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Puebla de los angelos – die Stadt der Engel, wie sie vor alten Zeiten genannt wurde, verdiente auch wohl den Namen ihrer Lage nach, denn etwas Reizenderes als die Aussicht ringsumher und zugleich Großartigeres kann man sich kaum denken – ja sie wird in dieser Hinsicht wohl nur von der Hauptstadt selber übertroffen. – Aber was hat diese eine Stadt der Engel dafür in den letzten Jahrzehnten gelitten – wie oft ist sie belagert und erobert worden, wie oft, von Landeskindern wie Fremden, beschossen und verwüstet, und trotz alledem ist sie noch immer eine der schönsten Städte des schönen Landes.
Man könnte freilich, wie Brooklin bei Newyork die Stadt der Kirchen heißt, Puebla mit eben dem Recht die Stadt der Klöster nennen, denn weit mehr als ein Dritteil des Weichbildes umfassen dieselben; aber wohin ist die alte Pracht, mit der diese ausgestattet waren, wohin der geheimnisvolle Zauber, der sie früher in den Augen bigotter Laien umgab? Nicht allein amerikanische und französische Kanonen haben ihre Mauern gebrochen und ihre Wände zertrümmert, sondern vernichtender noch als diese wirkte das Gesetz des früheren Präsidenten Juarez, der die Mönche austrieb und die Liegenschaften für Staatseigentum erklärte.
Jetzt liegen sie verödet und leer, und da und dort, von der Straße, wo eine der massiven Wände eingeschossen worden und das Innere bloßgelegt hatte, kann man die Pracht an herrlichen Säulen und vergoldeten Wänden erkennen, die dort früher unter den frommen Dienern der Kirche geherrscht und aus der sie jetzt für immer und alle Zeit vertrieben waren.
Im Innern merkte man indes die Zerstörung der arg heimgesuchten Stadt noch nicht so sehr, als in den Vorstädten, denn halbe Straßen lagen dort in Trümmern, und Büsche wuchsen schon wieder aus dem Schutt der Zimmer heraus, in denen früher glückliche und harmlose Menschen hausten, bis sie die Kanonen der Feinde unter ihren eigenen Mauern begruben oder obdachlos hinaus in die Weite jagten. Und wo sich früher kleine Gärten an die Wohnungen geschmiegt und prachtvolle Blüten ihre duftenden Kelche gehoben, da lag jetzt zwischen Schutt und Verwüstung das Aas, das man aus der Stadt hinausgeschafft, und magere Hunde bissen sich um den eklen Fraß.
Aber etwas muß man dem mexikanischen Volk lassen – es hat eine Lebenskraft, die an das Unglaubliche grenzt, und viel mag die Gewohnheit dazu beitragen, Leben und Eigentum auch kein Jahr lang hintereinander gesichert zu wissen. Das Tatsächliche ließ sich freilich nicht ableugnen – die Ebene hier oben, die Cortez von Hunderttausenden glücklicher und zufriedener Menschen bewohnt gefunden, wo der Acker- und Gartenbau blühte, auch die zahlreichen Herden ihr Futter fanden, und Dorf an Dorf, Stadt an Stadt sich reihte, ist im Verhältnis zu jener Zeit eine Wüste geworden – und wahrlich kein Wunder. Gerade hier in der Nachbarschaft bei Cholula war es, wo sich Cortez mit seiner gepanzerten und mit Feuerwaffen versehenen Räuberbande zwischen die nackten Eingeborenen warf, und nicht allein Tausende von ihnen hinschlachtete, sondern auch noch nach der Metzelei von seinen Pfaffen ein Te Deum laudamus anstimmen ließ. – Was aber damals nicht vernichtet wurde, siechte später unter dem verderblichen Einfluß der Spanier dahin, rieb sich in ewigen Bürgerkriegen auf und erlag endlich auch noch zum Überfluß fremden Einflüssen. Auf hundert, die da früher glücklich lebten, kommt jetzt kaum noch ein einziger Indianer, der halb in Elend und unterdrückt sein Leben fristet und von einer Zukunft träumt, in welcher Quetzlatokl, der gute Gott, wieder zu ihnen zurückkehren und sie befreien soll.
Und sind sie wenigstens jetzt Christen geworden? – Unter den Altären des neuen blutigen Gottes vergraben sie insgeheim ihre alten kleinen Götzenbilder, und wenn sie sich an den ihnen als heilig bezeichneten Stellen zum Gebet niederwerfen müssen, sind es nur die alten Götter, die sie anrufen und zu denen sie flehen. – Das ist der Segen des Christentums, der ihnen wurde, und ihren jetzigen Pfaffen verdanken sie weiter nichts, als daß diese das Land ewig und unablässig zu neuen Revolutionen anreizen und treiben, und des Blutvergießens dort kein Ende ist.
Und trotzdem herrschte in der inneren Stadt reges, buntes Leben, und das Volk tummelte sich vergnügt und heiter auf dem Platz oder in den Nebenstraßen umher. – Verkäufer saßen überall unter den Kolonnaden des prächtigen Hauptplatzes und taten gar nicht so, als ob sich ihre Stadt in feindlicher Gewalt befände, und Franzosen nicht allein die Hauptwache und die Tore besetzt hielten, nein, auch oben in den beiden Forts die Kanonen auf sie gerichtet ließen, um im Fall eines Aufstandes noch einmal den schon halb in Trümmern liegenden Platz mit ihren Granaten und Vollkugeln zu überschütten. Dazwischen aber schleuderten französische Offiziere, mit den Sennoritas kokettierend, die ihnen aber scheu und oft mit einem verächtlichen Zug um die Lippen auswichen, überall umher. Sie fühlten sich ja im Schutz ihrer Bajonette sicher, und die »große Nation« ist überall zu Hause, wo sie im Ansturm eben einmal ein neues Land genommen hat. Wissen die Soldaten ja doch auch wohl gut genug, daß sie ihre kurze Zeit benutzen müssen, denn lange währt bei ihnen nie die Freude, und was sie auch erobern – sie können es nur selten behaupten.
Das müßige Volk – die Leperos, wie sie sich in allen größeren Städten herumtreiben, befand sich übrigens auf den Füßen, denn es gab wieder etwas zu sehen. Eine französische Patrouille war einer kleinen Guerilla-Bande habhaft geworden, die zwischen Orizaba und Puebla ihr Wesen getrieben, und außerdem hatte man ihren Spion, einen Burschen namens Perez, aufgegriffen, der hier von Puebla aus der Bande Kunde gegeben, wann sie einen guten Fang erwarten durfte. Das Gerücht ging, daß der Verbrecher heute erschossen werden sollte, und das verrichteten die Franzosen dann auch stets in der Stadt selber auf einem kleinen Seitenplatze, auf dem sich außerdem ein Zweigmarkt befand. Es wäre zu weitläufig gewesen, der ewigen Exekutionen wegen immer vor die ziemlich ausgedehnte Stadt zu laufen. An einer alten Mauer wurde der Verurteilte aufgestellt, und fünf Kugeln beseitigten ihn dann rasch, wonach er auf einem Karren hinausgefahren und eingescharrt wurde. Was sollte man mit dem Gesindel Umstände machen, und außerdem hatte man ja auch wirklichen Ladrones schon seit längerer Zeit selbst die Möglichkeit der »Gnade« abgeschnitten. Gefangen, gehangen oder der Kürze wegen erschossen, war der gewöhnliche Urteilsspruch der jetzigen Herren des Landes, und in sehr vielen Fällen befanden sie sich dabei auch in ihrem vollen Rechte.
Heute nun wieder marschierte eine Abteilung von vierzig Mann, aber alle mit geladenen Gewehren, da man sich dem Volk gegenüber doch nie sicher fühlte, nach dem Hauptgefängnis mit riesigen Mauern, in welchem gewöhnlich immer einige zwanzig Gefangene zusammensaßen und dann nach und nach, wie man sie zum Verhör führen wollte, herausgeholt wurden. Die Tür öffnete sich – die Soldaten standen mit aufgesteckten Bajonetten, um einen doch möglichen Ausbruch zu verhindern, und der kommandierende Offizier rief hinein:
»Wer von euch heißt Ignacio Perez?«
Niemand antwortete.
»Perez! habt ihr es nicht gehört? Wer von euch heißt so?«
»Ich heiße Perez,« sagte ein armer Teufel in einer zerrissenen Serape, der hinten in der Ecke auf der Erde gelegen hatte.
»Komm mit, mein Bursche.«
Die Tür schließt sich wieder – der Gefängniswärter bindet, auf Befehl des Offiziers, dem Unglücklichen die Hände auf den Rücken, und die Truppe marschiert mit ihm ab, gerade dem kleinen Platze zu. Der Bursche hatte bis dahin auch noch immer geglaubt, daß man ihn nur zum Verhör führen wollte, wie aber die Soldaten den gefürchteten Platz, den er recht gut kannte, erreichten, rief er in Todesangst aus:
» Pero, Sennores – Sie wollen mich doch nicht totschießen? Ich bin ja ganz unschuldig und habe wahrhaftig das Huhn nicht gestohlen. Ich kann es ja auch beweisen, und mein Bruder wird heute morgen in die Stadt kommen – ich war ja gar nicht in Puebla, wie es gestohlen wurde.«
Er bekam von niemandem eine Antwort – die Leute hatten schon eine Art Fertigkeit darin erlangt. Wie er sich in aller Verzweiflung zur Wehr setzen wollte, faßten ihn viere und trugen ihn zu einem der Ringe, die in der Mauer befestigt waren, um die Pferde der Marktleute daran anzuhängen. Dann band man ihn fest.
Das Volk wurde unruhig und fing an, sich zusammenzurotten, aber die Straße herab kam französische Kavallerie, einen lustigen Marsch blasend. Die Gewehre knallten dazwischen – die Kugeln schlugen durch den Körper des Unglücklichen, gegen die Mauer an. – Ein mexikanischer Karrenführer stand schon bereit, der die Leiche auflud und fortfuhr, und die ganze Truppe marschierte dann mit klingendem Spiel nach dem großen Platze zurück. – Was war auch weiter geschehen, als ein doch wertloses Leben ausgestrichen und vernichtet.
Der Kompagnie entgegen sprengte ein höherer Offizier, zügelte neben dem Hauptmann, der dieselbe kommandierte, sein Pferd ein und rief, aber mit unterdrückter Stimme:
» Sapristi, de Valle, was haben Sie gemacht? Sie haben eben einen falschen Mann erschossen!«
»Caramba,« rief Kapitän de Valle aus – »aber das ist nicht möglich. Ich habe selber seinen Namen aufgerufen und er hat sich gemeldet.«
»Ja, allerdings – er heißt auch Perez, aber nicht Ignacio, sondern Juan – und ist nur auf Verdacht eines kleinen, unbedeutenden Diebstahls hier eingebracht. Der wirkliche Ignacio Perez saß gar nicht in jenem Kloster, sondern oben in San Lorreto, und ist eben erst in die Stadt eskortiert.«
» Diable!« fluchte der Hauptmann, »das ist fatal – aber was machen wir jetzt – sollen wir den anderen laufen lassen?«
»Das geht nicht,« erwiderte sein Vorgesetzter, »der Befehl ist vom Oberkommando da, ihn zu erschießen, also holen Sie ihn lieber gleich.«
»Das Volk rottete sich aber schon jetzt zusammen, wir bekommen am Ende Skandal, und es wird nachher nachgefragt, wer bei der ersten Exekution erschossen sei.«
»Hm, das ist wahr – gut, so lassen Sie es mit der zweiten bis heute abend – es ist überdies möglich, daß noch einige andere dazu kommen. Aber nehmen Sie sich das nächste Mal in acht, de Valle. Ignacio Perez heißt der Bursche.« Damit warf er sein Pferd herum und sprengte wieder einem anderen Teil der Stadt zu.
Auf dem Platze stand eine Gruppe von jungen Mädchen und Frauen beisammen und unterhielten sich leise und geschäftig miteinander. – Es waren reizende, schlanke, jugendliche Gestalten, die bronzefarbenen Körper kaum verhüllt, und lebendig und beweglich dabei in allen ihren Gebärden.
Was braucht auch ein mexikanisches Mädchen viel zu ihrer Garderobe, um sich von Kopf zu Fuß zu kleiden: einen Kamm, um ihr volles, lockiges Haar zusammenzuhalten, ein weißes Hemd und einen bunten Unterrock, ein Paar leichte Schuhe und einen schmalen aber langen Rebozo, um den Oberkörper darin einzuhüllen, und die Toilette ist vollkommen fertig. Und wie geschickt und kokett wissen sie den letzteren um Schultern und Kopf zu schlagen, und wie blitzen dabei die Augen und lächeln die Lippen!
»Habt ihr's schon gehört?« sagte die eine, ein bildhübsches Ding von kaum siebzehn Jahren – »die Mutter hat's eben bei uns zu Hause erzählt, daß sie den Porfeirio Diaz heute aus dem Fort herunter in die Stadt schaffen? Der Kaiser will es nicht länger leiden, daß ihn die Franzosen da oben schlecht behandeln.«
»Und was nützt es ihm,« sagte eine der anderen – »wenn sie ihn in das alte Kloster stecken, wo sie jeden Tag die unglücklichen Menschen herausschleppen und drüben an der Mauer totschießen? Vor einer halben Stunde erst haben sie den Juan Perez erschossen, einen so braven Burschen, wie ihn nur die Erde trägt, der seine arme alte kranke Mutter jetzt gepflegt hat, jahrelang, und nur in die Stadt gekommen war, um Medizin für sie zu holen. O, das Elend! Das Elend!«
»Und daß es die Männer nur leiden!« fügte eine dritte hinzu, »ist es denn nicht bald genug, um selbst uns Frauen rasend zu machen?«
»Aber was können wir tun?« sagte die erste wieder – »sie kommen zu Tausenden mit Kanonen und Gewehren, und sind geübter auf den Krieg wie wir. Konnten wir denn nur Puebla gegen sie halten?«
»Weil sie das alte Weib, den Gonzales Ortega, hier zum General hatten,« rief das junge Ding wieder heftig aus – »verstehe ich denn nicht mehr von der Belagerung einer Stadt wie die Memmen – und jetzt, sagen sie, will er Präsident werden an Juarez' Stelle – ich bin nur ein schwaches Mädchen, aber kommt er je wieder nach Puebla, so reißen wir Frauen ihn in Stücke und werfen ihn den Hunden vor.«
»Er hat sich ja auch den Franzosen angeboten,« sagte die erste wieder – »aber die wollten nichts mit ihm zu tun haben.«
»Natürlich,« lachte eine andere verächtlich – »der wäre mir um einen Claco zu teuer gekauft gewesen, der Schuft – und wie hat er hier bei uns gewirtschaftet, und wie hat er Schläge gekriegt, wo er sich nur immer blicken ließ! Das ein General – pfui über den Schurken!«
»Und jetzt ist er Gesandter oben bei den Nordamerikanern, und uns haben sie das freche französische Gesindel hergeschickt.«
»Aber doch immer lieber die Fremden,« sagte eine junge Frau, »als Ortega zurück, der uns die Männer von der Straße wegfangen ließ und sie in eine Uniform steckte.«
»Aber es war doch wenigstens ein Mexikaner,« sprach die erste wieder.
»Ein Hund war es,« rief die junge Frau, »aber kein Mexikaner, der die Glocken von der Kathedrale läuten ließ, und als die Leute aus den Häusern stürzten, weil sie glaubten, daß ein Unglück geschehen sei, die Straßen absperrte und die armen unglücklichen Menschen einfing, damit sie für ihn totgeschossen wurden. Meinen armen Mann traf an dem nämlichen Abend eine Kugel, und über die Schwelle, die er morgens noch frisch und gesund übersprungen, trugen sie mir ihn abends wieder als Leiche zurück.«
»Wer kommt da wieder die Straße herunter?« rief ein junges Mädchen und deutete nach Norden hinüber in die nächste, von der Plaza abführenden Straße hinein.
»Was, wird's sein« sagte finster die Frau – »Soldaten, weiter nichts, die ja den ganzen Tag herüber und hinüber marschieren.«
»Aber das da drüben ist noch etwas Besonderes. Siehst du nicht die vielen Menschen, die hinunterziehen und von den Franzosen zurückgetrieben werden? Was mögen sie da nur haben?«
Die jungen Frauen und Mädchen wandten sich der Richtung zu und sahen bald, daß es hier allerdings etwas Ungewöhnliches geben mußte. Wohl marschierte eine geschlossene Kolonne französischer Soldaten die Straße herauf, aber vorher schritten, nicht im Marsch, sondern willkürlich zerstreut, etwa sieben oder acht französische Offiziere und zwischen ihnen ein Offizier der Liberalen, aber ohne Abzeichen oder Waffen – jedenfalls ein Gefangener, der aber trotzdem auf das achtungsvollste von den Franzosen behandelt wurde. Sein Name blieb auch kein Geheimnis, denn von Mund zu Mund pflanzte er sich fort: Porfeirio Diaz! und mit staunender Neugierde betrachtete ihn das Volk.
Es gab auch vielleicht keinen Mann in ganz Mexiko, der einen besseren und unbescholteneren Namen hatte als gerade dieser General, und wie tapfer er sich dabei in Oajaca benommen, wo er zuletzt nur der Übermacht wich und sich selber gefangen gab, weil er nicht wollte, daß die Stadt durch einen nutzlosen und zuletzt doch vergeblichen Widerstand zerstört würde, wußte man überdies schon gut genug. Aber Puebla konnte keine besondere Sympathie für die Liberalen haben, da in der letzten Zeit dort der schlechteste und erbärmlichste General den Oberbefehl führte, den Mexiko vielleicht aufzuweisen hatte: Gonzales Ortega. Dadurch war das Vertrauen zu Juarez' Regierung vollständig geschwunden, und wenn man auch die Franzosen, wie in allen übrigen Städten des Kaiserreichs, gründlich haßte, so versprach man sich doch keine Besserung von einem Wechsel nach liberaler Richtung hin und dachte auch deshalb für jetzt an keine neue Revolution.
Aber für den General Diaz interessierten sich die Leute trotzdem. Man wußte, daß er ein ehrlicher, braver Mann sei und seine Soldaten gut behandelte, was in den damaligen ewigen Revolutionen den Führern sehr hoch angerechnet wurde. Außerdem hatte es sich ausgesprochen, daß er von den Franzosen oben in Fort Guadelupe schlecht behandelt worden wäre, und der Kaiser solle befohlen haben, ihn in einen besseren Gewahrsam zu bringen, und das konnte natürlich nur das Interesse für ihn steigern.
Wie der Zug aber herankam, zeigte sich trotzdem, daß sich die französischen Offiziere sehr freundlich mit ihm unterhielten. Er schien weniger ein Gefangener, als ein Gesellschafter von ihnen, wie er in der Mitte die Straße dahinschritt; viele Bürger von Puebla aber, die ihn auf seinem Wege trafen, grüßten ihn achtungsvoll, und er dankte lächelnd nach allen Seiten.
Die Eskorte bog in eine Seitenstraße ein, und der Menschenschwarm, der sich mehr und mehr vergrößerte, folgte ihr, ohne aber die geringste Feindseligkeit zu zeigen. Was hätten die Unbewaffneten, mit der Stadt noch dazu unter den Kanonen der Forts, auch gegen die Übermacht ausrichten wollen. Nur zu begleiten wünschten sie den General, bis endlich die Soldaten vor einem der alten Klöster, das aber unten schon in eine Kaserne umgewandelt worden, Halt machten. Dort waren einige wohnliche Räume für den Gefangenen bestimmt – wohnlich nämlich, so weit das im Bereich seiner Baulichkeiten lag. Aber der General war ja doch auch nicht verwöhnt, denn jahrelang hatte er sich draußen im Feld herumgetrieben und machte wohl keinen Anspruch auf wirkliche Bequemlichkeiten.
Insoweit nahm man aber auf ihn besondere Rücksicht, als seine Zimmer, wenn auch mit festen Gittern versehen, doch die wunderbar schöne Aussicht nach den Vulkanen zeigten. Er konnte wenigstens die freie, schöne Welt sehen, wenn ihm auch nicht gestattet wurde, sie zu betreten, und daß es ihm sonst an nichts fehle, dafür sorgten schon die Bewohner der Stadt, ob sie nun der alten Republik oder dem Kaiserreich anhingen. Porfeirio Diaz war als ein braver, ehrenwerter Mann bekannt, und brave, ehrenwerte Leute sind viel zu selten in Mexiko, um ihnen nicht, wo man sie wirklich traf, eine Freundlichkeit zu erweisen. Die Bürger von Puebla ließen es sich deshalb nicht nehmen, ihm, so weit es anging, Erleichterungen seiner Haft zu schaffen, und das ausgenommen, daß er auf das strengste bewacht wurde, da man ihn mehr als andere der liberalen Führer zu fürchten hatte, durfte er sich eigentlich über nichts beklagen.
Das Kloster, in dem sich General Diaz befand, war an der Ostseite besonders durch die aus den Forts damals, nach der Einnahme durch die Franzosen, gefeuerten Schüsse nicht unbeträchtlich beschädigt worden. Die hineingeworfenen Kugeln hatten sogar die eine Kuppel zur Hälfte zerstört und ihre Trümmer in die Kirche hinabgeworfen, und der eine Teil der Außenwand war ebenfalls eingestürzt, so daß man deutlich von außen die wirklich geschmackvollen Pfeilergänge, die im Innern hinführten, erkennen konnte. Fast ganz unberührt blieben aber einesteils die unteren Räume, und dann auch alle jene Zimmer, die im Westen und mit der Aussicht nach den Vulkanen zu lagen. Den unteren Teil hatten die Franzosen auch, wie gesagt, zu einer Art von Kaserne benutzt, denn die Front beherrschte zugleich einen nicht unwichtigen Teil der Stadt. Nur die Rückseite des Gebäudes schien nicht benutzt zu werden – wozu auch? Räumlichkeiten gab es genug in Puebla. Fast sämtliche Klöster standen leer und dem Gebrauch offen, und die ganze französische Armee würde in diesen zahllosen und leerstehenden Bauten ein bequemes Unterkommen gefunden haben. – Man konnte eben mit dem besten Willen nicht alles verwenden.
Ein kleiner Teil der Klöster in Puebla hatte allerdings schon Käufer gefunden, und einige davon waren auch – trotz des Einspruches der Geistlichkeit – in Wohngebäude verwandelt und umgebaut worden, aber dem unaufhörlichen Wühlen und Bohren des Klerus gelang es doch, die meisten Kauflustigen fernzuhalten, denn was sie an Schreckbildern, besonders vor den Augen der Frauen, heraufbeschwören konnten, taten sie gewiß. Es gab ja gar keine Strafen, weder im Himmel noch in der Hölle, die denen nicht angedroht wurden, die sich an »Kircheneigentum« vergriffen. Die Kapitalisten zögerten deshalb immer noch, ihr Geld an eine solche, wie sie glaubten, ungewisse und gefährliche Spekulation zu wagen, und man ließ deshalb die wertvollsten Baustellen unbenutzt liegen.
So kam es denn, daß die ganze Reihe von Gemächern, von denen Porfeirio Diaz zwei angewiesen bekommen, jetzt leer und unbewohnt lag, aber eine Flucht von dort heraus war bei den mächtigen Wänden und festen, noch dazu mit Vorlegeschlössern versehenen Türen trotzdem nicht möglich. Außerdem gab es nur zwei, aber ebenfalls zusammenlaufende Ausgänge, der eine nach der Azotea des Klosters hinauf, der andere durch den langen Gang, an der Azoteatür vorüber, und dort stand ein Doppelposten, der alle Stunden abgelöst und revidiert wurde.
Porfeirio Diaz befand sich allerdings in dem Gewahrsam der Stadt, aber Marschall Bazaine schien den Bewohnern von Puebla doch nicht so weit getraut zu haben, ihnen auch die größere Bewachung des jedenfalls gefährlichen Gegners zu überlassen, und glaubte sich auf diese Art am besten gegen jeden doch möglichen Fluchtversuch sicherzustellen.
So vergingen acht volle Tage, ohne daß sich in der Lage nur das geringste geändert hätte. Porfeirio Diaz wurde allerdings von denen, die er am meisten haßte – von den französischen Eindringlingen, nicht mehr belästigt, denn er verkehrte nur mit der Stadt untergeordneten Beamten und bekam auch von diesen seinen Unterhalt, wie Wein und Früchte genügend von den Bürgern zugesandt, aber er hörte doch das Aufstoßen französischer Gewehrkolben auf dem Steinboden der Gänge und sah keine Möglichkeit, sich seiner Haft nach irgendwelcher Seite durch die Flucht zu entziehen.
Der Abend des achten Tages dämmerte – General Diaz stand, die Stirn gegen das eiserne Gitter seines Fensters gepreßt, und schaute still und schweigend hinaus, bis sich tiefe und heute fast vollkommene Dunkelheit auf die Erde legte.
Auf seinem Tisch brannte eine kleine Lampe, und der Schließer hatte ihm kurz vorher sein Abendessen daneben gesetzt, ohne daß er bis jetzt noch Lust verspürte, es zu benutzen. Sein Blick hing an den düsteren Wolkenschleiern, die über den Himmel hinüberjagten und nur dann und wann einmal einen helleren Streifen lichten Firmaments zeigten. Das Wetter hatte auch schon den ganzen Abend gedroht – jetzt aber brach es plötzlich los. Die Schleusen öffneten sich – Blitze zuckten, der Donner rollte, und wie eine Sintflut kam der Regen prasselnd auf die unter ihm liegende stille und menschenleere Straße nieder. Diaz achtete es nicht, und ganz in seine trüben Gedanken vertieft, lehnte er still am Gitter und seufzte nur tief auf, als einzelne der schweren Tropfen, von dem Wind gejagt, auf sein Haupt trafen – es waren ja Boten der Freiheit, und er – er nichts als ein Gefangener, machtlos in der Hand der Feinde, während sein Vaterland unter ihren Streichen blutete.
»Porfeirio Diaz,« sagte da eine tiefe, aber doch vorsichtig gedämpfte Stimme, und wie von einer Natter gestochen zuckte er zusammen, denn das war nicht der Ton, nicht die Anrede seines Wärters. Aber unwillkürlich auch fuhr er herum und erkannte jetzt, unmittelbar neben dem Tisch und der darauf stehenden Lampe, die Gestalt eines Mönchs, die in der langen Kutte, die Kapuze halb über das Antlitz gezogen, regungslos inmitten der Stube stand und die Wirkung zu beobachten schien, die sein Erscheinen auf den Gefangenen machte.
General Diaz gehörte vielleicht zu den aufgeklärtesten Mexikanern; er war nichts weniger als abergläubisch und kannte keine persönliche Furcht, und doch konnte er sich im ersten Moment eines leisen Schauers nicht erwehren, als er sich hier, in der alten, öden Klosterzelle, so plötzlich und ohne Vorbereitung der Gestalt des Mönchs gegenübersah. – Er hatte keinen Schritt, kein Zurückschieben eines Riegels oder einer Tür gehört, die doch sonst immer Lärm genug machte, und wie aus dem Boden gewachsen stand die Gestalt vor ihm, in ihrer Regungslosigkeit selbst mehr einer Erscheinung als einem menschlichen Wesen gleichend. – Und war es ein Gespenst? – »Torheit,« rief es in ihm – nur ein Gedanke war es, der ihm durch das Gehirn zuckte, aber auch so flüchtig wieder verschwand, als er entstanden. Im nächsten Augenblick schon schlug er die Arme über der Brust zusammen, und mit vollkommen ruhiger Stimme sagte er:
» Quien vive? Ich sehe die Form, aber ich kann das Gesicht nicht erkennen.«
Der Mönch hob warnend den Arm.
»Nicht so laut, General,« sagte er dabei – »Ihre Wärter draußen brauchen nicht zu wissen, daß Sie Besuch haben.«
»Nicht zu wissen, daß ich Besuch habe?« wiederholte Diaz erstaunt, aber doch der Warnung folgend mit gedämpfter Stimme, »und auf welche Weise haben Sie denn bei mir Eintritt gefunden, frommer Padre?«
»Lassen Sie sich das nicht kümmern, General,« erwiderte der Mönch, indem er aber doch einen Moment aufmerksam nach der Tür hinüber horchte, denn er schien sich nicht vollkommen sicher zu fühlen – »so viel nur sei Ihnen gesagt, ich komme, wie Sie sich wohl leicht denken können, als Ihr Freund, und bin vielleicht in kurzer Zeit imstande, Ihre Fesseln zu lösen.«
»In der Tat?« rief Diaz, der die Gestalt aber noch immer mißtrauisch betrachtete – er hatte mit der Geistlichkeit nie auf einem besonders intimen Fuß gestanden und konnte sich nicht gut denken, welches Interesse diese gerade an ihm nehmen sollte. Doch das mußte sich ja bald aufklären, und ruhig fuhr er fort: »So dürfte ich Sie also bitten, mir mitzuteilen, was Sie auf so geheimnisvolle Weise zu mir führt und – wer Sie sind.«
»Wer ich bin, General,« entgegnete der Mönch, ohne aber die Kapuze zu entfernen, die sein Gesicht noch vollständig im Schatten hielt, »sehen Sie an meinem Kleid – ein Diener der heiligen Kirche, ein Mitglied jener großen Brüderschaft, deren schönes Ziel es ist, die sündigen Menschen auf Erden für den Himmel vorzubereiten und ihre Bahn für Recht und Tugend zu ebnen.«
»Ein schöner Beruf in der Tat,« nickte Diaz – »wenn er immer eingehalten würde und sich nur auf das beschränkte – doch was führt Sie zu mir?«
»Der Wunsch, unserem armen Vaterland zu helfen, es von seinen Feinden zu befreien und das Volk wieder – im Frieden – seinem Gott zuzuführen.«
»Und um das zu ermöglichen, suchen Sie einen Gefangenen auf?« sagte Diaz bitter – »aber ich verstehe Sie überhaupt nicht. Droht mir Gefahr und treibt Sie Ihr Beruf, mein Seelenheil zu retten, so beruhigen Sie sich darüber. Ich halte mich nicht für sündenfrei, aber ich glaube, ich stehe so mit meinem Gott, daß ich ihm ruhigen Herzens entgegentreten kann.«
»Keiner von uns kann das sagen, Porfeirio Diaz,« erwiderte der Mönch, die Hand aufhebend – »nicht der Reinste – aber noch sei der Tag ferne, der Sie von dieser Erde abruft. Nein, die heilige Jungfrau hat Sie noch zu Großem ausersehen, und sie möge meinem schwachen Worte Stärke verleihen, in Ihr Herz zu dringen und dort zu zünden.«
»Sie sprechen in Rätseln, frommer Vater,« sagte Diaz ruhig, »aber Ihre Worte scheinen trotzdem auf ein bestimmtes Ziel hinzudeuten.«
»Das tun sie in der Tat.«
»Dürfte ich Sie dann bitten, mir vor allen Dingen Ihr Gesicht zu zeigen,« sagte da Diaz, »denn ich verkehre nicht gern mit Leuten, denen ich nicht beim Sprechen in die Augen sehen kann.«
Der Mönch zögerte. – »Mein Auftrag,« sagte er endlich, »betrifft mich nicht persönlich – ich spreche nicht für mich, sondern für einen anderen; der heutige Abend soll auch nichts entscheiden – nur hierher gekommen bin ich, um eine Frage an Sie zu richten, General – nur Ihre Antwort darauf zu hören. Betrachten Sie dann die Frage, als ob nicht ich – ein Mensch, dieselbe an Sie gerichtet hätte, sondern als ob Sie der Alleinseligmachenden Kirche, die ich in diesem Augenblick vertrete, gegenüberständen. Die Züge meines fremden Gesichts könnten Sie nur darin stören – es ist der Geist, der zu Ihnen spricht, nicht die Person.«
»Ich bin anderer Meinung,« erwiderte Porfeirio Diaz – »entweder Sie verhandeln offen mit mir oder gar nicht. Ich habe Sie nicht gerufen, begreife auch nicht, was Sie von mir erfragen wollen, verweigere aber jede weitere Antwort, bis ich genau weiß, mit wem ich es zu tun habe.«
»Und wenn ich ein Gelübde abgelegt hätte, Ihnen mein Antlitz nicht zu zeigen?«
»Dann kann ich Ihnen keinen besseren Rat geben, frommer Padre, als mir, wenn die Sache wirklich so wichtig ist, einen anderen Ihrer Brüderschaft hierher zu senden, mit dem ich imstande bin, in meiner Weise zu verkehren.«
»Es ist unfreundlich von Ihnen, General,« sagte der Geistliche, »daß Sie mich also drängen, noch dazu, da nichts mich hierher geführt haben kann, als nur der Wunsch, Ihnen nützlich zu sein. Doch wenn Sie es nicht anders wollen, so will ich mich auch darin Ihrem Wunsche fügen – vielleicht haben Sie dann auch mehr Vertrauen zu mir, denn Sie kennen mich von alten Zeiten her.«
Mit diesen Worten warf er seine Kapuze zurück, und als das Licht der Lampe auf seine Züge fiel, rief Porfeirio Diaz wirklich erstaunt aus:
»Padre Zaloga – das ist allerdings ein unerwartetes Begegnen, aber unerklärlich wird mir jetzt erst recht, was Sie, die rechte Hand des ehrwürdigen Erzbischofs, kann hierher zu mir, in meine Zelle geführt haben. Ich glaubte immer, ich stünde bei Monsennor nicht besonders angeschrieben.«
»Und glauben Sie, daß Haß in der Brust eines frommen Christen wohnen dürfe? Halten Sie dessen besonders unseren ehrwürdigen Erzbischof fähig?«
Porfeirio Diaz lächelte. – »Lassen Sie uns damit die Zeit nicht versäumen, würdiger Padre. – Jetzt, da ich Ihre so wohlbekannten Züge sehe, fühle ich mich auch behaglicher – die dunkle Kutte und das verhangene Gesicht kamen mir so unheimlich vor, als ob ich mich wirklich mit einem Geist aus diesen alten Mauern unterhielte. Nun werden wir auch rasch zu einem Verständnis kommen, und sprechen Sie jetzt frei von der Leber weg. – Wir haben keine Unterbrechung zu fürchten,« setzte er hinzu, als er sah, daß der Padre wieder nach der Tür hinüber horchte – »um diese Zeit besucht mich niemand mehr, und wenn es wäre, höre ich immer vorher die Wachen anrufen, die etwa dreißig Schritt von hier entfernt zugleich den Gang und die zur Azotea führende Tür bewachen. Da, mein guter Padre Zaloga, nehmen Sie den Stuhl – es ist der einzige, über den ich verfüge, und ich werde mich indessen hier auf mein Feldbett setzen – und halt – ein Glas Wein trinken Sie doch auch? Die Luft ist kühl draußen und der feurige Xeres wird uns beiden gut tun – glücklicherweise habe ich wenigstens zwei Gläser – ein Wein- und ein Wasserglas – hier frommer Padre – die Republik soll leben!«
»Bedingungsweise – ja,« nickte der Padre, der den Trunk nicht verweigern mochte und sein Glas gegen den General hob und dann halb leerte. – » Santisima!« rief er aber, als er wieder absetzte, »den Wein haben Euch die Franzosen nicht als Gefängniskost geliefert, General. Besseren Xeres wünsche ich meiner Tage nicht zu trinken.«
»Er ist von Freunden aus der Stadt, die mir wohlwollen – doch jetzt zur Sache, Padre. Wichtiges muß es sein, was Sie hergeführt, und ich bin neugierig geworden.«
»Wichtiges ist es auch in der Tat, General,« sagte der Geistliche, der plötzlich wieder ernst wurde – »wichtig genug, um selbst die Stunde der Nacht zu entschuldigen. – Doch ich brauche keine langen Umschweife zu machen. Sie selber kennen die Lage des Landes besser, als ich imstande wäre, sie Ihnen zu schildern. Sie wissen, was das Kaiserreich versprach – und was es hielt. Sie wissen aber auch, General, wie die Kirche jetzt dem Staat gegenübersteht. Das Dach selbst, das uns in diesem Augenblick beide gegen den flutenden Regen schützt, ist Zeuge dessen, was geschehen – was verbrochen wurde, und was nicht etwa ein fremder Eroberer, sondern schon ein Landeskind sündigte, das sich von dem heiligen Glauben losriß.«
» Caramba padre mio,« sagte Diaz, der erstaunt den Worten des Mönchs horchte, denn er begriff noch immer die ganze Einleitung nicht, »das mag alles wahr sein oder nicht, aber was habe ich jetzt damit zu tun, ich überhaupt, denn wenn ich auch frei und an der Spitze eines Heeres stände, die Geschicke des Landes zu regeln liegt ja doch nicht in meiner Macht.«
»Aber, General, Sie sollen frei werden und nicht allein an der Spitze eines Heeres, nein an die Spitze des Staates treten, wenn Sie sich der heiligen Kirche gegenüber verbindlich machen wollen, eben diesen Staat nach christlichen Normen einzurichten und dem Volk Gelegenheit zu geben, seine Herzen wieder der heiligen Mutter Gottes und ihrem Sohne zuzuwenden.«
Diaz nahm leise die Unterlippe zwischen die Zähne, denn jetzt fing er an zu begreifen, was der Mönch, und keinesfalls aus eigenem Antrieb, von ihm verlangte, aber er schwieg, denn er wünschte mehr zu erfahren, und nur erst, als der Padre ebenfalls innehielt und ihn erwartungsvoll ansah, als ob er Antwort verlange, sagte Diaz, langsam mit dem Kopf schüttelnd:
»Und ist das jetzt nicht der Fall, Padre Zaloga? Ich halte es für ein Unglück, daß ein Fremder über uns regieren soll, für ein Unglück, Mexiko ein Kaiserreich aufzudrängen, und habe mit allen Kräften dagegen angekämpft, aber so viel ich weiß, war es der Klerus selber, der den fremden Prinzen in das Land gerufen, und – was man auch gegen seine Regierung einwenden könnte – sein christlicher Wandel ist wohl noch von keiner Seite angefochten.«
»Die Sünde aber, die Juarez begangen,« rief Zaloga eifrig, doch mit unterdrückter Stimme, »hat er bestätigt und den Kirchenraub noch durch Gesetze geheiligt – auch die Botschaft, die er jetzt nach Rom gesandt, soll nicht etwa dort dem heiligen Vater reuig seinen Fehler eingestehen, sondern ihm nur die Unmöglichkeit darlegen, anders zu handeln, als er es getan. Von dieser Seite ist also keine Hoffnung auf Besserung der Zustände, während wir ebensogut wissen, was wir von Juarez zu erwarten haben, sollte dieser je wieder in die Hauptstadt einziehen und den Präsidentenstuhl besteigen. – Das Volk wünscht ihn auch nicht zurück, sein Termin ist überhaupt abgelaufen, und jetzt gilt es, den Mann zu wählen, der das meiste Vertrauen im Land besitzt und ihm Garantien bietet, es zum Frieden zurückzuführen.«
»Und wen halten Sie für den richtigen Mann, Padre Zaloga,« sagte General Diaz, indem er dabei langsam sein Glas hob und den Wein in einem langen Zuge einschlürfte.
» Sie, General,« sagte Zaloga bestimmt.
»Und unter welchen Bedingungen?« fragte Porfeirio Diaz ruhig, während aber doch ein leises, kaum bemerkbares Lächeln um seine Lippen zuckte.
»Unter keiner,« erwiderte der Padre, »die nicht jeder Ehrenmann annehmen, unter keiner, die man nicht von jedem wirklichen Christen als selbstverständlich fordern könnte – nur unter der, daß Sie, rücksichtslos gegen alles, was Ihnen entgegentreten sollte, die verdammlichen Dekrete über die Güter der toten Hand wieder aufheben und die Punkte erfüllen, die der heilige Vater von dem Kaiserreich als unumstößliche Bedingung verlangt hat.«
»Und die sind?«
»Die nämlichen, die der heilige Vater durch Monsennor Meglia dem Kaiserreich vorlegte,« erwiderte Zaloga: »die katholische Religion, mit Ausschluß jeder anderen – die Bischöfe in Ausübung ihres Hirtenberufes vollkommen frei, die Mönchsorden hergestellt, das Gut der Kirche unberührt, die Geistlichkeit muß den öffentlichen wie den Privatunterricht beaufsichtigen – die Bande, welche die Regierung der Kirche bis dahin auferlegt, müssen zerrissen werden.«
»Und nachgeben würde der heilige Vater in keinem Punkt?« sagte Porfeirio Diaz, ohne jetzt aber den Geistlichen anzusehen, denn er hatte sein halbgeleertes Glas in der Hand und schaukelte es, daß der Wein darin im Licht funkelte.
»Wir können nicht,« erwiderte Zaloga, »denn es sind die Vorschriften Gottes – aber dafür bieten wir auch dem Präsidenten, der auf dieser Basis mit uns unterhandelt, den vollen Schutz der Kirche und des Klerus, und Sie wissen recht gut, Herr General, was das in Mexiko zu bedeuten hat.«
Der Padre schwieg und auch Porfeirio Diaz war eine Zeitlang in seine Gedanken vertieft. Er sah dabei zweimal nach seiner Uhr, und steckte sie doch wieder, ohne gesehen zu haben, welche Zeit es sei, in die Tasche. Endlich sagte er:
»Und wenn ich auf diese Bedingungen nicht eingehen könnte?«
»Ich will es nicht hoffen, General.«
»Und wenn ich darauf einginge? Wie wären Sie imstande, mich zu befreien.«
»Sorgen Sie sich deshalb nicht,« sagte der Padre rasch, »diese alten Klöster haben manche geheime Gänge, und die Franzosen haben keine Ahnung, wie leicht wir, die wir damit von Jugend auf vertraut sind, Zutritt zu ihnen finden können.«
»Gut, mein frommer Padre Zaloga,« erwiderte da Porfeirio Diaz mit einem leichten Lächeln um die Lippen, indem er aufstand und den Padre scharf beobachtete – »ich sehe allerdings zu meiner Verwunderung, daß wir beide ganz einige Verbündete in der Erreichung eines bestimmten Zweckes sind – den Sturz des Kaiserreichs und die Wiederherstellung einer Republik, und nur das eine Fatale bei der Sache bleibt, daß wir uns nicht über das Mein und Dein verständigen können. Sie wollen alles wieder haben und wir nichts herausgeben. Sie schneiden sogar jedes Verständnis, jedes Übereinkommen gleich von vornherein ab, also wie soll das werden? Eine permanente Revolution? Nein, mein lieber Padre Zaloga, sagen Sie Ihrem guten Erzbischof, daß er wohl schwerlich jemanden findet, der für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt. Wenn wir uns die Macht im Staat erkämpfen, wollen wir sie auch nachher behaupten und nicht demütig an den Klerus übergeben. – Ob Kaiserreich, ob Republik, ihr seid um nichts hier gebessert, denn ihr habt zu lange und zu arg im Land gewirtschaftet.«
»Und haben wir uns so gänzlich in Ihnen getäuscht, General?« sagte Zaloga bestürzt.
»Wenn Sie glaubten, daß Sie mit meiner Hilfe eine Revolution in der Revolution hervorrufen wollten, allerdings,« sagte Diaz fest. »Meine Kräfte, mein Blut und Leben gehören dem Vaterland, und was ich dazu beitragen kann, ihm bald – recht bald den Frieden wieder zu geben, den es so notwendig braucht, soll gewiß geschehen, aber wahrlich nicht deshalb, um es wieder unter das eben erst abgeschüttelte Joch des hohen Klerus zu zwingen.«
»Dann,« sagte Padre Zaloga, sich von seinem Stuhl erhebend, »tut es mir allerdings leid, Sie belästigt und gestört zu haben, Herr General.«
»Sagen Sie das nicht,« rief Diaz, »ich kann Sie versichern, frommer Padre, daß es mir höchst interessant war, Ihre Vorschläge gehört zu haben, denn ich gewann dadurch einen vollen Einblick in Ihre friedliche und versöhnliche Politik. Und ist das der Segen, den die Kirche zu bringen denkt, daß sie nur im geheimen wühlt und bohrt und Partei gegen Partei aufzuhetzen sucht? Vergießen wir nur deshalb unser Blut, um solchen selbstsüchtigen Zwecken zu dienen und von einem eigensinnigen alten Mann in Italien am Gängelband geleitet zu werden?«
»General, das ist Gotteslästerung!« rief Zaloga bestürzt, denn er hatte einen anderen Erfolg von seiner Unterredung erhofft. Mit dem Bewußtsein aber, auch diesen starren Kopf nicht zu überzeugen, wenn er nicht von selber, und dem eigenen Interesse folgend, in die Bahn einlenkte, brach er die Verhandlung kurz und ohne weiteres ab. »Was Sie da gesagt, mögen Sie aber vor Ihrem eigenen Gewissen verantworten – und dereinst vor Gott. – Wir hatten uns in Ihnen getäuscht, und ich will nur hoffen, daß Stille und Einsamkeit von jetzt ab Ihren Geist reumütig dem einzigen Punkt zuführen möge, der imstande ist, die Seele zum Heil und zur ewigen Glückseligkeit zu führen. Der Herr sei mit Ihnen – leben Sie wohl!«
»Warten Sie noch einen Moment, mein würdiger Padre,« sagte da lächelnd der General – »wir trennen uns noch nicht so bald – ich gehe mit Ihnen.«
»Unsere Wege liegen getrennt,« sagte kopfschüttelnd Padre Zaloga – »alles würden wir daran gesetzt haben, Sie zu befreien, denn die Kirche scheut kein Opfer, um ihren Gläubigen zu helfen, aber für den abtrünnigen Sohn der Kirche haben wir keine rettende Hand. – Der Herr sei mit Ihnen!«
Diaz hatte, noch während der Geistliche sprach, seine Mütze und seine Serape vom Bett genommen, jetzt sagte er lachend:
»Und glauben Sie, frommer Padre, daß ich ein solch entsetzlicher Tor wäre, Sie allein gehen zu lassen? Wo Sie unbemerkt in mein Gefängnis gekommen sind, kann auch ich ebenso in Ihrer Begleitung auspassieren – jedenfalls machen wir den Versuch.«
»Das ist unmöglich!« rief Zaloga erschreckt aus, denn auf einen solchen Entschluß von seiten des Gefangenen hatte er nicht gerechnet, und doch war eigentlich nichts natürlicher. – »Ich muß unten durch das offene Portal, in welchem die Wache liegt, und wenn sie mich auch schon passieren lassen, mit Ihnen zusammen, würden wir beide angehalten – beide eingekerkert werden.«
»In der Tat?« lächelte Porfeirio Diaz, den eine Gefahr natürlich nur reizen konnte, – »aber wie nun, frommer Padre, wenn ich flüchtig hindurchbreche und die erste Überraschung der Wache benütze, um die dunkle Straße zu erreichen? – Oder noch besser, wenn Sie mir Ihr Gewand borgen, um langsam und demütig hindurchzuschreiten? Caramba, es ist jedenfalls den Versuch wert. Sie können sich fest darauf verlassen, daß ich Ihnen keine Schande machen werde.«
»Es ist unmöglich, Sennor,« entgegnete mit ängstlich unterdrückter Stimme Zaloga, denn er malte sich eben im Geist aus, mit welchem Gesicht ihn der hochwürdige Erzbischof empfangen werde, wenn er ihm die Antwort Porfeirio Diaz' und zugleich die Kunde brächte, daß er ihm trotzdem zur Flucht verholfen habe. Der Klerus verhehlte es sich wenigstens nicht, daß ihnen General Diaz, wenn nicht gewonnen, ein noch viel gefährlicherer Feind werden könne, als es selbst Juarez gewesen oder je sein konnte, – »es ist vollkommen unmöglich, denn wir müssen durch einen langen, von Soldaten gefüllten Gang, und würden niedergeschossen werden, ehe wir nur die Hälfte desselben durchmessen hätten.«
» Que importe, amigo,« lachte der General, »sterben wir doch dann zusammen und sind aller irdischen Sorgen überhoben – Scherz beiseite,« setzte er aber plötzlich, ernst werdend, hinzu, »ich bin fest entschlossen, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, denn ich weiß genau, daß sie mir, von dieser Seite wenigstens, nicht wieder geboten wird. Sie kennen mich aber, Zaloga, wie ich Sie kenne und Ihnen wohl im Vertrauen sagen kann, daß es keinen größeren und nichtswürdigeren Schurken in ganz Mexiko gibt, als Sie, frommer Padre.«
»General Diaz!«
»Ruhe,« herrschte der General ihm zu – »die Spielerei hat ein Ende. Sie führen mich jetzt denselben Weg zurück, den Sie hereingekommen, und mehr als das, Sie begleiten mich weiter, bis hinaus vor das Tor und vollkommen aus dem Bereich der französischen Truppen, denn ich traue Ihnen alles zu – selbst Verrat. Während der ganzen Zeit habe ich die Hand auf Ihrer Schulter und sage Ihnen im voraus, gefangen gebe ich mich nicht wieder – ich werde entweder frei, oder sterbe in dieser Nacht – Sie aber mit mir, und dieses Messer,« setzte er hinzu, indem er das ihm gebrachte Tischmesser nahm und unter seine Uniform barg, »genügt, um mein Wort wahr zu machen.«
»Aber Herr General!«
»Kein Aber mehr, oder beim ewigen Gott! ich tue etwas, was mich vielleicht später gereut. Vorwärts – Sie sind vollständig in meiner Gewalt, und daß ich nicht zögern werde, davon Gebrauch zu machen, bedarf wohl keiner Versicherung mehr.«
Der Padre warf einen verzweifelten Blick nach der Tür, aber es half ihm nichts, er war einmal in die Falle gegangen, und Porfeirio Diaz gerade der Mann dazu, einen einmal gewonnenen Vorteil nicht wieder aus der Hand zu geben.
»Gut,« sagte er, »ich will es versuchen und Sie vor die Tür des Klosters bringen, aber dann verlangen Sie nichts mehr, der Sturm rast da draußen, der Regen schüttet auf die Erde nieder und die Wege vor der Stadt sind grundlos – meine schwache Gesundheit dazu –«
»Sie werden sich jedenfalls einen Schnupfen holen, frommer Padre,« sagte der General spöttisch, »aber das schadet nichts – ein paar warme Schwefelbäder heben das Unglück augenblicklich wieder, und die haben Sie ja ganz in der Nähe. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe, und der Regen und Sturm draußen begünstigen nur unsere Flucht. Wollen Sie jedoch von mir einen guten Rat annehmen, so verschaffen Sie mir vorher eine ebensolche Kutte wie Sie tragen, oder ich würde mich sonst in die unangenehme Notwendigkeit versetzt sehen, Ihnen draußen die Ihrige abzunehmen, denn in der republikanischen Uniform wäre ich keine Stunde lang sicher.«
Padre Zaloga seufzte tief auf, aber General Diaz hatte recht, und er selber sich leichtsinnigerweise in die Gewalt eines Mannes gegeben, der wahrlich keine Rücksicht auf seinen Stand genommen hätte, dem er sich also jetzt wohl oder übel fügen mußte. – Eine Wahl hatte er nicht mehr.
»So kommen Sie,« sagte er finster, »denn die Zeit vergeht, aber des Himmels Strafgericht –«
»Bst! bst! keine Kindereien, amigo – ich bin kein törichter Indio,« unterbrach ihn der General, »den Sie mit Ihren Spukgeschichten ängstlich machen können. Doch noch eins – sollen wir die Lampe mitnehmen, oder finden wir den Weg im Dunklen – und glauben Sie nicht etwa, daß Sie mir dabei entwischen, denn was ich einmal habe, halt' ich fest.«
»Fürchten Sie nicht, General, daß ich den Versuch mache,« sagte Zaloga finster, »denn meine eigene Sicherheit hängt jetzt davon ab, daß wir ungesehen entkommen – für mich brauchte ich allerdings keine Lampe, und habe auch weiter unten schon eine stehen, aber Sie selber werden im Dunklen nicht vorwärts können.«
»Ist der Strahl der Lampe von der Straße aus zu sehen?«
»Nein – die Treppe liegt im Innern des Gebäudes.«
»Gut – dann vorwärts,« sagte der General, indem er die Lampe vom Tisch nahm, »und nun, mein wackerer Führer, den Weg zur Freiheit!«
Diaz fürchtete aber mit recht, daß ihm der schlaue Mönch, sowie er nur wenige Schritte Vorsprung gewann, in den Irrgängen eines solchen alten Klosters leicht entwischen könne; die Serape über der Schulter, in der rechten Hand die Lampe, legte er deshalb die Linke leicht auf die Schulter seines Führers, sah ihn aber fragend an, als ihn der Geistliche in das nächste Zimmer und dort nicht etwa gegen die Tür, sondern gerade auf die Wand zu führte, auf der sich ein grobes Fresko-Gemälde, Petrus im Gefängnis, befand. Zaloga wußte jedoch genau Bescheid – er bog sich zur Erde nieder, und dort eine kleine Feder berührend, schied sich, was auf dem Bild ein gemaltes niederes und in einen Keller hinabführendes Gewölbe schien, von der Wand ab und zeigte bald eine kleine, kaum zwei Fuß hohe, gerundete Tür, sinnreich und versteckt genug hier angebracht.
»Caramba,« sagte Porfeirio Diaz leise, »der Teufel traue den Mönchen, und zu was hat diese Tür in früheren Zeiten gedient?«
» Quien sabe,« erwiderte achselzuckend der Padre – » ich weiß nur, daß sie existiert und von den Franzosen nicht entdeckt wurde. Jetzt steigt vorsichtig hinab – die Treppe ist steil – oder laßt mich lieber voran, daß ich Euch die Lampe halte.«
» No Compannero,« lachte Diaz, »so leicht entkommst du mir nicht – wir bleiben noch länger beisammen.«
»Ihr traut mir nicht?«
»Nicht einen Fußbreit,« sagte der General, und indem er sich selber in die Öffnung schwang – »so jetzt vamonos amigo – die Treppe ist bequem genug.« –
Der Padre folgte – er wußte, daß ihm keine Wahl weiter blieb, denn hätte er Lärm gemacht, so würden ihn jedenfalls die französischen Wachen festgenommen haben, und daß sie das geistliche Gewand nicht achteten, hatten sie schon verschiedene Male zur Genüge bewiesen. – Jetzt waren sie beide in dem engen Gang verschwunden, nach einer kleinen Weile knackte die Feder wieder ein, und hinter ihnen lag öde und leer das Gefängnis des Generals – der Vogel war ausgeflogen.