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Die Erscheinung.

In diesen, den letzten, Wochen des Jahres 1865 konnte man glauben, daß das junge, aufkeimende Kaiserreich seine größten Schwierigkeiten besiegt habe und nun einer ruhigen Zeit entgegengehe, aber trotzdem gärte es schon wieder in der Hauptstadt. Eine Menge von kleinen Anzeichen deuteten auf einen neuen Sturm, der sich wider das Reich erheben wollte, und der einzige Mann in ganz Mexiko, der es nicht sah, oder vielleicht nicht sehen wollte, war der Kaiser selber. Mit unverdrossenem Fleiß ging er daran, innere Reformen anzubahnen, und während Kaiserin Charlotte ihre beschwerliche Reise nach Yucatan wirklich angetreten hatte und sich in dieser dem Kaiserreich von Anfang an geneigten südlichen Provinz mit Jubel empfangen und aufgenommen fand, mühte sich Maximilian ab, die Zustände eines innerlich zerrissenen und aus allen Fugen gebrachten Reiches wieder zu bessern und zu heben. Schulen wurden errichtet, Konzessionen zu Eisenbahnen gegeben und deren Bau begonnen, und wenn auch die Finanzen des Landes noch sehr im Argen lagen und kaum eine Aussicht auf mögliche Besserung zeigten, so übernahmen es doch endlich tüchtige französische Finanzmänner, sie zu regeln. – Daß man von den mexikanischen keine wirkliche Hilfe erwarten durfte, hatte sich schon lange vordem gezeigt.

In vielen großen Häusern der Hauptstadt Mexiko war tiefe Trauer eingekehrt – die letzten Kämpfe hatten gar so viel Blut gekostet, und Bazaine, mit jedenfalls geheimen Befehlen von Frankreich, fing an, seine eigenen Truppen zu schonen und an alle wirklich gefährdeten Punkte Mexikaner, Österreicher oder Belgier vorzuschieben. – Aber auch die einzelnen Guerillakämpfe rafften viele Menschenleben dahin, und ob sie auch draußen im Wald die Leichen der Gebliebenen verscharrten, in den Familien bluteten die Herzen noch lange nach und trauerten über die Geschiedenen.

In Roneiros Haus, das sonst zu einem der glücklichsten und lebensfrohsten der Hauptstadt gehörte, war besonders Sorge und Kummer eingekehrt; die Fenster blieben den ganzen Tag verhangen. – Keiner der Insassen zeigte sich draußen auf dem Balkon, selbst die Haustür wurde fest verschlossen gehalten und öffnete sich fast nur dem Arzt oder den Dienstleuten, die gezwungen waren, die nötigen Bedürfnisse für den Hausstand einzukaufen.

Die junge Witwe des Grafen Deverreux lag schwer erkrankt in dem nämlichen Zimmer, das sie als Mädchen inne gehabt. Die Mutter saß bleich und mit tränengefüllten Augen an ihrem Bett, und der alte Herr Roneiro lief in seinem Arbeitszimmer auf und ab und verwünschte sich, die Pfaffen, die Liberalen, die Kaiserlichen und die ganze Welt.

Das alte Leiden war aber auch wieder im Hause ausgebrochen. Die Frauen verlangten hartnäckig nach geistlichem Zuspruch, und Padre Miranda, nachdem ihn Roneiro schon früher einmal getäuscht, weigerte sich auf das entschiedenste, ihnen zu willfahren.

Roneiro war schon selber beim Minister gewesen und hatte sich auf das Dekret berufen, das der Kaiser gegeben, wonach die Behörden angehalten werden sollten, darauf zu sehen, daß die Geistlichkeit die ihnen zustehenden Funktionen verrichten müsse. Ein späteres Gesetz aber, das Kirche und Staat unabhängig voneinander stellte, hob das natürlich auf, und der Minister sagte achselzuckend, daß er darüber allerdings an den Kaiser berichten wolle, ihm aber keine Hoffnung machen könne, den Priester zu zwingen, sein Haus zu betreten. Die Regierung wünsche überhaupt jetzt keinen weiteren Konflikt mit der Geistlichkeit, da man noch immer auf ein Verständnis mit dem heiligen Vater hoffe, und deshalb gerade einen neuen Abgesandten dorthin geschickt habe.

Dabei blieb es, und Roneiro kehrte mit Groll gegen die ganze Welt im Herzen in sein Haus zurück.

Was hatten sie nicht alles von dem Kaiserreich erhofft, und was hatte es bis jetzt für sie getan? Frieden gebracht? Die Kriege hörten nicht auf; das Land verzehrte sich im Soldbezahlen für ein zahlloses Heer, und das war bis jetzt nicht einmal imstande gewesen, selbst nur die Landstraßen in der Nähe der Hauptstadt von Räubern freizuhalten. Den übermütigen Klerus gedemütigt? – Er zeigte sich starrsinniger als je, und wo Juarez die Geistlichen augenblicklich absetzte, die es wagten, seinen Gesetzen zuwider zu handeln, wie zum Beispiel den störrischen und unduldsamen Padre Jose Sollano, taten die Pfaffen jetzt gerade ungestraft alles, was sie wollten, und brachten unsagbares Unheil in die Familien.

Und was hatten freilich die Mexikaner selber getan, um diesen Kaiser, von dem man alles verlangte, in seinen Mühen und Arbeiten zu unterstützen? Nichts – gar nichts, als die Hände in den Schoß gelegt oder, wo sie zu irgend etwas verwandt werden sollten, sich so unfähig und träge gezeigt, daß die Regierung endlich förmlich dazu gezwungen wurde, sich auf fremde Kräfte zu stützen und sie heranzuziehen.

Konservative und Liberale (man wurde zuletzt ganz konfus, wer das eine oder das andere sei, denn der Kaiser war in allen seinen Gesetzen und Verordnungen weit liberaler gewesen, als selbst Juarez oder seine Partei) schienen wirklich darin zu wetteifern, wer sich von ihnen am teilnahmlosesten zeigen würde. Dafür hatten sie ja jetzt einen Kaiser, und der mochte zusehen, wie er mit den Schwierigkeiten zustande käme – von ihnen konnte er das nicht verlangen. Und doch hoben sich dabei Handel und Gewerbe, und es ließ sich nicht leugnen, daß das Land in der kurzen Zeit dieser Regierung, und trotz den ewigen Kriegen, einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte, aber das genügte den Leuten trotzdem nicht. – Es war viel geschehen, ja aber noch viel mehr zu tun übrig, und dabei kein Ende abzusehen, wann es möglicherweise getan werden könne.

Und jetzt sollte Roneiro, nur weil der Kaiser für gut befunden hatte, den Staat von der Kirche zu trennen, sein ganzes teuer erkauftes und prachtvoll eingerichtetes Besitztum wieder zurückgeben und das Haus, in dem er sich so wohl fühlte, verlassen? – Es ging nicht – die Frauen mußten sich ja doch am Ende beruhigen – seine Tochter sich erholen, und dann – konnte er immer erst abwarten, wie sich das alles im Reich gestalten würde.

Es war Abend geworden und die Nacht eingebrochen – noch spät kam der Arzt – heute zum dritten Male – um nach seiner jungen Kranken zu sehen, die ein heftiges Fieber überstanden und viel phantasiert hatte, sich aber – ein sehr gutes Zeichen – gegen Abend bedeutend besser fühlte. – Er verließ das Haus wieder – das Tor wurde geschlossen und der breite Riegel inwendig vorgeschoben.

Die Kranke war in einen leichten Schlummer gefallen, und die Mutter, die bei ihr wachte, hatte sich auf das Sofa gelegt, um ein wenig auszuruhen. – Im Zimmer befanden sich noch eine ziemlich rüstige Frau, Inez' Amme, im Haus an einen Diener verheiratet, und ein junges Mädchen, das neben der Kranken Bett saß und abwechselnd mit der Amme noch immer kalte Umschläge um ihre Stirn legte.

Es war alles totenstill im Haus, nur das regelmäßige Ticken der großen Bronze-Wanduhr, die auf dem Kaminsims stand, schallte wunderlich durch den hohen Raum, in dem man selber das leise Atmen der Schlafenden hören konnte.

»Inez!« sagte da eine tiefe, monotone Stimme – »Inez erwache!«

Das junge Mädchen, das der Schlafenden noch kurz vorher den Umschlag aufgelegt, war ebenfalls ein wenig eingenickt, aber doch nicht so fest, um nicht die Stimme zu hören und verwundert aufzuschauen. In dem hohen Gemach brannte eine einzige, noch dazu durch einen farbigen Schirm verstellte Nachtlampe und warf Wohl einen hellen Schein an die Decke, beleuchtete aber nur spärlich den unteren Raum.

Auch Inez' Mutter, die vor Ermüdung die Augen geschlossen, hörte wie in einem Halbtraum die Worte; ihr erster Blick fiel aber auf die emporfahrende junge Wärterin, und eben wollte sie fragen, was ihre Tochter gerufen, als sich der Ruf wiederholte: »Inez! Inez erwache!«

Blitzesschnell drehten beide das Antlitz der Richtung zu, aus der die Stimme schallte, mit einem Angstschrei aber fuhren die Frauen empor, als sie dort, unmittelbar vor einer dunklen Gardine, die ein kleines Garderobezimmer von dem Schlafgemach abschloß, eine graue, sich regende Gestalt bemerkten, die jetzt langsam den Arm hob und in dieser Stellung verharrte.

So viel sie in dem Moment erkennen konnten, trug die Gestalt eine graue Mönchskutte, an der die Kapuze ein wenig zurückgeschlagen war und ein totenbleiches Menschenantlitz mit grauem wallenden Bart zeigte. Die Züge aber sahen geisterhaft und verzerrt aus, und wie drohend schüttelte sie dabei den gehobenen Arm.

Durch den Angstschrei waren aber auch die Kranke wie ihre Amme erwacht, und Inez' Blick fiel unmittelbar auf die Erscheinung, die fast zu Füßen ihres Bettes stand. – » Ave Maria Purisima!« flüsterte sie, aber wieder erhob der Unheimliche seine Stimme und sagte dumpf:

»Die Strafe Gottes hat euch erreicht und seine Hand liegt auf diesem Hause – Glied nach Glied wird sterben und abfallen. Das war nur der erste Schlag, der euch getroffen, aber das entweihte Heiligtum rächt das Verbrechen, bis es durch den Tod aller gesühnt ist. – Wehe über euch, wehe!«

Die Form der Gestalt schmolz fast mit dem ebenfalls dunklen Vorhang, vor dem sie stand, zusammen, jetzt bewegten sich die Falten desselben – noch einmal tönte ein dumpfes »Wehe!« daraus hervor, und mit einem wilden, fast nicht mehr irdisch klingenden Aufschrei sank Inez ohnmächtig auf ihr Lager zurück. –

Die Mutter sprang, alles andere um sich her vergessend, zum Lager des Kindes, der Blick der Frau aber wie der des jungen Mädchens haftete noch immer an der Stelle, wo sie die Erscheinung gesehen, ja noch immer zu sehen glaubten, bis sie endlich den Faltenwurf des dunkelbraunen Wollstoffes deutlich erkennen konnten. –

Roneiro befand sich noch drüben in seinem Zimmer – er konnte nicht schlafen, denn teils die Angst um die Tochter, teils die Sorge, ob er nicht doch am Ende gezwungen sein würde, sein Haus und Grundstück aufzugeben, ließen ihn nicht ruhen, und den Arm aufgestützt, die Stirn in düstere Falten gezogen, saß er an seinem Tisch, rauchte eine Zigarre nach der anderen und nippte dann und wann einmal an einem mit Xeres gefüllten und neben ihm stehenden Wasserglas.

Jetzt plötzlich horchte er hoch auf – klang das nicht da drüben aus dem Krankenzimmer seiner Tochter wie ein Schrei? – er hätte fast darauf schwören mögen, aber jetzt war alles wieder ruhig, er mußte sich doch am Ende getäuscht haben. – Wieder zündete er sich eine frische Zigarre an, aber in der Hand zerdrückte er sie, als er deutlich einen lauten Aufkreisch hörte, der kaum aus einer menschlichen Brust zu kommen schien. – Das mußte in Inez' Zimmer gewesen sein, und in Todesangst fuhr er empor, stürzte hinüber an die Tür und wollte hinein. Aber sie war von innen verriegelt, und laut und lange pochte er, ehe man ihm öffnete, denn die Frauen waren ihrer Sinne noch kaum mächtig.

»Um der heiligen Jungfrau willen, was ist hier vorgefallen?« rief er, das Zimmer betretend, das die Wärterin rasch wieder hinter ihm verriegelte. – Die Worte erstarben ihm aber auf den Lippen – er sah die ausgestreckte Gestalt der geliebten Tochter, sah die Mutter in Verzweiflung darüber hingebeugt und fürchtete das Schlimmste.

»Inez!« rief er mit vor Angst zitternder Stimme – »mein Kind! Mein Kind!«

Mit wankenden Schritten eilte er zum Bett, aber die Mutter, die mit der Tochter beschäftigt, alles andere fast darüber vergessen hatte, rief in Glück und Seligkeit aus: »Sie lebt – die heilige Jungfrau sei gelobt! Das Schreckliche hat sie nicht getötet!«

»Das Schreckliche! was?« sagte Roneiro erstaunt – »was ist vorgefallen?«

»O, Sennor, das Furchtbarste!« rief da die Dienerin – »der alte Prior vom Kloster war hier – bei uns im Zimmer, und hat sein Wehe! über uns ausgesprochen. O Santisima – jetzt ist alles vorbei – alles verloren!«

» Wer war hier?« rief Roneiro aufmerksam werdend – »der Prior? – welcher Prior? – jetzt?«

»Der alte Prior des nämlichen Klosters hier, auf dessen Grund wir leben,« rief aber die alte treue Dienerin mit zitternder Stimme – » o Maria Santisima, sie haben's ja schon lange im Haus erzählt, daß er umginge und keine Ruhe hätte – jetzt ist's geschehen und wir sind alle verflucht.«

Roneiro, der sich erst beruhigt hatte, als er sah, daß seine schlimmste Befürchtung wenigstens nicht eingetroffen sei – daß sein Kind, seine Inez, noch lebe, forschte jetzt weiter nach der ihm unbegreiflichen Erzählung, aber es dauerte eine Weile, bis er einen zusammenhängenden Faden fand, denn die Frauen waren noch in so furchtbarer Aufregung und auch dabei mit der Belebung der noch immer halb Bewußtlosen beschäftigt, daß sie nur in wirren, unzusammenhängenden Sätzen einen Bericht abstatten konnten. Roneiro wollte auch die Erscheinung nur ihrer Aufregung und überspannten Phantasie zuschreiben – aber das stellte sich bald als unmöglich heraus, denn es hatten sie vier Personen zu gleicher Zeit an ein und derselben Stelle gesehen und die nämlichen Worte gehört; eine Täuschung der Sinne schien deshalb nicht denkbar, und Roneiro, sonst nicht im geringsten abergläubischer Natur, schüttelte doch selber erstaunt den Kopf.

Inez hatte sich indes wenigstens insoweit erholt, daß sie die Augen aufschlug und von einem ihr dargereichten Glas Wasser etwas trank, und Roneiro, jetzt völlig mit dem Tatbestand vertraut, ging vor allen Dingen daran, das Zimmer zu untersuchen, um erst einmal die Möglichkeit bestätigt zu finden, ob überhaupt ein Fremder den Raum hätte betreten können. Er traute dem Klerus alles zu und wollte sich wenigstens selbst überzeugen.

Die Stube, in welcher Inez lag, hatte, wie das in Klöstern die gewöhnliche Bauart ist, nur eine einzige Tür nach dem Korridor hinaus, durch welche auch Roneiro das Gemach betreten. Diese war aber allerdings, wie er sich recht gut erinnerte, von innen verriegelt gewesen, und dahinaus konnte also niemand gegangen sein.

Dicht an dies Zimmer stieß ein anderes kleineres Gemach, von Inez zu einer Garderobe benutzt, aber ohne Ausgang. Nur ein dicht vergittertes Fenster führte ebenfalls auf den Korridor, und der vorsichtige Mexikaner prüfte jetzt alle die Eisenstäbe, die jedoch sämtlich fest und unbeweglich saßen, und nicht einmal einem kleinen Kind ein Durchschlüpfen gestattet hätten. Und hielt sich vielleicht noch jemand hinter den überall umherhängenden Kleidern verborgen, um später seine Zeit abzuwarten und den Platz heimlich zu verlassen?

Roneiro befahl den Frauen, an der Tür zu bleiben, während er hinüber in sein Zimmer ging, um eine Waffe zu holen, ja er fühlte sich dadurch noch nicht einmal sicher, denn er zog von innen den Schlüssel ab und schloß von außen zu – dann eilte er hinüber, holte seinen Revolver und kehrte nun zurück, um das Garderobezimmer auf das genaueste zu untersuchen – doch ohne den geringsten Erfolg. Die alte Dienerin schüttelte auch dabei fortwährend nur verächtlich den Kopf, denn was sie gesehen hatte, versteckte sich nicht hinter aufgehangenen Kleidern oder in Schränken, sondern erschien und verschwand, wie ein ordentlicher Geist es immer tut.

Das Gemach selber, weit kleiner als das Zimmer, welches Inez bewohnte, war wie dieses mit dunklem Holz, und in künstlicher und geschnitzter Arbeit wirklich geschmackvoll getäfelt und mochte in früherer Zeit wohl von dem Abt oder Prior bewohnt gewesen sein, aber nirgends ließ sich, so genau Roneiro auch überall umherleuchtete, ein Ausweg erkennen, noch gab die Wand, wo er auch immer gegen dieselbe klopfte, einen verschiedenen Klang. Hinter den Kleidern und in den Schränken hielt sich aber ebensowenig jemand versteckt, denn ein Wiesel hätte ihm nicht bei seiner Untersuchung entgehen können, viel weniger denn ein großer ausgewachsener Mann, und er mußte zuletzt, wohl oder übel, eingestehen, daß er die Erscheinung selber nicht begreife. Wenn er aber glaubte, daß er die Sache damit abgemacht habe, so irrte er sich vollständig, denn das Gespenst – und ein solches mußte es gewesen sein – hatte einen furchtbaren Eindruck auf die Frauen gemacht.

»Sennor,« sagte die alte Dienerin mit scheuer, aber nichtsdestoweniger fester Stimme – »ich bin jetzt neunzehn Jahre in Ihrem Hause und in Ihrer Familie, und eine bessere Herrschaft gibt es in Mexiko nicht, aber das Haus hier, in dem Sie wohnen, ist verflucht – der alte Prior hat es selber gesagt.«

»Aber Candelaria, ich bitte dich um Gottes willen,« rief Roneiro, mach' du mich nicht auch noch verrückt.«

»Nein, Sennor, das will ich nicht,« erwiderte die alte Person ernsthaft, »aber ich habe mein Seelenheil auch vor Augen, und so wohl ich mich sonst hier fühlen mag, und ob mir auch das Herz brechen wird, wenn ich von meiner Inez fort muß, die ich selber genährt und großgezogen – ich darf nicht länger bleiben – ich muß fort.«

»Aber nicht ohne uns, Candelaria,« sprach die Sennorita mit eiserner Ruhe. Das ist die letzte Nacht, die ich in diesem Hause – nicht schlafe, aber zubringe, weil ich nicht um Mitternacht auf die Straße kann. Aber morgen in aller Frühe packen wir unsere Sachen zusammen und verlassen die Stätte, auf der der Fluch des Himmels ruht.«

»Aber Dominga!«

»Nein Bautista, nein,« sagte mit fester Entschlossenheit die Frau, »was helfen mir alle Schätze der Welt, wenn ich mein Kind verlieren – wenn ich euch alle nach und nach absterben sehen soll, nein. Verkaufe alles, was wir haben, meinen und Inez' Schmuck – wir werden ihn so nicht länger brauchen, denn ein Leben trostlosen Jammers liegt vor uns, der Mönch hat es gesagt und – die Toten lügen nicht

»O, fort von hier, Mutter, – fort!« bat auch jetzt Inez mit leiser, weicher Stimme, »mir ist es jetzt schon, als ob die Mauern über uns zusammenstürzen müßten, als ob ich nicht atmen könnte in den dumpfen Räumen.«

»Ja, ich bleibe auch nicht länger, Sennor,« sagte das junge Mädchen schüchtern, »der Prior hat uns alle hier verflucht, und wenn der Tag anbricht, gehe ich in die Messe und Beichte.«

Roneiro nickte still und schweigend vor sich hin. Das hatte ihm noch gefehlt, um dem Faß den Boden auszustoßen – ein Geist mußte erscheinen, um ihn richtig von Haus und Hof zu treiben. Aber er sah auch ein, daß es hier nicht länger so fort ging, wenn er nicht selber verrückt werden wollte. Er begriff freilich das Ganze ebensowenig, da es ja alle vier bezeugten und fest darauf bestanden, und in seiner Verzweiflung rief er endlich aus:

»Gut! morgen in aller Frühe suche ich uns ein anderes Quartier – verlaßt euch darauf. Ich halte mein Wort und ihr sollt keine weitere Nacht mehr in diesem – verwünschten Hause wohnen. Aber jetzt gebt denn auch Frieden und laßt nur die Inez schlafen, denn mitten in der Nacht können wir ja doch nicht auf die Straße ziehen.«

»O, hättest du unseren Bitten vor langen Monden schon nachgegeben,« klagte die Frau, – »vieles – vieles wäre dann nicht so gekommen!«

»Jetzt ist es aber einmal geschehen,« rief Roneiro, dessen Geduld sich ebenfalls an der äußersten Grenze befand, »so seht denn zu, wie ihr diese Nacht noch verbringt, und beunruhigt mir das Kind nicht zu sehr. Candelaria, ich glaube, Ihr tätet besser, in Eure eigene Stube zu gehen.«

» Ich? allein jetzt die Treppe hinunter und über den dunklen Gang, an dem die alte Kapelle liegt?« rief die alte Indianerin – »und wenn Sie mir sagten, daß ich mein Gewicht in Gold dafür bekommen sollte, ich tät's nicht, Sennor – nicht um alle Schätze der Welt. Heute sind die Geister der Verstorbenen in dem alten Haus auf den Füßen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn wir noch mehr Besuch kriegten.«

Don Bautista fuhr sich in Verzweiflung mit der Hand durch die dunklen Haare, aber er wußte recht gut und aus langer Erfahrung, daß mit den Frauen gar nichts anzufangen war, sobald sie sich nur einmal irgend etwas in den Kopf gesetzt hatten, was mit ihrem Glauben oder Aberglauben zusammenhing. Außerdem begriff er das Ganze selber nicht, denn die Tür war von innen verriegelt gewesen, einen anderen Ausweg gab es nicht, und daß sich jetzt niemand mehr in dem Zimmer befand – halt – er hatte noch nicht unter dem Bett und Sofa nachgesehen. Er nahm die Lampe vom Tisch und leuchtete auch hier überall umher, während die Candelaria freilich verächtlich dazu lächelte – aber es war auch da nichts. Was es auch gewesen, wenn körperlich – befand es sich nicht mehr in den beiden Räumen, und ein wirklicher Spuk? Don Bautista fing selber an, sich unbehaglich zu fühlen, bot den Frauen noch eine hastige gute Nacht, ging zu der Tochter, küßte sie leise und zärtlich auf die Stirn und verließ dann das Gemach, das die Candelaria wieder rasch und fest hinter ihm verriegelte. Drüben aber warf er sich angekleidet auf sein Lager, denn er wollte wenigstens für alle Fälle vorbereitet bleiben.

Die Nacht verstrich übrigens von da ab vollkommen ruhig, und keine Störung fiel mehr vor – das Schlimmste war auch in der Tat geschehen, und wenn sich Don Bautista selber am Morgen bei hellem Tag und mit ruhiger Überlegung wieder sehr vor dem Gedanken sträubte, sein Haus hier aufzugeben, blieb ihm doch zuletzt keine andere Wahl. Nur eine Andeutung dahin gegen den weiblichen Teil, und sie alle erklärten einstimmig, daß sie dann hinaus auf die Plaza ziehen und lieber unter freiem Himmel und in Sturm und Unwetter schlafen wollten, als noch eine Nacht in diesen »heimgesuchten« Räumen, und damit war die Sache denn allerdings erledigt.

Don Bautista, der ja auch eine solche Möglichkeit schon seit seiner Tochter Krankheit ins Auge gefaßt, wo die Klagen im eigenen Haus begannen, wußte nicht weit von ihnen entfernt eine ziemlich freundliche, wenn auch etwas beschränkte Wohnung, die ein französischer Kommissär mit seiner Familie bezogen hatte, sie aber wieder räumen mußte, da er nach Vera-Cruz versetzt wurde. Dorthin ließ er dann über Tag wenigstens das Nötigste schaffen, um doch den Frauen einige Bequemlichkeiten zu bieten. Aber er bestand darauf, den Rest der Sachen so lange in der alten Wohnung zu lassen, bis er ein für sie passendes und geräumiges Haus gefunden, damit sie den fatalen Umzug nicht doppelt hätten.

Über die Rückgabe seines Hauses an den Klerus behielt er sich übrigens im stillen seinen Entschluß noch vor, denn die Sache hatte noch Zeit und gar keine Eile.

*

Der Kaiser war heute auf eine längere Inspektionstour ausgeritten, und zwar um die konzessionierte und schon ausgelegte und begonnene Bahnstrecke zu besichtigen, die von Mexiko aus vorderhand nach Apizaco führen sollte, um sich später mit der jetzt bis Paso del macho beendeten und über Soledad von Vera-Cruz kommenden zu vereinigen, während Puebla eine Zweigbahn nach Norden zu legen beabsichtigte und dadurch dann ebenfalls sowohl mit dem Hafen wie der Hauptstadt in direkte Verbindung trat. Die Schwierigkeiten, welche der Bau dieser Bahn im ganzen bot, waren in der Tat nicht gering, denn eine Höhe von über 4000 Fuß blieb zu überwinden, um die Hochebene von Mexiko aus dem tieferen Land und der Tierra caliente heraus zu erreichen, aber tüchtige englische Ingenieure hatten die Sache in die Hand genommen, und enorme Vorteile mußten dem Verkehr erwachsen, wenn die Sache Erfolg hatte.

Allein durfte Maximilian aber nicht einmal die Tour in der unmittelbaren Nähe seiner Hauptstadt unternehmen, denn selbst hier war man nicht sicher, ob nicht eine so günstige Gelegenheit, sich des Oberhauptes zu bemächtigen, von irgendeiner Truppe benutzt werden würde, und wenn es selbst nur deshalb gewesen wäre, um ein bedeutendes Lösegeld herauszupressen. Es begleitete ihn deshalb eine Eskadron seiner treuen österreichischen Husaren, den jungen Grafen Khevenhüller an der Spitze, und neben dem Kaiser dahinsprengend, flogen die wackeren Tiere jetzt, die Stadt hinter sich lassend, an Guadelupe, dem Gnadenort, vorüber, auf dem schmalen Damm dahin, der die beiden Seen Tezcoco und St. Christobä voneinander trennt.

Aber so heiter und mitteilsam der Kaiser sonst auf solchen kleinen Ausflügen sein konnte, und so wohl er sich gerade dann in der freien Luft und im Sattel fühlte, heute schien er ernst und in sich gekehrt, und während sein Blick bald rechts hinüber nach den Vulkanen, bald über die Seen hin und nach den sie umschließenden Bergen flog, hatten sich doch, trotz der eigentümlichen und prachtvollen Szenerie, die sich hier vor ihm ausbreitete, seine Brauen finster zusammengezogen, und trübe, ja recht ernste Gedanken mochten es auch sein, die sein Herz bewegten und seine Stirn verdüsterten.

Weiter und weiter verfolgte indes die Truppe in einem scharfen Trab ihren Weg; schon hatten sie die Seen hinter sich, und an ihrer linken Seite, während sich rechts eine weite, fruchtbare Ebene, mit verschiedenen kleinen Ortschaften besät, ausdehnte, hoben sich die mit Mageh bepflanzten niederen Hügel.

Diese Magehhügel bilden eine wirklich sonderbare und eigentümliche Szenerie und geben der Landschaft allerdings etwas Düsteres, Ödes, und doch haftet das Auge wieder gern an ihnen, denn so fremd, so wunderlich in ihrer ganzen Erscheinung liegen sie da.

Die Mageh, eine der größten und stärksten Agavenarten, die wild über die ganze Hochebene von Mexiko wächst und hier auch ihre eigentliche Heimat hat, wird aber besonders in dieser Gegend bis Apizaco und noch weit darüber hinaus, wie rechts und links in alle Berg- und Hügelketten hinein, auf das sorgsamste gepflegt, in tief gegrabenen Boden und in lange Reihen gepflanzt, und schon ihr Name »die Kuh des Landes« beweist, wie geschätzt der Nutzen ist, den sie den Bewohnern Mexikos liefert. – Was wäre der Mexikaner ohne Pulque! – Und dabei sind es ganz prachtvolle Pflanzen, von einem dunklen aber glänzenden Grün, die dicken fleischigen, von Saft durchströmten, aber auch mit scharfen Stacheln bewehrten Blätter – man möchte sie fast Arme nennen, in graziöser gebogener Form so weit oft ausbreitend, daß eine einzige Pflanze einen Raum von 15-18 Fuß im Durchmesser in Anspruch nimmt und damit einen Flächenraum von oft mehr als 150 Quadratfuß bedeckt.

Wo sie wild wachsen oder nur zu Hecken und Einfassungen benutzt werden, treiben sie auch einen riesigen Blütenschaft, einer kleinen Telegraphenstange gleich – in diesen Pulque-Anpflanzungen wird ihnen das aber nicht gestattet, denn gerade in der Zeit, wo dieser Schaft ausbrechen will, muß der Pflanze das Herz ausgestoßen und in der Mitte ein Becken geformt werden, in dem sich der ganze Saft nach und nach ansammelt. Hat sie dann dahinein alle ihre Kräfte erschöpft, so verwelkt sie und stirbt ab.

Die Mageh sind dort in langen, fast endlosen Reihen angepflanzt und ziehen sich oft, so weit ihnen das Auge nur folgen kann, zwischen und an den Hügeln hin und in die Täler hinein, und fleißiges Menschenvolk kriecht dazwischen herum. Teils sind diese beschäftigt, die jungen Sprößlinge von angezapften Stöcken zu entfernen, damit ihnen nicht auch die Lebenskraft entzogen wird, teils um die Ernte an jedem Tage aus der im Innern geformten »Caja« mit einem langen Flaschenkürbis als Heber herauszuziehen und in mitgebrachte Schläuche zu füllen, mit denen sie dann schwerbeladen zu Tal keuchen.

Weiter sieht man aber dann an diesen Hängen keinen Baum, keinen Strauch – nur der Mageh ist das Wachstum hier gestattet, und nur zwischen denselben gedeiht noch ein dürftiges Gras und wilde Feld- und Waldblumen in kleinen Büschen.

Dort hinüber, der Talsohle folgend, die sich von da ab um die Gebirgskette der Vulkane nach Osten hinüberzieht, lag die schon abgesteckte und bezeichnete, ja an manchen Stellen selbst in Angriff genommene Bahn, die auch hier einem sehr günstigen Terrain folgte und ohne Schwierigkeit fast bis zur Ostseite der Gebirge getrieben werden konnte.

Des Kaisers Antlitz heiterte sich hier etwas auf; er sah das geschäftige Treiben, das er als sein Werk betrachten konnte – er wußte, welchen Segen diese Bahn, erst einmal vollendet, dem Lande bringen müsse, und schon darum fühlte er eine Art Genugtuung, die sich steigerte, als er von den Arbeitern erkannt und mit enthusiastischem Zuruf und Hüteschwenken begrüßt wurde.

Maximilian war leicht empfänglich für solche Eindrücke, Tränen stiegen ihm dann ins Auge, sein Antlitz belebte sich, und freundlich und gütig grüßte er nach allen Seiten. Er stieg dort für kurze Zeit vom Pferd und besah sich die begonnenen Arbeiten in der Nähe, ebenso die rasch errichteten Hütten der Arbeiter selber, die mit welken Magehblättern gedeckt, nur an der Wetterseite geschützt waren und einen höchst eigentümlichen Anblick boten. Das Volk dort ist aber nicht verwöhnt, und das Klima auch noch immer mild genug, trotz der hohen Lage, um nicht viel Vorbereitungen gegen kalte Witterung zu erfordern.

Der Kaiser hatte seinen Zweck erreicht und wenigstens mit eigenen Augen gesehen, daß der Bau der Bahn scharf in Angriff genommen wurde. War es dabei der Ritt in der frischen Morgenluft, war es der Anblick tätigen Lebens und Fortschritts gewesen, war es die fremdartige Szenerie, die ihn umgab und über die sich freundlich der blaue Himmel spannte, aber er wurde selber freundlich und gesprächig und unterhielt sich mit dem jungen Grafen an seiner Seite besonders lebhaft über die Hoffnungen, die er an den Bau der Eisenbahnen überhaupt für Mexiko knüpfte. Dadurch mußte ja auch ein ganz anderes, mehr geregeltes Leben entstehen, und der Ackerbau viel leichter auf den raschen und bequemen Verkehrswegen seine Produkte verwerten können wie den Lohn seiner Tätigkeit ernten.

Der Zug hatte sich dabei anfangs in einem leichten Trab gehalten und war endlich, um die Pferde abzukühlen und den schönen Morgen wie den Anblick der jetzt wieder vor ihnen ausgebreiteten Seen mit dem ganzen prachtvollen Teile von Mexiko besser genießen zu können, in Schritt gefallen, als sie einen Reiter auf der Straße in vollem Galopp hinter sich hersprengen hörten.

Die Husaren hatten sich schon lange nach ihm umgesehen, aber den einzelnen Mann auch nicht beachtet, bis er jetzt herankam und selber einzügelte, um von den letzten zu erfragen, wer an der Spitze reite.

»Der Kaiser, amigo

»Caracho,« lachte der Mann, »und was macht der hier draußen?«

Die Husaren hielten es unter ihrer Würde, ihm darauf zu antworten, und nur der eine fragte ihn: »Und wo kommst du her?«

»Bringe Depeschen für das Hauptquartier.«

»Gut, die kannst du gleich hier abgeben und ersparst den Weg.«

Der Mann schüttelte den Kopf, spornte aber jetzt sein Pferd etwas mehr an, um nach vorn und dann auch vorbei zu kommen, denn der Zug ritt ihm zu langsam.

Das Wort: »ein Kurier,« hatte sich indes unter der Schwadron nach vornhin fortgepflanzt und erreichte auch den jungen Oberst, der den Kopf nach ihm wandte.

»Majestät, es scheint uns ein Kurier von der Küste her überholt zu haben. Wünschen Sie ihn zu sprechen?«

»Hat er Depeschen für mich?« sprach der Kaiser rasch, sein Pferd einzügelnd.«

»Depeschen für Seine Majestät?« fragte Graf Khevenhüller den Boten, der jetzt, mit der Hand am Hut, an ihn heranritt. Es war ein gewöhnlicher Mexikaner, ein Halbindianer, in Serape und Sombrero, die Cherivalles aus einfacher rohgegerbter Kuhhaut, ohne jede Verzierung. Ein einzelner französischer Kurier wäre auch überall der Gefahr ausgesetzt gewesen, von den Liberalen oder selbst einzelnen Trupps der Landeskinder angegriffen und erschlagen zu werden; den Mexikaner ließ man aber überall ruhig passieren, und er war keiner Gefahr ausgesetzt.

»Nein, Sennor,« antwortete dieser aber auf die Frage – »nur für das Hauptquartier. Die Depeschen sind direkt an den Marschall adressiert und ich darf sie nur in seine eigenen Hände geben.«

Die Brauen des jungen Grafen zogen sich finster zusammen, und sein Blick suchte flüchtig das Antlitz des Kaisers, aber ein Lächeln glitt über dessen Züge, und Graf Khevenhüller fragte nur noch – »Woher kommt Ihr? von Vera-Cruz?«

»Nein, Sennor – nur von Puebla.«

»Und ist da etwas Besonderes vorgefallen, muchacho?« wandte sich jetzt der Kaiser selber an ihn – »etwas Wichtiges?«

»Daß ich nicht wüßte, Sennor,« sagte der Mann, der doch wohl den Kaiser in ihm erkannte, aber an die gehörige Anrede nicht gewöhnt war. – »Vor ein paar Nächten ist ihnen nur der General Diaz durchgebrannt.«

»Porfeirio Diaz?« rief der Kaiser rasch.

»Ja, Sennor – Porfeirio Diaz – rein weg, und haben keine Spur wieder von ihm gefunden. Man glaubt, daß die frommen Väter dahinter stecken, und der französische General ist wütend.«

Der Kaiser lächelte. »Da hätten die Pfaffen doch einmal etwas Gescheites getan,« wandte er sich in deutscher Sprache zum Grafen. »Ich halte diesen General Diaz für den anständigsten Republikaner und gäbe viel darum, wenn ich ihn für uns gewinnen könnte.«

»Er wird aber wieder ein Heer zusammenzubringen suchen,« sagte der Graf.

Der Kaiser schüttelte den Kopf. – »Woher soll er es nehmen? Nein, lieber Graf, ich glaube, die Sache ist jetzt vorbei. – Haben Sie denn nicht gehört, daß jetzt Gonzales Ortega, der Juaristische Werbekommissar in den Vereinigten Staaten, schon ebenfalls Anspruch auf die Präsidentschaft macht? – Aber du kannst gehen, mein Bursche,« wandte er sich an den Kurier, der noch mit dem Hut in der Hand langsam neben dem Kaiser hinritt – »gib nur deine Depeschen an den Marschall ab,« und dann wieder fortfahrend, sagte er: »Die Liberalen wissen jetzt also selber nicht mehr, wen sie zum Präsidenten haben wollen. Juarez erklärt allerdings, daß er fortregieren werde, aber womit? Und kommt wirklich Ortega an die Reihe, so ist der mit leichter Mühe abzukaufen. Nein, wie ich mir Porfeirio Diaz denke, so wird er sich jetzt über den Stand der Dinge zu unterrichten suchen und dann wahrlich selber den Frieden nicht mehr brechen.«

»Es wäre ein Glück, denn der Krieg wird jetzt zu blutig geführt.«

»Das ist es ja, was mir am Leben frißt,« sagte der Kaiser, und wieder legte sich jener dunkle Schatten über seine Züge. »Haben Sie gehört, wie Mendez da oben bei Uruapan gewütet hat? General Arteaga, den einzigen, der noch ein wirkliches Heer befehligte, Salazar, den anderen Chef, und die beiden Obersten Diaz und Villagomez hat er erschießen lassen, ehe noch das Oktoberdekret in Wirksamkeit treten sollte, ja eigentlich noch vor seiner Veröffentlichung, wo er nur auf geheimem Wege Mitteilung davon haben konnte. Das ist aber Bazaines Werk, der jetzt um jeden Preis, sobald er sich nicht dabei kompromittiert, Ruhe haben will und, wie ich gehört habe, sogar dem Dekret noch einen verschärften Zusatz gegeben hat.«

»Es wird böses Blut im Lande machen.«

»Gewiß, und das mit vollem Recht. Ich habe auch augenblicklich einen Kurier an Mendez gesandt und ihm befohlen, sämtliche Kriegsgefangene, die noch in seinen Händen sind, direkt her nach Mexiko zu schicken. Ich will diese Metzeleien nicht.«

»Arteaga hat sich übrigens auch viel zu schulden kommen lassen,« sagte der junge Graf.

»Ja, ich weiß es,« nickte der Kaiser, »aber ich bitte Sie, wer hier im Lande nicht? Nehmen Sie diese Dupinsche Kontre-Guerilla. Gibt es einen Mexikaner im Land, der größere Scheußlichkeiten verübt hat, als dieser sonst ganz tapfere und unerschrockene Dupin? Er ist der Schrecken des Landes, wohin er kommt. Was hat jener General Marquez, der angeblich zum Kaisertum steht, in Tacubaya getan? Nicht allein die gefangenen Offiziere, nein auch selbst – unglaublich aber wahr – die Ärzte hat er erschießen lassen. Was tun alle unsere mexikanischen Generale, Mejia vielleicht ausgenommen? In Europa würden wir als Wiedervergeltung für eine solche Scheußlichkeit im Krieg vielleicht berechtigt sein, da solche Verbrechen dort nur als Ausnahmen gelten könnten und auch ausnahmsweise bestraft werden müßten. Hier aber ist es die Regel, und ich sehe ein, daß man den Mord nicht zur Regel machen kann, wenn man sich nicht selber auf eine Stufe mit diesen Menschen stellen will.«

»Aber das Dekret ist nun einmal erlassen, Majestät.«

»Allerdings – aber ich habe schon nach verschiedenen Richtungen hin und an unsere Leute Kontre-Orders gegeben. Wollen die Franzosen in so blutiger Weise vorgehen, so mögen sie's auf eigene Verantwortung tun, aber ich kann den Mexikanern wenigstens zeigen, daß ich nicht ihr Blut, sondern ihr Glück und den Frieden ihres Landes will. – Sehen Sie dieses Land,« rief er plötzlich, indem er seinem Tier in die Zügel griff und dadurch die ganze hinter ihm herkommende Schwadron zum Stehen brachte – »sehen Sie dorthin, Khevenhüller, und sagen Sie mir, ob Gott der Herr mit all' der Pracht, die er über die Erde ausgestreut, etwas Schöneres, etwas Herrlicheres geschaffen! Es ist nicht möglich, soweit sich das Weltall dehnt – und das Land in ewigem Aufruhr!«

Sie hatten in der Tat hier einen der schönsten Punkte erreicht. Nachdem sie den die beiden Seen trennenden Damm wieder passiert und den Wallfahrtsort Guadelupe erreicht hatten, lag die Hauptstadt mit ihren Häusermassen und der daraus emporragenden prachtvollen Kathedrale vor ihnen. Dicht an ihrer Linken der Tezcocosee, im Südosten ragten die herrlichen, in der Sonne ordentlich funkelnden Vulkane empor, und ein solch unbeschreiblicher Schmelz lag über der ganzen Landschaft, daß er das Herz auch eines weniger für Naturschönheiten empfänglichen Menschen, als es Maximilian war, entzückt haben würde.

»Das Paradies der Erde!« rief der Kaiser aus. »Die Mexikaner sind wahrlich in ihrem Recht, wenn sie behaupten, Gott der Herr habe sich, nachdem er die Welt erschaffen, ein besonderes Fenster im Himmel offen behalten, um immerdar auf sein Lieblingsland, auf Mexiko, herabschauen zu können. Und was haben die Menschen daraus gemacht? Es ist ein Jammer, wenn man es bedenkt, und wie stolz könnte ich sein, wenn es mir bestimmt wäre, dieses Land zu dem reichsten und glücklichsten zu machen. – Doch kommen Sie – die Wünsche und Träume helfen uns nichts – wir wollen handeln.« Und wieder ließ er seinem Tier die Zügel, und der ganze Zug legte den noch übrigen Weg nach der Hauptstadt in einem schwachen und durch nichts mehr unterbrochenen Trab zurück.


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