Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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10.

Oben, inmitten des schönen Mecklenburger Landes, an einem der kleinen reizenden Seen, lag das nicht unbeträchtliche Rittergut Schildheim, seit undenklichen Zeiten schon einem alten Mecklenburger Geschlechte erb- und eigentümlich. Der letzte desselben heiratete eine Komtesse Geyerstein aus einer Nebenlinie im nordöstlichen Preußen, und um sie die Heimat nicht so sehr vermissen zu lassen, wurde damals das alte, durchaus neu restaurierte Gut ganz nach preußischer Art eingerichtet; ja sogar einen preußischen Verwalter und eine Wirtschafterin brachte die junge Frau mit dorthin, sowie Leute von ihren eigenen Gütern, und Schildheim hieß demnach und von der Zeit an in der Umgegend nur »das preußische Gut«. Der Besitzer starb, aber seine Witwe, eine Großtante Wolfs von Geyerstein, überlebte ihn noch viele Jahre, und als auch sie in der Familiengruft beigesetzt wurde, ging das Gut durch Erbschaft an Wolfs Mutter über.

Mit den Jahren hatte sich jetzt dort vieles verändert. Die Wirtschafterin war gestorben und eine andere aus dem Lande selber angenommen worden. Dann hatte ein Pächter das ganze übernommen, und die preußischen, dazu gehörigen Familien verdingten sich teils auf anderen Gütern, teils hatten sie selber etwas erspart und einen eigenen kleinen Grundbesitz gekauft. Nur die Gebäude waren noch die alten und der Name »das preußische Gut« ebenfalls auf dem alten Herrensitze haften geblieben. Die Leute in der Nachbarschaft kannten es fast unter keiner andern Benennung, und doch verdiente sie das Gut schon lange nicht mehr. Von den eigentlichen, dort hinübergezogenen Preußen lebte in der Tat nur noch einer, der alte Verwalter, ein Mann hoch in den Sechzigern aber mit noch rüstigen Kräften, der samt den Dienstleuten der seligen Besitzerin, und zwar als Ochsenjunge, herübergekommen war und sich durch Fleiß und ehrliches Betragen zu solchem Ehrenposten aufgeschwungen hatte. Das eigentliche Inventar aus ältester Zeit blieb aber eine andere, höchst eigentümliche Persönlichkeit, und das war der alte Forstwart, wie er dort überall hieß. Dieser, ein origineller Kauz, aber ein durchaus braver und rechtlicher Mann, hatte seine Karriere auf dem preußischen Gute von der Pike auf gemacht, das heißt vom Holzdieb bis zum Forstwart, wo er halten blieb, und jetzt, in seinem hohen Alter, eigentlich mehr das Gnadenbrot aß, als noch wirklichen Nutzen leistete. Dabei hing er an dem alten Platz, besonders an seinem Walde – denn um die Menschen bekümmerte er sich wenig oder gar nicht – mit einer Zuneigung, die man in dem sonst so abgeschlossenen und selbst scheuen Gesellen gar nicht gesucht haben würde.

Der Förster war allerdings sein Vorgesetzter, aber er bekümmerte sich wenig um ihn und tat seine Pflicht, ohne ihn viel damit zu belästigen. Jener war auch gern damit zufrieden, wenn er nur den Holzfrevlern ein wenig auf die Finger sah und im Winter dem Raubzeug Fallen stellte, und zu beiden Beschäftigungen ließ sich niemand besser verwenden als der alte, für seine Jahre aber noch außerordentlich rüstige Forstwart Barthold. Die Holzfrevler fürchteten nämlich den alten Mann weit mehr und gingen ihm weit sorgfältiger aus dem Wege, als wenn er der jüngste und kräftigste Forstgehilfe gewesen wäre, denn sie glaubten: er könne mehr als Brot essen, das heißt er stände mit verschiedenen über- und unterirdischen Mächten im Bunde, was sich mit dem Seelenheil eines gewöhnlichen Christen nicht vertrug. Ging er doch auch in keine Kirche, und man erzählte sich von ihm im Dorfe die tollsten und abenteuerlichsten Geschichten – und doch gab es kaum ein harmloseres Wesen in der weiten Umgegend als eben diesen braven alten Forstwart. Nur dem Raubzeug im Walde, den Füchsen, Mardern, Wieseln, Iltissen und wilden Katzen war er ein grimmer und schlauer Feind, weil sie Sicherheit und Leben seiner lieben Waldsänger, der Vögel, bedrohten.

Etwa zehn Minuten Weges – oder eine halbe Pfeife Tabak, wie die Bauern manchmal ihre Wege messen – von dem Rittergut Schildheim entfernt, und dicht am Ufer des kleinen schilfbewachsenen Sees, lag ein sehr freundliches Dorf gleichen Namens mit einigen wohlhabenden Bauern, wie auch von den Arbeitern bewohnt, die auf dem Gute ihre Nahrung fanden. Dort war eben Kirchweih abgehalten worden, und die Bauern und Insassen feierten jetzt noch – gewissermaßen zur Erholung von den überstandenen Festlichkeiten – die Nachkirchweihe in einer Art von verlängertem blauen Montag. Die Köpfe wüst von vielem Tanzen und Trinken und den verschiedenen durchschwärmten Nächten, hatten sie noch keine rechte Lust, wieder zu ihrer regelmäßigen, steten Arbeit zurückzukehren und glaubten die Zeit denn natürlich nicht besser anwenden zu können, als wenn sie das früher begonnene Zechen ein klein wenig länger fortsetzten. Der arbeitsame Bauer ist schwer aus seiner altgewohnten täglichen Beschäftigung herauszubringen; wenn aber einmal draußen, bekommt er sich selber auch nur äußerst schwer wieder hinein. – Er weiß das selber dabei recht gut und läßt sich deshalb eben Zeit dazu.

Im Dorfe war ein ziemlich großes Wirtshaus: Zum Stern; denn die Chaussee führte um den See herum und wurde besonders stark von Fuhrleuten befahren, welche die Landesprodukte früher bis an die See nach Wismar, seit Errichtung der Eisenbahn aber, mit noch viel lebendigerem Verkehr, nach der nächsten, etwa sechs Meilen entfernten Eisenbahnstation schafften. Der Stern bildete denn auch jetzt den Mittelpunkt, in welchem die Honoratioren des Ortes zusammenkamen, bei Wein oder Bier die Nachwehen der überstandenen frohen Tage zu vertreiben, und selbst der alte Verwalter vom Schloß, eigentlich kein Wirtshausgänger, war heute unter ihnen und saß mit einem Glase Wein vor sich am runden Tisch in der untern Stube, denn kaltes, unfreundliches Wetter hatte die Gäste in das Innere des Hauses getrieben. Der alte Verwalter war aber eigentlich nicht bloß, um zu trinken, heruntergekommen, sondern er brauchte Leute aus dem Dorfe zur Arbeit und wußte, wie schwer es hielt, sie selbst von der Nachkirchweihe fortzulocken. So willig sie sich sonst auch finden ließen, heute wichen sie ihm aus, und der alte Mann, der nicht hinter ihnen herlaufen konnte, hatte sich deshalb hier wie die Spinne mitten in das Netz gesetzt, wo sie ihm, wie er recht gut wußte, doch zuletzt anlaufen mußten. Neben ihm, ineinander gedrückt und schläfrig, saß ein anderer alter Gesell, der faule Tobias, wie sie ihn im Dorfe nannten. Er sah fast wie ein Müller aus, mit seinem hellblauen, weiß bestaubten Rock, war auch früher ein Müller und noch dazu ein ganz tüchtiger gewesen, und wohnte in der untern Mühle, aber nur zum Auszug. Er hatte vor längeren Jahren Mühle wie Anwesen an seinen Schwiegersohn verkauft und sich nur, wie das häufig Sitte ist, seinen Auszug, das heißt Wohnung und Verpflegung bis zum Tode, vorbehalten, dann das Geld genommen und lustig damit gelebt, und jetzt hieß es allgemein, daß er wohl bald mit der erhaltenen Summe fertig sein müsse. Das aber kümmerte ihn gar wenig. Ohne die geringste Beschäftigung war er den Vor- wie Nachmittag sicher im Stern zu treffen. Nur an warmen Tagen ging er manchmal mit der Angel an den Bach, aber er war selbst zu faul, Würmer zu suchen, besteckte seine Angel deshalb nur, legte sie ins Wasser und sich daneben in den Schatten irgendeines Baumes und schlief so lange, bis er durstig wurde. Dann stand er auf, packte sein Angelzeug zusammen und ging wieder in den Stern, und die Leute im Dorfe nannten ihn so mit Recht nur den faulen Tobias.

Daß der Bursche nicht zum Arbeiten zu bringen war, selbst wenn er noch hätte arbeiten können, wußte der Verwalter recht gut, richtete deshalb auch kein Wort an ihn, und die beiden saßen eine Weile schweigend nebeneinander, wobei Tobias manchmal mit den rotgeränderten und feuchten Augen nach ihm hinüberblinkte und sich nur bewegte, wenn er sein Glas hob oder es von frischem füllen ließ.

»Na,« nahm da endlich Tobias das Gespräch auf, denn es verdroß ihn, daß ihn der Verwalter keines Wortes würdigte, »wird ja jetzt bald ein anderes Leben in dem alten Schlosse werden, he? – kommt heute ein neuer Pächter hinein, der wahrscheinlich einmal ein bißchen reine Bahn macht.«

»Möglich,« sagte Schönle, der Verwalter, trocken. »Euch wird er aber doch wohl nicht ändern können.«

»Mich? – ne – wäre auch schade,« lachte Tobias stillvergnügt vor sich hin, denn er wußte jetzt, daß er den Verwalter geärgert hatte, »bin so hübsch genug und muß nun auch so bis an mein Ende – daß Gott der Herr mir und meinem Schwiegersohne zuliebe wohl noch ein paar Jährchen hinausschieben wird – aufgebraucht werden; hehehe!«

Der Verwalter antwortete ihm nichts darauf, trank einen Schluck aus seinem Glas und sah ungeduldig nach der Tür. Die Gesellschaft gefiel ihm nicht, und er wäre gern aufgestanden, hätte er nur irgendwo anders einen passenden Platz gehabt. Der Alte merkte dies recht wohl, aber noch viel zudringlicher fuhr er fort: »Es hieß ja einmal eine Weile im Orte, der Herr Verwalter würden den Pacht selber übernehmen, he? Der gnädige Herr da draußen hat aber wohl nichts davon wissen wollen? Ja – ist eine alte Geschichte: der Prophet gilt nichts im eigenen Lande; hehehe!«

Damit hatte er übrigens, wie er recht gut wußte, des Verwalters wundesten Fleck getroffen. Der alte Mann stand auch auf, trank sein Glas aus und sagte: »Ihr seid ein unverbesserlicher Schwätzer, Tobias, und ein so nutzloses Subjekt, wie je auf zwei Beinen herumgetaumelt ist. Wenn Ihr einmal nüchtern seid, will ich weiter mit Euch reden.« Und damit wollte er sich von dem höhnisch zu ihm aufschauenden Alten abdrehen, als die Tür aufgerissen wurde und einer der Gutsleute atemlos hereingestürzt kam.

»Sie sind da – sie sind da!« schrie der Bursche, ohne nur zu grüßen, den Verwalter an, »eben fahren sie die Allee hinauf – zwei Wagen hintereinander!«

»Alle Wetter!« rief der Verwalter erschreckt, »und ich sitze hier und verschwatze die Zeit mit dem – Lump da!« Und ohne weiter einen Blick zurückzuwerfen, fuhr er aus der Tür, sprang auf sein draußen angebundenes Pferd, das der Knecht rasch von dem eisernen Ringe löste, und sprengte, was dieses laufen konnte, den breiten Fahrweg hin, der nach dem Schlosse hinauf führte. Der alte Tobias sah ihm tückisch nach.

»Lump?« brummte er leise und grimmig vor sich hin, »na warte, Alter, den Lump werde ich dir gedenken, preußischer Dickkopf, der sich immer aus was Besserem gemacht denkt! – Verwalterhacke, auf eine Ochsenjungenpeitsche gepropft – wenn ich die Zeit nur noch erlebe, daß sie dich vom Hofe jagen. – Lump! – selber einer« – und mit den giftig herausgestoßenen Worten goß er den letzten Rest seines Kruges hinunter.

Oben im »Schlosse ging es indessen lebhaft zu, denn mit Blitzesschnelle hatte sich die Nachricht von dem Eintreffen des Gutsherrn wie des neuen Pächters, die eigentlich erst auf morgen angesagt waren, verbreitet. Die Leute sammelten sich rasch im Schloßhofe, und eben, als die Wagen über die etwas morsche Brücke des sogenannten Teichgrabens rasselten, sprengte auch schon der Verwalter von der andern Seite vor das Herrenhaus und behielt gerade noch Zeit, sein Pferd einem der Knechte zu übergeben und sich selber dem Pächter anzuschließen, um die Herrschaft zu empfangen. Die Wirtschafterin war allein nicht fertig geworden und in ihre Kammer hinaufgesprungen, wo sie in aller Hast und Eile den Schlüssel suchte, den sie schon von Anfang an in der Hand hielt, um eine reine Schürze vorzubinden und eine frische Haube aufzusetzen.

Die beiden Wagen hielten jetzt vor dem Herrenhause, der alte Verwalter sah aber kaum die beiden Herren und die elegant gekleidete Dame, die aus dem ersten stiegen und von dem Pächter auf das Ehrfurchtsvollste begrüßt wurden. Sein Auge hing vielmehr an dem zweiten, in dem ein ältlicher Mann mit zwei Kindern saß. Hatte der neue Pächter sich seinen Verwalter gleich mitgebracht und konnte er jetzt gehen, um sich auf seine alten Tage sein Brot wo anders in der Welt zu suchen? Den alten Mann überlief es siedend heiß; ein eigenes Zittern überkam ihn, und die fremden Gestalten flimmerten und zuckten ihm vor den Augen, daß er kaum imstande war, sie voneinander zu unterscheiden. Nur einen von ihnen allen kannte er schon, den Herrn Rittmeister von Geyerstein, der zuerst aus dem Wagen gesprungen war und der Dame jetzt die Hand bot, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Wie behend aber gerade die Dame von dem ziemlich hohen Wagentritt, nur leise die ihr gebotene Hand berührend, niedersprang! Der Pächter kam dadurch mit der Anrede ganz aus seinem Konzept, und der Rittmeister hatte seine Hand genommen und geschüttelt, ehe er imstande gewesen war, ihn zu begrüßen.

Auch die Insassen des zweiten Wagens stiegen jetzt aus, und das kleine Mädchen hatte zum Entsetzen der Mägde ebenfalls von oben herunterspringen wollen; aber der ältliche Mann, der bei ihnen saß, verhinderte sie daran, ließ erst den Wagenschlag öffnen und stieg dann langsam mit den Kindern aus.

»Da sind wir denn an Ort und Stelle,« sagte jetzt Graf Geyerstein, sich freundlich zu seinem Begleiter wendend, »und ich hoffe, daß es Ihnen hier recht gut gefallen wird. Die Gegend ist fruchtbar und nicht ohne landschaftliche Reize, der hier wohnende Menschenstamm einfach und bieder, und einzelne der Nachbarn sind vortreffliche Leute, so daß es sich hier im Notfalle schon leben läßt. Unser alter Pächter hat sich hier, soviel ich weiß, ganz wohlbefunden.«

»Und würde den Platz im Leben nicht verlassen haben, Herr Graf,« sagte der Mann, »wenn nicht außergewöhnliche Umstände, wie Sie recht gut wissen, mich dazu genötigt, hätten. Ich habe hier eine frohe und glückliche Zeit verlebt und viel Gutes genossen und müßte ein schmählich undankbarer Mensch sein, wenn ich das leugnen oder auch nur verheimlichen wollte.«

»Der Platz sieht nicht übel und das Gut reinlich und freundlich aus,« bemerkte jetzt die Dame, die ein dunkles Reisekleid trug, »nur die Nachbarn scheinen mir ein etwas weitläufiger Begriff.«

»Wir haben es vorderhand auch nicht mit den Nachbarn, sondern mit uns selber zu tun,« bemerkte rasch der Fremde, »und werden allen Fleiß darauf zu wenden haben, uns tüchtig einzuarbeiten.«

»Und darin wird Sie hoffentlich mein alter Verwalter hier nach Kräften unterstützen. Wie geht's, Schönle?« mit diesen Worten wandte sich der Graf plötzlich an den alten Mann und reichte ihm die Hand. »Noch immer frisch und kräftig bei der Arbeit? Ich bringe Euch hier den neuen Pächter vom Gute und bitte Euch, nachher einmal auf mein Zimmer zu kommen. Ich habe manches mit Euch über die neue Einrichtung zu besprechen.«

»Gnädigster Herr Graf, Erlaucht –« stammelte der alte Mann, und die freundliche Anrede hatte ihm eine Zentnerlast von der Brust gewälzt, »Sie können gar nicht glauben – schon lange darauf gefreut – heidenglücklich.«

»Schon gut, Alter, schon gut,« nickte ihm der Rittmeister freundlich zu und fuhr dann, zu seinem Begleiter gewandt, fort: »Das ist ein altes Inventar des Gutes, das wir in Ehren halten müssen. Der Mann kennt jeden Stein und Baum umher, versteht seine Sache und ist brav und ehrlich. Ich hoffe, ihr sollt gute Freunde mitsammen werden. Gott grüß' euch, ihr Leute – aber ich denke, wir gehen hinauf. Die gnädige Frau wird sich umziehen wollen, um zum Diner bereit zu sein. Schönle, führen Sie die Herrschaften in die für sie bestimmten Zimmer. Es ist doch alles in Ordnung gebracht?«

»Alles, Herr Graf,« versicherte der Pächter, »obgleich wir Sie eigentlich erst auf morgen erwarteten. – Vogt, sorgt Ihr dafür, daß die Sachen augenblicklich hinaufgetragen werden.«

Die Leute hatten sich bei dem an sie gerichteten freundlichen Gruße des Herrn herzugedrängt und warfen sich jetzt in einem wahren Feuereifer auf die verschiedenen Koffer und Hutschachteln, da jedes von ihnen wenigstens einen Teil des Gepäckes tragen und sich dabei dienstfertig beweisen wollte. War doch ihr junger Herr von allen recht von Herzen geliebt und der Tag immer ein Freudenfest, wo er einmal – was freilich selten genug geschah – unter ihnen erschien. Wie die Fremden aber im Schlosse verschwanden und das Gepäck an Ort und Stelle abgeliefert war, blieben sie auch den Blicken der Dienstleute für diesen Tag entzogen, und die Knechte und Mägde hatten nun Raum, abends in der Gesindestube ihre Ansichten über den neuen Pächter und seine Begleitung auszutauschen. Das geschah denn auch ohne Rückhalt, und der gemeine Mann hat da oft, was das erste Urteil über eine neue Erscheinung trifft, einen weit schärferen Blick und gesündern Takt, als man ihm gewöhnlich zutraut.

Selbst der Vogt, eine Art Unterverwalter auf dem Gute, eigentlich aber nur der erste Knecht mit dem Titel Vogt, schien heute das Bedürfnis gefühlt zu haben, dem übrigen Gesinde, von dem er sich sonst gern etwas abgesondert hielt, seine Meinung über die neue Pächterfamilie mitzuteilen, und stand an dem Ofen, neben dem die Milchmagd eben einige ausgewaschene Gefäße zum Trocknen aufgestellt hatte, indem er an seiner Pfeife arbeitete, um sie wieder in Gang zu bringen. Er wartete augenscheinlich, von den übrigen als Autorität zuerst angeredet zu werden und hatte sich darin denn auch nicht getäuscht.

»Na, Vogt,« sagte der erste Schafknecht oder Schäfer, der oben am Tische saß und, während die Mägde die abgegessenen Schüsseln wieder hinaustrugen, sein Rauchzeug ebenfalls hervorholte, »da haben wir ja den neuen Pächter warm aus der Stadt heraus. Wie gefällt er Euch?«

»Gut,« sagte der Vogt, einen langen Spanfidibus an die kurze Pfeife haltend. »Er hat etwas Respektierliches im Aussehen; beinahe so wie unser gnädiger Herr selber, wenn er auch mit dem großen Bart ein bißchen wild drein schaut.«

»Uns auch,« meinte der andere Knecht, »und Donnerwetter, wie die Madame, die neue Pächterin, springen konnte! Die möcht' ich einmal auf dem Tanzboden sehen; die muß nicht schlecht fliegen können.«

»Wer war nur der Alte, der in dem zweiten Wagen bei den Kindern saß?« meinte der Schäfer, »das ist ein wunderlicher Kauz. Über das Gesicht zuckte es ihm immer wie tausend Falten, als ob's ihn an der Nase juckte und er sich nicht kratzen dürfte.«

»Hm,« meinte der Vogt, »ich denke mir, das wird wohl der Lehrer von den beiden Kindern sein, den sie sich mitgebracht haben. Erst hielt ich ihn für einen neuen Verwalter, aber wie ein Ökonom sieht er mir doch nicht aus, und der Alte bleibt ja auch, das hat ihm der gnädige Herr gleich versichert.«

»Aber der gnädige Herr sieht recht bleich und abgemagert aus,« sagte die Großmagd, »er muß gewiß krank gewesen sein. Er war auch so ernst und still; gar nicht so fröhlich wie das letzte Mal, wo er hier war.«

»Das macht die Stadtluft,« meinte der Vogt, »in dem vielen Steinkohlenqualm und Dampf können die Menschen natürlich nicht so gesund sein wie hier draußen bei uns in der frischen Luft. Wo soll's denn herkommen?«

»Ach was!« sagte die Magd, »das ist kein Steinkohlendampf, was dem gnädigen Herrn auf dem Gesichte liegt, das ist was anderes, viel Schwereres, und ich will ihm zu Gott wünschen, daß er kein geheimes Herzeleid zu tragen hat.«

»Herzeleid!« lachte der Pferdejunge, der sich hinter den Ofen auf die Bank gedrückt hatte und erst vor ein paar Monaten hier angezogen war, überhaupt ein etwas naseweiser Gesell, »wo soll derlei Herzeleid herkriegen! Das hat Geld genug, und mit dem Geld kauf' ich dem Teufel sein Ohr ab in der Welt.«

»Du Gelbschnabel weißt wohl auch schon, wie es in der Welt aussieht,« sagte die Großmagd, ihn verächtlich über die Achsel ansehend, »daß solche – Nasen, die noch nicht einmal hinter den Ohren trocken sind, auch schon mitreden wollen!«

»Nu, nu,« sagte der Pferdejunge, »beiß mich nur nicht, Kathrine!« Das Mädchen antwortete ihm aber gar nicht mehr, und der Vogt meinte: »Die kleine Deern ist ein fixes Ding, drall und nett und hält sich wie ein Grenadier – der Junge scheint's mir aber hinter den Ohren zu haben. Wie er den Jahn mit seinen weiten Hosen sah, stieß er heimlich den Alten an, und der, wenn er auch keine Miene verzog, sah doch aus, als ob er sich innerlich ausschüttete – der Junge aber lachte laut heraus.«

»Na, ich möchte wissen, was sie an mir zu lachen fänden,« brummte Jahn, der Schafknecht.

»Die Madame sieht aber nicht aus, als ob sie Butter und Käse machen könnte,« meinte die Mittelmagd, ein junges dralles Ding, »sie trug auch so neumodische Handschuhe an den Händen, und mit der weißen Haut wird sie wohl noch keine Garben mit gebunden haben. Das scheinen vornehme Leut' zu sein, die neuen Pächters.«

»Ja,« meinte der Vogt, »jetzt wird alles in den Schulen und Instituten aus lauter Büchern gelehrt: das Melken und Käsemachen und das Ackern und Eggen, mit dem Pferdeputzen in den Kauf, und das haben sie denn alles da drin mit Bildern hübsch aufgezeichnet und können es nur so am Schnürchen hersagen. Den Mist lassen sie ja sogar aus Amerika kommen. Wie's aber nachher um die Wirtschaft aussieht, das ist eine andere Sache und da verexperimentieren sie denn gewöhnlich die ganze Blase, und unsereiner muß nachher mit den Fäusten wieder dreinspringen und gut machen, was die klugen Leute alles verdorben haben.«

»Wo war denn der Schafmeister heute, wie die Herrschaft kam?« fragte jetzt der eine Knecht, »der fehlt doch sonst gewöhnlich nicht bei solcher Gelegenheit.«

»Ich weiß nicht,« meinte der Schafknecht, »drunten im Ort vielleicht . . .«

»Der wird wieder schön um die neue Herrschaft herumscherwenzeln,« meinte der Vogt, »aber ich passe ihm diesmal auf die Finger, darauf kann er sich verlassen.«

»Wenn Ihr nur immer was auf den Schafmeister zu hacken habt!« brummte Jahn, »der ist lange gut.«

»Aber wozu?« fragte der Vogt, und die anderen lachten. »Wo es was zu horchen und zu spionieren gibt, ja,« fuhr der Vogt fort, »irgend was der Herrschaft zu rapportieren, oder andere Menschen . . .«

»Jahn,« sagte in dem Augenblick der Schafmeister, der seinen Kopf zur Tür hereinsteckte, »sieh nach den Schafen, ehe es dunkel wird – und Ihr, Vogt, habt wohl auch weiter nichts zu tun, als hier zu schwatzen?« Und damit schloß sich die Tür wieder, hinter welcher der Schafmeister wie eine Erscheinung verschwand.

Im ersten Moment herrschte in der Gesindestube Totenstille, nur der Pferdejunge hinter dem Ofen kicherte leise vor sich hin, dann aber fuhr der in seiner Würde gekränkte Vogt empor und rief, aber doch noch immer mit etwas gedämpfter Stimme: »So? – ich denke wohl, ich werde selbst wissen, was ich zu tun habe, ohne daß ich einen Schafmeister brauche, der es mir erzählt. Gewisse Leute mögen überhaupt nur denken, daß ihre Herrschaft jetzt aus und vorbei ist und die Kriecherei hoffentlich nichts mehr hilft wie vormalen.« Damit aber, als ob er jetzt alles getan hätte, um die Achtung vor seiner Stellung aufrechtzuerhalten, schob er seine Pfeife in die Brusttasche, griff seinen Hut auf und, sich zum Gehen wendend, fuhr er noch einmal die Knechte an: »Und ihr braucht auch nicht hier bei hellem lichten Tage schon dazusitzen und Maulaffen feilzuhalten. Der Verwalter wird gleich wieder unten sein, und wer dann die ewigen Nasen kriegt, das bin ich!« Und mit diesen Worten fuhr er zur Tür hinaus, um seinen Ärger womöglich draußen an den Dreschern und Tagelöhnern auszulassen.

 


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