Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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12. Sadie und René

Wie frei hebt sich uns die Brust, wenn wir dem wilden wüsten Treiben von Haß und Sünde, Leichtsinn und roher Sinnlichkeit den Rücken kehren und dem unentweihten Wald zustreben! Noch haben wir nicht alle bunten Gruppen hinter uns, die zerstreut bei den verschiedenen Hütten, in den kleinen Hainen ihre Orgien feiern. Horch, von da drüben kommt lauter und munterer Trommelschlag unter den Palmen hervor. Lachende Männer- und Mädchenstimmen und jubelnder Chor. Und von dort tönt der scharfe Klang einer kleinen in den Zweigen eines Orangenbaumes aufgehangenen Glocke und der monotone Gesang frommer Hymnen in tahitischer Sprache. Fromme Männer singen dort selbst am Wochentag, weil ja heute die Inseln für den rechten, den »allein selig machenden protestantischen Glauben« gerettet wurden.

Dazwischen kreischt der laute, fröhliche Gesang halbbetrunkener Matrosen, die am Strand wieder neuen Vergnügungen nachgehen. Hier eine Frauengestalt in Angst niedergeworfen vor dem zürnenden Gott, den Blick angstvoll nach oben gerichtet, als ob sie fürchte, daß der rächende Strahl den Zornesworten folgen würde, die der weiße, fromme Mann eben von dem einfachen Kanzelstand niedergedonnert hatte. Dort ein wildes braunes, halbnacktes Mädchen, den Arm leichtfertig um die Schulter eines französischen Soldaten gelegt, der mit ihr schmust.

Widersprüche, wohin das Auge fällt. Nur die Natur ist sich treu geblieben in dem wilden Gewirr. Nur die Natur allein, die Gottes Größe und Güte predigt in jeder Zeit und ihre Gaben liebend ausstreut über die Kinder des Allmächtigen, gleich, welcher Sekte sie angehören. Ihr ist es auch gleich, welchen Namen die Lippen flüstern, wenn das Herz staunt über ihre Wunder, gleichgültig, ob sie ihre Stirnen nach Westen oder Osten zum Gebet neigen – beten sie doch alle zu ihm.

Je weiter wir das wirre Treiben Papeetes hinter uns lassen, verschwimmen die Dissonanzen von Hymne und Trommel in dem gewaltigen Donner der ewigen Brandung und dem leise flüsternden Rauschen der Blätter und Palmenkronen. Weit draußen am wunderschönen Strand, wohin kaum der Schall des Geschützes vom Morgen drang, hatte René seine Hütte gebaut. Es war ein nicht großes, aber geräumiges Haus, dicht in den Schatten von Frucht- und Blütenbäumen hineingeschmiegt. Dort wohnte er mit seiner kleinen Familie und dem alten, ehrwürdigen Mr. Osborne. Selbst Sadie fühlte sich hier wieder wohl und glücklich. Der Platz war so freundlich und lieb, fast wie Atiu, nur daß ihm die Erinnerungen fehlten.

Es ist ein kleines, unbedeutendes Wort, die Erinnerung, und sie umfaßt doch, wenn wir erst wirklich einmal ins Leben treten, fast alles, was das Herz je teuer und lieb gehalten hat. Was anderes gibt unserer Heimat jenen unendlichen Reiz, der uns nicht lange im fremden Land weilen läßt und uns mit festen, kaum zerreißbaren Banden zurückzieht? Was anderes zaubert uns sonst mit einem Schlag alle die lieben, nie vergessenen Bilder wieder herauf, die unserem Leben damals Licht und Farbe gaben? Verleih einem Platz diese Erinnerungen, und laß es dann die ärmlichste, dürftigste Hütte in einer Wildnis sein, und jede Stütze ist uns teuer, die noch den morschen Bau zusammenhält. Wir kennen da jeden Baum, jeden Stein, und an alles erinnern wir uns. An den Pfad, der hinausführt zu dem stillen, von Linden umlaubten Friedhof, an das Gartenpförtchen, an den Apfelbaum neben der Tür, an die Steinbank oder den murmelnden Bach oder den moosbewachsenen Eimer des Brunnens knüpft sich eine liebe, selige Erinnerung. Je älter wir dabei werden, je weiter das Schicksal uns fortgetrieben hat, desto sicherer bewahrt es seinen Platz in unserem Herzen.

Und ohne diese Erinnerungen? Ja, die Welt ist schön, und überall gründet der unstete Mensch seinen Herd. Überall deckt Gottes unendliche Güte den Boden für ihn mit Speise und Trank. Auch wenn sein Geschlecht blüht und gedeiht, denkt er doch an die Stelle zurück, wo seine Wiege gestanden hat.

Aber Sadie und René waren glücklich. Über ihnen wölbten sich, wie auf Atiu, wehende Kokospalmen und schüttelten den Tau auf die duftenden Blüten der Orangen. Vor ihnen breiteten sich die mit Korallen durchzogenen Binnenwasser der Riffe aus, klar und silberrein wie an der Schwesterinsel. Abends ruderte der junge Mann das Kanu hinaus, und vor ihm saß dann die glückliche Mutter mit dem Kind am Herzen – es waren das frohe, glückliche Stunden.

Daß sie doch nie vergehen würden! Alles auf Erden umfaßt nur eine Spanne Zeit. Während uns die Sonne fröhlich scheint, lagern da schon düstere Wolkenschleier unter dem Horizont, die langsam, aber sicher höher steigen. Es gibt kein ungetrübtes Glück auf dieser Welt, es kann es nicht geben. Schon das Bewußtsein, wie nahe der Wechsel unserem Leben liegt, wie oft an einer Faser alles hängt, was uns gerade noch entzückt, wirft einen trüben Schein selbst auf die froheste Stunde.

Nicht so bei René. Er war ein Kind im Glück und nahm alles mit so frohem, leichtem Herzen an, wie Kinder Spielzeug annehmen, damit lachen und springen und sich nicht darum kümmern, daß es zerbrechen kann. Nach langer, schwerer Zeit, in der er viel dulden und ertragen mußte, erschien ihm jetzt alles wie ein Lohn für das Bestandene. Sorge hatte er nie gekannt, der Augenblick war ihm Lebenstrieb gewesen, dem er folgte. Dem Augenblick gehörte er auch an, und wie er im Unglück nur wenig für sich erhofft hatte, aber trotzdem den Mut hatte, ihm zu begegnen, so dachte er auch im Glück nicht weit hinaus. Er lebte, liebte, das war genug.

Sadie dachte freilich anders. Auf jener stillen Insel herangewachsen, hatte sie kaum ein höheres Lebensziel gekannt, als unter der Palme am Strand zu blühen, zu gedeihen und unter ihrem Schatten in leichter Erde einem neuen, besseren Leben entgegenzuträumen. Da kam René, und mit ihm erschloß sich eine neue Welt für sie. Mit ihm gewann sie etwas, das sie nie geahnt hatte: ein geistiges Leben neben ihrer Palmenwelt. Alles, was sie mit Seligkeit erfüllte, fand in dem einen Herz seinen Ursprung. Und wenn das eine Herz wieder verschwand – nein, sie brachte den Gedanken nie heraus. Wenn er in ihr aufsteigen wollte, floh sie vor sich selbst. Das Gefühl gewann erst wirklich festen Grund in ihr, als ihr ein anderer Schmerz durchs Leben zog, das erste, schwere Leid.

Der alte, ehrwürdige Mr. Osborne, ein Missionar im wahrsten Sinne des Wortes, der Gottes Liebe voll im Herzen trug und Tausenden damit Trost gebracht hatte, litt schwer. Gerade da, wo er Achtung und Anerkennung hätte fordern dürfen, traf er auf harten Grund. Es gab keinen ehrlichen Kampf, sondern nur den Pfeil heimlicher Bosheit, der oft tödlicher trifft als Blei und Stahl. Hin und her auf der Insel geschickt, gekränkt und angefeindet, geärgert und betrübt, erkrankte er. Ehe sich Sadie und René nur auf die Möglichkeit des schmerzlichen Verlustes vorbereiten konnten, ehe sie nur einen Gedanken an die nahe Gefahr verschwenden konnten, machte ein Schlaganfall seinem Leben ein sanftes und nur zu rasches Ende.

Der Schmerz traf tief in ihr junges, bis dahin ungetrübtes Glück. Sadie hatte viel, unendlich viel durch ihn verloren. Auch René betrübte der Verlust des alten, wackeren Mannes, der ihm ein zweiter Vater geworden war. Er hatte ja auch seinetwegen viel ertragen und geduldet. Aber dieser Todesfall war für ihn auch Anlaß geworden, sich nach einer Tätigkeit umzusehen. Sein lebenskräftiger Geist drängte und sehnte sich nach Beschäftigung, und der gebildete Europäer auf diesen Inseln muß sich auch derart beschäftigen, wenn er nicht in dem müßigen Treiben der Insulaner untergehen will.

Kurz vor Mr. Osbornes Tod war ein Teil des Kapitals aus Frankreich in Tahiti eingetroffen. René beschloß jetzt, es in kaufmännischen Spekulationen anzulegen und sich außerdem mit dem Handelsbetrieb auf dieser Insel bekannt zu machen. Es war für die Sicherung seiner Existenz eigentlich unnötig, denn hier führte er ein genügsames Leben. Aber er wollte einen Antrieb haben, der ihn einem gestellten Ziel entgegenführte. Das würde auch dem häuslichen Leben einen höheren Reiz verleihen.

Seine kleine, freundliche Wohnung lag vielleicht eine halbe Meile unterhalb von Papeete dicht am Meeresstrand. Hohe Wi- und Mapebäume umgaben es und gewährten einen freien Ausblick nach Imeo hinüber. Dort hatte er sich sein Nest gebaut und schon mit mancher europäischen Bequemlichkeit ausgestattet. Mußte er auch tagsüber geschäftlich häufiger in die Stadt, so trieb es ihn abends doch immer wieder mit raschen Schritten heimwärts. In den glücklichen Stunden im Kreis seiner Familie segnete er das Schiff, das ihn an diese gastliche Küste geführt hatte, und noch mehr den Entschluß, Freiheit und Leben daran gesetzt zu haben, diesen Boden zu betreten.

So, wie sich sein Wirkungskreis vergrößert hatte, zeigte sich auch bald das Leben ganz anders als auf dem stillen, abgeschlossenen Atiu. Tahiti, und dadurch Papeete, bildeten den Mittelpunkt des Handels und Verkehrs für die südlich vom Äquator gelegenen Inselgruppen. Gerade in letzter Zeit hatten sich mehrere amerikanische und französische Familien hier niedergelassen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses kleinen Inselstaates einen neuen, bis dahin noch nicht gekannten Aufschwung gaben. René gewann durch sein liebenswürdiges Verhalten bald die Herzen derer, mit denen er in Berührung kam. Bald darauf trat er mit einem der Amerikaner und einem der Franzosen in Geschäftsverbindung und wurde herzlich bei ihnen aufgenommen. Besonders den Frauen lag daran, den gesellschaftlichen Verkehr auf diesem abgelegenen Punkt zu unterhalten. Kaum hörten sie, daß René verheiratet sei, als sie auch schon beschlossen, ihn aufzusuchen und die Kontakte verstärkt anzuknüpfen.

René wußte, daß er sich diesem gesellschaftlichen Leben nicht auf Dauer entziehen konnte. Er hatte deshalb schon vor einiger Zeit damit begonnen, Sadie vorzubereiten. Zum erstenmal störte ihn ihre ungezwungene Tracht, die doch dem Klima und der freien Bewegung angepaßt war. Aber in diesen Kreisen wäre es zumindest ein Stein des Anstoßes gewesen, so bekleidet herumzulaufen. Er fürchtete sich zunächst davor, diesen Punkt bei Sadie zu berühren, es konnte sie kränken, wenn sie annahm, daß sie ihm nicht mehr in dem bunten Tuch gefallen würde. Aber Sadie war viel zu vernünftig, um nicht einzusehen, daß ihr Mann in einen anderen Wirkungskreis getreten war und sie sich anpassen mußte.

Die liebe kleine Frau schüttelte zwar zunächst lächelnd darüber den Kopf, aber die neuen Kleider standen ihr sehr gut. Mit dem ihren Landsleuten eigenen Scharfblick fügte sie sich leicht in das Neue und Fremde. Sie bewegte sich bald so, als wäre sie von Kindheit an daran gewöhnt gewesen.

Störend griffen nur manchmal die kirchlichen und dadurch auch wieder politischen Verhältnisse in das Leben der Glücklichen ein. René hätte sich ihnen ganz entzogen, wenn nur die Geistlichen ihn in Frieden gelassen hätten. Die protestantischen Missionare hielten es aber für ihre Pflicht (ein entsetzliches Wort dieser Herren), die junge, im rechten Glauben erzogene Frau unaufhörlich vor dem Abgrund zu warnen, an dem sie stehe. Unglücklicherweise war sie ja in die Hände eines Ungläubigen geraten. René mußte schließlich energisch gegen einen Teil dieser Menschen auftreten. Sie fingen nämlich an, in seinem Haus wie in einem Taubenschlag ein und aus zu fliegen. Dabei waren sie auf dem besten Wege, die arme Frau zu verwirren und sie melancholisch und unglücklich zu machen.

Unter den Geistlichen gab es nur einen, mit dem sich René einigermaßen anfreundete. Es war seltsamerweise zugleich einer der eifrigsten und entschiedensten der ganzen Gesellschaft. Bruder Nelson lebte nur in seiner Mission und behandelte seinen Beruf mit einer Aufopferung, die ihn stets zuletzt an sich denken ließ. Belohnung suchte er nur im Erfolg. Ruhig und fest arbeitete er auch ohne Übertreibung, ohne jenen blinden Eifer an der Besserung und Bekehrung seiner Mitmenschen. Vor allen Dingen gehörte er nicht zu denen, die mit dem Wahlspruch »Ein Tröpfchen Glaube ist besser als ein ganzes Meer voller Wissen« das Volk nur für ihre Worte und Formeln fanatisierten.

René unterhielt sich oft und gern mit ihm, selbst über religiöse Punkte. Interessanten Stoff zur Unterhaltung erhielten beide, als auch einer der französischen Geistlichen, Vater Conet, Renés Haus häufiger besuchte.

Vater Conet war ebenfalls ein liebenswürdiger und toleranter Kopf, der René mehr wegen seiner Gesellschaft aufsuchte, als einen Bekehrungsversuch bei seiner Frau zu unternehmen. Trotzdem gerieten die beiden Herren bei aller Schonung manchmal in einen theologischen Kampf, dem René stets lächelnd zuhörte, ohne sich je hineinzumischen.

Fast betrübte das Sadie, denn sie befürchtete, daß René gleichgültig gegen jede Art von Religion sei. Wie gern hätte sie ihren Mann von dem heiligen Wert ihrer Glaubenslehre überzeugt, aber René küßte ihr nur die Sorgen von der Stirn.

Gerade nach einem solchen Besuch war es wieder, daß ihm Sadie zärtliche Vorwürfe über seinen leichten Sinn machte. Aber René schlang seinen Arm um ihre Hüfte, hob ihr Gesicht zu sich und sagte herzlich:

»Laß sie sich streiten, mein liebes Herz. Laß sie hin und her raten, welchem von ihnen Gott seine Geheimnisse offenbart hat. Aber in unsere Brust soll weder ihr Zweifel noch ihr Fanatismus eindringen. Mit dieser Welt um uns her dürfen wir uns das Leben nicht verbittern. Ich habe es auch satt. Kommen mir die beiden Herren noch einmal in dieser Weise ins Haus, so...«

»So?« sagte Sadie halb unter Tränen lächelnd.

»So lassen wir sie wieder gewähren wie jetzt!« rief René und zog sie an sich. »Ich verlange ja auch nichts weiter auf der Welt, als daß sie uns unseren Frieden...«

Lautes Lachen einer silberhellen Stimme unterbrach ihn in diesem Augenblick. Als sie überrascht aufsahen, erkannten sie eines der eingeborenen Mädchen, das sie hier auf Tahiti kennengelernt hatten. Trotz seines wilden Wesens mochten sie das junge Ding von knapp siebzehn Jahren gern, das eben über die niedrige Umzäunung sprang. Es war in die dünne, luftige Tracht der Mädchen gekleidet. Die dunklen, mit wohlriechendem Öl getränkten Locken wurden von einem Blütenkranz geschmückt. Die roten Blüten waren mit den weißen Fasern der Arrowroot verflochten. Der Blick, mit dem sie das junge Paar musterte, ruhte fast höhnisch auf der Gruppe.

Aia war schön wie die Palme ihrer Wälder. Die lichtbronzene Haut in dieser Färbung eher eine Zierde, ihre Gestalt voll und üppig, dabei schlank und elastisch. Aber es fehlte ihr die weiche, schwärmerische Art, die den Zügen der meisten Mädchen hier einen besonderen Reiz verleiht. Keck und zuversichtlich blitzte ihr Auge umher.

»Joranna, Sadie, Joranna, René«, lachte sie, mit verschränkten Armen vor der Gruppe stehen bleibend. »Joranna, ihr beiden – hahaha, ihr sitzt da, als ob dir René erst vor einer Stunde seine Liebeslügen ins Ohr geflüstert hat. Jetzt sitzt ihr da und glaubt, nicht ohne einander leben zu können. Wie lange wird es noch dauern? Hätte ich früher daran gedacht, Sadie, so hättest du mir auch von dem Pulver geben müssen, das du ihm in die Kokosmilch geschüttet hast. Vielleicht würde mir der falsche Wi-wi jetzt auch noch vorlügen, daß ich die Schönste auf der Insel sei und er sterben müsse, wenn ich ihn nicht mehr lieben wolle. Hahaha, es ist zum Verrücktwerden, wenn man an diese Zeit zurückdenkt und man das immer wieder vor seinen eigenen Augen erlebt. Es gibt doch immer wieder Narren, die hochmütig genug sind und glauben, daß sie niemals verlassen werden. Aber Joranna, ihr seid unverbesserlich, und wenn er erst fort ist, Sadie, will ich dich auslachen, wie du es verdienst.«

Sie warf die Locken von ihren Schläfen zurück und wollte nach dem Strand eilen, als Renés Entgegnung sie zurückhielt.

»Du hast doppeltes Unrecht, Aia. Sieh Lefevre an und Aumama. Sie sind noch länger als wir verheiratet, haben zwei liebe Kinder und denken nicht daran, sich zu trennen.«

»Denken nicht daran?« rief Aia, die René spöttisch lächelnd ansah. »Ja, du hast recht, wer weiß, ob du nicht dein Kanu eher wieder aus den Riffen heraussteuerst als er. Aber Le-fe-ve hat sich schon blind gesehen in ein Paar andere Augen. Schüttele nicht deinen Kopf, Wi-wi, wenn du mir nicht widersprechen kannst. Reiß ihm sein Kleid auf und lege dein Ohr auf sein Herz. Für wen schlägt es? Pah, soviel für euch!« Damit schlug sie trotzig die flache Hand auf ihre Lende.

»Aia, komm her und setz dich zu mir!« sagte Sadie jetzt mit leiser, bittender Stimme. »Sei nicht böse, wir haben dich lieb, und du meinst es doch gar nicht so!«

Das Mädchen antwortete jetzt schon etwas besänftigt: »Ich meine es nicht so? Woher weißt du das, Sadie? Ich hasse euch alle miteinander, und es würde mir guttun, wenn ihr alle so unglücklich werdet wie... so wie...« Sie wandte einen Moment den Kopf zur Seite.

»Aia!« rief Sadie bittend. Aia stand zögernd, Trotz, Zorn und Scham behielten die Oberhand. Doch dann brachen die Tränen aus ihr, und sie kauerte sich neben Sadie und legte den Kopf in ihren Schoß.

»Du bist gut, Sadie, gut wie... ich weiß es nicht, denn ich habe keinen Vergleich. Unsere Götter haben sie uns genommen und ihre sind falsch, falsch wie sie selber. Aber ich bin viel zu schlecht für dich, Aia darf dir nicht mehr ins Auge sehen, und doch hattest du noch nie einen Vorwurf für mich.«

René hatte das Mädchen mitleidig betrachtet dann legte er seine Hand auf ihre Schulter und sagte leise:

»Bleib bei uns, Aia, geh nicht wieder nach Papeete, sondern bleibe bei Sadie. Wir haben Brotfrucht und Fisch für dich und eine Matte zum schlafen. Sadie braucht eine Hilfe, und du wirst in unserem Haus willkommen sein.«

»René hat recht«, unterstützte ihn Sadie. »Geh nicht wieder nach Papeete. Deine Mutter ist tot und dein Vater weit auf den Inseln entfernt. Meide die Stadt, die dir nur Unheil bringt und Fluch und Leid. Du wirst es nicht bereuen und bei uns wieder froh und glücklich werden.«

»Und die Mi-to-na-res?« fragte das Mädchen leise.

»Werden dich gern in ihren Schutz nehmen und dir die Sünden vergeben«, sagte Sadie erfreut, denn in dieser Frage lag ja schon eine Zustimmung.

Aia lag noch in ihrem Schoß und weinte heftig, als eine laute Männerstimme einen fröhlichen Gruß durch die Hecke der blühenden Akazien rief.

»Ah, Lefevre, wie geht es Ihnen, Nachbar. Kommen Sie nicht herüber?«

»Doch, gleich!« lautete die Antwort. Sie hörten, wie der junge Franzose draußen noch mit jemand sprach und ihm Aufträge gab.

Aber auch Aia hatte sich rasch und erschrocken aufgerichtet. Sie sah aus, als wollte sie weglaufen, aber Sadie hielt ihre Hand fest.

»Bitte, Aia, geh nicht fort!«

»Nein, ich kann nicht bei dir bleiben, ich verdiene es nicht. Ich bin schlecht und bringe dir nur Unglück.« Dann blitzte ihr Auge plötzlich in unheimlicher Glut zu René hinüber. »Wenn sie dich alle verlassen haben und du allein und freundlos in der Welt stehst wie ich jetzt, dann wird Aia an deiner Seite sein und sich für deine freundlichen Worte bedanken. Dann wollen wir zusammen lachen und tanzen und ins Leben stürmen, aber nicht mehr klagen und weinen.«

»Du hast vielleicht Grund, auf einen von uns böse zu sein«, sagte René, »aber du urteilst damit ungerecht über alle. Du wirst uns später Abbitte leisten müssen.«

»Ja? Und Le-fe-ve auch, ja?« Das Mädchen lachte zornig und deutete mit dem Arm auf den eben eintretenden Franzosen.

»Hallo, Aia! Summt die wilde Hummel auch wieder ihr Lied auf unserer Flur? Was, du hast Tränen im Auge? Du bist ein schwarzer Vogel und prophezeist nur Unheil«, sagte Lefevre.

»Jeder von uns kann leicht vorhersagen, daß die Sonne morgen früh wieder um die Berge kommt. Weg mit euch, ihr habt böse Worte auf der Zunge und tödliches Gift im Herzen. Fort, Aia kennt euch!« Ohne einen Gruß ging sie den schmalen Pfad zu dem unteren Pförtchen hinab und war bald darauf in der sogenannten Broomroad, dem gebahnten Weg nach Papeete, verschwunden.

Sadie sah ihr seufzend nach, und auch René konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht ganz erwehren.

»Joranna, René, guten Tag, Madame!« rief Lefevre, der den peinlichen Moment überwinden wollte. »Hat Ihnen Aia den schönen Abend verderben wollen? Sie ist ein albernes Ding und darf nicht mehr über meine Schwelle, denn Aumama weint jedesmal, wenn sie nur kurz dagewesen ist.«

»Sie ist arm und unglücklich«, sagte Sadie.

»Ach, sie verstellt sich«, entgegnete mürrisch Lefevre. »Wahrscheinlich trägt sie selbst die größte Schuld an ihrem Leid. Wir armen Teufel sollen es dann immer allein zerbrochen haben, nicht wahr, René? Aber was ich eigentlich sagen wollte, gehen Sie mit nach Papeete? Die ehrwürdigen protestantischen Herren haben heute nachmittag wieder eine Zusammenkunft. Nach einem Gerücht beabsichtigen sie den Beschluß ernster Maßregeln, um jeden französischen Einfluß und damit vielleicht auch die französischen Priester wieder abzuschütteln.«

»Die Missionare...«, begann René, fuhr dann aber langsamer fort: »... sind wackere und brave, aber kurzsichtige Männer. Sie glauben, daß sie das Heft jetzt fest in der Hand haben, und spielen so lange damit bis es ihnen unter den Fingern wegschlüpft. Sie sollten sich nicht in die Politik einmischen.«

»Was sagt Mr. Nelson dazu?«

»Er hält die Ankunft der Katholiken auch für ein Unglück für die Inseln, ist aber mit den Gewaltmaßnahmen unzufrieden, die man dagegen ergreifen will. Doch was kann ein einzelner gegen die ganze Schar erreichen?«

»Gehen Sie mit nach Papeete?«

»Was sollen wir dort? Herbe Reden hören, die uns vielleicht ärgern und zu Gegenreden treiben? Daran habe ich keine Freude und sehe schon jetzt die Folgen. Aber wir haben wenigstens unsere Pflicht getan, wenn wir jetzt noch das Unheil abwenden können. Ich komme bald wieder zurück, Sadie.«

»Bleib heute nicht so lange fort!« bat ihn die junge Frau beim Abschiedskuß. Eine Weile sah sie noch hinter den Männern nachdenklich her. Aias Worte hatten trübe Gedanken in ihr wachgerufen.

»Mein schönes Atiu«, seufzte sie leise vor sich hin. »Mein Lieblingsplatz, und der kleine, alte Mi-to-na-re am Haus, der so oft wohl an seine kleine Pu-de-ni-a denkt... aber René fühlt sich wohl und glücklich hier und hat eine Beschäftigung. Aber einmal wird doch die Zeit kommen, und er wird sich nach unserem ersten Ort des Glücks zurücksehnen, nach Atiu. Noch habe ich nicht für immer Abschied genommen von all den liebgewonnenen Stellen... ich weiß nur noch nicht, ob ich mich darauf freuen oder mich fürchten soll... ach, dumme Gedanken!«


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