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Nach einer langen Reihe von heißen Tagen war der Wiesenbrunnen, welcher das einschichtige Bauernhaus bisher reichlich mit gutem Wasser versorgt hatte, ausgetrocknet. Bertl, der junge Bauer, plagte sich vergebens, indem er das steinige Quellenbecken tiefer machte, um auf eine Wasserader zu gelangen. Jetzt, am Mittag, schleuderte er, völlig verzweifelnd, die Schaufel von sich. Dann fiel er neben dem Brunnenloch in das Wiesengras und weinte. Er war nicht so tapfer und fest wie die anderen armen Bergbauern da heroben, die beinahe keine Not mehr zum Verzagen bringen konnte. Schon seiner körperlichen Beschaffenheit nach taugte er zu dem blutig schweren Lebenswerke nicht, für das er bestimmt war. Diese Gestalt war zu schlank und zu zart, um sich auf den abschüssigen Bergäckern gegen eine sinkende Kornfuhre stemmen zu können.
Berti war freilich ein Bauernkind, aber eines aus dem ebenen Talgrunde, wo das Korn bei einer leichteren Menschenmühe wuchs als hier oben auf den kalten, steinigen Leithen. Er hatte nicht gern heraufgeheiratet in das Berggereut. Es gefiel ihm gar nichts hier oben, nicht einmal Raffla, sein Weib. Ihr wäre auch mancher lieber gewesen als Bertl. Sie waren zu dieser Heirat getrieben worden, er von seinen Geschwistern, denn es waren ihrer zu viele auf dem Talhofe – und Raffla von ihren Schuldnern. Sie hatte seine zweitausend Gulden gar zu notwendig in die Wirtschaft gebraucht.
Erst hofften die beiden, daß sie es mit Geduld und Vernunft nebeneinander aushalten würden. Bertl wollte, so gut es ihm möglich war, die Lasten des Lebens neben ihr hinziehen. Aber dann verachtete sie ihn allzubald wegen seiner mangelnden Kraft. Sie konnte nur einen Mann ihrer eigenen, rauhen, starken Art achten.
Und Bertl verzichtete dann auf ihre Achtung, um die er sich gar zu viel hätte anstrengen müssen. Die beiden waren dazu geschaffen, sich gleichgültig und fremd zu bleiben. Bei dem Zusammenleben wurden sie einander recht lästig.
Raffla mähte jetzt schon stundenlang in der Nähe ihres Mannes, ohne nur einmal sich nach ihm umgesehen zu haben. Aber wie er sich in das Gras warf, sah sie ihn doch. In ihr fast männlich scharfzügiges, wetterbraunes Gesicht kam ein hohnvolles Lächeln.
Indem sie dann die Sense schulterte, schrie sie nach dem Manne hin: »Nun! Willst du dich jetzt vielleicht in deinem Augenwasser ertränken, weil du kein anderes findest?«
Er gab ihr keine Antwort. Darauf ging sie langsam zu ihm hin, um in das Brunnenloch zu sehen.
»So eine Narrenarbeit«, sagte sie.
Er ließ auch daraufhin sein Gesicht dem Rasen zugekehrt.
»Ein Mittagsmahl hast du dir damit nicht verdient«, fuhr das Weib fort. »Und wenn du da liegen bleibst, wirst du dir auch kein Nachtmahl verdienen.«
»Von deiner Gnade habe ich noch nichts gegessen«, sagte er nun, sich langsam aufsetzend. Er hatte sich bisher geschämt, ihr seine nassen Augen zu zeigen. Aber setzt ließ er im Zorne die Scham fahren. »Ich mag überhaupt nimmer lange von dem leben, was sich bei der Schinderei da heroben verdienen läßt. Und weil du von einem Narrenwerk redest – weißt du, was das größte war? Daß sich dein Vater da heroben auf der dürren Höhe angesiedelt hat – wo doch Leut' und Vieh hinwerden müssen.«
Berti wußte, daß sie es nicht vertrug, wenn er über ihren seligen Vater und über ihr Haus schimpfte. Er sah es nun mit Vergnügen, wie sie zum Bersten voll von Galle wurde. Aber bei ihrer Antwort vergrößerte sich seine Freude nicht.
»Mein Vater hat sich da angesiedelt, weil er es gewußt hat, daß er da bestehen kann«, sagte sie. »Und er hat auch sein Leben in Ehren da bestanden. Aber du bist heraufgegangen, ohne daß du fähig gewesen wärst, hier heroben zu leben, du elender Weichling du. Wer war dann der größere Narr von euch beiden?«
»Ich bin heraufgegangen, weil du mich angelogen hast«, sagte er nun. »Wenn ich gewußt hätt', daß nach ein paar heißen Tagen niemals ein Tropfen Wasser da heroben zu haben ist, wo es einen Schluck Bier sowieso nicht trägt –«
»Wir haben da bisher keine Wassernot gekannt«, unterbrach sie ihn.
»Das lügst du«, entgegnete er. »Wenn du die Wassernot nicht gewohnt wärst, ließ sie dich nicht so ruhig –«
»Sie läßt mich ruhig, well ich halt überhaupt nicht so verzagt und rappelköpfig bin wie du.«
Jetzt hatte er eine Gelegenheit, auf boshafte Weise der vornübergebeugten Haltung des Weibes zu erwähnen.
»Wovon wärst du denn so bucklig, wenn du nicht so viel Wasser vom Talbach heraufgetragen hättest?« fragte er.
Darauf sagte sie: »Wenn ich bucklig bin, so bin ich's von der Arbeit. Aber flennend wie du bin ich bei der Arbeit noch niemals worden.«
Während sie das sprach, kam ihr ein besonders guter Gedanke. Sie war nun froh, daß sie seit der letzten Zeit so selten gut und vernünftig zu ihrem Manne gesprochen hatte. Bei einem besseren Einvernehmen hätte sie es ihm gewiß entdeckt, daß es außer dem Wiesenbrunnen noch einen anderen auf dem Berge gab. Sie hatte sich schon gestern, als die Wassernot begann, jenes Quells erinnert, der gewiß noch nicht versiegt war.
Weil sie aber gestern mit ihrem Manne überhaupt nichts sprach, so erfuhr er auch von jenem Wasser nichts. Und heute ließ sie es hohnlächelnd zu, daß er zwecklos grub und schwitzte. Sie gönnte es ihm von Herzen, daß er sich vergeblich plagte. Und jetzt war sie fest entschlossen, von dem Vorhandensein des zweiten Quells nichts zu verraten.
Er braucht von meinem Berge nichts Gutes zu glauben, wenn er nicht will, sagte sie sich voll Trotz und hämischer Genugtuung. Weil er sagt, ich bin vom Wassertragen bucklig geworden, so soll er jetzt davon bucklig werden. Wenn er sein Vieh nicht verrecken lassen will, so muß er jetzt Wasser genug vom Talbach heraufschleppen. Ich laß' alles im Haus zugrunde gehen, ehe ich auch nur einen Tropfen vom Bach hole. Wart, Berti, jetzt soll dir mein Berg erst zuwider werden!
Sie fand ihren Racheplan vortrefflich, und als dieser erst in ihrem harten Kopfe und in ihrem verbitterten Herzen feststand, da war es sicher, daß er nicht so leicht ins Wanken geraten würde.
Sie selbst wollte an gutem Wasser keinen Mangel leiden. Ehe ihr Mann einmal vom Bach zurückkam, konnte sie sechsmal Wasser holen. Ihr Quell war in der Steinwand, welche hinter der Scheune des Hofes emporstieg.
Schweigend und verbissen gingen die Eheleute heim. Beim Füttern erst trafen sie sich wieder, und von neuem begann der Zank, der des Bertls Wut in stillen Trotz verkehrte. Aber als die Rinder mit kläglichem Gebrülle ihren gewohnten Trunk forderten, da ließ sich Bertl von seinem Mitleid für die Tiere leiten. Er holte aus dem Keller einen großen Trageimer und stieg zu Tal.
Das Weib blickte ihm mit einer grausamen Freude nach. Dieses Gefühl war ihr eigentlich neu, und sie wunderte sich über den eigentümlichen Genuß, den ihr das Quälen dieses ihr fast gleichgültigen Mannes machte. Dabei kam sie zu einem ehrlichen Selbstgeständnis. »Schau, bist halt doch eine recht teuflische Bestie«, sagte sie sich selber. Aber von Gewissensskrupeln war sie deswegen noch weit entfernt.
Durch drei Tage ließ sie ihren Mann das nötige Wasser vom Tal heraufschleppen. Hin und wieder holte sie für sich einen Krug frischen Trunkes von dem verborgenen Felsenquell.
Den von der Überanstrengung ohnehin stark herabgekommenen Leib des jungen Mannes nahm die neue schwere Plage fürchterlich her. Aber er fand einen seltsamen Trost. Vielleicht werde ich dabei hin, sagte er sich. Das wär' ein Glück und ein passender Ausgang aus diesem Jammertal.
Am Abend des dritten Tages erschrak denn Raffla doch über sein Aussehen. Er schien ihr plötzlich gar so hohlwangig, und aus seinen Augen sprach etwas, das machte ihr nun wieder so ein neues Gefühl, ein Erbarmen für ihn. In seinem Blicke malte sich sein Leiden, und die Sehnsucht, die noch darinnen lag, das war die Sehnsucht nach dem Tode.
»So weit wär' er schon?« fragte sich das Weib entsetzt. Und jetzt fiel sie plötzlich gar machtvoll und fürchterlich das Gewissen an. »Ich bring' ihn ja um!« schrie es in ihr. »Und das wollt ich ja doch nicht!«
Es stand nun gleich bei ihr fest, daß sie ihn am nächsten Tage kein Wasser mehr holen lassen würde. Ihren versteckten Quell und ihre Bosheit wollte sie ihm nicht entdecken. Aber sie hatte jetzt das Bedürfnis, ihn zur Sühnung ihres Verbrechens so fein und milde zu behandeln, wie das sein ganzes Wesen immer verlangt hatte. Ihre Hoffnung, daß er eine solche liebe Mühe von ihr auch annehmen würde, war freilich recht gering. Jedenfalls wollte sie morgen an seiner Statt vom Bache Wasser herauftragen.
Er ging aber in der Frühe wieder mit seinem Trageimer fort, ehe sie sich dessen versah. Als sie es gewahr wurde, daß er wieder zu Tal gestiegen war, lief sie ihm nach.
Sie traf ihn am Fuße des Berges. Er war mit der Last erst wenige Schritte emporgestiegen und dann plötzlich hingefallen. So wie er hingestürzt war, lag er da, das Gesicht dem Boden zugekehrt und auf dem Rücken den ausgeronnenen Trageimer. Und von seinem Munde floß ein rotes Bächlein auf den Stein. Er war noch bei voller Besinnung, aber aufstehen konnte er nicht mehr.
Das Weib fiel mit einem grellen Aufschrei neben ihn hin.
»Wein nur nicht«, brachte er höhnisch hervor. »Du hast ja noch niemals geweint. Lach, lach mit mir. Das End' ist da, und mehr wollen wir zwei nicht.«
»Ich will ja nicht dein End'!« schrie sie. »Du mußt leben! Ich will so fein mit dir umgehen, wie es dir gebührt! Auf den Händen will ich dich tragen. Pflegen wie ein Kind will ich dich!«
Er lächelte wieder. »Du redest mir jetzt vor lauter Freud' so schön zu. Das könnt'st mir doch ersparen, daß ich unter deinen Lügen sterben muß. Geh, sei doch nur einmal gut und laß mich beim Sterben allein. Unter guten Reden von dir sterben zu müssen, das ist gar zu spottvoll. Geh heim und leb! Freu dich daran, wie schlau du mich zu Tod' gejagt hast! Und schau, wie du die Leut' anlügst, die dich fragen, wie ich gestorben bin! Verrat ihnen von deinem Brunnen in der Steinwand nichts!«
»Wie? Du weißt?« schrie sie.
»Ja. Seit gestern. Von da herunten hab' ich dich auf dem Felsen gesehen. Meine Augen waren scharf. Du warst nicht vorsichtig genug bei dem Wasserholen. Bei meinem Nachspüren, was du wohl auf der Steinwand g'funden, fand ich in der Kammer versteckt einen Krug Wasser. Heut' bin ich doch wieder zum Bach, hab' sehen wollen, wie lang' du mich noch gehen läßt – nun, jetzt seh' ich es.«
In ihr erstarrte das Blut. »G'rad' hab' ich dir alles g'stehen wollen«, brachte sie mühsam hervor.
»Warum lügst du noch?« fragte er. »Warum muß das letzte Wort, das ich hör', eine Lüge sein?«
Während der letzten Worte endete seine Stimme in einem Röcheln.
»Glaube mir!« flehte sie jetzt. »Um Gottes Barmherzigkeit willen glaube mir!«
Er hörte sie nimmer. Der Müde war jetzt an dem Ziel seiner Sehnsucht.
Auf all das Schreien des Weibes erfolgte keine Antwort mehr.