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Zweiundzwanzigstes Kapitel

In der Halle erhob sich ein Herr von einem Sofa und ging auf ihn zu. Es war Courtier.

»Endlich habe ich Sie gestellt,« sagte er. »Wollen Sie nicht mit mir dinieren? Morgen abends verlasse ich England, und ich möchte noch einiges mit Ihnen besprechen.«

Miltoun schoß der Gedanke durch den Kopf: ›Weiß er etwas?‹ Er willigte indessen ein, und sie gingen hinaus.

»Es ist schwer, einen ruhigen Ort zu finden,« sagte Courtier, »aber vielleicht treten wir hier ein.«

Es war ein kleines Restaurant, in dem Rennbesucher verkehrten, und das wegen seiner ausgezeichneten Steaks berühmt war. Und wie sie sich in dem fast leeren Zimmer einander gegenüber setzten, dachte Miltoun: ›Ja, er weiß es! Kann ich das noch aushalten?‹ Fast wütend wartete er auf den Angriff, den er kommen fühlte.

»Sie werden also Ihr Mandat im Parlament niederlegen?« fragte Courtier.

Miltoun sah ihn einige Sekunden lang an, ehe er entgegnete: »Welcher Wind hat Ihnen das zugeblasen?«

Aus Courtiers Antlitz sprach jedoch etwas, das seinem Zorn Einhalt tat; seine Güte war fühlbar.

»Ich bin wohl Audreys einziger Freund,« fuhr Courtier ernsthaft fort, »und dies ist meine letzte Möglichkeit – und Sie können mir glauben, daß auch mein Gefühl für Sie sehr herzlich ist.«

»Bitte fahren Sie fort!« murmelte Miltoun.

»Verzeihen Sie, wenn ich es gerade heraus sage: Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie ihre Lage war, ehe sie Ihre Bekanntschaft machte?«

Miltoun fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß, aber er rührte sich nicht und preßte nur seine Nägel in die Handflächen.

»Ja, ja,« sagte Courtier, »aber dieser Standpunkt – den auch Sie früher einnahmen –: daß eine Frau sich lebendig begraben müsse oder geistigen Ehebruch begehen, empört mich. Sie können nicht leugnen, daß nur zwei Alternativen bestanden, und ich gebe ja zu, daß Sie grundsätzlich das Recht hatten, dagegen zu protestieren, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Sie haben protestiert, ich weiß es, aber Ihr augenblicklicher Entschluß ist ein Rückschritt; Sie sagen damit gewissermaßen, daß Ihr Protest unrichtig war.«

Miltoun erhob sich von seinem Stuhl. »Ich kann nicht darüber sprechen,« sagte er.

»Sie müssen, um Audreys willen. Wenn Sie Ihr Mandat aufgeben, verderben Sie ihr Leben ein zweites Mal.«

Miltoun nahm wieder Platz. Bei dem Wort ›müssen‹ kam ihm eine eiserne Ruhe zu Hilfe; seine Augen bekamen Ähnlichkeit mit denen des alten Kardinals. »Ihre Natur und die meine, Courtier,« sagte er, »sind gar zu verschieden; wir werden einander nie verstehen.«

»Das tut nichts zur Sache,« entgegnete Courtier. »Zugegeben, daß diese beiden Alternativen schrecklich sind, was Sie doch niemals eingestanden hätten, bevor Sie es am eigenen Leibe erfahren hatten –«

»Sie haben kein Recht, so etwas zu behaupten,« sagte Miltoun eisig.

»Einerlei, Sie geben es zu. Wenn Sie meinen, daß Sie nicht das Recht hatten, die Frau zu retten, mit welchem Grundsatz rechtfertigen Sie dann diese Meinung?«

Miltoun stemmte den Ellbogen auf den Tisch, stützte das Kinn in die Hand und betrachtete den Kämpen der verlorenen Sache, ohne ein Wort zu sagen. Alles in ihm war in Aufruhr, so daß die Lippen ihm beim Sprechen fast den Dienst versagten.

»Mit welchem Recht fragen Sie mich das?« sagte er schließlich. Er sah, wie Courtiers Gesicht hochrot wurde und seine Finger wild die Schnurrbartenden zwirbelten, die wie zwei Flammen waren; doch seine Antwort war genau so ruhig-ironisch wie gewöhnlich.

»Nun, ich kann an meinem letzten Abend in England doch nicht stillsitzen und keinen Finger rühren, während Sie eine Frau opfern, für die ich wie ein Bruder fühle. Ich will Ihnen Ihren Grundsatz sagen: Der Autorität, ob gerecht oder ungerecht, wünschenswert oder nicht, muß unbedingt gehorcht werden. Ein Gesetz brechen, ganz gleichgültig, unter welchem Zwang und für wen, hieße das Gebot –«

»Sprechen Sie's nur aus: das Gebot Gottes übertreten.«

»– einer unfehlbaren, ewigen Macht. Ist diese Definition Ihrer Weltanschauung richtig?«

»Ja,« stieß Miltoun zwischen den Zähnen hervor, »ich glaube.«

»Ausnahmen bestätigen die Regel.«

»Schwere Fälle machen das Gesetz schlecht.«

Courtier lächelte: »Ich habe gewußt, daß Sie damit kommen würden. Ich leugne, daß das bei diesem Gesetz, das ganz hinter der Zeit zurück ist, erst gezeigt werden muß. Sie hatten das Recht, diese Frau zu retten.«

»Nein, Courtier, wenn wir kämpfen müssen, wollen wir die Tatsachen nicht verschleiern. Ich habe niemanden gerettet. Ich habe nur gestohlen, um nicht zu verhungern. Deshalb kann ich nicht weiter so tun, als ob ich ein Vorbild wäre. Wenn es bekannt würde, könnte ich mein Mandat nicht eine Stunde länger behalten; ich kann nicht aus diesem zufälligen Geheimnis Vorteil ziehen! Könnten Sie das?«

Courtier schwieg; und Miltoun durchbohrte ihn mit seinen Blicken, als wollte er ihn ermorden.

»Ich könnte es,« sagte Courtier schließlich. »Wenn dieses Gesetz Menschen, die ihren Ehepartner hassen, geistigen Ehebruch aufzwingt und so die Heiligkeit der Ehe zerstört, eben die Heiligkeit, die es zu schützen vorgibt – dann kann man nichts anderes erwarten, als daß vernünftige Männer und Frauen es brechen, ohne deshalb ihre Selbstachtung zu verlieren.«

In Miltoun regte sich die tiefe Leidenschaft für spitzfindige Wortgefechte, die ihm so sehr im Blute lag. Er hatte fast das Gefühl dafür verloren, daß da über seine eigene Zukunft diskutiert wurde. Er sah in dem temperamentvollen Mann vor sich, dessen Augen und Stimme einen solch weißglühenden Blick und Klang hatten, die Verkörperung alles dessen, was ihm in innerster Seele verhaßt war.

»Das ist des Teufels Argument,« sagte er. »Ich gestehe keinem Menschen das Recht zu, im eigenen Falle Richter zu sein.«

»Aha! Jetzt kommen wir zum Kernpunkt der Sache. Übrigens, sollen wir nicht aus dieser Hitze flüchten?«

Kaum waren sie auf der kühlern Straße, als die Stimme Courtiers wieder anhob:

»Mißtrauen gegen die menschliche Natur, Angst – das ist die wahre Ursache, aus der Männer Ihres Schlages handeln. Sie leugnen das Recht des Individuums zu urteilen, weil Sie an das ursprünglich Gute im Menschen nicht glauben; im Herzen halten Sie ihn für schlecht. Sie geben dem Volk keine Freiheit. Sie erlauben ihm keine Selbstbestimmung, weil Sie glauben, daß seine Entscheidungen alles nur verschlechtern würden. Das ist ja der Grundunterschied zwischen der aristokratischen und der demokratischen Weltanschauung. Einmal haben Sie mir erzählt, daß Sie die Menge hassen und fürchten.«

Miltoun sah das ruhige, sanguinische Gesicht von der Seite an.

»Jawohl,« sagte er, »ich glaube fest daran, daß die Menschen emporgehoben werden können trotz ihrer schlechten Anlagen.«

»Sie sind ehrlich. Aber wem haben Sie Ihre Ehrlichkeit zu verdanken?«

Wieder fühlte Miltoun, wie die Wut ihn packte. Ein für allemal wollte er diesen rothaarigen Rebellen niederschlagen; er entgegnete mit beißender Ironie:

»Merkwürdigerweise jenem Wesen, dessen Erwähnung Sie nicht dulden – das durch das Medium der Besten wirkt.«

»Hoher Priester! Schauen Sie sich jenes Mädchen an, das dort dahinschleicht und zu uns herüberblickt. Wenn Sie einmal, anstatt Ihr Gewand zusammenzuraffen, hinübergingen, mit ihr sprächen und sie erzählen ließen, was sie wirklich fühlt und denkt, da könnten Sie Dinge hören, über die Sie staunen würden. Im Grunde ihres Herzens sind die Menschen wundervoll. Und sie werden emporgehoben durch das Streben, das in ihnen allen liegt. Haben Sie niemals bemerkt, daß die öffentliche Meinung dem Gesetze stets voraus ist?«

»Und Sie,« sagte Miltoun, »sind der Mann, der niemals auf der Seite der Majorität steht!«

Der Kämpe der verlorenen Sache stieß ein kurzes Lachen aus.

»So logisch denke ich gar nicht,« erwiderte er. »Noch immer bläst der Wind, und das Leben ist keine Reihe von Paragraphen, die in einem Büro hängen. Wo sind wir eigentlich?« Sie wurden durch eine Menschengruppe aufgehalten, die auf der Straße vor der Queen's-Hall stand. »Sollen wir hineingehn, ein wenig Musik hören und unsere Zungen auskühlen lassen?«

Miltoun nickte, und sie traten ein.

Die große, erleuchtete Halle, vom bläulichen Rauch Hunderter von Zigaretten erfüllt, war vollgepfropft von Menschen.

Während Miltoun sich zwischen den Leuten, die Strohhüte trugen, einen Platz suchte, vernahm er die ruhige, ironische Stimme hinter sich:

»Profanum vulgus! Da sind sie nun gekommen, um eines der herrlichsten Musikstücke zu hören, das je geschrieben wurde! Leute, denen Sie keinen Augenblick zutrauen würden, daß sie entscheiden könnten, was gut für sie ist! Ein trostloser Anblick, nicht wahr?«

Miltoun gab keine Antwort. Die ersten langsamen Töne der Siebenten Symphonie von Beethoven schwebten leise über die Blumen, die das Podium umsäumten, heran; die Menge war totenstill geworden, nur der bläuliche Zigarettenrauch stieg ununterbrochen empor wie Weihrauch, dem Gott der Melodie geopfert. Jedes dieser bleichen Gesichter, wie vom gleichen Gedanken und Gefühl beseelt, neigte sich der Musik zu, die anschwoll und wieder abnahm wie die Seufzer des Windes, die die auferweckten Geister der Schönheit bewillkommnen.

Als die letzten Töne verklungen waren, wandte er sich um und ging hinaus.

»Nun,« sagte die Stimme hinter ihm, »hat Ihnen das nicht gezeigt, wie alle Dinge wachsen und anschwellen, wie herrlich doch die Welt ist?«

Miltoun lächelte.

»Es hat mir gezeigt, wie schön ein großer Mensch die Welt machen kann.«

Und plötzlich begann er die Worte nur so hervorzusprudeln, als hätte die Musik etwas in ihm gelöst:

»Courtier, schaun Sie sich die Menge in dieser Straße an, die man von allen Volksmassen in der Welt wohl noch am ehesten sich selbst überlassen kann; sicher vor Seuchen, vor Erdbeben, Stürmen, Dürre, vor zu großer Hitze und Kälte, mitten in der größten und sichersten Stadt der Welt. Und dennoch – betrachten Sie die Gestalt jenes Schutzmanns! Ungeachtet dieses guten Benehmens der Menge, wie frei und sicher sie auch wirkt, ist und muß immer eine zentrale Macht vorhanden sein, die alles zusammenhält. Wo kommt diese zentrale Macht her? Aus der Menge selbst, sagen Sie. Ich sage: nein. Denken Sie nur an den Ursprung der Staaten der Menschen. Vom ersten Tag an war der beste Mann das unbewußte Medium der Autorität, des kontrollierenden Prinzips, der göttlichen Macht. Er fühlte diese Macht in sich – physisch zuerst, er benützte sie, um die Führerschaft an sich zu reißen, und er hat die Führerschaft bis heute behalten, er muß sie immer behalten. Alle eure Wahlgeschäfte, euer sogenannter demokratischer Apparat, sind nur Täuschung für den Suchenden, ein Bissen für den Hungrigen, ein Linderungsmittelchen für den Stolz des Rebellen. Es ist alles nur ein oberflächliches Getue, es kann nicht verhindern, daß der beste Mann an die Spitze kommt. Denn der beste Mann steht der Gottheit am nächsten und ist der erste, der die Wellen empfindet, die von ihr kommen. Ich spreche nicht von Erblichkeit. Der beste Mann muß nicht notwendigerweise meiner Klasse angehören, und ich glaube keineswegs, daß er dort häufiger zu finden ist, als in andern Klassen.«

Er hielt genau so plötzlich inne, wie er begonnen hatte.

»Sie brauchen nicht zu fürchten,« entgegnete Courtier, »daß ich Sie für einen Durchschnittsmenschen halte. Sie stehen am einen Ende und ich am andern – und höchst wahrscheinlich sind wir beide gleich weit von der goldenen Mitte entfernt. Aber die Welt wird nicht durch Macht regiert und nicht durch die Furcht, die die Macht hervorruft, wie Sie glauben, sondern durch die Liebe. Die Gesellschaft wird zusammengehalten durch die natürliche Anständigkeit im Menschen, durch kameradschaftliches Gefühl. Das demokratische Prinzip, das Sie verachten, bedeutet im Grunde genommen gar nichts anderes. Wenn man den Menschen sich selbst überläßt, so strebt er nach oben. Können Sie auch nur für einen Augenblick glauben, daß sonst Ihre ›Männer in Blau‹ Ordnung halten könnten? Ein Mensch weiß im Herzen, was er tun darf und was nicht, ohne seine Selbstachtung zu verlieren. Mit jedem Atemzug saugt er dieses Wissen ein. Gesetze und Autorität sind nicht das Um und Auf, sie sind Übereinkommen, Maschinen, Leitungsröhren, Zufahrtsstraßen. Sie sind nicht das Gebäude selbst – sie sind nur das Gerüst.«

Miltoun erwiderte schlagfertig:

»Ohne das kein Haus gebaut werden könnte.«

Courtier parierte:

»Das ist aber etwas ganz anderes, mein Freund, als das Gerüst mit dem Bau zu identifizieren. Es gibt Dinge, die man wegräumen muß, sobald man sie nur entbehren kann, um Raum zu schaffen für ein Bauwerk, das auf der Erde beginnt, nicht im Himmel. Durch das Gerüstwerk des Gesetzes soll nur Zeit gespart werden, soll der Tempel, während er in die Höhe strebt, davor bewahrt bleiben, seine Formen und Richtlinien zu verlieren.«

»Nein,« sagte Miltoun, »nein! Das Gerüstwerk, wie Sie es nennen, ist der materielle Ausdruck der Idee des Architekten, ohne den kein Tempel sich erheben könnte. Und der Architekt ist Gott, der durch die Geister und Seelen derjenigen wirkt, die ihm am nächsten sind.«

»Jetzt haben wir den Angelpunkt gefunden,« rief Courtier. »Ihr Gott ist außerhalb der Welt, meiner ist drinnen!«

»›Und niemals werden die beiden einander begegnen!‹«

Bei dem Schweigen, das nun folgte, sah Miltoun, daß sie sie sich auf dem Leicester Square befanden, der jetzt, vor Theaterschluß, ganz ruhig dalag, ruhig und dennoch erwartungsvoll mit den Lichtern, die wie gelbe Sterne tief am dunkeln Himmel hingen und die weißen Umrisse der Varietés und Cafés beleuchteten, erfüllt von einem vibrierenden Glanz, der die Blätter der immer noch belaubten Platanen bleichte.

»›Eine blasse Buhlerin‹, dieser Platz!« sagte Courtier, »lebendig wie ein Antlitz und voll seltsamer Schönheit! Und bei Gott, wenn man tief genug eindringt, so wird man selbst hier das Gute finden.«

»Und das Laster – das übersehen Sie einfach!« entgegnete Miltoun.

Er fühlte sich plötzlich so müde, wollte nur nach Hause kommen, fühlte sich nicht mehr gestimmt, dieses Wortgefecht fortzusetzen, das ihm keinen Trost brachte. Mit seltsamer Gleichgültigkeit hörte er die Stimme noch immer sprechen:

»Diese Nacht müssen wir noch ausnützen und leben, denn morgen sind wir tot … Sie möchten sich die Erlaubnis von einer äußern Macht holen, ich aus meinem Innern. Wenn ich aufstehe und wenn ich zu Bett gehe, wenn ich einen Atemzug tue, wenn ich ein Gesicht, eine Blume oder einen Baum anschaue – wenn ich dann nicht fühlte, daß ich auf Gott schaue, dann, glaube ich, müßte ich allein schon aus Langeweile aus diesem Varieté davonlaufen. Sie können Ihren Gott nicht sehen, wenn Sie nicht in einem Heiligtum sind. Ist es nicht etwas einsam dort?«

Miltoun jedoch gab keine Antwort, so daß sie schweigend weitergingen, bis es plötzlich aus ihm hervorbrach:

»Sie sprechen von Tyrannei! Welche Tyrannei käme denn der Tyrannei Ihrer Freiheit gleich? Was in der Welt gleicht der Tyrannei dieser ›freien‹, gemeinen, engen Straße mit ihren unzähligen Zeitungen, mit ihrem Ameisengewimmel – und was wird durch sie erreicht? Im Innern eurer Freiheit, Courtier, ist weder Raum für Begeisterung, noch Disziplin, noch Opfer; dort ist nur Raum für Geschäfte und Zügellosigkeit.«

Einen Augenblick lang kam keine Antwort, und Miltoun kehrte sich von den erleuchteten Fenstern der hohen Häuser, zu denen gewandt er gesprochen hatte, nach der Themse.

»Nein,« sagte die Stimme, »trotz aller Laster bläst der Wind durch jene Straße, und alles Mögliche kann dort entstehen. Wahrhaftig, ich möchte lieber nur ein paar Sterne am schwarzen Himmel hervorkommen sehen als irgend eines eurer vollkommenen, künstlichen Lichter.«

Und plötzlich schien es Miltoun, daß er den Klang jener Stimme nie mehr loswerden könnte, jeder Versuch wäre zwecklos. »Wir wiederholen uns,« sagte er trocken.

Das dunkle Wasser sang im Licht des Halbmonds ein stilles Abendlied. Unter dem Mantel der Nacht schien das Chaos auf dem jenseitigen Ufer, die Formen der Krane, der hohen Gebäude, der Hafendämme, die schlafenden Kähne, Millionen von dunkeln, sonderbaren Gestalten wie lebendig. Alles war dort drüben weihevoll, alles schön, alles seltsam. Und über den Strom, den großen, stillen Freund der Menschen, warfen die Laternen, diese bescheidenen Blumen der Nacht, immerzu den leisen Glanz abgefallener Blütenblätter; und ein süßduftender Wind strich von Westen her, noch sehr langsam und ganz schwach, und brachte im voraus den zitternden Duft der unzähligen Bäume und Felder, die der Strom auf seinem Lauf geliebt hatte.

Ein Murmeln, das kein wirklicher Laut war, sondern nur wie das Flüstern von Herzen zu Herzen, begleitete die Wanderung des dunkeln Wassers.

Dann kam ein schmales, stumpfes, mit zwei Rudern bemanntes Boot unter der Mauer vorbei, mit dumpf aufschlagenden, knarrenden Rudern.

»So, also morgen sterben wir?« sagte Miltoun. »Sie glauben, daß ich nur im ›öffentlichen Leben‹ atmen kann und daß ich sterben muß, weil ich es aufgebe?«

Courtier nickte.

»Stimmt meine Annahme, daß meine jüngere Schwester Sie mit dieser Mission betraut hat?«

Courtier gab keine Antwort.

»Dann ist,« fuhr Miltoun fort und blickte ihm bis auf den Grund seiner Seele, »dann ist morgen auch Ihr letzter Tag? Ja, Sie tun recht fortzugehen. Sie ist nicht das häßliche Entlein, das außerhalb des gesellschaftlichen Teiches leben kann; sie wird immer ihr angeborenes Element nötig haben. Und jetzt wollen wir einander Lebewohl sagen! Was immer auch geschehen mag, ich werde diesen Abend nicht vergessen.« Lächelnd streckte er seine Hand aus: »Moriturus te saluto.«


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