Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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15.

Das Souper.

Die Soldaten hatten gehofft, daß sie hier, zwischen den gefüllten Branntweinfässern, freie Hand zum Wirthschaften bekommen würden. Der Eigenthümer war ja doch nur ein verdammter Quitener. Franco wußte jedoch recht gut, daß er seine Soldaten nur commandiren konnte, so lange sie nüchtern waren, daß er aber jede Controle über sie verlor, sowie sie, im tollen Rausch, ihrer Sinne nicht mehr mächtig blieben. Der erste Befehl, den er, bei den Brennereien angekommen, gab, war, dieselben mit starken Wachen zu besetzen und Keinem der Leute, ohne Ausnahme, den Zutritt zu gestatten.

Der Eigenthümer, den diese Ordnung eigentlich überraschte, denn er hatte etwas ganz Anderes erwartet – wurde dann vorgerufen und ihm aufgegeben, für je vier Mann eine Flasche heute Abend und eben so viel morgen früh für den Abmarsch zu liefern, und wenn das auch ein paar ziemlich große Fässer leerte, erklärte er sich mit Vergnügen bereit dazu. Tschitscha freilich war, da sie nie in zu großer Menge angefertigt wird, für die »Herren Soldaten« nicht genügend vorhanden. Sie reichte kaum für die Officiere aus und wurde auch für diese vorbehalten. Aber an Branntwein fehlte es darum für die Tausende nicht.

Die Sonne neigte sich ihrem Untergange. Franco hatte mit seinem breiten Schatten, dem Major, noch einen kurzen Spaziergang gemacht, um die Bivouaks der Soldaten zu besichtigen und ihnen Nüchternheit einzuschärfen. Indessen fanden sich die Officiere nach und nach in dem obern Theil der Brennerei zusammen, um dort den General zu erwarten. Bis er kam, gingen sie plaudernd in dem geräumigen Saal auf und ab.

Fortunato lehnte auf der Rückseite des Hauses an einer Art von Balkon, oder vielmehr an der niedern, kaum drei und einen halben Fuß hohen Wand, die als Balkon diente und einen dicht gepflanzten und in vollem Wachsthum stehenden Platanar überragte, in dessen breitblätterige Kronen man von oben hineinschaute. Der ganze obere Raum des Hauses war überhaupt an zwei Seiten offen, um der Luft immer vollen Zutritt zu geben und dadurch die drückende Hitze zu mindern. Der junge Officier sah still und gedankenvoll auf die Wipfel dieser ganz eigentümlichen, in kaum mehr als einem Jahr zu einem Baum wachsenden Pflanze nieder und achtete nicht auf die sich im Hause sammelnde Gesellschaft, als eine leichte Hand seine Achsel berührte und eine Stimme fragte – es war de Castro –:

»An was denkst Du, Amigo?«

»An was ich denke, Kamerad?« sagte Fortunato, der die Stimme erkannt hatte, ohne den Kopf nach ihm umzuwenden – »ich dachte eben daran, ob man nicht von hier oben mit ziemlicher Sicherheit in einen der da unten stehenden Wipfel oder Blattkronen hineinspringen könnte.«

»Hast Du Lust zu gymnastischen Uebungen?« lachte der Lieutenant.

»Hm,« meinte Fortunato ruhig, »in Kriegszeiten ist es für den Soldaten stets von Wichtigkeit, das Terrain zu sondiren, um bei einem beabsichtigten Angriff oder Rückzug der rechten Maßregeln gewiß zu sein.«

»Und denkst Du, daß uns die Quitener schon so nah auf den Leib gerückt find?« fragte de Castro.

»Nein,« sagte Fortunato, indem er den Kopf wandte, um zu sehen, daß seine Worte keine unberufenen Ohren trafen, »aber ich sage Dir, de Castro, der General gefällt mir nicht. Er ist zu freundlich, und Du weißt selber, daß er dann jedesmal Unheil brütet.«

»Zu freundlich?«

»Ja – ich kenne den Burschen. Er muß von meiner Geschichte wissen. Er und der Major haben auch viel zusammen geflüstert.«

»Ich glaube nicht,« sagte de Castro, »wenigstens habe ich unsern Viruta heute scharf beobachtet. Er ist aber nie auch nur in die Nähe des Generals gekommen, und hat auch mit jenem Fettwanst, dem Major, keinen Verkehr gehabt. Er wird sich wohl hüten, etwas einzugestehen, wobei er selber in Strafe käme, denn sie würden ihn augenblicklich beim Kragen nehmen, weil er die Entdeckung nicht nach frischer That mitgetheilt, sondern so lange damit gewartet habe.«

»Glaubst Du?«

»Ich bin davon überzeugt.«

Fortunato sah wieder eine Zeit lang schweigend auf die Bananenstämme nieder. »Wie viel Fuß denkst Du, daß es bis dort hinunter ist?« fragte er endlich den Freund.

»Bis da hinunter?« meinte de Castro, indem er sich nach vorn überbog; – »ei, das können immer ein fünf- bis achtundzwanzig Fuß sein; – das Haus ist merkwürdig hoch gebaut – ich möchte nur wissen, zu welchem Zweck. Aber sie haben freilich Holz genug in der Nachbarschaft.«

»Nein, ich meine bis auf einen der Wipfel – bis auf den da, zum Beispiel. Von dem mittelsten Pfeiler hier könnte man ihn springend erreichen.«

»Die Banane,« lachte de Castro, »das kann höchstens bis zwölf Schuh sein, bis auf's Herz des Stammes. Der aber hielte das Gewicht eines niederspringenden Mannes nicht aus, sondern bräche jedenfalls zusammen oder knickte um.«

»Das glaub' ich auch,« sagte Fortunato ruhig. »Aber da drüben vom Walde her kommen unsere würdigen Oberhäupter. – Sag' einmal, de Castro, sieht das nicht aus, als ob der ungeschlachte Barbadoes dort mit seinem kleinen, etwas dick gerathenen Jungen spazieren ginge? – Wir haben einen recht dummen Streich gemacht, als wir uns Franco verpflichteten.«

»Ich habe auch so eine Ahnung,« erwiderte trocken de Castro, »aber jetzt kann's nichts helfen; – mitgefangen, mitgehangen, und so lange wir ein ehrliches Soldatenleben führen, halte ich auch bei ihm aus. Zum Räuber und Mordbrenner lasse ich mich jedoch nicht stempeln.«

Andere Officiere kamen jetzt auf die Beiden zu. – Sie hatten mit einander gewettet, wo sie die Quitener treffen würden. Der eine von ihnen behauptete, »nicht einmal in Quito«, der andere dagegen, daß sie Guaranda nicht erreichen würden, ohne die Feinde, oder wenigstens Widerstand zu finden. De Castro und Fortunato wurden zu Zeugen der Wette aufgerufen.

Indessen tönten von unten laute Stimmen herauf. Es war der General, der von seiner Inspectionstour zurückkam.

»Caracho, Barbadoes,« sagte er auf der Treppe, »ich habe schmählichen Hunger – Ihr nicht auch?«

»Erwähnen Sie es nicht, Excellenz,« lautete die Antwort des Riesen, »ich könnte Menschen anbeißen.«

»Teufel, dann kommt nicht zu dicht hinter mir drein, Señor,« lachte der kleine Mulatte, der bei außerordentlich guter Laune schien, – »wir werden jedoch wohl zu einer andern Mahlzeit gelangen. – Ah, buenas tardes, Señores,« setzte er hinzu, als er keuchend oben an der Treppe stand und seinen Blick über die ihn militärisch grüßenden Officiere schweifen ließ. »Sie haben sich pünktlich eingefunden, wie ich sehe – das ist recht; und nun, Barbadoes, laßt einmal zum Angriff blasen; die Tische sind ja schon reich besetzt, und wir wollen der Gastfreundschaft unseres Wirthes keine Schande machen.«

Der Wirth stand, sich verlegen die Hände reibend, hinter dem General, denn das Wort »Gastfreundschaft« gefiel ihm nicht im Geringsten, selbst wenn es nur bei dieser Besteuerung blieb und nicht auch noch Anderes gefordert ward. Glücklicher Weise brauchte Franco aber kein baares Geld, das er genügend von Peru bekommen hatte, um diesen Feldzug zu Ende zu führen. Aber selbst das gab er nicht aus, da er es vielleicht einmal für sein Privatleben gebrauchen konnte. – Viel bequemer machte sich die Sache mit Papiergeld, das er in Masse auf den Markt warf und seine »Unterthanen« zwang, es anzunehmen.

»Wenn Eure Excellenz nur mit mir zufrieden sind,« sagte der Ecuadorianer – »ich habe wirklich Alles gethan, was in meinen Kräften stand, aber die Zeit war zu kurz, um irgend welche Vorbereitungen zu Ihrem Empfang zu treffen, denn ich erhielt die Nachricht erst, daß Sie im Anmarsch wären, durch Euer Excellenz vorausgeschickte Ordonnanz. Wenn Sie ebenso an anderen Orten überraschen, so werden Eure Excellenz den Quitenern über den Hals kommen, ehe sie nur die geringste Idee davon haben.«

»Hoffe so, hoffe so,« lachte Franco, durch das Kompliment geschmeichelt, – »aber setzen wir uns, meine Herren,« und er ging um die an der Front des Hauses befindliche Tafel, um dort den obersten Platz einzunehmen, als sein umhersuchender Blick auf Fortunato fiel.

»Ach, da ist ja auch unser Hauptmann der Tiradores, unser Vorpostengeneral,« rief er, ihm lachend die Hand entgegenstreckend, »dem wir es verdanken, daß wir so unbemerkt in's Land hineinrücken. Er hält uns die Front frei und hat ein Auge wie ein Falke für die Spione. Kommen Sie, Hauptmann, setzen Sie sich neben mich; da hinüber, Barbadoes, auf die andere Seite. Ich will den Hauptmann heute an meiner Rechten haben. – Kommen Sie hierher, Kamerad, wir müssen in diesen Quartieren überhaupt eng zusammenrücken, bis wir nach Quito kommen. – Dort können wir uns ausbreiten.«

»Excellenz sind zu gütig,« versetzte Fortunato, der bei Anrede und Auszeichnung wohl um einen Schatten bleicher geworden war, sonst aber seine Gelassenheit bewahrte. Die übrigen Officiere zischelten aber mit einander, denn ihnen fiel ebenfalls diese ganz außergewöhnliche Auszeichnung auf, von der Niemand wußte, welchen Grund sie haben könne. Aber es blieb ihnen keine Zeit zum Ueberlegen oder Rathen, denn die Einladung war zu direct gegeben, und sie hakten jetzt nur ihre Degen los, um nicht bei Tisch dadurch verhindert zu sein, und lehnten sie zusammen an die nächste Wand. – Nur Fortunato trug den seinen etwas weiter zu dem mittelsten Pfeiler, von dem hinaus er vorher auf die Bananen gesehen hatte, wechselte dann einen flüchtigen Blick mit de Castro, und nahm ruhig an der Seite des Generals Platz.

Franco schien sich vor der Hand gar nicht weiter um ihn zu kümmern, denn die Mahlzeit selber nahm jetzt seine Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch. Der Eigentümer des Hauses hatte auch in der That sein Möglichstes gethan, um den mächtigen General zufrieden zu stellen, und was an eßbaren Dingen aufzutreiben gewesen, auch aufgetischt: Kalbs- und Rinderbraten, Hühner, Eier, süße Kartoffeln, Kürbis, Yukawurzel, Reis mit rothem Pfeffer, Bananen, getrocknete Fische, junger Mais, kurz eine vollständige Auswahl inländischer Leckereien, mit einer Masse von Früchten in den Kauf, deckte die Tafel, und mit der Caña-Tschitscha und dem nicht schlechten Weinvorrath des Generals, bei dem vor allem andern Champagner nicht fehlte, hätte man es kaum für denkbar gehalten, daß das alles hier im innern Lande und bei einer gewissermaßen improvisirten Mahlzeit aufzufinden wäre.

Der General schien in allerbester Laune, und während der zu seiner Linken sitzende Major mit vollen Backen kaute und einmal beinahe an einem ganz verschluckten Kalbsknorpel erstickt wäre, worüber sich Franco halb todtlachen wollte, unterhielt er sich bald mit Fortunato, dem er sogar ein paar Mal auf die Schulter klopfte, bald mit dem und jenem von der Gesellschaft.

So hatte er das Gespräch auch auf die Klugheit und Geschicklichkeit dem Feind gegenüber gebracht, und was man oft für Mittel anwenden müsse, ihn zu überlisten oder sich selber vor seinen Waffen zu schützen, und er rief plötzlich lachend:

»Ja, meine Herren, Sie wissen doch alle, daß es Mittel giebt, um sich vor Kugeln und Hieb- und Stichwunden zu bewahren, nicht wahr – meinen Sie nicht, Hauptmann?«

»Gewiß, Excellenz,« sagte dieser kalt lächelnd, – »wenn man ihnen weit genug aus dem Wege geht, ist man vollkommen sicher – das ist aber wohl auch das einzige.«

»Jetzt sehe Einer den Schelm an,« lachte Franco, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und sich an die übrigen Officiere wandte, »wie unschuldig er thut, als ob er von einem solchen Geheimniß gar nichts wüßte, und hat doch Anderen damit schon so gute Dienste geleistet. He, Hauptmann! Haben Sie lange nichts von Ihrem Freund Espinoza gehört?«

Die übrigen Officiere wußten nicht, was sie aus der Frage machen sollten, nur der dicke Major, der eben einen ganzen Hühnerschenkel in den Mund geschoben hatte und daran kaute, bekam ein rothes dickes Gesicht vor innerlichem Lachen, denn er wußte, daß jetzt der Moment erschienen war, auf den er sich so lange gefreut, und warf unwillkürlich den Blick nach der Treppe, auf deren oberste Stufe ein Hornist von ihm stationirt war, um bei einem gewissen Zeichen das Signal zu geben.

Fortunato begegnete dem lauernden Blick des Generals fest und ruhig, fast mit einem leichten Hohn um die Lippen. Jeder Blutstropfen hatte freilich, in der Erregung des Augenblicks, sein Antlitz verlassen, aber die Gefahr auch den größten Theil ihrer Furchtbarkeit verloren, denn sie war da, klar und faßbar, und es galt jetzt nur, ihr mit voller Ruhe und kaltem Blut zu begegnen.

»Ich verstehe Eure Excellenz nicht.«

»So? Sie verstehen mich nicht?« lachte aber der kleine Mulatte vergnügt vor sich hin, »nun, dann will ich es Ihnen deutlicher sagen; es wird die anderen Herren da auch interessiren. – He, mein Bursche, gieb mir einmal einen reinen Teller für die Früchte, und reichen Sie die Bananen hier herauf, de Castro – oder nein, lieber erst eine von den Chirimoyen. Wo nur unser Wirth diese delicaten Chirimoyen herbekommen hat! Und Sie sind noch nicht mit Ihrem Huhn fertig, Barbadoes? Caracho, Mann, wenn wir lauter solche Magen bei der Armee hätten, so gäbe es in vierzehn Tagen keine Provisionen mehr in ganz Ecuador.«

Die Peons waren geschäftig, dem General einen reinen Teller zu bringen und die übrigen ebenfalls abzuräumen und aufzuwaschen, denn so viel Geschirr war gar nicht im Hause, um sie doppelt zu bedienen. Franco sagte auch während der Unruhe kein Wort, sondern schien sich eher an der Ungewißheit, in der er indeß sein Opfer hielt, zu weiden. Erst als das Tellergeklapper aufhörte, reichte er dem hinter ihm stehenden Mulattenknaben sein Glas, um es wieder mit Champagner füllen zu lassen, leerte es dann auf einen Zug und sagte:

»Nun, meine Herren, will ich eine Frage an Sie richten – bitte, Hauptmann, versuchen Sie einmal eine von diesen Chirimoyen – sie sind kostbar, und wenn Barbadoes erst dahinter kommt, bleibt nicht viel davon übrig – also: – Was verdient der Officier,« fuhr er jetzt mit lauter, gehobener Stimme fort, »der nicht allein die Befehle seines Vorgesetzten nicht erfüllt, sondern sogar einem Feinde des Vaterlandes, einem Spion, behülflich ist, der gerechten Strafe zu entfliehen und unmittelbar von uns in das Lager der Gegner zu entkommen?«

»Den Tod,« sagte Barbadoes, indem er sich den Mund mit seinem fettigen Taschentusch abwischte. Die übrigen Officiere schwiegen noch, denn die Frage kam ihnen zu unvorbereitet; endlich aber sagte der eine von ihnen, da der General augenscheinlich eine Antwort zu erwarten schien:

»Ich kann nicht glauben, Excellenz, daß unter uns etwas Derartiges vorfallen würde. Wenn es aber wirklich der Fall wäre, so müssen wir natürlich alle dem Major in seiner Entscheidung beipflichten – den Tod!«

»Und ist das auch Ihre Meinung, meine Herren? Sie sind außerordentlich zurückhaltend mit Ihrer Antwort,« sagte Franco, und seine kleinen, blitzenden Augen zuckten an der Tafel auf und ab.

»Excellenz, Hauptmann Buenventura hat für uns gesprochen,« rief einer der anderen Officiere von fast dunkelbrauner Färbung, der aber seine Abstammung entschieden von Indianern hergeleitet haben wollte. – »Jedenfalls den Tod!«

»Den Tod, den Tod!« tönte es jetzt auch von da und dort herüber, und der General nickte dabei zufrieden vor sich hin.

»Und was meinen Sie dazu, Hauptmann Fortunato? – Nicht wahr, die Chirimoye ist vortrefflich? – Sie haben noch kein Wort dazu gesagt.«

»Excellenz,« erwiderte der junge Officier, »so wie Sie die Frage stellen, ist keine andere Antwort möglich als: den Tod.« –

»So, aber wie würden Sie denn nun zum Beispiel die Frage stellen? Es wäre doch interessant, das zu hören.«

Fortunato fühlte, daß er verrathen war. Leugnen half ihm nichts mehr – Gnade hatte er ebenfalls von einem Menschen wie Franco nicht zu erhoffen, der ihm überdies schon nie vergeben würde, daß er seine Pläne gekreuzt. Er war deshalb auf das Schlimmste gefaßt und sagte mit vollkommen fester Stimme, indem er ein Stück aus der vor ihm liegenden Frucht herauslöste:

»Wenn ich sie zu stellen hätte, Excellenz, so würde ich fragen: Welche Strafe verdient der Officier, der einen Unschuldigen ohne Recht und Gerechtigkeit zu einem schmachvollen Tode verurtheilt sieht und dann sein eigenes Leben daran setzt, den Unglücklichen zu retten?«

Major Barbadoes legte, vor Erstaunen über diese namenlose Frechheit, Messer und Gabel neben seinen Teller nieder. Franco's Blicke stachen aber förmlich nach ihrem Opfer, während er mit tückischem Trotze frug:

»Also verurtheile ich gegen Recht und Gerechtigkeit, Señor? Was sagt Ihr dazu, Barbadoes, he? – Aber es ist wahr, es geht ja doch Alles auf eine Rechnung, und ein bischen mehr oder weniger kann da keinen Unterschied machen. Die Sache, meine Herren Officiere, ist einfach die, – mein Tischnachbar, der sehr tapfere und gelehrte Herr Hauptmann Fortunato – welchen Namen er übrigens heute in doppeltem Sinn ablegen wird – hat den neulich in Bodegas verurtheilten quitenischen Spion Espinoza zuerst schußfest gemacht, daß ihm die Kugeln unserer wackeren Soldaten nicht schaden konnten, und ihn dann heimlich auf eine Balsa im Strom geschafft, wo er ihn versteckt gehalten, bis er ihm in der Nacht zur Flucht in das feindliche Lager behülflich sein konnte. Die Thatsache steht fest, sein Urtheil haben Sie vorher selber gesprochen, mir als Oberbefehlshaber kommt es aber zu, die Art seines Todes zu bestimmen, und da wir uns der Gefahr nicht wieder aussetzen wollen, mein lieber Herr Hauptmann, daß Ihnen die Kugeln am Ende auch nichts schadeten, wie Ihrem Freund Espinoza, so wollen wir einmal sehen, ob Sie gleich nach Tisch das Hängen vertragen können.«

»Excellenz,« rief Fortunato, und sein Gesicht nahm eine Leichenfarbe an – »ich bin Officier und Sie dürfen mich so nicht beschimpfen.«

»Bst, bst, lieber Freund,« lachte Franco, mit der Hand abwehrend, indem er sich wieder setzte, »ereifern Sie sich nicht und behalten Sie Platz. Die Sache ist abgemacht und wir wollen nur in aller Ruhe unser Glas Wein trinken, bis wir an's Geschäft gehen. Aber, Juan, Du bist doch auch furchtbar unaufmerksam – weshalb schenkst Du dem Herrn Hauptmann nicht ein? Er hat eine lange Reise vor sich und braucht Stärkung.«

»Zu gütig, Excellenz,« sagte Fortunato, der seine ganze Kraft zusammen nehmen mußte, um bei Besinnung zu bleiben. Aber er fühlte, daß er seine Geistesgegenwart bewahren mußte, oder er war wirklich verloren: sein Tod war fest und unweigerlich beschlossen. – »Sie thun wenigstens Ihr Möglichstes, einem Kameraden die letzten Augenblicke zu versüßen, und dem übrigen Officiercorps wird mein Beispiel jedenfalls als Ermuthigung und zum Muster dafür dienen, was Andere von Eurer Excellenz zu erwarten haben.«

»Caracho!« schrie der Major und schlug mit der geballten Faust, die einem kleinen Kürbis glich, auf die Tischecke, daß sein Wein hoch emporspritzte. Franco aber, der seine Freude an den gereizten Worten fand, sagte:

»Ruhe, mein ehrlicher Barbadoes, Ruhe! Der Herr hat sich das Recht erworben, das letzte Wort zu haben, denn er wird nachher zu unserer Unterhaltung in der leeren Luft tanzen.«

Barbadoes wieherte laut auf. Am Ende der Tafel erhob sich aber einer der Officiere von seinem Sitze und sagte mit seiner tiefen, aber völlig leidenschaftslosen Stimme: »Excellenz, gestatten Sie mir auch ein Wort hier zur Erklärung, oder wenn Sie mir erlauben, die Vorlage einer Frage.«

»Ah, Ferreira!« sagte Franco, indem sein Gesicht eben keinen freundlichen Ausdruck annahm. – »Nun? – was haben Sie uns zu sagen? – Heraus mit der Sprache. Es kann mir nur lieb sein, meine wahren Freunde kennen zu lernen.«

»Excellenz,« fuhr aber der genannte Officier – ein großer schöner Mann mit vollkommen schwarzem, vollem Bart und edlen Gesichtszügen, fort, ohne die Anspielung, ja vielleicht versteckte Drohung zu beachten – »es kann doch unmöglich Ihr Ernst sein, einen Officier – einen Kameraden aus unserem Corps, in solcher Weise abzuurtheilen und zu bestrafen, wo wir fordern dürfen, daß er vor ein Kriegsgericht gebracht werde. Ich stelle deshalb dazu den Antrag.«

»Und ich unterstütze ihn,« rief de Castro, sich ebenfalls erhebend.

Der General sprang mit einem der allergemeinsten und eigentlich nur von dem Pöbel gebrauchten Flüche von seinem Sitz empor und rief: »Und habe ich nicht meinen Officieren vorhin die Frage vorgelegt? – haben Sie nicht alle geantwortet, der Tod? Und ist es nöthig, mit einem Verräther noch weitere Umstände zu machen?«

»Die vorherige Frage, Excellenz,« erwiderte Ferreira mit der nämlichen eisernen Ruhe – »war vollkommen allgemein gehalten und es konnte keine andere Antwort erfolgen. Wo aber ein specieller Fall vorliegt, da ist es nöthig, daß die einzelnen Umstände auch genau und unparteiisch geprüft werden, und wenn sich Alles genau so verhält, wie Eure Excellenz angeben, so zweifle ich keinen Augenblick daran –«

»Caracho!« schrie der General, jetzt außer sich – »wer ist Herr und Gebieter – wer befehligt das Heer – Sie oder ich, Señor? daß Sie mir hier Vorschriften machen wollen, wie ich mich zu verhalten habe? Soll ich meine Soldaten herbeirufen? Dort an der Treppe steht ein Signalist – ein Zeichen von mir, und das Haus ist umstellt, und ich lasse dann meine wackeren Jungen entscheiden, wer hier ein Verräther ist oder nicht. – Wollt Ihr es darauf ankommen lassen, Señor?«

»Excellenz,« sagte Ferreira, während ein leichtes, trotziges Lächeln um seine Züge spielte. »Ich zweifle keinen Augenblick daran, zu wessen Gunsten Ihre Soldaten entscheiden würden. Unter diesen Umständen aber kann ich mich nicht mehr als befehlender Officier betrachten, und muß bitten, daß Sie mir gestatten, Ihnen meinen Degen zu Füßen zu legen.«

»Welcher Bitte ich mich ebenfalls anschließe,« stimmte ihm de Castro bei.

»Verräther!« rief der General wüthend.

Ferreira zuckte zusammen; aber er wußte, daß sie sich vollständig in der Gewalt dieses Menschen befanden, denn schon in Guajaquil hatte er einen Officier, den er beleidigt, und der ihn dann forderte, einfach als Rebellen erschießen lassen. Ruhig trat er deshalb von seinem Stuhle zurück, nahm, ehe Franco einen festen Entschluß fassen konnte, seinen nahebei lehnenden Degen, ging auf den General zu und legte denselben ehrfurchtsvoll vor ihm nieder. Das Nämliche that de Castro, während die übrigen Officiere in einem fast athemlosen Schweigen verharrten.

Franco preßte seine Unterlippe zwischen die Zähne, daß sie ganz weiß wurde – er kämpfte augenscheinlich mit einem Entschluß, und Barbadoes saß daneben wie ein angehängter Bullenbeißer an fest angespannter Kette, der nur auf den Moment wartet, losgelassen zu werden, um über den gezeigten Feind herzufallen.

Aber Franco konnte und durfte sich auch – dicht vor dem entscheidenden Augenblick – nicht mit allen seinen Officieren verfeinden, und aus dem störrischen Schweigen der Mehrzahl fühlte er heraus, daß viele von ihnen sein Verfahren mißbilligten. Nur sein Opfer war er fest entschlossen, sich nicht entreißen zu lassen – seine Rache mußte er haben.

»Meuterei,« sagte er leise mit fest zusammengebissenen Zähnen, »helle, blanke Meuterei – aber die Herren dürfen nicht glauben, daß ich sie ohne Weiteres aus meiner Armee entlasse, nur weil sie für gut befunden, nicht die weiteren Gefahren mit mir zu theilen.«

»Excellenz glauben doch wahrlich nicht, daß wir den Dienst quittiren, weil eine Schlacht bevorsteht,« sagte Ferreira, und war dabei aschfarben geworden. »Nein, trotzdem das der Fall ist, legen wir Ihnen unsere Degen zu Füßen.«

»Wir wollen das jetzt nicht weiter untersuchen,« bemerkte Franco tückisch vor sich hin. »Vor der Hand sind Sie meine Gefangenen, bis ich bestimme, ob ich Sie unter Wache hier lasse oder nach Guajaquil zurücksende. Bei meinem Urteilsspruch über den Verräther aber bleibt es. Señor Fortunato, trinken Sie Ihren Wein aus – Sie haben keine Viertelstunde mehr zu leben.«

»Excellenz,« sagte ruhig Fortunato, der keinen Augenblick daran gezweifelt hatte, daß diese Wendung der Dinge den kleinen Tyrannen nur noch mehr gegen ihn, als die Ursache des Ganzen, erbittern würde. »Sie haben hier die Macht über Leben und Tod, und ich glaube kaum, daß es etwas nützen würde, Sie auf die Verantwortlichkeit aufmerksam zu machen, die Sie einst vor einem höheren Richter übernehmen.«

Mit einem lästerlichen Fluch rief Franco: »Nein, Señor, die Versicherung kann ich Ihnen geben: – was ich thue, dafür trage ich auch die Verantwortung. – Aber die Zeit ist um. Major, übernehmen Sie das Uebrige.«

»Zu Befehl, Excellenz,« sagte der riesige Mulatte, der auf diesen Augenblick schon lange gewartet, indem er, während er sich von seinem Stuhl erhob, mit dem Taschentuche winkte. In demselben Moment fast blies der an der Treppe stationirte Trompeter ein kurzes Signal, das gleich darauf von zwei anderen Hörnern beantwortet wurde. Unmittelbar danach wurde der Schritt Bewaffneter auf der Treppe gehört, und Fortunato wußte jetzt, daß seine Zeit zum Handeln gekommen sei.

»So nehmen Sie denn den Degen zurück, Excellenz,« sagte er, »den ich bis jetzt mit Ehren getragen,« und seinen Stuhl zurückschiebend, schritt er dem Balkon zu.

»Lassen Sie den Degen stehen, Señor,« rief ihm der Major zu, der vielleicht fürchtete, daß ihn der zur Verzweiflung Getriebene gegen den General zücken würde.

Fortunato aber dachte an nichts Derartiges, wo er noch die Hoffnung hatte, sein eigenes Leben zu retten. Ein Blick nach der Treppe überzeugte ihn, daß dort eben die Soldaten sichtbar wurden, die ihn zum Richtplatz, zu einem schimpflichen Tode führen sollten. Mit zwei Sätzen war er bei seiner Waffe, die er angriff, und während der Major, der seinen Verdacht bestätigt glaubte, den eigenen mächtigen Cavalleriesäbel aus der Scheide riß, legte der junge Officier die Hand auf den oberen Rand der Balustrade und warf sich mit einem kecken Satz mitten in den gerade dort unten stehenden breitesten Bananenwipfel hinein.

Die wohl dicken, aber weichsaftigen Blätter hielten natürlich das Gewicht nicht aus, aber sie brachen den Fall, indem sie unter der Last knickten, der ganze weiche Stamm bog um, und eine halbe Secunde später war der Flüchtling unter den breiten Blättern des Platanars wie ein Schatten verschwunden.

»Feuer!« schrie der Major, sowie er nur die Absicht des Verurtheilten merkte, und sprang wie wahnsinnig selber hinter ihm drein bis an den Rand des Balkons – mit seinem Gewicht konnte er ihm natürlich dort hinab nicht folgen – aber zu spät. Ehe nur die Soldaten die Gewehre an die Backe bekamen, hatten sie kein Ziel mehr, und dadurch, daß sie erst selber an den Balkon sprangen, versäumten sie die wichtigste Zeit, denn von dort oben ließ sich nichts erkennen, als ein weites, fest ineinander greifendes grünes Dach der breiten Blätter.

»Fünfhundert Dollars, wer mir den Schuft zurückbringt – fünfhundert für den Kopf, und tausend, wenn ich ihn lebendig bekomme,« schrie Franco, sobald sein Erstaunen über den nicht für möglich gehaltenen Sprung ihm nur erst wieder Worte verstattete. Im nächsten Augenblick war auch das Haus in furchtbarer Verwirrung, denn die Soldaten, mit einer solchen Lockung, warfen sich, vollkommen rücksichtslos um die eigenen Gliedmaßen, mit geladenen, ja einige sogar mit gespannten Gewehren, die Treppe hinab, um den ausgesetzten Preis zu gewinnen.

Ihnen folgte der Major, und unten vergrößerte sich jetzt noch der Lärm – Signalhörner tönten – einige Schüsse wurden durch die Luft gefeuert, was die ganze Schaar alarmirte, und Patrouillen, barfuß mit Lanzen, als ob sie zu einer Wildschweinsjagd beordert wären, tauchten in den Platanar ein und vertheilten sich über die Zuckerrohrfelder, um dem Flüchtling den Weg nach allen Seiten hin abzuschneiden. Dazu aber hatten sie wenig Hoffnung, denn mit nur zwei Minuten Vorsprung in diesem Terrain und mit einbrechender Dunkelheit brauchte sich der Flüchtling nur kurze Zeit in irgend einem Dickicht zu verstecken und ruhig zu halten, dann hatte er nicht weiter zu fürchten, von seinen Verfolgern belästigt zu werden.



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