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Wie nach dem wilden Schlag eines Unwetters, das uns das Blut in den Adern stocken ließ, fast immer Ruhe in der Natur eintritt, so schien alles Leid, das der Himmel für die Liebenden in den dunklen Wolken verborgen hatte, an diesem furchtbaren Tage entladen zu sein. Mit dem fast noch während des Sturmes einsetzenden Ostpassat hätte der »Delaware« eine lange Zeit gebraucht, um wieder gegen die Insel aufzukreuzen. Das war aber nach den bisherigen Erfahrungen nicht mehr zu erwarten. Wenn auch Mr. Osborne durch das eigentümliche Verschwinden seines Kollegen beunruhigt war, so hinderte ihn das doch nicht, das junge Paar zu trauen.
Von dem Tag an gehörte René zu den Söhnen des Landes, und selbst Raiteo hatte es nicht mehr gewagt, verräterisch zu handeln – jedenfalls nicht unter gewöhnlichen Umständen.
Am meisten erstaunt waren die Insulaner über das Verschwinden des finsteren Mitonare. Mr. Osborne wollte schon die betrübliche Nachricht seines Todes nach Tahiti melden, als René einsah, ihm Einzelheiten des Falles erzählen zu müssen. Bald darauf kam auch die Nachricht von Bola-Bola, daß er dort glücklich gelandet war, und der Missionskutter wurde dorthin beordert. Mr. Rowe wollte Atiu unmittelbar nach diesen Vorfällen nicht mehr aufsuchen.
Das junge Paar verschwendete auf ihn keinen weiteren Gedanken mehr. Mr. Osborne hatte Mühe, den übermütigen René selbst während der kirchlichen Feier im Zaum zu halten. Mitonare Ezra trippelte ständig, um ihn herum und wollte den rastlosen Wi-wi nur ein einziges Mal fest und ruhig halten, wie es einem anständigen Christen, der er ja doch einmal werden würde, geziemte.
Im Taumel vergingen die nächsten Monate. Die Rückkehr des Missionars Rowe von seinem unfreiwilligen Ausflug entlockte René kaum noch ein Lächeln. Der Mann war ihm gleichgültig geworden. Er war jetzt mit dem Bau für seine eigene kleine Heimat beschäftigt. Dabei war er ein neuer Mensch geworden und hatte die Brücke hinter sich abgebrochen, die ihn bis dahin noch mit der Außenwelt verbunden hatte.
So verging schließlich fast ein volles Jahr. Mr. Osborne begann selbst zu glauben, daß der Groll Rowes gegen die Verbindung der jungen Leute durch das unruhige, politische Treiben in der Hauptstadt in Vergessenheit geraten sei. Seit dem Vorfall hatte er sich zu keiner Revision mehr blicken lassen. Da traf ein großes, versiegeltes Schreiben des »Board of Missionaries« aus England ein. Es war die Abberufung von Atiu und Versetzung nach Tahiti, gewissermaßen unter die Aufsicht der dortigen Missionare. In der oberen Leitung, die sich auch stark politisch betätigte, hatte Bruder Rowe eine besondere Stellung. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf Mr. Osborne deshalb diese Nachricht.
Es war zugleich eine Trauerbotschaft für die ganze Insel. Der kleine Mitonare setzte sich in seine Lieblingsecke im Haus und fing an, bitterlich zu weinen. Sollte er doch jetzt seinen alten Freund und Gönner, Bodder O-no-so-no verlieren und vielleicht einen anderen dafür bekommen! Vielleicht gar den »Bodder Aue«? Ihn überlief ein kalter Schauer.
Sadie hatte vor kurzem ein Mädchen geboren. Wenn es noch möglich gewesen wäre, Renés Glück zu erhöhen, so nur durch die Vaterfreuden. Er war der einzige, der in der Übersiedlung nach Tahiti nichts Schlimmes sah. Es war für ihn klar, daß sie den alten Mann nicht allein ziehen lassen würden. Zwar war auch ihm der Platz lieb und teuer geworden, aber mit seiner Sadie und seinem Kind wußte er, daß er auch auf der Nachbarinsel wie im Paradies leben konnte. Ungern schied er von ihrem Lieblingsplätzchen, das so viele Erinnerungen für sie barg. Wenn er es auch nicht zugeben mochte, so entschädigte ihn doch der Wechsel seines Aufenthaltes etwas für die liebgewonnenen Stellen.
Anders war es bei Sadie. Ihr ganzes Herz hing an der heimatlichen Küste. Jedes Blatt, jede Blume, die sie hier zurücklassen mußte, tat ihr weh. Sie hegte eine heimliche, ihr selbst unerklärliche Angst vor Tahiti. Nur einmal war sie mit ihrem Pflegevater dort gewesen. Das Leben und Treiben der fremden, bewaffneten Männer dort, das kecke Auftreten ihrer Landsmänninnen, die ewigen Streitereien zwischen den Eingeborenen und Missionaren hatten sie tief abgestoßen und verletzt. Sie war damals froh gewesen, als der kleine Missionskutter endlich wieder die Anker lichtete und dem heimatlichen Strand entgegenstrebte. Das Land sollte ihre künftige Heimat werden? Sie konnte sich kaum an diesen Gedanken gewöhnen. lange stand sie mit ihrem Kind im Arm auf dem Plätzchen am Seestrand. Hier war sie glücklich gewesen, was konnte ihr die ferne Insel bieten? Es war für alle ein schmerzlicher Tag, als der kleine Missionskutter endlich unter Segel ging. Die Insulaner standen am Strand und winkten mit ihren Tüchern und riefen ihr »Joranna, Joranna!« über das blaue Wasser. Sadie saß an Deck, ihr Kind auf dem Schoß, und sah die Wipfel ihrer Palmen langsam in das Meer tauchen, dann die Hügel. Als die Nacht hereinbrach, saß sie noch in bitterem Schmerz an der gleichen Stelle. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. René störte sie nicht in ihrem Gram und quälte sie auch nicht mit nutzlosem Trost. Er setzte sich schweigend neben sie. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und weinte sich ungehindert aus.
Die Reise war kurz und ohne Zwischenfälle. Mr. Osborne fand auf Tahiti freundliche Aufnahme. Man kannte ihn in seinem neuen Wirkungskreis bereits, und die Insulaner mochten ihn. Sein zu Herzen gehendes, väterliches Wesen entsprach ihnen wesentlich mehr als der starre, finstere Ernst der anderen Geistlichen. Von der Königin Aimata, die den Beinamen Pomare trug, wurde ihm ein wohnliches Plätzchen mit Haus und Garten angewiesen. Doch bald erkannte er den großen Unterschied zwischen den fast kindlichen Bewohnern Atius und den durch europäische Unsitten verdorbenen Kindern Tahitis. Dazu kamen noch die verschiedenen, sich feindlich gegenüberstehenden Geistlichen, die sie in ihrem Glauben störten.
Bruder Rowe ließ ihn fühlen, daß er Atiu und die Zwischenfälle noch lange nicht vergessen hatte. Mr. Osborne tat seine Pflicht und widmete sich seinen nicht gerade leichten Aufgaben.
Dazu kam noch der zu dieser Zeit verwickelte politische Zustand der Insel, der durch den übergroßen Eifer der Missionare herbeigeführt worden war. Ich will ihn hier dem Leser, ehe ich meine Erzählung wieder aufgreife, erst einmal vertrauter machen.
Durch die Ankunft europäischer Schiffe wurden innere Kämpfe hervorgerufen und genährt, durch die mitgebrachten Feuerwaffen bald in tödlicher Form. Schon vor der Einführung des Christentums und der Ankunft der christlichen Missionare gab es einen Parteienhaß, der Jahrzehnte unter der Asche glimmend lag, aber nur einen Anlaß suchte, um wieder hervorzubrechen und mit erneuter Kraft das schöne Land zu verwüsten.
Otu, der aus einer merkwürdigen Idee den Namen PomareDer König schlug einmal sein Lager in den Bergen auf. Der Platz war jedoch dem Tau und der starken Zugluft ausgesetzt. In der Nacht erkältete er sich und bekam einen Husten. Dadurch nannte einer der Höflinge diese Nacht eine Husten-Nacht (po = Nacht, mare = Husten). Dem König gefiel vielleicht der Klang des Wortes, vielleicht hatte er auch eine andere Ursache. Jedenfalls beschloß er, sich von nun an Po-mare zu nennen. Der Titel ist dann als erblicher Titel an seine Nachkommen weitergegeben worden. angenommen hatte, machte sich nach der Vertreibung des rechtmäßigen Königsstammes zum obersten Häuptling, zum Arii rahi oder König der Inseln. Es gelang ihm durch die Unterstützung der gerade eintreffenden europäischen Schiffe, seine Stellung auszubauen und die Königswürde für sein Geschlecht erblich zu machen. Doch die Häuptlinge des anderen Stammes lebten noch und schürten die Unruhe im Lande. Besonders der Sohn Otus, Pomare II., fand kräftige Unterstützung durch die fremden weißen Männer, deren Religion er sofort annahm, ohne sich jedoch danach wirklich zu richten. Er starb dann auch bald an den Folgen seines ausschweifenden Lebens. Es gab durch ihn sogar höchst unchristliche Kriege um sein Götzenbild des Oro. Dadurch brach eine Revolution aus, der König wurde vertrieben, die Mission zersprengt. Der Verlust seiner Macht wurmte den König. Er warf jetzt das Heidentum ab, bekehrte sich öffentlich zum Christentum und führte es mit Hilfe seines Oberpriesters Tati, der die anvertrauten alten Götzenbilder verbrannte, auch auf den anderen Inseln ein.
Er starb am 30. November 1821 und hinterließ einen Sohn von 18 Monaten. Die Missionare hofften ihn in ihrem Sinne erziehen zu können. Um die Macht in den Händen zu behalten, übertrugen sie die Regentschaft an seine Tante, da auch die Mutter schon gestorben war. Aber auch der junge Prinz starb bald, im Jahre 1827. Die strenge, fremde Lebensweise, in der er aufgezogen wurde, vertrug sich nicht mit seiner schwächlichen Natur. Nicht ohne Einfluß seiner Lehrer rief das Volk jetzt Aimata, die Tochter ihres vorigen Königs und Schwester des Verstorbenen, zur Herrscherin aus.
Nur gezwungen fügten sich die alten Häuptlinge des anderen Königsstammes. An ihrer Spitze stand Tati, der durch den Tod des jungen Fürsten neue Hoffnung auf den Thron hegte. Aber das Christentum war schon zu mächtig geworden, die Missionare hatten einen großen Einfluß auf die Bewohner und besonders die Frauen gewonnen. So verschwand jeder andere Anspruch auf die Krone der jungen, schönen Königin.Aimata oder Pomare IV. ist etwa 1812 geboren und war erst mit einem Häuptling von Tahaa verheiratet von dem sie sich wieder scheiden ließ und dann einen Häuptling von Huaheine, einer Nachbarinsel, heiratete.
Obwohl die englischen Missionare so taten, als ob sie keinen politischen Einfluß ausübten, waren sie schon seit der Krönung des früheren, jungen Herrschers die eigentlichen, regierenden Herren auf Tahiti. Sie gaben Gesetze heraus und verwalteten die Kassen des Landes. In ihren Händen lag der Haupthandel der Insel, denn ihre Unterstützung wurde ihnen vom Mutterland natürlich nicht in Bargeld, sondern in englischen Waren ausgezahlt. Die verkauften sie auf der Insel mit kräftigem Gewinn. Da drohte ihnen im Jahre 1836 die Gefahr, alles zu verlieren. Heimlich waren die beiden katholischen Priester Laval und Caret von den Gambier-Inseln kommend auf Tahiti gelandet. Als sie dem Befehl der Königin nicht weichen wollten, wurden sie mit Gewalt auf ein kleines Fahrzeug geschafft und entfernt.
Diese Tat sollte nicht ohne traurige Folgen für die Inseln bleiben. Die religiöse Unduldsamkeit der Missionare öffnete dem schon darauf wartenden Feind die Tore. Frankreich erhielt nämlich dadurch den Vorwand, seinen Handel und seine Religion auf den Inseln zu festigen. Die Insel lag günstig für die Schiffahrt und sollte besetzt werden. Admiral Du Petit Thouars erhielt den Befehl, ein kleines, friedliches Reich zu unterwerfen. Im August 1838 ankerte die Fregatte »Venus« auf der Reede von Papeete, und Du Petit Thouars erklärte der Königin Pomare in einem Schreiben, daß er gekommen sei, um für die Behandlung der französischen Untertanen Genugtuung zu fordern. Er verlangte eine christliche Entschuldigung der Königin, die Summe von zweitausend spanischen Dollar als Entschädigung für die Priester und die Begrüßung der französischen Flagge mit einundzwanzig Kanonenschüssen. Widrigenfalls drohten die Mündungen der Geschütze Vernichtung für den offen und schutzlos daliegenden Strand.
Die arme Pomare hatte keine Wahl. Sie schrieb den Brief, erbat sich das Pulver selbst von der französischen Fregatte für die Salutschüsse, und die Missionare, die bei einer Beschießung am meisten betroffen wären, sammelten das Geld untereinander und bei Engländern und Amerikanern auf den Inseln. Aber Du Petit Thouars war damit nicht zufrieden. Er erzwang außerdem auch noch einen Vertrag, durch den alle Franzosen, gleich, welches Gewerbe sie betrieben, sich auf der Insel niederlassen und freien Handel treiben durften – also auch katholische Missionare. Ein bald nach ihm kommendes Kriegsschiff unter Kapitän La Place ging noch weiter und verlangte volle Religionsfreiheit für alle Katholiken sowie einen Bauplatz für eine katholische Kirche. Natürlich bewilligte man auch das.
Wenn auch die protestantischen Missionare diese Vorgänge finster dulden mußten, so gab es doch eine Partei auf Tahiti, die mit Freude einen Wechsel in den politischen Verhältnissen herannahen sah. Das waren die alten Häuptlingsfamilien, die die Herrschaft der Priester nur mit heimlichem Grimm geduldet hatten. Nicht zu Unrecht hofften sie, daß die fremden Priester den Einfluß dieser stolzen Männer brechen würden. Dann wäre auch der Thron der Pomare nicht mehr fest. Aber noch hatten die englischen Missionare die Zügel in den Händen. Als das französische Kriegsschiff die Küste wieder verlassen hatte, donnerten sie von den Kanzeln mit allem Grimm des hartnäckigen Fanatikers gegen die neue Lehre. Deren Symbole stellten sie neben die heidnischen der Insulaner.
Die katholische Religion machte nur wenig Fortschritte, die protestantischen Missionare behaupteten ihre Macht. Die unruhigen Häuptlinge warteten ungeduldig um endlich einen Schlag gegen die Macht der Pomare zu führen.
Einen halben Bundesgenossen hatten sie in dem früheren amerikanischen, jetzt französischen Konsul Mörenhout gewonnen. Der stand dem Einfluß der Protestanten entgegen und hoffte auch auf seine eigene Förderung durch die Herrschaft der Franzosen, unter deren Protektorat er die Inseln bringen wollte. Ob er seine Pläne jedoch seinen Freunden, den Häuptlingen, mitteilte, ist nicht bekannt. Im September 1842 kam aber Admiral Du Petit Thouars mit der Fregatte »Reine blanche« zurück und stellte aufgrund fadenscheiniger Dinge neue Forderungen. Jetzt gingen die vier Häuptlinge Tati, Raiata, Utami und Hitoti mit Mörenhout an Bord und unterzeichneten dort einen Vertrag. Darin baten sie den Admiral, ihre Inseln unter den Schutz seines Königs zu nehmen. Der sollte ihnen die Religionsfreiheit und ihre Rechte garantieren.
Die Königin Pomare stand kurz vor ihrer Entbindung. Da traf die Drohung des französischen Admirals ein, zehntausend Dollar Entschädigung für erlittene Unbill zu zahlen, oder die Inseln würden im Namen Sr. Majestät des Königs von Frankreich in Besitz genommen. Gleichzeitig wurde verkündet, daß jeder, der das tahitische Volk mit Wort und Tat gegen die französische Regierung einnehmen wollte, von den Inseln verbannt würde. Damit wurden den protestantischen Missionaren die Hände gebunden.
Gerade zu diesem Zeitpunkt war der Mann abwesend, der bis dahin den größten Einfluß als protestantischer Geistlicher und mehr noch als irdischer Richter auf die Königin gehabt hatte. Mr. Pritchard war nach England gegangen, um die englische Regierung für das kleine Inselreich zu interessieren und es gegen die wohl vorhersehbaren Übergriffe katholischer Priester und französischer Kriegsschiffe zu schützen.
Die Missionare hofften um so mehr auf diese Hilfe, damit durch die Ungerechtigkeit des französischen Befehlshabers nicht dem englischen Volk auch der letzte Einfluß auf diese Inseln entzogen werden konnte. Kaum hatte Du Petit Thouars die Inseln wieder verlassen, als sie auch den abgeschlossenen Vertrag, weil erzwungen, für null und nichtig erklärten und die Eingeborenen immer mehr aufstachelten.
So stand die Lage im Herbst des Jahres 1843. Während die Bewohner Tahitis teilweise Partei für ihre Missionare ergriffen, teilweise abwarteten, arbeiteten die Protestanten unverdrossen an ihrem Ziel. Die unruhigen Häuptlinge versuchten vergeblich, den Konflikt zu ihren Gunsten auszuweiten. Die Franzosen hatten versprochen, daß sie ihre Bundesgenossen werden und sie in ihren gerechten Ansprüchen unterstützen würden. Jetzt festigten sie nur die eigene Macht und verbreiteten ihre Religion. Was kümmerte aber die Häuptlinge ein neuer Name Gottes!