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Der General Franco verließ übrigens die Schanzen mit ganz anderen Gefühlen, als er sie betreten hatte; denn als er hinritt, war er noch gar nicht mit sich im Klaren, ob es nicht ein »Abschiedsbesuch« sei, den er seinen Soldaten abstatte, und ob er nicht am klügsten thue, da ihn Castilla im Stich gelassen, sich augenblicklich an Bord des Dampfers zu begeben und dem »undankbaren« Lande auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren. – Jetzt dachte er anders.
Alles, was er an Geld und Werthsachen besaß – und das Gerücht sprach von nicht unbeträchtlichen Summen – hatte er in Sicherheit gebracht, und er selbst konnte jeden Augenblick ungehindert folgen, wenn ihn die Umstände dazu nöthigten. Aber war das jetzt schon der Fall? – Hatte Castilla in der That seinen Landbesitz in Ecuador, seine Grenzregulierung, wie er es nannte, schon aufgegeben? und würde er die Hälfte eines herrlichen Reiches mit dem fruchtbaren Districten an den Quellen des Amazonenstromes nicht für einen zu lockenden Preis halten, um ein paar Hundert Soldaten und eine mit dem Werth des zu Erlangenden in gar keinem Verhältniß stehende Summe Geldes darauf zu verwenden?
Ein neuer Versuch mußte jedenfalls gemacht werden, und draußen lag ja noch der englische Dampfer, der Franco's Brief in fünf Tagen nach Lima bringen konnte. Neue Pläne durchkreuzten daher das Hirn des kleinen erfindungsreichen Mulatten.
Vierzehn Tage würde er sich mit leichter Mühe in Guajaquil gegen Flores halten, ja drei Wochen, wenn es sein mußte, und bis dahin konnte nicht allein Antwort, nein, auch Hülfe von Peru da sein. Castilla wußte gewiß nicht, daß er ohne diese gezwungen sein würde, jede Hoffnung für sich und Franco aufzugeben; er konnte es nicht wissen, er hätte ihm sonst nicht so leichthin geschrieben. Noch sah der General also eine Frist vor sich, sein Verhängniß hinaus zu schieben, und diese zu benutzen, war er fest entschlossen.
Allerdings hatte er seine Depeschen nach Peru schon geschrieben und an Bord gesandt, aber diese waren, wie gewöhnlich, voll eitler Hoffnung und Prahlerei, und er sah ein, daß er dadurch vielleicht selber Castilla dazu gebracht hatte, ihn seiner eigenen Kraft zu überlassen.
Das ging nicht mehr. Castilla mußte erfahren, daß alle bis jetzt errungenen und erhofften Vortheile für ihn selber rettungslos verloren waren, wenn er den Mulatten nicht augenblicklich und wirksam unterstützte. Selbst Geld reichte nicht mehr aus. Er mußte Mannschaft schicken, sonst wurde Franco gestürzt, und damit verschwand jede Hoffnung für Peru auf den ungeheuern Landbesitz in Ecuador.
Eine Viertelstunde später saß Franco wieder in seiner jetzt schon halb ausgeräumten Stube, um das entscheidende Document zu entwerfen. Es war auch die höchste Zelt, denn der Dampfer verließ ziemlich regelmäßig um vier Uhr die Stadt wieder, um seine Reise nach Callao anzutreten.
Mit kurzen Worten nun schilderte er Castilla seine Lage und den Zustand des Landes, bat dringend um die bis jetzt versagte Hülfe und fügte neue Versprechungen hinzu, mit denen er überhaupt sehr freigebig war.
Aber noch während er schrieb, dröhnte von Bord des Dampfers der erste Kanonenschuß, als Zeichen baldiger Abfahrt. Er mußte schließen, und doch fielen ihm immer noch neue Gründe ein, die den zähen Castilla bewegen sollten, seinen Vorschlägen zu folgen. Endlich war der Brief beendet, und ein Polizeidiener wurde beordert, das Regierungsboot zu nehmen und damit rasch an Bord zu fahren.
Da ertönte der zweite Schuß. Aber wenn der Dampfer die Flagge an Bord des Bootes wehen sah, mußte er warten, um die Regierungsdepeschen zu übernehmen. Der abgesandte Beamte sprang die Treppe hinab und eilte nach seinem Boot, die Leute waren jedoch nicht gleich da und mußten erst zusammengesucht werden.
Franco begann indessen seine Toilette zum Diner zu machen, da knatterte wieder von den Schanzen Gewehrfeuer herüber – die Quitener schienen einen neuen Angriff zu machen oder wenigstens eine neue Plänkelei zu beabsichtigen – und der General lächelte verächtlich und knüpfte sich seine Cravatte um.
Doch das Boot stieß noch immer nicht ab, und draußen arbeitete wahrhaftig der englische Dampfer schon mit seinen Rädern und rückte langsam den Strom hinauf, denn wo er geankert hatte, konnte er nicht wenden, weil ihm das eine peruanische Kriegsschiff im Wege lag. Er mußte also um dasselbe herumfahren.
Jetzt aber stieß endlich das Boot vom Land ab und nahm die Richtung nach einer Stelle, die der Engländer zu passiren hatte. Der im Heck des Bootes stehende Beamte schwenkte eine kleine Flagge. Franco sah mit seinem Glas hinüber und konnte den Capitain auf dem Quarterdeck des Dampfers erkennen. – Dieser mußte das Boot schon sehen können, aber noch immer trieb die Maschine den Dampf in regelmäßigen Stößen aus. Jetzt endlich ging an Bord Jemand zu ihm und zeigte mit der Hand nach dem Regierungsboot – man machte ihn jedenfalls darauf aufmerksam – er mußte ja die Maschiene anhalten – aber ununterbrochen stieg der weiße Qualm in die Höhe.
Der Beamte im Boot winkte und schrie – der Capitain auf dem Quarterdeck regte sich nicht. Was kümmerte ihn die ecuadorianische Regierung? Er hatte seine Post und seine Passagiere, und wenige Minuten später schaukelte das Regierungsboot im Fahrwasser des Dampfers und ward von den Wellen zurückgeworfen, während der Dampfer den Strom hinab seinem Ziel entgegensteuerte.
Franco war außer sich – er wüthete und fluchte Gift und Tod auf alle Fremden – besonders auf alle Engländer – herab. Aber was half's? Der Dampfer war fort, und wie sollte er nun seine Depesche rasch nach Lima befördern, da erst in vierzehn Tagen der nächste Dampfer nach dem Süden Guajaquil anlief? Mit einem Segelschiff war es nicht möglich, das hätte im allergünstigsten Falle zu der Strecke, die der Dampfer in fünf Tagen durchlief, drei volle Wochen gebraucht, da Wind und Strömung unausgesetzt an dieser Küste von Süden nach Norden gehen.
Der General rannte in voller Wuth in seinem Zimmer auf und ab – er wollte den Capitain verhaften und vor ein Kriegsgericht stellen lassen, sowie er von Callao zurückkehrte – er wollte sich bei der englischen Regierung wegen Contractbruchs beschweren – er wollte – er wußte selber nicht was.
Doch etwas mußte geschehen. Der eine peruanische Dampfer sollte am Abend nach Payta, dem nächsten peruanischen Hafenplatz, gehen, um dort frische Kohlen einzunehmen. Dieser mußte weiter bis Callao gehen und, wenn das anging, von Payta einen Courier zu Lande nach Lima schicken. Alles mußte versucht werden, wo ein Reich auf dem Spiele stand. Aber den peruanischen Comodore traf Franco jetzt drüben bei Ruibarbo. Der Doctor hatte gesagt, daß er ihn ebenfalls eingeladen habe. Das war die einzige, letzte Hoffnung, und rasch beendete der General seine Toilette, um keinen Augenblick Zeit mehr zu versäumen.
Das Haus der »früheren Wittwe und jetzigen glücklichen Señora Ruibarbo« hatte heute ein Festgewand angelegt und der Doctor wirklich keine Kosten gescheut, um es so freundlich als möglich auszuschmücken.
Er besaß nicht allein das Geld dazu, sondern auch Geschmack, und es schien beinahe, daß er den ganzen benachbarten Wald geplündert hatte, um tausend und aber tausend herrliche Blumen und Blüthen, gefiederte Farren und breitblätterige Wasserpflanzen aufzutreiben, die nun die Wohnung, unten vom Eingang an bis in die obersten Räume, in einen Garten verwandelten.
Und die Elite von Guajaquil war daselbst versammelt, denn die ganze Stadt wußte, daß das Fest eben so sehr zu Ehren Franco's als für das Brautpaar veranstaltet war. Alles wenigstens hatte sich eingefunden, was mit dem »Präsidenten« in irgend einer Beziehung stand oder zu stehen wünschte, und besonders glänzten die Damen in prachtvoller Toilette und unter ihnen Celita als Stern erster Größe.
Celita war wirklich schön und wenn sie lächelte, was sie oft und gern that, hinreißend zu nennen. Zuweilen aber, in Augenblicken der Selbstvergessenheit, zuckte ein Etwas über ihre Züge, das man dämonisch hätte nennen können, so kalt verächtlich, so voll von bitterem Hohn und Haß blitzte dann ihr funkelndes Auge, indem sich, fast unwillkürlich, jedenfalls unbewußt, die hohe, schlanke Gestalt des Mädchens emporhob.
Heute freilich war nichts davon zu bemerken, denn nur Licht und Sonnenschein lag auf dem feinen Antlitz und funkelte in den lachenden Augen. Aber sie strahlte auch als die Königin des Festes, denn ein prachtvolles weißes Seidenkleid umschloß die schlanken Glieder, ein Brillantschmuck blitzte auf dem Schnee ihres Nackens und in den fein geschnittenen Ohren, und eine ächte kostbare Perlenschnur wand sich durch das volle, üppige kastanienbraune Haar, das besonders in der Sonne eine wunderbare Färbung annahm.
Wie geblendet stand der kleine Mulatte vor ihr, als er das Zimmer betrat und in ihre leuchtenden Augen schaute, und unwillkürlich und deshalb ehrlich gemeint war der Ausruf, mit dem er sie begrüßte:
»Señora, wie schön sind Sie!«
Und mit welchem lieben Lächeln reichte sie ihm da ihre Hand, die er begeistert an seine Lippen führte und wiederholt küßte, bis sie ihm dieselbe, mit dem Finger drohend, entzog.
Doch selbst dieser Zauber konnte ihn nicht lange fesseln; wenigstens nicht, bis er den Capitain des peruanischen Dampfers gesprochen hatte, und als sein suchender Blick auf diesen fiel, ging er auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter und führte ihn abseits an ein Fenster, um dort mit ihm allein zu sprechen.
Während nun die »junge Frau« im Speisesaal beschäftigt war, um die Anordnungen der Festtafel zu überwachen, und Señora Buscada in einem Eckzimmer mit dem Polizeidirector Monte spielte, stand an dem Fenster des Nebenzimmers der Doctor mit Señor Mariano in eifrigem Gespräch.
Ruibarbo war eine männliche, stattliche Gestalt, der Agent überragte ihn aber dennoch reichlich um einen halben Kopf, und der Erstere mußte zu ihm aufsehen, wenn er mit ihm sprach.
Die Unterredung schien aber Beide für den Augenblick ganz in Anspruch zu nehmen, denn sie betraf nichts Geringeres, als die jetzige politische Lage, die mit dem vom Süden gekommenen Dampfer entschieden sein mußte und von welcher Beide, trotz aller Mühe, die sie sich gegeben, noch so viel wie gar nichts wußten.
»Haben Sie gesehen, Doctor,« sagte der Agent leise, »wie rasch Seine Excellenz auf den Peruaner zuging und wie angelegentlich er mit ihm zu sprechen hatte? – Ich glaube fast, das ist ein gutes Zeichen. Meinen Sie nicht?«
Ruibarbo sah sinnend vor sich nieder.
»Der General gab ihm einen versiegelten Brief,« sagte er endlich, »und der Capitain zuckte die Achseln – der Brief könnte nur nach Lima selber bestimmt sein. – In dem Falle begreife ich nur nicht, weshalb er ihn nicht dem heute abgegangenen Dampfer mitgegeben hat – wohin könnte er sonst schreiben?«
»Als ich hierher kam,« erwiderte Mariano rasch, »ruderte ein Regierungsbot mit der Flagge auf den Dampfer zu, der Engländer nahm aber keine Notiz davon und hielt nicht mehr an.«
»Caramba,« rief der Doctor, erstaunt zu seinem langen Gefährten aufsehend – »dann ist auch irgend etwas nicht richtig. Haben Sie vielleicht bemerkt, ob Geld für Seine Excellenz angekommen ist? – es konnte das nicht heimlich geschehen, denn die Peruaner haben nichts als halbe Dollarstücke.«
»Ich habe nichts bemerkt,« sagte Mariano, mit den Achseln zuckend, »mein Commis ist von dem Augenblick an, wo der Dampfer die Anker fallen ließ, nicht von seinem Posten gekommen. Nur Depeschen sind an Seine Excellenz abgeliefert.«
Der Doctor nickte langsam mit dem Kopf, als ob er damit eine längst gehegte Befürchtung bestätigt fände.
»Verfluchte Geschichte,« sagte er dann ganz in Gedanken, »und aus dem verdammten kleinen Mulatten wird nichts heraus zu bekommen sein.«
»Aus Seiner Excellenz?« frug Maraino verwundert und wie bestürzt.
Der Doctor sah rasch, mit einem halb spöttischen Lächeln zu ihm auf.
»Ach, ich dachte an einen Andern; aber was soll daraus werden, wenn keine Hülfe von Peru kommt und wir hier eingeschlossen und – ausgesogen werden? Denn wer sonst wird den Unterhalt der Truppen bezahlen müssen, als die einzige Stadt, die dem General treu geblieben ist?«
»Wenn nur die verwünschte Anleihe nicht wäre,« sagte der Agent, »aber ich selber befinde mich in der furchtbarsten Verlegenheit, denn während ich Seiner Excellenz fortwährend alle Bedürfnisse liefern soll, will kein Mensch mehr sein Papiergeld haben – und woher nehmen und nicht stehlen?«
»Aber weshalb nicht stehlen, lieber Freund?« frug der Doctor mit seinem stereotypen, gemüthlichen Lächeln. – »Im Kriege gelten alle Vortheile.«
»Wenn Sie mir einen Ort angeben könnten, wo etwas zu finden ist, mein bester Doctor,« erwiderte Mariano, »so würde ich mich vielleicht auch darüber mit meinem Gewissen abzufinden suchen – aber ich weiß keinen.«
Der Doctor nickte – er wußte auch keinen, sonst würde er selbst ihn schon längst ausgebeutet haben.
So standen die beiden Freunde einander rathlos gegenüber, Beide entschlossen, ihr Geld zu opfern, wenn sie mußten, es aber auch zurückzuhalten, bis die Noth sie zwang, es herzugeben. Aber aus Freundschaft für den General? – wer schuldete ihm die, von wem verlangte er sie? Eine Saat nur sollte es sein für spätere Ernten, doch der Boden schien vor der Hand gar zu dürr dafür zu sein, und nur die eine Möglichkeit des Erfolges hatten sie für sich, wenn der peruanische Präsident mit ihnen Hand in Hand ging. Ließ er sie im Stich, dann unterlag es auch nicht dem geringsten Zweifel mehr, daß Franco rettungslos verloren war, denn eine eigene Partei hatte er nirgends in der ganzen Republik.
Beide Herren waren auch über die Sache selber vollkommen einerlei Meinung, Beide scheuten sich aber auch, ihre Ansichten direct auszusprechen; denn gestaltete sich, wenn auch wider Erwarten, noch Alles zum Besten für Franco, so war Jeder vom Andern fest überzeugt, daß er irgend eine jetzt gefallene verdächtige Aeußerung beim Präsidenten später zu seinen eigenen Gunsten verwerthen würde.
Der Ruf »zu Tische« machte aber dem Gespräch ein Ende, während ein Theil der Gäste am offenen Fenster stand und auf das wieder beginnende Gewehrfeuer horchte. Franco hatte aber schon vorher seinen Juan nach den Schanzen hinaus geschickt, um Genaueres über den Verlauf der Dinge zu erfahren, und als dieser jetzt zurückkehrte und meldete, es sei nichts als eine Plänkelei, und die Quitener wagten sich nicht einmal in Schußweite, so wandte man sich auch wieder scherzend und lachend den Annehmlichkeiten des Festes zu, deren größte augenblicklich die mit Blumen und Delicatessen fast überladene Tafel bildete.
Franco nahm natürlich den Ehrenplatz ein; an seiner Rechten saß die Braut, an seiner Linken die reizende Celita, und um ihn gruppirten sich die übrigen Gäste, während Teresa am untern Theil der Tafel ihren Kreis von Anbetern um sich versammelte.
Und der Champagner floß in Strömen, denn Franco hatte heute allein drei Körbe, die er dem Agenten mit dessen Herzblut abgepreßt, hergeschickt, und der Doctor überbot sich selber durch die gute Laune und den liebenswürdigen Humor, von dem er im wahren Sinne des Wortes übersprudelte. So erhob sich denn auch Ruibarbo, nachdem Franco einen Toast auf das junge Brautpaar ausgebracht hatte, und ließ die »eben so neue und junge« Republik Ecuador und die Vermählung derselben mit ihrem zukünftigen Präsidenten, dem »famoso, illustrisimo y galante General Franco« – dem Stolz seiner Unterthanen, dem Schrecken seiner Feinde, leben, und erging sich dabei in einem solchen Uebermaß von groben Schmeicheleien, daß selbst Franco erröthete und sich unbehaglich zu fühlen begann. – Es war vielleicht das erste Mal in seinem Leben, daß ihm so etwas passirte – möglicher Weise auch das letzte Mal.
Es gehörte freilich auch das beständig lächelnde Gesicht und die bodenlose Unverschämtheit eines Doctor Ruibarbo dazu, um den General in demselben Augenblick den »Schrecken seiner Feinde« zu nennen, wo ihn diese in die Stadt hinein gejagt hatten und schon seine Schanzen bestürmten. Aber Ruibarbo machte es trotzdem möglich, und da natürlich Militärmusik bei einer solchen Gelegenheit nicht fehlen durfte, und diese jetzt auf ein von Bustillos gegebenes Zeichen mit einem schmetternden Tusch einfiel, so ward alles Andere vorläufig übertäubt. – Aber mit dem Klingen der Gläser und dem Knallen der Champagnerpfropfen vernahm man zugleich von draußen her das Knattern des Kleingewehrfeuers.
Es war ein wunderliches Fest und wurde etwa mit der nämlichen Sicherheit gegeben und empfangen, als ob die kleine Gesellschaft an dem unter ihr grollenden Krater des Kotopaxi gesessen hätte, von dem sie möglicher Weise im nächsten Augenblick mit einem Feuerregen überschüttet und mit Lava versengt werden konnte. Keinen von Allen, die an dem Tisch saßen, gab es, der nicht die Gefahr kannte, aber auch Keinen, der sich nicht die größte Mühe gegeben hätte, so zu thun, als ob er keine Ahnung davon hätte, und dadurch entstand endlich eine solche überreizte Lustigkeit, daß sie zuletzt beinahe bis an die Grenzen des Schicklichen streifte. Jedenfalls waren Alle darüber einig, noch nie im Leben einer so vergnügten und ausgelassenen Gesellschaft beigewohnt zu haben.
Die Tafel dehnte sich bis gegen zehn Uhr aus, und während alle Fenster im Hause geöffnet waren, um der frischen Nachtluft vollen Durchzug zu gestatten, wurden die Tische bei Seite gerückt, aus denen der erfinderische Doctor eine Art von Orchester für die Musici baute, und der Tanz begann.
Und als die Mitternachtstunde schon vorüber war, standen noch immer die verschiedenen Paare einander in dem graziösen Tanze gegenüber und wehten mit den Tüchern, und neigten und beugten, verfolgten und mieden sich, während einzelne die stille kühle Fensterbrüstung suchten und mit einander flüsterten und heimlich kosten.
Zu diesen gehörte Franco, der an dem Tanz selber natürlich keinen Theil nahm, wenn auch Celita anfangs mit allem Eifer sich ihm hingegeben. General Franco hatte sich einen Stuhl in die Fensterböschung gerückt, wo er durch eine der leichten Gardinen halb verdeckt wurde, und Celita stand jetzt neben ihm, ihre Hand in der seinen haltend, und lauschte mit niedergeschlagenen Augen den leidenschaftlichen Worten, die der kleine, vom Wein erhitzte Mulatte ihr zuflüsterte.
Das Gewehrfeuer draußen hatte schon seit zehn Uhr vollständig nachgelassen, und eine so friedliche Ruhe lag über der Stadt, daß, wenn die Musik im Saal einen Augenblick schwieg, das leise Gurgeln des rasch fließenden Stromes hörbar wurde.
Unten auf der menschenleeren Straße, die von den Patrouillen längst verlassen war, brannten in langer Reihe die Uferlaternen, und im Strome selber glühten wie feurige Cyklopenaugen die rothen Signallichter, die auf den Mastspitzen der peruanischen Dampfer als Zeichen für etwa ankommende Schiffe oder abwärts schwimmende Balsas befestigt waren.
Welch' einen stillen Frieden breitete die Nacht über dies Chaos von gährenden Leidenschaften aus, denn überall unter ihrer Decke glimmte der Funken, der im nächsten Augenblick emporlodern konnte. – Menschen lagen da mit brennender Lunte neben ihren Kanonen, die Verschwörung grub langsam aber sicher ihre geheimnißvollen Gänge, und selbst die schläfrigen Heizer an Bord der Dampfer griffen mit ein in dies heimliche, ungesehene Wirken und Schaffen.
Da fiel ein einzelner Schuß; klar und deutlich trug der Südwind den Schall herüber, und Franco fuhr, mitten aus seiner Schwärmerei aufschreckend, überrascht mit dem Kopf aus dem Fenster, denn das war der erste Schuß, der aus jener Richtung her an diesem Abend gefallen war.
Er konnte nicht bei den Schanzen abgefeuert sein; der Schall kam vom untern Theile der Stadt und klang fast, da kein zweiter darauf antwortete, wie ein Alarm.
Im Saale hatte man den Knall zwar gehört, da er viel deutlicher herüber drang als die früheren Schüsse, aber nicht weiter darauf geachtet, denn in demselben Augenblick begann die Musik wieder und ließ keinen trüben Gedanken aufkommen. Selbst der lange Agent war zu einer Marimba mit Teresa angetreten, und wenn ihn auch der reichlich genossene Champagner ein wenig unsicher auf den Füßen machte, so lächelte er doch seine Tänzerin süß und schmachtend an und wehte mit seinem von Parfüm duftenden Tuch nach Herzenslust.
Der Doctor, der sich mit seiner jungen Frau noch nicht zurückgezogen hatte, saß ebenfalls an einem Fenster und klimperte, dem Tact des Tanzes folgend, eine vollkommen unhörbare Begleitung auf der Guitarre, als auch sein Ohr den Knall des abgefeuerten Gewehrs vernahm und er überrascht nach der neuen Richtung den Blick hinwandte. Er bog sich dabei aus dem Fenster und sah in dem Nebenfenster das ihm jetzt zugedrehte Gesicht des Generals.
»Wundervoller Abend heute, Excellenz,« sagte er, »so kühl und frisch; es ist ein wahrer Genuß, aus dem Fenster zu sehen.«
»Ja,« lautete die etwas zerstreute Antwort, »sehr angenehm. Haben Sie den Schuß eben gehört, Doctor?«
»Einen Schuß? ja. Sie werden sich an den Schanzen noch ein Vergnügen machen wollen.«
»Er kam von der andern Seite.«
»In der That? – wahrscheinlich ist Einem der guten Leute ein Gewehr losgegangen. Die Meisten wissen viel besser mit einer Lanze, als mit der Flinte umzugehen.«
Ein fremdes Signal, das Franco aber eben so gut wie der Doctor kannte, tönte jetzt, zwar aus weiter Ferne, aber trotzdem deutlich zu ihnen herüber.
»Was war das?« rief Franco emporschreckend.
»Dort unten werden einige Signale gegeben,« sagte der Doctor und lächelte gezwungen, denn sein Athem stockte fast vor Schreck. Nur zu gut kannte er den Ton: das war das quitenische Signal zum Vorrücken an der rechten Flanke. »Excellenz, ich – weiß nicht, welche Signale Sie bei Ihrem Heere eingeführt haben, aber – aber General Flores hat ganz ähnliche.«
»Verrath! Verrath!« schrie plötzlich eine Stimme auf der Straße, und ein einzelner Mann floh am Ufer entlang.
»Was ist da? – was geht da vor?« rief der General hinunter. »Ruhe mit der Musik, zum Teufel!« schrie er in das Zimmer zurück und stampfte mit dem Fuße.
Die Musik schwieg – die Damen wandten sich erschreckt dem General zu, der Agent stand, das eine Bein zierlich vorgestreckt, den rechten Arm mit dem wehenden Tuch emporhaltend, wie eine Bildsäule da.
»Die Quitener kommen!« lautete die Antwort von unten her, und die dunkle Gestalt verschwand in der Nacht.
Jetzt aber änderte sich die Scene. Nicht allein von den Schanzen her begann ein wildes, unregelmäßiges Feuern, sondern auch am südlichen Theile der Stadt wurden Schüsse gewechselt, und immer deutlicher und näher tönten die fremden Signale und bliesen den Todesmarsch der Franco'schen Republik.
In diesem Augenblick glitt der kleine braune Diener Franco's ohne weitere Anmeldung in's Zimmer und auf den General zu, dessen Schulter er berührte.
»Heda, Juan! – was giebt es?«
»Flieht, Señor!« war aber Alles, was der vor Furcht bebende Knabe herausbringen konnte. »Flores ist in der Stadt!«
»Flores ist in der Stadt!« Und wenn ein Medusenhaupt plötzlich mitten im Saal aufgetaucht wäre, es hätte die Gesellschaft nicht rascher können erstarren machen, als diese wenigen Worte des kleinen Burschen, die auf allen Lippen zuckten: »Flores ist in der Stadt!«
»Caracho, Du lügst!« schrie Franco, in Zorn und Schrecken auflodernd. »Kein Kanonenschuß ist gefallen – ein grundloser Lärm, Caballeros, weiter nichts!«
Unten auf der Straße ertönten indessen die Franco'schen Signale zum Sammeln – es war der ecuadorianische Generalmarsch.
Ein Mißverstehen war hier nicht mehr möglich, und mit Blitzesschnelle griffen die Musiker ihre Instrumente auf und sprangen der Thür zu. Draußen wurde es Ernst, und der General hielt sie nicht zurück.
»Wo ist mein Säbel, Juan?«
Der kleine gewandte Bursche hatte ihn im Nu aus einer Ecke hervorgeholt und brachte auch den mächtigen Federhut mit, den der General heute, zur Feier des Festes, trug.
»Meine Damen, Sie entschuldigen,« rief Franco, indem er den Hut aufsetzte. »Die Pflicht ruft mich – jedenfalls ist es nur ein blinder Lärm, ich bin gleich wieder da, lassen Sie sich nicht stören –« und fort war er.
»Lassen Sie sich nicht stören« – ein freundlicher Wunsch! während draußen die Signalhörner schmetterten und dunkle Soldatentrupps im Sturmschritt herbeiliefen und sich vor dem Regierungsgebäude sammelten.
»Juan,« sagte Franco mit leiser Stimme zu dem kleinen Burschen, indem er mit ihm die Treppe hinunterstieg – »eile in meine Wohnung, hole den kleinen Lederkoffer, der gepackt auf meinem Stuhl liegt, und bringe meinen Strohhut mit – vergiß auch die Hängematte nicht – Du brauchst sie nur auszuhaken – sei rasch – das Boot liegt doch an der bestimmten Stelle?«
»Si, Señor – Alles in Ordnung.«
»Bueno – nur rasch – in fünf Minuten mußt Du wieder unten sein – nimm einen Polizeidiener zum Tragen mit.«
Hinter ihnen stolperte Jemand die Treppe hinab. Es war der Polizeidirector Bustillos mit einem ganzen Packet Banknoten in der Hand, die er eben der Señora Buscada und dem Steuerdirector abgenommen und noch nicht Zeit gehabt hatte, in die Tasche zu stecken.
»Excellenz,« rief er dem voraneilenden Franco bestürzt zu, »glauben Sie wirklich, daß –«
»Machen Sie, daß Sie auf Ihren Posten kommen, Bustillos,« schnitt ihm aber der Mulatte das Wort ab. – »So viel kann ich Ihnen sagen – der Teufel ist los und heißt Flores. Das Einzige, was wir thun können, ist, daß wir ihn wieder fortjagen. Haben Sie Ihr Boot in Bereitschaft?«
»Excellenz befahlen mir heute –«
»Gut – wenn Alles verloren ist, machen Sie, daß Sie an Bord des Dampfers kommen,« und damit war er aus der Thür und eilte dem Regierungsgebäude zu.