Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Sechstes Kapitel

Kala Rama

Der weit über die Grenzen seines kleinen Landes, ja über ganz Indien hinaus berühmte Minister, der jetzt, von zwei Dienern begleitet, in das Zimmer trat, war ein hochgewachsener, schlanker Greis mit bartlosem Gesicht, dessen edle, geistvolle Züge in heller Bronze gegossen schienen. Amanda hatte nicht unrecht, wenn sie nach der ersten Begegnung mit Kala Rama sagte, er sehe eher wie ein PanditPandit, Schriftgelehrter oder Sannyasin,Sannyasin, religiöser Bettler, Heiliger. denn wie ein Staatsmann aus, wenn auch eine gewisse weltmännische Gewandtheit und eine Sicherheit des Auftretens, wie sie nur die äußere Autorität verleiht, diesen ersten Eindruck wieder etwas verwischte. Zunächst wurde dieser Eindruck freilich unterstützt durch die für einen Orientalen und zumal einen Inder auffallende Einfachheit seines Anzuges: vom Scheitel bis zur Sohle war er in weiße Baumwollenstoffe gekleidet. Nur die Schärpe, die den langen Kaftan um den Leib sammelte, war aus weißer Seide, und prachtvolle Perlenschnüre hielten den leichten, faltenreichen Mantel mit den offenen Ärmeln über der Brust zusammen. Den einzigen farbigen Punkt aber bildete ein in seinem Turban befestigter gelber Diamant von seltener Größe und prachtvollem Glanz.

Kala Rama blieb an der Schwelle stehen, verbeugte sich und führte die linke Hand an die Stirn.

Der Minister war, wie männiglich bekannt, kein Linkser. An diesem Gruß »hing eine Geschichte«, wie die Engländer sagen, und zwar ein Stück Rajputaner Geschichte.

Ein Vorfahr Kala Ramas hatte, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, bei einer Begegnung mit dem Feldherrn des Groß-Moguls, sich durch Handschlag sicheres Geleite geben lassen. Kaum aber hatte er im Vertrauen hierauf sein Heeresgefolge abziehen lassen, als er gefangen genommen und bald danach im Gefängnis ermordet wurde. Von jenem Tage an aber grüßten die Mitglieder dieser Familie nur mit der linken Hand; und dies war ein so anerkanntes Privilegium, daß, wenn einer von ihnen am Hofe des Groß-Moguls in Delhi erschien, in jener herrlichsten Audienzhalle der Welt, der Nachfolger des großen Akbar auf seinem Diamantenthron es sich gefallen lassen mußte, durch diesen linkshändigen Gruß sich an den einstigen mit der Rechten geübten Verrat des Moguls erinnern zu lassen.

So unterließ denn dieser Gruß Kala Ramas niemals, durch seine fast legendarische Symbolik eine seltsam feierliche Wirkung auf empfängliche Gemüter auszuüben; und zumal auf die romantische Natur Edmunds machten die anerkannten Verdienste des Mannes nicht halb so starken Eindruck wie jener Hauch eines ritterlichen, feudalen Geistes, der diese nach der Stirn emporgeführte Hand umwehte. Fast wider seinen Willen fühlte er sich jedesmal aufs neue dadurch beehrt, wie durch die Berührung von einem wahrhaft vornehmen Wesen – was sich denn auch in seinem eigenen Gruß Ausdruck gab.

Sobald nun also der Salam allerseits mit gebührendem Anstand vollzogen war, nahm Kala Rama auf dem ihm angebotenen Stuhle Platz, und mit einem feinen Lächeln um die schmalen Lippen sagte er:

– Ich sehe dort, edler Sahib, in Ihrer Hand einen Brief, der im engsten Zusammenhang mit meinem heutigen, vielleicht etwas überraschenden Besuche steht.

– Wie, Exzellenz, Sie wissen? Ah, mein Onkel –?

Kala Rama nickte.

– Lord Pembroke hat mir die Ehre gemacht, sich vertraulich an mich zu wenden, und der Premier hat mich auf gleiche Weise ausgezeichnet. Diese beiden hohen Herren haben mir auseinandergesetzt, welch wichtige Aufgabe sie in Ihre Hände legen wollten, und haben mich aufgefordert, mein Möglichstes zu tun, um Sie zur Übernahme dieser Mission zu überreden. Ich habe denn auch keinen Augenblick verloren, um hierher zu eilen, aber gewiß wird meine Zurede überflüssig sein.

– Allerdings, Exzellenz, antwortete Edmund mit einem höflichen Lächeln, das nicht ganz ohne eine spöttische Beimischung war. – Sie würde insofern überflüssig sein, als ich mich gar zu wohl hier befinde, in dem Staat, den Ihre unvergleichliche Lebensarbeit zu einem so blühenden Zustand erhoben hat – gar zu wohl, als daß ich daran denken sollte, ihn so bald zu verlassen.

– Lieb wie es uns allen hier sein muß, edler Sahib, daß es Ihnen hier so gut gefällt, würde es mir doch sehr leid tun, wenn Sie aus diesem Grund einen so ehrenvollen Antrag von sich wiesen, zumal wo es sich um eine für Ihr Vaterland so wichtige Sache handelt. Mit Recht schreibt Ihr Oheim, die Negierung brauche dazu einen Mann, der – wie gerade Sie es sind – mit orientalischen Sitten vertraut ist.

– Noch immer nicht genug, Exzellenz. Ich möchte mir hier diese Sitten recht zu Gemüte führen.

Die Züge Kala Ramas nahmen einen ernsteren Ausdruck an.

– Nein, nein, Sir Trevelyan Sahib! Sie dürfen diese Gelegenheit nicht von sich weisen! Sie sind jung, Sie haben große Fähigkeiten; sollten diese nur hier in Müßiggang verkümmern?

– Warum denn nicht? Ich habe von jeher Indien als den Ort der Beschaulichkeit rühmen hören.

– Und doch sprechen Sie mit liebenswürdiger Überschätzung von meiner Lebensarbeit hier.

– O Sie, Exzellenz, gehören überall zu den Ausnahmen.

Eine gewisse Unruhe bemächtigte sich des Professors und des Sekretärs, denn das Gespräch schien mehr und mehr den Charakter eines Wortgefechtes anzunehmen, in welchem Edmund mittelst nichtssagender Redewendungen auszuweichen versuchte, auf eine Weise, die für einen so hochgestellten Mann, wie Kala Rama es war, wohl etwas Verletzendes haben konnte. Auch ließ ein ganz leiser Zug des Mißbehagens am Mundwinkel und ein etwas härterer Klang der Stimme verraten, daß der Minister anfing, dieses Spieles überdrüssig zu werden und eine Fortführung desselben seiner nicht ganz würdig zu finden.

– Ich vermute, daß dies als ein Kompliment gemeint ist –

– Aber Exzellenz, selbstverständlich – – –

Eine fast unmerkbare Handbewegung lehnte jede Versicherung als überflüssige Störung ab.

– Aber ich hoffe keine Ausnahme zu sein, wenn ich der Meinung bin, daß ein Untertan, der in einer politischen Krisis sich für eine bestimmte Mission ganz besonders eignet, nicht das Recht hat, diese auszuschlagen, wenn seine Regierung ihn damit beauftragt. Jedes andere Vorhaben muß dagegen zurücktreten; und ich wüßte nicht einmal, Sahib, daß Sie hier etwas von besonderer Wichtigkeit vorhaben könnten. –

Der Blick, der bei diesen Worten plötzlich hervorschoß und Edmund traf, schien Herz und Nieren durchdringen zu wollen. Edmund begegnete ihm mit einem halb trotzigen, halb spöttischen Blick, dem es aber offenbar Mühe kostete, standzuhalten. Arthur errötete wie ein ertappter Schuljunge, kramte in den Papieren, und wagte weder den Minister noch seinen Vetter anzusehen. Professor Eichstädt fühlte sich gänzlich aus der Situation herausgesetzt, – oder – mein Gott! – war es möglich, daß zwischen der Rani und seinem Wirt ein Abenteuer im Gange sei?

Die erdrückende Stille vor einem losbrechenden Gewitter schien im Zimmer zu herrschen. Aber dieser Moment war kaum gespürt, als er auch schon vorüber war.

Noch schien der Nachhall seiner letzten Worte nicht ganz verklungen zu sein, als Kala Rama mit einem unendlich anmutsvollen Lächeln fortfuhr:

– zumal Sie ja, wie ich höre, soeben einen schwarzen Panther, diese seltene Beute, erlegt haben. Nun haben Sie ja aber schon gewöhnliche Panther, Königstiger und Bären die Menge geschossen, Sie haben zu Pferde und mit der Lanze den Eber gejagt, was nicht nur die Rajputen, sondern selbst die Engländer als den feinsten Sport in der Welt betrachten. Also, was wollen Sie noch? Elefanten und Rhinozerosse können wir hier nicht bieten, und wenn wir auch könnten, dürfte Afghanistan doch vorzuziehen sein, von Ihrem eigenen Standpunkt aus – ich will sagen als Sport betrachtet. Denn – ich schicke dies voraus als ein Argument, das bei Ihnen wahrscheinlich am stärksten in die Wagschale fallen wird – wer jetzt nach Kabul geht, um in dem Sinne Ihrer Regierung mit Dost Muhammad zu verhandeln, der täte allerdings gut daran, zuerst sein Testament zu machen.

– Meines würde nicht viel enthalten, lachte Edmund, aber allerdings ist dies ein besseres Argument als irgend eines, das mein Oheim vorbringt.

– Wir wollen aber darüber nicht die ernsten übersehen, sagte Kala Rama. Die Lage ist meiner Ansicht nach etwa folgende: Seine Hoheit Lord Bentinck ist im Begriff, sich zurückzuziehen, was wir allgemein bedauern. Denn was man auch über einige seiner finanziellen Maßregeln urteilen mag – –

– Mein Urteil, Exzellenz, ist, daß er ein verdammt knickeriger Kerl ist, der alles in Geld machen will, und das einzige was mich wundert, ist, daß er der Versuchung widerstand, den Taj Mahal in Agra zu verkaufen, damit eins der größten Weltwunder um des Materials willen niedergerissen würde! Es war nahe genug daran; es muß ihn viel gekostet haben, auf die angebotenen lumpigen drei Iahks RupienDrei Iahks Rupien = 30,000 Pfund Sterling. zu verzichten.

– Nun, dann wollen wir ihm das um so höher anrechnen, meinte Kala Rama mit einem feinen Lächeln. Jedenfalls ist aber dies negative Verdienst nicht sein einziges. Seine Unterdrückung der Sati und Ausrottung der ThagsSati, Witwenverbrennung; Thags, Würger, religiöse und professionelle Raubmörder, im Dienste der schrecklichen Göttin Kali. gereichen ihm zu großem Ruhm. Vor allem aber hat er durch seine kluge und vorsichtige Politik die englische Regierung in Indien sehr gefördert. Deshalb ist es bedauerlich, daß er sich jetzt zurückziehen muß. Wenn nun Sir Charles Metcalfe, als Senior des Rates, ihm im Gouverneurposten folgt, dann dürfen wir erwarten, daß diese Politik fortgesetzt wird, solange er sich halten kann. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß es der Gegenpartei gelingt, Sir Auckland durchzusetzen. In diesem Falle teile ich ganz die Furcht Ihres Oheims und des Premier, daß Lord Auckland, dessen Temperament und Gesinnung ja bekannt sind, versuchen wird, den vertriebenen Afghaner Shah Shuja auf den Thron in Kabul zurückzubringen, wo indessen der Usurpator Dost Muhammad fester sitzt, als diese Leute glauben. Er weiß sehr wohl, daß Shuja in Ludhiana nicht ganz ohne Grund auf die englischen Bajonette hofft, und das treibt ihn hinüber zu den Russen, die Tag für Tag in Zentralasien Fortschritte machen und schon daran sind, einen festen Gesandtschaftsposten in Kabul einzurichten. Nun ist die Aufgabe die, den Russen den Rang abzulaufen und Dost Muhammad für die englische Seite zu gewinnen, wohl zu merken – ohne ihm Peshawar auszuliefern, denn diese Stadt den Sikhs wieder abzugewinnen, ist der Traum seines Lebens. Daß davon nicht die Rede sein kann, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; mit den Sikhs ist nicht zu spaßen. Ranjit Singh'sSikhs, Ranjit Singh. Die Sikhs waren eine religiöse Sekte mit militärischer Disziplin. Nach dem Fall des Mogul-Kaisertums beherrschte sie Pendshab. Ihr König Ranjit Singh (1800-1839) brachte die Macht der Sekte zum Kulminationspunkt. Er war ein treuer Verbündeter der britischen Regierung. »Befreite« sind von europäischen Offizieren ausgebildet und geführt und noch dazu von religiösem Fanatismus beseelt, und sie sollen nicht ihresgleichen haben seit den »Ironsides« eures Cromwell. Kurz, der Schlüssel Zentralasiens liegt in Kabul, und es gilt dessen habhaft zu werden. Wer diese Aufgabe löst, der würde England einen Dienst erweisen, der kaum zu überschätzen ist. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Sahib, daß Sie dieser Mann sein werden.

Kala Rama erhob sich.

– Und so habe ich jetzt die Aufgabe erledigt, die mir von Ihrem Oheim und in der Tat von der englischen Regierung anvertraut wurde.

– Es wäre meinem Oheim und der Regierung gewiß unmöglich gewesen, einen besseren Vertreter zu finden, Exzellenz, antwortete Edmund mit höflicher Verbeugung. Die Ausführungen Eurer Exzellenz haben ja allerdings der Sache ein anderes Aussehen gegeben, als es der Brief meines Oheims vermochte. Dieser Brief hat übrigens noch einen sehr interessanten Zug, auf den ich vielleicht die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz lenken darf.

Er reichte Kala Rama den Brief hin, mit der letzten Seite nach oben und in umgedrehter Lage.

– Bitte, Exzellenz, sehen Sie sich einmal diese Inskription an.

Drei Augenpaare betrachteten mit gespanntester Erwartung das Gesicht des Ministers.

Ein Stutzen und dann ein vorüberhuschendes freudiges Aufblitzen seiner Züge ließen erkennen, daß ihm die rätselhafte Inschrift irgend etwas sage.

– Exzellenz, was halten Sie davon? fragte Edmund atemlos.

– »Ein Fingerzeig der Vorsehung«, vermute ich? O, ein sehr hübsches Motto. Ich könnte mir in der Tat für diesen Brief kein besseres denken.

– Ich meine nicht den Sinn, Exzellenz, ich meine das Vorhandensein dieser Schriftzüge auf diesem Blatt – unter doppelter Versiegelung – der meines Oheims und der des Ministeriums. Daß die Schrift vor dieser Versiegelung angebracht wäre, scheint mir fast ausgeschlossen zu sein, da ich die pedantische Genauigkeit und Vorsicht meines Oheims kenne; und außerdem scheint mir diese Schrift nicht von einem Engländer herzurühren. Die Hand, die diese zwei Worte schrieb, scheint mir zwar unsere Buchstaben schreiben zu können, aber sie scheint mir gewöhnt zu sein, ganz andere zu schreiben.

– Ich glaube, darüber kann kein Zweifel sein.

– Aber Exzellenz, dann ist dies doch mehr als rätselhaft. Oder wenn Sie eine Erklärung dafür haben – – –?

Kala Rama schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder, mit einem Ausdruck, der bei einem anderen vielleicht als Verlegenheit gewirkt hätte, bei ihm aber nur den Charakter bedachtsamer Ruhe hatte.

– Nehmen wir an, Sahib, daß dieses sonderbare Phänomen vielleicht mir weniger rätselhaft als Ihnen ist, so kann ich es Ihnen doch nicht erklären. Wir Inder sind von Alters her im Besitze von Geheimnissen, die dem Westen völlig unbekannt blieben. Wir sind aber in diesem Punkte sehr vorsichtig – – sogar empfindlich. Diese Dinge sind uns, wenn auch nicht heilig, so doch höchst ehrwürdig, und wir lieben es nicht, sie dem Lächeln des sich klüger dünkenden Unglaubens – richtiger Nichtwissens – auszusetzen. Deshalb kann es sehr leicht geschehen, daß Sie auf eine Frage in dieser Richtung – zum Beispiel nach Raggi-Yog – eine glatte Verneinung zur Antwort bekommen, als hätte der Befragte nie etwas von einer solchen Sache gehört, obwohl sehr nahestehende Freunde von ihm im Besitze solcher Kräfte sein mögen.

Arthur nickte und sah triumphierend seinen Vetter an, der aber diesen Blick nicht beachtete, da er vor Ungeduld brannte, weil dieser schlaue Inder, wie er meinte, sich hinter nichtssagenden Phrasen einen Ausweg suchte. So richtete er nun denselben Blick auf den Professor und schleuderte dadurch diesen ehrwürdigen Mann aus der Zurückhaltung hinaus, die ihm der Respekt vor dem greisen Minister gebot.

– Aber Exzellenz, rief er, bedenken Sie doch, daß Sie durch solche Worte den unseligen Aberglauben aufmuntern, der schon einen so vortrefflichen jungen Mann – – –

Kala Rama schüttelte seinen Kopf mit nachsichtigem Lächeln.

– Da sehen Sie, schon werde ich von unserem gelehrten Freunde überfallen – –

– O Exzellenz, ich bitte Sie – – –

– Ihnen, lieber Professor, kann ich nur – von dem vorliegenden unbedeutenden Fall ganz absehend – mit den Worten des großen Dichters, der, wie mir scheint, euch Deutschen ebenso bekannt ist wie seiner eigenen Nation, sagen, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als eure Philosophie sich träumen läßt – eure – denn unsere Philosophie hat ja immer davon geträumt. Aber das, was Sie mir neulich über die Lehre eures großen Kant auseinandersetzten und auch noch die eines anderen, jüngeren – –

– Schopenhauer, meinen Exzellenz gewiß, ein noch unbekannter Schriftsteller, der aber sicher einem nicht geringen Ruhm entgegengeht. Sein Buch wurde mir bei der Abreise von einem Freund gegeben, der nicht gerade viel davon hielt, aber der Meinung war, es würde sich wohl als Reiselektüre eignen für einen, der nach Indien ging.

– Und darin hatte er recht, sagte Kala Rama, nach dem, was Sie mir über diesen Mann mit dem schwer auszusprechenden Namen sagten –

– Ein Teufel von einem Namen allerdings, aber Sie müssen lernen, ihn auszusprechen, murmelte Edmund, die Worte benutzend, mit denen Byron in seinem Journal Grillparzers gedachte.

– Ja, mein lieber Professor, solche Männer sind für mich erfreuliche Zeichen und deuten darauf, daß die Wege des Westens und des Ostens sich zusammenfinden werden, daß Ihr erdenken werdet, was wir erträumt haben. Ist es doch eine uralte indische Anschauung, daß Raum und Zeit nicht in die Tiefe, nicht in das Wesen der Dinge reichen. Aus dem »Selbst«, dem Unentstandenen, ist der Raum entstanden: er ist dem Subjekt des Erkennens eingewoben, lehrt der Vedanta, und der große Buddhist Nagasena antwortete dem König Milinda auf seine Frage über das Wesen der Zeit: Wo es Seelen gibt, die nach dem Tode wiedergeboren werden, dort ist die Zeit; wo es Wesen gibt, die gänzlich im Nirvana befreit sind, dort ist die Zeit nicht.

– Herrlich! Exzellenz, herrlich! O, Sie haben recht! Diese von allen tiefen Geistern geahnte, von Kant aber zuerst wissenschaftlich fest begründete fundamentale Wahrheit, die einzige Eingangspforte zu aller Metaphysik und zu jeder wahren Religion – sie wird die ganze Welt umspannen – sie wird, sie muß vor allem hier in Indien – –

Wer möchte ermessen, bis zu welcher Höhe philosophischer Beredsamkeit der Indologe, von der Inspiration des Augenblicks getragen, sich erhoben hätte, wenn nicht leider Sir Edmund, dessen Ungeduld jetzt überschäumte, die erste durch Atemnot des Redners geschaffene Pause benutzt hätte und auf die Gefahr hin, diesem gemessenen asiatischen Würdenträger als ein aufdringlicher Tölpel zu erscheinen, scharf eingeschnitten hätte: –

– Exzellenz, ehe Sie zu weit in die Metaphysik geraten, gestatten Sie mir die Frage: kennen Sie diese Handschrift?

– Ja, Sahib, ich kenne sie.

Diese mit größter Ruhe gegebene Antwort wirkte so verblüffend, daß selbst der begeisterte Kantianer aus der abstrakten Raum-Zeitlichkeit augenblicklich zur konkreten zurückkehrte. Arthur aber starrte Kala Rama mit weiter aufgerissenen Augen an, als es sich einem Minister gegenüber eigentlich geziemte.

Edmunds Stimme zitterte schon vor Erregung, als er weiter fragte:

– Dann werden Exzellenz mir gewiß nicht die Genugtuung versagen, mir kundzugeben, wer es war, der diesen Scherz sich mir gegenüber erlaubt hat.

– Das ist schon aus dem Grunde unmöglich, Sahib, weil hier kein Scherz mit Ihnen getrieben worden ist. Aber das kann ich Ihnen sagen: der Mann, der dies schrieb, meinte es gut mit Ihnen, und Sie würden gut daran tun, seinen Rat zu befolgen.

Nachdem Kala Rama mit tiefem und nachdrücklichem Ernst diese Worte an Edmund gerichtet hatte, fuhr er mit unerwarteter lächelnder Freundlichkeit fort:

– Ich muß auch gestehen, daß ich schon so überzeugt war, Sie in einer solchen Gesinnung anzutreffen, daß ich sogar darauf bedacht war, Ihnen zum Abschied ein kleines Erinnerungsgeschenk zu überreichen.

Bei diesen Worten trat Kala Rama nahe an den vor Verwunderung fast zurückweichenden Edmund heran.

– Der Stein, den ich in meinem Turban trage, hat Ihnen immer sehr gefallen, glaube ich, sagte er lächelnd und neigte seinen Kopf ein wenig, damit Edmund sich bequem den Diamanten ansehen könne.

– Der Schlangenstein ... ja gewiß, Exzellenz, der Stein ist schön, sehr schön.

– Nur schön? fragte Kala Rama. Verzeihen Sie, ich hatte den Eindruck gehabt, daß er Sie auf weit tiefere, fast geheimnisvolle Weise fesselte.

– Wenn ich ihn so anblicke wie jetzt – – –

– O Exzellenz, Sie irren sich nicht, rief Professor Eichstädt, ist es doch kaum eine Stunde her, daß Sir Edmund mir eben in diesem Sinne von dem Schlangenstein sprach.

– Ja, ich kann es nicht leugnen, gab Edmund zögernd zu, ich weiß selber nicht, was mich oft so seltsam berührte, wenn der Glanz seiner Facetten mein Auge traf. Jetzt, wo ich durch Ihr freundliches Entgegenkommen, Exzellenz, so ruhig und genau den Stein anblicken kann, sehe ich eben nur einen selten schönen Diamanten.

Kala Rama lachte leise, wie in sich hinein.

– Dann ist es gut, daß ich mich doch schließlich für ein anderes Geschenk entschlossen habe.

Er wandte sich an einen der beiden Diener, die an dem Türpfosten stehen geblieben waren, jeder einen verhüllten Gegenstand in den Händen haltend. Der Diener näherte sich mit tiefer Verbeugung und setzte einen kleinen, reichgearbeiteten Silberschrein auf den Tisch vor dem verwunderten Edmund hin.

– Eine wundervolle Arbeit, Exzellenz, gewiß ein sehr altes Stück, murmelte der noch immer etwas verwirrte Engländer.

– O, die Innenseite ist die Hauptsache, Sahib, entgegnete Kala Rama und reichte ihm ein zierliches Schlüsselchen. Edmund öffnete den Schrein. Kaum aber hatte er den Deckel zurückgeschlagen, als er mit einem halberstickten Schrei zurücktrat.

– Der Blick des fremden Yogi! murmelte er.

Arthur und der Professor hätten in ihrem Eifer fast die Stirnen zusammengestoßen, um zu sehen, was für ein Wunderding der Schrein barg.

Die Innenseite war mit weißer Seide ausgeschlagen, und darauf lag ein großer gelblichgrüner Stein, ein Zwillingsbruder, wie es schien, dessen, der im Turban des Ministers leuchtete.

Wie alle alten indischen Steine war er nicht in Facetten, sondern flach geschliffen. Wenn ihm aber dadurch auch das lebendige, unendlich reflektierte Strahlenspiel der auf europäische Weise bearbeiteten Diamanten entging, so war das stetige, intensive Leuchten seiner mystischen goldig-grünen Substanz um so machtvoller: – statt des Flächenschimmers lauter geheimnisvoller Glanz der Tiefe, statt spielender Geistreichheit schauende Weisheit.

– Wahrlich, rief Professor Eichstädt, jetzt versteh' ich das alte Sankhya-Wort: »Gleichwie etwa ein Juwel, ein Edelstein, von reinem Wasser, achteckig, wohlbearbeitet, auf lichter Decke liegend, leuchtet und funkelt und strahlt, ebenso glänzend ist die Seele, wenn sie nach dem Tode genesen ist. Das ist der höchste Glanz, über den es keinen größeren und helleren gibt.«

– Hohepriester des Sanskrittempels! sprach Kala Rama mit wohlwollendem Lächeln, – Ihr habt aus der Schatzkammer Eurer Gelehrsamkeit keinen geringeren Edelstein hervorgesucht, als ich aus dem meinen, und die beiden spiegeln ihren Glanz aufs schönste ineinander wider.

Dann wandte er sich heiter lachend an Edmund: –

– Verzeihen Sie, Sahib, daß ich mir diesen kleinen Scherz erlaubte und Sie so auf die Probe stellte! Sie haben dieselbe glänzend bestanden und sich in der Tat als Kenner gezeigt, als Sie den echten Schlangenstein mit solcher Sicherheit erkannten. Mit Ausnahme von mir selber wüßte ich in der Tat keinen, der imstande wäre, dies bei Tageslicht zu tun; denn im Dunkeln ist es eine leichte Sache, da der Schlangenstein dann ein schwaches Leuchten von sich ausstrahlt, das jetzt freilich nur der Rest von vergangener Herrlichkeit ist, wie er denn in der Tat im grauen Altertum auch noch andere köstliche Eigenschaften besessen haben soll. Die Sage von diesen sowie auch von dem Vorgang, wodurch diese beiden Steine an demselben Tag in den Besitz meines berühmtesten Ahnherrn kamen, ist noch erhalten; und Sie, mein lieber Professor, werden dieselbe in einem Manuskript finden, das ich als Geschenk für Sie mitgebracht habe, da ich weiß, daß alte Legenden Ihnen teurer sind als alte Steine.

– O Exzellenz! stammelte Professor Eichstädt, ganz überwältigt.

– Freilich ist es für Sie kein Abschiedsgeschenk, denn Sie bleiben ja jedenfalls hier, wenn auch Sir Trevelyan sich entschließen sollte, nach Afghanistan zu gehen. Das Manuskriptkästchen möchte ich aber am liebsten mit Ihnen in Ihrem eigenen Studierzimmer öffnen, Herr Professor, wenn Sie mich dahin führen wollen.

Edmund, der noch immer im Anblick des wunderbaren Steines verloren war, wurde bei diesen Worten aufmerksam und kam plötzlich zum Bewußtsein der seltsamen Situation, in die er durch dies Geschenk versetzt wurde.

– Aber Exzellenz, sagte er, als Kala Rama schon eine Bewegung machte, um sich zu verabschieden, ich kann ja unmöglich ein solches Geschenk annehmen. Dieser Stein ist – auch ledig aller Wunderkräfte – ein Vermögen wert.

– Und für mich, Sahib, antwortete Kala Rama, ist ein Vermögen nichts wert. Ich bin, wie Sie wissen, reich; aber bald, sehr bald werde ich reicher sein, als Sie sich wohl vorstellen können. Dieser Stein sollte, meine ich, dem gehören, für den er den größten Wert hat, und das sind offenbar Sie. – Nein, keinen Abschlag, Sahib, ich bitte Sie! Und auch keinen anderen Dank, als daß Sie morgen abend beim Gartenfest des Raja mir die Freude machen, sich mit dem Schlangenstein zu schmücken – auf Wiedersehen dort, Sahib!

Edmund wollte noch eine Einwendung machen, zögerte aber, bis es zu spät war und der Minister sich schon mit dem Professor der Tür zuwandte, die sein Diener aufmachte. Da schien er sich plötzlich anders zu besinnen.

– Ach Exzellenz, bitte – sagte er, einen Schritt vortretend – nur noch ein paar Worte.

Mit einem erstaunt fragenden Blick wandte sich Kala Rama an ihn.

– Eure Exzellenz haben mich durch dies großmütige und so überaus prächtige Geschenk, bei dem ich wahrlich noch nicht weiß, ob und wie ich es empfangen darf – durch diese märchenhafte Überraschung, die eben nur ein Kala Rama einem bereiten könnte, haben Exzellenz mich so außer Fassung gebracht, daß ich gänzlich einer kleinen privaten Angelegenheit vergaß, die mich noch heute in Ihren Palast geführt hätte, wenn Eure Exzellenz mir nicht zuvorgekommen wären. Sie ist vielleicht nicht von großer Wichtigkeit, aber ich möchte sie doch am liebsten nur in Gegenwart meines Vetters und Sekretärs mit Ihnen besprechen, Exzellenz.

Der Ausdruck Arthurs zeigte hinlänglich, daß er nicht eingeweiht sei. Seine Verwunderung war unverkennbar.

– Ganz wie Sie wünschen, Sahib ... Verehrter Professor, Sie werden mich so lange entschuldigen. Ich suche Sie alsbald in Ihrem trauten Studierzimmer auf, um Ihnen mein bescheidenes Geschenk einzuhändigen.


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