (vgl. S. 211). Die Kuh dieses Namens hat in dem so oft und viel geschilderten Wettkampf 43 sich die Meisterschaft errungen und wahrt sich nun die Ehre, mit der größten Glocke am Hals auf dem Weg zur Hütte und von der Hütte die erste zu sein, mit viel Würde und nicht wenig Eifersucht. Ein kurzer zorniger Seitenblick genügt aber, um alle andern respektierlich in den gebührenden Schranken zu halten. Achtzehn Jahre lang hat die ihr im Rang folgende jeweils vor Alpaufzug im stächchen (Hörnerwettkampf) alle andern ’bbu̦tzd oder mëgen und darf wohl, wenn ihre Stunde gekommen ist, in allen Ehren als die Zweite sterben. Denn noch keine andere als die junge jetzige Königin hat sie hindertsi ch gspoised (rückwärts gedrängt und zum Weichen gebracht). So mannhaft hat auch einer, der nach lange ertragener Unbill duḁ ó ch erwached ist und sich endlich zur Wehre setzte, duḁ d’Hŏren o ch fï̦rha g’nu̦u̦n oder fï̦̆rha g’laan.
Von ferne schon kennt der Älpler auch seine und der Lägergenossen übrige Tiere mit ihren Namen. An ihren Köpfen unterscheidet sein scharfer Blick den Stärr, das Stärri oder die Stärra mit dem sternförmigen oder auch dreieckigen weißen Fleck auf der Stirn vom Nä̆gel oder Nä̆ge̥lli mit ebensolchem Fleck von Nelkenform. Beim 373 Spiegel deckt dieser weiße Fleck fast die ganze Stirn. Hüllt dieser einen oder mehrere kleine Flecken von der Grundfarbe des Tieres fast oder ganz ein, so heißt die Trägerin einer solchen Auszeichnung das Hï̦lli. Einen hï̦llen oder hï̦llochta machen bedeutet von daher: ihm (z. B. bei der Gelegenheit der Chirsmues-Bereitung) das Gesicht beschmieren. Ein gerader, schmaler weißer Strich zwischen Stirn und Maul trägt dem Tier den Namen Blăsi oder Blä̆ß, ein breiter solcher die Bezeichnung Hälmi ein. Steht der Strich schief, so soll solchen Schläck die danach benannte Kuh abg’läcked haan. Ganz weißes Haupt zu roter oder schwarzer Grundfarbe des Leibes trug ursprünglich jeder Plësch (s̆s̆). Sind dabei die Augen mit Ringen der roten oder schwarzen Grundfarbe eingefaßt, so deutet der Sennenwitz dies als de n Spiegel oder den Brĭ̦llen des Gelehrten, wenn nicht gar als den Zwicker des Elegant und benennt die Kuh demgemäß. Weißen Kopf zu brauner Grundfarbe trägt der Pfaff (Mönch), rußfarbigen Kopf der Mŭ̦sel, das Mŭ̦si, das Mŭ̦se̥lli. Ein weißes Maul veranlaßt den Namen Schnụụz; die Trägerin wird sich ihn erworben haben sollen wie das Kätzchen oder das Bübchen, das über die Milch geraten ist. Weißgraue Farbe dagegen hebt bei dem Mundi die Umrisse des Maules ebenso hervor wie am Schaf, welches der Mï̦ndel heißt. 44 Deutlich heben sich ebenfalls schon aus der Ferne ab das Silber und die ( dụụbwịịß) Tụụba mit hübschen roten Halsflecken und neben ihr die Schwarz, der Chŏli, der Brändel, der ebenfalls schwärzliche Waldi. Hinter ihr gehen einher das bärenbraune Bärgi, der bräunliche Brị̈ị̈ndel, das kastanienbraune Chŏsti, der rötliche Fŭ̦x, das fahlrote Roosi, die kirschrote Chi̦rsa, der Truebel und der Falk mit der fahlen — fălwen — Abtönung irgend eines Graubraun. Hübsch gesprenkelt wie der Tĭ̦ger ist auch das Blïemmi; rotscheckicht schimmert die Haut des Pfaau, des Tschägg, irgendwie bunt, doch immer vorwiegend weiß, die des Vŏgel, des Vŏgelli. Der Zi̦ndel wird das nd seines Namens als vermeintliche Herstellung der richtigen Lautgruppe von irgend einem unterbernischen «Zingel» her haben, der von Kreuz bis zur Schwanzrïeben (zum Schwanzansatz) gleichsam als Gürtel ( cingulum) einen breiten weißen Streifen trägt. Eine ähliche Rückenzeichnung zwischen Rückenmitte und Schwanz, die den ersten Namengeber an die schwache Rundung einer Radfelge erinnert haben mag, leitet am Fä̆lgi vom Zindel zum Rịịffi (s. d.) über. Ebenso 374 gemahnt das Aussehen weißer Flecke an der Grĭ̦ffen, am Grĭ̦ffi an die Stellen der Weichengegend, wo der Metzger oder Händler seine prüfenden Griffe tut. Hübscher ist die rịịffochi Zeichnung des Rịịffi oder Rịịffe̥lli, der Rịịffen: auf vorherrschendem reifähnlichem Weiß münden beim Schwarzrịịffi schwarze, beim Rootrịịffi rote Seitenbänder ziemlich breit verlaufend und oben hübsch gezackelt in den ziemlich breiten weißen Rückenstreifen aus, der vom Kopf bis zum Schwanze reicht. Auf der vorherrschenden roten Grundfarbe dagegen 45 steigen beim Räämmi, als wäre es künstlich berußt oder b’räämd, seine schwarze, senkrechte Streifen nach dem Rücken. G’räämet, wie diese Räämme̥ni es sind, ist die Räämmirịịffa; nur ist bei dieser der Rückenstreif weiß. Weiße Füße endlich hat das Fueßi. — Wo die Farbenspiele zur Unterscheidung nicht mehr langen, hilft der Bau der Hörner aus. Abgesehen von den Entstellungen des Mutz, des Stumpen oder Stumpi und des Einhŏren ( S. 336) kennzeichnen sich durch gedrehte Gabelhörner der Hirz, durch ein gabelförmiges Hörnerpaar mit nach vorn gegeneinander gerichteten Spitzen der Gä̆bel, durch krikelartig rückwärts gebogene Hörner das Haaggi. Auch die Haare charakterisieren mitunter: der Strụụß trägt krause, der Haari lange Haare mit starkem krausem Stirnfilz. Der Meiel ist eine stattliche, das Booni eine niedliche kleine Kuh. Der Bock gibt wenig Milch. 46 Der Fu̦x kann auch in seiner Merkigi an Reineke gemahnen. Eine junge muntere Kuh ist d’s Lusti oder d’s Lustig. Ähnliche gleichsam idealisierende Namen sind Jumpfer, Freidi, Fä̆der, Meisa. Mit Überlegung heißt die großköpfige Kuh der Tŏni (Anton), während mechanisierte Benennungen wie Mädi, Lịịsa, Zịịlli, Zịịsa, Lụụgga (aus Magdalena, Elisabeth, Lucia, Susanna, Julia) mehr und mehr an die gleichwertigen Benennungen des Unterlands erinnern und schließlich an den Klappertopf eines schweizerischen Herdenbuches stoßen.
Noch einmal lassen wir’s Morgen werden und stellen uns an den Heerweg zur Tăgweid. Der umgekehrte Anblick von gestern Abend: Stoßweise von Hütte zu Hütte weg entläßt das Herz des Alplägers sein Blut in langer dicker Stammader, die sich immer mehr verästelt und verzweigt, bis auch die äußersten Enden des Alpleibes mit Leben 375 erfüllt sind. Und mit was für Seelenleben! 47 Der erste Eindruck ist sehr häufig der eines gewissen Bummelsinnes, einer großen Launenhaftigkeit — sie hein ḁ lsó Lụụni —, ja einer Art Ideenflucht. Wie die Alpziege in äußerst drolliger Zerstreutheit mitten aus einem frisch eröffneten eifrigen Hörnerkampf durch irgend einen Anblick, ja durch einen plötzlichen Einfall (vgl. S. 358) abgelenkt werden kann, so sehen wir mitunter eine Kuh sich gehaben. Soeben hat uns diese da voll unbeschreiblichen Mißtrauens und mit allen Zeichen des Unbehagens von der Seite gemustert — ĭ̦s wïest aa ng’sehn —; plötzlich wie umgewandelt pflückt sie sich das Maul voll Gras; doch auch dieses Büschel läßt sie, wie wenn sie über eins der großen Welträtsel nachsänne — sie sinned’ mu̦ naa ch — unzermalmt wieder fallen. Wiegt bei dieser Schönen bald die Sprödigkeit, bald die Launenhaftigkeit vor, so beherrscht auch eine fast krankhafte Überempfindlichkeit ihr gesamtes Tun und Lassen. Sie ist e̥s e̥ mpfintli chß und zugleich e̥s gsị̈ị̈nigs 376 Chuehli. 48 Gegen einen noch so feinfühligen fremden Melker schlägt es beim ersten Antasten aus: e̥s rïehrd und ist imstande, durchzubrennen: z’e ntgaan, wobei es nötigenfalls durch Hecken und Zäune bricht. Es ist e̥n grị̈ị̈sliha Ungast!
Dabei kann es einem oft vorkommen, als ob im gesamten Rindergeschlecht trotz seiner nun vieltausendjährigen Zähmung da und dort noch etwas von der wilden Büffelnatur der amerikanischen Urverwandten wieder aufflackerte. Wie der zahmste — zä̆mst — Löwe im Käfig während eines einzigen Augenblicks der Nervenentspannung seinen eben noch gehätschelten Bändiger überfallen und zerfleischen kann, so versetzt wohl ein plötzlich rasend gewordenes Rind dem ihm freundlich krabbelnden Eigner den Todesstoß. Einem solchen ist im Herbst 1906 Peter Feuz in Burglauenen nach acht Tagen erlegen. Wo aber nicht plötzliche Wut, kann ein ganz rätselhaft feindseliges Mißtrauen, das sich bis zur Verweigerung der Salzannahme steigert, den alten Adam der einstigen Wildheit offenbaren.
Das anmutige Gegenteil zu solchem gsịịnig und e mpfintli ch ist ghị̈ị̈sig und g’hand. 49 Tiere dieser Art lieben das Haus und die Hütte mit all dem Schutz und der Zuflucht, die sie überhaupt gern in Menschennähe suchen. Gutartige Herdentiere halten mit merkwürdiger Anhänglichkeit zum Hirten der Alp. Ungetrieben, ganz von selber grächche n si si ch vor d’Hï̦tta ze’m mälhen, geleitet von einem merkwürdig sichern Zeitgefühl und einer noch erstaunlichern Orientierungsgabe. Auf die Halbstunde genau wissen sie, we nn d’Zịịt naha ist ze’m mälhen und stellen sich vor der rächten Hütte ein, nachdem sie 377 auf neu bezogenem Läger etwa zweimal nach der im vorigen Sommer ihnen zugewiesenen Hütte irre gegangen. Zum Melken aber, oder zum Wetterschutz in den wenn noch so kurze Zeit benutzten Alpstall gewiesen, stellen freundlich behandelte Tiere sich sofort von selbst an ihren Ort. Ein kurzes Zuehi, Lĭ̦sa! zuehi, Freïda! schneidet jedes Zögern ab. Im stundenweiten Weiderevier aber kennen sie e̥s je gli chß Glu̦nte̥lli (jedes Pfützchen), e n jelhi Stụụda, alle bessern Plätze. Ja, gleich dem Pferd finden sie auch in dichtesten Nebel — dick wie n en Härdepfelstock (vgl. S. 100) — und in stockfinsterer Nacht den stundenweiten Weg zur Hütte. Sennen benutzen bei eigener Hilflosigkeit in solcher Lage diesen Orientierungssinn, indem sie sich ohne Umstände einer solchen heimkehrenden Kuh a’ n Sti̦i̦l heihen. Eine auf dem Interlakner-Markt unverkauft gebliebene und einem Augenblick sich selber überlassene Kuh tritt ohne Geleit wohlgemut den vier bis fünfstündigen Rückweg an, e̥m inhi nach dem Stall, der nicht mehr ihr Heim hatte sein sollen. Und jede, die solchen ungewohnten Marktweg gehen soll, wird es inne, daß da eppḁs nid in der Or dnug ist. Da kann denn gerade die «gehäusigste» Kuh zur «ungehantesten» werden. Wie sollten also die Tiere nicht ganz besonders wohl die Heubühne über ihnen: den Tĭ̦lisoller kennen! Sie horchen 378 mäuschenstill auf das Hinunterschaffen des Futters durch das Fueterlooch in die Fueterlïcka hinunter und von dort in die Baarni. Sind aber in ihrer Nähe Pferde einquartiert, so unterscheiden sie schon am Tritt ihres Wärters, ob seine Arbeit ihnen selber gilt, oder ob er de n Rossen ahastooßd. Nicht jede freilich weiß sich bei anwandelnder Lust selber zu helfen wie jene Itramerkuh. Der neue Eigner derselben redete den vormaligen an: Sääg, duu hest mier denn da en heite̥rri Chueh verchoïfd! Die geid ja, wen n es sa aa nchunnd, z’er Schịịrstï̦ï̦r anhi, fĕhrd mid ei’m Hŏre n zwi̦sse n Tï̦ï̦r u nd Pịịstaal uehi, fï̦r de n Rĭ̦gel uehi z’machen, u nd sie probierd un d näppred, bis sĭ̦ d’s Tï̦̆ri ụụf’braachd’s heed und a n d’s Heww chunnd! Auch der Stallnăgel ( S. 424) macht ihr keine Mühe, wenn sie inhi will. Sie rĭ̦fled draan, bis e̥r ụụsa ghịjd; oder sie klaubt ihn einfach aus dem schief waagrecht in den Türpfosten gebohrten Loch heraus, indem sie die ober Bildne̥rra (den Zahnfleischwulst im Oberkiefer) und d’Schụụfli (Vorderzähne) des Unterkiefers fest zusammenkneift. Das setzt allerdings bei ihr ein Alter voraus, in welchem sie längst g’lï̦cked’s (die Milchzähne verloren), g’stoßen (neue Zähne bekommen) und damit d’Zend g’schangschierd heed. — Es ist interessant zu beobachten, wie die Verbindung von Freileben und von Anhänglichkeit an Menschen solche Grade von Intelligenz erzielt. Fast ist es, als ob die Stufen dazu sich auch im Benehmen gegen den Fremden anzeigten. Dies Tier stutzt auf den Lockruf; äs tru̦wwed ’mu̦ nid rächt z’choon, schaut mißtrauisch her und nähert sich endlich, um die dargestreckte Hand auf etwas Salziges zu untersuchen. Dies andere schaut mit beweglichem Auge klug um sich, 50 nimmd e n Chehr (biegt vom geraden Wege ab) und will um jeden Preis gan achten, was da eppa los sịịg. Ein zuetäppisches (d. i. zutunliches) junges Tier, dabei en grị̈ị̈se̥llihi Gwundernăsa, schaut volls Gwunder auf jede Bewegung, welche diese Hände und Arme da machen. Ist endlich die Neugierde gesättigt, so werden Stirn und Hals angelegentlich ze’m chrăuen dar g’hä̆ben, und mit sanfter Gewalt muß das Tier endlich seine eigenen Wege gewiesen werden: gang jetz ei ns! Ja, ein viertes überschreitet ebenso mühsam wie gleitig und tĭ̦fig einen schmalen Grat, um von des Fremden Tierfreundlichkeit auch sein Teilti abzubekommen.
Eine ganze Herde schlimmi (intelligenter 51 ) Weidetiere würde durch, ihre Schlimmi den Alpwirt nur in Verlegenheit setzen. Seinen 379 Vorteil findet er in einer mit ordentlicher Durchschnittsintelligenz verbundenen G’hịịsigi vorhin beschriebener Art, und der schon ( S. 370) erwähnten G’weidigi. Er sucht Tiere, die mit genauer Ortskenntnis Mut und Geschick zum Klettern verbinden und dabei mit ihren kräftig abreißenden Zähnen und Zungen die oft knappe Weide auch gründlich ansnutzen: ’s e̥s teïff nähn. Das tun die an Stall und Prachtweiden gewöhnten schwerrassigen Tiere und ihre nächsten Abkömmlinge nicht; sie benehmen sich auf den schwierigen Grindelwaldnergehängen unbeholfen, schlăbiocht. Sie suchen nicht die ganze Tăgweid ab, sie gaan ni̦d naahi und gaan ni̦d fï̦̆rhi (welche letzteres man auch von Menschen sagt, die ohne Not nur immer daheim sitzen). Der ältere Älpler gibt daher noch heute dem Grindelwaldner-, Hasler- und braunen Schwyzer-Vieh unbedingt den Vorzug. Die neuere Richtung, welche dem durch gute Verkehrswege erleichterten Viehhandel vermehrte Aufmerksamkeit zuwendet und sich durch die an den «Anerkennungen» offiziell vertretene Zuchtrichtung gefördert sieht, führt nun auch mehr und mehr Sĭ̦be ntălerchïeh in Grindelwald ein. Die heutigen Verkaufspreise (vgl. S. 342) überwiegen an Interesse sogar bei den hohen Milchpreisen die höhern Milcherträge. Auch letztere werden allerdings gleichzeitig den schwerrassigen Tieren zugeschrieben, indem man sagt: voṇ grëës’re n Tiere n mues der grëëser Schëpf 51a Milch haarchoon. Dies gilt jedoch höchstens von den günstigsten Alpzeiten und von den Höhepunkten der Laktationsperiode. Der alte Älpler legt auf die andere Waagschale den Vorteil der kleinrassigen Tiere, daß sie bis nahe an die Wurfzeit heran gẹng z’glịịchlihem — oder d’Stääti furt gẹng ĭ̦hru Trëpfle̥ni — Milch gään. Sie bleiben denn auch stellenweise die Grundlage einheimischer Zucht.
Zu diesen kleinen Bärgchïehlinen gehörte ehedem neben den Walliser- und den Haslitieren auch das spezifische Grindelwaldnervieh. Dasselbe bildete noch vor sechzig Jahren einen wohl charakterisierten eigenen Schlag. Das Grindelwaldnerchuehli zeichnete sich aus durch ausnehmend schöne runde Gestalt mit gegeneinander stehenden Gabelhörnchen, und durch meist gutartiges Gehaben. 52 Das Lauterbrunnervieh war ihm ähnlich, stand ihm jedoch in der Schätzung etwas nach. 53 Die Farbe war von jeher mannigfach, am häufigsten schwarz, oder schwarz und weiß gefleckt. Am liebsten sah man sie gg’räämmeti oder räämmochti in vorn ( S. 374) beschriebener Farbengruppierung. Als sehr milchergiebige und bis ins dreizehnte Jahr leistungsfähige, nur etwas stächchigi (zum Hörnerkampf aufgelegte) Tiere waren solche 380 Räämme̥ni auf allen Oberländermärkten sehr gesucht. Bei der neuern Zuchtrichtung sieht sich nun das Räämmi von den Prämiierungen ausgeschlossen: ụụsg’schoïbed und aus dem Grindelwaldnerviehstand beinahe ausgemerzt. Ja «die Räämma» gilt heute als Schimpfwort, doch immer noch mit dem Gefühlswert der kosenden Schelte. Grindelwald ist innert des letzten Halbjahrhunderts allmählich und nun so entschieden in das Fleckviehgebiet übergegangen, daß selbst mittelmäßige Schüler hierin neuste Schulbücher korrigieren können. Das tat denn auch ein halbwüchsiger, indem er in einem Examenaufsatz das Thema über die Viehzucht Grindelwalds kurz und gut in dem gelassen hingeworfenen großen Wort erledigte: «Die Viehzucht ist tschä̆ggocht.» Mit Tschä̆gg nämlich, sei es Root- oder Schwarztschä̆gg, bezeichnet man alles Fleckvieh. Dabei ist falbroot oder rootfalw die einzig prämiierte Grundfarbe. Gleichwohl herrscht der Falbtschägg im jetzigen Viebestand vor. Häälfalw beliebt nicht, weil die Farbe schon in der zweiten Generation in häßliches Weiß umschlägt. 54 Die vielfache Kreuzung mit Tieren aus Oberemmental, Frutigen, Unterwalden, Hasli, Wallis in Konkurrenz mit solchen aus dem Simmental schafft auch sonst viel unpreiswürdige Exemplare; z. B. hier eins, wa e n rächta Stiergrind heed, dort en hohrïebi Chueh (mit unschön erhöhtem Schweifansatz, welcher die Rïeba genannt wird).
Doch auch ein solches Tier kann dem kleinen Mann, der nicht wie ein Unterberner zwei Ställe voll prämiierter Prachtsexemplare dem Beschauer zu präsentieren hat, ein vertrautes, zugetanes und gehätscheltes Wesen, eben ein Tschĕmi 55 sein. Bescheiden erklärt etwa eine kleinbäuerliche Familie, sie heigi nummen es paar Tschĕme̥ni im Stall oder auf der Alp. Eine andere gar hed gester d’s lĕst (letzte) Tschĕmi Veh verchoifd. 56 Man ersieht aus dem letzten Satz, wie Tschĕmi das Individuum, Veh (als Kollektiv) die Gruppe oder Schar bezeichnet, 57 und zwar speziell Rindvieh von so und so viel Hoi pten (vgl. «Rindshaupt» im Oberwallis), Der Grindelwaldner besitzt also 1. Veh, 2. Trïecht und 3. Fähdle̥ni. Bescheiden spricht er von seinem Vehli oder Gvï̦chtli, wie dem Gimmelwaldner «der Gwäärb» auf gleicher Linie der Schätzung steht. Springt aber aus letzterm Ausdruck das rechnerische Moment noch so durchsichtig wie ursprünglich auch aus «Veh» 58 in die Augen, so der «Nutzen» aus dem veraltenden, 381 mehr und mehr bloß verächtlich gebrauchten Noos und Nëëßli. 59 Ein unüberlegt Handelnder springd dri̦i̦ n we n es Noos in e n Chrĭ̦shụụfen; er ist eben selber e̥s rächts Noos! es grị̈ị̈sli chß Noos! Der Grindelwaldner teilt also «Noos» aus, wie der Deutsche «Rindvieh», der Unterberner «Chueh». Mit seinem Chuehli aber lebt er wie der Araber mit seinem Pferd.
1
v. Tav. «Jä gäll so geit’s» 30.
2
JG. Böhneler 203.
3
C 3; D 1.
4
C 3.
5
F 4.
6
Kyburtz A. 15; Frommans Mundarten 4, 19.
7
Ch. 1674.
8
Gw. Rs. 1.
9
Kyburtz A 15.
10
Vgl. Münger (Heimatschutz I) 11 über das Treichelhalsband im historischen Museum Bern.
11
Alpina 3, 212.
12
Lf. 271.
13
Daß auch andere Tiere von großer seelischer Veranlagung wirklich weinen, wie z. B. das gejagte Reh, das von langjährigen Kameraden getrennte alte Pferd, ist Tierfreunden wohl bekannt.
14
Man unterscheide also dies
brielen = unterbern. brüelen vom grindelwaldnischen
brillen und dies von schriftdeutschem «brüllen».
15
1, 72. 104.
16
Rebm. 14.
17
Ebd. 489.
18
So schon
Ch. 1678 ⅓.
19
Cronegg 1867.
20
G 1.
21
NW. 1905, 143.
22
Daher die humoristisch zweideutige Rede des Emmenthalers: Es git hüt aber (wieder) nüüt weder Chifel, d. i. 1. Kiefelerbsen (
mange-tout) und 2. Gekeife, langweilig anhaltendes Schelten.
23
JG. Ztgst. 2, 77.
24
Wyß 457;
Tschudi 508 f.;
Alpina 1, 140; Sonnt.-Bl. d. Schwz.-Bauer 1905, Nr. 15; Kollers Kühe im Sturm.
25
noch eins, noch ein Mal.
26
Alpina 1, 139;
Grube 112.
27
Wie Vater Bleuer im Moos; vgl.
Tschudi 507 bis 510.
28
Man erwäge das ganz andere Verhältnis zwischen Klein- und Großhirn als beim Menschen. Und doch kann das Großhirn selbst beim
Homo sapiens nur nach anhaltendster Selbstzucht zu vernünftigem Ansichhalten trainiert werden.
29
B 2.
30
Rohrd. 8 (1828).
31
Prof. Türler in Blätter 1, 133-138; Rudolf Kaufmann auf der Flueh zu Itramen.
32
Tschudi 390.
33
Chapeau wieder (vgl. Guscherra) in depravierender Entlehnung samt tautologischer Auffrischung.
34
Wyß 566.
35
Vgl.
Gusset 84 f.;
Grube A. 113;
Tschudi 511 f.
36
GlM. 96.
37
Ochse,
ochso war in alter Sprache gerade die eigentliche Bezeichnung des Zuchtstiers. Vgl.
Kluge 274.
38
Kib.-Urb, 2
a, 7;
Reg. 76.
39
So sagen auch die Walser im Prättigau; vgl.
S. 339.
40
ÄFG. 46;
Kasth. 22, 213;
Fankh. 58.
41
Das allerdings seltene Wort steht natürlich neben
rampe und
ramper für sich da.
42
In die Nähe das gewöhnliche «chumm», in die Ferne aber mit dem weitgetragenen offenen
ô.
43
Vgl. besonders Jegerlehner:
Eivisch 101-104.
44
Das dem Bernischen sonst fremd gewordene Stammwort «Mund» ist noch erhalten in Weiterbildungen wie den hiergenannten, ferner im «Mündschi» («
osculum», Kuß), in «Mundharpfen» u. dgl.
45
Denn im Fleckviehgebiet, wozu ja nun Grindelwald mitgehört (vgl.
S. 380), ist die Grundfarbe immer entweder rot oder schwarz. Weiße Kühe sind daher als entartete anzusehen. Dieser Umstand, verbunden mit der Abweisung der wärmenden Sonnenstrahlen durch die weiße Haut, erklärt die besondere Empfindlichkeit solcher Tiere.
46
Gar keine braucht die so geheißene Kuh nicht zu geben, da auch die angeregten Milchdrüsen von Böcken (wie anderer männlicher Tiere) Milch abzusondern imstande sind. (
Zürn 14 f.)
47
Vgl.
Tschudi 499-515; Anderegg im
GlM. 136 ff.; Studer in
Naturf. 1882, I VII
48
Beide Ausdrücke begegnen sich im Begriff der Hyperästhesie: der Überempfindlichkeit. Wie sich gr.
aisthanomai (ich empfinde) auf das Sehen spezialisiert hat, so geht das zu «sehen» (
sächwan) gehörige
G’sị̈ị̈n (mhd. das
sûne, süne, gesüne,
WB. 2, 2, 281) f. u. got. die
siuns (Streitberg urg. Gr. 132, 146) den umgekehrten Weg. Literarisch zwar verbleibt es im Begriffskreis des Gesichts, in dessen Doppelsinn von Sehsinn und Antlitz, und so kennen wir Berner einen
dem Gsị̈ị̈n naa so halb und halb:
I b’chennen nen, aber i chan en nid hingäänn (nicht identifizieren). Wenn aber Einer, der z. B. über die Brille hinüber oder sonst «von oben herab» Andere ansieht und (im Einklang damit) in großtuerischen Extravaganzen
ubersị̈ị̈nig tued oder
ist, so gehört dazu erfahrungsgemäß gerne, daß er auch im gesamten gröbern und feinern Empfindungsleben immer ewas voraushaben,
eppas sundrigs sii wiil und haa wiil und sich in reizbarer Überempfindlichleit von der «Menge», vom «Pofel» u. dgl. fernhält. Man denke an Psychopathien wie die unausstehliche Verquickung von Hysterie und Hypochondrie, und man hat unser
gsiinig auf dem Multiplikator.
49
Ahd.
gahenti (
Graff 4, 971) i. S. v. zugehörig und wohl auch dem zu «g’channtsam» (
Lf. 268) umgedeuteten Attribut eines «frommen» Rosses verwandt. Zu «Hand» stellt es sich etwa so, wie engl.
handsome (artig, nett),
handy (geschickt) und «behende», wohl auch das zeitlich gewendete altgrindelwaldnische
z’hand (an diesem noch durch den Nachmittag getrennten Abend).
50
Grube.
51
Altdeutsches
slimb bedeutet bloß schief, schräge, verkehrt; erst neueres «schlimm» geht auf moralische Verkehrtheit, welche aber die Mundart in gutem Sinne umwertet, als Entgelt für Entwertung des «einfältig» und «albern» (ahd.
âlawâri herzensgut).
51a
Vgl. «e Sticker»
S. 267.
52
Alpina (1806) 1, 118;
ÄFG. XXX.
53
Ebd.
54
Vgl. über Haarfarbe überhaupt: Schiller-Tietz im Schwz.-Bauer 1907, 10.
55
Aus altem
zăm (zahm) weitergeleitet i. S. v. wohlbekannt, vertraut. Der Anlaut zischt wie in Tschaggen, Tschinggen u. dgl. (
S. 273).
56
GlM. 156.
57
Die Zusammenstellung erinnert an ähnliche, zum Studium der Hieroglyphen sehr nützlich angewöhnte Sprechweisen wie:
es Aallegelli Gwand (eine Kleidung), ein Laib Brot u. dgl.
58
Vgl.
Lf. 246.
59
Vgl. mhd.
nôß, vîhenôß, nôßich zu (ge-)nießen, mitgenießen. Das spätere Mhd. verstand unter
nôß, auch spezieller
smale-nôz genannt, das Schaf.