Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Calle Delago, ziemlich am äußeren Ende der Stadt, lag eine der vornehmeren Pulquerien, die sich eigentlich erst seit der Zeit etabliert hatte, wo eine Masse von eingeborenen »Generalen« die Stadt überschwemmten und dann natürlich ihre gewohnte Pulque nicht missen, aber auch nicht gern mit den gemeinen Soldaten verkehren wollten. Die fremden Offiziere hielten sich selbstverständlich von dieser Menschenklasse zurück, die vollkommen der unteren Schicht der Mexikaner angehörte, aber doch einen höheren Rang, eine höhere Stellung beanspruchte, und so kam es denn, daß diese Pulqueria, die ein unternehmender Mexikaner gründete, entstand und von ihm, sei es durch Ahnungsvermögen, sei es dadurch, daß er seine Landsleute schon genau kannte, a los descontentos Alle diese Pulquerien in der ganzen Stadt haben eine ähnliche, oft komische Überschrift, und die Mexikaner zeigen dafür eine besondere Naivetät: » Al amor de un turco«, »zur Liebe eines Türken« lautet eine – »zum guten Sohn« eine andere, »zur Braut eines Lepero«, »zum guten Vorsatz«, »zum Gewinn eines Loses«, »zur Tapferkeit eines Soldaten« und andere ähnliche mehr. »zu den Unzufriedenen« getauft wurde.
Im Anfang nahm man allerdings diese Überschrift seines Hauses für Scherz und schrieb sie der Pulque zu, mit der seine Gäste nicht zufrieden sein sollten, aber nach gar nicht so langer Zeit sammelte sich dort allerdings eine Menschenklasse, die auf den Namen der »Unzufriedenen« mit dem größten Recht Anspruch machen konnte, denn sie glaubte alle Ursache dazu zu haben.
Die Militär-Organisation war nämlich, obgleich schon lange entworfen, doch jetzt erst wirklich in Kraft getreten, und so viel sich der Kaiser davon versprach und mit Recht davon versprechen durfte, hätte er es nämlich mit einem anderen Volke als den Mischlingsrassen Südamerikas zu tun gehabt, so stieß er hier damit doch in ein Wespennest.
In den »Descontentos« versammelten sich jetzt allabendlich besonders alle jene höheren Offiziere, hauptsächlich Generale, die in den letzten Monaten von Juarez zu den Kaiserlichen übergegangen waren. Sie hatten sich nicht allein gegenseitig nichts vorzuwerfen, sondern auch ziemlich gleiche Interessen und – die Hauptsache: gleiche Ansichten über Kriegführung, das heißt so lange kämpfen, als es bequem ging, und dann entweder davon-, oder zum Feind überlaufen. Jetzt bedrohte sie aber alle zugleich ein und dasselbe Schicksal, oder war schon über sie hereingebrochen, das nämlich: bei der jetzigen militärischen Einteilung als überflüssig angesehen und zur Disposition gestellt zu werden, wobei sie natürlich, wenn auch nicht ihren Titel – denn an dem hielten sie fest – doch jedenfalls ihr Gehalt einbüßen mußten. Das war zu viel für sie, und die »Undankbarkeit des Kaiserreichs« ihr stehendes Gespräch geworden.
Anfangs freilich schimpften sie wohl darüber, hielten es aber noch immer nur für eine Art von Schreckschuß, denn sie konnten sich nicht denken, daß man wagen würde, sie ganz und ohne weiteres beiseite zu schieben. Es verstand sich von selbst, daß sie dafür irgendeinen anderen fetten Posten, womöglich an der Steuer, bekommen mußten, und was schadete es, wenn sie davon auch nicht das geringste verstanden. War das nicht von jeher so gewesen und solche Posten nur als Belohnungen für geleistete Dienste gegeben worden? und konnte man es nicht mit der Zeit erlernen? – Aber auch das blieb aus, und die Entrüstung unter diesen Herren wurde natürlich allgemein.
Die Pulqueria war ebenfalls, wie die anderen, ausgemalt, aber mit lauter Schlachtbildern, die man jedoch vorsichtigerweise dem Befreiungskriege entnommen hatte, um nicht etwa jemandes Gefühle hier zu verletzen. Nur eine einzige Wand blieb dem Sturm des Forts Guadelupe bei Puebla durch die Franzosen gewidmet, wo diese von dem General Zaragoza so entschieden zurückgeworfen wurden. Die Franzosen haßten sie alle, ob sie nun gerade unter dem Kaiser oder unter den Liberalen dienten, und auf jene »Waffentat« der Mexikaner setzten sie alle ihren Stolz.
Heute nun gerade waren verschiedene Dekrete ausgegeben worden, und viele dieser durch Revolutionen gemachter, aber sonst ganz unfähiger Generale schienen gerade diesen Tag gewissermaßen als letzten Termin erhofft zu haben, um doch am Ende noch bedacht zu werden – sie sahen sich getäuscht, und besonders einzelne, die früher im Heere des Feindes eine gewisse Rolle gespielt, fühlten sich, ihrer Meinung nach, auf das unverzeihlichste zurückgesetzt.
An dem einen großen Tisch, der nahe zu dem auf die Straße hinausführenden Fenster stand, saßen etwa acht oder neun solche »höhere« Offiziere, die großen Pulquegläser vor sich, die Arme auf den Tisch gestemmt, und ein Caracho nach dem anderen rang sich unter den nassen Schnurrbärten vor, die nur manchmal mit den Fingern abgestrichen wurden. Ein Taschentuch führte wohl keiner der Herren bei sich. Sie befanden sich auch in einer fatalen Lage, denn gelernt hatte keiner von ihnen etwas, um sich der menschlichen Gesellschaft nützlich machen zu können. Ohne Krieg oder Revolution konnten sie nicht bestehen, sie waren es von Jugend auf so gewohnt gewesen und darin aufgewachsen, und was sollte jetzt aus ihnen werden, wo sie den Liberalen den Rücken gekehrt und von diesem fremden übermütigen Kaiser gar nicht gebraucht, ja nicht einmal anerkannt wurden?
Da trat eine nicht sehr hohe, aber sehnige Gestalt in die Tür, mit bronzefarbenem Gesicht, vollem schwarzen Bart und ebensolchem gelockten Haar, aus dessen Antlitz ein paar funkelnde Augen hervorblitzten und mit einem gewissen Hohn über die Gäste hinzuschweifen schienen.
»Hallo, Cortina – komm hierher, Compannero – wo bist du so lange geblieben?« riefen sie ihm zu – »seit einer Stunde warten wir schon auf dich.«
»Nun, Caballeros,« lachte der Halbindianer ingrimmig in den Bart hinein – »ich dächte, Ihre Zeit erlaubte Ihnen das, denn zu tun haben Sie nichts – Caracho! ein ganzes Nest voll ausgenommener Generale und alle schon flügge.«
»Hol' dich der Teufel!« knurrte einer derselben – »einen Rat sollst du uns geben, was wir tun können, nicht dich über uns lustig machen – oder bist du etwa besser daran?«
»Einen Rat?« rief Cortina, indem er seinen Hut hinten auf den Kopf rückte und sich auf den ihm hingeschobenen Sessel warf – »seid ihr wirklich ratlos und gefällt es euch nicht mehr in Mexiko? – Zum Henker auch, es wird hübsch hier, denn die Sache fängt an drunter und drüber zu gehen.«
»Ist etwas vorgefallen?« riefen drei, vier zugleich.
»Vorgefallen? Bah, nichts – ein halb Dutzend gehangen, was ist das, aber Seine Majestät fängt an den Krieg bis ans Messer zu führen, und wir können froh sein, daß wir hier im Trocknen sitzen.«
»Den Teufel auch – wer ist gehangen?« rief es jetzt durcheinander, denn keiner fühlte sich so ganz sicher, ob nicht ein paar Bekannte oder Freunde unter den also Abgeurteilten sein könnten.
»Ja, was weiß ich's!« sagte Cortina achselzuckend; »Kriegsgelder wurden auf der Diligence transportiert, und ein halb Dutzend Liberaler machte sich auf, um sie abzufangen; eine französische Eskorte scheint ihnen aber in die Quere gekommen zu sein, und wenn die »Nachbarn« sie nicht beerdigt haben, hängen die wackeren Burschen noch draußen in den Bäumen der Penuelos.«
»Caracho! die Franzosen waren das?«
»Nun gewiß – heißt ja jetzt alles Straßenräuber und wird bald noch besser werden. Bazaine soll gesagt haben, daß nächstens ein Gesetz herauskommt, wonach die ganze Armee von Juarez als Straßenräuber betrachtet und behandelt wird.«
»Dann hängen sie aber auch drüben jeden, den sie von den Kaiserlichen erwischen.«
»Wird bald nicht mehr Bäume genug im Walde geben für all' die Früchte,« lachte Cortina. »Jungens, jetzt wird's hübsch in Mexiko, jetzt geht eigentlich unsere Zeit an, und dabei sollten wir hier ruhig sitzen und die Hände in den Schoß legen? Verbrannt will ich werden, wenn ich's tue – ich gehe wieder nach Norden.«
»Zum Alten?« riefen mehrere zugleich.
» Quien sabe,« sagte Cortina, die Achseln zuckend – »wer weiß, wo der steckt, und ob er noch viel Soldaten hat – können's auch noch eine Weile abwarten, denn gestern hört' ich, daß Bazaine selber mit einer Armee hinauf will, um ihn zu fangen oder über die Grenze zu treiben.«
»Dann ist die Geschichte aus.«
»Noch lange nicht – dann geht sie erst an!« rief Cortina, sein Pulqueglas dabei bis auf den Grund leerend – »nachher kommt entweder Ortega oder ein anderer, das bleibt sich gleich – aber da oben stehen bleiben können die Franzosen nicht – es liegt zu weit ab von der Hauptstadt, und so wie sie wieder anfangen sich zurückzuziehen, dann sind wir hinterher und – Purisima! – nicht einen Augenblick Ruhe wollen wir ihnen gönnen.«
»Was ist denn daran?« fragte jetzt ein anderer. »Die Amerikaner hier in der Stadt erzählen, daß der Kaiser Napoleon nächstens alle seine Soldaten nach Hause schicken werde, weil die im Norden es nicht länger leiden wollten.«
»Das wäre recht,« nickte Cortina, ingrimmig vor sich hinlachend – »nachher wollten wir hier bald unter den »feinen« Offizieren aufräumen. In der Luft liegt übrigens was, denn die Pfaffen kommen wieder ans Tageslicht, wie die Maulwürfe vor einem Gewitter – haben mir auch schon Propositionen gemacht, mag aber mit den Schwarzröcken nichts zu tun haben. So lange sie uns brauchen, sind wir gut genug, aber kaum ist's vorüber, so zahlen sie mit Messen und Segen.«
»Nach Vera-Cruz zu sollen sich auch wieder Scharen von Juaristen zusammengezogen haben – ich hörte davon in der Stadt.«
»Ja,« nickte Cortina, »gehört hab' ich's auch, weiß aber nicht, ob was dran ist. Wenn sie nur nicht den Porfeirio Diaz eingesperrt hätten – bei dem wäre gleich wieder anzukommen.«
»Zu dem möcht' ich aber nicht,« knurrte ein kleiner gelbbrauner Bursche mit einer riesigen Narbe über das ganze Gesicht hinüber – »fauler Kram das. Der hat seine eigenen Soldaten hängen lassen, wenn sie einmal geplündert hatten – mit dem ist's nichts!«
»Und weshalb soll man seine Haut zu Markte tragen,« rief ein anderer, der ein einziges riesiges Epaulett auf der linken Schulter trug, »wenn man nicht auch wenigstens etwas dafür hat. Soll mich nur wundern, wie lange diesmal das Kaiserreich dauert – hat ja schon beinahe anderthalb Jahr bestanden – hätt's ihm gar nicht zugetraut.«
»Ich gehe morgen nach Queretaro hinauf,« sagte Cortina – »wer geht mit?«
»Werden aber erst um Urlaub einkommen müssen,« lachte der mit der Narbe.
»Hol' sie der Teufel!« knirschte Cortina zwischen den Zähnen durch – »ich bin mit meinem Urlaub fertig und wieder ein freier Mann. Hinter Queretaro brauche ich keine acht Tage Zeit, um eine Truppe tüchtiger Kerle zusammenzubringen.«
»Und wär' es da doch nicht am Ende besser, die Franzosen erst ihren Zug nach Norden machen zu lassen. Jedenfalls rücken sie gegen Chihuahua und Monterey, und wir wissen dann eher, woran wir sind.«
»Rechts und links davon haben wir Platz genug,« lachte Cortina, »und wenn wir uns nach Guerrero hineinwerfen sollten. Ich gehe.«
»Dann, denk' ich, gehe ich auch,« sagte der mit der Narbe – »und du, Carlos?«
»Zu versäumen hab' ich hier nichts – laßt uns alle ins Land gehen. Vorderhand machen wir nur eine Vergnügungsreise, und sind wir erst einmal drin, so sehen wir bald selber, wie die Sachen stehen.«
»Ein Wort ein Mann!« rief Cortina. »Wann brechen wir auf?«
»Nicht zusammen,« warnte ein anderer – »wir dürfen keinen Verdacht erregen, sonst sitzen uns die Bestien auf dem Nacken. Laßt uns einzeln gehen und in Queretaro treffen wir dann zusammen.«
»Auch gut, und jetzt Adios, Caballeros – auf ein fröhliches Leben wieder in den Bergen!«
*
Im Hause Don Carlos Lucidos, in den prachtvollen und behäbigen Räumen herrschte eine furchtbare Aufregung, denn die Gerichte schienen diesmal wenig Umstände mit dem gefangenen Verbrecher machen zu wollen, wenn er auch der Sohn eines der reichsten Leute in Mexiko war. Mauricio, darauf gerade trotzend, hatte auch eingestanden, daß er bei dem Überfall der Diligence beteiligt gewesen, aber natürlich nur aus politischen Motiven. Er stehe entschieden auf seiten der Liberalen, erklärte er ganz offen, und habe das Kaisertum noch nie anerkannt. Ihre Absicht sei auch allein gewesen, die beiden französischen Offiziere gefangen zu nehmen, um sie gegen gefangene Offiziere der Liberalen auswechseln zu können, aber der hartnäckige Widerstand der Franzosen, von dem er selber noch die Narbe trug, habe seine Begleiter erbittert und den Tod der beiden zur Folge gehabt.
Seine Aussagen halfen ihm nichts. – Ricarda San Blas, wie sie es van Leuwen versprochen, trat selber als Zeugin gegen ihn auf. – Es war nichts als ein ganz gemeiner Raubanfall gewesen, gerade wie der zweite, der durch den gefundenen Brief vereitelt wurde, und man hatte die Schüsse abgefeuert, ehe nur der Wagen ordentlich hielt, also von einer Gefangennahme der Offiziere gar keine Rede sein konnte.
Mauricio Lucido, zum Tode verurteilt, sollte am nächsten Morgen erschossen werden, denn es war nötig geworden, dem liederlichen jungen Volk der Stadt ein Beispiel zu geben, daß sie keine bevorzugte Klasse bildeten, sondern sich den Gesetzen und der Ordnung ebenso fügen mußten, wie alle anderen.
Der Kaiser selber unterschrieb das Todesurteil und war so empört über diesen Fall, daß er, wie es hieß, nicht einmal Lucidos Mutter, die ihn um Gnade für den Sohn bitten wollte, vorließ. – Umsonst hatte sie sich wenigstens an Padre Fischer gewandt, der, als der Kaiser von Cuernavaca zurückkehrte, Hofkaplan geworden. Er versprach ihr allerdings, sein möglichstes zu tun, aber sein Weg blieb, wie er ihr später sagte, erfolglos, denn der Kaiser wolle gerade in diesem Falle, wo schon so viele Verbrecher aus den unteren Klassen hingerichtet worden waren, keine Gnade walten lassen.
Arme Mutter! Padre Fischer hatte sich wohl gehütet, zu dem Kaiser zu deinen Gunsten zu sprechen, denn was konnte der klerikalen Partei erwünschter sein, als daß gerade die Partei, die noch am innigsten zum Kaiserreich hielt, gegen dasselbe erbittert wurde. Der Kaiser mußte nach und nach einsehen lernen, daß er niemanden mehr hatte, auf den er sich stützen konnte, als eben die Geistlichkeit, und dahin erst einmal gelangt, und der Sieg konnte ihr nicht ausbleiben.
Die Frauen im Hause saßen und weinten; die Dienerschaft wehklagte, und der alte Lucido ging mit auf den Rücken gelegten Händen und finster zusammengezogenen Brauen in seinem Zimmer auf und ab. Boten waren dabei nach den verschiedensten Richtungen ausgesandt, um die Freunde zu einer Beratung einzuladen, und nach und nach trafen sie jetzt ein. Aber es war kein fröhliches Zusammensein, wie es sonst so oft in diesen Räumen stattgefunden, sondern ernst und schweigend sammelten sich die Herren, die »Großen des Reiches«, wie man sie recht gut hätte nennen können, in dem luftigen Gemach. Sie drückten dem Freund still und stumm die Hand, aber jeder scheute sich, zuerst von dem zu beginnen, was ihnen allen doch schwer und drückend genug auf dem Herzen lag. Aber es half nichts – einmal mußte doch das Eis gebrochen werden, und Roneiro nahm zuerst das Wort.
» Compadre,« Gevatter; die Patenschaft gilt in allen diesen spanischen Kolonien fast mehr als ein naher Verwandtschaftsgrad. sagte er herzlich, indem er zu Lucido ging und ihm die Hand auf die Schulter legte – »du weißt, ich nehme an dem Jungen fast so viel Teil als du selber, denn ich habe ihn aus der Taufe gehoben und ihn mit unter meinen Augen aufwachsen sehen.«
»Ich weiß es, Compadre – ich weiß es,« erwiderte Lucido bewegt, und der starke Mann mußte sich Mühe geben, die Tränen zurückzuzwängen, »und daß er jetzt so enden sollte!«
»Wir sind hergekommen, um das mit dir zu beraten,« sagte Roneiro – »noch ist es doch vielleicht möglich, einen Ausweg zu finden.«
Lucido schüttelte wehmütig mit dem Kopf. – »Wir haben alles versucht,« sagte er, »meine Frau war selbst oben beim Kaiser, ist aber gar nicht vorgelassen worden. Es ist vorbei – der Junge hat schwer gefehlt, aber so zu büßen!«
»Mauricio war in der letzten Zeit verwildert,« nickte Roneiro seufzend, »und wir selber konnten in den so bewegten Tagen nicht so auf ihn acht geben, wie wir es wohl gesollt. Er ist in schlechte Gesellschaft geraten – das viele fremde leichtfertige Volk, Abenteurer, die nur nach Mexiko kamen, um hier ein Vermögen zu sammeln, und als sie das nicht so leicht fanden, zu allen möglichen Kunstgriffen ihre Zuflucht nahmen. Was aber um der heiligen Jungfrau willen, Rodriguez, konnte Ihre Nichte bewegen, in so entschieden feindlicher Weise gegen den Jungen aufzutreten? Es ist unerhört, und ohne ihr Zeugnis wäre er nie zum Tode verurteilt worden.«
»Gott weiß es,« sagte Rodriguez, mit den Achseln zuckend, »das sonst so bescheiden einfache, ja schüchterne Wesen war ganz wie umgewechselt. Den ersten Tag saß sie still und stumm und verkehrte fast mit niemandem, als aber am Abend spät die Nachricht kam, daß der Überfall gegen die Räuber an den Penuelos geglückt und alle, mit Ausnahme eines einzigen, der entkommen war, ihre Strafe erhalten hätten, die Patrouille selber auch, mit nicht einmal einem Verwundeten zurückkehrte, nur ein belgischer Hauptmann sollte erschossen sein, – da trat sie bleich und erregt, wie ich sie nie gesehen, vor uns hin und schwur, daß Mauricio Lucido den Tod erleiden müßte. Wir haben alles versucht, sie von ihrem Entschluß abzubringen – umsonst, es war nicht möglich; das sonst so scheue Mädchen schien wie verwandelt, und ernst und entschlossen verfolgte sie ihre Bahn.«
»Welcher Partei gehört ihr Vater an?« fragte Roneiro.
»So viel ich weiß, den Liberalen,« sagte Rodriguez, »obgleich er zu den besten Familien von San Blas gehört. Er war aber von je ein Schwärmer, hat alle seine Indianer frei und ihnen eigenes Land gegeben, um es zu bewirtschaften, und geriet schon deshalb mit den Klerikalen in Streit. Sonst ist er aber einer der rechtschaffensten Leute, die ich kenne, und, wie ich oft und oft von meiner Schwester gehört habe, der beste Vater und Gatte.«
»Es hat so sein sollen,« stöhnte Lucido – »und den einzigen Sohn – den einzigen Sohn!«
»Ich begreife gar nicht,« sagte jetzt Bastiani, der sich ebenfalls unter den Freunden befand, »daß der Kaiser gerade diesmal so hartnäckig auf dem Todesurteil bestehen sollte. Es ist sonst gar seine Art nicht. Wissen Sie auch gewiß, Lucido, daß er von dem Besuch Ihrer Gattin in Kenntnis gesetzt war?«
Lucido nickte still mit dem Kopf. »Sein Hofkaplan hat es selber übernommen, ihr die Audienz zu erwirken, aber schon nach kurzer Zeit kehrte er zurück und sagte: der Kaiser wolle diesmal dem Gesetz seinen vollen Lauf lassen, denn: es gäbe in Mexiko keine bevorzugte Klasse.«
»Und das alles dafür, daß gerade diese bevorzugte Klasse ihn auf den Thron gesetzt!« rief Santiago, ein Schwager Lucidos, der bedeutende Besitzungen in Puebla hatte und sich gerade auf Besuch in Mexiko befand – »ohne diese ›bevorzugte Klasse‹ säße er noch als armer Erzherzog auf seinem Felsenschloß von Miramare, während er jetzt der Herrscher des schönsten Landes der Welt ist –«
»Und ich weiß nicht,« meinte Bastiani trocken, »ob er dort nicht besser und ruhiger säße als hier, denn mein Wort zum Pfande, ich möchte nicht an seiner Stelle sein.«
»Wir können ihn wieder dorthin schicken,« warf ein anderer Konservativer, Doblado Santa Cruz, ein, »denn für die Interessen unserer Partei hat er, so lange er sich hier befindet, noch nichts getan.«
»Ich halte ihn für einen ehrenwerten Mann,« sagte Bastiani.
»Aber den brauchen wir hier nicht!« rief Doblado heftig aus – »wir brauchen einen tüchtigen Mann, der das Land im Zaum hält und sich auf die Leute, die seine Freunde sind, oder sich wenigstens bis jetzt als seine Freunde gezeigt haben, stützt. Was wir hier brauchten, war ein Oberhaupt, das uns unser Eigentum garantierte, und was hat Maximilian getan? – es im Gegenteil gerade in Frage gestellt!«
» Caramba no,« rief Bastiani – »ich dächte gerade dadurch, daß er die Gesetze der toten Hand anerkannte und den Klerikalen, die sich feste Rechnung gemacht, ihn auf ihre Seite zu bekommen, so fest entgegentrat, hat er mehr getan, als wir von ihm und seinen Antecedentien nach erwarten durften.«
»Dann hätte er auch diese Gesetze einfach anerkennen und jetzt nicht auf eine Revision der in unruhigen Zeiten geschlossenen Käufe dringen müssen,« rief Santiago. »Damals sind allerdings Unregelmäßigkeiten vorgekommen, das gebe ich zu, aber es war in der Zeit nicht anders möglich, und konnte auch, da es tote Liegenschaften betraf, niemandem zum Schaden gereichen. – Aber nein, das soll hier alles nach europäischem Muster und in einer alten, gestempelten Form regiert werden, und das geht nun einmal nicht in Mexiko.«
»Santiago hat recht,« nickte Roneiro, »ich bin gewiß ein Freund des Kaisers und von Anfang an gewesen, und er hat sich mir und meiner Familie auch immer freundlich gezeigt, aber diese Revision der Verkäufe war ein Zankapfel, den er nicht in das Lager der Feinde, sondern in das seiner treuesten Freunde und Anhänger warf, und das nur den Advokaten nützen wird. Ich selber befinde mich mit all' meinen neuen Liegenschaften in der Stadt schon in einen höchst unangenehmen Prozeß verwickelt, und wenn wir unseres Eigentums nicht einmal gesichert sein sollen, so sehe ich eigentlich gar nicht ein, weshalb wir es nicht ebensogut der Kirche zurückgeben könnten. Dadurch bekämen wir wenigstens Frieden im eigenen Haus und mit unseren Familien.«
»Der Kaiser ist ein Fremder,« sagte finster Doblado, »und wird ewig ein Fremder bei uns bleiben, denn er versteht uns nicht. Vermitteln will er in einem fort, keinem Menschen unrecht tun und alle zu Freunden machen, und dadurch erwirkt er sich gerade das Gegenteil. Wer hier in Mexiko regieren will, der muß einer bestimmten Partei angehören und diese so mächtig zu machen suchen, daß sie allen anderen die Spitze bieten kann, sonst wird aus der ganzen Sache nichts, und er setzt sich eben, wie das Sprichwort sagt, sehr einfach zwischen ein paar Stühle hinein. Ja er tut gerade das Gegenteil – vom Papst erbittet er sich einen Nuntius und schickt eine Gesandtschaft nach Rom, wirft aber in derselben Zeit alle Verordnungen und Befehle des heiligen Vaters über den Haufen, – Juarez treibt er mit den Liberalen aus dem Lande, und bildet, während er das tut, sein ganzes Ministerium fast aus lauter Liberalen, – die Konservativen streichelt er mit der einen Hand durch Anerkennung der Reformgesetze, und zu gleicher Zeit stellt er durch die Revisionen ihr Besitztum in Frage, gibt dabei die Indianer frei, oder entbindet sie vielmehr ihrer eingegangenen Verpflichtungen und erkennt selber unsere gesellschaftlichen Vorrechte nicht mehr an. Von wem verlangt er jetzt, daß sie zu ihm stehen sollen? Welche Partei hat er wirklich für sich gewonnen? Das Volk? – das ist eine gedankenlose Masse, die kaum den Begriff eines wirklichen Kaisers kennt, und die wir heute, die Klerikalen morgen für sich verwenden können, und was darf er von den Indianern hoffen? Nein, er mag ein ganz guter Mann sein, aber er spielt ein gefährliches Spiel oder tappt blindlings in sein Unglück hinein und findet sich einmal wieder eines schönen Tages auf der Rückreise nach seinem Felsenschloß. Unsere Parteien aber hier in Mexiko zu verschmelzen und eine einzige daraus zu machen, das bringt er nicht fertig und – brächte kein Gott zuwege.«
»Mein Sohn! Mein Sohn!« stöhnte Lucido, der sich auf einen Stuhl niedergelassen und die krampfhaft gefalteten Hände dabei zwischen den Knien hielt. Was kümmerte ihn jetzt die Politik des Landes, was Gewinn oder Verlust – was Kaiser und Reich – er jammerte um sein Kind, und Roneiro, der eine Zeitlang sinnend am Fenster gestanden und hinaus auf die Straße gesehen hatte, drehte sich endlich um und sagte:
»Es gibt nur noch einen Weg, um Mauricio zu retten, und das ist die Flucht. Vorhin sprach ich mit Deverreux über den Fall, der aber meint, daß Bazaine fest entschlossen sei, ihn erschießen zu lassen, um die beiden französischen Offiziere zu rächen, und der ist nicht der Mann, der so leicht von einem einmal gefaßten Entschluß abzubringen wäre.«
»Aber wie entfliehen? – Wie ist es möglich?« rief Lucido, sich an diese letzte Hoffnung klammernd – »wenn es mit Geld abzumachen wäre, o wie gern wollte ich das geben!«
»Ich glaube fast, es ist möglich,« nickte Roneiro, »aber nicht mit einer kleinen Summe, denn der Gefängniswärter muß mit ihm entfliehen und tut das nicht, wenn er nicht seine Zukunft gesichert bekommt.«
»Und wieviel glaubst du, daß er verlangen wird?«
»Ich denke, er wird mit fünftausend Pesos zufrieden sein.«
»Gib ihm das – gib ihm mehr!« rief der Vater mit leuchtenden Blicken, »aber mach' mir den Sohn frei, und ich will es dir auf meinen Knien danken.«
»Ja, ich selber kann es nicht; dazu brauchen wir einen Pfaffen,« nickte nachdenkend Roneiro, »aber ich glaube, ich kenne den richtigen Mann. Der höhere Klerus wird darüber jubeln, wenn der Kaiser unserer Partei durch solch ein Urteil gewissermaßen einen Schlag versetzt, aber die niedere Geistlichkeit hat kein Interesse dabei, wird überhaupt von den Kirchenfürsten schlecht behandelt und ist deshalb leicht zu gewinnen. Überlaß das mir – ich suche ihn augenblicklich auf, und wenn es noch möglich ist, es durchzuführen, so bringt der es fertig.«
»Und wer ist der?« fragte Santiago – »kenne ich ihn?«
»Padre Sorra. Er gehört zu einem jener Konvente, die allein auf ihren Privatverdienst, auf Messelesen und andere kirchliche Funktionen, wie auch Sammlungen bei Festen, angewiesen sind und schon dadurch dem überreichen Klerus neidisch entgegenstehen. Mit Geld ist bei denen alles zu machen, und wenn ein zu einem solchen Zweck geeigneter Mensch existiert, so ist es mein Padre. – Aber gib dich deshalb noch nicht zu großer Hoffnung hin, Carlos. – Die uns gegönnte Zeit ist fast zu kurz. Vor allen Dingen werd' ich mit Sorra selber sprechen, und dann müssen wir Mauricio veranlassen, daß er einen Geistlichen verlangt, nach welchem er außerdem, wie ich fürchte, kein großes Bedürfnis spüren wird.«
»Er hat sich von Gott und seinem ehrlichen Namen abgewandt,« klagte Carlos Lucido – »o, mein Sohn – mein Sohn – er wird elend zugrunde gehen!«
» Veremos,« sagte Roneiro ruhig – »aber weiß einer von Ihnen noch ein anderes Mittel, dem unglücklichen jungen Mann zu helfen?«
»Ich fürchte nein,« sagte Rodriguez – »ich bin mit Bazaine, der durch seine Heirat ja auch mit mir verwandt wurde, ziemlich genau bekannt und war heute Morgen bei ihm, aber umsonst. Von der Seite ist nichts zu hoffen, und wenn der Kaiser selber Gnade versagt hat, so bleibt allerdings nichts übrig als Flucht – wenn er überhaupt noch zu retten ist.«
»Gut, Caballeros,« nickte Roneiro, »dann werde ich an meine Mission gehen, und morgen früh, compadre, sage ich dir Antwort, ob ich Hoffnung habe. Den Kopf hoch, Mann, noch lebt Mauricio und es ist nicht alles verloren!«
*
Zu dem Justizminister Escudero trat Marschall Bazaine in das Gemach und schien heute in ungewöhnlicher Aufregung.
Escudero, der feine, höfliche Mexikaner, empfing den Oberbefehlshaber der französischen »Hilfstruppen« auf das artigste, aber der Franzose schien eben nicht in der Stimmung, langweilige Formen zu beobachten, und sich in einen der nächsten Stühle werfend, sagte er:
»Sennor, das geht nicht länger so fort – wir müssen energisch gegen das Gesindel auftreten, oder wir erreichen nichts, als daß wir ein jedes Jahr von vorn den nämlichen Feldzug beginnen, wie wir ihn im vorigen hatten.«
»Ich weiß nicht, was der Herr Marschall meinen,« sagte Escudero freundlich, »aber ich sollte denken, Ihre Truppen wären energisch genug vorgegangen. Die letzten Nachrichten lauten außerordentlich günstig.«
»Der Teufel dank' es ihnen!« brummte Bazaine. »Sie wundern sich doch wohl nicht, daß unsere französischen Regimenter das mexikanische Gesindel werfen, wo sie mit ihm zusammentreffen, aber was hilft das? Wir treiben sie aus jedem Platz hinaus, den wir angreifen, aber wir müßten eine halbe Million von Soldaten hier haben, um jeden Hauptplatz nur befestigt zu halten. Sobald wir uns zurückziehen, rücken diese Raubbanden, die sich Soldaten des Präsidenten Juarez nennen, wieder vor, und das ist ein Spiel, das Menschen, die von trockenen Tortillas leben, wohl aushalten und eine unbestimmte Anzahl von Jahren fortsetzen können, an denen wir aber zuletzt mit dem Kaiserreich zugrunde gehen.«
»Aber so weit die Berichte reichen, die wir erhalten haben,« sagte der Minister, »sind doch sämtliche Kriegsoperationen auf das glücklichste gelungen, und die heutige Nachricht bestätigt sogar, was schon vor ein paar Tagen gemeldet wurde, daß nämlich Juarez endlich nach dem Norden hinauf – man vermutet sogar, über die Grenze getrieben sei. Die Liberalen behaupteten allerdings, er habe sich in Paso del Norte, einem kleinen erbärmlichen Grenzflecken, festgesetzt, aber das ist nicht wahrscheinlich, denn was wollte er dort? Ich kenne den Platz genau, er könnte sich dort kaum mit fünfzig Anhängern für kurze Zeit vielleicht am Leben halten.«
»Und das ist es gerade, was ich Ihnen sagen wollte,« rief Bazaine. – »Juarez ist jetzt tatsächlich über die Grenze getrieben und die Revolution vorbei – und, wenn er es nicht wäre, sein Präsidentschafts-Termin überhaupt in wenigen Wochen abgelaufen. Alle die, welche uns nach dieser Zeit mit den Waffen in der Hand gegenüberstehen, sind nichts als gemeine Straßenräuber – Banden, die herumziehen, einzig zu dem Zweck, Feind und Freund auszuplündern, und dem muß ein Ende gemacht werden, oder ich selber bitte Seine Majestät den Kaiser Napoleon mich von hier abzuberufen. Ich bin mit Freuden willens, mich jedem geordneten Heer oder jeder berechtigten Macht entgegenzustellen; ich erkenne selbst einzelne Guerillabanden an, sowie sie von einem bestimmten Oberhaupt dirigiert werden und irgend etwas – und wenn es selbst nur eine Idee wäre, verfechten, aber ich bin kein Polizei-Offiziant, der genötigt werden kann, sich das ganze Jahr mit Verbrechern herumzuschlagen, und dem man dann nicht einmal die Macht einräumt, die Schuldigen, wenn er sie wirklich gefaßt hat, zu züchtigen.«
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Marschall.«
»Dann will ich ganz deutlich reden,« sagte Bazaine. – »Der Kaiser muß, wenn er meine Unterstützung seiner Macht auch nur noch soviel für nötig hält, ein Dekret erlassen, das die jetzt noch umherstreifenden Banden für vogelfrei erklärt – Räuber und Mordbrenner, die es außerdem nur sind. Der eigentliche Krieg ist beendet und der Expräsident über die Grenze gejagt, wir haben es von diesem Augenblick an also mit keiner Kriegsmacht mehr zu tun, sondern allein mit übriggebliebenen und zurückgelassenen Banditen, die wir bei Gott nicht, wenn wir sie erwischen, als Kriegsgefangene behandeln können. Wir erklären den Krieg für beendet, denn wir haben ein volles Recht dazu, und wer von da ab mit den Waffen in der Hand gefangen wird, soll als gewöhnlicher Bandit behandelt, das heißt erschossen oder gehangen werden, wie es der Fall gerade mit sich bringt.«
»Herr Marschall,« sagte Escudero, »das ist ein Kapitel, das wir schon verschiedene Male mit Seiner Majestät, aber ohne Erfolg, verhandelt haben. Der Kaiser weigert sich auf das entschiedenste, zu derartigen Maßregeln zu greifen, so lange Juarez auch nur einen Schatten von Recht auf seiner Seite hat. Er hofft immer noch durch strenge Gerechtigkeit den Feind zu überzeugen, daß er es mit keinem Eroberer, sondern mit einem Monarchen zu tun habe, der wirklich nur das Beste des Landes will und den Frieden desselben anstrebt. Und haben wir denn auch nicht in den zahlreichen Loyalitätserklärungen, die ihm in den letzten Wochen fast von allen nordischen Städten zugegangen sind, die Beweise, daß ihm die Mehrzahl, selbst der Liberalen, zuneigt? Den Leuten dort mußte sich zuletzt die Überzeugung aufdrängen, daß Juarez nicht der Mann war, gegen einen Maximilian aufzutreten, und nicht allein Offiziere der Liberalen, nein, zahlreiche Präfekten haben ebenfalls an uns geschrieben, ihren völligen Übertritt zum Kaisertum erklärt und uns selber gebeten, Truppen in ihre Ortschaften zu legen, um herumschwärmenden Banden der Liberalen die Spitze bieten zu können.«
»Und da haben Sie den ewigen Refrain vom Lied!« brach Bazaine, der bis jetzt ungeduldig den Boden mit dem Fuß geklopft hatte, aus – »Truppen wollen sie haben, weil sie wissen, daß wir uns selbst beköstigen und für alles, was wir brauchen, bar bezahlen – Truppen, nur um nicht selber in die Verlegenheit kommen zu müssen, ihr Eigentum zu verteidigen. Wir kosten sie nichts, sondern bringen ihnen noch Geld, aber kaum haben wir den Rücken gewandt und ein Juarezsches Streifkorps rückt in den Ort ein, so jubeln sie dem auch wieder entgegen und erklären sich als die besten und treuesten Republikaner. Nicht ein Centime gebe ich Ihnen für all' die Loyalitätsadressen solcher Menschen, denn wie der Wind weht, so drehen sie sich, und das nämliche Konzept, das sie heute in Abschrift an den Kaiser eingesandt haben, dient ihnen vielleicht acht Tage später, mit ein paar veränderten Worten, um es einem der liberalen Banden-Generale zu Füßen zu legen. Gehen Sie mir mit Ihren Adressen; ich halte mich an die wahre und nackte Wirklichkeit, an die Menschen, wie ich sie in den Jahren gefunden habe, und wie sie sind, und demnach gebe ich Ihnen mein Wort, daß Sie sich auch nicht eine Stunde auf solche Versicherungen verlassen können. Nein, gespielt haben wir genug mit ihnen und jedem menschlichen Völkerrechte Genüge geleistet, das weiß Gott. Jetzt wird es Zeit, daß wir ihnen die Zähne zeigen, und ich erkläre Ihnen hiermit, Sennor, daß ich in demselben Moment um meine Abberufung einkomme und meine Soldaten von dem sogenannten ›Kriegsschauplatze‹ zurückziehe, wo mir der Kaiser jetzt noch, nach zahllosen Mahnungen, erklärt, daß er von seiner passiven Politik nicht abstehen will. Erläßt er ein solches Dekret und gibt er mir die Vollmacht, es auszuführen, dann stehe ich Ihnen dafür ein, daß ich Ihnen das ganze Land nicht allein erobere – denn das ist jetzt schon geschehen, – nein, daß ich es auch unterwerfe und in Besitz halte, bis er seine eigene Armee (was, beiläufig gesagt, etwas lange dauert) auf den Füßen hat; erläßt er es aber nicht, dann mag er sich auch die Folgen zuschreiben und mir nachher keine Vorwürfe machen, denn von dem Augenblick an trete ich zurück, und er mag das Kommando übergeben, wem er will. Mich bannt hier nicht allein der Befehl meines Kaisers, nein, auch meine eigene Ehre, und wahrlich, die will ich nicht dadurch aufs Spiel setzen, daß ich weiter nichts tue als Kriegsgefangene machen, sie höflich und mit jeder Rücksicht durch das Land eskortiere und abliefere, und dann acht oder vierzehn Tage später den nämlichen Schuften wieder gegenüberstehe, die, à la caballero, auf Ehrenwort entlassen wurden und nicht einmal wissen oder beachten, was das zu bedeuten hat. Ich habe, das gestehe ich Ihnen aufrichtig, diese Art von Kriegführung bis zum Überdruß satt, und mit meinen Offizieren ist das ebenso der Fall. Wir sind gewillt, unser Leben jeden Tag für den Kaiser in die Schanze zu schlagen – das ist unser Beruf – aber wir müssen auch dabei sehen, daß wir etwas erreichen. Mit den Danaiden wollen wir nicht schöpfen oder einen Sisyphusstein den Berg hinaufrollen.«
»Und wäre es nicht besser, Herr Marschall, daß Sie das Seiner Majestät in einer Denkschrift oder nur in einem Brief auseinandersetzten?« fragte der Minister.
»Wozu die ewige Schreiberei?« sagte Bazaine barsch – »ich habe, seitdem ich in Mexiko bin, mehr Briefe geschrieben, als früher in meinem ganzen Leben, und es jetzt satt bekommen. Sie sind der Hauptratgeber des Kaisers, und er hält viel auf Sie – in Ihren Verwaltungszweig fällt auch die ganze Angelegenheit, denn wir haben es jetzt nicht mehr mit Soldaten, sondern nur mit Räuberbanden zu tun, die den öffentlichen Frieden des Staates und die Sicherheit seiner Bewohner stören, und gegen diese müssen strenge – müssen die äußersten Maßregeln ergriffen werden, wenn wir irgend etwas erreichen wollen. Setzen Sie in Ihrem Ministerium ein solches Gesetz auf – ich bin gern bereit, es mit Ihnen privatim durchzuberaten – und ich stehe Ihnen nachher für den Erfolg.«
»Und weshalb erlassen Sie nicht selber eine solche Order an Ihre Truppenkörper?« fragte Escudero.
Bazaine zog seine Brauen finster zusammen. »Ich glaube,« sagte er, »ich habe mit Ihnen oder Ramirez das nämliche Thema schon einmal verhandelt – aber die Antwort ist einfach genug: Ich habe zu befehlen, wo ich einem wirklichen Feind gegenüberstehe, und kenne die Kriegsgesetze zivilisierter Völker gut genug, um niemandes Rat oder Unterstützung zu verlangen. Hier aber hat der Krieg aufgehört – die Soldaten können nur noch zum Schutz der »Gendarmen« dienen, und wo es Gesetze über die Untertanen des Kaisers gibt, da steht mir, als französischem Feldherrn, keine Macht und keine Gewalt zu – und ich habe auch kein Interesse dabei,« setzte er, kurz abbrechend, hinzu. » Will sich der Kaiser all' diese Räuberbanden konservieren und großziehen – eh bien – dann ist das seine Sache: dann kann und darf er aber auch keinen französischen Marschall dazu verwenden wollen, sie ihm einzufangen, und mein Dienst hier in Mexiko ist aus. – Leben Sie wohl, Sennor, das Thema ist jetzt genügend durchgesprochen, und verlangt der Kaiser mich in der Sache zu sprechen, so bin ich auch dazu erbötig, ihm meine Forderung noch einmal persönlich vorzutragen. – Doch ich muß fort, Sennor, und hoffe nur, daß Sie mir recht bald eine günstige Nachricht darüber mitteilen können.«
Damit stand er auf, grüßte kurz und militärisch, und verließ ohne weiteren Aufenthalt Escuderos Haus.