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hne Alpen, Alpengebäude, Alpenburg, Alpenwall, Alpenkreis, Alpenbogen, Alpenfirn, Alpenglühen eine Schweiz — ohne Alp und Alpfahrt, Alphütte und Alpläger, Alpzeug und Alpnutzen ein Grindelwald — das wäre ein Emmentaler Bauernhaus ohne stolze Front und ohne stattliches Scheuerwerk. Die Gleichheit und der Unterschied der Parallele stechen schon aus der Wortform ins Auge. In erhabener Schönheit stehen die Alpen da, einen Grundstock der Volkswirtschaft bildet die Alp.
«Alle von der Phantasie erschaffene Größe muß im Vergleich mit den Alpen klein erscheinen», sagt der feine Bonstetten. 1 Was Wunder drum, wenn von ihrem Begriff die Idee des räumlich und ästhetisch Hohen unabtrennbar erscheint! 2 Die Einheit beider hat sich im Sprachgefühl festgeprägt, und die Worterklärung suchte ihm selbst in Gleichsetzung von «Alp» und «Alpen» behülflich zu sein. 3 Wenn der Lauterbrunner seine herrliche Wẹngrenalp kurzweg d’Alp nennt, so scheint dies auch zu trefflicher Bestätigung solchen Vorgehens zu dienen (vgl. S. 8). Schaut dann aber der Besucher näher um sich: über die schwarzen Wälder und dunkelgrünen Triften, auf die zerstreuten Hütten und die zu niedlichem 302 Dörfchen vereinten Speicher; öffnet er das Ohr dem Geläut der Herdenglocken, das zur wonnig-elegischen Abendbeleuchtung der nahen kleinen und dann wieder zum frühen Morgenglanz der fernen großen Scheidegg so eigentümlich ergreifend stimmt — dann findet er sich wohl gern auch mit der sehr realistischen, aber zugleich idyllischen Vorstellung ab, die in Wahrheit der «Alp» zugrunde liegt. Alp ist nährende Weidetrift. 4 Sind die «Bergeshäupter» der geographisch so benannten Hochalpen das Revier der fremden Touristen und der einheimischen Jäger, so ist die «Hochlandsbrust» im eminent wirtschaftlichen Sinne das «so mild und treu nährende» Gebiet der oberländischen Mittelalpen, der unterländischen Voralpen, ja sogar der «Hochebene». Man denke nur an die herrlichen und zum Teil mustergültig bewirteten Alpi̦ von Schangnau, Trub, Eggiwil, Röthenbach, Langnau, Trachselwald, Sumiswald, von Wattenwil, Guggisberg, Rüschegg. Man denke an das «Alpgut» bei Grafenried, an das uralte Schiffer- und Fischerdorf «Alpnach», 5 an das «Almisgüetli» am Fuß des «Albis».
Aus dem Sinn der nährenden Weidetrift erklärt sich auch das Eintauchen unseres Wortes in den Fluß der Wortbildung. So entstanden vor allem die verschiedenen «Älpchen» in Form des «Alpetli» am Kandergletscher, der «Albula» oder des «Älbelnbergs», 6 der «Apsche̥len» zu Frutigen, welche ebenso auf Alpicella zurückgeht, wie Alpĭ̦glen auf Alpiculum (1146, 1150, 1220). 7 Ein solches «Alpiglen» gibt es denkwürdigerweise an jeder Nordseite der beiden Scheideggen als zweitunterste Staffel über einer untersten, welche beiderseits das Bĭ̦demläger heißt. Sache eindringender Forschung auf Grund glücklicher Quellenfunde wird es sein, diesen interessanten Sachverhalt aufzuhellen. 8 Eine lehrreiche Wortbildung ist auch Alpwääg neben Alptoor. Den erstern 303 Namen führt heute eine Vorsaß hinter Grindel. Dieselbe ist noch jetzt mit Durchgangsrecht für die Alpfahrt belastet. Schon 1372 erscheint ein «Jacobi am Alpweg». 9 — Auf der Alp haust der Älper (Älpler), welcher für sich selbst oder andere alped, Veh alped und sich freut, wenn ein günstiger Herbst ihm gestattet, gued ụụsz’alpen. Im Vorsommer fĕhrd (selten: fahrd) er z’Alp; und wer es ihm zur Sömmerung übergibt, tued Veh z’Alp oder ŭ̦f d’Alp. Während der Weidezeit stattet er ihm und seinem Wärter wenigstens einen Besuch ab: geid a n d’Alp. Dazu nimmt er wohl auch die Familie mit. Welch ein Jubel unter den Kleinen, wenn es unverhofft im Morgengrauen an ihr Schlafkämmerlein klopft: ụụf! mier wein a n d’Alp! Noch manchen Tag nachher heißt es zu den Schulgenossen: tẹihid, mier sịịn a n d’Alp gsịịn! 10
«Auf hoher Alp!» So unabwehrbar ist trotz dem vorhin Erörterten der Faktor der Höhe aus dem physikalischen Begriff der Alpen in den wirtschaftlichen der Alp hinübergeflossen, daß man sich auch letztere nicht mehr anders als «hoch», als heejji vorstellen kann. Und so kreuzt sich denn der Begriff der «Alp», wie die heimische Mundart Grindelwalds ihn faßt, doch immer wieder mit «Bärg» in demjenigen Sinn, womit der Grindelwaldner dem Fremden gegenüber sich deutlicher als mit «Alp» ausdrücken zu können glaubt. Was urchig einheimisch ein «Bärg» ist, lehrt S. 20/21. Da tritt der Begriff der Höhe 11 in ungeschwächter Kraft hervor.
Allerdings «tut» nun auch der Oberländer und mit ihm der Grindelwaldner gleich dem Unterberner Veh z’Bärg «oder» z’Alp. Allein immer ist, wo nicht die Lässigkeit des Sprachgebrauchs den Unterschied ganz verwischt hat, der letztere noch herauszufühlen. Der Milchkuh und der mit ihr weidenden Chuehgeis wird vorzugsweise die im Höhenbereich der Mittelalpen gelegene, grasreiche und herrlich «nährende» Alp, Chïeh-Alp angewiesen; das Trïecht (Schafe und Ziegen), sowie das Galtvieh dagegen mag in der seiner Entwicklung so förderlichen Luft des Bärgs sich beliebige «Höhen» auswählen. Im «Oberbärg» (der mittlern Sefinenalp) alped der Lauterbrunner. Im obren Bärg, d. h. heute: in der Umgebung des Gläcksteins, ehedem aber: im gesamten Wetterhornmassiv (vgl. S. 5), sömmert der Gasthauspächter weibliche Schafe und Ziegen als zutrauliche Hätscheltiere. Erwilded (d. i. scheu) weidet solches Trïecht unter dem Sultanat seiner Böcke im 304 Chalber- und Bohne̥rre n-Schafbärg, im Gletscher- und Zä̆senbärg. Solche Höhen betrat außer dem Hirten und Jäger vormals noch der Wildheuer, der na ch Bärghew geht. Auch die «Alpenrose» ist gut mundartlich der Bäärgroosen, noch älter die Bä̆r gbluest. Man denke dagegen besonders an die sieben Alpen Grindelwalds: Bachalp, meist Baach geheißen, Bueßálp, 1657 als «Buß» aufgeführt, Holzmatten, Grindel, Scheitegg ( S. 253), Wärgistaal, Itramen. Nach der Aufzählung des Landurbars 12 von 1657 heißen sie: «Scheidegg, Grindel, Holzmatten und Rothalden, Bach- und Roßalp, Buß, Itramen, Wärgistall.» Noch früher, nämlich 1406, 13 lauten die Bergschaftsnamen: «Bach, Grindel, Holzmatten, Scheidegg, Wergistal, Intramen, ze Gletscheralp.» Bußalp gehörte nämlich bis 1432 zu Habsburgs Besitzungen, und ging erst alsdann ans Kloster Interlaken über. 14 Hinwieder war die Gletscheralp ( S. 18) ein so weidereicher Bezirk, daß sie noch nicht als bloßer Appendix zu Scheidegg und Grindel zu gehören brauchte. Der wechselnde Stand beider Gletscher ( S. 53) konnte gegebenenfalls auch hier zu Besitz- oder Nutzungsstreitigkeiten führen, wie wir deren eine durch die Bergschaft Scheidegg in den Jahren 1850 bis 1880 gegen Gletscherfritzi, Gastwirt zum «Wetterhorn», geführt finden. — Wenn wir nun alle diese Alpen sich als Bärgschaften betiteln, ihr Bärgrächt nutzen, Bärg lĕgen sehen, so liegt hier Beteiligung an allgemein gültiger und alter Rechtssprache vor, etwa wie bei «Fuß» und «Klaue» ( S. 314) usw. Was echt grindelwaldnisch «Chïeh» ( S. 314) geheißen wird, ist dem entsprechend in urkundlicher Sprache ein «Kuhberg» oder ein «Kuhrecht» usw. Solche besaß z. B. Österreich auf dem «berg Buosalpa» (s. o.), 15 und auch hier wie anderwärts darf in der Alpfẹrt das Großvieh nach Haller «Alpen» «den Berg mit Freuden grüßen».
1
Berlepsch 14.
2
Schon Spätgriechen und Römer sehen wir seit 218 v. Chr. (vgl. von Stürlers Zusammenstellung
Font. 1, 15 ff.) «Alpen» und «Hochgebirge» gleichstellen.
3
Man dachte an keltisch
alb, alp, ailp (hoher Berg) und suchte damit lat.
albus (weiß) zu vereinigen. Vgl. Holders altkeltischen Sprachschatz.
4
Aus
al (
Graff 1, 342) bildete sich lat.
álere (nähren), got.
alan (aufwachsen), unser
alt und
Alter i. S. v. zurückgelegter Lebenszeit. Eine mit ihnen parallele Bildungsreihe stellt sich dar in:
Alw (vgl. «
Alwen und
Weidgäng» bei Salat); mitteldeutsch
alve («
uff in alvin» im Annolied; vgl. Stalders Dialektologie 129); tirolisch
alb (mit stimmhaftem zweilippigem
b:
Lusern 161);
Alb (
Cronegg von 1816, 1836, 1869);
Alp und
Alpp (ebd. 1808; vgl. grindelwaldnisches
Bielshalb mit unterbernischem «Bielshalm» [Axtstiel], «Schimmel» [Moderpilz] mit ahd.
scimbal und lusernischem
schimpl, und zu allem
schweiz. Id. 1, 193); bayrisch
Alm, Albm, Alpm (Schmeller s. v.); österreichisch
die Alpe (wie freilich auch der Schwabe Uhland dichtete: Grün wird die Alpe werden).
5
Alpenacho (um 900),
Alpenacha (1036) mit dem Füllesuffix
-ahi.
6
Rebm. 367.
7
Font. 1, 422; 2, 10.
8
Ein «Alpiglen» gibt es auch über dem Saustal, bei Därligen, bei Habkern usw., einen «Alpiglenberg» zu Sigriswil. Wenn wir mit
Wyß (646), Coolidge (Gw. 40 ff.) und der Eisenbahn-Orthographie «
Alpiglen» schreiben, so gründet sich dies auf das
alpigulum des urkundlichen Mittellatein. An sich hätte auch die Schreibform «Alpbiglen» (
Stud. P. 208, 229;
SAC. 40, 100;
Alpz. Mai 1906, 84) oder «Alp Biglen» (
Rebm. 273) in Vergleichung mit der «Biglenalp» oder der «Bigleren» (Reichenbach) eine gute Anlehnung an
vigilia (Wachtposten); man denkt dabei an die Hochwachten, Chutzen u. dgl. (
Lf. 5 u. ö.) des alten Emmentals und Oberlandes. Vgl. «Kapf»
S. 9.
9
Font. 9, 307.
10
Altes an = auf (wie gr
ana).
11
Kluge 36.
12
Ök. Q. 30, A 3.
13
Dokumentenbuch Interlaken IV, 490 nach
Reg. 84.
14
Vgl.
Habsb., Karte;
Reg. 90.
15
Font. 4, 388.
Alle bernische Alpwirtschaft bewegt sich, wie die beigedruckte Tabelle 1 veranschaulicht, in einer Höhe zwischen 750 und 2600 m/M.; die von Grindelwald zwischen rund 1500 m und dem angegebenen Maximun. Sie reicht also in den Gürtel hinauf, welcher in der Nordschweiz in 306 einer Höhe von 2500 bis 2600 m die Region des ewigen Schnees abtrennt von der Alpen- oder der baumlosen Region. Genauer sagen wir: von der «subnivalen Unterregion». 2 Dieser Name bedeutet den Gürtel, in welchem die Flecken niemals abschmelzenden Schnees mit den pioniermäßig vordringenden Stellen des Rasengrüns gleichsam in beständigem Kampfe liegen. Unterhalb dieses Striches legt sich um die günstiger gelegenen Berghänge bald einmal der Gürtel zusammenhängender Weiden. Tiefer unten breitet sich der Strauchgürtel, nach oben begrenzt durch Legföhren und Alpenerlen. Diese drei Unterregionen, welche zusammen die Alpenregion ausmachen, stoßen nach unten an die Nadelwaldregion. Unter dieser liegt die Laubwald- oder die Bergregion in einer Erhebung von 550 bis 1350 m. In dieselbe hinunter reicht die allgemein bernische, bei weiten aber nicht die grindelwaldnische Alpwirtschaft. Diese bricht meistenteils schon mitten in der nordalpinen Tannenregion nach unten ab und taucht bloß in dem vom Eiger stark beschatteten Wärgistal in die Buchen- (oder hier besser gesagt: Erlen-) Region hinunter.
Für Grindelwald liegt also ungefähr zwischen 1500 und 1800 m/M. das Bereich der Mittel- oder Kuhalpen: der Alp im wirtschaftlichen Sinne ( S. 302), des recht eigentlichen, ob auch noch so beschränkten Heims der echten Alpensöhne. Denn obwohl bereits das Leben in den alpenähnlich eingerichteten 307 Voralphütten und ihrem weiten Umschwung seine Reize hat ( S. 294-300): wie sehnlich doch erwartet der geborne Älpler den Tag der Alpfĕrt! Wann doch kann er endlich z’Alpfahren! Wann findet die vorbesichtigende und vorberatende Vorsteherschaft der Alpgemeinde es an der Zeit, die letztere zum g’meine n Tagwaan ( S. 323) einzuberufen, damit alle einstimmig oder doch die, welche dank der Höhe ihres Bsatzes und dem Maß ihrer Erfahrung es großes Wort hein, für alle verbindlich den großen Tag ansetzen! Wann darf es heißen: D’s Chrụụd ist gwăxe n’s! Übermorgen oder wohl schon moore n wei n mmer fahren! Und wie gespannt lauscht die Kuh auf die leisesten Anzeichen der Vorbereitung! Wenn nu̦mmḁn e n Seili g’weigged wird, old wenn ĭ̦hru drịị bi n enand’re n staan un d eppḁs z’säme n sä̆gen, da spannt die Erwartung alle Fasern des Tieres. Welche Enttäuschung dann, wenn es wie in dem vielenorts so traurigen Sommer 1906 selbst in der zur Alpfahrt höchsten Zeit heißt: D’s Chrụụd ist no ch schrecke̥lli dahinna! oder: no ch grị̈ị̈se̥lli ch zrŭ̦gg! Schließlich allerdings kann man doch nicht immer und immer d’Alpfẹrt hinderhi n stecken oder hinderhi n schieben. Man wagt sie also, darauf gefaßt, wegen rascher Erschöpfung des Pflanzenwuchses 308 frïejjer wa n su̦st abfahren (die Alp entladen) zu müssen. Denn die Futternot in Tal und Vorsaß drängt zur Alpfahrt; vielleicht aber füllen die Talgüter die Heubühnen wieder, und ein später Winteranfang wie 1906 gestattet noch eine lange Herbstweide.
Als normaler Alpfahrtsmonat gilt der Juni. Als bisher frühesten Termin finden wir den 3. Mai (1821), als bisher spätesten den 6. Juli (des traurigen Jahres 1816) verzeichnet, 3 den Reigen beginnt in der Regel Scheidegg; dieses ist 1907 am 20. Juni g’fahren. Übrigens trägt mancher 4 Älpler einen vieljährigen Alpfahrtskalender im Kopf. «Von zwanzig, dreißig Jahren her weiß er aufzuzählen, an welchem Tag man fahren konnte. Mit seiner Berechnung vermag jeder zu sagen, ob das Futter für einen Tag mehr oder weniger gewachsen sei; und ist die Alpzeit da, so gilt jeder Tag im Tal als verloren.»
Die Alpfĕrt geht also vor sich — in der so häufig geschilderten Weise. 5 Im untersten Lä̆ger (Alpbezirk) wird z. B. an Scheitegg etwa zwei Wochen stationiert. Dann zï̦̆gled 6 man in ein oberes oder das obere Läger, und «drei Tage nach dem Zügeln darf kein Vieh mehr im verlaßnen Staffel bleiben». 7 Die beschränkten Räumlichkeiten einer Alphütte machen es unvermeidlich, daß beim Räumen derselben, dem ụụszï̦̆glen, da und dort ein kleiner Gegenstand verlegt, verzï̦gled wird. Schlimmer ist der Umstand, daß ein unzeitiger Schnee den Älpler zwingen kann, lange vor dem normalen ụụsalpen in seine Vorsaß ahiz’zï̦̆glen.
Die ausgedehnteste, bis auf etwa acht Wochen sich erstreckende, in die Höhe des Sommers fallende und daher in jeder Beziehung angenehmste Alpzeit ist die im obersten Läger zugebrachte. Das ist die Hoo chzịịt, 8 die haute saison des Älplers, getrübt nur durch die Aussicht, bald wieder von Staffel zu Staffel behufs kurzer herbstlicher Nachweide erst wieder nach der Vorsaß und schließlich wieder in die Talgüter abfahren, z’ru̦ggfahren zu müssen. Man räumt die Alp im Laufe Septembers oder Oktobers nach einer Alpzeit von durchschnittlich 100 Tagen in Grindelwald, 9 99 Tagen im Kanton Bern. 10 Im Jahr 1823 rechnete man für Holzmatten 17-18, für Scheidegg und Itramen 16-17, für Bachalp und Wärgistal 15-16, für Grindel und Bußalp 14 Weidewochen; 11 309 für 1657 aber wurde die Alpzeit insgemein auf 112 Tage berechnet. 12
«Staffeln» oder «Stafeln» nannten wir soeben die Läger oder Alpbezirke; und noch heißt die freundlichste Partie des Raift-Lägers an Itramen der Waldstaafel. Die Mehrzahl lautete älter grindelwaldnisch Stä̆fel. 13 Gemäß der Herkunft von lat. stabulum (franz. étable) 14 bedeutet «Stafel» zunächst einen «Nachtlagerplatz des Viehs mit Melkhütte». 15 Als solcher wird er von selber 16 auch zum «Fettplatz», zur Mĭ̦ste̥rren, auf welcher zwar im Frühling die ersten zarten Kräuter sprießen, später aber nur noch verschmähte Geilpflanzen gedeihen. Jeder Älpler schafft den Dung oder die Plï̦̆tte̥rlĭ̦ga (der Plï̦̆tterlig ist auch ein plumper Mensch, wie die Pässa ein häßlich breitschultriges Weibsbild) in die Mistgrueba oder das Mistlooch bei seinem Gebäude. Der Wärchmaan ( S. 324 f.) hat sodann die Pflicht, ihn aus dem Läger zu entfernen und häufchenweise über den Alpboden hin zu verteilen. So bereichert, heißt der letztere ebenfalls Staafel. 17 Der Höhenabstufung der Läger oder Alpabteilungen gemäß redete die ältere Sprache auch von «untern» und «obern Staffeln» und erteilte damit unserm Wort die Eigenbedeutung von Graden, Stufen selbst im übergetragenen Sinn. 18
Verwandt mit der «Stafel» ist «der Stădel», von welchem unter «Alpgebäude» zu handeln ist. Hier beschäftigt uns als einzig der Alltagssprache angehörendes Synonym das Lä̆ger. Seine ursprüngliche Einheit mit «Lager» geht hervor aus den Bedeutungen: 1. Soldatenlager («in Octodurum 19 hatten die Römer ihr Winterleger») 20 2. Schlafgelegenheit («G’lĭ̦ger»); 3. Faßlager; 4. Holzbelag als Viehlager im Stall, abwechselnd mit Brï̦̆gi und «Stand» (s. d.). Daß das Läger speziell im alpwirtschaftlichen Sinn einen ebenen Viehlagerplatz im Freien bedeutete, zeigt noch der Name für die drittoberste der vier Itramer-Alpabteilungen. Da ist «d’s Lä̆ger» schlechthin eine große, sonnige, prachtvolle Ebene zwischen Gruenwald und Burkhalten-Abdachung. Als Platz der Hütten dieser Alpstufe dehnte auch es seinen Namen auf die Alpstufen überhaupt aus. Es hat demzufolge jede unserer sieben Alpen mehrere Lä̆ger oder «Alpabteilungen, die in einer gewissen Ordnung nach einander abgeweidet werden». 21 Wir führen sie, unter Hinweis 310 auf ihre Andeutung durch die Sternchen in unserer Alptabelle ( S. 305), wie folgt von oben nach unten auf.
Itramen (am Männlichen und Tschuggen) hat vier Läger: d’Wasserwendi, d’s Gu̦mmi, 22 d’s Lä̆ger, der Raift. 23 Die Wasserwendi wird in der Regel sechs Wochen beweidet, die andern sowohl beim Aufwärtsfahren im Vorsommer — ue̥higä̆nds —, als beim Abwärtsfahren im Herbst — ăhigä̆nds — je acht bis vierzehn Tage. Das Gu̦mmi war eine Zeitlang (und bis vor kurzem) eine Kuhalp, wie sie es noch immer sein sollte. Nun ist es eine Rinderalp, wie von jeher der unter ihm gelegene Brand es war.
(ca. 2000 m/M.) mit Faulhornweg.
Die ebenfalls vier Läger von Wärgistal (am Westfuß des Eigers, an der kleinen Scheidegg und am Lauberhorn) sind Bŭ̦stĭ̦glen, Mettlen, Alpĭ̦glen, Bĭ̦dem 24 mit den durchschnittlichen Weidezeiten: 40, 10 und 8, 12 und 8, 8 und 6 Tage. ( Mettlen heißt auch eine Partie des Raiftlägers an Itramen.)
Die drei heutigen Staffeln der Alp Bueßálp (am Faulhorn) heißen einfach Ober-, Mittel-, Underlä̆ger. Das Unterläger besteht aus dem g’meinen Boden, dem Mahd, dem Sch wandimahd und und’r de n Schëpfen. Die letztgenannte Partie bildete einst allein das Unterläger; die andern wurden nach und nach aus Privatbesitz dḁrzue g’choifd, und zwar zuletzt (1782) der g’mein Boden von einem Hans Kuhnen,
Holzmatten (nach oben durch das Sĭ̦melhŏren oder «Simelihorn» 25 begrenzt) hat die vier Läger: Fäld, Lä̆ger (also wie an Itramen), Stëëßibëde̥lli, im späten Bë̆de̥lli.
311 Zu Baach (Bachalp am Röthihorn) gehören abermals vier Läger: D’s Băchlä̆ger schlechthin, Spĭ̦lmatten, Nŏdhaalten, Hŏhle nwáng. Dies unterste Läger enthält zugleich die Speicher aller vier Alpstufen.
Kolossale Entfernungen wie Bachalp bietet auch das Scheidegg-Oberlä̆ger. Das an seiner Peripherie gegen Hasli hin gelegene und bloß noch als Faxplatz (vgl. S. 283) geschätzte Lä̆gerli kann vielleicht auf einstige Geteiltheit deuten. Das Altlä̆ger dagegen, welches jenseits des Geißbachs liegt (auch Itramen hat ein alts Lä̆ger) ist wohl seinerzeit geräumt worden; wie im Hŏhlenwang transportierte man die Hütten an ihren jetzigen Platz, um dem Wasser näher zu sein. Die übrigen vier Scheidegglä̆ger heißen von oben nach unten: der ober Loïchbïel an der Südseite der großen Scheidegg; Alpĭ̦glen östlich und d’Bĭ̦de̥m oder d’s Bĭ̦de̥mlä̆ger westlich des Saumpfades nach Meiringen, beide im Vorsommer gleichzeitig beweidet; der under Loïchbïel. Rinder und Kälber werden zeitweilig von den Kühen getrennt und beziehen sodann die Ịịsche̥rra, welche beim Chïehmatte nschopf an die Rinderweide der Grindler stößt.
Als ausgedehnteste Bergschaft schiebt sich die bereits S. 192 f. verhandelte von Grindel zwischen Baach und Scheitegg hinein und erstreckt sich vom Gemsberg bis an den Eiger hinüber, berührt also Wärgistal. 312 Sie zählt neben den drei Galtviehlägern Wĭ̦derfäld, uf der Stepfi und under der Stepfi zwei Kuhläger, welche einfach als Ober- und Underlä̆ger bezeichnet werden. Die fünf Partien des letztern (gelegentlich 26 als selbständige Läger gedeutet) sind das Egrĭ̦z, die Hütten u̦f Luegen mit den Käsespeichern der gesamten Grindelalp, die Hütten am Horbach, die Partie u̦f der Stifte̥rren über drei Vorsaßen, welche die Stifte̥rri genannt werden, und die Horbisálp. Über die letztgenannte verfügt die Bergschaft bloß pachtweise, und das hat seine interessanten Gründe.
In Schwantwald in der Alpschaft Grïndel hauste zu unbekannt alter Zeit der reiche Horbi ( S. 250). Nicht bloß die jetzigen Vorsaßen jenes Namens, sondern alles Land im Umkreis mid hundert Chïeh Bärg an Grindel gehörte ihm. Dazu besaß er noch eine ausgedehnte 313 Weide oder Vorsaß zwischen den beiden Quellbächen des Bärgel. Das ist die Horbisalp. Dorthin zog er im Frühling mit all seinem Vieh für einige Zeit, bevor er mit den übrigen, neben ihm so armen Grindlern die Grindelalp bezog. — Während nun sein Grundbesitz mit dem zugehörigen Bärg an Grindel unter seine Erben verteilt wurde, blieb die zum zermarchen und zerteillen ungeeignete Horbisalp gemeinsames Eigentum der Erben. Sie wurde also g’sejjed ( S. 314), wie es für gemeine Alpen notwendig ist, und ihr Alprecht — der Horbisalpbärg — ze’m Land g’ordnet. Darum hat noch heute jedes Grundstück, das einst dem rịịhen Horbi gehörte, neben Grindelbärg auch gleichviel Horbisalpbärg. — Lange nutzten Horbis Rechtsnachfolger in seiner Weise die Horbisalp als Vorsaß fort, bis sie (aus unbekannten Gründen) vorzogen, sie den Grindlern zu verpachten. Diese nutzen sie nun zusammen mit ihrem Unterläger, und die jüngere Generation hat sich gewöhnt, Horbisalp als integrierenden Bestandteil dieses Alpbezirks zu betrachten. Nur der jeweils im Herbst erhobene Horbisalpzịịs erinnert sie noch an die Ausnahmsstellung.
1
Auf derselben bedeutet die Ziffernsäule links die Meereshöhen; die auf sie bezüglichen Ziffern rechts geben die Zahl der Alpen an. Die Höhenerstreckung der Grindelwaldneralpen wird durch senkrechte Striche angezeigt; die Sternchen in denselben deuten auf Alpläger.
2
Pflzlb. 9.
3
GlM. 190, wo eine umfassende Alpfahrtstabelle.
4
Nach Ortspfarrer Gerwer in
ÄFG. XXXV «jeder».
5
Z. B. von
Burnand i. d. Schweiz 1901, zu 4; Schwz. Bauernkal. 1903, zu 112; vgl. auch
AR. 1822, 90.
6
Vgl. das züglen (umziehen)
Lf. 296 ff. Man konjugiert im Unterland: er
ist züglet, im Oberland (vgl. z. B.
Cronegg von 1788) auch: er
hed’ zigled; natürlich immer mit «hat», wenn von Besorgung des Umzugs für einen andern die Rede ist.
7
Regl.
8
Hochzeit = hohe Zeit, einst auch im kirchlichen Sinn als Festzeit.
9
Ök. Fol. XII 66 a. d. J. 1787.
10
Bern V. 110; vgl.
Stat. 02, 2, 411.
11
Ök. Q. 30, A 4.
12
Ebd. A 3.
13
Z. B. in der
Cronegg:
GlM. 167.
14
Daher mit Geschlechtsanlehnung an «Stall»: «
der Stafel.» Grindelwaldnisches
«die Staafel» ist ursprüngliche Mehrzahl, die sich nach ihrer Singularisierung durch
«Stäfel» ersetzte.
15
Öchsli 16.
16
Vgl.
Gusset 7.
17
Im Emmental: das
Gfehl (
Ök. Q. 26, 10, 1; 29, 10, 11), weil dort der so behandelte Alpboden als «Gefäll» sich charakteristisch vom gepflügten Talboden unterscheidet.
18
«Staffeln» der Wärme:
Altm. 73; «Staffeln» der Mäßigkeit: Pfr.-Ber. (1764) 294.
19
Octodurus.
20
Rebm. 338.
21
Definition von
Kasth. 2, 135. 153.
22
Vgl. Gumm (
combe)
Lf. 31 u.
S. 15 hiervor.
23
Ranft (Rand):
Kluge 293.
24
Vgl.
S. 302; für Bustiglen u. a. fehlen uns erklärende Daten.
25
Vgl.
S. 6.
26
Z. B.
Faulh. 19.
Von den 2430 bernischen Alpen sind 1719 persönliches Privateigentum. Die meisten derselben entfallen auf das den fremden Besitzern leichter zugängliche Emmental und westliche Oberland. Von den 45 Alpen des Oberhasli gehören dagegen bloß drei, von den sieben Alpen Grindelwalds keine einzige in diese Kategorie. Vielmehr zählen die letztgenannten gleich der Grindelalp (zu Schattenhalb), den meisten Alpen von Meiringen und Brienz, einigen von Lauterbrunnen und denjenigen von Lütschental und Gündlischwand zu den 345 bernischen Privatgenossenschaftsgütern. Und zwar sind sie in Grindelwald den Talgütern für immer und unveränderlich zugeteilt. Unabhängig von den wechselnden Eigentümern «besitzen» sozusagen die Talgüter die ihnen zugeteilten Alprechte; ihre Jahresnutzung besteht aus der Sömmerung der Alp und der Winterung des Heuguts. Das und das Heimmḁt oder das und das Stï̦cki Land «hat» so und so viel Bärg. Die klugen Alten, wa das ersinned hein, verhinderten damit, daß ein großer Teil der Alprechte sich in den Händen weniger Spekulanten vereinige und von diesen an Auswärtige verschachert werde, so daß mancher Grindelwaldner im Sommer nicht wüßte, wa n är mid sịịm Vehli hi n sellti. Nur dem Grundsatz, daß Land und Bärg z’sä̆me ng’hëërren, verdankt Grindelwald den glücklichen Umstand, daß es unter vielen Alpentälern einzig noch 314 im alleinigen Besitz aller Alpen seines Gemeindebezirks ist. Nun wäre aber begreiflich die Verteilung des Alpareals unter die Talgüter je nach deren Größe und die Beweidung der damit sich ergebenden Parzellen ein Unding. Dás gääb e̥s zerschwirrnen und zerstecken von Grat und Felswand und Graben! Das erforderte Abstufungen von Form und Güte des Bodens. Und welche Alpwirtschaft würde das! Der Kădáster (das Kataster) wäre hier für die alpwirtschaftlichen Bedürfnisse durchzuführen unmöglich und wird auch unnötig gemacht durch eine andere Schätzungsart. Diese mißt nicht das Areal, sondern ermißt die Beweidbarkeit einer Alp; sie wertet deren Ertragskraft. Wann nun in Grindelwald g’sejjed, d. h. eine solche Bewertung oder «Seyung» aller Alpen vorgenommen worden sei, ist aus keiner G’schrift zu ersehen; man weiß nur, daß die noch gegenwärtig zu Recht bestehende sehr alt ist. Zu Brienz fanden sich Fragmente eines Sejbuechs angeblich vom Jahr «972» (etwa 1472 oder 1572?) als Einfassung eines Psalmenbuchs. 1 Die Hasliberger dagegen «randen» alle vierzig Jahre. Die hinter dem Bärgschrịịber jeder Bärgschaft ( S. 304) liegenden Sejbïeher Grindelwalds dagegen zeigen, wie angedeutet, seit Jahrhunderten den immer gleichen Seejjen, 2 welcher z. B. fï̦r Scheitegg aa ng’gää bnna ist zu dri̦hundertfịịfu ndsächz’g (nämlich: Chïeh). Stellt sich also der Seyen für Scheitegg auf 365 Kuhrechte, so beträgt er für Grindel 475, Bach 263 3/ 8, Holzmatten 99½, Bußalp 432 3/ 8, Itramen 346 7/ 8, Wärgistal 193 Chuehrächt oder gewöhnlich: Chïeh. Dieses «Chïeh» ist natürlich zunächst Mehrzahl von «Chueh»; man hat sich aber in der alpwirtschaftlichen Terminologie gewöhnt, die so vorherrschend pluralisch gedachte Bezeichnung durch Vermittlung der Kollektivvorstellung als weibliche Einzahl zu brauchen. (Eine sehr geläufige und bekannte Erscheinung auch in andern Sprachen.) Die Chïeh nun also, oder das Weiderecht für eine Kuh, ist das Einheitsmaß des Bergrechts und wird bis zu 1/ 16 gespalten, um auch dem kleinsten Talbesitz das ihm gebührende Alprecht zu sichern. Eine Chïeh wird deshalb zunächst in vier Fïeß geteilt. Dies Wort «Fïeß» ist für Grindelwald, wo die Füße aller vierbeinigen Tiere Chnŏden (auch Einzahl: der Chnŏden) genannt werden, ein der alten und gemeinen Rechtssprache 315 (vgl. S. 304) entnommenes Lehnwort und gilt also lediglich für den Viertel einer Chïeh oder für den Zweitel einer halbe n Chïeh. Ein ebensolches Lehnwort ist «die Chlaaua», da die Klaue grindelwaldnisch der Tschăggen heißt. En halba Fues ist zwo Chlaawwi, ein ganzer also deren vieru̦, weil bei dieser Teilung einer Chïeh die Afterklauen ( Tschä̆ggle̥ni) der Kuh mitgezählt werden. Über die Klaue also 1/ 16-Chïeh gehen die neuern Alpreglemente nicht mehr hinaus; ja einige derselben bleiben bei 1/ 8 als kleinstem Bergrecht stehen, um sich die Rechnung zu vereinfachen. Anders früher, wo die Grundstückzersplitterung ( S. 253) sich bis zum Unfug auch im Bergrecht geltend machte. Da nämlich über die Klaue hinaus sich kein Tierglied mehr zur potenzierten Zweiteilung heranziehen ließ, nahm man den festen Sommerpachtzins, der fï̦r ḁ lsó e̥s (oder: fï̦r n e̥s settigs) Brëësi Bärg (ein «Brosämchen Bergrecht») bezahlt wurde, als Wertung an; und so kann in alten Erbteilungen und in den Seybüchern zu lesen stehen, es gehöre zu dem und dem Stück Land eine halbe «Küh» und für einen Batzen und zwei Kreuzer ( Chrị̈ị̈zer) Sömmerung z. B. an Scheitegg.
Die Gewohnheit, die Alpfläche nach dargebotener und berechtigter Weide abzuschätzen, hat dazu geführt, auch das Heugut nach Chïeh, Fues und Chlaaue n zu werten. So «haltet» 1756 ein Stück Mattland «Ein halber Fueß Winterung» (bietet also Dürrfutter für eine Ziege, vgl. S. 317) «und so viel Sömmerung an Scheid-Egg.» 3 Ein anderes Stück bietet 1821 «eine Kühe und 3½ Fueß Winterung, und Sömmerung an Scheidegg eine Kühe und an Grindel 3½ Fuß.» 4 1756 ist «ein Fuß Berg an der Alp Bach» veräußert worden u. s. w. Seit Einführung der Grundsteuerregister ist natürlich diese übrigens sehr oberflächliche Schätzung nach Winterung unzulässig.
Der in Grindelwald seit Jahrhunderten konstante Sejjen bringt als Übelstand mit sich, daß Bärg und Wintru̦g nicht immer richtig zusammenstimmen. Die Talgüter sind im Laufe der Zeit im Ertragswert teils gestiegen, teils gesunken. Manches Gütlein hat heute verhältnismäßig zu viel Bärg, manches zu wenig; ja es gibt welche, die 316 gar kein Alprecht besitzen. Letzteres sind diejenigen, die zur Zeit der Aufteilung noch «Unland» waren, d. h. keine Winterung gewährten. Umgekehrt sind Güter, die durch Naturereignisse zu «Unland» gemacht worden und also keinen Ertrag mehr abwerfen, gleichwohl im Besitz ihres Alprechts verblieben. Ein solches Alprecht ohne zugehörige Winterung heißt (verkehrter Weise) underg’gangna Bärg. Es wird ganz besonders geschätzt, weil über dasselbe in jeder Beziehung frei verfügt werden kann.
Die Unzulänglichkeit des bestehenden Sejjen zeigt sich zumal in futterarmen Sommern wie 1906 darin, daß die Alpen kaum imstande sind, das sämtliche Talvieh des Gemeindebezirks z’grächtem (gehörig) zu ernähren. Man baut dem Übelstand notdürftig durch den Grundsatz vor: Hie ist Veh g’nueg im Taal, fï̦r dem Chrị̈ị̈tli uf den Alpe n Meister z’wärden. Es darf darum auf den Alpen nur Taalveh gesömmert werden; d. h. solches Vieh, welches den größern Teil des Winters in Grindelwald mit daselbst gewachsenem Futter genährt worden ist. Fremds Veh, d. i. im Frühjahr zuehag’choïfds old zueha ’dingeds (in Pacht genommenes) ist durch die Reglemente von den Grindelwaldner Alpen ausgeschlossen, und es ist dann Sache der B’setzer ( S. 322), gegenüber Gewaltversuchen oder Kniffen den Ernst der Vorschrift und schließlich der Notwehr zur Geltung zu bringen.
Allein auch innert dieser Schranken muß die Alp noch energischer vor «Überstoßung» oder Ubersatz (úbersatz), vor ubersátzen, so das s meh Veh ist wan Bärg, geschützt werden. Das s mu̦ nid Ubersatz uberchëmi, wird nun durch die Vorschrift verhütet, es mïeß e n jelha B’setzer ụụsbärgen, oder Bärgwịịsen, Bärg lĕgen, Rächnug lĕgen über seinen Bärg und Bsatz. Jeder, der Vieh zu sömmern gedenkt, muß den Pfandern (Alpvögten, S. 324 f.) vor einem festgesetzten Termin, spätestens jedenfalls am g’meine n Tăgwaan ( S. 323), Rächnug gään: er muß 1. seinen B’satz (Viehbestand) angeben und 2. nachweisen, daß er für denselben hinreichend mit Bärg ausgestattet sei. Diese Angaben dienen zugleich, zur Anlage des Chrụụdtälls für Deckung der gemeinen Lasten, des Stiertälls für Haltung der aag’nu̦u̦nne n (prämiierten oder doch anerkannten) Zuchtstiere u. dgl. Hat einer nicht genug eigenda Bärg, so ist ihm gestattet, solchen von Bärgteilen ( S. 322), die ihn nicht selber besetzen, zu dingen.
Mit Ausnahme der Schafe, für welche jede Alp den Bärgsatz oder Satz nach Gutfinden bestimmt, ist dieser letztere für sämtliche Grindelwaldner Alpen wie folgt geordnet. Es Roos nimmd 2-4 Chïeh (je nach seinem Alter); eine ältere (mehr als drei Jahre alte) 317 Kuh: 1 Chïeh; eine junge (2-3 Jahre alte) Kuh und ein gleich altes Zịịtrind ( S. 338): 2 Fïeß; ein Meischrind (1-2 Jahre alt, S. 338): 1½ Fues; ein Kalb (bis 1 Jahr alt): 1 Fueß; eine Ziege: ½ Fues; ein Gitzi: 1 Chlaaua; ein Schwein: 1 Fues. Interessant ist es, mit dieser durch die Einzelumstände gebotenen die allgemein wirtschaftliche Wertung zu vergleichen: 1 Rindvieh-Einheit = 2/ 3 Pferd, 4 Schweine, 10 Schafe, 12 Ziegen. Bußalp z. B. bewertet ein Schaf mit einer Chïeh, und andere Alpschaften dulden die Wollträger gar nicht mehr. Zu dem Seite 342 erörterten Grund ( wịịl d’Bänze n d’s Chrụụd vëllig mid-sannt de n Wï̦ï̦rzen us dem Bŏden usa schnaarren) kommt der Umstand, daß diese Tiere mit ihren Exkrementen den übrigen d’Weid vergesten und dabei selber als die ehrlosiste n Tier (die wählerischesten) sich gebärden. Gründe genug, sie auf die höchstgelegenen eigenen Schaafbärga zu verweisen.
Über den Bsatz nun, wie er beispielsweise für den Sommer 1906 sich bezifferte, verdanken wir den Pfandern folgende freundlich entgegenkommenden Angaben, wobei die während der Alpzeit eingegangenen und deshalb ab dem Bsatz ’taannen Tiere nicht mitgezählt sind.
Scheitegg | Grindel | Baach | Holzm. | Bußalp | Itramen | Wärg. | |
Ältere Kühe | 192 | 208 | 92 | 46 | 153 | 174 | 99 |
Junge Kühe | 44 | 26 | 35 | 15 | 58 | 39 | 33 |
Zeitrinder | 24 | 35 | 24 | 2 | 35 | 42 | 16 |
Meischrinder | 77 | 141 | 75 | 22 | 128 | 72 | 42 |
Zuchtstiere | 6 | 6 | ? | 1 | ? | 3 | ? |
Ochsen | 0 | 0 | 8 | 2 | 10 | 5 | 3 |
Kälber | 69 | 109 | 56 | 24 | 101 | 69 | 31 |
Ziegen | 119 | 35 | 80 | 10 | 22 | 93 | 87 |
Gusten | 10 | - | - | - | - | - | - |
Gitzi | 17 | - | - | - | 3 | 27 | 10 |
Böcke | 2 | 1 | - | - | - | - | - |
Schweine | 48 | 47 | 24 | 13 | 30 | 30 | 21 |
Schafe | 7 | 50 | 18 | 11 | 9 | 43 | 5 |
Pferde | 0 | 3 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 |
Eine gar nicht so einfach zu lösende und tatsächlich auch nicht gelöste Frage ist diese: wem gehören denn eigentlich die Alpgebäude? Da sie auf Alpboden stehen, welcher allen Berganteilern gemeinsam eigen ist, zudem in neuester Zeit mit Hülfe von Staats- und Bundesbeiträgen und von jeher aus geschenktem Holz der Alpwaldungen erbaut sind, sollte man meinen, auch sie gehörten (wie z. B. in Lauterbrunnen) der Alpschaft. Dem ist nicht so. Die Hütten, Ställe und Speicher sind Eigentum einzelner, und zwar zuweilen solcher, die nicht einmal unter die Bergteiler 318 der betreffenden Alp zählen. Und die Gebäudebesitzer üben zumeist selber den Älplerberuf aus: sie näa n Chïeh z’mälhen aan. Tun sie’s nicht, so vermieten sie ihre Hütten. Da keine Vorschrift die Alpgebäudebesitzer verpflichtet, allen Alpberechtigten ihr Vieh zu besorgen, sondern e n jelha d’Wĕli heed, wäm är alpi, so kann es sich ereignen, daß Alpberechtigte von der Mitbenutzung der Alp faktisch ausgeschlossen werden, wịịl ’nen niemmḁ n wollt alpen. Es kann ihnen der Bescheid werden: i ch alpen dier ni̦i̦d! oder allenfalls etwas diplomatischer: i ch chann dier ni̦d alpen, i ch ha n scho n vi̦l z’vi̦i̦l aa ngnu̦u̦ n’s! Man sieht daraus zur Genüge, welchen despotischen Einfluß die Gebäudebesitzer auf das gesamte Alpwesen zu üben vermögen. Was sie beantragen, geid dï̦r chhi n. Su̦st mues mu̦ fï̦rchten, si e alpen ei’m nịịmmeh.
Die übrigen Faktoren der Alpwirtschaft unterliegen bindenden Vorschriften, am speziellsten niedergelegt in den Reglementen jeder einzelnen Alpschaft. Produkte neuerer Zeit, wie sie es sind, und immer wieder den lokalen Bedürfnissen angepaßt, bilden sie Abzweigungen des 1883 obrigkeitlich sanktionierten «Reglements über die Organisation der Alpen der Talschaft Grindelwald». Letzteres ersetzte den Einungsbrief von 1805, welcher vormals nach alter Übung jeweils am zweiten Sonntag des Jahres vom Pfarrer u̦f dem Chanzel verlesen werden mußte. 5 Auch der Brief von 1805 ersetzt selber wieder die von 1765 und 1658 6 herrührenden Erneuerungen des Einug, welchen am 16. März 1406 7 der Propst von Interlaken auch zuhanden seiner Grindelwaldner Untertanen erlassen hat. Die Vorschriften desselben lauten in aller Kürze dahin: Jeder Baumann (Bauer; Bụụmmḁn ist noch ein starkes Grindelwaldner Geschlecht) soll neben seinem im Tal gewinterten Vieh noch des Klosters äußere Zehndlämmer sömmern, gegen vier Stebler vom Stück. Dazu darf er sein Winterroos, das er ze’m Taal ụụs vermietet, «ze Alp und ze Grund» weiden und außer der Alpzeit ein als Zụụgroos benötigtes Pferd samt Füllen an einem Band den Zäunen nach äsen lassen. Das nämliche gilt von Rindern und gelegentlich von Milchkühen. Auf der Alp aber soll jeder bleiben bis an Unser Frauen Abend (9. September) und ob den «Fridhägen» bis St. Mauritien Abend (22. September). Und zwar soll jeder mit seinem alpbaren Gut dort durchfahren und alpen, wo seine Feuerstatt Recht hat. Verirrtes Vieh soll durch die «Pfandnehmer» bloß gegen fünf Schilling vom Stück aushingegeben werden.
1
Gusset 9 ff.
2
Mhd. (
WB. 2, 2. 268) die
seige (zur Gruppe seihen, sinken usw.
Kluge 349) bedeutet Senkung, z. B. der Sonne, eines Gehänges, eines Wasserstandes. Der letztere führt an Hand des Pegels über zum allgemeinen Begriff des Messens und Visierens. Im Sinne von Aichzeichen stellt es sich in die Begriffsreihe «
ele, seie (oder
seihe) mâz und
gewicht». Visieren und Aichen heißen auch das
geseige oder
geseihe. So sollen «Gerichtsherren Machthaber, ir Geseig zu geben klein und groß». (Beide Zitate aus Grimms Weistümer-Sammlung 2, 30. 10. 82. 110. 254.)
3
Moos.
4
Ebd. Dieses Talgütchen erstreckte sich also über zwei Bergschaften. Wie diese Instrumente aus dem Moos, suchten sich auch die alten Urkunden (z. B.
Font. 7, 9. 104. 159. 214) in oft interessanter Weise mit diesem «Chieh» abzufinden. In der Regel freilich gingen sie ihm mittelst «Kuoberg», «Küeberg», «Kuoberge» aus dem Wege. Näher treten ihm die Grindelwaldner Gerichtsakten in Interlaken, wenn sie (1727) «Einer Kuhe» oder (1789) «Einer halben Kuhe Winterung» schreiben. Daneben kommt (1725) vor: «einer Kuh und eines halben Fußes Winterung»; oder es steht am Platz dieses geschickten Genitivs der unbeholfenere Dativ: «zweyen Küehnen Winterung» (1725), wenn nicht einfach der
Casus rectus: «vier Küh W.» (1725), «eine halbe» (1756) oder «anderthalbe Kuh W.» (1725). Mit solcher Schätzung vgl. die «Burdi Land»
Lötsch 110.
5
Er empfing dafür fünfzehn Batzen.
GlM. 7.
6
Abgedruckt im
GlM. 24 f.
7
Dokumentenbuch Interlaken IV, 490 laut
Reg. 84.
So einem Manndli, Männde̥lli, Männdse̥lli, das nur ein Hoi pt (Rindviehstück) oder höchstens etwa deren vieri old fịịfi sein eigen nennt, würde es sich schlecht lohnen, wollte es zur Besorgung seines Vehli den Sommer auf der Alp verbringen. Das vermëchti är nịịd, da verdieneti är nịịd! Eine Anzahl Kleinbauern vereinigen darum ihre Vehle̥ni zu einem Senntum, Sennte̥m oder nach heutzutage gewöhnlichster Bezeichnung: einem Zị̈ị̈gli. 1 Sie gschlää n z’sämen oder tïe n si ch z’sämen. Das Zịịgli muß trotz seiner verkleinernden Bezeichnung doch von beträchtlicher Größe sein. Es muß einem aus der Mitte der Vereinigung gewählten oder außerhalb derselben gedungenen Älper, däm mu̦ z’mälhen gi̦i̦ bd, vollauf Arbeit und einen anständigen Su̦mmerlohn, Mälchlohn sichern. So kommt es zu einem Einerzị̈ị̈gli. Allerdings aber mëge n zwee n mmeh wa n d’s halb meh wan eina einzig. (D’s halb meh ist auch unterbernisch nicht etwa «die Hälfte mehr», sondern «das Doppelte». Das Anfangs-, nicht das Endquantum ist das verglichene.) Denn zwei können in vereinbarter Arbeitsteilung mit Einsatz von Lust und Geschick sich gegenseitig unterstützen: der eint holzed, wị̈ị̈l der ander chäsed usw. Aus manchem Senntum wandert die Milch größtenteils zu Tale; den zu verkäsenden Rest bewältigt dann sehr wohl ein einzelner, auch wenn das Zị̈ị̈gli auf die üblichste Größe von zwanzig bis dreißig Kühen ansteigt. Trotz seiner Stattlichkeit benennt übrigens auch das Senntum eines selbständig und bloß für sich alpenden Besitzers von beiläufig zwanzig Kühen sich als Zị̈ị̈gli, weil es noch bei Mannsgedenken 2 ganz andere Senntümer gab: von hundert bis hundertundzwanzig Kühen. Das waren Zị̈ị̈g, welche aus der Milch so vieler meist aa ng’nu̦u̦nner Kühe meterzentrige Käse in den Großhandel lieferten. Als aber die Talkäsereien die Fabrikation so großer und den gesteigerten Ansprüchen immer gerechter werdender Exportstücke übernahmen, zog sich die Alpkäserei mit ihren hiezu ungeeigneten Holzspeichern gern und ohne Einbuße auf das Zï̦ï̦gli zurück. Man braucht ja nur die gä̆bige n, fĕhrige n Chäsle̥ni von zehn bis fünfzehn Kilo nebst Anken und Milch ins Tal zu bringen, so läcked das si ch ụụf wie Zucker. Ja mit dem Gábe̥lli steigt mehr als ein flotter Gastwirt dem behäbigen Landwirt auf die Haube und Laube und b’sahld die sogleich entführte Ware mit Grindelwaldnerpreisen. 320 Es kommt daher auch nicht mehr vor, daß hiesige Viehbesitzer Milchtiere an Simmentaler oder Schangnauer-Küher wä̆gglaan oder z’dingen gään. Es wird kei n Chue meh ze’m Taal ụụs g’laan.
Für jede aa ng’nu̦u̦nni Chueh bezieht der Älper in der Regel zehn Franken Mälchlohn, wie für jedes Mastchalb fünf und für jedes Stück Galtvieh zwei bis drei Franken Pflegegeld. Überdies zahlt, wer nicht Anteil an dem betreffenden Gebäude hat, für jedes Stück Vieh zwei Franken Stallgäld, dazu den vereinbarten Hï̦tte nzịịs und Chessizịịs. Ferner muß für jede Kuh 13-15 Pfund Saalz auf die Alp gebracht werden: zugleich ein guter Anlaß zum Besuch der gealpeten Tiere.
Die Gebühren entrichtet man am einfachsten nach Schluß der Alpzeit, bei Gelegenheit der Alprächchne̥ten, Ụụsrächchne̥ten, der «Chostne̥ten» zu Wilderswil, wo d’s teillen vor sich geht. Teild (geteilt) wird nämlich alsdann — in der Wohnung eines Alpgenossen, selten in irgend einer Talwirtschaft — allfällig eingenommenes Milch- und Buttergeld, wie man schon zuvor oben beim Alpspeicher g’molchned oder d’s Spịịs ’teild heed. Dabei spielt heute der Rechenstift, spielte aber ehemals (noch um 1890) das Kerbholz-Doppel seine wichtige Rolle. Eins der Doppel führte der Viehbesitzer, das ihm entsprechende der Senn bei sich. Eine geheimnisvolle Reihe von ganzen Strichen, halben Strichen und Punkten wies auf das Ergebnis der Milchmessungen an den Mäßtăgen.
Derselben gibt es in Grindelwald allsommerlich zwei: zu Anfang und gegen Ende der Alpzeit. (Das Emmental schiebt eine dritte Messung zwischen hinein; in andern Oberländergemeinden mißt man bei jedem Bezug eines neuen Lägers — so an Saxeten —, wenn nicht sogar alle vierzehn Tage, auf wenigstens zwei Walliseralpen 3 nunmehr alle Tage.) Jeder Mä̆ßtag spielt sich in zwei aufeinanderfolgenden Abendakten und dem dazwischen fallenden Morgenakt ab. Der vorbereitende Akt des ersten Abends nennt sich: uf d’s Määs mälhen. Die Reihenfolge, in welcher dabei die einzelnen Kühe eines Vereinssenntums dră n chĕmen, wird notiert, um auch am folgenden Morgen eingehalten zu werden. Jeder Senntumsgenosse milkt am Abend das Vieh eines andern, um mangelhaftes Ausmelken oder andersartiges vérte̥llen («vorteilen», übervorteilen) für den nächsten Morgen auszuschließen. Das Melken am nächsten Morgen nun ergibt d’s Morge nmmääs, das Melken am zweiten Abend d’s Aabe ndmmääs. Da man 321 zur Feststellung beider Maße selbstverständlich jede Kuh wieder in ein sorgfältig entleertes Gefäß melkt, so dient dies zu einer guten Redensart. Wer nämlich immer nur oberflächlich und vorschnell absprechend generalisiert, statt nach genauer Prüfung von Fall zu Fall zu urteilen, milchd alli i’n glịịhen Napf oder auch etwa: i n d’s glịịch Hä̆fe̥lli. — Das Mittel aus dem Morgen- und Aabe ndmmääs ergibt bald nach der Alpfahrt das Uustăgsmääs, im August das Herbstmääs. Die Summe beider Mittel wird als Durchschritt eines Alptages betrachtet und der Verteilung des Sommernutzens zugrunde gelegt. Die Kontrollmilch wird nunmehr g’wäägd (gewogen), bis vor kurzen aber wurde sie g’mässen. Senkrecht in den zum Messen dienenden Mä̆snapf wurde ein Hölzchen: eine Schweiba, Milchschweiba gestellt, in welcher ein Drahtstift einen Lëffel anzeigte. Das Wägen geht etwas schneller von statten als das Hantieren mit Mä̆snapf und Lëffel. Allein auch bei der Wägemethode kommt nicht das Gewicht, sondern das Quantum in Berechnung: jenes wird in Löffel umgerechnet. Der Löffel ist nach wie vor der alte Halbschoppen, der neue Viertelliter oder das Halbpfund (250 gr). 4 Genauer als mit halben Löffeln ( 1/ 8 l) wird nicht gemessen.
Eine gute Kuh füllt im Ụụstăg e̥s Morge nmääs von vierzig Löffeln, und die machen zusammen einen Zĭ̦ger. 5 (In Lauterbrunnen gehören hierzu fünfzig Löffel.)
Von Kühen, welche nach der Alpfahrt kalben, oder vor der Abfahrt ergalten, wird die Milch besonders gemessen. Der Eigner muß dann für die durch solchen Ausfall verläge n Zịịt aus seinen Anteil vom Määs verzichten: lă n fallen. Nicht dagegen muß la n fallen, wer während der Alpzeit eine Kuh durch deren Tod verliert. Er nutzed fort bis zum Schluß der Sömmerung, da er sonst Schadeṇ gnueg g’häben heed.
1
Mhd. «der»
ziug (nur in Zusammensetzungen auch «das» Zeug) ist hier in bescheidener Verkleinerung svw. Ausrüstung — eben zur Haupttätigkeit des Alpwirts. Im Seeland ist «das Zụ̈ụ̈gli» irgend eine gerade jetzt uns beschäftigende Angelegenheit.
2
AR. 1822, 90.
3
Eivisch 66.
4
Im Oberwallis ist der Löffel = 1 hg, und 50 Löffel machen ein Immi. (
Goms 87.).
5
GlM. 72. — Dieser
Ziger zu 10 l oder 10 kg ist eine unwillkürliche Erneuerung der «Zehnheit» (vgl. zwan-zig, vier-zig usw.), welche in augenscheinlichem Zusammenhang mit urgermanischem «
tigiz» (zehn:
Kluge 417) steckt. Auch dem Ziger als der Masse festen Schottengerinsels, welche in Formen nach bestimmtem Gewichte bereitet wird und von Klöstern in festgelegter Anzahl eingezogen wurde, liegt wohl eine solche «Zehnheit» zugrunde.
Nach der Alpstatistik von 1895 waren auf Grindelwalds Alpen 147 Erwachsene regelmäßig beschäftigt (nämlich an Itramen 24, an Wärgistal 15, an Holzmatten 6, an Bußalp 30, an Bachalp 17, an Grindel 30, an 322 Scheidegg 25). Unter ihnen wie viel Weibspersonen? Keine einzige! Es ist newwḁ n ni̦d der Brụụch, daß d’s Wịịbe nvolch z’Alp geid wan eppḁ z’Dorf. (Warum, wird im Kirchenkapitel auseinandergesetzt.) Zwissen inhi bringt es etwa dem Vater oder Bruder frische Wäsche, oder Ggaffẹbulver u nd Bbrood, wenn er dḁrmid u̦u̦f ist (ausgekommen ist). Wie man in Beziehung auf weibliche Alparbeit anderwärts denkt, zeigen folgende Zahlen der Statistik. 1 Es alpeten 1895 im Amte Pruntrut 103 Weibs- und 143 Mannspersonen; in Saanen 109 und 368; im Obersimmental 148 und 540; in Frutigen 166 und 582; in Schwarzenburg 16 und 81; in Thun 19 und 162; in Niedersimmental 24 und 444; im Oberhasli 3 und 104; im Amt Interlaken 1 und 515. 2 Gezählt sind dabei nicht die im Konfirmandenalter stehenden und noch jüngern Knaben, die bereits als ganz tapfere Melker, als Spịịherbueben, als Chïehbueben oder Zuehitrịịber auf der Alp und als alleinige Besorger eines sechs- bis zehnhäuptigen Großviehstandes im Talheim sich als schon ganz wackere angehende Bauern ausweisen. Sie erinnern an die zwölfjährigen «Pụ̆re nbuebe n» des Emmentals, die bereits in Stall und Feld ihren Mann stellen und als geborne Fahrer für hochbeladene Heu- und Garbenfuder vor Brüggstock und Bühne den schwierigen «Rank» finden.
Die Brauchbarteit der Bueben auf der Alp läßt sich also nicht bestreiten; und das s mu̦ d’s Wịịbe nvolch uf der Alp nịịd chenni brụụchen, glauben die dies Behauptenden selber nicht. Zu froh sind sie über seine emsige Mithülfe zumal bei den Vorbereitungen zur Alpfahrt: zunächst dem urbar machen oder rụụmmen. Dieses Alpräumen besteht im Säubern der weidespendenden Halden und Gründe von den neu abgerollten Felstrümmern und kleinen Steinen, und deren Zusammentragen zu sorgfältig aufgetürmten Steinhụụffen. Diese Arbeit gehört nämlich zu den Pflichten der Bsetzer, nicht aber der Bärgteiler oder, nach guter alter Stammbildung: der Bärgteilen. («Der Bärgteil» 3 ist ein Wort wie Teck und Beck, wie Fï̦ï̦rsprächch usw.) Die B’setzerschaft ihrerseits umfaßt «Alle, welche im gleichen Sommer die Alp mit Vieh befahren» 4 und unterscheidet sich damit grundsätzlich von der Bärgschaft als dem privatgenossenschaftlichen Territorium einer Alpschaft samt deren Bewohnern. Sämtliche Einwohner Grindelwalds gehören zu einer der sieben Bärgschaften, aber nur alle Viehbesitzer zugleich zu einer oder auch zu mehreren der sieben Bsetzerschaften. Diese Bsetzerschaft vertritt zugleich die Alpkommission, 323 welche anderwärts gleichsam als vollziehende Behörde von der gesetzgebenden ausgeschieden wird. Z’sä̆me nb’schickd wird sie von den Pfandern ( S. 324 f.) zum Alpräumen und den bei dieser Gelegenheit abzuwickelnden Verhandlungen. Dazu gehört ganz besonders die Ansetzung der Alpfahrt. Die Älperschaft dagegen (d. h. die Sennen einer Alp) beschließt unter sich das zï̦̆glen von Läger zu Läger, sowie das abfahren (die Alpentladung).
Die erste solche Versammlung im Frühling heißt der gmei n Tăgwaan, sowie man das Alpräumen auch als tăgwănnen bezeichnet. Kurz vor Alpfẹrt ( S. 307) wird der Tagwa n verlä̆sen: Der G’meindsweibel verliest die Ansetzung der Frühlingsversammlung jeder Alpgemeinde na ch der Brĕdig vor dem Schulhaus neben der Kirche. Dazu kommt die Publikation im «Echo von Grindelwald». Am angesagten Morgen stellen die B’setzer sich ein «mit verschiedenem Werkzeug» wie Pickelhauen, Seilen usw. Während des Sommers hat ein jeder na ch B’satz (nach dem Maßstab seiner Alpbesetzung) noch weiter zu tăgwănen. An Bachalp z. B. entfallen auf eine Chïeh ( S. 314) 3 Stunden und zwanzig Minuten Arbeit. An Scheidegg verpflichten 1½ Chïeh Bsatz hienaahă (diesseits des Grats) und 2½ Chïeh Bsatz ä̆ne̥dnaahă zu einem Tagwaan. Derselbe ist also wirklich zunächst ein Arbeiten mit der Hand und hat mit Lohnarbeit wenigstens das gemein, daß ihre Verrichtung vor Geldbuße für Unterlassung schützt; man ist Tăgwănner der arbeitgebenden Alpgenossenschaft gegenüber. In zweiter Linie sodann ist der Tăgwaan: Mitberatung gemeinsamer Angelegenheiten und erinnert damit an den glarnerischen Tăgmḁn, welcher die Burgergemeinde, 5 die Ortsgenossenschaft unter ihrem «Tágmḁ nvogt», und sogar die Kirchgemeinde 6 bedeutet. 7
Auch wäärhen hat gegenüber dem Unterland 8 seine eigene und zwar spezialisierte Bedeutung bekommen. Allerdings wärhed man auch in Grindelwald sein Gut, und der Fleißige tut dies sehr wärhig. Das rụụmmen auf Alp und Wiese, das Mist buwwen, chornen, härdepflen, gartnen heißt mit gemeinsamen Ausdruck ụụswäärhen (wie im Emmental «dŭ̦sse n wä̆rche n»). Man verwäärhed auch hier 324 seine Tëibi (Zorn) und andere Gemütserregungen. Ebenso stellt man dem Sonntag den Wäärchtăg gegenüber. Man braucht aber die letztere Bezeichnung auch analog wie altes «Wehetag» mit Verallgemeinerung der Tageszeit als «lange Zeit» und Umdeutung der letztern als Zuständlichkeit. Man versteht also unter «Wäärchtäg» auch Mühe und sagt etwa, wenn man für Geschicklichkeit in einer Hantierung gepriesen wird: Da han i ch aber o ch no ch Wäärchtag g’hä̆ben, ẹb i ch das ha n g’lehrd’s g’hä̆ben! Der «Wärchgueg» dagegen oder das «Wärchroß» des Emmentalers ist e n wärhiga, ist en grị̈ị̈sliha Arbeiti. Wenn hinwieder der Älpler gemeinhin von wäärhen spricht, so ist darunter die sommerliche Berufsarbeit des von der Bsetzerschaft gedungenen Wäärchmaa nn’s verstanden. Sie besteht in Instandhaltung des jeweils bewohnten Lägers während der Alpzeit. Der Wäärchmaa n muß, soweit er das allein oder mit allfälligen Gehülfen zu besorgen vermag, Zäune in Ordnung halten, beschädigte Grenzmauern herstellen ( mụụren), und ganz besonders den Raum um die Hütten sauber halten. Wo Zeit und Kraft nicht langen, müssen eben die B’setzer behülflich sein. Diese Aushülfe ist genau geordnet und zwar in jeder Bergschaft auf eigene Weise; z. B. a n Scheitegg wie folgt. So manche Chïeh B’satz einer auf der Alp hat, so manche Traglast (in der Regel e n Mistbränta volli) Dünger ( B’satzmist) muß einer aus dem Läger weg auf die offene Weide hinaus fï̦̆rhi tragen. Kurz gesagt: so meṇgi Chïeh, so meṇgi Fĕrt. Die Bsetzer verrichten ihren Tagwaan unter Arbeitsanweisung der Wäärchmannen, während die Pfander die Kontrolle üben. Für ihre Arbeit erhalten die Wärchmannen einen Lohn in bar und obendrein von jedem Zị̈ị̈gli (Senntum) einen Zĭ̦gerstock als Trinkgeld. Auch bewohnen sie unentgeltlich eine G’meindshï̦tta im Läger und verwahren in dem ihnen angewiesenen Speicher ihre Geisspịịs ( S. 384).
Verschieden sind auf den verschiedenen Alpen auch die Bußen für versäumte Pflichterfüllung der B’setzer geordnet. Jedenfalls fließen diese immer in eine besondere Kasse, aus welcher man den Sommer über notwendige oder wünschenswerte Arbeiten ausführt: im Taglohn eppḁs Gälds verwärhed. Scheidegg zieht obendrein bei der Rechnungslegung von jeder Kuh dreißig Rappen Wäärchgäld ein.
Zur Anordnung und Beaufsichtigung all der genannten Arbeiten wählt jede B’setzerschaft aus ihrer Mitte allsommerlich zwei Pfander («Alpvögte», «Bergvögte»). Dieselben amten meist auch als B’setzerkassiere usw. An Itramen ist die ökonomische Verwaltung Sache des Bsatzpfanders, der im Tale bleiben darf; der andere dagegen soll als Haagpfander selber alpen und die Tagwanna regieren. Ein Pfander 325 (« phander») 9 erscheint bereits 1364 als Bannwart des Klosters Interlaken; daneben ein Pfẹnter (« phender»), welcher die Verletzer fremden Eigentums pfẹnten (« phenden») soll. 10 Obwohl nun beide Ausdrücke zur nämlichen Wortsippe von «Pfand» gehören und offenbar «Pfẹnter» von dem bereits im Familiennamen versteinerten «Pfander» abgezweigt ist, erscheinen schon 1364 beide Titel differenziert. Der «Pfander» nimmt sich aus wie der Anordner, der «Pfenter» wie der Vollzieher der Pfändung, und diese Auffassung bestätigt noch der Grindelwaldner Taleinungsbrief von 1883. Nach dessen § 18 haben die Pfander dafür zu sorgen, daß unberechtigt weidendes Vieh innert achtundvierzig Stunden von der Alp entfernt und im geordneten Pfandstall verpflegt werde. I’ n Pfandfärrichen am Männlichen hielt man verlaufenes Lauterbrunnervieh gefangen. Für solche Verpflegung und für das Abtreiben, sowie für die Buße (achtzig Franken für jede Chïeh) haftet das gepfändete Vieh. Sowohl der Eigentümer desselben, wie auch das Publikum ist vom Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Jener erhält sein Vieh zurück, wenn er 326 sich sowohl mit der geschädigten Partei, wie wegen der Fütterung im Pfandstall mit dem Pfẹnter abgefunden hat. Diese Pfenter werden seit 1898 nicht mehr von den Bergschaften für sich angestellt, sondern tălschäftlich (d. h. seitens der Einwohnergemeinde Grindelwald) durch drei Flurhüter ersetzt. Die Funktion derselben beschränkt sich auf diejenigen Fluren, deren Huetschaft durch ịịngään, d. h. durch «Eingabe» der Bewerbung um solche unter Entrichtung eines Frankens Huetgäld auf der Gemeindschreiberei, erworben worden ist. Diese Neuerung wurde veranlaßt durch Bosheiten, um derentwillen niemand mehr ein Pfẹnter alten Schlages sein wollte. Es kam nämlich vor, daß Eigentümer gepfändeter Schafe und Ziegen, welche in größeren Truppen nach dem oft weit entfernten Pfandstall abgeführt wurden, mit Bengeln nach den eigenen Tieren warfen, um die ganze Schar zu versprẹnggen und die Not des Pfenters zur Anhandnahme des Eigentums zu benutzen.
Aus dem Kapitel über « das Gehege» geht hervor, daß selten Kühe, um so häufiger dagegen Schafe und ganz besonders Ziegen zu solchen Grenzverächtern gehören. Auf außerordentliche Höhen ( S. 347), wo jeder Begriff der Gemarkung fehlt, steigen die Wollträger und ihnen nach wenigstens zeitweilig der Schafhirt. In fast ebenso hohe Reviere folgt der Geishirt seinen Ziegen und kann unmöglich seine zersä̆d’rete n Trüppchen immer miteinander überwachen. Wie viel gibt ihn nur schon seine — wenn auch noch so primitive — Selbstverpflegung zu tun! An den furchtbar steilen und gefährlichen Halden der nämlichen Bä̆nisegg, deren untere Partien ein halbes Dorado heißen dürfen, wohnte ehemals in elender Hütte der Schaf- und Ziegenhirt und trug das Holz zur Bereitung seines Ziegenkäses von der Bohne̥rren her zwei Stunden weit über den Gletscher. 11 Etwas bequemere Wohnung bietet die von einer Balm geschützte Schäferhütte am Zäsenberg. 12
Gleichwohl bietet das Leben eines Geisbuebs 13 noch heute wie zu Kuhns Zeiten viel des Anziehenden. So viel, daß ein heller, junger Kopf auf Mürren mit Humor von seinem Vater erzählte, wie energisch derselbe die ihm zugedachte Laufbahn eines Lehrers von der Hand gewiesen habe: Neei, bi’m Tonnder wollt i ch lieber Geishirt sii n, wa n Schuelmeister! Schon die zuweilen verhältnismäßig ansehnliche — und jedenfalls immer in éinem Barsümmchen ausbezahlte — Entlöhnung konnte das Zünglein der Waage zugunsten des Ziegenhirten ausschlagen lassen. Zudem findet der Prototyp des Krummstabs 327 für Aufbesserungsbedürfnisse bisweilen ebensoviel Verständnis als das Schulzepter. Dreihundert Franken als fixe Summe auf Mürren oder auch nur Franken 242.25 im Sommer 1905 für die nach der Stückzahl verdingte Ziegenschar an Bachalp gäben zwar kleine «Quartalzapfen», dürfen aber immerhin mit den «hundert» 14 Franken des Bäniseggschäfers für 1776 sich vergleichen. Noch interessanter drängen die Unterschiede sich in der Laufbahn des Itramer Geishirten Moser zusammen. Als Schafhirt über dem Eismeer bezog dieser 1851 fịịf Chrooni (18 Franken) und unter der Bedingung guter Aufführung - e̥s Păr Schueh. In den Jahren 1853 und 54 stieg er auf sieben, ja 1855 und 1856 auf vierzä̆he n Chrooni oder zweimal fịịfu ndzwenz’g Fränkleni. Die Jahre 1857-65 brachten eine Aufrundung auf hundert Franken neuer Währung. 1866-70 zahlte man ihm für die Ziege drii Batzen 15 (45 Rappen), von da an aber zwei Franken. Allein, fügte der noch jetzt außerordentlich stramme und behend wie ein Gemsjäger steigende Siebziger bei, das wenige Geld langte früher beinahe so weit wie heute das mehrfache; warum? mu̦ hed 328 Sëërger 16 ghä̆ben. Solche Kunst des Auskommens mit wenigem setzt freilich alle die Intelligenz voraus, die man von richtigen Geisbuebne n ja auch zu erwarten gewohnt ist. Wie durchgehend der Geisbueb als geweckt und schlagfertig gilt, zeigt gerade das Ausnahns- Mĭ̦sterli von jenem Verschüchterten, der dem Eigner eines verunglückten Tiere zu berichten kam: Der Geisbock ist g’hịjd. «Hed’s mu̦ newwḁs ’taan?» Neei. «Was hed er deen n?» Es Hĭ̦ri aab, und es Eigi 17 ụsa, un d de nn no ch tood!
Dem rechten Geisbueb kann kein Stück seiner noch so zahlreichen Herde auf längere Zeit entgehen. Alle kennt er, wenn auch nimmer mit Namen, so doch an ihrem Aussehen und ihrem Gehaben. An jeder Stelle, wo die vorwärtsgetriebene Herde sich zerstreuen könnte, überfliegt sein Auge zählend die Schar, oder er achtet besonders auf die Tiere, welche er als die zügellosesten kennt. Auch diese behält er wenigstens in so großer Gewalt, daß sie bei jedem seiner virtuosen Pfiffe nach ihm zurückschauen und nach seinem gebieterischen Wink die künftige Wegrichtung einschlagen. Im übrigen gleicht seine Intelligenz oft der latenten Wärme. Zum Musterschüler von vornherein verdorben, ist er dafür nach Kopf und Herz eine Art Geißenpeter, wie Johanna Spyri 18 ihn mit meisterhafter Seelenkunde gezeichnet hat. Eine zähe, lange nicht sich öffnende Knospe, aus der dann aber allerlei werden kann. Ein wackerer Geselle in Krieg und Frieden wird aus jenem im «Gletschermann» 19 abgebildeten Geißbuben, der in mörderischem, aber unerschrockenem Kampfe mit den alten Räubern seiner Zicklein junge Steinadler aus dem Horste nimmt. Einen waghalsigen Führer und Jäger kann es geben aus diesem schĭ̦digen (flinken) Wildfang, vor dem nichts sicher ist; der die höchsten und glattesten Bäume nach Vögeln erklettert und täglich na ch Ei chhŏrne n răgled; der jung Fï̦x ụụsnimmd und die Wochenbetten der Gemsen kennt, wohl gar ein junges Kitzchen unter zärtlichsten Liebkosungen nach seiner Hütte trägt, um es natürlich unter ebenso liebevoller wie grundfalscher Behandlung zugrunde gehen zu lassen. Zum ganz anders gearteten Gemsjäger und zum erstklassigen Führer bringt es dieser schweigsame Bursche; zu einem Thomas Platter vielleicht der Konfirmand, der eben jetzt eindringend ein Steinhummelnest studiert. Oder seine Handfertigkeit und Erfindungsgabe macht ihn zu einem Ebenbilde jenes Christian Fischer, der aus einem Ziegenhirten am Gießbach zum Begründer der berühmten Brienzer Schnitzlerei geworden ist. Das 329 Studium des lebenden Geißfußes führte ihn zur Erfindung des danach benannten Instruments, mit dem er so Großes leistete. 20
Viel Gemeinsames hat mit dem Geisbueb der Chïehbueh, Trịịbbueb, Zuehitrịịber, von welchem schon öfters die Rede war. Als freiwilliger Alpgast auf kürzere Zeit, oder als mit zwanzig bis siebzig Franken entlöhnter Ausnutzer seiner langen Schulferien trịịbd er zuehi ( S. 322) und zeigt wo nötig dem auf die Weide ziehenden Vieh den richtigen Weg. Er geid’s Veh gan erchehrren — wie einen auf Irrwegen wandelnden oder in Irrtümern befangenen Menschen das Leben und die Tatsachen «vor ume n bringe n», so daß er schließlich bekennt: das hed mi ch erchehrd! Mühevoll und verdrießlich ist mitunter seine Arbeit. Dafür entschädigt er sich tagsüber in freien Stunden, wo keine dringende Zwischenarbeit ( S. 284) ruft, mit heiteren Allotria. Das boimstellen oder uf den Grind stahn, das Schlagen von Purzelbäumen ( d’Schï̦ßla welpen) auf dem schwellend weichen Rasen u. dgl. zählt dabei nicht unter die minderwertigsten Leibesübungen.
Die Weitläufigkeit der Rindviehweiden ( S. 311) erschwert begreiflich hier ein eigentliche verhï̦eten 21 (hüten, wie man auch pflege- und aufsichtsbedürftige Menschen groß und klein verhïeted oder goimd) — so angelegentlich auch ein Alpkenner wie Schatzmann im Interesse rationeller Wirtschaft darauf drang. Es ist alles, daß man an eines Anstößers Gut vorüber auf Vorsaß und Alp mid der Trịịbrueten oder nach älterer Sprache mit ’trĭ̦bener Rueten 22 («mit guther Hirrtschaft und thribner ruthenn» 1557) 23 fährt. Zur Zeit der Pferdezucht und Pferdeweide dagegen mußte man wenigstens «den Rossen Hirtschaft geben» (1559) oder um dieser Tiere willen eine Alp «behirtschaften». Weiter reichte auch damals das Zusammengehen vom «Fuß des Viehes und vom Auge des Hirten» 24 nicht, und unter Hirt verstund man von jeher lediglich den Schaf- und Ziegenhirten.
Um so geläufiger ist der wirklichen Umgangssprache der Hirter. So nennt man aber den Besorger eines ihm anvertrauten Viehstandes im Stall (den Chïehdräckträppe̥ller in gelegentlicher humoristischer Selbstpersiflage). Das alte Stammwort ist also überwuchert von der Ableitung aus dem Verbum hirten. Mit diesem meint man im Oberland so viel wie das Vieh — besonders im Stalle — besorgen; irgend 330 ein Glied der Familie geid găn hirten am Morgen und Abend. Im erweiterten Sinn ist hirten so viel wie ein Hirtenleben führen, 25 im verengten Sinn: füttern. Man füttert oder hirted dann aber nicht bloß Stallvieh, sondern ebenso einerseits z. B. Bienen, anderseits sogar Kinder. Ja der Guttanner wendet das Wort neutral und läßt den Säugling selber gut oder schlecht «hirten». Der Grindelwalder hinwieder sagt von einem, der zu viel von der «Milch der Greise» in den Leib bekommen hat, und für welchen infolge dessen auch die breiteste Landstraße zu schmal geworden ist, weil er einen Tä̆gel hat: Där ist aber ei ns g’hirteta gsịịn! Kinder, die gehörig essen, sind denn auch ebenso hirtigi Chind, wie eine Kuh, die gern und viel frißt, es hirtigs Chueli ist. 26 Was letzteres bedeutet, wird man besonders inne, wenn man ịịnhirted: im Winter oder auch bei sommerlicher Schneeflucht das Vieh in den Stall nimmt und dort besorgt. Das muß bei einem reichen Bauer in zwei oder drei Hirteten geschehen, wovon etwa eine die gaalt Hirte̥ta (die des Galtviehs) ausmacht.
Außer dem Hirt oder Hirter kannte die Mundart bis vor einiger Zeit noch den Schweiger (Käser; vgl. den Namen «Chunrat Sweiger» 1347 27 und den Schweigerhŭbel an Itramen, der zu gelegentlicher Kurzweil der Sennen gedient haben wird). Andere Bezeichnungen dagegen wie «Chüejer» und «Senn» sind bloß sporadisch aus andern Dialektkreisen nach Grindelwald gedrungen. So wenig übrigens wie an diesen haftet auch an den einheimischen Benennungen der Charakter eines Berufstitels. Natürlich! Wo so vorherrschend die Alpwirtschaft zu Hause ist und auch der beruflich gebildete Sohn des Hauses an dessen Bauerngeschäften Anteil nimmt, ja selbst der in weiter Ferne verheiratete Staatsdiener seine Ferien als Älper in der väterlichen Familie verbringt, da sind «Hirt» und «Älper» und «Schweiger» usw. keine Berufsnamen, die sich einem «Schmied» und «Schneider» gegenüberstellen würden. Wie wenig seinerseits der Handwerker im exklusiven Sinn des Unterlandes etwa gar als «Arbeiter» dem «Agrarier» sich gegenüberstellt, zeigt der Abschnitt über « Hausarbeit»; wie trefflich auch Gastwirt und Landwirt in der einen und selben Person und Familie sich vertragen, lehrt alle Tage der Augenschein. Und mit der nämlichen Eleganz tragen die geschätztesten Führer jetzt den Tụtel, jetzt den Rucksack, schlingen sich um die Schulter bald das Hewseil und bald das Gletscherseil, handhaben heute noch, die Sä̆gisa und 331 morgen den Gletscherpickel. Sie wissen es und können es die Jungen lehren, wie verhängnisvoll im Oberland der Zug nach der Straße sich dem Zug nach der Stadt des Flachlandes zur Seite stellen würde. Den Landmann haben bisher die Wechselfälle des Natur- und darauf gegründeten Menschenlebens vor der Irr- und Mißrechnung mit den Schätzen goldener Berge bewahrt und den Satz gelehrt: Der Mensch hed d’s Lä̆ben ni̦d g’choïfds u nd d’s Glï̦ck nĭ̦d g’choïfds, u nd Sichers chan n U nsichers wärden. Dafür aber auch ist noch immer das Land 28 dem Menschen gut, wenn der Mensch dem Lande gut ist.
1
Stat. 02, 2, 416; vgl. die 159 Frauen, 7 Männer und 144 Kinder:
Lötsch 77.
2
Vgl. SdB. 1904, 189.
3
Vgl. der
gateilo, geteile, Teilgenosse.
4
Regl. § 23.
5
Fankh. 53.
6
Stalder 2, 258; Blumer im Arch. f. schwz. Gesch. 3, 58.
7
«Die Bedeutung scheint von einer alten Einteilung der Hörigen herzustammen, nach welcher sie die schuldigen Tagewerke zu leisten hatten.» (Blumer.) Der zweite Wortteil wird zu
winnan = sich in Schmerz und Entbehrung abmühen (und damit etwas «gewinnen») gestellt (
Graff 1, 875;
mhd. WB. 3, 709; Schmeller 4, 80). Der Tagwan war also zunächst die Fronarbeit eines Tages. Sodann bedeutete er auch das Acker- und Wiesenmaß einer solchen (
Habsb. 1, 359; 2
b, 292); vgl. die Juchart (
jugerum) und das seeländische
Mammert = Mannwerk im Rebgelände.
8
Vgl.
Lf. 83-86.
9
Font. 8, 600.
10
Pfenten, g’schenten, wenten, blenten, verderpen, welpen, liggen u. dgl. sind «
jan-Verben», deren ahd. oder vor-ahd.
dj, bj, gj (z. B. in
lig-jan), sich zu
t, p, gg assimilierte. Wir sehen also aus afz.
pan (Weggenommenes:
Kluge 282) ein niederdtsch.
pan, ein hochdtsch.
Pfand, ein grindelwaldnisches
pfenten und
Pfenter hervorgehen.
11
Reise 2, 20.
12
Rohrdorf 28.
13
Kuhns Geißbub:
AR. 1820, 232 ff. und
Osenbr. 6, 95-98; ebd. 91-95; Arthur Bitter in
AR. 1866;
Tschudi 519 f.;
And. 811 ff.;
Fankh. 33 ff.;
Keller 58.
14
Wyß 674 nach Wyttenbach. Genaue Sachkenner finden freilich diese Summe als für jene Zeit viel zu hoch gegriffen. Ist eine Null zu streichen?
15
In der Zählung spricht auch der Grindelwaldner etwa von
Batzen; die gute Einzahl aber lautet
der Bätzen, entsprechend der Herkunft von «Meister Petz», dem aufgeprägten Bären der alten Bernerbatzen. (Vgl. Jakob Grimm in seinem Wörterbuch.)
16
Eine auch emmentalische Steigerung dieses Substantivs, herübergenommen aus der Schwebe zwischen Dingwort und Beiwort wie in: es ist der
nützer! (Vgl. «der Nutz»
S. 248.)
17
«Äuglein» in kindischer Sprache.
18
Im Heidi.
19
76.
20
Pfr. Baumgartner in Bern. Biographien I, 382 ff;
von Tav. 111; Dr. Mühlemann in
Alpz. Mai 1906, 108. Vgl. damit Kehrli, den Pfadfinder zum Gießbach (in den Bern. Biogr. I.
21
Einfaches «hüten» ist eben in alter Sprache allgemein aufmerken, hinsehen, sehen.
22
Passiv- und Aktiv-Funktion der Partizipien noch unausgeschieden wie in «fahrende Habe»,
«ug’gässna furt gaan» u. dgl.
23
Moos.
24
Schatzmann, Alpwirtschaft 1863, IV; separat: Aarau, 1863.
25
JG. Sintram 69;
Wyß 625 usw.
26
Vgl. auch das «unhirtige Trinken» auf einem Gefährt mut unruhigen Pferden:
JG. Käs. 215. «Unhirtigi Chind»: Schuldb. 149.
27
Font. 7, 263.
28
Auch (und erst recht) in diesem Sinne gilt Cäsars Zuruf an die alten Helvetier den Schweizern des 20. Jahrhunderts.
(Kerbschnitt ca. 18. Jahrh.)