Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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21.

Am Chimborazo.

Franco befand sich in sichtlicher Aufregung, denn das Blut, was in diesem Augenblick seine Hand näßte, war das erste, welches für ihn im Kampf gegen Quito vergossen wurde. Aber nicht dieses Blut machte sein Herz rascher schlagen – er hatte mit erbarmungsloser, oft mit durchdachter Grausamkeit manches Leben übermüthig hingeopfert, manches Todesurtheil unterzeichnet und nie versäumt, auch Zeuge bei der Vollziehung desselben zu sein. Hier aber begann der offene entschiedene Kampf mit dem Feind, der nicht gesonnen schien – wie er bis jetzt noch immer im Stillen gehofft hatte – ihm unterwürfig die Pforten des Landes zu öffnen, sondern den Boden mit Waffen in der Hand vertheidigte, und nicht sein Machtspruch, den er bis dahin für unwiderstehlich gehalten, – nein, der Sieg der Waffen mußte jetzt entscheiden, wessen Stirn der Siegeslorbeer schmücken solle.

Nero übernahm indessen, während der bewußtlose Officier einigen hinzuspringenden Leuten übergeben wurde, den Bericht den er aber natürlich nach Negerart noch ausschmückte und übertrieb. Zuerst schilderte er seine Umsicht, wie sie sich vorsichtig dem Platz genähert und wie er dem Lieutenant Torque abgerathen habe, weiter vorzugehen, denn an den vorüberstreichenden Vögeln hätte er gemerkt, daß es dort nicht geheuer sei. Der junge, hitzige Mann habe sich aber nicht abhalten lassen, sondern sei mit verhängten Zügeln vorgesprengt, und dann von einer Salve empfangen worden, von der er jetzt noch nicht begriff, daß auch nur Einer von ihnen mit dem Leben davongekommen wäre.

Es müßten wenigstens hundert Mann gewesen sein, die dort im Hinterhalt gelegen hätten, so rasch wäre Schuß auf Schuß gefallen, ohne daß sie auch nur einen einzigen Feind zu sehen bekommen. Trotzdem würden sie doch den ungleichen Kampf aufgenommen haben, wenn – Seiner Excellenz Befehl nicht so bestimmt gelautet hätte, augenblicklich zurück auf die Armee zu fallen, sobald sie Widerstand fänden.

Franco hatte ihm schweigend zugehört. Er wußte schon seit einer halben Stunde, daß ein Kampf stattgefunden habe, denn die von dem Neger auf der Straße entdeckten Pferdespuren rührten von zwei Reitern des Vorpostens her, die dem kleinen Trupp in der Ferne gefolgt und augenblicklich in Carrière zurückgesprengt waren, sowie sie die Schüsse hörten. –

Was war jetzt zu thun? Die Lastthiere waren allerdings kurz vorher sämmtlich in Tucumbo eingetroffen, aber heute nicht mehr im Stande, Guaranda zu erreichen, und wenn er ohne sie auf der Hauptstraße vorrückte, konnte der Feind mit Hülfe der andern Straße ihm in den Rücken fallen und sein sämmtliches Gepäck zerstören, oder doch die Thiere wegtreiben, ohne die er gar nicht im Stande sein würde, seinen Marsch fortzusetzen. Außerdem mußten die Truppen in Guaranda jetzt ebenfalls durch das Schießen alarmirt sein, und das coupirte Terrain, mit der einzigen hindurchgehauenen Straße, bot einen höchst ungünstigen Kampfplatz, noch dazu jetzt, wo es fast Nacht geworden wäre, ehe er den Feind hätte erreichen können.

Alle diese Schwierigkeiten malte sich Franco wenigstens im Geiste aus, denn er mochte sich selber nicht eingestehen, daß er, sowie der Angriff in seine Hand gelegt war, seinen Muth zu sehr sinken fühlte, um Alles, was er besaß, mit einem va banque auf das Spiel zu setzen. Er wollte die Entscheidung noch hinausschieben; er wollte mit sich selber noch zu Rathe gehen, auf welche Weise er den Angriff am besten organisiren könne; mit einem Wort, er wollte Zeit gewinnen und bedachte nicht, daß er dadurch gerade die kostbarste Zeit verlor.

Dem Major vor Allen war das gar nicht recht. Er wäre am liebsten augenblicklich aufgebrochen, und sehnte sich ordentlich danach, erst einmal wie ein Ungewitter zwischen die »vermaledeiten Rebellen« hinein zu fahren und sie die Wucht seines Armes und Säbels fühlen zu lassen. Aber gegen den Befehl des Generals gab es natürlich keinen Widerspruch – er wenigstens hätte es nicht gewagt, und nur das verdroß ihn, daß ihm der General, für den er Alles that, selbst das kleine Vergnügen mißgönnte, den gefangenen Spion indessen aufzuhängen; denn daß dieser einen Verrath beabsichtigt hatte, lag doch jetzt außer allem Zweifel.

Franco selber schien davon überzeugt, scheute sich aber heute wunderbarer Weise, ein Todesurtheil auszusprechen, denn er hatte in der letzten Nacht einen recht häßlichen Traum gehabt, den er selbst noch nicht abschütteln konnte. Kam vielleicht das dunkle Gefühl dazu, daß Gottes Hand in diesem Augenblick die Wage hielt, die über sein Geschick entscheiden sollte? denn der Verstockteste hat Zeiten, wo er die Macht ahnt, die über ihm waltet, so oft und gern er sie auch sonst verspottet. Genug, es war ihm unbehaglich zu Muthe – der kleine Tyrann empfand, daß es eine Grenze gäbe, worüber hinaus seine Macht nicht reiche, und daß er sich gerade jetzt an deren äußerstem Rand befinde.

Es war indeß zwei Uhr Mittags geworden – mit seinem Heer brauchte er jedenfalls fünf Stunden, um Guaranda zu erreichen, selbst angenommen, daß er die Vorposten ohne Weiteres verjagte und ungehindert würde fortmarschieren können. Um sechs Uhr geht aber schon in diesen Breiten die Sonne unter, um halb Sieben ist tiefe Nacht, und bei der Ungewißheit über den Feind, der ihm gegenüber stand, wurde der Angriff auf Guaranda bis zum nächsten Tag verschoben.


Reges Leben herrschte indessen in Guaranda selber, denn Flores entwickelte, gleich nachdem er den Brief an Malveca durch den Consulats-Courier abgeschickt hatte, seine ganze Thätigkeit. Schon ehe der Courier abritt, war eine Ordonnanz mit dem Befehl, keine Secunde zu säumen, zurück gegen Ambato gesandt, um der Cavallerie den Befehl zu bringen, augenblicklich im scharfen Trab bis Guaranda vorzudringen, während die Infanterie – ob das Gepäck mitkommen konnte oder nicht – in Eilmärschen nachfolgen sollte.

Er war dadurch auch gegen Franco in großem Vortheil, denn er brauchte nie zu fürchten, daß ihm der Feind in die Flanken fallen und seine Lastthiere abschneiden konnte. Das ganze Land stand ja auf seiner Seite, und von überall her wären die Boten hergeeilt, wenn sich irgend ein feindliches Corps außer dem gewöhnlichen Wege gezeigt hätte.

Auch von Bodegas und später von Tucumbo trafen Flüchtlinge ein, die das Anrücken der Franco'schen Truppen berichteten, aber nie nähere Angaben machen konnten, weil sie immer gleich beim ersten Erscheinen der feindlichen Soldaten das Weite gesucht hatten und die Stärke derselben, wie das stets der Fall ist, übertrieben. Die Eingeborenen haben überhaupt nur einen beschränkten Zahlensinn, und wenn sie erst einmal bis zu den Tausenden gelangt sind, kommt es ihnen auf den Nenner, den sie davorsetzen, nicht besonders an.

Flores erfuhr dabei aber doch immer ganz genau, wie weit und wie rasch der Feind vorrückte, und wenn ihn nicht Malveca's Flucht beunruhigt hätte, würde er selbst nicht für Guarandas Sicherheit besorgt gewesen sein. Der Brief konnte allerdings gegen ihn wirken, wenn Franco sich davon täuschen ließ, es blieb aber immer eine höchst ungewisse Sache, und er beschloß daher, wenigstens Alles, was er von Soldaten in Guaranda besaß, auf die Höhe zu postiren, um von dort aus gedeckt den Feind glauben zu machen, er habe es hier mit einer viel stärkeren Streitmacht zu thun, als wirklich in den Büschen versteckt lag. – Diese konnte aber, selbst überwältigt, immer noch ihren Rückmarsch in die Stadt mit Leichtigkeit bewerkstelligen.

Indessen suchte er, keinen Augenblick unthätig, auch die Bevölkerung von Guaranda zu einer Art Landsturm zu organisiren, fand aber dabei eine Menge von Schwierigkeiten, auf die er gar nicht gerechnet hatte. Die Leute zeigten sich allerdings willig genug, zusammen zu kommen, aber in dem ganzen Ort fanden sich keine drei Gewehre und höchstens hier und da eine alte Lanze, die irgendwo in einem Winkel rostete, so daß von einem nachdrücklichen Widerstand gegen eine regelmäßig bewaffnete Macht, wie die anrückende war, keine Rede sein konnte.

Die Einwohner bestätigten allerdings, daß es ein ungeheurer Verlust für Quito sein würde, wenn die hier in Masse aufgestapelten Waaren dem Feind in die Hände fielen, erklärten aber zugleich, nicht dafür verantwortlich zu sein. Wenn die quitenische Regierung zu schwach wäre, Raubhorden zu verhindern, in das innere Land zu brechen, so wollten sie nicht ihr Leben und Eigenthum nutzlos zu Markte tragen, da es doch natürlich sei, daß Franco, wenn er hier einzöge, Rache an den Bürgern und ihren Häusern nehmen würde, sobald sie sich ihm ernstlich widersetzten.

Die Leute hatten eigentlich vollkommen Recht, und das war es auch, worauf Franco besonders auf seinem Zug durch das Innere rechnete. Nicht auf die Zuneigung, die ihm oder seiner Regierung das Volk entgegentrug, sondern auf die Furcht vor einem größeren Mißgeschick, als ihnen ein Präsidentenwechsel bringen konnte. Was hätte der auch diese Menschen gekümmert, die, trotzdem sie sich Republikaner nannten, doch keinen Begriff von einer republikanischen Verfassung hatten und von Jugend auf daran gewöhnt waren, Regierungen entstehen und vergehen zu sehen, ohne daß sie jemals um ihre Meinung dabei gefragt wären.

Flores sah deshalb ein, daß er allein auf seine eigenen Truppen angewiesen blieb, und in peinlicher Ungewißheit und Ungeduld schlichen ihm die trägen Stunden hin.

Gern wäre er den Seinen entgegengeritten, obgleich er wußte, daß sie auf die neue Ordre ihren Marsch ohnedies nach Kräften beschleunigen würden; aber es hielt ihn unwillkürlich in Guaranda fest, als ob er schon durch seine Gegenwart den Anprall der Feinde verhindern könnte, und hätte Franco in der Nacht Malveca's Rath und Plan befolgt, General Flores wäre wahrscheinlich in seine Hände gefallen und das quitenische Heer dadurch des einzigen Mannes beraubt worden, der im Stande war, es zusammen zu halten und zu führen.

Das geschah aber nicht, und während Flores unten in Guaranda die zusammengerufenen Bürger unmuthig wieder entlassen hatte und gerade überlegte, ob es nicht besser wäre, sämmtliche Waaren auf dem freien Platz vor der Stadt bringen zu lassen und dort anzuzünden, anstatt sie den Händen des Feindes zu überlassen, knatterte oben auf der Höhe die Gewehrsalve und verbreitete Schrecken und Entsetzen in dem kleinen Ort.

»Franco kommt!« riefen die Frauen und rafften das Beste ihrer Habe zusammen, um mit dieser und ihren Töchtern in den Wald hinein zu fliehen. »Franco kommt,« fluchten die Männer mit verbissener Wuth, wenn sie daran dachten, wie der Mulatte jetzt bald in ihrer Stadt hausen würde. –

Flores selber war auf einen Platz geeilt, von dem aus er einen Blick auf jene Höhe gewann, und hielt sein Fernrohr fest auf den Punkt gerichtet, über dem er die kleinen milchweißen Pulverwolcken konnte emporsteigen sehen. Der gelbe Weg durchschnitt dort deutlich erkennbar die grünen Büsche, aber keine Gestalt verdunkelte den Pfad, kein lebendes Wesen ließ sich blicken. Wieder sah er den Rauch emporwirbeln – wieder schlug der Schall der Schüsse in das Thal herab, aber nichts regte sich, und jener Knall und der Rauch waren das einzige Zeichen von dem da oben stattfindenden Kampfe.

Wären die Seinen aber geflüchtet, so hätte er sie sehen müssen, denn dicht unterhalb des Gipfels hatte der tropische Regen an einer etwas steileren Fläche alles Grüne abgewaschen, so daß die nackte Lehmwand zu Tage trat. Kein Kaninchen hätte unbemerkt hinüberschlüpfen können, viel weniger ein Mensch, – aber Niemand erschien. – Nichts regte sich – da krachten wieder zwei Schüsse hintereinander und eine Gestalt tauchte aus dem Dickicht hervor, aber nicht in rascher Flucht, sondern ruhig und triumphirend den Hut schwenkend.

Flores übersah mit einem Blick das Ganze – es war eine Streifpatrouille des Feindes gewesen, die von den Seiten abgeschlagen worden – aber wie weit hinter ihnen folgte das Heer? und würden nicht bald stärkere Colonnen dort oben erscheinen und ihre Massen auf die ihnen preisgegebene Stadt werfen?

Da sah er, wie auf der unter ihm liegenden äußern Plaza – eigentlich ein freier Platz vor der Stadt, auf dem sich Nachmittags die jungen Leute mit Ballschlagen belustigten – viel Volk zusammenlief und nach der andern Seite des Thales hinauf zu sehen schien. Rasch wandte er sein Glas dorthin und hätte laut aufjubeln mögen, denn auf dem steilen, nur hier und da durch die Büsche sichtbaren Weg, der sich vom Passe des Chimborazo herabzog, erkannte er die dichten Colonnen seiner Reiter, die, ihre Pferde am Zügel führend, rüstig zu Thal stiegen.

»Gott sei Dank!« murmelte er mit einem aus tiefster Brust heraufgeholten Athemzug – »jetzt ist noch nicht Alles verloren, und wenn die Infanterie nicht zu weit zurückbleibt, halte ich den Platz.«

Noch einmal wandte er sein Glas der Stelle zu, wo seine Leute im Versteck lagen, und sah, wie einer von ihnen, sein Gewehr in der Hand, den Berg herabkletterte, um jedenfalls Bericht abzustatten. Er konnte ihn deutlich erkennen, es war Espinoza, und Flores eilte jetzt selber in die Stadt, um sowohl die Meldung zu hören, wie auch seine braven Truppen zu empfangen.

Espinoza traf zuerst ein, denn der Weg, den die Reiterei nehmen mußte, zog sich in einem weiten Bogen um die halbe Stadt hin, um eine dort geschlagene Brücke zu passiren. Der junge Officier dagegen war halb rutschend, halb springend mitten durch die Büsche gedrungen. Aber er hatte nicht viel zu melden. Etwa ein Dutzend Reiter wären auf einer Recognoscirung vorsichtig herangerückt. Sie hätten sie so nahe kommen lassen, bis sie das Weiße in ihren Augen erkennen konnten, und dann Feuer gegeben. Zwei wären gestürzt, einer todt, der andere schwer verwundet – dann hätte der Rest sich umgewandt, um in voller Flucht wieder gen Tucumbo zurück zu sprengen.

Wichtiger war die Nachricht, die gleich darauf ein junger Bursche von Tucumbo selber brachte. Er hatte erst heute Morgen das Dorf verlassen, aber, des Waldes kundig, den Weg vermieden, den die Soldaten, wie er erzählte, besetzt hielten, und deshalb einen weiten Umweg machen müssen. Aber er berichtete, daß die Maulthiere noch gar nicht eingetroffen wären und Franco wohl schwerlich daran dächte, vor morgen früh gegen Guaranda vorzurücken. Von einem dort angelangten Spion wußte er indessen nichts.

Jetzt rückte auch mit schmetternden Trompeten die Cavallerie in Guaranda ein, zwar nur etwa neunhundert Mann stark, aber gut bewaffnet und alle tüchtige Reiter; wie der Südamerikaner denn überhaupt von Kindheit an mit dem Sattel vertraut ist.

Das war freilich noch eine geringe Macht, um dem ganzen Heer des Usurpators die Spitze zu bieten, von dem das Gerücht ging, daß er fünftausend Mann unter den Waffen hätte – aber es war doch immer eine Macht und Hoffnung da, das wilde Corps des Mulatten wenigstens so lange abzuhalten, bis die Infanterie ankam.

Der Führer der Schaar, Hauptmann Pescador, der schon früher die Kriege unter Flores gegen die peruanischen Truppen mitgemacht hatte und bei dem Ueberfall auf Guajaquil betheiligt gewesen war, brachte aber auch noch außerdem die gute Nachricht, daß die Infanterie ihnen auf dem Fuße folge und nicht mehr lange auf sich warten lassen werde.

Es ist überhaupt erstaunlich, was die Ecuadorianer – wenigstens die unteren Klassen – im Laufen leisten. Die Indianer gehen beinahe immer in einem halben Trab, besonders wenn sie schwer zu tragen haben, und die Arrieros, welche Passagiere auf der viele Tagereise dauernden Tour von Bodegas bis Quito oder umgekehrt begleiten, nehmen nie für sich selber ein Reitthier, sondern laufen nebenher, und mag der Reisende so scharf reiten wie er will, wenn er Abends den Ort seiner Bestimmung erreicht, ist der Arriero sicher neben ihm.

Die am vorhergehenden Tage abgesandte Ordonnanz war den Truppen weit diesseits Ambato, dicht hinter der Posada von Alto Tambo begegnet, in der sie die Nacht lagern wollten – um am nächsten Morgen nach Guaranda aufzubrechen, und Flores durfte jetzt in der That hoffen, daß sie bald eintreffen würden.

In der Posada von Alto Tambo konnte freilich nur ein sehr kleiner Theil der Leute Unterkunft finden; die übrigen waren genöthigt, auf der unwirthlichen, kalten Höhe zu lagern. – Und nicht einmal Holz wuchs dort oben, sondern nur dürres Haidekraut und hier und da vielleicht ein paar verkrüppelte dürre Büsche, von deren Zweigen so viel als möglich zusammen geschleppt wurde, um die Nacht über ein tüchtiges Feuer zu unterhalten.

Freilich durften sie sich nicht verwundern, daß es hier oben so kalt war, denn sie lagerten dicht unter der Region des ewigen Schnees, in einer Höhe von fünfzehntausend Fuß über der Meeresfläche, und in dem ungewissen Licht des dämmernden Abends lag der riesige, in ein weites Schneebett eingehüllte Kegel des Chimborazo, anscheinend so dicht neben ihnen, daß man glauben mußte, man könne ihn mit einer Büchsenkugel erreichen. Seinen eisigen Hauch sandte er weithin auf die Höhen herab, und die armen Soldaten in ihren dünnen Jacken und Hosen rollten sich, so fest sie konnten, in ihre Ponchos und zitterten doch, daß ihnen die Zähne klapperten.

Als aber der Morgenwind über die kahlen Höhen strich, war Alles Leben und Bewegung, Feuer loderten lustig empor und pittoreske, wilde Gestalten wirthschafteten rings umher.

Und das waren Flores' Soldaten? Das das Heer, welches die Residenzstadt Quito ausgesandt hatte, um die Franco'schen Raubhorden zu bekriegen? Nun, es glich diesen sogenannten »Raubhorden« auf ein Haar, und ein Fremder wäre wahrlich nicht im Stande gewesen, sie beide von einander zu unterscheiden.

Eine kleine Abtheilung ging zwar regelmäßig uniformirt und bewaffnet, und diese trugen blaue Jacken mit rothen Aufschlägen, eine Art von Käppi und dunkle Hosen, aber die übrigen waren zusammen gelesen und bewehrt, wie es die Umstände gerade erlaubten, und ganze Schwärme von ihnen nur mit Seitengewehren und kurzen Lanzen versehen. Geschah es nun, um diesen Burschen, trotz ihrer einfachen Ausstattung, ein etwas wilderes Aeußere zu geben, oder war es eigene Wahl gewesen, aber auf den kleinen Fähnchen, die an den Lanzen wehten, drohte ein weißer Todtenkopf mit dem furchtbaren Motto: »Sieg oder Tod.«

Ob die Leute gelbe oder weiße Knöpfe – oder gar keine an ihren Jacken hatten, ob sie in lichten oder dunkeln Hosen gingen, ob sie einen Strohhut oder eine Mütze auf dem Kopf trugen, darum kümmerte sich Niemand; aber braune, wetterharte Züge waren Allen eigen, dunkelglühende Augen, schwarzes gelocktes Haar und eisenharte Glieder, und Flores konnte sich gerade auf diese Schaar am meisten verlassen.

Noch lag tiefe Nacht selbst auf dieser Höhe und nur das matte Licht der Sterne funkelte hernieder, während von Osten her ein leiser, kaum bemerkbarer Luftzug strich. Da röthete sich plötzlich der Schneegipfel des Chimborazo und fing an, immer heller zu erglühen, und wie ein von einem weißen Mantel umhüllter Riese, mit einer Feuerkrone um das Haupt, stand der mächtige Berg da und überragte selbst diese Höhe noch so sehr, als ob er schroff und steil aus einer Ebene emporstiege.

Wie Phosphorleuchten zuckte es um ihn her, und wunderbare Formen und Farben nahmen die schneegefüllten Thäler an seinen Abhängen an, je nachdem das Licht hineinfiel. Noch verschmolzen fast die äußeren Umrisse mit dem dahinter liegenden, fast gleichfarbigen Himmel, und wie eine dunkle Pyramide ragte es in den Aether hinein. Jetzt aber floß der rosige Glanz weiter und weiter daran hinab, ein purpurner Schimmer war wie über das ganze Schneefeld ausgegossen, und jetzt – kein Auge von den Tausenden, die auf der Höhe lagerten, wandte sich in diesem Augenblick von der Kuppe des gigantischen Berges ab – jetzt schoß es wie ein Feuerschein hinan, zündend und leuchtend, und hüllte den Gipfel in einen blendenden Strahlenkranz.

Die Sonne stieg empor, nicht wie bei uns Stunden lang vorher durch einen matten Schimmer ihr Nahen verkündend, sondern rasch und plötzlich, als ob sie die Zeit selber nicht erwarten könne, um auf das wunderbar schöne Land herunter zu schauen, und feenhaft starrte plötzlich das mächtige Schneegebirge, in einer compacten riesenhaften Masse, aus dem Dunkel hervor.

Da schmetterten die Trompeten, die Signalhörner bliesen, und der Tumult des Aufbruchs zog die Aufmerksamkeit der Masse von diesem Naturspiel ab. Die Arrieros beteten und fluchten, die Soldaten lachten und sangen, denn jetzt ging es wieder dem wärmeren Land entgegen, und das ganze Lager schien in eine wilde Verwirrung zu gerathen, so bunt und toll rannte Alles durcheinander.

Aber die Signale sammelten bald die wirren Schaaren, und wenn auch nicht gerade in Reihe und Glied, so standen die Mannschaften doch bald in ihren verschiedenen Trupps geordnet, von denen die Cavallerie scharf abschwenkte, um im Trab über das weite offene Grasland, dem eigentlichen Fuß des Chimborazo zu, über die Hochebene zu ziehen.

Nicht zehn Minuten später war die Infanterie fertig zum Abmarsch gerüstet, und es blieb den Arrieros mit den Lastthieren überlassen, in aller Bequemlichkeit nachzurücken. Die Leute hatten auch Zeit, denn Guaranda erreichten sie bequem vor Abend, und wenn sie noch so langsam marschirten.

Die Musik wurde vorbeordert und sollte spielen – aber es ging nicht; den Leuten waren die Finger so erstarrt, daß sie die Instrumente unter den Arm nahmen und die Hände in die Taschen steckten; nur ein paar Trompeter bliesen einen lustigen Marsch, bei dem aber die Soldaten selber ein »mas pronto« – rascher – rascher riefen, bis sich die Colonnen förmlich in Sturmschritt setzten und unter Jubeln, Schreien und Lachen vorwärts liefen. Sie wollten vor Allem warm werden, und bei dem langsamen Schritt froren ihnen die bloßen Füße.

Und jetzt richteten sich die Blicke auch wieder auf den vor ihnen liegenden Berg, mit dem aber eine ganz eigenthümliche Veränderung vorging, denn die Sonne fing an, den Schnee zu kochen. Ueberall aus den kleinen schmalen Einschnitten – die aber in Wirklichkeit furchtbare schneegefüllte Thäler waren – stiegen dünne, durchsichtige Nebel auf und legten sich wie ein Kranz um den runden Kopf des Berges. Aber sie zogen nicht fort, der Windhauch trieb sie nicht hinweg, sondern sie klebten als leichte Federwölkchen an den Hängen. Und dichter und dichter quollen sie empor, einige rechts, andere links abbiegend, als ob sie von einer unsichtbaren Hand gehalten und sorgsam aufgeschichtet würden. Schon hatten sie die Spitze so weit umhüllt, daß nur noch allein die scharfen Umrisse der Kuppe sichtbar blieben; da verschwanden auch diese, und nun rückte der Nebel in weißen, geschlossenen Massen in's Thal herab, breitete sich aus, und kaum eine halbe Stunde später war das ganze wunderbare Panorama verschwunden. Nichts war zu sehen, als eine kurz begrenzte öde Fläche gelben Grases, auf der aber selbst in dieser Höhe kleine buntfarbige Alpenblumen von ganz eigener Form und Schattirung wuchsen.

Doch um die Blumen kümmerten sich die Soldaten nicht, denn wenn sie vorher getrabt waren, so liefen sie jetzt, um sich zu erwärmen, so daß die nicht berittenen Officiere zuletzt Halt gebieten mußten, um nur mitzukommen. Diese waren an einen derartigen Dauerlauf nicht gewöhnt und fanden sich bald so außer Athem, daß sie kaum noch ein Commando geben konnten.

So zog sich der Weg noch mehrere Stunden um den Hauptkegel des Chimborazo hin, bis er die andere Seite desselben erreichte und von dort in einzelnen und oft sehr steilen Absätzen zu Thal nach Guaranda hinablief.

Dort begann auch die Vegetation wieder üppiger zu werden. Erst waren es verkrüppelte, lorbeerartige Büsche, die sich zeigten, dann aber, je tiefer man kam, wurden die Stämme schlanker, die Blätter größer und saftiger. Cactus und Aloe traten auch wieder in den Vordergrund, die Alpenblumen wurden seltener, und große Büschel blauer Glockenblumen und gelben Löwenmauls zeigten sich an den Rändern der Straße.

Hier konnten auch die Truppen nicht mehr so rasch vorrücken, wie oben auf dem offenen Boden. Das knorrige Buschwerk drängte sie zusammen; und ein versteckter, heimtückischer Cactus, der wie ein vegetabilischer Igel unter den Büschen lag, bestrafte rasch den Vorwitz der bloßen Füße, welche den gebahnten und hartgetretenen Weg verließen. Aber munter ging's voran, denn Guaranda lag nicht mehr weit und die kalte Schneeregion ja hinter ihnen.

Jetzt öffneten sich auch die Nebel, die bis dahin wie in zähen Schwaden den Weg umlagerten – unter ihnen wurde es licht, und bald breitete sich das weite Land in wellenförmigen, dichtbewaldeten Hügelrücken vor ihnen aus.



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