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Der Einzige

Oben auf dem sonnigen Berghange schnitt die Seffel ihr Korn. Das Erntefeld sah für einen einzelnen Arbeiter zu mächtig aus. Aber der Seffel wurde nicht bange. Sie verrichtete die Arbeit auf ihren Feldern nun schon das siebente Jahr allein und hoffte heuer auch keine Hilfe zu brauchen. Die nötige Mannbarkeit dazu hatte sie im Sinne sowohl als in den Gliedern. Den letzteren fehlte dafür die weibliche Schönheit. Das große, starke Weib ging und bewegte sich schwer und wuchtig wie irgendein Bergbauer da in der Gegend. Man mußte ihr in großer Nähe gehörig in das Gesicht sehen, um zu finden, daß sie noch jung war. Ehe man aber etwas Schönes in diesem Gesicht fand, mochte einem das Suchen danach verdrießen. Die Augen waren hell und scharf wie diejenigen der Adler, welche so viel über dem Berge kreisten. Um den Mund, welcher mit seinen schmalen Lippen zu nichts so wenig als zum Küssen geschaffen schien, hatte sie immer so ein überlegenes, spöttisches Lächeln, als ob sie jedermann allzeit eine bittere Wahrheit zu sagen wüßte. Die Nase glich wieder so sehr einem Adlerschnabel, daß man fürchten konnte, sie würde von der Besitzerin zum Zuhacken benützt. Es geschah diesem Mädchen nicht unrecht, wenn man es häßlich nannte. Sessel gab nun dieser anscheinend traurigen Wahrheit lustig die Ehre. Weil ihr die Häßlichkeit nicht weh tat, hielt sie dieselbe für kein Übel. Sie hatte Geld, um den größten Hof im Tale kaufen zu können. Und ihre Wirtschaft warf ihr noch jedes Jahr einen kleinen Gewinn ab. Sie half denen, die zu ihr kamen, immer, wo es recht und vernünftig schien. Es gab aber auch Leute, die zu Unsinniges von ihr verlangten. War ein schlechtes Erntejahr, so wunderte sich Sessel gar nicht, wenn dann wintersüber dreißig heiratsbereite Söhne aus verschuldeten Bauernhäusern zu ihr kamen. Die wollten nun immer gleich das ganze Geld und logen mehr oder minder keck, sie wollten die Sessel auch. Hie und da war nun das Mädchen über eine so grobe Lüge ein wenig böse, wurde aber dann auf eine so artige Weise mit diesen Leuten fertig, daß es nachher keine Feindschaften absetzte. Und jetzt, wie sie da ihr Korn mähte, kam gerade wieder einer zu ihr, dem sie es schon von der Ferne ansah, daß er auch so ein Ansinnen an sie stellen würde. Er war ein bildhübscher blonder Bursche. Sie kannte ihn wohl. Er sollte den verschuldeten Besitz seiner Eltern übernehmen. Da brauchte er ein Weib mit Geld. Unlängst auf dem Kirchgange hatte er sich der Sessel zum erstenmal genähert. Zu einer offenen Aussprache brachte er es dabei noch nicht. Sessel fand, daß er der Schüchternste, Bescheidenste von allen war, die bisher noch das Unsinnige von ihr verlangten. So wie er hatte ihr noch keiner gefallen, sie bemitleidete auch keinen dieser Unglücklichen, die sich mit Leib und Seele verkaufen, so wie diesen da. Und noch mehr fühlte sie seit da unlängst für ihn – weit mehr. Aber das wollte sie sich nicht zugestehen. Es schien ihr ja zu töricht, zu lächerlich. Sie schämte sich des süßen, weichen Gefühles. »Mit einem solchen Gesicht wie dem meinen darf man keine solchen Gefühle lm Herzen tragen«, sagte sie sich. Sie ließ jetzt bei solchen Gedanken die Sense ganz furchtbar durch das Korn sausen und tat, als ob sie das Nahen des Burschen nicht bemerkt hätte.

Er stand eine Weile hinter ihr und war unschlüssig, wie er sie anreden sollte. Endlich fand er doch Worte: »Das ist heute wohl der unrechte Tag –.«

Sie wandte sich rasch um. »Zum Spazierengehen? Jawohl, mein lieber Franzi, dazu ist heute für einen Bauern nicht der rechte Tag.«

Damit brachte sie nun den Burschen in eine Verlegenheit, die seinem blühenden Gesichte reizend stand. Sessel mußte schnell wegsehen und beschloß, gehörig Krieg zu führen wider ihr Empfinden.

»Für mich ist der Gang zu dir wichtiger als das Kornschneiden«, sagte Franzl.

Sie war nun doch wieder recht neugierig, wie er das, was er wollte, vorbringen würde, »'s wird doch nicht auch was Wichtiges für mich sein?« fragte sie.

Er zuckte mit den Achseln. »Das könnte es erst werden, wenn –«

»Nun?«

»Ich will kurz reden«, sagte er dann hastig. Er schien sehr erregt dabei. Auf seinen Wangen brannte wieder eine Röte der Verlegenheit und er senkte vor Sessel, die ihn nun mit ihren Adleraugen fest ansah, den Blick verwirrt zu Boden.

»Kannst kurz oder lang reden«, entgegnete sie ihm mit einer freundlichen Ruhe, die aber doch voll des Spottes war.

»Nein, kurz«, bestimmte er hastig. Er redete nun mit fliegendem Atem: »Ich möchte dich fragen, ob du mich so gern haben könnt'st, – daß du mir aus meiner Not helfest mit – mit –«

»Nun?«

»Mit allem, was du hast und was du bist.«

»Mit allem, was ich bin, das versteh' ich nicht«, sagte sie.

»Du bist ein rechtschaffenes, tüchtiges, braves Weib –«

»Das lügst du!« rief sie. »Rechtschaffen bin ich nicht. Nicht einmal eine rechtschaffene Nase habe ich.«

»Mir gefallt sie«, antwortete er.

»Das lügst du!« rief sie wieder.

Er schüttelte nun mit einem ganz sonderbaren Lächeln den Kopf und sah sie so seltsam aufrichtig an, daß sie für den Augenblick ganz irre wurde. »Mir gefällst du so, wie du bist«, behauptete er. Dann fuhr wieder eine Röte in sein schönes Gesicht und er fügte seinen Worten leise hinzu: »Ich habe dich gern.«

Es nützte ihr nichts, daß sie ihn mit den Blicken zu durchbohren suchte. In sein Herz sah sie nicht. »Bub!« brauste sie auf. »Verhöhne mich nicht!«

Er fürchtete sich vor ihrem Zorn gar nicht, sondern packte ihre Hände, die sie ihm einen Augenblick in ihrem maßlosen Erstaunen über seine Keckheit willenlos ließ.

»Gerade, weil du glaubst, daß dich keiner gern haben kann.

Hab' ich dich gern, und je zorniger du mich mit deinem Adlergeschau anfunkelst, wenn ich sag', ich will nur dich – desto lieber wirst du mir. »Es ist ja möglich, daß ich der Einzige bin, der dich gern hat und der für dich geschaffen ist. Und wenn ich das bin, so stoße mich nicht weg.«

Sessel war nun außer sich vor Staunen und Empörung über ihn. »So hat mich noch keiner angelogen! Du bist der Ärgste von allen, die noch mein Geld wollten!«

»Wie soll ich dich denn nur überzeugen, daß ich nicht lüge?« rief er.

Da hob sie drohend die Sense gegen ihn auf. »Wenn du mich noch lange überzeugen willst, so jag' ich dich!«

Es blieb ihm nichts übrig, er mußte abziehen. So traurig war noch keiner von ihr gegangen. Sie glaubte ihm nicht. Voll wilder Wut hieb sie wieder auf das Korn ein. Am Ende der Mahd blieb sie dann stehen. Dort war auf dem holperigen Bergweg eine kleine Wasserpfütze, in welcher sich recht schön der blaue Himmel spiegelte. Sessel neigte das Gesicht über das Wasser und besah ihr Spiegelbild. Dann trat sie plötzlich ingrimmig mit ihrem bloßen Fuße in die Pfütze hinein, daß das Schmutzwasser weit herumspritzte. »Eine verdammte Larve«, sagte sie dabei. Sie ließ sich nun völlig entkräftet am Wegrande nieder. Bald hatte sie die Schürze vor dem Gesichte und weinte.

*

Der arme junge Mensch machte keinen Versuch mehr, sie zu überzeugen, daß er sie liebe. Er wußte, daß sie ihm nicht glauben konnte. Durch seine Lage war er zum schnellen Heiraten gezwungen. Das väterliche Haus kam unter den Hammer, wenn er es nicht übernahm. Ein Weib, das zur Deckung der Schulden Geld genug hatte, fand er nun nicht so schnell. So nahm er denn eine, deren Geld nur zum notdürftigen Beginn des Wirtschaften hinreichte. Er hoffte das Fehlende mit seinem Fleiße zu erzwingen. Womit er für die fehlende Liebe aufkommen sollte, das wußte er nicht recht. Aber er wollte mit gutem Willen und großer Geduld alles mögliche zur Erhaltung des Hauses und der Ehe tun. So, wie er sich das vorgenommen, gelang es ihm zwar nicht, aber er errettete doch das Haus und den Ehestand viele Jahre lang. Man erkannte an ihm bald den schönen, blühenden Menschen nicht wieder. Als dann das Weib starb, waren schon drei erwachsene Kinder aus dieser Ehe da. Und der älteste Junge sollte nun wieder das verschuldete Haus übernehmen und nach Geld heiraten wie dereinst der Vater. Dem Alten ging nun das Schicksal des Sohnes gerade genug zu Herzen, aber helfen konnte er ihm so wenig, als ihm einst selbst geholfen worden war.

Einmal in dieser Kummerzeit kam ein Bote in das Haus, der den Bauern zu der alten Sessel beschied. »Zur Sessel?« hatte der Alte erstaunt gefragt. »Zur Sessel, die fünfunddreißig lange Jahre von mir nichts hat hören wollen?« Aber er machte sich doch gleich auf den Weg zu dem alten einsamen Weibe. Es war ein heller Herbstmorgen, als er zu ihr kam. Sie lag in ihrem Bette. Ihr Gesicht war kaum mehr häßlicher geworden in der langen Zeit. Das Silberhaar paßte schöner zu diesen hatten, wetterbraunen Zügen als dereinst das blonde. In den Adleraugen war jetzt ein seltsam mildes Licht. Sie lächelte dem Alten ruhevoll und freundlich entgegen. »Setz dich her zu mir!« sagte sie, auf einen Stuhl neben dem Bette deutend. »Brauchst mich nimmer zu fürchten. Jetzt jag' ich keinen mehr.« Nachdem er ihrem Befehl gehorcht hatte, reichte sie ihm die Hand. »Weißt du«, sagte sie erklärend, »ich steh' jetzt vor dem, der alle Leut' miteinander gutmacht.«

»Das wird nicht wahr sein«, meinte er.

»Wahr ist's«, sagte sie. »Und es ist auch gut. Bin lang genug mit meinem Gesicht auf der schönen Welt umgegangen, keinem einzigen Aug' zur Freud' –«

»Als einmal dem meinen«, fiel er ihr lächelnd in das Wort.

»Lügst du noch?« rief sie rauh. Doch mitten in dem Aufschrei fing sie über sich selbst zu lachen an. »Du lügst noch und ich gift' mich noch«, setzte sie dann hinzu. »Es ist merkwürdig, daß ich mich noch bis zuallerletzt giften kann. Aber unser Herrgott muß mir's verzeihen. Weißt, du bist mir halt gar so nah' gegangen wie meiner Lebtag kein Mensch.«

»Wie?« rief er förmlich auffahrend. »Was sagst du?«

»Nun, nun«, begütigte sie lächelnd. »Bleib' nur sitzen! Jetzt ist's ja nach aller Hitz. Ja – ich hab' dich gern gehabt, dich allein.«

»So«, sagte er, »das sagst du mir jetzt.« Und da rannen ihm auch schon zwei Tränen über die Wangen aus Weh und Leid über das versagte Glück.

»Wann hätt' ich dir's denn sagen sollen?« fragte sie.

»Nun, damals, wo es uns hätte selig machen können.«

»Das Maul halt'!« herrschte sie ihn an. »Gelt, alter Lugenbeutel«, fuhr sie dann wieder ruhig fort, »du mußt jetzt höflichkeitshalber lügen.«

»Nichts ahn' ich!« beteuerte er wahrheitsgemäß.

»Still sei«, sagte sie. »Es ist alles umsonst, was du redest, denn ich glaub', was ich mein Lebtag geglaubt hab'. Aber jetzt hör', was ich beschlossen hab'! Du bist mein Erb'.«

»Ich versteh' dich schon«, sagte er. »Du willst zu mir sagen: Nimm mein Geld! Du hast ja nur mein Geld wollen. Da hast es jetzt! So willst du sagen!« Und da weinte er schon wieder.

»Flenn nur!« höhnte sie. »Das gehört ja zu einem reichen Testament.«

»Ein grobes Testament«, sagte er. »So grob, daß ich wohl flennen muß. Nun, aber annehmen muß ich es deswegen nicht. Ich mag dein Geld nicht!«

»Oho!« rief sie. »Ist das wieder keck gelogen!«

»Nein«, sagte er. »Ich mag dein Geld nicht.«

Er stand auf und wollte gehen.

»Wo willst du denn hin?« rief sie.

»Heim«, sagte er. »Werd' doch nicht streiten hier.«

»Aber das Geld nimmst?« fragte Sessel.

Da wandte er den Kopf nach ihr und sah sie mit einem Blicke an, welcher ihr Antwort genug sein konnte. Er tat wieder einige Schritte der Tür zu.

»Bleib!« schrie sie nun in einem ganz anderen Tone.

»Nun?« wandte er sich um. »Was noch?«

»Du willst also mein Geld wirklich nicht? Auf das war ich nicht gefaßt.« Und da mußte sie es beinahe schon glauben, was sie ihr Leben lang für unmöglich gehalten hatte. Aber sie sah ihn doch noch recht durchdringend an, als sie sagte: »So vermache ich das Geld den Armen.« Er erschrak darauf nicht. Es entstand eine kurze Stille in der Stube. Seffel sah eine Weile auf die Bettdecke vor sich. Als sie emporblickte, standen ihr die Augen voll Wasser. »Wenn das so ist«, sagte sie leise, »da ist doch schad', daß ich dir nicht geglaubt habe! Wir hätten glücklich werden können!«

Er trat nun wieder an das Bett und sagte lächelnd: »Aber gelt, schön ist's doch, daß du an meine Liebe glauben kannst!«

»Ja«, entgegnete sie. »Schön ist's doch. Ein heller Abend nach einem nebligen Tag. So hab' ich halt doch in der Verblendung gelebt bei all meiner Einsicht. Muß denn ein jeder Mensch irren? Schiech war ich mein Lebtag, daß es eine Schand' war und ein Graus. Unser Herrgott wird wissen, warum er mich so hergestellt hat – ich werd' ihn auch fragen darum, wenn ich ihn jetzt sehe. Und warum er dir so einen Gusto gegeben hat, das will ich auch wissen. Ich bin schon recht neugierig und will mich hinübertummeln. Aber noch eines – du nimmst das Geld, hörst du!«

»Gib mir Ruh' damit«, sagte er. »Das Geld hat mir mein Lebtag Gall genug gemacht.«

»Und jetzt soll's dich erfreuen und deine Kinder!«

»Freilich, die könnten's brauchen«, seufzte er. »Aber –«

Sie litt nun keinen Einwand mehr. Es mußte nach ihrem Willen gehen. Und damit waren dann ein paar junge Menschenkinder glücklich gemacht, so glücklich, wie es einst die beiden Alten hätten sein können.


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