Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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Das Lager der Insulaner

René befand sich in einer unangenehmen Lage. Er mußte mit auf den Rücken gebundenen Händen durch ein Dickicht bei völliger Dunkelheit marschieren.

Die Guiaven wurden hier so dicht, daß die Insulaner selbst nicht mehr weiterkamen und deshalb beschlossen, an Ort und Stelle zu lagern. Sie rieben ein Feuer an und räumten bei seinem Schein den Platz frei, so daß man sich ausstrecken konnte. Einige zogen los, um etwas Eßbares zu finden, und kamen bald darauf mit Früchten und einem Ferkel zurück. Dann wurden Steine glühend gemacht und einer ihrer Bratöfen gegraben. Darum versammelten sie sich und lachten und erzählten, als ob sie sich mitten im Frieden und nicht auf einem Streifzug befanden, bei dem jeden Augenblick Gefahr drohte.

René hatte gehofft, unter ihnen Bekannte zu entdecken, aber die Männer schienen von der anderen Inselseite zu stammen oder sogar von Imeo. So unternahm er keinen Versuch, seine Rolle zu erklären. Er suchte eine warme Stelle am Feuer und bat einen Eingeborenen, ihm die Hände aufzubinden, weil er sonst nicht schlafen könne. Der Mann sah ihn erstaunt an. Er hatte wohl nicht geglaubt, daß der Wi-wi so gut ihre Sprache beherrschte. Dann band er ihn los, denn René konnte hier nicht entkommen. Bald darauf war er unbekümmert eingeschlafen.

Am anderen Morgen wurde er erst durch den Morgenschuß der Fregatte geweckt, der voll und dröhnend herüberbrach und sein schmetterndes Echo in den Bergen fand. Die Insulaner hatten sich zum Aufbruch gerüstet und gaben ihm ein Stück kalte, geröstete Brotfrucht und ein paar Bananen.

Nach einer Stunde Marsch erreichten sie die Vorposten der Eingeborenen und gingen in ein schmales Tal, das sich in eine Art Kessel öffnete. Dort waren zum Erstaunen Renés richtige Hütten errichtet, die Guiaven und anderen Sträucher niedergehauen und mit dem Holz eine Barriere errichtet worden. Was René besonders überraschte, war die Ruhe, die in dem kleinen Lager herrschte. Man hörte weder Singen noch Schreien, sah weder tanzende noch lachende Gruppen.

Es war der Sabbath der Eingeborenen, und selbst der Gefangene wäre nicht weiter beachtet worden. Aber René sah hier viele Bekannte und begrüßte sie. Die ihm sonst freundlich die Hand geschüttelt hatten, wandten sich jetzt aber von ihm ab oder nickten nur kurz mit dem Kopf. René wurde durch dieses Verhalten wütend. Er lehnte sich an einen mächtigen Mapebaum und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte noch nicht lange gestanden, als eine kleine Glocke läutete und die Insulaner zu dem entfernten Ende des Lagers zogen, wo aus Steinen eine Art Rednerstand errichtet war.

»Eine Predigt?« murmelte René verblüfft. »Donnerwetter, die Burschen haben sich hier ganz häuslich eingerichtet. Kein Gewehr ist zu sehen, kein Degen, kein Speer. Womit wollen die sich eigentlich verteidigen, wenn sie angegriffen werden? Ha. Mr. Rowe!« unterbrach er sich überrascht, als der finstere Mann aus einer kleinen Hütte trat und fast dicht an ihm vorüber ging. Er warf keinen Blick in seine Richtung. Die Insulaner hatten sich jetzt alle um ihn versammelt. Nur vier Mann waren als Wache für den Franzosen abgeordnet. Dann begann der religiöse Gesang, irgendeine von den Missionaren ins Tahitische übersetzte Hymne nach der Melodie eines alten englischen Volksliedes, die sie meistens benutzten.In früheren Zeiten hatten die Missionare den Insulanern zu ihren Hymnen keine Melodien bringen können. Einige musikalische Missionare kamen deshalb auf die Idee, die vertrauten Volkslieder zu benutzen, die ihnen noch im Gedächtnis waren. Der Text wurde dann angepaßt. Vers nach Vers zog monoton und bleiern durch eine Stunde dahin.

»Das hat mir noch gefehlt!« brummte René mit einem tief aufgeholten Seufzer. Aber er wußte aus Erfahrung, daß mit den Wilden in dieser Hinsicht nichts anzufangen war. Deshalb warf er sich unter den Baum, drehte der frommen Versammlung den Rücken zu und versuchte zu schlafen.

»Könnte dir auch nichts schaden, wenn du ein bißchen zuhörst und etwas lernst«, sagte der eine der Wächter zu ihm. »Miti Aue ist ein tüchtiger Mann und weiß alles ganz genau, was einmal geschehen wird.«

»Ich wollte, er könnte mir dann sagen, wo ich morgen um diese Zeit hin!« sagte René und lachte.

»Pst! Nicht so laut! Wenn du auch kein Christ bist, kannst du doch Frieden halten!« sagte der Eingeborene rasch.

René erwiderte nichts weiter. Der Gesang hatte jetzt aufgehört und die Predigt begonnen. Der junge Mann hörte in einer Art Halbtraum die scharfe, gellende Stimme des ehrwürdigen Mr. Rowe. Er warnte sie vor dem Antichrist, der mit scharfen Krallen vor ihrer Tür läge und sie zu verschlingen drohe.

Wilder und drohender hallte die Predigt von den Lippen des geifernden Mannes. Sie ließ das Blut bei Freund und Feind in den Adern kochen, und unwillkürlich suchte die Hand eine Waffe, um dem zornigen Wort die Tat folgen zu lassen. René konnte es nicht mehr ertragen und sprang von seinem Lager auf. Er ging mit raschen Schritten und untergeschlagenen Armen auf und ab. Mißtrauisch beobachteten ihn die Wachen. Aber er dachte nicht an Flucht. Nur die Scheu, den Gottesdienst als Katholik zu stören und damit dem Missionar noch mehr Anlaß zu geben, gegen ihn und seine Landsleute zu eifern, hielt ihn davon ab, mitten in die Predigt hineinzuspringen und dem fanatischen Priester den Lug und Trug seiner Worte ins Gesicht zu schleudern. Endlich kam die Predigt zu ihrem krampfhaften Schluß, das letzte Gebet folgte, und ein stiller Friede schien über den Betenden zu ruhen.

Ein Schuß!

Wie durch Zauberei änderte sich das Bild. Die Männer schnellten empor, und jeder Busch, jeder Stein, jede Matte enthüllte Gewehre, Speere, Säbel, Messer und Beile. Die wirbelnde Trommel rief die verschiedenen Trupps zu ihren schon vorher bestimmten Sammelplätzen, um den Feind zurückzuweisen.

René war erstaunter Zeuge, wie schnell sich alle bewaffnet und aufgestellt hatten. Aber es blieb noch alles ruhig, und gut zehn Minuten standen die Krieger in gespannter Erwartung. Da meldeten die Wachen einen einzelnen Insulaner, der den Pfad heraufkam und mit einem Tuch winkte. Die Posten kannten ihn, aber als René ihn sah, konnte er einen Ausruf nicht unterdrücken. Der Bote war Raiteo von Atiu. Raiteo hatte ihn auch gesehen und erkannt, ein zweideutiges Lächeln zuckte um seine Lippen. Aber er drehte den Kopf nicht zu ihm und kümmerte sich nicht weiter um René. Er ging direkt auf den Missionar zu, der ihn mit finsteren Blicken erwartete.

»Wer hat geschossen und den Frieden des Sabbath gestört?« frug der Geistliche streng.

»Das weiß ich nicht, es war wohl eine der Wachen. Sie wird das Signal gegeben haben, als die Franzosen den Berg heraufkamen.«

»Die Wi-wis?« riefen die Insulaner. »Wo sind sie? Haben sie Kanonen mit? Wieviel sind es?«

»Sie bringen eine Botschaft aus Papeete«, fuhr Raiteo zu dem Geistlichen gewandt fort.

»Was wollen sie von uns? Heute ist kein Tag, an dem wir verhandeln. Der Sabbath ist heilig und darf nicht ihretwegen gebrochen werden!«

»Wenn du eine Botschaft von den Feranis bringst, so hast du dich an mich und sonst niemand zu wenden!« unterbrach in diesem Augenblick eine tiefe Stimme das Gespräch. Der alte Häuptling Utami kam aus einer Gruppe herüber. Er trug einen Tapamantel, der den rechten Arm frei ließ. Dort trug er einen langen, europäischen Pallasch.

»Wieviel Feranis sind gekommen?«

»Nur drei als Abgesandte.«

»Was wollen sie von uns?«

»Daß du den gestern gefangenen Wi-wi freigibst. Er gehörte nicht zu den Soldaten und wurde aus Versehen mitgenommen.«

»Ist das ein Grund, die Sabbathfeier zu unterbrechen?« rief jetzt Bruder Rowe. Er hatte seine Hände entrüstet zum Himmel gehoben. »Sollen wir wegen einem gefangenen Katholiken, der sein Weib verstoßen hat und die Hand gegen die Kinder dieses Bodens erhob, den Gottesdienst so vieler frommer Christen unterbrechen?«

»Singe du weiter, Mi-to-na-re«, sagte der Häuptling. »Die Anführer werden beraten, was zu tun ist, Raiteo, du wartest hier auf meine Antwort.« Damit ging er langsamen Schrittes auf eine entfernt stehende Beratungshütte zu, wo er bald von seinen Häuptlingen umgeben war.

Es fehlten aber einige der wichtigen Führer wie Tati, Paofai und Paraita. Tati hatte sich nach Papara zurückgezogen, die beiden anderen. Häuptlinge lebten sogar in Papeete und hatten sich offensichtlich mit den Franzosen versöhnt. Utami war der einzige, der den Vertrag mit unterschrieben hatte und jetzt mutig genug war, seinen Fehler einzusehen und für die Freiheit zu kämpfen. Aonui, Potowai, Teraitane, Kahauha und Taaniri waren hier versammelt. Sie alle galten als Rebellen, dazu kamen noch viele Führer vom südlichen und östlichen Teil der Insel. Man erwartete auch Fanue mit seinen Kriegern von Tairabu. Gemeinsam sollte der Schlag gegen die Feranis in Papeete erfolgen.

Die Beratung der Häuptlinge dauerte nicht lange. Man hatte sich wohl gegen Utamis Willen entschieden. Der alte Häuptling sprach finster und heftig gegen die Mehrzahl der übrigen. Er blieb auch auf seiner Matte zurück, während Aonui zu Bruder Rowe sagte:

»Wir wollen fortfahren, unsere Augen zu Gott zu erheben, Bruder Aue. Raiteo, du kannst den Feranis melden, daß sie uns morgen früh bei Sonnenaufgang bei der Beratung über den Gefangenen finden werden. Heute ist der dem Herrn geweihte Tag, und davon können uns auch nicht die Privatverhältnisse eines Papisten abhalten.«

»Sollen die Feranis wieder nach Papeete gehen?« erkundigte sich Raiteo mit einem Anflug von Schadenfreude.

»Ich habe es gesagt«, erwiderte Aonui.

»Und der Wi-wi soll hier oben bleiben?«

»Störe uns nicht weiter durch deine nutzlosen Fragen, Bruder Raiteo!« sagte der Geistliche mit freundlicher, doch zurechtweisender Stimme. »Du hast deine Antwort, melde sie den Feranis, obwohl ich nicht weiß, wie du dazu kommst, ihr Bote zu sein. Doch ruhig, ich will heute keine Erzählung von irdischen Dingen hören. Weshalb gehst du nicht?«

»Ich?« sagte Raiteo erstaunt. »Ich? Was habe ich weiter mit den Wi-wis zu tun? Ich habe sie den Berg heraufgebracht, weil ich mußte. Sie stehen unten, ein anderer kann ihnen die Antwort bringen.«

»Möge sie Gott erleuchten«, sagte Bruder Rowe mit einem flehenden Blick nach oben. Dann fiel er in die schrillen Töne eines Psalms ein, und der Chor antwortete ihm. Raiteo kauerte sich hin, wo er stand, und erhob seine Stimme vor dem Herrn. Lauter und andächtiger war er äußerlich als jeder andere. Teraitane, der nicht beabsichtigte, die Feranis unnütz zu reizen, verließ das Lager und ging den Pfad hinab, um ihnen die Meldung selbst zubringen.

Leutnant Bertrand war vom Gouverneur abgeschickt, um den Gefangenen zurückzufordern. Er wollte sich nicht so abweisen lassen und drohte mit der Rache der Franzosen, wenn dem jungen Mann auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Darauf lachte der alte Häuptling trotzig.

»Holt ihn, wenn ihr nicht warten könnt!« sagte er. »Teraitane freut sich darauf, euch mit blutigen Köpfen wieder nach Hause zu schicken.«

»Dafür habe ich dich!« rief Bertrand und sprang auf ihn zu. Aber Teraitane entwich ihm, und wie aus dem Boden gewachsen tauchten rechts und links von ihm bewaffnete und finstere Gestalten auf. Speere und Musketen richteten sich auf sie. Bertrand riß erschrocken den Degen aus der Scheide, und seine Begleiter fällten die Gewehre, um dem Angriff zu begegnen. Der Häuptling aber winkte mit der Hand.

»Ruhe heute am Sabbath. Ich könnte dich jetzt gefangennehmen oder töten, du tollkühner Ferani. Aber ich will die fromme Gemeinde da oben nicht noch einmal in ihrer Ruhe stören. Geh zurück, du siehst, du kannst deinen bösen Vorsatz nicht ausführen. Kommt morgen wieder, und dann hört, was die Häuptlinge beschlossen haben.«

Damit drehte er sich um und ging langsam den Pfad wieder hinauf. Bertrand war mit sich selbst unzufrieden. Aber er sah doch ein, daß er nichts weiter ausrichten konnte, und kehrte zurück.

Der Gottesdienst nahm seinen Fortgang, und als die feierliche Handlung endlich beendet war, gingen die Zuhörer zu den verschiedenen Gruppen oder ihren Familien. René blieb während der gesamten Zeit unbeachtet.

Auch die Frauen hielten sich fern von ihm. Er entdeckte unter ihnen sogar Aumama, die ernst und schweigend auf einer Matte saß. Sie sah oft lange und ernst zu ihm herüber. Als er aufstand, um zu ihr zu gehen, sagten ihm seine Wärter, daß er das nicht dürfe. Als er nach Utami verlangte, dem er etwas mitteilen wollte, sagte man ihm, daß heute heiliger Feiertag wäre. Lediglich kalte Brotfrucht und Kokosnuß wurden ihm gebracht. So wurde es Nacht. Das südliche Kreuz über ihm drehte sich so langsam, als ob es monatelang Zeit habe für seine eigene Achse, und die kühle, feuchte Bergluft schüttelte ihm die Glieder im Fieberfrost. Endlich brach der Morgen an. Im Osten zeigte sich ein heller Schein, der rasch und mächtig wuchs, und der Morgenschuß der »Uranie« drang bis hierher.

Die Eingeborenen waren aber schon auf und hatten Steine im Feuer glühend gemacht.

»Utami will dich sehen!« sagte ein junger Mann zu René und führte ihn zu den Lagerplätzen der Insulaner. Alle sahen ihn ohne Gruß an, und René fühlte, wie erneut die Wut in ihm aufstieg. Er ging hoch erhobenen Kopfes zwischen ihnen hindurch.

Der alte Häuptling empfing ihn inmitten seiner anderen Stammesführer. In entsprechender Entfernung hatten sich die Eingeborenen darum gruppiert. René spürte sein Herz laut klopfen, als er vor diese Versammlung trat. Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte:

»Nun, ihr sitzt ja zusammen wie ein Gericht, das einen Missetäter aburteilen soll. Was wollt ihr von mir, und warum habt ihr mich gestern den ganzen Tag ohne Matte auf dem Boden liegen lassen? Ist das eure gerühmte Gastlichkeit? Ich wäre heute im Auftrag des Gouverneurs zu euch gekommen, um euch seine Vorschläge zu bringen. Da überfiel mich eine Gruppe eurer Leute und schleppte mich durch das Dickicht in die Berge. Was habe ich verbrochen?«

Ein leises, erstauntes Murmeln über die kecke Ansprache ging durch die Versammlung. Die meisten der Häuptlinge schüttelten mißbilligend den Kopf und flüsterten.

Ernst sagte Utami ohne jeden Haß im Ton:

»Du sollst hier nicht fragen, sondern antworten, Ferani. Sei aufrichtig, das ist für dich das beste.«

»Nun, dann frage. Nachher werdet ihr mir ja wohl die Rede gestatten«, sagte René kurz.

»Weshalb seid ihr Feranis gestern aus der widerrechtlich besetzten Stadt bewaffnet gekommen, habt unsere Männer angegriffen, zwei von ihnen getötet und andere gefangen mitgenommen?«

»Zuerst einmal: Ich gehörte nicht zu der Patrouille, sondern bin mitgegangen, weil ich noch Zeit zur Verfügung hatte. Außerdem wollte ich dabeisein, als ein gesuchter Verbrecher verhaftet wurde. Die Patrouille hatte keinen anderen Zweck, und eure Männer haben sie zuerst angegriffen.«

»So hatten unsere Kundschafter richtig berichtet. O'Fa-na-ga ist gefangen, aber was hatte er getan?« sagte der Häuptling.

»In früherer Zeit gemordet und geraubt. Er ist ein böser Mensch, und einer der Offiziere hatte ihn erkannt.«

»Das sind Anschuldigungen, von denen wir nichts wissen. Wir hätten oft einzelne von euch fangen können, aber wir führen keinen Krieg gegen einzelne, und wir erwarten das auch von euch. O'Fa-na-ga kämpfte mit uns und stand unter unserem Schutz.«

»Dann hätte er da bleiben sollen. Es wird ihm nicht mehr viel Zeit bleiben, ihn zu beanspruchen!«

»Das ist schlimm für dich!« rief Aonui und streckte zornig den Arm gegen ihn aus. »Sein Schicksal erwartet auch dich, Ferani!«

»Möchte ich mir nicht wünschen!« sagte René und lachte. Er war noch immer entschlossen, keine Furcht den Eingeborenen gegenüber zu zeigen. »Haben sie ihn gefangen, dann erwartet ihn der Strick, wenn er nicht schon hängt.«

»Dann hängst auch du!« schrie Potowai. »O'Fa-na-ga war mein Freund!«

»Schlechte Empfehlung für dich!« sagte der unerschütterliche Franzose.

»Ruhe!« gebot Utami. »Und du, Ferani, solltest die Männer nicht noch reizen, die über dich zu Gericht sitzen!«

»Dazu habt ihr kein Recht! Wehe euch, wenn ihr es wagt, Hand an mich zu legen!« rief er und richtete sich hoch auf.

»Kein Recht? Wer sonst?« sagte Utami und sah ihn ruhig an. »Wer anders als das Volk Tahitis ist der rechtmäßige Eigentümer des Bodens, seit Pomare feige Schutz bei den Feinden suchte?

Glaubst du, daß ihr das Recht erworben habt, auf diesen Inseln zu herrschen, weil die Kanonen eurer Schiffe ihre Kugeln in die friedlichen Fischerhütten am Ufer schießen?«

»Aber was habe ich damit zu tun?« entgegnete René ausweichend. »Gehörte ich zu den Eroberern? Gehöre ich jetzt dazu? Kam ich nicht auf eure Inseln und wurde aus freiem Willen heimisch mit der Zustimmung eurer Häuptlinge? Nahm ich mir nicht eine Frau aus eurem Stamm?«

»Und wo ist sie jetzt?« unterbrach ihn ruhig Utami.

»Jetzt? Ich hoffe, in ihrer früheren Heimat, zu der sie mit einem eurer Priester hinüberging, um mich zu erwarten.«

»Um dich zu erwarten. Soll das ein Anrecht auf unseren Schutz sein, daß du die Frau wieder von dir schickst, die an deiner Seite bis zu ihrem Tode bleiben sollte?«

René wollte heftig antworten, aber er besann sich, biß in die Unterlippe und sagte finster:

»Was meine Familienverhältnisse betrifft, bin ich wohl nur mir selber Rechenschaft schuldig.«

»Haß und Elend sät ihr und verlangt Freundschaft und Liebe dafür«, sagte der Häuptling fast traurig.

»Nicht ich, Utami!« rief René rasch. »Bei Gott, auch mir hat das Elend, das diese Insel jetzt durch meine Landsleute getroffen hat, das Herz zerschnitten. Ich billige nicht ihr Verfahren, hätte meine Stimme Gewicht, dann würden die stolzen Schiffe schon heute ihre Anker lichten und zurückkehren. Aber das kommt alles zu spät, die Gier der Fremden, der Stolz eurer Priester und euer Unfrieden sind Hand in Hand gegangen. Jetzt kann nur noch Blutvergießen vermieden werden, es ist nur noch die Möglichkeit da, weitere Kämpfe zu vermeiden, die vielen das Leben kosten werden und viele unglücklich machen. Heute wäre ich zu euch gekommen, um euch im Namen des Gouverneurs den Frieden anzubieten.«

»Er braucht nicht Frieden zu bieten!« rief Teraitane finster. »Er soll unsere Bai mit seinen Schiffen verlassen, und wir haben Frieden. Sind wir es, die den Krieg begonnen haben, ihn fortführen?«

»Es hilft auch nichts, daß ihr im Recht seid.« René war wieder ganz ruhig. »Der Fremde hat die Macht, die Gewalt in Händen. Frankreich hat Besitz von den Inseln ergriffen, und nur die lügenhaften Versprechungen vom Schutz Englands haben euch zum Widerstand gereizt. Nehmt Vernunft an, ihr bleibt im Besitz des Landes, und glaubt nicht, daß unsere Priester mit gleichem Haß gegen eure kämpfen werden. Eure Religion, euer Glaube bleiben geschützt.«

»Wir kämpfen nicht für den Glauben, sondern für unser Land, für unsere Freiheit. Der Glaube liegt in der Brust der Menschen. Wir wollen uns nicht hinter dieser Mauer verstecken, und auch ihr sollt frei sagen: Wir wollen euer Land, eure Brotfruchtbäume, eure Palmen und eure Häuser und Frauen. Ihr sollt für uns arbeiten, und wir wollen die Herren sein. Glauben – wenn euer Gott die Macht besäße, uns den zu nehmen, hätte er nicht geduldet, daß erst andere Priester gekommen sind und uns ihren Glauben gebracht haben. Wir sollen uns friedlich unterwerfen, das wollt ihr, aber es ist zu spät. Macht die wieder lebendig, die eure Kugeln und Bajonette getroffen haben, ruft sie ins Leben zurück, dann wollen wir von Friede und Freundschaft reden. Diese Antwort soll der Häuptling der Feranis auch bekommen. Sein Frieden heißt Knechtschaft, seine Freundschaft Schmach. Du bleibst gefangen, bis die Männer zurückgegeben wurden, die uns halfen, unsere Berge gegen deine Landsleute zu verteidigen. Geschieht ihnen etwas, stirbst auch du.«

»Einer von ihnen ist ein schwerer Verbrecher!« rief René unwillig. »Er hat Menschen ermordet und beraubt. Wollt ihr mich mit ihm gleichstellen?«

»Auge um Auge, Zahn um Zahn!« sagte Teraitane. »Jeden Gefangenen tauschen wir ein, Mann gegen Mann. Für jeden Bruder, den sie erschlagen, verlangen wir volle Bezahlung in Blut zurück. Vorher gibt es keinen Frieden, bis wir die Feranis bezwungen haben oder sie uns.«

René stampfte mit dem Fuß auf. »Pest! Was habe ich mit der Sache zu tun? Wenn ihr meinen Landsleuten nicht gutwillig euer Land geben wollt, kann ich es euch nicht verdenken. Aber was kümmert es mich? Ich gehöre nach Atiu und nicht zu den Schiffen. Dort der Priester, der so finster zu mir herüberblickt, muß mir bezeugen, daß ich meine Familie vorausgeschickt habe, weil mich meine eigenen Landsleute im Verdacht hatten, mit euch gegen sie verschworen zu sein. Sie wollten mich nicht weglassen. Der ehrwürdige Herr ist nicht gerade mein Freund, aber er wird eine Tatsache für mich bestätigen müssen!«

Mister Rowe war schon näher zu den versammelten Häuptlingen getreten, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Nicht alle der Versammelten waren ihm so ergeben, wie er es in christlicher Demut für nützlich und notwendig hielt. Jetzt direkt angesprochen, sagte er mit einem tiefen Seufzer:

»Der Ferani hätte wohl in diesem Lager jemand gefunden, der für ihn günstiger aussagen könnte als ich.«

»Sie können nicht leugnen, daß Sie bei unserem Abschied dabei waren!« sagte René mit blitzenden Augen.

»Mein Herz hängt nicht an weltlichen Dingen, mein Auge sieht nicht auf irdische Handlungen, wo das Wohl und Wehe der Seele an einem dünnen Faden über dem Abgrund des Verderbens hängt. Ich weiß nicht, ob der Ferani auf diesen Inseln sein Leben beschließen will. Gott allein prüft das Herz und die Nieren. Aber ich weiß, daß er sie nie hätte betreten dürfen und daß die Frauen und Mädchen dieser Inseln nur Fluch und Tränen bis jetzt geerntet haben.«

»Sie wissen, daß ich in Atiu als Bürger des Landes aufgenommen wurde!« rief René.

»Ich weiß nichts außer der Tatsache, daß die Verbindung mit einer Tochter des Landes und einem Papisten gegen die Gesetze dieses Landes ist. Weiter will ich nichts wissen, ich habe all das Unrecht, das mir selbst geschehen ist, vergessen und vergeben, wie es für einen Christen geziemt. Ich begreife nur nicht, daß ein Bürger dieses Landes eine Gruppe seiner Landsleute überfällt, zwei tötet und andere in Gefangenschaft schleppen läßt. Ich kümmere mich auch nicht um die weltliche Gerechtigkeit, die ihren Gang haben muß durch die Häuptlinge und Richter des Landes.« Damit wandte er sich ab und schritt zu seiner kleinen Hütte.

René wollte in heftigen Worten darauf antworten, aber er besann sich. Mit finsterem, verächtlichem Lächeln sah er dem frommen Mann nach. Die Häuptlinge berieten inzwischen eifrig und mit leiser Stimme untereinander. Sie waren aber noch zu keinem Entschluß gekommen, als ein Läufer kam und die Ankunft mehrerer Feranis meldete, die den anführenden Häuptling sprechen wollten. Andere ausgesandte Spione meldeten, daß mehrere Abteilungen französischer Soldaten wieder im Anmarsch wären und wohl einen Sturm auf das Lager beabsichtigten. Da die Insulaner ihre Verteidigungsmittel nicht verraten wollten, beschloß man, die Fremden nicht heraufzulassen. Utami sollte ihnen entgegengehen. Er konnte ihre Absicht erfahren und ihnen gleich eine Antwort geben. Der Gefangene sollte nur gegen die beiden Engländer eingetauscht werden. War denen ein Leid geschehen, sollten die Feranis sehen, daß sie Gleiches mit Gleichem vergelten konnten. Die Rache der Fremden fürchteten sie nicht.


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