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Die Begeisterung hatte Miltoun noch nicht verlassen. Sein blasses Antlitz war erhitzt, aus seinen Augen leuchtete etwas wie Schönheit; und Audrey Noel, die besser als die meisten Frauen lesen konnte, was hinter einem Antlitz vorging, sah diese Augen mit dem Entzücken einer Motte, die einer Lampe entgegenflattert. Aber mit ganz gefaßter Stimme sagte sie: »So kommen Sie also doch zum Frühstück! Wie lieb von Ihnen!«
Miltoun war nicht der Mann, bei einem Angriff Formalitäten zu beobachten. Hätte er ein Duell auszutragen gehabt, so wäre es ohne jede Einleitung abgegangen – nur ein Blick, eine Verbeugung, und die Degen gekreuzt. So ging er auch vor bei dieser seiner ersten Begegnung mit der Seele eines Weibes!
Er setzte sich nicht hin und ließ auch sie nicht Platz nehmen, sondern blieb vor ihr stehen, sah ihr unverwandt ins Gesicht und sagte:
»Ich liebe dich.«
Nun, da es mit dieser überraschenden Schnelligkeit gekommen war, blieb sie seltsam ruhig und ohne Schuldbewußtsein. Die erhebende Gewißheit, daß sie geliebt werde, wirkte wie ein Zauber, der alles Bangen verdrängte, es in Wonne wandelte. Da nichts mehr ihr dies Bewußtsein rauben konnte, schien es ihr, daß sie sich nie wieder ganz unglücklich fühlen könnte. Auch regte sich in ihrer Natur, die so ganz voller Hingabe einzig und allein nur die Wichtigkeit der Liebe zu empfinden vermochte, ein verborgenes Gefühl der Sicherheit, des Triumphs. Er liebte sie also wirklich! Und sie ihn! Und wie sehr! Aber plötzlich von Furcht ergriffen, daß er seine Worte wieder zurücknehmen könnte, legte sie ihre Hand auf seine Brust und sagte:
»Und ich liebe dich.«
Sich von seinen Armen umschlungen fühlen – die Kraft und Leidenschaft dieses Augenblicks war so furchtbar süß, daß sie alles vergaß und nur zu ihm emporsah, mit geöffneten Lippen und mit Augen, die von der Tiefe ihrer Liebe ganz dunkel waren; nie hätte er sich träumen lassen, daß Augen so dunkel sein könnten. Die Trunkenheit seiner eigenen Empfindungen ließ ihn keine Worte finden. Und sie standen da, so beinander versunken, daß sie alles Irdische vergaßen. Es war ganz still im Zimmer; die Rosen und Nelken in der Glasschale ließen, als wüßten sie, daß ihre Herrin im Himmel schwebte, heimlich ihren Duft ausströmen und füllten damit jedes Atom der leergewordenen Luft; auch kreiste ums Haupt der Liebenden eine summende Biene, wohl vom Honig in ihren Herzen angelockt.
Es ist gesagt worden, daß Miltouns Antlitz nicht unschön war; Audrey Noel erschien er in diesem Augenblick, da seine Augen den ihren so nahe waren und seine Lippen sie berührten, wie verklärt und wie das Symbol aller Schönheit. Und sie, mit ihrem ihm rasch entgegenpochenden Herzen, ihren vor Verzückung halb geschlossenen Augen und ihrem Haar, dessen Duft Bewunderung heischte, mit den vor Aufregung ganz bleichen Wangen und den Armen, denen das Glück die Kraft geraubt, ihn zu umschlingen – sie erschien ihm wie die Verkörperung des Weibes, das sich sonst nur im Traume offenbart.
So verstrich jener Augenblick.
Die Biene machte ihm ein Ende, denn ungeduldig über die Blumen, die ihren Honig so tief bargen, verfing sie sich in Audreys Haar. Und als Audrey merkte, daß er die Worte, vor denen sie solche Angst empfand, auf den Lippen hatte, versuchte sie, diese Worte mit Küssen zurückzudrängen. Doch sie kamen: »Wann willst du mich heiraten?«
Alles um sie her begann ein wenig zu schwanken. Und wie mit einem Schlag stand Audrey ihre ganze Lage vor Augen. Mit übernatürlicher Schärfe sah sie alle ihre Einzelheiten. Etwas, das er eines Tages gesagt hatte, als die Rede auf die kirchliche Auffassung der Ehe und Scheidung gekommen war, ließ alles in neuem Licht erscheinen. Er kannte also ihre Geschichte doch nicht! In diesem Augenblick, da ihre Kräfte sie zu verlassen drohten, bewahrte sie nur ihr Sinn für Humor, nur ihr Zynismus vor einer Ohnmacht. Die Zungen der Leute, die sie nicht in Ruhe lassen wollten, hatten sie auch noch zur geschiedenen Frau gemacht, und er hatte ihnen geglaubt! Und um der Ironie die Krone aufzusetzen, wollte er sie heiraten, wo sie sich so ganz, so unverbrüchlich ihm zu eigen fühlte, daß er ohne Formalitäten und Zeremonien mit ihr nach Belieben schalten konnte! Ein überwältigendes Gefühl der Bitternis gegen den Mann, der zwischen ihr und Miltoun stand, ließ sie fast aufschreien. Jener Mann hatte sie erobert, noch ehe sie die Welt oder ihre eigene Seele gekannt hatte, und sie war an ihn gebunden, bis er durch irgend einen erlösenden Zufall den letzten Atemzug tat – wenn vielleicht ihr Haar bereits ergraut war, und in ihren Augen kein Liebeslicht mehr schien, und ihre Wangen von Küssen nicht mehr erblaßten; wenn Zwielicht herabsank, und Blumen und Bienen sich nicht mehr um sie kümmerten.
Dies Gefühl war es, die plötzliche Auflehnung der verzweifelten Gefangenen, das ihr die Kraft gab, die Zeitung zu ergreifen und sie Miltoun hinzuhalten.
Nachdem er den kurzen Abschnitt gelesen hatte, folgte eine jener Ewigkeiten, die vielleicht zwei Minuten währen.
Dann sagte er:
»Es ist wohl wahr?« Und als sie schwieg, fügte er hinzu: »Schade!«
Dieses sonderbare, trockene Wort war um so viel entsetzlicher als jeder Aufschrei, daß sie starr stehen blieb, die Augen noch immer auf Miltoun gerichtet, und selbst der Atem ihr versagte.
Das Lächeln des alten Kardinals war in sein Antlitz getreten und dünkte ihr eine lebendige Anklage. Seltsam schien es, daß das Gesumme der Bienen und Fliegen und das sanfte Rauschen der Linde draußen nicht innehielten, als wollten sie dadurch bekräftigen, daß abseits von ihr, ohne Mitgefühl für ihre Leiden, die Welt atmete und sich bewegte. Dann gewann sie wieder ein wenig ihren Mut zurück und damit ihre stumme Frauenmacht. Sie prägte sich in ihrem ganz stillen Gesicht aus, in den empfindsamen und eingezogenen Lippen, in den dunkeln, fast rebellischen Augen unter den geschwungenen Brauen. Sie stand da und zog ihn durch ihr Schweigen und ihre Schönheit an.
Endlich sagte er: »Es scheint, ich habe mich furchtbar geirrt. Ich dachte, du wärest frei.«
Ihre Lippen öffneten sich gerade nur, um die Worte zu äußern: »Ich glaubte, du wüßtest es. Ich hatte ja keine Ahnung, daß du mich heiraten wolltest.«
Es erschien ihr natürlich, daß er nur an sich dachte, doch mit dem feinsten Instinkt der Selbstverteidigung hielt sie ihm ihre eigene Tragödie vor Augen.
»Wahrscheinlich hatte ich mich schon zu sehr an den Gedanken gewöhnt, daß ich tot sei.«
»Kannst du nie mehr frei werden?«
»Nie. Keiner von uns beiden hat die Ehe gebrochen; zudem ist die Ehe für ihn ewig.«
»Allmächtiger Gott!«
Sie hatte sein Lächeln, das ohne seine Absicht grausam gewesen war, ersterben lassen; und mit einem Lächeln ihrerseits, das ebenfalls grausam war, sagte sie:
»Ich wußte nicht, daß du glaubtest, ich könnte je frei werden.«
Und als hätte sie mit diesem Dolchstich sich selbst getroffen, flog ein Beben über ihr Gesicht.
Da sah er sie an und merkte endlich, wie sehr sie litt. Und sie fühlte, wie er sich mit aller Gewalt zurückhielt, sie wieder in die Arme zu schließen. Als sie das gewahrte, stahl sich die Wärme wieder in ihre Lippen zurück und ein mattes Licht in ihre Augen, die sie von ihm abgewendet hielt. Obwohl sie so stolz und ruhig dastand, ging eine geheime Kraft von ihr aus wie von einem Magneten, und Miltouns Antlitz, Hände und Arme zuckten, als wäre er gelähmt. Dieser stumme, jammervolle Kampf schien nicht enden zu wollen in dem kleinen, weißen Zimmer, das von dem Strohdach der Veranda verdunkelt und vom Duft der Nelken und eines gerade irgendwo draußen angezündeten Holzfeuers erfüllt war. Dann wandte er sich um, ohne ein Wort zu sagen, und schritt hinaus. Sie hörte die Gartentür zufallen. Er war fort.