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Der Abend kam, und Mademoiselle Adele hatte die Botschaft Georginens durch einen der Holzmacher erhalten, den der Forstwart an sie abgeschickt. Sie war allein in ihrem Zimmer, aber sie las weder noch arbeitete sie, wie sie es sonst an solchen Abenden tat, an denen sie sich ungestört wußte. Unruhig ging sie in dem kleinen Gemache auf und ab, trat ans Fenster, um hinauszusehen, und kehrte dann wieder zum Sofa zurück – nur, um im nächsten Augenblicke aufzuspringen und ihre kaum unterbrochene Wanderung von neuem zu beginnen. Sie sprach kein Wort dabei; still und schweigend ging sie mit dem Lichte hinüber in Georginens Zimmer und schien dort etwas Außergewöhnliches zu suchen, so ängstlich leuchtete sie überall umher. Der Sekretär aber wie alle Schränke waren fest verschlossen, und die Schlüssel dazu trug Georgine stets selber bei sich.
Sie kehrte in ihr eigenes Zimmer zurück und begann von neuem, was sie schon am Nachmittag getan, die Kinderwäsche zu zählen und nachzusehen, und hier hatte sie sich vorher nicht geirrt. Die verschiedenen Stücke fehlten dutzendweise, und wie sie fest überzeugt war, sich darin nicht zu täuschen, überkam sie eine unsagbare Angst, der sie nur noch immer keine Form, keinen Namen geben konnte.
Einmal drängte es sie, die alte Wirtschafterin zu rufen und ihr den dunkeln Verdacht mitzuteilen, der sich ihrer bemächtigt hatte; aber was konnte die ihr helfen oder raten! – Und doch noch war es möglich, daß sie sich irrte. Georgine konnte den Nachmittag, obgleich sie sich sonst nie um die Wäsche des Kindes kümmerte, doch vielleicht nachgesehen und den fehlenden Stücken einen andern Platz angewiesen haben, und war es überhaupt denkbar, daß sie so ohne Abschied von dem Gatten . . .? Von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, griff das junge Mädchen ein Licht auf und eilte in des Barons Zimmer, denn sämtliche Schlüssel hatte sie in Georginens Abwesenheit in Verwahrung. – Sie brauchte dort nicht lange zu suchen; auf dem Schreibtische des Barons lag ein gesiegelter Brief, dessen Adresse in Georginens Handschrift an ihren Gatten, den Baron von Geyfeln, lautete, und viele Minuten lang stand sie schweigend, zitternd über den verhängnisvollen Brief gebeugt und wagte nicht einmal ihn zu berühren. Aber bald siegte ihr eigener klarer Verstand über das Gefühl. Hier durfte sie den Brief nicht liegen lassen; der Baron fand ihn vielleicht, während fremde Menschen ihn umstanden, und verriet im ersten Augenblicke der Überraschung das Geheimnis anderen. Noch war es auch wohl möglich, den Schritt der unglücklichen verblendeten Frau ungeschehen zu machen, solange niemand darum wußte, als sie und der Baron – kam es erst auf die Zungen der Nachbarschaft, so blieb der Friede des Hauses gestört für immer.
Rasch entschlossen nahm sie deshalb den Brief an sich, er brannte wie Feuer in ihrer Hand, schloß die Tür wieder und eilte auf ihr eigenes Zimmer zurück, um dort zu überlegen, was jetzt zu tun sei, wie sie handeln solle. Aber so viel sie hin und her dachte, Pläne aufbaute und wieder verwarf, sie konnte nichts ersinnen. Eine genaue Adresse, wo er sich in diesen Tagen aufhalten würde, hatte Baron von Geyfeln gar nicht hinterlassen, und wohin also jetzt selbst einen Boten senden, um ihn, so rasch ihn die Pferde bringen konnten, herbeizurufen? Sie mußte warten – es blieb kein anderer Ausweg für sie, und länger war ihr noch nie eine Nacht – länger noch nie ein Tag geworden als der folgende.
Unzähligemal hatte sie dabei nach dem alten Forstwart schicken wollen, von diesem vielleicht etwas Näheres zu erfahren; aber sie fürchtete auch, damit das Geheimnis, das nicht das ihre war, einem Dritten zu verraten. Und konnte nicht doch vielleicht die Frau noch zurückkehren – welchen Grund hatte sie gehabt, ihrer stillen, glücklichen Häuslichkeit zu entfliehen? Unfrieden mit ihrem Gatten? Nie war, so viel sie wußte, ein hartes, unfreundliches Wort zwischen den beiden gewechselt worden, solange sie sich in dem Hause befand, und alles andere, was ihr das Leben bei nicht zu übermäßigen Ansprüchen bieten konnte, besaß sie ja doch hier. Und das Kind – ihre liebe, liebe Josefine – war sie freiwillig mit der Mutter gegangen? Nein, nein und zehnmal nein; sie hatte keinen Abschied weiter von ihr genommen, als mit einem flüchtigen Kusse; das Kind hatte keine Ahnung gehabt, daß die Fahrt mehr als ihr gesagt worden, mehr als eine einfache Spazierfahrt bezwecke, und jetzt, dem Vater entrissen, wie unglücklich, wie elend würde sich dieser fühlen!
Noch immer hoffte sie – hundertmal den Tag ging sie in die andere Stube, in den Hof hinab zu horchen und den Weg nach dem Walde zu, den sie von ihrem Zimmer aus übersehen konnte, ließ sie nicht aus den Augen – umsonst. Der Abend dämmerte, jener blaue, die Nacht verkündende Lichtschein legte sich auf die schneebedeckten Felder, die Umrisse des Waldes verschwammen mit dem düstern Horizont, und nichts verkündete die Rückkehr der Entflohenen.
Die Wirtschafterin war indessen wieder und wieder zu der Erzieherin gekommen, Aufschluß über das rätselhafte Ausbleiben der »Gnädigen« zu erhalten. Adele aber hütete sich wohl, sie auch nur im entferntesten den wahren Tatbestand ahnen zu lassen. Ihrer Aussage nach hatte Frau von Geyfeln gleich von vornherein die Absicht gehabt, über Nacht auszubleiben, und ihr sogar gesagt, daß sie sich nicht ängstigen solle, wenn sie den Besuch noch ausdehne, da sie überdies so lange nicht bei den alten Bekannten und Freunden vorgesprochen hätte. Josefine besonders wäre gewiß nicht gern wieder so rasch von den dortigen Spielkameraden weggegangen. Aber das verdorbene Mittagsbrot – und wie sollte sie es jetzt mit dem Abendessen halten? Kam die Gnädige noch nach Hause oder nicht, und wenn sie kam, mußte sie doch etwas Warmes zu essen finden! Mademoiselle Adele riet ihr, Tee bereit zu halten, was ohne große Umstände geschehen konnte, und das Zimmer der gnädigen Frau heizen zu lassen – bliebe sie dann noch aus, so schadete es weiter nichts. Das geschah, aber die Frau kehrte nicht zurück.
Es schlug acht Uhr drüben an der kleinen Glocke, die sich über der Verwalterstube befand. Die Gouvernante, die keine Ruhe in ihrer Stube hatte, war wieder in das dunkle Zimmer getreten, von dem aus sie den Hof übersehen konnte. – Da klingelte ein Schellengeläute in den Hof, und ihre zitternden Knie versagten ihr fast den Dienst, sie aufrecht zu halten. Wer es war, konnte sie freilich nicht mehr erkennen, aber der Schlitten hielt unten am Portal, und gleich darauf hörte sie Schritte auf der Treppe und eine Kinderstimme.
Hatte sie sich geirrt? – war Georgine zurückgekehrt? – das Herz schlug ihr, daß es die Brust zu sprengen drohte, und sie wußte kaum wie sie hinaus auf den Vorsaal kam.
Die Haushälterin leuchtete mit dem Lichte den Heraufkommenden voran.
»Na, das ist schön, Herr Baron, daß Sie heute abend gekommen sind,« sagte sie dabei, »aber Ihr Zimmer habe ich nicht heizen lassen. Wir erwarteten Sie ja erst morgen – aber das von der gnädigen Frau ist warm – und die gnädige Frau wird wohl erst morgen wiederkommen.«
»Meine Frau ist nicht zu Hause?« sagte ruhig, aber erstaunt die tiefe Stimme Georgs.
»Nein – zum Besuche nach Kleinmarkstetten, mit dem gnädigen Fräulein.«
»Mit Josefinen?«
Mademoiselle Adele trat in den Schein des Lichtes. Es war der Baron selber, der zurückgekehrt, und während sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust entrang, trat sie auf den Baron zu. Sie hatte ihre ganze Ruhe und Festigkeit wiedererlangt.
»Ah, Mademoiselle, guten Abend!« rief Georg ihr entgegen, »meine Frau ist mit Josefinen ausgeflogen, wie ich höre, und hier bringe ich Ihnen die kleine versprochene Gespielin für Josefine – ich werde sie so lange unter Ihren Schutz stellen müssen.«
Die Kleine drückte sich schüchtern an ihren Begleiter an, Adele aber, freundlich auf sie zugehend und sie küssend, sagte: »Sei uns willkommen, mein liebes Herz, in deiner neuen Heimat. Deine kleine Spielgefährtin ist freilich nicht da, aber sie wird bald wiederkommen, und du wirst dann ein liebes, braves Schwesterchen an ihr finden und sollst dich recht bald wohl und zufrieden bei uns fühlen.«
»Komm, Marie,« ermunterte sie auch Georg, »fürchte dich nicht vor der Dame, sie wird dir eine zweite Mutter werden und dich lieb haben. – Das Kind hat im Schlitten geschlafen,« entschuldigte er es dann gegen die Erzieherin, »und eben erst erwacht, erschrecken es die fremden Gesichter.«
»Das wird sich bald geben,« erwiderte das junge Mädchen freundlich, »ich dürfte Sie auch wohl bitten, Herr Baron, es selber in mein Zimmer zu führen, daß es die Scheu erst ein ganz klein wenig ablegt. Wir wollen dann schon bald recht gute Freunde werden. Ach, Mamsell, nicht wahr, Sie sorgen gleich dafür, daß der Herr Baron seinen Tee und die Kleine ein warmes Süppchen bekommt, nach der langen kalten Fahrt? – Wir brauchen kein Licht weiter – meine Tür ist offen.«
»Jawohl – ei gewiß – du meine Güte, daran hatte ich gar nicht gedacht!« rief die alte gute Mamsell geschäftig, »das soll gleich besorgt werden, und ein delikates Süppchen will ich selber gleich dem armen kleinen Würmchen kochen. Lieber Gott, das herzige Dingelchen muß ja ganz erfroren sein im Schlitten!« Und ihr Licht noch emporhaltend, daß Georg und Adele mit dem Kinde durch das dunkle Zimmer ihren Weg finden könnten, eilte sie rasch wieder über den Gang hinüber, der Küche zu, alles Nötige selber anzuordnen.
Georg überlief es dabei wie mit Fieberfrost – ein bittender Blick der Gouvernante hatte ihn getroffen – und er fühlte, es war etwas Außergewöhnliches vorgefallen. Rasch trat er in das Zimmer, und wie nur die Wirtschafterin weit genug entfernt war, sie nicht mehr hören zu können, sagte er leise und dringend in französischer Sprache: »Was ist geschehen, Mademoiselle? verhehlen Sie mir nichts.«
»Sie müssen alles wissen, aber – lassen Sie das Kind nichts merken,« bat die Gouvernante zurück. »Seit gestern ist Ihre Gattin mit Josefinen fort – diesen Brief hat sie für Sie zurückgelassen. Gehen Sie in das Zimmer Ihrer Gemahlin und lesen Sie dort die Zeilen – wenn ich Marien zu Bett gebracht habe, werde ich hinüberkommen, um mich zu erkundigen, was morgen mit ihr werden soll.«
Mit diesen Worten gab sie ihm den Brief, und Georg mußte sich gewaltsam zwingen, seiner Sinne bei der Schreckensbotschaft Meister zu bleiben. Aber die Gouvernante hatte recht. Das Kind durfte von dem Ungeheuren, was hier vorgefallen, nichts erfahren – nicht bei seinem Eintritt in dieses Haus, wo sich dem kleinen Kopfe jedes gehörte Wort nur so viel schärfer und unvergeßlicher eingeprägt hätte. Ruhig nahm er den Brief, den er, ohne ihn auch nur anzusehen, in die Brusttasche schob, sagte dann der Kleinen freundlich gute Nacht und verließ das Gemach. Wie er aber in das Zimmer seiner Frau kam, wußte er selber kaum. Dort warf er sich in einen Stuhl, erbrach den Brief, auf dem die Adresse: »An Herrn Baron von Geyfeln« stand, und las die wenigen Zellen, die er enthielt. Sie lauteten:
An Herrn Baron von Geyfeln!
Schon diese Überschrift nimmt meiner Handlung jedes Bittere, das sie sonst für mich haben könnte. – An Herrn Baron von Geyfeln – der Name ist mir so fremd, wie der Mann es mir geworden, der ihn trägt. Seit Du die Bahn verlassen, Georg, in der ich Dich bewundern und lieben lernte, seitdem mußte ich mich zwingen, in Deiner Nähe auszuharren – und tat es nur des Kindes wegen, dem ich Mutter bin und bleiben werde. Deine Gesetze begünstigen Dich, daß ich nicht meinem Willen gleich von Anfang an folgen konnte. Ich habe jetzt Sorge getragen, daß sie nicht mehr imstande sein sollen, mich zu erreichen. Folge mir, wenn Du kannst, als Baron von Geyfeln, und reklamiere das Kind, das mein ist im vollen Sinne des Wortes. Doch Du wirst klug sein und nicht einmal den Versuch machen, von dem Du von vornherein wüßtest, daß er erfolglos bleiben würde. – Kehre zu Deiner früheren Kunst zurück, und ich will mit Freuden in Deine Arme fliegen; verharre bei Deinem tatenlosen Leben und wir sind für immer geschieden.
Suche nicht meinen jetzigen Aufenthalt zu erforschen; wenn Du ihn selbst fändest, ich bin und bleibe für Dich verloren. Mein Kind aber werde ich einem Glück entgegenführen, das es unter Deiner Führung nimmer hätte erreichen können.
Lebe wohl!
Georgine.
Georg, der den Brief wieder und wieder durchgelesen hatte, hielt ihn noch in der Hand und starrte darauf nieder, als die Haushälterin mit der Magd ins Zimmer kam und das bestellte Abendbrot brachte. Georg faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche, und die geschwätzige Alte hätte gern ein Gespräch mit ihm angeknüpft, er wehrte sie aber unter dem Vorgeben ab, müde zu sein, verzehrte sein Abendbrot schweigend und fragte nur dann und wann die Wirtschafterin, die sich indessen im Zimmer zu schaffen machte, nach verschiedenen, höchst gleichgültigen Sachen. Die Mamsell erzählte ihm dabei natürlich, daß, gleich nachdem er fort gewesen, auch Besuch gekommen wäre: ein fremder Herr, der ihn hätte sprechen wollen.
»So? – in der Tat?« sagte Georg ruhig, »wie hieß er?«
»Ja, das weiß ich wahrhaftig nicht. Er gab mir seine Karte, aber der Name stand mit so winziger Schrift darauf, daß ihn meine alten Augen nicht mehr lesen konnten. Es war aber ein Baron.«
»So? – und wie sah er aus?«
»Ein kleiner, sehr zierlicher Herr war es, sehr hübsch und sauber angezogen, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen und solchen schwarzen Locken. Er war am nächsten Morgen noch einmal da, hat aber dann wohl nicht länger warten können, und da wir an dem Nachmittage – ach, das wissen der gnädige Herr ja auch noch nicht, daß der alte arme Tobias ertrunken ist!«
»Tobias? – wer ist Tobias?«
»I, der alte arme Teufel unten aus dem Dorfe – er war noch am Abend vor Ihrer Abreise hier oben und hatte wohl ein Glas zu viel getrunken, denn sonst habe ich ihn nie frech oder unverschämt gesehen, und Ew. Gnaden ließen ihn dann vom Hofe jagen.«
»Der ist ertrunken?«
»Er ist von hier aus nicht wieder ins Dorf gekommen. Ob er den Weg verfehlt hat, oder was sonst die Ursache war, Gott allein weiß es, aber am nächsten Morgen fischten sie ihn aus dem Bache unten auf, und gestern nachmittag haben wir ihn begraben – und solch eine schöne Leiche, wie der arme alte Mensch noch gehabt hat!«
»Der – ist – tot?« sagte langsam und sinnend Georg, »wunderbar!«
»Ach du lieber Gott!« meinte die Haushälterin, »abkommen konnte er ja schon; zu was nütze war er doch nicht mehr auf der Welt, und Hunger und Kummer hätten ihn so vielleicht bald untergebracht; aber es tut einem doch immer in der Seele weh, wenn ein Christenmensch auf solche Art eigentlich wie ein ander Stück Vieh auch, seinen Tod findet, wenn es auch nicht einmal ein Verwandter gewesen wäre.«
Georg hörte schon gar nicht mehr, was sie sprach. – »Sind noch Briefe oder Zeitungen für mich gekommen?«
»Briefe – ja, ich weiß es wirklich nicht. Der Postbote war da, die werden aber dann wohl bei Ew. Gnaden im Zimmer liegen.«
»Haben Sie den Schlüssel?«
»Den hat das Fräulein.«
»Dann bitten Sie das Fräulein, mir alles, was etwa für mich angekommen wäre – und auch meinen Schlüssel mit herüber zu bringen.«
»Jawohl, Herr Baron. – Ist der Tee etwa nicht heiß genug?«
»O, vortrefflich – ich bin nur abgespannt heut' abend und kann nicht viel genießen – ich werde mich ein wenig auf das Sofa legen.«
Die Wirtschafterin hatte Takt genug, dies als ein Zeichen zu nehmen, daß sie sich entfernen könne, und sie verließ das Zimmer, in dem Georg allein mit seinen Gedanken, und vor Ungeduld sich bald verzehrend, zurückblieb. – Und die Gouvernante kam noch immer nicht – aber sie hatte das Kind zu besorgen und eine volle Stunde mochte vergangen sein, ehe er ihren Schritt hörte. Gleich darauf trat sie ein und legte einige Briefe und Zeitungen auf den Tisch. Georg war aufgestanden und ging ihr entgegen.
»Mademoiselle,« sagte er, die Hand nach ihr ausstreckend, »nehmen Sie vor allen Dingen meinen herzlichsten Dank für die zarte Weise, in der Sie in dieser Sache gehandelt haben, und nun, bitte, setzen Sie sich und erzählen mir mit kurzen Worten alles, was Sie wissen.«
Während die Gouvernante der Einladung folgte, blieb Georg erwartungsvoll am Tische stehen.
»Ich habe nur meine Schuldigkeit getan,« sagte das junge Mädchen, leicht dabei errötend, »werde Ihnen selber, Herr Baron, aber wenig Auskunft geben können – ich durfte nicht nachforschen, denn ohne etwas damit gut machen zu können, hätte ich die Aufmerksamkeit der Leute nur unnötigerweise und vor der Zeit darauf gelenkt.«
»Sie hatten recht – vollkommen recht.«
»Der erste Verdacht stieg in mir auf, als ich eine bedeutende Lücke in der Kinderwäsche bemerkte, nachdem die gnädige Frau mit Josefinen eine angebliche Spazierfahrt unternommen hatte. Auch eine Anzahl ihre Kleider fehlte – dann fand ich den Brief in Ihrer Stube – denn Angst und Ungewißheit ließen mich danach suchen, und ich nahm ihn an mich.«
»Ich bin Ihnen dankbar dafür – aber wer glauben Sie, der mir weitere Auskunft geben könnte – oder haben Sie selber einen Verdacht? Es war ein Fremder hier. – Wie sah er aus?«
»Ich habe ihn gar nicht gesehen; aber gleich nach Ihrer Abreise kam er, und obgleich er nur zweimal hier oben im Gute war, fürchte ich fast, daß er der Sache nicht fern steht. Unser Hausmädchen hat ihn wenigstens zu der Zeit, als Madame fortfuhr, zu Fuß, mit seinem Pelz auf dem Arm, in den Wald gehen sehen.«
»Und welchen Weg nahm er?«
»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Der alte Forstwart aber hat die letzte Botschaft der gnädigen Frau, daß sie am vorigen Abend nicht nach Hause kommen würde, hereingeschickt. Möglich, daß er sie im Walde getroffen hat und etwas Näheres weiß.«
»Der Forstwart – Gott sei Dank, da ist ein Faden, an den ich anknüpfen kann. Georgine fuhr im Schlitten?«
»Ja, mit ihrem eigenen Pferde bespannt.«
»Es ist gut – ich danke Ihnen; gehen Sie jetzt wieder zu Ihrer kleinen Schutzbefohlenen und seien Sie ihr Mutter, stehen Sie überhaupt meinem ganzen Hause vor, bis – ich selber wieder zurückkomme.«
»Sie wollen doch nicht heut' abend noch . . .«
»Nein,« unterbrach sie Georg ruhig, »erstlich wäre es nicht möglich, im Dunkeln einer Spur zu folgen, und dann würde das auch Aufsehen erregen. Morgen früh reite ich fort – meine Frau in Kleinmarkstetten abzuholen – das genügt den Leuten. Sobald ich kann, schreibe ich Ihnen meine Adresse – wenn ich nicht selber indessen wiederkomme. Lange bleibe ich auf keinen Fall aus, es müßten mich denn ganz unvorhergesehene Hindernisse zurückhalten. Schlafen Sie wohl, Mademoiselle, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen nie vergessen werde, wie wacker Sie mir in dieser schweren Zeit beigestanden haben.«
»Schlafen Sie wohl,« sagte das junge Mädchen schüchtern, und im nächsten Augenblick schloß sich die Tür wieder hinter ihr, während Georg noch wohl eine Stunde im Zimmer auf und ab schritt, ehe er sein eigenes Lager suchte.
Am nächsten Morgen war Georg wieder mit Tagesgrauen auf und ging selber in den Stall hinunter, um zu sehen, daß sein Reitpferd ordentlich gefüttert und dann ihm vorgeführt würde. Das geordnet, schickte er einen Boten in das Forsthaus, dem alten Forstwart zu sagen, er möge auf ihn warten, bis er hinaus käme, und ging wieder in seine eigene Stube hinauf. Dort sah er flüchtig die eingegangenen Briefe durch, wozu er sich gestern abend keine Zeit genommen, trank den ihm gebrachten Kaffee und blätterte noch, bis das Pferd ausgefressen hatte, in den neben ihm liegenden Zeitungen. Er las wohl, aber er wußte nicht, was er las, seine Gedanken waren fern von da, und den Kopf in die Hand gestützt, ließ er das Blatt wieder sinken und starrte finster vor sich nieder. Endlich sprang er ungeduldig auf und sah nach der Uhr – es war noch zu früh – eine halbe Stunde mußte er dem Pferde noch Zeit gönnen, denn es hatte vielleicht einen langen Ritt vor sich. Er ordnete indessen seine Briefschaften, versah sich mit Geld und warf sich dann noch einen Augenblick aufs Sofa. Die vor ihm liegende Zeitung hatte er dabei bewußtlos mit der Hand zusammengeballt und leise murmelte er: »Josefine – meine arme Josefine« – da fiel sein Blick plötzlich auf den Namen, der, größer gedruckt als die übrige Schrift, schon mit dem Zusatz »Zirkus« sein Auge fesselte und alle weiteren Gedanken in sich verzehrte. Die Worte lauteten:
Zirkus Royazet.
Noch nie hat der Zirkus in Altona in solchem Flor gestanden wie in der gegenwärtigen Saison. Es haben einzelne Direktionen vortreffliche Gesellschaften gehabt, mit ausgezeichneten Mitgliedern, deren einzelne zu den besten zählten; aber noch nie, wir wiederholen es, war ein Direktor imstande, solche Kräfte an einem einzigen Abende zu vereinigen, wie der jetzige. Royazet hat den Zirkus zu einer Art Pantheon der Reitkunst erhoben, in welchem er selbst auf der obersten Stufe thront, rings umgeben von den glänzendsten Koryphäen seiner Kunst. Ein Abend im Zirkus heißt jetzt so viel als ein Abend des Vollgenusses, ja, fast des Übermaßes. Künstler, welche sonst die Zierden der Reitbahn ausmachen, rangieren hier in zweiter Reihe und gewähren dem Zuschauer die merkwürdige Gelegenheit, den Unterschied zwischen Meisterschaft und Vollkommenheit wahrzunehmen. Ein Kranz reizender, kunstgewandter Damen reiht sich an die männlichen Größen an, und der unübertreffliche Clown Mühler, die Perle des früheren berühmten und jetzt aufgelösten Zirkus Bertrand, ist, um das Maß vollzumachen, dieser Walhalla ausgezeichneter Künstler gewonnen worden – ja, andere Kräfte sind ihm noch versprochen, die, wenn möglich, diesen Kranz von Genüssen noch gipfeln und erhöhen sollen. Royazet selber bildet aber stets den Glanzpunkt des Abends, und gleichviel, welche Künste der Equilibristik neben und um ihn sich entfalten – er ist und bleibt stets der oberste Meister, und wir glauben das Publikum um so mehr auf diesen, sich ihm jetzt noch bietenden Genuß aufmerksam machen zu müssen, da der Zirkus nur noch wenige Tage in unserer Stadt verweilen wird, um einem ehrenvollen Rufe nach Petersburg zu folgen. Ganz enorme Garantien sollen dem Künstler dort geleistet sein!
Georg hatte mit immer wachsender Spannung die prahlerische Anzeige wieder und wieder gelesen. Royazet – sein alter Rival in mehr als einer Hinsicht, in Altona – der alte Mühler dort wieder engagiert, wohin ihm Karl jedenfalls vorangegangen. Sollte Georgine – Altona lag unter dänischer Gerichtsbarkeit außerhalb der deutschen Gesetze, und Petersburg – wenn sie ihm sein Kind nach Rußland entführte! – Er barg das Antlitz einen Augenblick in die Hand, aber es war auch wirklich nur ein Moment, in dem ihn die Sorge um die Tochter überwältigte. Schon im nächsten war er wieder er selbst, und Hut, Handschuhe und Reitpeitsche aufgreifend, verließ er das Zimmer gerade, als der Verwalter zu ihm die Treppe herauf wollte, ihm anzuzeigen, daß sein Pferd gesattelt wäre.
»Lieber Schönle,« sagte Georg, »ich will jetzt nach Kleinmarkstetten hinüber, habe aber auch noch andere Geschäfte in der Nachbarschaft dort, und es ist möglich, daß ich mit meiner Frau erst in einigen Tagen zurückkomme. Einen erhaltenen Brief zu beantworten, muß ich aber einen Boten fortschicken, und da wir unsere Leute jetzt notwendig brauchen, werde ich einen Burschen aus der Försterei, den Forstwart oder wen sonst schicken. – Lassen Sie den alten Braunen herausführen, den Sattel auflegen und das Pferd dann, sobald Sie können, zum Forsthause hinauf schicken. Verstanden?«
»Sehr wohl, Herr Baron!« sagte der alte Verwalter, »ich dachte aber, denen im Forsthause schadete es auch nichts, wenn sie ihre Beine auf Gottes Erdboden setzten, statt sie über einen Sattel hinüber zuhängen.«
»Das dauert mir dann zu lange,« erwiderte Georg. »Tun Sie nur, wie ich gesagt habe. Sonst ist nichts Besonderes vorgefallen?«
»Nicht das geringste, Herr Baron. Wir haben wacker gedroschen in der Zeit; Dünger ist gefahren, die Umzäunung am Garten ausgebessert, und jetzt sind nur noch die Holzfuhren zu machen, zu denen der Förster ein wenig drängt.«
»Er hat recht. Es ist auch die höchste Zeit, daß das Holz von dem Schlag fortkommt – also auf Wiedersehen, Schönle. Besorgt mir das alles gut; in einigen Tagen spätestens bin ich wieder da.«
Mit diesen Worten war er die letzten Stufen der Treppe hinunter gegangen, legte seine Satteltasche auf, schnallte den Plaid daran fest, griff seinen Zügel auf, schwang sich in den Sattel und trabte aus dem Hofe, die Straße nach dem Walde einschlagend.
So hart den trefflichen Reiter aber auch der Schlag im ersten Augenblicke getroffen, daß ihm sein Kind, sein liebes Kind geraubt worden, so fest, ruhig und sicher fühlte er sich wieder, als er erst einmal im Sattel saß. Mit gutem Mut, durch eigene Kraft die List der Frau noch ausgleichen zu können und zuschanden zu machen, trabte er den Weg entlang, und wenn es ihn auch manchmal drängte, das Pferd, den wackeren Rappen, der ihn trug, zu rascherem Tempo anzuhalten, versagte er es sich doch, weil er eben nicht wußte, ein wie weiter Ritt noch heute vor ihm lag, und er sein treues Tier zu schonen dachte. So erreichte er das Forsthaus und fand hier den Forstwart Barthold schon seiner harrend, mit der Flinte auf dem Rücken, vor der Tür. Als er den Herrn anreiten sah, kam er grüßend auf ihn zu, Georg aber, aus dem Sattel springend, warf seinem Pferde den Zügel über den Nacken und sagte zu dem Alten: »Guten Morgen, Barthold; kommt nur mit, ich begleite Euch ein Stück – ich habe etwas mit Euch zu reden.«
»Gern, gnädiger Herr,« erwiderte der Alte, »der Förster ist auch nicht zu Hause. Er ist auf den roten Schlag hinaus, um den Fuhren das Holz anzuweisen.«
»Ich weiß schon – ich will auch nicht zum Förster,« sagte Georg und schritt langsam den Waldweg entlang, bis sie aus Sicht des Forsthauses waren. Hier blieb er stehen und sich gegen Barthold wendend, fuhr er fort: »Ihr seid neulich meiner Frau hier begegnet, als sie im Schlitten die Straße nach Kleinmarkstetten fuhr, nicht wahr?«
»Ja, Ew. Gnaden.«
»Kennt Ihr den Herrn, der mit ihr im Schlitten saß?«
»Sie war allein – das heißt mit dem Fräulein Tochter.«
»Allein?« rief Georg überrascht.
»Allein, meine ich, als sie vom Gute an die große Eiche kam,« bestätigte der Alte, »und von dort schickte sie mich mit einem Auftrage nach dem Gute zurück.«
»So habt Ihr niemanden gesehen, der bei ihr war?« fragte Georg enttäuscht, denn auf den Forstwart hatte er seine ganze – seine letzte Hoffnung gesetzt.
»O doch,« erwiderte der alte Mann. »Wie ich schon ein Stück fort war, kam ein Herr unten vom Dorfe den Weg herauf und stieg hinten auf den Schlitten, und dann fuhren sie zusammen fort. Ich blieb noch eine Weile stehen, weil ich glaubte, es wäre der gnädigen Frau vielleicht nicht angenehm, hier im Holze allein mit einem fremden Herrn zusammen zu treffen. Als ich aber sah, daß es ein Bekannter war, ging ich meiner Wege.«
»Und so kennt Ihr den Herrn gar nicht?«
»Nein, Ew. Gnaden, – ich weiß nicht, wie er hieß,« sagte der Alte etwas erstaunt, denn das unruhige Wesen des Barons fiel ihm auf.
»Der Name tut nichts zur Sache,« rief Georg ungeduldig, »ich meine nur, ob Ihr nicht wißt wie er aussah – ob Ihr ihn wieder kennen würdet.«
»Gewiß – an dem Tage habe ich ihn freilich nur von weitem und ganz flüchtig gesehen; den Tag vorher aber kam er schon einmal zur Eiche, die er sich wohl neugierig betrachten wollte, obgleich er ihr kaum einen flüchtigen Blick zugeworfen und von meiner Erklärung gar nichts wissen mochte. Es fror ihn ein wenig an den Füßen.«
»Wie sah er aus?«
»Ein zierliches, geschniegeltes Männchen, städtisch und ein bißchen fremdländisch angezogen, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen und einer Brille auf, obgleich er noch gar nicht alt sein kann, um schwache Augen zu haben.«
»Und Ihr kennt ihn genau genug, ihn mir zu bezeichnen, wenn Ihr ihn wieder sehen würdet?«
»Ich kenne ein Stück Wild wieder, wenn es mir nur einmal flüchtig über den Weg gesprungen ist, wie viel mehr denn solch ein wunderliches Menschenkind, dem ich Auge in Auge gegenüber gestanden habe!«
»Gut – habt Ihr Lust, Barthold, mich auf einer Tour zu begleiten?«
»Ich, gnädiger Herr? gewiß – aber wohin?«
»Gleichviel – rüstet Euch, auf ein paar Tage auszubleiben. Für Lebensunterhalt braucht Ihr nicht zu sorgen; nehmt nur etwas reine Wäsche mit.«
»Ein Hemd und ein paar Socken stecke ich in den Jagdranzen.«
»Nein – den laßt zu Hause; auch Eure Flinte, die wir nicht brauchen werden, denn das Wild, das wir suchen, fangen wir lebendig.«
»Soll ich denn vielleicht einen Schwanenhals oder ein Tellereisen mitnehmen?«
»Nein,« lachte Georg, »auch das ist nicht nötig, es geht auf keine Witterung. Ich werde jetzt mit Euch zum Forsthause zurückkehren. Apropos, könnt Ihr reiten?«
»Reiten? ja – es soll gerade nicht hübsch aussehen, wenn ich auf einem Pferde sitze,« setzte er gutmütig hinzu, »und sie haben mich schon ein paarmal deshalb ausgelacht, aber ich hänge fest. Trapp oder Galopp, und herunter bringt mich keins.«
»Desto besser – es wird vom Gute aus ein Pferd für Euch heraufgebracht werden. Aber eine Bedingung habe ich zu stellen – könnt Ihr schweigen?«
»Sehe ich etwa aus wie eine Plaudertasche?« sagte der alte Mann ernst.
»Gut – ich glaube es Euch. Kein Mensch erfährt später, wo wir gewesen – hört Ihr? – was wir dort getan – auch nicht, was ich vorhin über den Fremden mit Euch besprochen.«
»Kein Wort, Ew. Gnaden,« sagte der Alte, der zu ahnen begann, um was es sich hier handle. »Das bißchen Wäsche stecke ich denn einfach in die Tasche.«
»Ihr könnt es mir nachher in meine Satteltasche geben.«
»Ew. Gnaden wollen dem Schlitten folgen?«
»Ja – wißt Ihr genau, welchen Kurs er genommen?«
»Die gnädige Frau sagte, sie wolle nach Kleinmarkstetten, der Herr aber hat an dem Morgen seinen Wagen leer mit seinem Gepäck nach Hottweil geschickt.«
»Wißt Ihr das gewiß?«
»Unten im Krug haben sie so gesagt, und der Kutscher soll gestern Abend spät wieder leer durchs Dorf gefahren sein, wie mir einer der Holzmacher heute morgen erzählte.«
»War es ein herrschaftliches Geschirr?«
»Wohl nur ein Lohnkutscher von Haidedorf.«
»Gut – wir dürfen aber trotzdem keine Zeit verlieren. Bestätigt sich das, so können wir vielleicht, wenn wir scharf zureiten, die Station noch erreichen, ehe der Schnellzug eintrifft. Das Pferd muß oben sein; jedenfalls ist es da, ehe Ihr Eure Sachen zusammen habt.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt Georg rasch zum Forsthause zurück, wenn auch der Förster nicht da war, doch dessen Frau davon in Kenntnis zu setzen, daß er den Forstwart auf einen oder zwei Tage in Geschäften mit sich nehme.
Barthold hatte indessen in wenigen Minuten seine geringen Vorbereitungen getroffen; bald darauf kam auch das Pferd, auf dem einer der Knechte heraufgeritten war, und sehr zum Erstaunen der Frau Försterin, die sich den ganzen Tag vergebens den Kopf darüber zerbrach, trabte Barthold hinter dem Herrn von Geyfeln in den stillen Wald hinein. Bis sie die Stelle erreichten, wo sich die verschiedenen Wege teilten, sprach auch Georg kein Wort, und kehrte sich nur manchmal nach seinem Begleiter um, zu sehen, wie er im Sattel saß. Der alte Mann hing allerdings in etwas wunderlicher Art auf dem Pferde, aber er hatte nicht zu viel von sich gerühmt, als er behauptete, daß er wenigstens fest säße. Georg fühlte sich darüber auch bald beruhigt und ließ sein eigenes Tier etwas schärfer austraben, bis er es an dem dreiarmigen Wegweiser zum erstenmal einzügelte.
Hier schieden sich die Wege; eine gewisse Spur war aber nur schwer noch zu erkennen, da Holz- und andere Fuhren die frische Schneebahn schon mit ihren verschiedenen Gleisen durchzogen und durchkreuzt hatten. Eine kurze Strecke indes langsam auf dem Wege nach Hottweil fortreitend, fand Georg bald die zarten, feingeschnittenen Hufe von Georginens Pferde seitwärts von der Bahn im Schnee abgedrückt, wo der Schlitten wahrscheinlich einer ihm begegnenden schweren Fuhr ausgewichen war, und die Zügel, ohne ein Wort weiter zu reden, wieder aufgreifend, schlug er den früheren scharfen Trab wieder ein, dem das alte und steifere Arbeitspferd kaum zu folgen vermochte. Die Station erreichten sie auch in der Tat bei guter Zeit, und wohl noch eine Stunde vor Ankunft des Zuges. Kurze Nachfrage genügte, Georg zu überzeugen, daß er sich auf der richtigen Spur befände. Das Pferd, das Barthold geritten, übergab er dann einem der Leute dort, es im Dorfe einzustellen, bis er zurückkehre; sein eigenes, in zwei dazu geborgte Decken eingehüllt, wurde in einen der glücklicherweise vorhandenen Pferdekasten geführt, und als der Zug heranbrauste, nahm er die Reisenden und das schon bereit gehaltene Pferd auf, und schnob davon, auf seiner schmalen eisernen Bahn, den heißen Atem in die frostige Winterluft ingrimmig hinausblasend.