Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Die Versammlung

Weißer Rauch quoll aus den Schießluken der englischen Fregatte »Talbot«. Der rasch folgende donnernde Schlag des Geschützes mit einem grollenden Echo von den Bergen grüßte die Sonne, die eben ihren rotglühenden Schein über die östliche, palmenbedeckte Spitze der Bai warf und ihre Strahlen weit über das Meer sandte.

Es war ein reizendes Bild. das sich mit dem ersten Licht dem Auge bot. Im Hintergrund die wildzerrissenen Kuppen des Gebirges mit der dunklen, kühn eingerissenen Schlucht, auseinandergebrochen, als die Grundfesten der Berge einst in ihrem tiefsten Kern erbebten. Daran zu beiden Seiten anschließend das palmenbedeckte flache Land, als ob es die sonnige, spiegelglatte Bai mit liebevollem Arm umspannen wollte. Am Ufer standen die weißen, niedrigen Gebäude dicht in Palmen- und Orangenhaine geschmiegt. Hier und da ein alter, mächtiger Banianbaum, der die dunkel glänzenden Zweige niederschüttelte, um neue Wurzeln aus dem Erdreich um sich zu gewinnen. Vorn schäumte und spielte die Flut am hellen Korallensand. Den vorderen, von Bananen und Palmen eingeschlossenen Rand, in dem die stillen Wohnungen der Menschen so dicht versteckt wie Perlen in einer halbgeöffneten Muschel lagen, bildete ein dichter Wald von Brotfruchtbäumen und Orangen, von buntblühenden Akazien und breitblättrigen Hibiscus Tiliaceus mit den großen, malvenähnlichen Blumen.

Nicht öde und weit lag das Meer dem wunderschönen Land gegenüber. Nein, hinter dem lichtfunkelnden Wasserspiegel dehnten sich die schäumenden Riffe mit ihren Schneekronen und dem rollenden Donner. Sie umspannten die kleine Königsinsel Motuuta, die wie ein Smaragd mit silbernem Band eingefaßt in dem herrlichen Rahmen lag. Dahinter, noch neben dem weiten Horizont des Ozeans, waren die zackigen Kappen und Spitzen Imeos zu sehen, die wie Nadeln oder riesige Kegel emporstarrten. Bei klarer Luft zeigte sich der Palmengürtel, der sie umschloß. Still und regungslos lag der Strand bis zu dem Schuß, mit dem sich fast gleichzeitig die Sonne über den Palmenstreifen erhob. Nur hier und da zeigte sich ein einzelner Insulaner, der langsam am Ufer auf und ab ging. Aber während noch das Echo in den fernen Schluchten dröhnte und grollte, quoll und drängte es sich wie mit einem Zauberschlag aus den Häusern und Hütten, hervor, und fröhliches Leben brach sich Bahn.

Es war Tag geworden in Papeete, und ein bedeutungsvoller, wichtiger Morgen war für den kleinen Staat angebrochen. Was er für sie bringen würde, kümmerte das fröhliche Inselvolk nicht. Wie die sonnige Welle ihrer Binnenwasser trieben sie leicht über das Meer des Lebens. Ein Sturm rüttelte sie auf, wild und gewaltig. Aber mit dem Sturm legte sich auch leicht und beruhigt alles wieder.

Wie ein Bienenschwarm zog und drängte es jetzt am Strand hin und her. Bunt gemischt lief alles durcheinander. Oft klang der fröhliche Laut lachender Mädchenstimmen über das Wasser selbst bis zu der abgelegenen Stelle der Bai, wo ein großer, weitbäuchiger, entsetzlich schmutziger Walfänger lag. Auf seinem Heck stand geschmacklos und mit grellroten Buchstaben der Name »Kitty Clover«. Von der Gaffel des Besansegels wehte die englische Flagge.

Auf dem Quarterdeck standen zwei Männer in gewöhnlicher Seemannstracht gekleidet. Sie trugen blaue Jacken, weiße Hosen und die breiträndigen Strohhüte mit dem langen schwarzen Band. Der ältere von ihnen war der Kapitän der »Kitty Clover«. Er konnte in seinem ganzen Wesen und Aussehen so wenig den Schotten leugnen wie der andere den Iren. Der hatte das unvermeidliche rote Haar seiner Landsleute, es aber in merkwürdige kleine Locken mehr geknotet als gedreht. Auch um Kinn und Oberlippe zog sich ihm ein ungeheurer starker, aber genauso fest ineinander gedrehter Bart bis hoch unter die kleinen, lichtblauen Augen hinauf. Manchmal, wenn er den Kopf zu dem neben ihm Stehenden wandte, blitzten sie mit einem eigenen, drolligen Humor auf. Noch acht oder zehn Matrosen waren außer den beiden an Deck mit dem Schrubben beschäftigt. Dazu holten sie Eimer aus der klaren Flut herauf und leerten sie mit raschem Wurf über das Deck aus.

Der Kapitän oder Master des Walfängers, Mac Rally, galt als vortrefflicher Seemann und noch besserer Händler. Das hagere, scharf geschnittene Gesicht, die hellblauen, unsteten Augen und die eisernen Lippen zeigten zugleich Entschlossenheit sowie List und Ausdauer. Die »Kitty Clover« war erst gestern angeblich vom Walfang eingelaufen. Tatsächlich kam sie direkt aus Valparaiso und hatte den Iren als sogenannten Passagier mitgebracht.

Eine Anzahl Fässer an Bord schien ihnen aber gemeinsam zu gehören. Die tahitischen Behörden hatten nicht Unrecht, wenn sie auf solche Schiffe, die gern noch ein Nebengeschäft mit verbotenem Branntwein machten, besonders achteten.

Außerdem führte aber der Kapitän eine besondere Ware bei sich, die er noch geheimer halten mußte. Selbst die Mannschaft wußte nicht, was die im Laderaum lagernden Fässer enthielten. Sie waren fest versiegelt und sollten in Tahiti ausgeschifft werden.

»Sie sind hier bekannt, O'Flannagan?« sagte Mac Rally, nachdem er eine Viertelstunde lang das Ufer durch sein Schiffsglas beobachtet hatte. »Glauben Sie wirklich, daß sie die ganze Ladung nach und nach sicher und ohne einen Penny Steuern an Land schmuggeln können?«

»Von glauben ist da nicht die Rede, Kapitän!« lachte der Ire. »Meiner Mutter Sohn kennt hier jeden Zollbreit Boden am Ufer. Was noch besser ist, jeden Zollbreit Sohn und Tochter. Die Mädchen besonders, hahaha, liebe Dinger, sind rein auf mich versessen! Die führen nun einmal in der ganzen Welt das Regiment, und wenn man sie erst einmal zu Freunden hat, ist alles andere Kinderspiel!«

»Aber wenn uns nun die jetzigen politischen Verhältnisse einen Strich durch die Rechnung machen!« sagte kopfschüttelnd der Schotte. »Wie uns der alte Insulaner gestern erzählte, sind die englischen Missionare wieder die Herren da drüben.«

»Unser Geschäft wäre verloren, wenn es anders wäre!« lachte Jim. »Zum Teufel, wenn die Franzosen das Heft in der Hand hätten, dürften wir unseren Brandy selbst trinken! Die würden eine solche Menge ihres eigenen Fabrikats an Land gebracht haben, daß sie die Stadt damit ersäufen könnten. Die Missionare dagegen können höchstens die Strafe auf Einfuhr noch erhöhen, die Einfuhr noch schwieriger machen. Aber das alles muß uns die Preise gerade in die Höhe treiben, und was wollen wir mehr? Ich fürchte nur, Sie haben mit dem anderen Artikel ein schlechtes Geschäft gemacht, denn ich glaube nicht, daß die Eingeborenen je Geld für solche Ware auslegen werden.«

»Ich bin da ziemlich sicher«, schmunzelte der Schotte, »denn ein Teil der Waffen ist feste Bestellung von jemand, den ich nicht nennen darf. Verkaufe ich das andere nicht hier, so weiß ich, daß ich auf den Fidschi- und Navigator-Inseln einen vortrefflichen Markt dafür finde.«

»Das ist aber ein kitzliges Geschäft«, meinte Jim und fuhr sich mit dem Zeigefinger durch das Halstuch. »Die Engländer und Franzosen haben über derartigen Handel ihre eigenen Ansichten. Bei einer solchen Geschichte geht es immer gleich an die RahnockeDie Rahnocke an Bord eines Schiffes ist das äußerste Ende der Querhölzer (Rahen), an jenen die Segel befestigt sind. Bei Exekutionen an Bord werden die zum Strang Verurteilten an der Rahnocke hochgezogen.. Interessant ist so ein Geschäft schon, aber – verdammt gefährlich, und der Nutzen steht eigentlich in keinem Verhältnis zum Risiko.«

»Das kommt auf die Person an«, sagte mit einem etwas zweideutigen Seitenblick auf den Iren der Kapitän. Jim, der aufmerksam mit dem Fernglas zur Insel sah, verstand diese Anspielung und lachte.

»Ich bin am Hals so kitzlig wie der beste Priester, Kapitän, und jeder paßt auf sein bißchen Leben so gut auf, wie er kann, ob's nun der Mühe wert ist oder nicht.«

»Nein; Jimmy, so war es nicht gemeint!« rief Mac Rally etwas verlegen.

»Bitte, genieren Sie sich nicht!« lachte Jim. »Tun Sie, als ob Sie zu Hause wären, lieber Kapitän. Aber dahinten kommen die Kanus!« unterbrach er sich plötzlich. Den rechten Arm richtete er dabei gegen Point Venus. Eben wurde dort eine kleine Flotte der einheimischen Fahrzeuge sichtbar. Als er sich den Inhalt etwas näher angesehen hatte, rief er aus: »Heute geht die Geschichte los da drüben! Heute bekommen wir etwas zu sehen, und je eher wir hinüberfahren, desto besser wird es. So leicht werden wir keinen besseren Abend für das Ausschiffen bekommen. Kein Teufel paßt heute nacht auf die ein- und ausgehenden Boote auf.«

Der Kapitän hatte das Glas wieder genommen und einen Augenblick hindurchgesehen. Als er es zusammenschob, antwortete er mit einem halb versteckten Lächeln:

»Sie haben recht, Jim, da hinten schwimmen die Hauptschauspieler der heutigen Komödie. Drei Kanus voller Schwarzröcke, Gott weiß, wo die alle herkommen! Die Feierlichkeit wird nun auch bald beginnen, und – ha, bei Gott!« unterbrach er sich plötzlich, als er sich zufällig zu dem Kriegsschiff umgedreht hatte. »Dort weht die tahitische Nationalflagge!« Tatsächlich stieg in diesem Augenblick die rote Flagge mit dem weißen Stern auf der englischen Fregatte an der Gaffel des Besansegels auf. »Was die Leute für Streiche machen! Meiner Mutter Sohn müßte sich irren, wenn sie nicht heute da drüben Unheil anrichten!«

»Desto besser, Kapitän!« rief Jim, sich vergnügt die Hände reibend. »Desto besser. Es wäre ein Gaudium, wenn ich erleben könnte, wie die beiden Erbfeinde England und Frankreich wieder einmal einen Koller kriegen. Viel zu lange hat es schon Frieden gegeben. Aber enges Fahrwasser zum Manövrieren hätten sie hier, und die Korvette hielte es auch nicht lange genug mit der Fregatte aus, damit es interessant wird.«

»So weit treiben sie es nicht!« antwortete kopfschüttelnd der Kapitän. »Der Franzose ist zu klug, sich hier mit einer solchen Fregatte einen verzweifelten Kampf zu liefern. Nein, es kommt jetzt darauf an, wie das Schiff heißt, das zuerst in den Hafen einsegelt.«

»Der Hauptspaß ist dabei, daß die Leute, die den Einsatz in diesem Spiel stellen, noch nicht einmal mitspielen. Die, die nichts zu verlieren haben, die Missionare, die trumpfen aus!«

»Es ist Zeit, hinüberzufahren!« sagte Mac Rally. »He, da vorn! Damn it, ihr Burschen, ihr überschwemmt heute das Deck, als ob ihr die Nägel herausweichen wollt! Mein Boot nieder, und vier von euch hinein. Und du, Bob«, damit wandte er sich, an den Zimmermann, der eine gewisse Autorität an Bord ausübte, wenn die Offiziere an Land waren, »passe mir etwas auf, und wenn es am Ufer Unruhe geben sollte und einer von unseren bärbeißigen Nachbarn vielleicht die Zähne zeigen möchte – du kennst ja das Zeichen –, so hoch mit dem Anker, und seht zu, daß ihr außer Schußweite kommt. Wir brauchen unser Holz später noch! Aber bis dahin bin ich auch auf jeden Fall wieder zurück.«

»Soll die Flagge wehen bleiben, Kapitän?« erkundigte sich Bob. Mac Rally stand schon auf der Schanzkleidung und war eben im Begriff, in das Boot zu steigen. Er blieb stehen und schaute einen Augenblick wie unschlüssig nach dem bunten flatternden Tuch hinauf.

»Es wäre patriotischer, aber politisch ist es nicht. Etwas anhaben können sie einem auch nichts. Ach was, der Wind zerfetzt das Tuch nur. Wenn wir an Land sind, nimm den Lappen herunter!« Mit dieser unehrbietigen Bemerkung über die eigene Nationalflagge sprang er, von dem Iren gefolgt, in sein Boot. Kräftige Ruderschläge trieben es gleich darauf blitzschnell über das Wasser zum nicht fernen Ufer.

Hier wimmelte und schwärmte es jetzt von Menschen. Der Hauptzug bewegte sich den Strand hinunter. Am sogenannten Paré, einem Teil der Küste, stand das Haus der Königin. Hier war der für heute bestimmte Versammlungsort des Festes.

Eine bunte Mädchenschar drängte sich am Ufer hin und an der Kirche vorüber, deren Glocke in einem oben ausgeschnittenen, stämmigen Orangenbusch hing. Es waren hübsche Gestalten mit tiefdunklen, schwärmerischen Augen und zartgeschnittenen, rosigen Lippen, oft mit kaum gebräuntem Teint. Erröteten sie, so trat diese Farbe so deutlich hervor wie unter einer weißen Haut. Aber die üppigen Formen waren durch das jetzt kurz geschnittene Haar und das entsetzliche Modell eines Frauenhutes nicht gerade geziert. Es handelte sich um die fromme Schar der Tahitierinnen, die sich zur protestantischen Kirche bekannten. Mit den Vorurteilen mußten sie auch ihr Lockenhaar wegwerfen, weil es als falsch und sündig galt. Weshalb? Weil es beim heidnischen Tanz Blumen getragen hatte, und die freundlichen Kinder dieses herrlichen Himmelsstriches schmückten sich selbst jetzt noch gern mit den knospenden Blüten. Aber weg mit dem irdischen Tand! Wer Gott dienen wollte, durfte sein Herz nicht an die Erde und ihren Schmuck hängen! Fort mit den langen, lockenden Haaren und den Blütenkränzen! Einen anständigen, christlichen Hut mit christlicher Form auf dem Kopf, der geschoren war –das sündige Herz würde sich schon anpassen.

Wie sie so ehrbar kamen, die sonst so wilden Mädchen, das Auge zu Boden gerichtet, die schwere Bibel im Arm gegen die volle Brust gepreßt, verbargen die Hüte ihre Züge. Das lange, faltige Gewand umhüllte fast vollkommen die zarten Gestalten und ließen nur den Fuß – nicht das Schönste an ihnen – frei.

»Wahine! Naha, naha Maire!« rief da eine neckische Stimme dicht neben der Gruppe. Ein reizendes Mädchengesicht ohne den entstellenden Hut und mit langen Haaren bog sich nach vorn, um dem nächsten Mädchen unter den schrecklichen Hut zu sehen. »Naha Maire.«

Aber die Angesprochene bog ihren Kopf nur noch weiter zur Seite. Schämte sie sich wegen ihrer frommen Tracht? »Naha Maire«, klang wieder der Ruf. »Bist du es, aiu, oder nicht? Sieh her, Maire, dreh dich um!«

»Da nimm das!« rief plötzlich eine der Frommen und schlug mit der linken flachen Hand an ihre Lende. Das war ein Zeichen gründlicher Verachtung. »Das für dich, du böse Ate-ate, laß mich zufrieden, pfui über dich!«

»Hahaha!« klang es hell wie ein Silberton von den Lippen der anderen. »Hahaha, Maire, armes Kind!«

»Laß sie gehen!« wurde da Maire von einer Nachbarin angestoßen. »Laß sie gehen, es sind wilde Geschöpfe und taugen nicht für uns. Wenn es der Mitonare sieht, daß wir mit ihnen gesprochen haben, wird er böse!«

»Maire, Maire, armes Mädchen!« riefen jetzt mehrere andere.

»Ach was!« rief die Schöne jetzt lachend aus. Sie warf ihren Hut zurück und funkelte ihre Gegner am Straßenrand an. »Ihr könnt mich nicht am Kirchgang hindern. Aber glaubt ihr, daß ihr es nachher toller treibt als ich?«

»Ah, maitai maitai Maire!« jubelte da Ate-ate laut auf. »Lebst du noch unter dem Hut und liegt dein Herz nicht zu Hause bei den Haaren im Bananenblatt?«

»Wenn sie nur so schnell wieder wüchsen, wie man sie abschneiden kann!« rief das schöne Mädchen wütend und warf einen mürrischen Blick zu ihrem Schatten.

»Wenn mir die Haare wachsen, schneide ich sie nicht wieder ab«, sagte ein anderes Mädchen neben Maire. »Solange sie kurz sind, bin ich fromm.«

Drrrrrum, drum, drum, klang der Wirbel und Ton plötzlich. Heller, fröhlicher Trommelschlag, das National- und Lieblingsinstrument der Insulaner. Es war der Beginn des wildesten, aber auch deshalb beliebtesten Tanzes.

»Achtung, Maire!« rief Ate-ate und machte einige Tanzbewegungen. »Der Upepehe!

Horch! Horch, wie der Trommel Klang
Hell durch die Palmen drang – horch!
Zuckt mir's durch Fuß und Knie,
Zuckt mir's im Herzen hie; horch!«

»Horch!« rief auch Maire, und ihre Augen blitzten und funkelten in einem wilden Feuer, zu dem das dicke Buch unter dem Arm nicht recht passen wollte.

»Horch! – Laut wie die Brandung jägt,
Gegen die Riffe schlägt – horch!
Wirbelt der Trommel Ton,
Herzchen, ich komme schon! Horch!«

In den Chor fiel die ganze übrige fromme Schar jubelnd ein. Mit den Büchern im Arm warfen sich die tollen Mädchen von beiden Seiten in den wilden Upepehe-Tanz und sprangen jetzt mit den anderen auf und ab. Ihre großen Hüte fingen den Wind auf und schlugen hoch und nieder. Wie von einer Tarantel gestochen schien die ganze Schar, selbst die ernsten unter ihnen, die mit finsterem Blick den Anfang beobachtet hatten, schwiegen, sahen sich nach rechts und links um, zögerten – und sprangen mitten hinein in den jubelnden Chor.

»Mi-to-na-re!«

Wie dem Schwimmer das Wort »Hai!« mit bleierner Schwere in die Glieder schlägt und ihm die Willenskraft nimmt, so schlug dieses Wort in die Reihen der Tanzenden. Einen Moment standen sie wie in Stein gehauen. Der nächste Moment entschied aber den Sieg gegen die Trommel.

»Mitonare!« Mitten aus dem Tanz heraus zuckte die Schar in den früheren stillen und ehrbaren Gang. Die Hüte fielen nieder und verdeckten die jetzt glühenden Gesichter vor prüfenden Blicken. Die Kleider wurden geradegezupft, und ernst und feierlich wanderte die junge Schar der unschuldigen Heuchler dem Paré zu.

Die Warnung war aber kein Scherz gewesen. Vor dem Haus des jetzt verreisten früheren Missionars und jetzigen englischen Konsuls Pritchard stand die fromme Schar der Missionare versammelt. Es waren alle, von jeder Insel waren sie gekommen, und jeder von ihnen trug den schwarzen Frack und schwarze Hosen, weiße Halsbinden und Westen. Dazu kam das unpraktischste Fabrikat, das je ein Mensch in kaltem oder heißem Klima, in Sonne oder Schnee, in Staub oder Regen, bei Wind oder Stille, beim Gehen, Reiten oder Fahren getragen hat: der schwarze Zylinderhut.

Das Haus war ein weites Gebäude mit bequemer, luftiger Veranda, europäischen Türen, Glasfenstern und wohnlicher, eleganter Einrichtung.

»Er hat uns gesehen!« flüsterte eines der Mädchen dem anderen zu. »Er trägt ein langes Stück Metall, das wie perú aussieht, in der Tasche. Damit kann er von einer Insel zur anderen sehen.«

»Ach was, heute sagt er nichts!« flüsterte die andere zurück. »Zankt er trotzdem mit mir, gehe ich zu dem anderen Priester mit dem Kreuz und dem Licht. Dort darf ich mir die Haare wachsen lassen und komme doch in den Himmel der Weißen.«

»Die breite Pforte bleibt dir verschlossen, wenn dir die Mitonares nicht den Eingang zeigen!« warnte die andere sie.

»Ach was, dann biegen mir die anderen Mitonares den Bambus auseinander. Wenn ich nur hineinkomme!«

Die Mädchen kicherten unter ihren vorgebeugten Hüten ganz leise, und der Zug schritt langsam vorwärts. Dabei wuchs er mit jedem Schritt. Beim letzten Bethaus hatten sich alle anderen Kirchenmitglieder in feierlicher Prozession, angeführt von dem ehrwürdigen Mr. Rowe, angeschlossen.

Es waren ehrwürdige, aber merkwürdige Gestalten. Braune Gesichter und weiße Jacken, manche in Hosen, einzelne sogar im Frack und mit Lendentuch, mit Weste und kräftig gestärktem Vorhemd, die Beine tätowiert, den Kopf geschoren. Viele von ihnen trugen Bücher unter dem Arm. Der Ernst, der in ihren Reihen herrschte, machte auf die Zuschauer großen Eindruck. Jetzt traten die schwarzgekleideten Männer noch zu ihnen und führten den Zug an.

»Wer wird denn hier eigentlich begraben, Jim?« erkundigte sich Mac Rally, als sie am Strand den Zug sahen. »Wenn ich nicht wüßte, daß ich in Tahiti bin, würde ich glauben, ich sei aus Versehen irgendwo in Neu-England angelaufen.«

»Hätte ich die Mädchen mit ihren furchtbaren Hüten nicht eben tanzen gesehen, so würde ich das auch glauben!« antwortete lachend der Ire. »Aber schwarz sieht der Kopf da vorn aus, und dunkel gesprenkelt ist der ganze Zug. Aber so ganz ernst werden sie es wohl nicht meinen. Es wird wohl darauf hinauslaufen, daß sie den Höchsten anrufen werden, damit er ihre Sache, die sie in die Tinte geritten haben, rettet. Nachher sammeln sie noch eine Kollekte für Missionszwecke!«

Mac Rally schüttelte mit dem Kopf.

»Ich glaube es noch nicht. Wäre das englische Kriegsschiff nicht da, ja, aber der Kapitän hält zu ihnen, denn zu dem Franzosen kann er wohl nicht halten. Da wird sie wohl der Böse plagen, damit sie irgendeinen Streich aushecken, bei dem ihnen nachher die Insulaner die Kastanien aus der Asche holen müssen. Ich kenne meine Leute.«

»Achtung, jetzt wird es ernst!« rief Jim. »Dort kommen die Boote Ihrer Majestät, mit wehenden Flaggen. Gleich vorn die tahitische, na, da wird sich unser französischer Nachbar freuen!«

»So, Jim, dort in die Bucht. Es wird Zeit, daß wir landen und uns den Spaß vom Ufer aus ansehen.«

Die Leute am Ufer konnten nur langsam vorrücken, während die Boote rasch über die glatte Bai schossen. Die Besatzung hatte schon ihre Plätze eingenommen, ehe der größte Teil der Missionare mit dem vollen Zug eintraf.

Die Königin Pomare oder Pomare Waihine saß auf der Veranda ihres Hauses. Ihr Mann befand sich an ihrer Seite, die Hofdamen darum herum. Rechts und links standen die englischen Offiziere der »Talbot« mit den verschiedenen auf Tahiti anwesenden Konsuln Englands, Frankreichs und Amerikas. Einige der ansässigen Fremden waren ebenfalls eingetroffen, dazu kamen jetzt die Missionare. In weitem Kreis wurde der Hof von den verschiedenen Häuptlingen des Landes gefüllt. Sie wurden begleitet von vielen Stammesangehörigen und bildeten eine bunte, schillernde Gruppe. Viele von ihnen hatten sich gerade so viel von der Zivilisation angeeignet, wie nötig war, um ihnen eine eigene Nationalität zu nehmen.

Vorwärts, bunte Schar, grüße die Majestät! Vor dem Haus flattert im frischen Morgenwind das tahitische Banner, der einsame bleiche Stern im roten Feld. Alle Fremden grüßten mit gezogenen Hüten die Königin des Landes.

Auf ein Zeichen ihrer Missionare folgten auch die Eingeborenen diesem Brauch und begriffen vielleicht dabei zum erstenmal, wozu diese Hüte eigentlich nützlich waren.

Pomare erhob sich, dankte mit einem freundlichen Nicken und ließ ihren Blick lange und forschend über die Menschenmenge gleiten, die ihren einfachen Palast umlagert hatte. Kaum aber zeigte sie sich so dem Volk, das sie liebte und schätzte, als ein alter Mann, ein Häuptling von Taiarabu, ausrief:

»Pomare! Unsere Königin, ia ore na oe!« Wie einen Kanonenschlag, der das Echo in den Bergen weckte, faßte die Menge den Ruf auf, und laut wie, der Ton der Brandung klang es zurück: »Ia ore na oe!«

Pomare wollte reden, hob die Hand und öffnete den Mund, aber ihre Stimme versagte. Sie verdeckte ihre Bewegung mit der Hand und drehte den Kopf zur Seite. Da fiel ihr Blick auf die Fremden, auf die schwarzen Männer Gottes, auf die buntblitzenden Uniformen der Seeleute, und gewaltsam raffte sie sich zusammen, um vor den Fremden nicht schwach zu erscheinen.

Ein leichter Wink ihrer Hand rief Raiata, ihren Sprecher, an ihre Seite. Augenblicklich legte sich der Lärm, Totenstille herrschte, und dumpf und dröhnend hörte man das Rollen der Brandung.

»Es ist der Wunsch der Königin, daß die Verhandlungen dieses Tages mit einem Gebet beginnen!« erhob sich die volle, klare Stimme Raiatas.

»Dazu geben wir unsere volle Zustimmung!« nahm einer der Missionare das Wort. »Wir wollen den ehrwürdigen Bruder Rowe bitten, das Gebet zu halten.«

Die Königin neigte ihr Haupt. Während der feierlichen Stille, in der das Atmen der Menge hörbar war, begann der fromme Mann mit seinem lauten Gebet.

»Herr, mein Gott. Deine Hand liegt schwer auf diesem Volk!« sprach er mit lauter, klangvoller Stimme, die weit über die jetzt stille Versammlung dröhnte. Aber es war mehr ein Klageruf über das jetzige Elend des tahitischen Volkes als ein Gebet. Als er warm geworden war, wandte sich der Grimm seiner Rede gegen die Feinde des Landes und ihren Glauben, gegen die Franzosen und den »Antichrist«. Bibelverse schleuderte er gegen sie und schmückte seine Rede bildlich aus, um sie dem Volk verständlich zu machen. Er vergaß dabei, wie so viele Geistliche, daß eine solche Rede auch einmal ein Ende haben muß.

Pomare hob ungeduldig den Kopf, aber unbeirrt sprach Rowe weiter.

»Das Gebet!« flüsterte ihm einer seiner Amtsbrüder zu, denn alle außer ihm fühlten jetzt das Peinliche eines solchen ausgedehnten Vortrages, aber vergeblich. Immer feindlicher wurden seine Worte gegen die römische Kirche. Jetzt wurde auch von der Seite der Fremden, von denen einige ihr angehörten, Murren laut. Nur die Gegenwart der Königin hielt einen Einspruch zurück. Jetzt konnte es auch dem Redner nicht mehr entgehen, daß die Menge unruhig wurde.

Der ehrwürdige Mr. Rowe schwieg einen Augenblick und sah mit verklärtem Blick zum Himmel. Dann aber, wie von seinen Gefühlen übermannt, sagte er mit zuerst kaum verständlicher, dann aber anschwellender Stimme:

»Dein sei der Preis und die Ehre in der Höhe, Jehova, dein sei die Herrlichkeit. Schütze unsere Brüder in dieser Inselwelt, schütze das ganze Christentum vor den Versuchen des Papsttums. Gieße deinen heiligen Geist aus von da oben auf alle evangelischen Kirchen und vereinige sie zu einem lebendigen Glauben. Zerstöre rasch, bei dem Geist deines Mundes, die tödlichen Irrtümer des Papsttums, brich doch das Joch, das es auf die Nacken so vieler Völker drückt, und führe durch deinen Rat die Seelen, die es von Christus sonst entfernen möchte und die uns lieb und teuer sein müssen, zur glorreichen Freiheit ein der Kinder Gottes, aber...«

»Amen!« fielen in diesem Augenblick die neben ihm stehenden Brüder laut und rasch ein. »Amen!« riefen die nächsten, »Amen!« hallte es wie dumpfer Donner leise und scheu von den Lippen der Menge. Die Fremden, denen die fanatische Predigt schon viel zu lange gedauert hatte, atmeten erleichtert auf und räusperten sich. Der Geistliche konnte nicht weiter beten.

Pomare bog sich jetzt zu ihrem Sprecher hinüber. Raiata strecken den Arm über das Volk aus und sagte mit lauter Stimme:

»Ihr Männer von Tahiti und Imeo, Häuptlinge und Volk, ihr Fremden, die ihr an unserem Schicksal teilnehmt! Die Königin Pomare, Aimata, wird zu euch sprechen und mit euch sprechen über das Eingreifen einer fremden Macht in ihre Rechte. Wollte sie das weiter dulden, wäre sie nicht mehr Königin auf dem Thron Otus. Überlegt euch gut, was heute verhandelt wird, es ist eine wichtige Sache, und kein blinder Eifer sollte die Entscheidung lenken. Aber redet auch in Frieden und betet zu Gott, damit, wenn heute doch zornige Worte gesprochen werden sollten, sie mild und weich werden, wenn sie in euer Herz eingehen, und dort nicht Ärger und bösen Geist erzeugen.«

»Segne meine Seele, Jim! Wie die da erst kreuz und quer um den Kompaß gehen, ehe sie den richtigen Kurs kriegen!« sagte unser alter Bekannter Mac Rally zu seinem Begleiter, mit dem er ziemlich dicht an der Veranda bei den Missionaren stand. Auf dieser Seite standen auch fast alle Frauen, die sich durch Zufall dem Zug der Mädchen angeschlossen hatten.

»Die Sache wird langweilig!« sagte Jim und gähnte. »Jetzt werden sie gleich anfangen zu singen, und wenn wir nicht die hübsche Nachbarschaft...«

»Ruhe da! Still! Gebt Frieden!« tönte es von mehreren Seiten, und alle Köpfe drehten sich zu den beiden Seeleuten. Im gleichen Moment begann Raiata wieder. Jetzt wurde eine lange Rede Pomares vorgelesen in tahitischer Sprache. Darin beschrieb sie zunächst ihre Gefühle bei dem jetzigen politischen Zustand und forderte das Volk auf, diesem Zustand durch energisches, aber auch einiges Handeln ein Ende zu machen.

Dann wurde der Brief des englischen Admirals verlesen. Darin wurde die Teilnahme der Königin von England für die Königin von Tahiti ausgedrückt.Das war im Februar. Im März wurde aber erst die Besitznahme der Inseln durch die Franzosen in England bekannt. Nach dem beifälligen Murmeln der Versammlung wandte sich Raiata nun zu den verschiedenen Häuptlingen der nächsten Distrikte, um ihre Meinung zu hören.

»Fanue, sprich du. Was denkst du von der Gestaltung der Dinge im Reich. Der Älteste bist du, Pomare fragt dich, willst du die Flagge beibehalten, wie sie ist, oder dich der neuen Herrschaft beugen?«

Fanue, ein Greis, tätowiert aus der Heidenzeit und mit einem Tapa-Mantel anstelle des bunten Kattuns, hatte sich auf einen Stab gestützt. Er schien die Ansprache schon lange erwartet zu haben. Der Ton seiner Stimme klang rauh, und das lange, weiße Haar, das er nicht wie viele der gläubigen Christen abgeschnitten hatte, warf er aus der Stirn.

»Raiata hätte sich die Frage sparen können. Er weiß, wie Fanue denkt und gedacht hat, seit sie Oros Bildnis auf den Inseln stürzten. Es sind zu viele Fremde von vornherein hier gewesen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß ich für sie rede. Was hat der Ferani für ein Recht, uns zu regieren! Dasselbe Recht, das sich der Hai nimmt, wenn er in unsere Binnenriffe kommt, nur daß sich der Hai schämt, wenn er von Menschen dabei erwischt wird, und wieder zurückgeht. Der Ferani aber nicht. Aber es gibt viele Arten von Haien!« setzte er langsam hinzu und sah dabei alle Weißen an. »Die eine ist vorsichtiger, feiger als die andere. Fanue möchte einen Korallenblock nehmen und die Einfahrt verstopfen, dann ließe sich reine Bahn machen.«

»Das ist keine Antwort auf die Frage. Willst du die Fahne behalten?«

»Ich wußte nicht, daß das bunte Spielzeug die Hauptsache ist!« sagte der Greis mürrisch. »Wenn es denn schon eine sein muß, ist die so gut wie jede andere, weshalb also wechseln? Aber Otu wußte nichts von solchem Tand!«

»Fanue stimmt also für die Beibehaltung der englischen Flagge«, fiel hier Mr. Dennis, einer der Missionare von Imeo, ein. »Von einem derart würdigen Mann war das auch nicht anders zu erwarten.«

»Und du, Aonui?« fuhr Raiata fort.

»Halt ein, Pomare!« rief in diesem Augenblick der französische Konsul Mr. Mörenhout. Er hatte bislang schweigend und mit kraus gezogener Stirn zugehört. »Das überschreitet eure Macht! Der Vertrag, den du und vier deiner obersten Häuptlinge unterschrieben haben, gibt dir nicht mehr das Recht, hier zu entscheiden, was schon entschieden ist. Du bist die Königin dieser Inseln und wirst es bleiben, aber das kannst du nur unter Frankreichs Schutz, das dir ein besseres Bündnis als die Priester bot. Gib dich nicht wieder in ihre Macht, du würdest es sicherlich später bereuen!«

»Dir kommt es nicht zu, hier zu drohen, Konsul Mörenhout!« sagte Pomare und erhob sich von ihrem Sitz. »Ich war freundlich gegen dein Land gesinnt. Es ist ein mächtiges Land, und ich streckte deinem König die Hand entgegen, weil ich glaubte, daß er mich sicher aus diesem Leid führen wurde. Aber die Hand, die mich führen sollte, faßte mich so fest an, daß ich laut aufschrie. Sie tat mir weh, und ich will jetzt allein auf meiner Bahn gehen!«

»Die Königin hat freie Wahl, hier zu tun und zu lassen, was ihr gefällt!« nahm jetzt der englische Kapitän das Wort, als der französische Konsul antworten wollte. »Gezwungene Versprechen binden nicht. Nach ihrer eigenen Aussage ist sie gezwungen worden, und zwar in einem Zustand, in dem jede Frau vor Belästigungen von außen her sicher sein sollte. Die Verhandlung hier steht übrigens unter meinem besonderen Schutz.«

»In diesem Fall kann ich nichts tun, als gegen alles feierlich zu protestieren, was gegen die geschlossenen Verträge mit dem Land, das ich hier repräsentieren darf, spricht. Tun Sie, was Sie verantworten können!« sagte der französische Konsul finster.

Eine kühle Verbeugung des Engländers antwortete ihm. Über die Züge Raiatas zog ein triumphierendes Lächeln, als er die Frage an Aonui, einen Häuptling aus der Matavai-Bai, wiederholte.

Aonui war ein frommer Christ. Er hatte seinen geschorenen Kopf entblößt und trug den Sonnenhut in der Hand. Schon bei der ersten Ansprache hatte er den Blick zu dem blauen Himmel gerichtet, auf dem sich nur einzelne Wolken zeigten. Er trug weiße Hosen und eine weiße Jacke, trotzdem noch den Pareu und ein buntes, rot und gelb gestreiftes Hemd. Um den Hals eine feste schwarze Binde und kleine, steife Stehkragen. Das hatte er bei seinen Lehrern gesehen und Freude daran gefunden. Bei der zweiten Anrede neigte er leise den Kopf und rief dann mit lauter, freudiger Stimme:

»Jehova sei Preis in der Höhe, sei die Ehre! Aber Pomare ist unsere Königin, ia ore na oe, und die britische Flagge ist die unseres Glaubens und unseres Herzens!«

»Sag unseren Interessen dazu, Aonui!« sagte Tati, der ungeduldig darauf wartete, reden zu dürfen. »Sag unsere Interessen, aber laß das Herz weg. Die natürlichste Flagge für uns muß die Landesflagge sein, die rote Fahne mit dem weißen Stern, oder noch besser die weiße Kriegsfahne unserer Väter!«

»Aonui redet!« rief der Sprecher der Königin und hob seinen Stab. »Tati wird reden, wenn es die Königin befiehlt!«

»Tati wird...!« rief der stolze Häuptling wild aus, aber er bezwang sich wieder, noch ehe die Hand Paraitas ihn warnend erreicht hatte. Die Arme fest vor der Brust gekreuzt, die Unterlippe zwischen den Zähnen, blieb er stehen und sah finster vor sich.

»Friede, mein Bruder!« rief Aonui freundlich und fuhr mit ruhiger Stimme fort. »Friede sei zwischen uns immer, aber meiner Meinung bleibe ich treu. Die britische Flagge muß für unsere Herzen die teuerste sein, denn Großbritannien sandte uns die Bibel, und damit, glaube ich, habe ich wohl alles gesagt. Die Heilige Schrift ist unter uns, mehr brauchen wir nicht!«

»Nein, mehr brauchen wir nicht! Wir haben unsere eigenen Gesetze und Lehrer und die Bibel, das genügt uns! Fort mit der anderen Flagge!« fielen jetzt viele andere Stimmen ein. »Das sagt Terate, und das sagt Avei, das sagt Nane ini!« rief es von verschiedenen Seiten durch den Lärm.

Die Missionare schwiegen, aber mit gehobenen Händen standen sie da, und in Bruder Rowes Augen glänzte eine Träne.

»Gut von dir, Nane ini! Gut von dir, Avei und Terate. Ihr habt euren frommen, christlichen Sinn bewahrt!« rief Raiata und nickte da und dort hinüber. »Ihr seid Pomares Freunde, und der Sturm wird euch nur fester im Boden verwurzeln! Jetzt aber spricht die Königin durch mich zu dir, Tati, Häuptling und Dichter von Papara, aber Vasall Pomares, der freien Königin von Tahiti und Imeo. Sie fragt dich, weshalb hast du Hilfe bei den Feranis gesucht ohne Wissen deiner Königin und ohne ihr zu sagen, was du getan hast?«

Tati wollte sprechen, und seine ganze Gestalt zitterte vor innerer Aufregung. Er war heute in einen weiten Zeugmantel gehüllt, der in malerischen Falten bis über seine Knie hinunterhing. In den Haaren trug er, wie zum Trotz der anderen Partei, die alten Häuptlingsfedern.

»Bleibt Tati die Antwort schuldig?« erkundigte sich höhnisch der Sprecher.

»Nein, nein, und abermals nein!« schrie jetzt der stolze Häuptling, dessen Zorn die Oberhand gewonnen hatte. »Nur brauche ich dir nicht eine solche Frage zu beantworten. Da, die Männer an deiner Seite, die schwarzen mit dem frommen Blick, sollen dir Rede stehen, wenn du so neugierig bist!«

»Wir? Wer, wir?« erkundigten sich die Missionare erstaunt und auch bestürzt über den trotzigen Ton des einflußreichen und immer noch gefährlichen Mannes.

»Jawohl, ich wiederhole es: Ihr!« rief der Häuptling und trat vor. Den rechten Arm streckte er gegen die Missionare aus. Etwas ruhiger fuhr er dann fort: »Das unnatürliche Verhältnis, das dieses Land fest in seinen Banden hält, trägt jetzt die Schuld an unserem Zwiespalt, und es wird noch blutige Früchte tragen. Ihr verhüllt euch unter einem Mantel oder kommt darunter hervor, wie es euch paßt. Mit eurer durch nichts zu erschütternden Ruhe und dem Frieden Gottes auf den Lippen könntet ihr einem Heiligen die Kriegskeule in die Hand pressen und den Wurfspeer. Ihr Prediger seid es gewesen, die unser Land regiert haben, seit Pomare II. im Grab liegt. Ihr habt Gesetze aufgeschrieben, und durch den Mund der Häuptlinge wurden sie umgesetzt. Ihr habt Strafen aufgeschrieben, und durch die Hand der Häuptlinge wurden sie Wahrheit. Ihr wart es, die uns das Buch erklärten, das ihr die Heilige Schrift nennt. Wir kannten es nicht, Gott hatte uns im Dunkel gelassen über sein Reich. Ihr habt viel Gutes getan, ihr habt Väter daran gehindert, daß sie ihre Kinder erschlugen. Ihr habt manches Leben gerettet, denn Oros Priester sind von diesen Inseln verschwunden, und sie schlachten keine Opfer mehr. Aber ihr habt auch das Vertrauen des Volkes zu seinen Fürsten und Häuptlingen untergraben und nennt die Bibel, wenn man euch fragt, warum. Ihr habt unsere Gebräuche und Feste vernichtet, und die Bibel ist der Grund, auf dem ihr fußt. Eure Gesetze und Strafen, fragt man euch danach, kommen sie aus der Bibel!«

»Aber, Tati, das ist ja...« unterbrach ihn hier Aonui.

»Ruhe dort, wenn Tati spricht!« donnerte ihm der Häuptling entgegen und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Das ist gut. Das Buch der Bücher ist ein fester Grund, und ihr versteht es, darauf zu bauen. Aber laßt es nicht den Wall sein, hinter den ihr springt, um euch zu verbergen. Als jene fremden Priester, die in unser Land gekommen waren, durch euch verbannt wurden von dieser Insel...«

»Das ist falsch!« unterbrach ihn der Missionar Rowe mit einem frommen Blick nach oben und einem tiefen Seufzer. »Das ist falsch, denn Tahitis Gesetze sprachen allein ihr Urteil.«

»Und wer gab die Gesetze, die sie damals trafen?« lachte bitter der Häuptling. »Ihr! Wer deutete sie der Königin? Ihr! Wagt es und sagt, die Königin sei frei! Es ist nicht wahr, sie liegt in euren Maschen, in eurem Netz liegt das ganze, fanatisierte, Volk. Es braucht nur einen Aufruf und einen Bibelvers, um sich blind dahin zu stürzen, wohin ihr es verlangt. Dreht eure Augen zum Himmel. Gottes Tod – hier stehe ich, und der Herr da oben mag mich stürzen, wenn ich ein einziges falsches Wort spreche, ein einziges Wort, das mir nicht warm und wahr in der Seele glüht. Die Gesetze? Die Häuptlinge? Nicht ihr? Wagt es und sagt das eurer Königin ins Gesicht. Sagt das Fanue, Terate und Avei, nicht ihr? Die Häuptlinge, das Volk führen es aus, ihr aber, mit der Bibel in der Hand, ihr steht dahinter, und euer Ruf ist es, heimlich, aber laut, der sie treibt!«

»Du sollst deiner Königin nicht als Ankläger Rede stehen, Tati von Papara, sondern als Vorgerufener!« rief jetzt Raiata. Er hatte mit leichter Schadenfreude den Zorn des Häuptlings auf Leute ausströmen sehen, die ihm bis dahin viel zu mächtig schienen, um so etwas überhaupt nur für möglich zu halten. Aber die Königin winkte, und er mußte gehorchen.

»Gut, wenn Pomare dann absichtlich blind ist – was kümmert es mich! So höre also meine Antwort. Weil wir die Lösung unserer Wirren wollten, weil wir von den Feranis, die uns bedrängten, Hilfe erwarteten in dieser schweren Zeit gegen heimliche Feinde, schrieb ich meinen Namen unter das Papier. Bist du nun zufrieden?«

»Und du, Utami?«

»Tati hat den Grund genannt«, antwortete der allgemein beliebte Richter, und schüchtern wurden einige Beifallsstimmen laut.

»Und Paraita? Und Hitoti?«

»Utami und Tati hatten unterschrieben«, nahm der vorsichtige Paraita das Wort. »Wir dachten nicht weiter darüber nach, Utami denkt allein für viele.«

»Und stimmt Hitoti ebenfalls zu?« erkundigte sich der Sprecher erneut.

»Ich habe es nicht nötig, andere vorzuschieben. Ich tat es, weil ich es für das beste für unser Land hielt, weil mir das Volk mehr am Herzen liegt als die Kirche. Es mag ein Fehler sein, aber es ist wahr.«

Da erhob sich Pomare selbst, mit leicht gerötetem Gesicht. Mit der Rechten stützte sie sich auf den Stuhl und sagte leise, aber doch überall verständlich:

»Wünscht ihr, Häuptlinge meines Landes, die Hilfe und den Schutz der Feranis?«

»Nein, nein, beim ewigen Gott!« riefen die Häuptlinge, Tati und Hitoti an der Spitze, durcheinander.

»Was brauchen wir den Fremden?« fuhr Tati fort und schleuderte den weiten Mantel von seinem Arm. »Unsere Bäume sind fruchtreich, unsere Quellen süß, und wer kam, um Nahrung für die weite Fahrt zu holen, er oder wir? Trenne Tatis Hand vom Rumpf, wenn sie sich je ausstrecken sollte, um einen Fremden um Hilfe zu bitten, solange er sich im eigenen Land helfen darf!«

»Nein, wir wollen keine Hilfe von Fremden!« wiederholte Hitoti. »Aber laß dann auch deine Priester zu dem stehen, was sie sind, die Lehrer unserer Kinder, unseres Volkes. Als Richter brauchen wir sie aber nicht. Sie kennen unser Land nicht und nicht unsere Sitten. Sie kennen nur Gottes Wort. Laß sie das lehren, und wir wollen folgen und sie ehren.«

Die junge Königin winkte dankend mit der Hand, und Raiata ergriff wieder das Wort.

»So melde ich euch denn, ihr Häuptlinge und Eingeborenen der Insel, euch Fremden und Geistlichen, die ihr Anteil an uns und unserem Lande nehmt, daß es der Königin Wunsch und Wille ist, mit allen fremden Nationen und Fürsten auf freundschaftlichem Fuß zu stehen und zu bleiben. Sollte sie aber je die Hilfe einer anderen Nation benötigen, was Gott verhüten möge, so sei dieses Land kein anderes als Großbritannien. Sollte sie sterben, so soll ihr Erbe von diesem Land Schutz erbitten, bis zur spätesten Generation hinab. Ihr großer Bundesgenosse ist England. Von dort hat sie ihre Lehrer, ihre Zivilisation, ihre Gesetze und Religion erhalten, und sie will keinen anderen Bundesgenossen als den Briten.«

»England hat uns die Bibel gebracht!« rief ein Teil der Häuptlinge durcheinander. »Es hat uns den Heiland kennen gelehrt!«

»Und Krankheiten, die uns das Fleisch auf den Knochen verfaulen lassen!« setzte Tati dazu. »Verschreibt euch meinetwegen dem Teufel.«

»England ist unser Heil, unser Stolz. England ist unser Anker in der Not und im Sturm!« rief wieder ein Teil der Anführer, und der englische Kapitän verneigte sich dankend zu dem bunten Chor. Tati aber nahm Utamis Arm und wollte ihn aus dem Gedränge ziehen.

»Warte noch, erst kommt noch ein Gebet von einem der frommen Männer!« antwortete Utami. Auf ein Zeichen war die Menge still. Tati schüttelte ärgerlich den Kopf und zog den Freund fort.

»Laß sie doch beten und singen, ich will mich nicht über das schwarze Volk ärgern. Unser Volk ist blind und stürzt sich auf den Segen wie früher auf die Wunder Oros. Dabei läßt es sich die Hände binden. Weg hier, hinaus ins Freie, die Komödie ist zu Ende, und die schwarzen Areois haben ihre Sache gut gemacht.«

Wütend den Mantel um sich ziehend, ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging er die Straße zur Stadt hinunter.


 << zurück weiter >>