Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Abzug der Franzosen.

In der Hauptstadt Mexiko befand sich alle Welt heute auf den Füßen, und es war fast, als ob das größte Fest gefeiert werden sollte. Die Balkons waren fast sämtlich von Damen in lichten Kleidern angefüllt, in den Straßen sprengten Reiter auf und ab, und das Volk hielt bestimmte Straßen und fast sämtliche Plätze schon vom frühen Morgen an besetzt. Was hatten die Leute auch zu tun? Sie versäumten nichts, und während sie hier ein buntes Schauspiel erwartete, war das Ganze in Wirklichkeit ein Fest in Mexiko. So freundlich man nämlich die Franzosen bei ihrem ersten Eintreffen – wenigstens von verschiedenen Seiten, besonders von der Aristokratie aus, bewillkommt hatte, so sehr freute man sich jetzt, sie wieder loszuwerden. Man war ihrer müde geworden, und längere Bekanntschaft schien nicht, wie das zuweilen der Fall ist, genügt zu haben, zwei so entgegengesetzte Elemente ineinander zu schmelzen.

Die Franzosen hatten sich auch im ganzen nicht so liebenswürdig benommen, wie man ihnen das gewöhnlich nachsagt. Der Übermut, mit dem sie besonders in der letzten Zeit auftraten, verletzte den Nationalstolz der überdies stolzen Mexikaner, und manche Taktlosigkeit, die sich vor allem der Marschall zuschulden kommen ließ, machte sogar in höheren Kreisen – die bis jetzt noch allein zu der »großen Nation« gehalten, böses Blut. Man war sie satt und übersatt geworden, und als sie sich endlich zum Abmarsch rüsteten, jubelte die ganze Stadt.

In der Calle San Francisco in Rodriguez' Haus hatte sich ebenfalls ein Kreis von Bekannten eingefunden, denn man wußte, daß Bazaine dort mit seiner Suite noch im großen Pomp, als ob es einen Siegeszug gelte, vorbeidefilieren würde – und doch war es nur eine schmähliche Niederlage, welche die französische Politik hier erlitten – ein einfacher Zwang, den die Vereinigten Staaten auf die »große Nation« ausgeübt, und die »zivilisatorische Armee« wurde einfach von der nordischen Republik nach Hause geschickt.

So still aber auch die Zeit bis jetzt in Rodriguez' Hause verflossen sein mochte, da sich der alte Herr, der sich so viel als möglich von Politik fernhielt, schon deshalb häufig mit seinen alten Freunden in Konflikt befand, so angefüllt war es heute, und nicht etwa nur von Gästen oder Besuchern, die das Schauspiel des Vorübermarsches der abziehenden Armee herbeigelockt.

Ricardas Vater, der seine Ankunft von Monat zu Monat abgeschrieben, da ihn die unglückseligen politischen Verhältnisse Mazatlans zwangen, seinen Aufenthalt in der bald von den Kaiserlichen, bald von den Dissidenten genommenen und mit Zwangsanleihen belegten Stadt zu verlängern, war endlich eingetroffen, aber nicht, um seine Tochter nach dem Staat Sinaloa, an die Küste des Stillen Meeres zurückzuführen, sondern um mit seiner ganzen Familie nach Spanien überzusiedeln, und endlich einmal diesen ewigen Revolutionen und Kämpfen zu entgehen, wie sein Leben in Ruhe und Frieden zu genießen.

Ob dazu Spanien gerade der passende Platz war, bleibt dahingestellt, aber er hoffte doch, dort wenigstens in geregeltere Verhältnisse zu kommen, als sie ihm Mexiko hier bieten konnte – und ungeregeltere gab es ja doch nirgendwo auf der weiten Welt.

Roneiro und Bastiani waren ebenfalls mit ihren Familien herübergekommen – auch Inez – aber wie verändert hatte sie die kurze Zeit! Was war aus dem einst so blühenden, bildschönen Mädchen geworden? Eine Matrone, bleich und abgezehrt, mit hohlliegenden Augen und eingefallenen Wangen, und kein Lächeln trat mehr auf die bleichen Lippen.

Da öffnete sich die Tür wieder ohne vorherige Anmeldung, und zwei junge Offiziere betraten den Raum.

»Feliciano!« rief Rodriguez erfreut. »Junge, wo kommst du her? – und Caramba – Sennor van Leuwen – Sie hätte ich wahrlich nicht wiedererkannt – Sie sehen frisch und blühend aus.«

»Den hab' ich mir in Puebla aufgefischt,« lachte der junge Feliciano. »Er wollte nach Hause zurück, aber ich litt es nicht und habe ihn für unsere Armee gepreßt.«

»Es hat nicht viel Überredung gebraucht,« sagte van Leuwen halb scheu, indem sein Blick wie suchend durch das Zimmer flog – »ich war selber noch mit mir im Kampf, was ich tun – ob ich gehen oder bleiben solle.«

»Und von Ihren Wunden sind Sie vollkommen geheilt?«

»Vollkommen, wenn es auch etwas lange gedauert hat.«

»Und kennen Sie alte Freunde nicht mehr?« sagte da eine leise Stimme dicht hinter seinem Rücken, und als er sich hastig danach umdrehte, stand, wie mit Purpur übergossen, aber ihn freundlich anlächelnd, Ricarda vor ihm und streckte ihm die kleine Hand entgegen.

»Sennorita!« rief der junge Offizier, »wie glücklich bin ich, Ihnen wieder begegnen zu dürfen!«

»Wirklich?« lächelte wehmütig das junge Mädchen – »und war Ihnen das Haus verboten, daß Sie sich seit langen Monden nicht von selber wieder bei uns sehen ließen?«

Van Leuwen errötete und schwieg einen Moment. Endlich sagte er: »Als ich mein Krankenzimmer verließ, wagte ich nicht, mich Ihnen hier wieder aufzudrängen – der Dienst ließ mir auch keine lange Zeit zur Ruhe – ich wurde, wie ich kaum wieder im Sattel sitzen konnte, nach Oajaca beordert, dort aber geriet unsere ganze Besatzung, von der Übermacht des Feindes fast erdrückt, in Gefangenschaft, und erst seit wenigen Tagen von Porfeirio Diaz freigegeben, sind wir wieder in Puebla angelangt.«

»So waren Sie gefangen?«

»Kriegsglück – doch wie ich höre, ist Ihr Herr Vater hier. Dürfte ich Sie bitten, mich ihm vorzustellen?«

Sennor San Blas unterhielt sich eben an einem der Fenster mit seinem alten Freund Bastiani und schien auch von der neuen Bekanntschaft nicht besonders erbaut; er verbeugte sich wenigstens gegen den jungen Mann viel kälter und zurückhaltender, als das sonst seine Art war, und selbst Ricarda sah ihn betroffen an. Er wandte sich auch gleich wieder zu seinem früheren Gespräch zurück und sagte, als er mit Bastiani aufs neue allein war:

»Ich würde es für ein großes Glück für Mexiko halten, wenn recht viele fleißige Arbeiter und Kolonisten herüberkämen und das Land bebauen, wie dem Verkehr mit anderen Nationen mehr zugänglich machen wollten, aber diese fremden Herren Offiziere, die dem Kaiser hierher nach Mexiko gefolgt sind, wollen wir ihnen doch lieber schenken, denn es sind weiter nichts als Abenteurer, die sich hier goldene Berge geträumt und nun, da sie nicht einmal ihren Sold bekommen, vom Schuldenmachen leben. Wir haben da böse Erfahrungen in Mazatlan gemacht, und in Vera-Cruz wird noch viel mehr darüber erzählt.«

»Es gibt viele rühmliche Ausnahmen,« sagte Bastiani.

»Das mag sein,« nickte San Blas, »aber man muß gewöhnlich erst verwünscht schwer dafür bezahlen, um sie aus der übrigen Masse herauszufinden, und ich möchte den Versuch nicht noch einmal machen.«

»Ich halte diesen Belgier dafür – ich bin früher einigemal mit ihm zusammengekommen, und er hat sich stets tüchtig und bescheiden benommen – er ist auch, glaube ich, für seinen Unterhalt hier nicht allein auf seinen Sold angewiesen.«

»Desto besser für ihn,« erwiderte San Blas kurz abwehrend und warf von da an nur manchmal den Blick nach seiner Tochter hinüber, um zu sehen, ob sie sich noch immer mit dem jungen Fremden unterhielt.

»Ihnen scheinen sie in Mazatlan bös mitgespielt zu haben,« sagte Bastiani, »der arme Ort hat ja auch ein paarmal die Besitzer gewechselt.«

»Die Liberalen,« sagte der alte Herr, »von denen wir auch nur das schlechteste und nichtsnutzigste Gesindel da hinüber bekamen, haben gewirtschaftet wie die Räuber und werden jetzt das Geschäft fortsetzen. Unter dem Vorwand, daß ich zur kaiserlichen Partei gehöre, – was gar nicht einmal der Fall war, konfiszierten sie mir meine zwei Hazienden – mußten sie dann aber natürlich wieder herausgeben, und ich war froh, als ich sie endlich, wenn auch kaum zu ihrem halben Werte, an einen Amerikaner verkaufen konnte. Nein – ich habe jetzt das Elend in unserem Vaterland fast an die zwanzig Jahre mit durchgemacht und bin es satt geworden. Der Kaiser will Kolonisten in das Land ziehen – Ave Maria, es wird ihm schwer werden, nur die Leute hier zu halten, die jetzt darin wohnen.«

»Aber das ist nicht möglich!« rief der unfern von ihnen stehende Rodriguez, der sich mit seinem Sohne unterhielt, und die beiden Herren wandten sich ihm zu, um zu hören, um was es sich hier handle.

»Und es ist trotzdem so, Vater,« sagte Feliciano, »denn ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Was ist es, Rodriguez?«

»Die Franzosen,« sagte Feliciano, »haben in den letzten Tagen und vor ihrem Abzug nichts weiter getan, als ihre Munition zerstört, was sie nicht eben mitführen konnten, anstatt sie dem Kaiser zu überliefern.«

»Es sieht ihnen ähnlich,« nickte Bastiani, »aber woher weißt du das, Feliciano?«

»Gestern morgen befahl mir der Kaiser, Zivilkleider anzulegen und ihn auf einem kleinen Spaziergang zu begleiten. Ich wußte nicht, was er beabsichtigte, befolgte aber natürlich rasch den Befehl, und wir schritten dann der Zitadelle zu, in die wir Eintritt verlangten. Der französische Posten, der uns nicht kannte, verweigerte ihn, der Kaiser trat aber ruhig vorwärts, und als die beiden Soldaten einspringen wollten, rief ich ihnen zu: »Seine Majestät!« Die armen Teufel wußten jetzt natürlich nicht, ob die Order, niemanden einzulassen, auch auf den Kaiser ausgedehnt sei – konnten es sich wenigstens nicht denken und ließen uns passieren, und drinnen im Hofe fanden wir jetzt die ganze französische Besatzung emsig damit beschäftigt, ihre Geschosse zu zerschlagen und unbrauchbar zu machen, und das Pulver haben sie in die Sequia geworfen, nur damit es nicht für das kaiserliche Heer zurückbliebe. – Ja, wie mir mexikanische Kameraden versicherten, sind sie so weit gegangen, daß sie auf dem Marsch im Innern ihnen beschwerliche Munition sogar an die Liberalen verkauft haben.«

»Schöne Verbündete!« lachte Bastiani – »und was sagten sie, als sie den Kaiser erkannten?«

»Der kommandierende Offizier,« erwiderte Feliciano, »schien auf das äußerste bestürzt, und mir tat der arme Teufel leid, denn es war nicht seine Schuld. Er hatte nur die Befehle Bazaines auszuführen, aber was konnte er auch machen? Er erkannte den Kaiser natürlich augenblicklich, schon an seinem geteilten Bart und der ganzen imposanten Erscheinung, und die Wache mußte ins Gewehr treten, aber die fatale Arbeit war auch weder zu beseitigen noch zu verheimlichen – eine Unterbrechung hätte nicht einmal genützt, sondern die Sache eher noch verschlimmert. So nahm denn das Zerstörungswerk seinen ruhigen Fortgang, und der Kaiser ging dazwischen herum und sah ihnen mit einem halb sarkastisch lächelnden, halb verächtlichen Blick zu. Es war die größte moralische Niederlage, die sie erleiden konnte, und Bazaine soll außer sich gewesen sein, als er es erfuhr.«

»Daß Bazaine Santa Annas Staatskutsche ebenfalls verkauft hat, wißt ihr doch?« sagte Roneiro.

Die Gesellschaft lachte. »Das ist nicht übel,« rief Rodriguez, »an wen denn?«

»An Almeja – was der damit machen will, weiß Gott.«

»Nun, sein ganzes Mobiliar in Buena Vista hat er ja ebenfalls verkauft, und das gehörte eigentlich der Stadt,« meinte Feliciano. »Er macht alles zu Geld, ja, ich weiß aus guter Quelle, daß eine Masse Kriegsmaterial sogar, und zwar mit besonderer Vorsicht, vergraben ist, wofür er wahrscheinlich von den Liberalen Bezahlung erhalten hat – aber wir wissen den Platz, ein französischer Offizier, dem das doch selbst zu arg erscheinen mochte, hat ihn verraten, und sobald die Herren fort sind, werden wir die kleine Erbschaft antreten. Pfui Teufel, haben sich diese Herren hier noch die letzte Zeit benommen und wirklich ihr Schlimmstes getan, um den Verbündeten ihres Souveräns zugrunde zu richten!«

»Das beste war der Befehl Bazaines,« sagte Bastiani, »daß alle französischen Untertanen als Deserteure betrachtet werden sollten, die in den mexikanischen Korps blieben; und doch sind diese gerade von dem Marschall selber errichtet worden.«

»Es war eine Schmach!« rief Feliciano, »und eine Menge französische Offiziere haben auch dagegen protestiert. Caramba, der Protest ist scharf genug, und der Marschall von Frankreich bekommt darin einige höchst pikante Sachen zu hören – aber er hat ein dickes Fell und beruft sich nur einfach auf die Befehle des Kaisers.«

»Und vielleicht mit Recht!« sagte van Leuwen. »Napoleon soll außer sich darüber sein, daß Maximilian nicht ihm zu Gefallen abdanken will. Die ganze Sache wäre dann glatt verlaufen, er hätte am Neujahrstag wieder eine hübsche Thronrede halten können, wie er die Selbstbestimmung der Völker achte, mit den üblichen Phrasen dabei, und Seine Majestät der Kaiser von Mexiko wäre beiseite geschoben worden.«

»Aber doch nicht alle haben sich den Befehlen des Marschalls gefügt,« rief Feliciano – »hier Freund van Leuwen und viele brave Soldaten sind zurückgeblieben, und wie haben sich der belgische und der österreichische Gesandte bemüht, sie zu bewegen, ihren Kaiser im Stich zu lassen!«

» Diese beiden Gesandten?« rief Ricarda, »das ist doch nicht denkbar. Sind sie denn nicht gerade von ihren Regierungen hierher gesandt worden, um den Kaiser zu unterstützen?«

»Das sollte man eigentlich glauben,« sagte van Leuwen, »dem scheint aber nicht so. Ich weiß wenigstens, daß Monsieur Hooricks, mein Gesandter, mir speziell dringende Vorstellungen gemacht hat, mich nicht diesem unglückseligen Unternehmen anzuschließen, und ebenso taktlos hat sich der österreichische Gesandte Baron Lago benommen. Es scheint überhaupt, als ob beide Regierungen die unfähigsten Männer ihres ganzen Reiches auf diesen doch wichtigen Posten gesandt hätten.«

»Da kommen sie!« rief Rodriguez' jüngster Sohn, ein Knabe von vierzehn Jahren, der bis jetzt an einem der Balkone auf Wache gestanden und das Nahen der Truppen – weniger aus patriotischem Gefühl, als aus Neugierde, mit Sehnsucht erwartet haben mochte – »ich kann schon die Musik hören, und da drängen auch schon die Leute die Straße herab.«

Im Nu füllten sich die Balkone der langen Front des Hauses – die Kinder unten hinter den Gittern, die Damen voranstehend, die Herren hinter ihnen, und bunt genug sahen die Häuserreihen aus – aber wahrlich nicht von Fahnen und Blumenschmuck.

Der General en chef Forey schrieb von Mexiko aus am 10. Juni mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit und Einfachheit an den Kriegsminister Randon:

»Soeben bin ich an der Spitze der Armee in Mexiko eingezogen. Mit noch ganz bewegtem Herzen richte ich diese Depesche an Eure Exzellenz, um Ihnen zu melden, daß die Bevölkerung dieser Hauptstadt – alle miteinander – die Armee mit einem Enthusiasmus empfangen hat, der an Wahnsinn grenzte. Die Soldaten Frankreichs sind buchstäblich von den Kränzen und Sträußen erdrückt worden, wovon nur der Einzug der aus Italien zurückkehrenden Armee in Paris am 14. August 1859 eine Vorstellung geben kann. Ich habe mit allen Offizieren des Generalstabes in der prächtigen Kathedrale dieser Hauptstadt, die von einer unermeßlichen Menschenmenge erfüllt war, einem Tedeum beigewohnt, dann defilierte die Armee in bewunderungswürdiger Haltung vor mir unter dem Rufe: Es lebe der Kaiser, es lebe die Kaiserin! Nach dem Parademarsch habe ich im Regierungsgebäude die Behörden empfangen, welche Reden an mich hielten. Dieses Volk ist hungrig nach Ordnung, Gerechtigkeit und wahrer Freiheit. In meiner Antwort an die Repräsentanten habe ich ihnen das alles im Namen des Kaisers verheißen. Mit der nächsten Gelegenheit werde ich die Ehre haben, Ihnen weitere Details über diesen in der Geschichte beispiellosen Empfang zu liefern, der die Bedeutung eines politischen Ereignisses von unermeßlichem Nachhall hat. Der General en chef Forey.«

Ganz von der bodenlosen Arroganz und Übertreibung dieses Berichtes abgesehen, der nur insofern etwas Wahres hatte, als die Hautevolee in Mexiko, also die Konservativen und Klerikalen, die damals einrückenden Franzosen allerdings mit Zurufen und Blumen begrüßten, während die in der Minorität befindlichen Liberalen und das überhaupt nicht in Betracht kommende Volk sie nur düster und schweigend empfing – welch ein Unterschied zwischen heute und damals, und doch lagen nur wenige Jahre dazwischen.

Die Damen Mexikos, die meist in ihre Rebozos gehüllt auf den Balkonen lehnten und aus Neugier den Abzug der Truppen beobachteten, hatten keinen Gruß, keine Blume mehr für die Scheidenden – kein Tuch wurde ihnen geweht, keine Fahne geschwenkt. Hier und da von irgendeinem Hotel, wo sich französische Damen befanden, versuchte man wohl eine schwache Demonstration, aber diese einzelnen Beifallsrufe machten – wie ein düster brennendes Licht in einem weiten Saal die Dunkelheit – so hier die öde, unheimliche Stille, die auf der Menschenmasse lag, nur noch bemerkbarer, und wenn diese nicht in Flüche und Verwünschungen über die bisherigen Unterdrücker ausbrach, so war es nur die Furcht vor den scharfen Waffen, die sie davon zurückhielt.

Was freilich konnten die französischen Soldaten dafür? Sie hatten sich wacker wie immer geschlagen und Gefahren und Entbehrungen mit bewunderungswürdiger Ausdauer ertragen. Sie waren nicht verantwortlich für die faule Politik ihres Kaisers, für das mehr als zweideutige Benehmen ihres Höchstkommandierenden, und selber froh, diesem unerquicklichen Zustande hier in Mexiko enthoben zu sein, wo sie recht gut fühlten, wie verhaßt sie dem ganzen Volk geworden, zogen sie jetzt wieder leichten Herzens der Heimat entgegen.

Voran dem Zug ritt der Marschall von Frankreich, von seinem ganzen glänzenden, mit Orden bedeckten Stab gefolgt, und war das Volk still und teilnahmlos, so mußte die Militärmusik dafür desto rauschenderen Lärm machen. Wohl warfen die Offiziere nach den Balkonen freundliche Blicke und auch wohl Kußhände hinauf, aber verächtlich drehten die mexikanischen Damen die Köpfe ab, und die galanten Herren durften sich keines Grußes der dunklen Augen rühmen.

So zogen sie vorbei durch die Calle San Francisco und Calle de los Plateros der Plaza zu, und über diese hin, am Palacio vorüber bei der Garita San Antonio hinaus.

So still und schweigend aber auch fast sämtliche Bewohner der Stadt den Abzug der Unterdrücker hinnahmen, an einem Haus in der Calle de los Plateros hatte es sich der Besitzer nicht versagen können, ein Zeichen seiner innigen Freude anzubringen, und das war an dem des wackeren Don Pedro Gaspard, des »Hoffriseurs« der Kaiserin und Gapuchin oder Altspaniers von Grund der Seele aus. Er haßte die Franzosen nicht allein deshalb, weil sie seinen Kaiser schlecht behandelt und die unglückliche Kaiserin zum Wahnsinn getrieben hatten, sondern auch schon, weil er – vielleicht mit etwas Übertreibung, von ihnen behauptete, daß immer »der dritte Mann Friseur wäre«. Er hatte es sich deshalb auch nicht versagen können, an seinem Hause – und zwar aus Vorsorge Transparent, weil er sie in Verdacht gehalten, daß sie bei Nacht abmarschieren würden – ein kleines rundes Schild mit den mexikanischen Farben anzubringen, auf dem nur die zwei, aber doppelt unterstrichenen Wörter standen »bon voyage« – darum her aber hatte er einen Kranz von gelben Totenblumen angebracht. Über dem Schild nun stand er auf seinem kleinen Balkon, betrachtete sich mit innerlicher Schadenfreude den Abzug der verhaßten Nation und beobachtete den Eindruck, den die spöttische Inschrift auf sie machen würde.

Links von ihm, am anderen Balkonfenster, stand seine junge Frau mit ihrer bildhübschen Schwester. Don Pedro täuschte sich aber doch über die Wirkung, denn die Franzosen lachten, als sie vorübergingen, und warfen dem finster dreinschauenden Friseur sowie den beiden jungen Damen nebenan auf das unverschämteste Kußhände zu. Sie schienen den unverkennbaren Ingrimm des kleinen Mannes mit dem großen Lockenkopf gar nicht zu beachten, oder sich am Ende gar noch darüber zu amüsieren, und Don Pedro hatte seinen Zweck vollkommen verfehlt.

Unter der Menge, die dem Zuge folgte, befand sich auch ein dunkelfarbiger Indianer oder Sambo, der ebenfalls die Blicke fest auf den einen Balkon geheftet hielt, und zwar auf den, auf welchem die Damen standen, ohne daß man ihn jedoch von da beachtet hätte. Die Menschenmenge hatte sich, den Franzosen folgend, schon auf die Plaza hinausgezogen – der Sambo hielt sich noch immer auf der anderen Seite der Straße und schien endlich die Geduld zu verlieren. Er trat mitten auf den Weg und nahm den Hut ab.

Die Damen waren auf dem Balkon stehen geblieben, um die Anzüge auf den übrigen zu mustern, aber die einzelne Gestalt mußte ihre Aufmerksamkeit dorthin lenken. Cornelias Schwester wenigstens bemerkte ihn und sagte lächelnd zu ihr:

»Hat der schwarze Sennor da unten dich gegrüßt?«

Cornelia warf nur einen Blick auf ihn, aber sie hatte ihn im Nu erkannt und war auffällig blaß geworden. In diesem Augenblick trat Don Pedro zu seiner Frau und Schwägerin heraus und sagte, sich vergnügt die Hände reibend:

»So, Sennoritas, die Herren wären wir endlich los, nachdem sie freilich alles nur erdenkliche Unheil angerichtet; aber wiederkommen werden die nicht, davor sind wir sicher. – Wohin willst du, Cornelia?«

»Ich komme gleich zurück – ich – hole mir nur ein Taschentuch!«

Die Schwester sah ihr etwas erstaunt nach, denn Cornelia hatte ihr Taschentuch bis dahin in der Hand gehalten, und wie von einem Plötzlichen Gedanken ergriffen, suchte ihr Blick den Sambo unten. Dieser aber schritt jetzt langsam, den Balkon nicht weiter beachtend, auf das Haus zu, als ob er in den Laden wolle. Don Pedro plauderte indessen da oben nach Herzenslust von allen Stadtneuigkeiten, die Mexiko gerade damals in solchem Überfluß erfüllten – glücklicher Mensch, er war nur selig, daß er die »französische Nation« los wurde, die ihm bis dahin wie ein Alp auf der Brust gelegen. – Die französischen Friseure gingen freilich trotzdem nicht mit, denn in der Stadt wimmelte es noch von ihnen.

Seine Schwägerin blieb neben ihm auf dem Balkon stehen und hörte ihm zu – leise bog sie sich ein klein wenig nach rechts, daß sie die Haustür im Auge behielt.

Der Sambo stand dort. Da wurde der Riegel von innen zurückgeschoben – sie konnte das Geräusch deutlich hören – und eine Hand streckte sich heraus, die ein Papier hielt – es war die Hand ihrer Schwester. Im nächsten Augenblick hatte der Sambo das Papier unter seinem Poncho und schritt damit, rascher als er bisher gegangen, die Straße hinab. –

Die Gesellschaft in Rodriguez' Haus war indessen mit ihren Blicken der langen französischen Kolonne gefolgt, bis sie auf die Plaza einbog und ihren Augen entschwand.

Van Leuwen und Ricarda hatten sich auf dem einen Balkon mit einigen von Rodriguez' jüngeren Kindern zusammengefunden.

»Und so ganz ohne Abschied wollten Sie uns verlassen und nach Europa zurückkehren?« sagte das junge Mädchen, als Bazaine mit seinem Stabe vorüber war und der Anblick dadurch seinen Reiz verlor – »war das auch recht von Ihnen?«

»Ricarda,« sagte da van Leuwen bewegt, »ich wagte es nicht, Ihnen wieder unter die Augen zu treten, denn wir Fremden haben Ihrem Lande keinen Frieden gebracht, sondern ihm nur viel – o, so entsetzlich viel Blut gekostet! Ich fürchtete, daß Sie uns alle hassen würden.«

»Und ist Ihr Kaiser, ist Ihre Kaiserin auch deshalb zu uns gekommen?« sagte Ricarda weich – »haben sie nicht alles geopfert, was einen Menschen an dies Leben fesseln kann, und treu und ehrlich die ganze Zeit gehalten, was sie uns versprochen? Glauben Sie, daß wir Mexikaner keinen Unterschied zwischen denen zu machen wissen, die es wirklich gut mit uns meinen, und solchen, die nur der Ehrgeiz und die Eroberungslust eines einzigen bösen Mannes herübergetrieben?«

»So zürnen Sie uns nicht?«

»Zürnen!« sagte Ricarda wehmütig, »ich lebe nun so lange in Mexiko und bin wohl ein stiller, aber aufmerksamer Zeuge des Kampfes gewesen, den Ihr braver Kaiser hier gegen eine Unmöglichkeit angekämpft hat: nämlich das mexikanische Volk für die Sache seines eigenen Vaterlandes zu begeistern. Nehmen Sie meinen Onkel, er ist ein so braver, ehrenhafter Mann, wie sie ihn nur im weiten Reich finden können, und dennoch hat er kein Herz für das Land, in dem er geboren wurde, für das Volk, das ihn umgibt und aufwachsen sah. Nur sein eigenes Interesse wie das seiner Partei leitet ihn. – Die Angst, daß die konservative Partei einen Teil ihrer Rechte und Besitztümer verlieren könne, trieb ihn, zuerst für den Kaiser mitzustimmen – neigte ihn dann wieder dessen Feinden zu, und hat ihn jetzt wieder bewogen, alle Mittel aufzubieten, Maximilian im Lande zu halten. Er ist kein besonderer Freund des Klerus und vollkommen dagegen, daß diesem die liegenden Gründe wieder überwiesen würden, aber er geht jetzt trotzdem Hand in Hand mit der Geistlichkeit, weil er in dieser, eine Unterstützung auch für seine Interessen zu finden glaubt. – Und so sind sie alle – alle,« setzte sie, traurig mit dem Kopf schüttelnd, hinzu, »und Ihr armer Kaiser, wenn er seinen Worten, treu bleibt, wird und muß in diesem Lande untergehen.«

»So glauben Sie nicht, daß er imstande ist, eine wirkliche Nationalarmee zu schaffen, die seinen Thron stützen und seinen Feinden beweisen kann, daß er auch ohne fremde Bajonette imstande wäre, die mexikanische Fahne hochzuhalten?«

»Nein,« sagte Ricarda ruhig. – »Er wird einzelne finden, die treu und ehrlich zu ihm halten – und ich glaube, daß Feliciano einer von diesen ist – aber er wird die Masse nur an sich zu fesseln vermögen, solange das Glück ihm treu bleibt – länger nicht. Das eben ist ja das Unglück unseres schönen Landes, daß hier keine Treue und kein Glauben herrscht. Der Verrat ist den politischen Führern zur zweiten Natur geworden. – »Er hat sich pronunziert,« sagen die Leute einfach, wenn ein General eine Handlung begeht, die ihn in jedem europäischen Lande für ewig infam machen würde – das heißt, er hat seinen Fahneneid gebrochen und sich zeitweilig, weil es ihm gerade paßte und er seinen eigenen Nutzen dabei sah, entweder der Partei des Gegners angeschlossen oder auch auf eigene Hand einen kleinen Raubzug unternommen. – Es ist möglich, daß ich zu schwarz schildere,« setzte sie rasch hinzu – »ich will es zu Gott hoffen, denn es wäre fürchterlich, aber was ich bis jetzt vom Lande gesehen, wo sich doch alles um die Hauptstadt dreht, drängt mir fast die Gewißheit solcher Zustände auf. Selbst die Jugend ist schon in Grund und Boden hinein verdorben, und Sie haben da die Beispiele an dem jungen Lucido wie Almeja, die den edelsten Familien des Landes angehören; was können Sie da von anderen erwarten?«

»Und trotzdem halte ich aus!« rief van Leuwen. »Es ist möglich, daß wir untergehen, aber solange der Kaiser sein Ziel nicht aufgibt, bleibe ich ihm treu, und ich weiß, daß noch viele wackere Herzen so denken wie ich. Der edle Graf Khevenhüller, der wackere Hammerstein und Kodolich haben ihm ihren Arm geliehen, und wenn wir nur ein ganz klein wenig Unterstützung bei Ihren Landsleuten finden, setzen wir es durch. – Der Kaiser will jetzt einen Nationalkongreß berufen.«

»Hallo!« lachte in diesem Augenblick Rodriguez, der zu diesem Fenster hinübergetreten war und da das junge Paar im eifrigen Gespräch fand – »treibst du Politik, Ricarda, und verhandelt ihr über den Nationalkongreß? – Darüber zerbrecht Euch den Kopf nicht, Kinder, denn aus dem wird im Leben nichts.«

»Und hat nicht das Ministerium dem Kaiser versprochen, ihn zusammenzurufen?« rief Ricarda fast heftig aus.

»Ja, das hat es,« nickte Rodriguez, »weil sie ihm eben alles versprochen haben, was er verlangte, aber eine Unmöglichkeit können sie deshalb doch nicht erzwingen. Die Liberalen haben die ganzen nördlichen Distrikte nicht allein besetzt, sondern sind auch schon wieder an unsere Grenzstaaten vorgedrungen, und ist es nun denkbar, daß da heraus die Leute kommen sollten, um für Maximilian zu stimmen?«

»Aber das verlangt er ja gar nicht,« sagte das in Eifer erglühende Mädchen. »Nur ihre einfache ehrliche Meinung sollen sie sagen, und wenn sie die Republik wollen, so geht er einfach und überläßt das Land seinem eigenen Geschick.«

»Jawohl,« nickte Rodriguez, »und die Besitzenden in den Händen der Liberalen. Nein, Herz, das verstehst du nicht – ein solcher Kongreß, wenn überhaupt ausführbar, wäre ein Unglück für das Land – aber er ist auch nicht ausführbar und nur eine von des Kaisers recht gut gemeinten, aber phantastischen Ideen. – Es kommt eben niemand, und die Sache verläuft – da sogar der Klerus nicht einmal damit einverstanden ist – im Sande.«

»Hatte ich recht?« sagte Ricarda leise und wehmütig, als sie zu van Leuwen aufsah – »armer Kaiser!«

Über die Plaza marschierte das abziehende Heer der Franzosen und an dem Palast des Kaisers vorüber, aber überall an den kaiserlichen Zimmern waren die Vorhänge niedergelassen, und kein lebendes Wesen ließ sich dort erkennen. An dem Flügel wohl, wo die Dienerschaft wohnte, waren einige Balkone mit Lakaien und weiblichen Dienstboten gefüllt, aber selbst die kaiserlichen Beamten hatten Takt genug gehabt, sich nicht da draußen zu zeigen.

Unten vorüber ritt der Marschall und warf einen mürrischen Blick nach den geschlossenen Fenstern hinüber – die Musik hatte gerade aufgehört zu spielen, und laut und deutlich schallte der schwere, gleichförmige Schritt der Massen über die Plaza. Der Marschall winkte – nicht so wollten und durften sie die Stadt verlassen, sondern mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel. Das Musikkorps setzte wieder zu einem wilden, stürmischen Marsch an, mit schmetternden Trompeten und dröhnenden Paukenschlägen, als ob es die Schläfer da drinnen in dem totenstillen Palaste aus ihrer Ruhe aufschrecken wolle. – Umsonst – die Gardinen blieben fest verschlossen, kein Gruß des kaiserlichen Herrn verabschiedete die Truppe – kein Dank – den der gemeine Soldat und die unteren Offiziere wohl verdient hätten, begleitete sie auf ihren weiten und noch mühseligen Weg.

Still und gedrückt marschierten aber auch die Soldaten an dem Palast vorüber, denn sie wußten selber recht gut, daß sie hier ein unerfülltes Versprechen, ein gebrochenes Wort zurückließen. Die niedergelassenen Vorhänge waren der stille Vorwurf, der – wenn er ihnen auch nicht galt, doch sie mit traf. Sie selber verließen ja wohl gern das Land, das ihnen allerdings Siege, aber nie einen Erfolg gebracht, aber sie sahen auch alle im Geist den zürnenden Monarchen, den ihr Kaiser in das Land gerufen, und den sie jetzt, von mehr und mehr herandrängenden Feinden bedroht, allein und fast schutzlos zurückließen.

Doch die Trompeten schmetterten drein, die große Trommel schlug den Takt dazu, und vorbei defilierte das Heer, die Tore Mexikos zu erreichen. Hinter den niedergelassenen Gardinen aber stand Maximilian, die linke Hand auf dem Rücken, mit der Rechten nur eben den Vorhang genug zurückgehalten, um hindurchzusehen, und schaute still und schweigend, und einen recht bitteren Zug um die Lippen, auf das Heer seiner Verbündeten hinab, bis auch der letzte Mann verschwunden war.


 << zurück weiter >>