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Der letzte Abend.

Die Kunde, daß Kaiser Napoleon, von Amerika gedrängt, seine Truppen aus Mexiko zurückziehen werde, zuckte wie ein Lauffeuer durch das ganze Land, und es war merkwürdig, wie rasch sie sich sowohl verbreitete, als auch wie gleichmäßig die Schlußfolgerungen waren, die man darüber in allen Kreisen und bei allen Parteien zog.

»Dann ist der Kaiser verloren!« lautete überall, bei Freund wie Feind, gleichzeitig nach der Nachricht der erste Ausruf, denn wer nur im geringsten die Fortschritte beobachtet hatte, welche die wieder von Tag zu Tag anwachsenden Schwärme der Liberalen, selbst noch den Franzosen gegenüber, machten, der konnte nicht mehr im Zweifel sein, wie sich das alles gestalten müsse, sobald die französische Armee erst einmal ganz aus dem Land abzog.

Und trotzdem war der erste Eindruck, den diese Nachricht hervorbrachte, eine allgemein freudige, aber nicht etwa, weil man keine Sympathien mit dem Kaiser hatte, sondern weil man die Franzosen haßte und sie unter jeder Bedingung loszuwerden wünschte. Man konnte ja auch diese vollkommen übermütig gewordene Truppenmasse als nichts anderes wie Eroberer und Fremde betrachten, denn nur der Befehl ihres Kaisers hatte sie in dies Land geworfen, wie er sie jetzt imstande war, wieder zurückzuziehen. Wirklich heimisch in Mexiko hatten sich nur wenige gemacht, und selbst diese gehörten keiner bevorzugten Klasse, sondern nur, mit wenigen Ausnahmen, den verschiedenen Gewerken an. Es waren das Friseure, Schneider, Schuh- und Uhrmacher und kleine Händler, die ein Detailwarengeschäft in Mexiko oder einer der anderen Städte errichteten, der eigentliche Satz, der bei allen französischen Eroberungen, sobald sie wieder aus dem Land getrieben werden, zurückbleibt und seine Landsleute dann gewöhnlich nicht eben vorteilhaft repräsentiert.

Die natürliche Folge dieses Gerüchtes, das indessen nicht lange nur Gerücht bleiben sollte, war denn auch vorauszusehen und dem mexikanischen Charakter vollkommen entsprechend. Die bis dahin noch Unschlüssigen und Zweifelhaften – d. h. alle solche, die bis zu dieser Zeit noch keinen direkten Nutzen aus dem Kaiserreich gezogen und nur noch auf für sie günstigere Zustände gehofft hatten, sahen sich plötzlich ihres Schwankens enthoben und traten, wenn auch nicht gleich offen, doch im Herzen schon, wieder zur Partei der Liberalen über, und das machte sich, wenn auch noch weniger in der Hauptstadt, doch schon gleich vom Anfang an entschieden genug im inneren Lande selber bemerkbar.

Alle die Präfekten kleinerer Städte im Norden wie im Süden, die bisher freudig dem Kaiserreich den Eid geleistet, hielten sich von dem Augenblick an, wo das Glück ihm den Rücken zu wenden schien, natürlich an nichts mehr gebunden – und galt auch in Mexiko ein irgendwelcher Regierung geleisteter Eid? –

Ebenso sollte es sich aber auch bald noch fühlbarer unter den verschiedenen Truppenteilen bemerkbar machen, denn von dem Augenblick an, wo der Rückzug der Franzosen bekannt wurde, war auch nicht mehr der geringste Verlaß auf sie. So lange sie siegreich blieben und sich in der Übermacht befanden, hielten sie bei ihrer Fahne aus, aber selbst, wo der Erfolg zweifelhaft schien, verließen sie nicht selten ihre Seite und liefen gerade im entscheidenden Moment zum Feinde über.

In der Hauptstadt selber ergriff bei der Nachricht, wenn man auch seit längerer Zeit gewissermaßen darauf vorbereitet gewesen, doch ein fast panischer Schrecken alle die, die unter der jetzigen Regierung eine Anstellung hatten oder überhaupt mit ihr in näherer Verbindung standen. Was sollte jetzt werden? Und rasch entscheiden konnten sich diese Leute ebenfalls nicht, denn wer wußte denn, ob sich das Kaiserreich nicht doch am Ende mit der neu organisierten Nationalarmee hielt, und dann gerade vielleicht unter dem Volke mehr Zutrauen und, die Hauptsache – Zulauf gewann.

Diese Herren befanden sich jedenfalls in einer verzweifelten Lage, denn so wenig sie gezögert haben würden, ohne weiteres bei Juarez einzutreten, falls dieser siegreich gewesen wäre, so schien das doch noch immer im weiten Felde, und sie wußten deshalb nicht, was sie tun sollten – ihre Stellungen aufgeben oder den ferneren Erfolg abwarten.

Dahinein schlug das Gerücht von der Reise der Kaiserin nach Europa, und wenn das auch dem einfachsten Politiker zeigen mußte, daß die Sache des Kaiserreichs wirklich verzweifelt stand, sobald die hohe Frau selber eine solche böse Mission übernehmen mußte, so zögerte es doch auch jedenfalls die Entscheidung wieder hinaus, und konnte wenigstens einen günstigen Erfolg haben.

Wer von allen kannte denn die Verhältnisse in Europa so genau, um Voraussagen zu können, wie sich alles gestalten müsse – und gab selbst Napoleon nicht nach, gelang es ihr nur, den Papst günstig zu stimmen, oder fügte sie sich im letzten Augenblick seinen Forderungen, so bekam der Kaiser hier mit einem Schlag den ganzen Klerus auf seine Seite, und welchen Einfluß der, besonders auf die untere Schicht der Bevölkerung, ausübte, war bekannt genug – hatte er sich doch in den letzten Jahren zur Genüge feindlich geltend gemacht.

Also schwankte die Wage, aber das war den Mexikanern auch wieder insofern recht, als es die Entscheidung noch eine Weile hinausschob. – Abwarten – sie taten nichts lieber als das, und bis dahin prägte sich ja auch Wohl die Stimmung im Lande deutlicher aus.

Daß die Kaiserin ihre Reise nach Europa fest bestimmt hatte, unterlag keinem Zweifel mehr. Das »Diario del Imperio« brachte am 7. Juli selber die Nachricht:

»Ihre Majestät die Kaiserin reist morgen nach Europa – Ihre Majestät wird mexikanische und verschiedene internationale Fragen regeln. Diese Mission, welche unser Souverän mit wahrem Patriotismus erfaßt hat, ist der größte Beweis von Selbstverleugnung, den der Kaiser seinem neuen Vaterlande geben konnte, um so mehr, als die Kaiserin sich an der Küste von Vera-Cruz der in der Regenzeit so großen Gefahr des gelben Fiebers aussetzt. – Wir geben diese Nachricht, damit das Publikum den wahren Zweck der Reise Ihrer Majestät kenne.«

Merkwürdig ist dabei und wohl Beachtung verdienend, daß sich die Deutschen in Mexiko, die doch fast ausschließlich der wohlhabenden Klasse angehörten, nie und vom Anfang an nicht für das Kaiserreich begeistert, es wenigstens so wenig wie möglich offen gezeigt hatten. War es vielleicht deshalb, weil sie das Land zu genau kannten und recht gut wußten, eine bleibende Regierung sei ein Ding der Unmöglichkeit für Mexiko; war es, weil sie im ersten Anfang einem österreichischen Prinzen, der von einem Napoleon eingesetzt wurde, nicht recht trauten und dann später, als sie den liebenswürdigen und edlen Charakter des Mannes näher kennen lernten, erst recht einsahen, wie er nie imstande sein würde, dies ordnungslose Gesindel zusammenzuschweißen. Aber sie hatten einmal kein Vertrauen zu der Regierung und hielten sich ihr auch so viel als möglich fern. Ja sie verkehrten selbst nicht einmal gern – Ausnahmen natürlich zugestanden – mit jenen Deutschen, die dem Kaiser von Europa aus gefolgt waren, weil es sich bald herausstellte, daß es meist Abenteurer und Schuldenmacher waren und den deutschen Namen in Mexiko, der bis dahin ehrenvoll genug bestanden, leicht in Mißkredit bringen konnten – und auch wirklich hier und da brachten.

Im ganzen war aber die Stimmung in der Hauptstadt eine recht gedrückte, denn das Kaiserpaar hatte sich bei allen Parteien dort, persönlich wenigstens, Liebe und Achtung erworben, und was sollten jetzt die dem Hofe näher stehenden Damen in der Residenz anfangen, wenn die Kaiserin eine solche Reise unternahm – ja vielleicht nicht einmal zurückkehrte. Es war wirklich ein zu trostloser Zustand.

Aber auch noch für andere Kreise schien diese Kunde ein schwerer Schlag, denn wie viel tausend Menschen hängen in einer Residenz vom Hofe ab!

Don Pedro Gaspard war in Verzweiflung, denn er gerade, als Hoffriseur Ihrer Majestät, fand sich durch diese Reise völlig an die Lust gesetzt. Hoffriseur der Kaiserin und die Kaiserin in Europa – es war völlig undenkbar, und nur wie das erste Gerücht von der beabsichtigten Mission zu ihm drang, tauchte eine unbestimmte Hoffnung in ihm auf, daß er vielleicht befohlen würde, sich dem Gefolge Ihrer Majestät anzuschließen – sie konnte ja auch gar nicht ohne ihn fertig werden. – Aber keine Botschaft erreichte ihn, obgleich er sich von dem Moment an fest zu Hause hielt – man schien ihn vergessen zu haben.

Da faßte er den kühnen Entschluß, selber nach Chapultepec zu reiten und der Majestät seine Dienste anzubieten – sie hatte vielleicht gar nicht gewagt, es von ihm zu fordern. Aber dort stand ihm eine wirkliche Demütigung bevor, denn er, Don Pedro Gaspard, der früher das Vorrecht vor tausend und tausend anderen genossen, nicht einmal angemeldet zu werden, wenn er morgens zur bestimmten Stunde kam, mußte jetzt erleben, daß er nicht einmal vorgelassen wurde.

»Ihre Majestät nahm niemanden mehr an – etwaige Rechnungen sollte er an die betreffende Stelle einreichen.«

»Etwaige Rechnungen –« es gab ihm ordentlich einen Stich durchs Herz, und so wurde seine wirkliche Hingebung für die Kaiserin von diesen »Bedientenseelen« aufgefaßt – denn daß Ihre Majestät selber nicht einen solchen Verdacht gefaßt haben konnte, war natürlich.

In düsterer Stimmung kehrte er nach Hause zurück, und wohl gingen ihm auch noch andere Dinge außer dieser Zurücksetzung durch den Kopf. Er selber brauchte nämlich wieder notwendig einen neuen Warenvorrat, und gerade in den nächsten Tagen hatte ihm die Kaiserin einen Auftrag für ihren geringen Bedarf geben wollen, der ihn dann vollkommen berechtigte, das Hundertfache für seine eigene Rechnung, und dabei in dem Fall natürlich fracht- und steuerfrei, mitkommen zu lassen.

Der Auftrag war nun nicht allein durch die unglückseligen Ereignisse unnötig geworden und total in die Brüche gegangen, sondern er selber saß ebenfalls fest und vollständig auf dem Trocknen. Bestellen konnte er ja natürlich für sich selber, so viel er wollte, aber dann mutzte er auch Fracht und Steuer dafür bezahlen, und nur eine Möglichkeit gab es vielleicht, um das noch abzuwenden. Er erinnerte sich zum großen Teil der Posten, über welche Ihre Majestät mit ihm schon gesprochen – er wußte ja auch genau, was sie ursprünglich brauchte, und wenn sie zurückkam, war es deshalb wünschenswert, daß sie es vorfand. Ob der Auftrag also nun schon direkt gegeben worden, kam gar nicht darauf an – er betrachtete ihn so, und wenn er heute mit dem nach Vera-Cruz abgehenden Kurier schrieb, so ließ sich noch vielleicht alles auf das beste regulieren. Der Auftrag war dann vor der Abreise der Kaiserin gestellt und ging den gewöhnlichen Weg – daß er sich auch nur einen Augenblick deshalb hatte besinnen können, und sein Pferd fühlte die Sporen und flog nur mit ihm so dahin, der Hauptstadt wieder zu.

Don Pedro war heute weich gestimmt. Er sollte die Kaiserin, seine Kaiserin und Beschützerin, nicht mehr vor ihrer Abreise sehen; er war aber auch wieder insofern guter Laune, daß ihm sein guter Einfall mit der Bestellung, die er diesmal nach Belieben ausdehnen konnte, auch wieder einen außergewöhnlich reichen Gewinn in Aussicht stellte. Durch die bisher im vollen Maße benützte Vergünstigung war er der Hauptlieferant für fast alle Friseure in Mexiko geworden, da diese durch ihn ihre Waren viel billiger beziehen konnten, als wenn sie dieselben direkt verschrieben hätten, und daß er damit viel Geld verdiente, läßt sich denken.

Don Pedro befand sich auch in der Tat in ganz leidlichen Verhältnissen und hätte mit einiger Einschränkung recht gut und behaglich leben können, aber der Dünkel als Hoffriseur war ihm in den Kopf gestiegen. Er mußte ein prachtvolles Reitpferd und einen silberbedeckten Sattel haben, er mußte in der Stadt brillant austreten. Er fing überhaupt an, etwas liederlich zu werden, und zwar seit der Zeit, wo er die Untreue seiner Frau entdeckte und wohl eine Woche lang über Selbstmordgedanken brütete. – Das hatte sich allerdings seitdem gelegt, aber das eheliche Glück schien von da an gestört. Er lebte allerdings mit seiner jungen Frau noch in ein und derselben Wohnung, aber vollständig getrennt; sie sahen sich eigentlich nur bei Tische, um – wie Don Pedro bemerkte, in den Augen der Welt den Schein zu vermeiden, – aber sie hatten seit jenem Tage und nach einer sehr heftigen Szene kein Wort mehr miteinander gewechselt, und Don Pedro ihr vor etwa acht Tagen endlich geschrieben, daß er eine Scheidung wünsche – so weit sie nämlich unter Katholiken möglich und ausführbar sei.

Don Pedro war des Zwanges satt und wünschte noch leichtsinniger zu werden.

Er saß jetzt in seinem »Kontor«, wie es das Schild draußen an der Tür bezeichnet^ das sich aber von anderen Räumen gleichen Namens wesentlich unterschied. Es war sein eigentliches Arbeitszimmer, mit einem großen runden Tisch in der Mitte, auf dem eine Anzahl von Haubenköpfen – einige mit aufgesteckten Locken, einige vollkommen kahl – die hervorragendsten Punkte bildeten. Einer von diesen, dem an dem kahlen Schädel ein riesiger Chignon stak, sah wirklich geisterhaft aus. Aber rund um den Tisch herum waren auch noch festgeschraubte Kissen befestigt, an welchen alle nur erdenklichen »haarigen« Arbeiten hingen und teils angefangen, teils in der Vollendung begriffen schienen – unter ihnen auch viele »Phantasiestücke« von kühnem Entwurf, denn es war der Stolz Don Pedros, trotz Paris, neue Moden selber in Mexiko einzuführen und die Eingeborenen damit in Erstaunen zu setzen.

Heute brauchte er aber – was sehr selten vorfiel – einen Teil des Tisches zum Schreiben; er hatte also eins von diesen Kissen abgeschraubt und beiseite geschoben, um Ellbogenraum zu gewinnen, und saß eben und entwarf die Bestellung, zu der ihm allerdings nur wenige Stunden Zeit blieben, wenn er nicht den günstigen Augenblick versäumen wollte. Hierbei vermißte er allerdings schwer seine Frau, die sonst immer diese schriftlichen Arbeiten, der französischen Sprache vollkommen mächtig, entworfen und gewöhnlich nur den dritten Teil der Zeit dazu gebraucht hatte, die er selber darauf verwenden mußte. Aber Don Pedro war viel zu stolz, sie, von der er im Begriff stand, sich vollkommen loszusagen, um eine Gefälligkeit und um ihre Hilfe zu bitten, eher wäre er gestorben. Nachdem er aber schon zwei Briefbogen mit dem überall umherklebenden Haaröl fleckig und vollständig unbrauchbar gemacht hatte, ging er eben in voller Verzweiflung an einen dritten, als es draußen leise an die Tür pochte.

» Entra!« rief er heftig, denn eine Störung konnte er jetzt gar nicht gebrauchen – » quien es?«

Die Tür öffnete sich langsam, und als er unwirsch den Kopf dorthin wendete – stand Cornelia, sein junges, bildhübsches Weib, das dieses Zimmer seit Monden nicht betreten hatte, auf der Schwelle. – Sie hielt einen offenen Brief in der Hand – die Locken hingen ihr aufgelöst um die Schultern, ihre Wangen waren bleich, ihre Augen in Tränen, ihre schlanke, üppige Gestalt stand gebeugt, wie aufgelöst in Schmerz und Zerknirschung.

»Pedro!« hauchte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme – »Pedro!«

Don Pedro sah sie starr und erstaunt an – »Cornelia!« – So hinreißend schön war sie ihm selbst in der Zeit seiner ersten Liebe kaum erschienen, und doch falsch – doch treulos.«

»Pedro!« sagte da die Frau wieder und trat einen Schritt näher, ohne aber die Augen noch zu dem beleidigten Gatten zu erheben – sie wagte es nicht – »Pedro, hast du mir diesen Brief geschrieben, und wußte dein Herz davon, als dir diese grausamen Zeilen aus der Feder flossen?«

»Cornelia,« sagte Don Pedro, »du – du hast mich schwer beleidigt und bitter – bitter gekränkt! Es ist besser, daß –«

»Sollen wir beide elend werden, Pedro, nur auf einen falschen Verdacht von deiner Seite hin?« sagte die junge Frau; »hast du mir nur einmal gestattet, mich zu verteidigen?«

»Verteidigen?« rief ihr Gatte, »und war da eine Verteidigung möglich? Hast du den Verführer nicht bei dir aufgenommen und ihm zur Flucht verholfen, und kam ich selber nicht dadurch in den Verdacht, sein Mitwisser zu sein? Ja durfte ich diesen Verdacht nur von mir abwälzen, wenn die Welt nicht meinen ganzen Jammer, mein ganzes Elend erfahren sollte?«

»Und dennoch hast du mir unrecht getan, Pedro,« hauchte die junge Frau, »dennoch habe ich unschuldig die langen Wochen, o, so furchtbar gelitten!«

»Unschuldig, Cornelia?« rief Don Pedro, von seinem Stuhl auffahrend, »willst du mich wahnsinnig machen?«

»Nur darauf hin,« sagte die junge Frau bitter, »hast du mich verdammt, daß dir mein Mädchen sagte, jener Fremde habe schon öfter unser Haus betreten – ist dem nicht so?«

»Und war das nicht genug?«

»Aber hat sie dir gesagt – hast du sie nur gefragt, weshalb? – Von blinder Eifersucht getrieben, fiel dir nur das Schlimmste ein, und nicht einmal eine Verteidigung wolltest du mir gestatten. Jetzt aber, wo ich von dir scheiden, vielleicht auf immer scheiden soll, muß ich reden. – Jener Fremde warb um die Hand meiner Schwester – meine Eltern wollten ihre Einwilligung nicht geben, und nur um mein Fürwort zu erlangen, hat er mich mehrere Male aufgesucht. – Ist das so verdammenswert, daß du mich deshalb eines Verbrechens anklagen durftest?«

»Cornelia!« rief Don Pedro erschreckt.

»Dem Geliebten meiner Schwester,« fuhr die junge Frau fort, »die ich nicht durch seinen Verlust elend machen wollte, gab ich an jenem furchtbaren Morgen den Schlüssel zu unserer Azotea – das ist meine Schuld, das mein ganzes Vergehen, und nun handle, wie du es vor einem höheren Richter einst verantworten kannst. Ich füge mich allem.«

»Cornelia!« rief Don Pedro, von der wirklich entzückenden Erscheinung der schuldig Geglaubten schon halb bezwungen, »der Geliebte deiner Schwester, sagst du –«

»War jener Unglückliche, den die französischen Häscher verfolgten. Kannst du mich verdammen, daß ich ihn denen nicht überliefern wollte, denn hast du mich nicht erst die Franzosen als unsere schlimmsten Feinde hassen gelehrt?«

Don Pedro flog in ihre Arme, und er mußte jetzt um Verzeihung bitten, daß sie ihm nicht zürne. Aber ja auch nur seine grenzenlose Liebe zu ihr hatte ihn so verblendet – und so elend gemacht.

Aber jetzt war keine Zeit zu einer weiteren Erklärung, denn die Bestellung mußte fort nach Paris, und kaum zehn Minuten später saß Cornelia an ihrem kleinen Schreibtisch in ihrer Stube, und Don Pedro stand hinter ihr. Glück und Seligkeit im Herzen, und – diktierte ihr die Aufgabe für so und so viel Seifen, Bürsten, Schwämme, Odeurs und andere Parfümerien.

*

An dem Tag herrschte im Schlosse Chapultepec eine trübe, gedrückte Stimmung, denn vom frühen Morgen an wurde schon gepackt und expediert, um das Gepäck der Kaiserin meist auf Maultiere zu laden und mit Eskorte an die Küste zu senden. Waren doch die Wege nach dem letzten Regen noch so grundlos, daß man nicht wagen durfte, die Sachen auf Karren zu befördern.

Der Kaiser selber blieb mit der Kaiserin lange in seinem Zimmer eingeschlossen, denn viel und Wichtiges war noch zu besprechen, um diesen entscheidenden und, wie sich beide nicht verhehlen konnten, auch letzten Schritt völlig vorbereitet und mit Bedacht zu tun. Maximilian selber war niedergeschlagen; er hatte wenig Hoffnung und das Vertrauen auf den Kaiser Napoleon vollständig verloren. Den unversöhnlichen, herrschsüchtigen Charakter des hohen Klerus kannte er außerdem viel zu gut, um nicht alles zu befürchten, wo man eines Nachgebens von seiner Seite bedurfte, denn nur dadurch wurde eine Verständigung mit dem Lande möglich.

Non possumus! Das war die Antwort dieser Herren, bis sie wirklich mußten, dann konnten sie auch, aber nicht eher, denn aus freien Stücken geben sie kein Titelchen ihrer Macht oder ihres Einflusses aus den Händen.

Am nächsten Morgen wollte die Kaiserin die Hauptstadt verlassen, und Massen von Equipagen mit der hohen Aristokratie Mexikos fuhren vor, um sich von der Fürstin zu verabschieden – aber es wurde niemand mehr angenommen. Das Herrscherpaar wollte die wenigen ihm noch vergönnten Stunden auch allein und ungestört verleben, und was diese Formen alle bedeuteten, wußten sie außerdem gut genug.

Charlotte selber aber befand sich in einer gehobenen, fast freudigen Stimmung, und vertrauensvoll blickte sie der Zukunft entgegen. Sie sollte ja auch handeln, wollte selber helfend eingreifen in das Geschick des Reiches, und mit dem Bewußtsein ihrer Stellung und Fähigkeit, das übernommene schwere Werk auch zu Ende zu führen, schwellte ihr Stolz und freudige Zuversicht die Brust.

»In kurzer Zeit hörst du von mir, Max,« sagte sie freundlich, als sie am Arm des Gatten durch die offenen Gänge des kleinen oberen Gartens schritt und dann an der Mauer, welche die Aussicht nach Osten und über die Hauptstadt und die Bergkette eröffnete, stehen blieb – »wir hätten den alten Almonte nie zu Napoleon schicken sollen. Er ist ein braver, guter Mann und meint es sicher ehrlich, aber du kennst ja die Mexikaner, rücksichtsvoll bis zum äußersten und überglücklich, wenn sie etwas, das ihnen heute unbequem ist, auf den nächsten Tag verschieben können. Daß der schlaue Franzose leicht mit ihm fertig wurde, ist natürlich, und außerdem war ja doch auch Almonte nicht so in die mit Napoleon gepflogene Korrespondenz eingeweiht, und durfte es nicht sein. Er kannte nicht die Mittel, die ihn allenfalls zwingen dürften, sein uns gegebenes Wort zu halten, und mußte in seiner untergeordneten Stellung doch immer nur ehrerbietig und vermittelnd auftreten. Da stehe ich dem Kaiser anders gegenüber, und in meiner Gegenwart wagt er auch keine leeren Ausflüchte – darf sie nicht wagen, und wird sich wahrlich hüten, mir zu gestehen, daß er einer einfachen Drohung jener kaum erst von schweren Schlägen erstandenen Republik gehorsam weiche.«

»Er wird dich mit Versprechungen, Zusicherungen abzufertigen suchen.«

»Aber nur mit solchen, die er schriftlich in meine Hände legt.«

»Und der Papst?«

»Als wir ihn das letztemal sahen, kannten wir die Verhältnisse, denen wir hier entgegengingen, selber nicht – sie waren uns wenigstens anders – falsch – geschildert worden. Es ist nicht denkbar, daß er sein Ohr vollkommen der Wahrheit verschließen, ja mehr noch, daß er blind gegen die Gefahr sein sollte, der er das Eigentum und die Macht der Kirche hier aussetzte, wenn er unsere Regierung zur Abdankung zwingt und den Republikanern wieder die volle Macht in die Hände gibt. Weiß er doch, was er von diesen allein zu hoffen hat, während wir bereit sind, alles zu tun, was in unseren Kräften steht. Nein, Max – habe besseres Vertrauen. Wir waren unglücklich in der Wahl unseres ausgesandten Boten und haben dadurch Zeit versäumt, das ist alles – du sollst sehen, wie sich das alles ändert, wenn ihnen eine Kaiserin gegenübertritt. – Sieh! dort hinüber liegt meine Bahn,« sagte sie, als sie mit erregter Stimme den Arm gegen die im matten Sternenlicht weiß blinkenden Schneeriesen ausstreckte – »dort hinüber, und von dort kommt dir auch bald wieder freudige Kunde von mir. Behalte die alten treuen Berge im Auge – sie sollen die Grüße zwischen dir und mir vermitteln.«

»Du hast guten Mut, Charlotte,« sagte der Kaiser, wehmütig lächelnd, indem er sie mit dem linken Arm an sich zog und einen Kuß auf ihre Stirn preßte, »so gehe denn mit Gott, und er mag geben, daß dich dein Vertrauen nicht täuscht. – Aber die Nacht wird kühl – es muß schon spät sein – sieh, wie das südliche Kreuz seine Stellung verändert hat, seitdem wir hier auf und ab gehen. Komm mit hinein – ich muß außerdem noch einige Briefe für dich schreiben.«

»Laß mich noch einige Augenblicke hier draußen, Max,« bat die Kaiserin, »meine Stirne brennt und die kühle Luft tut mir wohl – ich folge dir bald –«

»Aber bleib' nicht zu lange – du darfst nicht krank auf deiner Reise werden.«

Der Kaiser wandte sich den inneren Räumen zu und Charlotte schritt indessen noch eine kurze Weile im Garten auf und ab. Doch lange ertrug sie auch nicht den Zwang, den sie sich angetan, um dem Gatten gegenüber heiter und zuversichtlich zu erscheinen. Auf einer der Bänke sank sie in sich zusammen, barg das Antlitz in den Händen, und das fast krampfhafte Zucken des schlanken Körpers verriet nur zu deutlich, welcher furchtbare Schmerz in ihrer Brust wühle und sich die Bahn ins Freie suche. – Aber lange dauerte das nicht – nur das Bedürfnis hatte sie gefühlt, sich einmal, und wenn auch nur auf Momente, auszuweinen – jetzt war das vorüber. Von ihrem Sitz sich erhebend, schüttelte sie stolz die Tränen aus den Augen, als ob sie sich selber einer solchen Schwäche schäme, und folgte dann mit festen Schritten ihrem Gatten in das Schloß. Der Kampf hatte begonnen, und sie war fest gewillt, allem, was sich ihr auch in den Weg stellen sollte, fest und königlich die Stirn zu bieten.

Dicht über der Stelle fast, wo sie gesessen und geweint, und wo sich die Mauer, nach dem unteren Teil des Gartens zu, wieder höher hob, regte sich oben in den Büschen eine dunkle Gestalt – lauschte noch eine Weile und sprang dann in den inneren Garten hinab. Aber nur wenige Schritte eilte sie in dem schmalen Weg hin – dort lag etwas Helles – ein Handschuh, den die Kaiserin verloren. Der Fremde, wer es auch war, hob ihn vom Boden auf, preßte ihn in wilder Leidenschaft an die Lippen, barg ihn dann in seiner Brusttasche und floh, aus Furcht, hier entdeckt zu werden, wieder zu der Mauer zurück, die er erkletterte – noch einmal den scheuen Blick zurückwarf, ob er auch von niemandem beobachtet werde, und dann an einer dort lehnenden Stange zu dem hier ziemlich steil auflaufenden Bergeshang niederglitt.

Dort erwartete ihn eine andere dunkle Gestalt, welche die Stange hielt, von dem Abenteuer aber nicht besonders erbaut schien.

»Seid Ihr denn des hellen Teufels, Oberst!« rief er aus – »Ihr waret drüben im Garten, wie?«

»Ja,« antwortete der Kletterer ebenso leise, – »aber jetzt fort –«

»Und wenn sie Euch da dort erwischt hätten – Caracho – und nachher den Berg abgesperrt. Was in des Henkers Namen hattet Ihr denn da drin zu tun? – Das war reiner Wahnsinn!«

»Laß nur – komm, Jablonsky,« rief der andere wieder, »es ist geglückt und niemand hat mich gesehen.«

»Und war die Kaiserin noch dort?«

»Nein – schon in das Schloß zurückgegangen.«

»Und was in aller Welt hattet Ihr da drüben zu tun?«

»Fort von hier – wir dürfen keine Zeit mehr versäumen. Was machen wir mit der Stange?«

»Verdamm das alte, schwere Ding, der Gärtner mag sehen, wie er die wieder findet und zurückbringt, wenn er sie selber brauchen sollte. Ich wollte aber, wir wären erst wieder draußen; der ganze Hof schwärmt heute von Menschen, und eine Eskorte ist auch schon da, um die Lasttiere zu begleiten.«

»Wir gehen durch den unteren Park fort,« sagte der andere wieder, und die beiden Männer sprangen jetzt, die Treppe nicht einhaltend, quer über die Blumenanlagen nieder, den Gang hinab, bis sie die mächtigen Zedern unten am Fuße des Hügels erreichten und in deren Schatten dann verschwanden.

Und still und schweigend standen die riesigen Bäume da unten – in ihren mächtigen Wipfeln flüsterte nur leise der Nachtwind, und die feuchten Blätter blitzten und glitzerten im Sternenschein. So hatten sie Jahrhunderte gestanden und Kaziken, Vizekönige, Präsidenten und Kaiser unter ihren Zweigen dahinwandeln und verschwinden sehen – und wieder schied eine Kaiserin auf Nimmerwiederkehren – ade, ade – ihre Blätter rauschten fort, kommenden Geschlechtern entgegen.


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