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Etwa eine Stunde später, in welcher Zeit Fortunato eine Menge von Dingen eingekauft hatte, die ebenfalls für das Hauptquartier bestimmt waren, ritt der kleine Trupp, den Doctor mit seinen gestickten Pantoffeln an der Spitze, die Soldaten ihre Pferde sämmtlich mit den eingekauften Waaren bepackt, aber alle ihre Cigarre rauchend und in bester Laune, den Weg zurück, der nach Bodegas führte. Von Allen war der Doctor am vergnügtesten, denn er hatte seinen Zweck erreicht und – was Franco selber nicht für möglich gehalten – die Einwohner des kleinen Dorfes im Guten dazu vermocht, freiwillig zu liefern, was die Armee für die nächsten Tage brauchte. Daß ihm Franco äußerst dankbar dafür sein würde, wußte er.
Fortunato war am Hause zurückgeblieben und mit seinem Sattel beschäftigt. Hielt ihn der wirklich so auf? Eigentlich wollte er das junge Mädchen noch einmal sprechen, die er eben wieder hatte in den Laden hinuntersteigen sehen. Was wußte sie von dem Mulatten und welche Ursache konnte sie haben, ihm zu mißtrauen?
Während er noch so stand und auf einen Vorwand sann, wie er sie wieder anreden könne, kam ein einzelner Reiter die Straße herab. Er sah schmutzig und zerlumpt aus und das Wasser – da er wahrscheinlich den letzten Regenguß im Freien ausgehalten – tropfte ihm an den Kleidern nieder. Sein Thier schien aber noch maroder wie er selber. Schon von Weitem bemerkte der Officier, wie er es unaufhörlich mit den scharfen Sporen stachelte, um es nur von der Stelle zu bringen, und als er näher kam, sah er, wie dem armen Thier von dem unbarmherzigen Anspornen das helle Blut an den Seiten niederfloss. Das Pferd konnte aber hier schlechterdings nicht weiter, alle Mißhandlungen blieben fruchtlos – den Kopf gesenkt, die Augen stier und matt, die Vorderbeine vorgestreckt, so stand es unbeweglich still.
»Hallo, Compañero,« rief Fortunato den Reiter an, »Ihr bringt die arme Bestie um. Seht Ihr denn nicht, daß sie eben nicht weiter kann? Laßt sie ein paar Stunden ruhen und gebt ihr gutes Futter, und sie trägt Euch vielleicht heute Abend noch nach Bodegas. So wahrhaftig ruinirt Ihr sie zwecklos.«
»Verdammt!« fluchte der Bursche, der mürrisch und tückisch genug aussah – »es ist die reine Schlechtigkeit von der Mähre, die es darin mit einem Maulthier aufnehmen kann. Aber – wir sind beide hungrig – das weiß die heilige Jungfrau, und meinetwegen können wir auch ein wenig ausruhen. Wie weit ist's noch bis Bodegas, Señor? – Drei Leguas? – hm?«
Er hatte, während er sprach, die Uniform des Officiers mißtrauisch betrachtet, und Fortunato entging nicht, daß er außerdem mit lallender Zunge sprach. Der Bursche schien über Tag wenig gegessen und viel getrunken zu haben, und als er jetzt aus dem Sattel stieg, taumelte er und mußte sich an dem zitternden Thiere festhalten, um nicht umzufallen. Aber er nahm sich sichtlich zusammen und schritt, ohne das Pferd weiter zu beachten oder anzuhängen – war er doch sicher, daß ihm das unglückliche Geschöpf nicht fortlief – dem Laden zu, in dem Jacinta jetzt, ihn erwartend, stand. Das Pferd aber fühlte sich kaum frei, als es sich mitten auf der Straße niederwarf und die todtmatten Glieder ausstreckte.
Wieder drehte sich der Bursche mit einem jener gemeinen Flüche um, an denen die spanische Sprache so reich ist, und wollte das halbtodte Thier mit einem Fußtritt vom Boden empor stoßen, damit es sich nicht auf den Sattel wälze, als Fortunato, durch die Rohheit empört, dazwischen sprang. Einen gerade dort liegenden Pfahl aufgreifend, rief er:
»Caramba, Señor, jetzt reißt mir die Geduld – die Pest über Euch, seid Ihr ein Vieh oder ein Mensch, daß Ihr das arme, schon halbtodte Geschöpf so mißhandelt? Nehmt ihm den Sattel ab und bringt ihm Futter, oder, beim Himmel, ich thue, was mich gereut!«
Der Halbindianer biß die Zähne ingrimmig auf einander, aber er wagte nicht, der Uniform Trotz zu bieten. Knurrend gehorchte er, und während sich das Pferd lang am Boden ausstreckte, ging Fortunato selber in den Laden hinein, um ein Paar Maiskolben für das mißhandelte Geschöpf heraus zu holen. Gab ihm das doch gleich einen Vorwand, sich dem Mädchen wieder zu nahen.
»Was wissen Sie von dem Mulatten, Señorita?« flüsterte er ihr dort zu, als er sich das Verlangte selbst aus einem Korb aussuchte – »weshalb soll ich mich vor ihm hüten?«
»Er hat gestern die Balsa den ganzen Tag umlagert,« lautete die rasch gegebene Antwort – »er lag im Gebüsch versteckt, als ich den Platz verließ, und spionirte jedenfalls.«
»Hm,« brummte Fortunato vor sich hin. »Was sollte ihm das nützen? Es war Neugierde oder Faulheit. – Hat er Sie angeredet?«
»Nein,« sagte das junge Mädchen – aber ihr Gespräch wurde in dem Augenblick gestört, denn Nunez selber kam die Leiter herunter. Er hatte den angetrunkenen Passagier bemerkt und wollte Jacinta nicht mit ihm allein lassen. Fortunato nahm den Mais und trug ihn selber dem Pferd hinaus. Das arme Thier war aber so erschöpft, daß es nicht einmal fressen konnte. Es griff die grünen Kolben wohl mit dem Zähnen an und schien den Saft etwas einzuziehen, aber es vermochte nicht zu kauen, lehnte sich wieder zurück, drückte den Kopf auf die Erde und lag so, schwer athmend, wie dem Tode nahe.
Der Ecuadorianer warf einen verdrossenen Blick auf sein Thier und stieg dann in das Haus hinauf, in dem, wie in allen derartigen Verkaufslocalen, und in einer Gegend, wo es überhaupt keine Posados oder Wirthshäuser giebt, auch allerlei eßbare Gegenstände für die vorbeiziehenden Arrieros zu haben waren, wie z. B. gekochte harte Eier, Brod, eine Art Kuchen, gedörrtes Fleisch, Zwiebeln u. dergl. Er schien selber der Nahrung dringend bedürftig zu sein, und nachdem er sich etwas von den dortigen Herrlichkeiten ausgesucht, warf er sich auf den Boden des untern Raumes nieder, um es gleich an Ort und Stelle zu verzehren.
Fortunato hatte noch eine Weile neben dem todtmatten Rosse gestanden und dieses endlich dazu vermocht, einen der jungen Maiskolben zwischen die Zähne zu nehmen und zu kauen. Wie es aber den Geschmack davon bekam, überwältigte der nagende Hunger die Müdigkeit, und es hob wenigstens den Hals empor, um das, was in seinem Bereich war, zu verzehren.
»Was ist das für ein Officier,« hatte indessen der Halbindianer seinen neben ihm stehenden Wirth gefragt – »wo gehört er hin?«
»Nach Bodegas, zu Franco's Truppe,« lautete die Antwort – »aber wohin wollt Ihr?«
»Auch nach Bodegas.«
»Ihr wißt, daß der Platz besetzt ist?«
»Was kümmert's mich?« antwortete barsch der Kauende, »ich will von der Gesellschaft nichts.«
»Möchtet auch schwerlich etwas bekommen,« sagte Nunez, »als vielleicht eine Tracht Schläge zum Handgeld und eine Muskete zum Tragen –«
Der Halbindianer warf einen mißtrauischen Blick zu ihm hinauf, erwiderte aber nichts und beschäftigte sich von da an ganz mit seiner Mahlzeit. Er schien halb verhungert wie sein Thier, und stand wieder auf, um sich eine frische Portion zu holen. Nunez gab ihm, was er verlangte – hätte er nachher kein Geld zum Bezahlen gehabt, so behielt er einfach den Sattel als Pfand zurück – wie oft kam das vor und machte weiter nicht die geringste Schwierigkeit. Ihren Sattel lösen die Burschen schon wieder ein und wenn sie dafür selber arbeiten sollten.
Während der Reiter auf der Erde lag, war ihm die Mütze vom Kopfe gefallen, und Jacinta, die den Menschen überhaupt schon mit Widerwillen betrachtet hatte, sah, daß ein vom Regen arg mitgenommener Brief darin stak. Die mit ziemlich großen Buchstaben geschriebene Adresse lag nach oben, und das junge Mädchen, während sie sich in der Nähe des am Boden Liegenden etwas zu schaffen machte, bog sich nieder, um die Adresse zu lesen. – Sie enthielt nur die zwei Worte: General Franco, und das Blut schoß ihr wie mit einem eisigen Strahl nach dem Herzen zurück, als sie wie ein Blitz der Gedanke durchzuckte: Das ist ein Zwischenträger, und Du mußt Dich des Briefes bemächtigen.
Aber wie war das möglich – der Bursche achtete allerdings nicht auf die abgefallene Kopfbedeckung, würde aber jede ihrer Bewegungen bemerkt haben, wäre ihm Jacinta näher gekommen. Noch stand sie so und überlegte, ob sie ihrem Pflegevater vielleicht erst den gefaßten Verdacht mittheilen und es diesem dann überlassen sollte, was er zu thun für gut finde, als der Bote aufstand und hinüber zu Nunez trat, um sich noch einige Sachen im Laden auszusuchen.
Jetzt war der entscheidende Moment gekommen – jetzt oder nie, und mit einer Angst, die ihr den Athem zu rauben drohte, aber mit fest entschlossener und kaum zitternder Hand nahm sie den Brief, barg ihn in ihrem Kleid und verließ dann rasch das Haus, um die gefährliche Beute außer demselben sicher zu bergen. Sie behielt auch Zeit genug dazu, denn der Fremde, vollkommen mit seiner Mahlzeit beschäftigt, woneben er auch noch einer kleinen Flasche fleißig zusprach, warf keinen Blick auf die noch immer am Boden liegende Kopfbedeckung.
Fortunato hatte bis jetzt seitab bei seinem Pferde gestanden und unschlüssig mit dem Aufsteigen gezaudert. Endlich wollte er den linken Fuß in den Bügel heben, als vom Haus her ein lautes Sprechen und Fluchen an sein Ohr schlug. Erstaunt drehte er den Kopf dorthin und sah, wie der fremde Bursche in dem Laden herumstampfte, seine Fäuste zusammenschlug und ganz außer sich schien, während sich Jacinta, die dahin zurückgekehrt war, scheu und furchtsam in eine Ecke zurückzog.
»Will mir die trunkene Bestie das Kind ängstigen?« rief der Hauptmann, eine Verwünschung zwischen den Zähnen zerbeißend, und schritt, sein Pferd am Zügel, nach dem Hause zu, nach welchem er schon von Weitem hinüberrief:
»Was giebt's da? Was hat der wüste Gesell da zu toben und zu rasen? Soll ich ihn etwa zu Ruhe bringen?«
Nunez würde das wahrscheinlich selber besorgt haben, wenn ihm die Gegenwart des Franco'schen Officiers nicht störend gewesen wäre. Die Beschuldigung aber, die der Bursche vorbrachte, konnte ihn in dessen Augen verdächtigen, und das vor allen Dingen suchte er zu vermeiden.
»Señor,« sagte Nunez, während Fortunato den Zügel seines Pferdes über das Staket warf und den innern Raum wieder betrat, wo der Trunkene mit schäumenden Lippen eine Unzahl nicht einmal verständlicher Worte vorsprudelte – »bitte, treten Sie näher – ein Glück, daß Sie noch da sind, denn Sie waren vorhin Zeuge, in welch loyaler Weise wir für Seine Excellenz, den Herrn General, uns erboten haben, Alles zu thun, was er verlangt. Jetzt aber tobt dieser freche Bursche hier, der in seinem blinden Rausche gar nicht mehr recht weiß, was er spricht, und flucht und schwört, daß ich ihm einen Brief an Seine Excellenz unterschlagen hätte.«
»An Seine Excellenz?« sagte Fortunato, während er das Haus betrat – »was für einen Brief, mein Bursche, und woher?«
»Woher, Señor?« rief jetzt der Ecuadorianer noch ganz außer sich, indem er dem Officier die nasse und schmutzige, aber leere Mütze entgegenhielt – »woher? das – das bleibt sich gleich; aber ein wichtiger Brief war es, ein Brief an den General, für den ich mein Pferd zu Schanden geritten, und nicht gegessen und getrunken habe, nur um ihn prompt abzuliefern.«
»Nun? – wo ist er jetzt?« sagte Fortunato ruhig, indem er auf die Veranda trat und den vor Schreck fast nüchtern gewordenen Menschen streng ansah.
»Ja fort, Señor – fort!« schrie dieser und griff sich in Verzweiflung in das lange nasse Haar – »hier in der Mütze trug ich ihn – wo sollt' ich ihn sonst tragen – fest und gut verwahrt, und wie mir die Hitze vorhin zu arg wurde, nahm ich die Mütze ab und legte sie neben mich, und jetzt, während ich esse, ist der Brief fort – verschwunden – rein verschwunden, wie in die Luft hinein, und das Gesindel hier muß ihn gestohlen haben.«
»Gesindel? Ei, bei der heiligen Mutter Gottes!« drohte Nunez, indem er auf den Burschen zusprang.
»Halt, Señor,« rief aber Fortunato, der einen Blick auf Jacinta geworfen hatte, während ein eigener Verdacht durch sein Hirn schoß, – »laßt den trunkenen Gesellen – und Du, mein Bursch,« wandte er sich dann an den Burschen, »bist also ein so zuverlässiger Bote, daß man Dir Briefe für den General anvertraut, heh? Ich hätte große Lust, Dich an meinen Steigbügel zu binden und so mit nach Bodegas hinein zu nehmen, wo Dir ein fünfzig Stockprügel ganz vortrefflich munden würden.«
»Aber Señor –«
»Ruhig! Caramba!« gebot der Officier, »oder ich vergreife mich in Person an Dir, Du trunkener Lump Du! Schämst Du Dich nicht, wie Du jetzt da stehst? Fort mit Dir, Du wirst den Brief unterwegs verloren haben, so mache, daß Du zurückkommst, und such' ihn auf der Straße. Gnade Dir aber Gott, wenn Du nicht morgen früh damit in Bodegas bist – an den Ohren laß ich Dich aufhängen und peitschen. Hast Du mich verstanden?«
»Ja», Señor,« sagte der Bursche kleinlaut, denn er konnte nicht gut leugnen, daß er zu viel getrunken hatte – aber ich weiß gewiß, daß ich den Brief hier am Haus –«
»Stillschweigen sollst Du, Picaro!« rief aber Fortunato ihn an, »und erfahre ich noch einmal, daß Du Dich unverschämt gegen die Leute hier betragen hast, so verlaß Dich darauf, daß ich es Dir heimzahlen lasse,« und damit drehte er sich um, schritt zu seinem Pferd, machte den Zügel los, stieg in den Sattel und galoppirte wenige Secunden später die Straße hinab nach Bodegas zu.
Wer übrigens über das Alles am meisten erstaunte, war Nunez selber, und ordentlich verblüfft sah er dem davonsprengenden Officier nach.
»Merkwürdig,« dachte er dabei, »ob dieser verdammte Mulatte nicht die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat, so daß man jetzt gar nicht einmal mehr weiß, wer Freund und wer Feind ist. Mein Gevatter, der Doctor, der zu uns durch dick und dünn halten sollte und früher auf den Franco geschimpft hat, daß kein Hund mehr ein Stück Brod von ihm genommen hätte, kommt her und treibt Yerba für ihn ein, daß er seine Thiere gehörig füttern und damit nach Quito ziehen und die Hauptstadt stürmen und plündern kann, und einer von Franco's eigenen Officieren – bei dem es nur ganz in der Ordnung wäre, wenn er des kleinen Generals Partei nähme, tritt hier – wo mich der Bursche anklagt, einen Brief an Seine Excellenz unterschlagen zu haben, für mich ein. – Der Henker werde daraus klug!«
Ungemein schüchtern war aber der Bote geworden, als der Officier davonsprengte und ihn, wie er recht gut wußte, allein »in Feindes Land« zurückließ, und doch hatte er gerade von diesem gehofft, Schutz und Unterstützung zu finden. Señor Nunez ließ ihn auch nicht lange in Zweifel, was er von ihm zu erwarten hätte.
»Hast Du Geld, mein Bursche, um zu zahlen, was Du verzehrt?« redete er ihn an, sowie er nur den Officier in der Biegung der Straße verschwinden sah, »denn Deine unverschämten Reden habe ich jetzt satt.«
»Gewiß,« sagte der Bote störrisch – »aber der General –«
»Wenn Du klug bist, Compañero,« unterbrach ihn Nunez trocken, »so machst Du hier mit dem so wenig Staat wie möglich; es könnte sonst sein, daß wir – doch ich will mich mit Dir nicht herumzanken. Zahle, was Du schuldig bist, und dann nimm Deine Kracke und mach' damit, daß Du fortkommst. Hast Du mich verstanden?«
»Si, Señor,« sagte der Halbindianer, indem er einen scheuen Blick nach der kräftigen Gestalt des Mannes emporwarf – »aber – könnt Ihr mir kein anderes Thier borgen? Ihr seht doch selber, daß ich auf dem nicht im Stande bin, noch eine Stunde zu reiten.«
»Dann will ich Dir einen guten Rath geben, mein Junge,« lachte der Ecuadorianer – »thu, was schon bessere Männer vor Dir gethan haben und nach Dir thun werden: nimm Deinen Sattel auf den Buckel und reite zu Fuß; aber hier im Haus bleibst Du keine fünf Minuten länger.«
Der Bote wollte protestiren, aber es half ihm nichts; Nunez war sich seines Vortheils zu sehr bewußt; er mußte zahlen, was er mit einer sehr mißvergnügten Miene auch endlich that, seinen Sattel dann schultern und den Rückweg – denn er dachte gar nicht daran, Franco's Lager jetzt ohne den Brief zu besuchen – zu Fuß antreten. Das Pferd blieb natürlich in der Straße liegen, um sich dort an dem vorgeworfenen Futter zu erholen und nachher aus eigenem Antrieb die benachbarte Weide aufzusuchen, oder wo es lag zu sterben – wie manches andere zu Schanden gerittene Thier in diesen Ländern. Dann freilich waren die benachbarten Hausbesitzer genöthigt, ein Seil um eins seiner Beine zu schlagen und es, durch ein Paar Ochsen vielleicht – abseits hinaus in den Busch zu ziehen, damit es hier die Luft nicht verpeste – kleine Raubthiere und Aasgeier räumen überdies den Cadaver bald hinweg – weiter kümmert sich Niemand darum.
Jacinta war, als der Officier den Platz verließ, ebenfalls wieder nach oben gestiegen und hatte eine Arbeit aufgenommen, und als ihr Nunez später folgte, schien es fast, als ob er sie, des Briefes wegen, anreden und fragen wollte. Er sah wenigstens, ohne daß die Pflegetochter seinem Blick begegnete, ein paar Mal nach ihr hin. War das aber wirklich seine Absicht gewesen, so gab er sie vollständig auf. Je weniger er von der Sache wußte, desto besser, und hatte der Bursche wirklich einen Brief mit in sein Haus gebracht und dort verloren, was kümmerte es ihn. Einmal allerdings fiel ihm ein, daß der Brief vielleicht durch eine der Spalten in der Diele ganz unter das Haus gefallen sein könnte, und er stieg hinab, kroch dort unter die Planken und untersuchte den Platz genau – aber er fand nichts, und ohne ein Wort weiter zu sagen, kehrte er in sein Haus zurück, nahm seinen Hut vor und fing wieder an zu flechten, als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre.
Erst gegen Abend getraute sich indessen Jacinta wieder hinauszugehen und den erbeuteten Brief zu lesen. Er war von dem Regenguß an den Ecken scharf zerscheuert, das innere Blatt aber noch unverletzt geblieben, und es enthielt nur die folgenden kurzen Zeilen:
»General – meinem Versprechen gemäß erhalten Sie von mir die Nachrichten, die für Sie von Wichtigkeit sein könnten. Wir liegen hier in Guaranda, aber nur mit fünfzig Mann, die nicht im Stande sind, den offenen Platz zu vertheidigen. – Espinoza, den Sie zum Tode verurtheilt haben, ist leider entflohen. Er kam hier durch und wurde von unserem Hauptmann direct weiter nach Quito gesandt, um von dort Verstärkung herbei zu holen. Rücken Sie schnell auf Guaranda, so können Sie reiche Beute machen, denn das ganze Nest liegt voll Waaren. Zögern Sie mit dem Angriff, so verlieren Sie Alles und finden außerdem die Höhen zwischen hier und Bodegas besetzt. Der Bote ist zuverlässig, schicken Sie mir Antwort. Ihr getreuer Malveca.«
Des Mädchens ganze Gestalt zitterte, als sie den Brief las, ihr Auge glühte, ihre seinen Lippen preßten sich zusammen. »Malveca,« murmelte sie dabei – »immer und immer der Name, der mein Verderben war – von jeher. Aber der Verräther soll sein Ziel nicht erreichen – diese Zeilen« – und sie faßte den Brief mit beiden Händen an, um ihn in kleine Stücke zu zerreißen – aber sie zögerte. Die warme Luft hatte das Papier schon wieder vollständig getrocknet – sie bog es sorgfältig zusammen, wickelte ihr kleines seidenes Halstuch darum, und barg es dann sorgfältig in ihrem Kleide. So schritt sie zu dem Hause zurück, fest entschlossen, keinem Menschen ein Wort von dem erbeuteten Schriftstück zu sagen und das Geheimniß fest und sicher zu bewahren.