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Zwölftes Kapitel

Anne Bäbi erfährt es, was Kaltschmieden ist

Hässig über Gott und Menschen stund Anne Bäbi auf, und da es mit Gott nicht anbinden konnte, so mußten es die Menschen entgelten, und wenn kein Mensch bei der Hand war, sonst alles, was es in der Hand hatte, Schaufel oder Schüssel, Türe oder Teller. Man lacht darüber, wenn eine alte Kindermagd, um ein weinend Kind zu trösten, den Stein oder sonst was schlägt, worüber das Kind gefallen zu sein glaubt; und schlägt doch so manches weise Haupt alles, was es zur Hand kriegt, weil es dasselbe schuld glaubt, daß seine Seele trübselig ist oder aufbegehrisch sein Herz.

Als sie zMorgen geessen und Mädi die Überreste hinaustrug, winkte Anne Bäbi dem Jakobli ins Stübli und las ihm zuerst tüchtig den Text, daß, wenn es alles für ihn tue und sich fast die Seele aus dem Leibe laufe, er mache, als gehe ihn alles nichts an, da herumhöckele wie ein Lädi und, wenn es heimkomme halbtot vor Müde, nicht einmal daheim sei und zuletzt es nicht einmal fragen möge: «Muetti, was hesch gschaffet, ischs richtig?» Lange konnte Jakobli nicht zur Entschuldigung kommen, daß, wenn er gefehlt hätte, es ihm leid sei; expreß hätte er es nicht getan. Es solle ihm verzeihen, daß er nicht gefragt; aber es hätte ihm nicht gesagt, was es in Burgdorf machen wolle, und da hätte er auch nicht darnach fragen dürfen. Das war erst recht Öl ins Feuer. «Was nit gwüßt, wottsch jetzt no drglyche tue? Ume daß de mr nit z'danke bruchst und me dr vielleicht gar no aha sött, daß de glücklich sollest werde, du dummer Bub du! So mußt du mir aber nicht kommen! Nit gwüßt, was ih well, jawolle! Ih hätt guti Lust, dr nüt meh drvo z'säge und alles la z'hocke; aber ih bin nume e Narr, daß ih mi für anger Lüt so ma gmühe. Nit gwüßt! Seh, da lies u säg mr de no einist, ih has nit gwüßt!»

Somit stieß Anne Bäbi dem Jakobli die Schrift unter die Nase, welche es von Burgdorf mitgebracht hatte, die so eine Art Abtretung und Verkommnis war, laut welcher dem jungen Ehepaar das ganze liegende Vermögen der Alten übergeben, der jungen Frau nach Jakoblis Tode zugesichert wurde samt dem Rest des Vermögens nach der Alten Tod, während von dem, was sie zubringen sollte, keine Rede war, und auch nicht, wie es mit dem allfällig Ererbten gehalten werden sollte, wenn sie vor Jakobli kinderlos sterben sollte.

Ds Zyberlibure waren nicht gewohnt, bei ihren Rechnungen Gottes Gewalt in Anschlag zu bringen, und wenn sie Jakoblis Tod in Rechnung stellten, so meinten sie, was geschrieben stehe, stehe geschrieben, u ke Tüfel zwäng nüt meh dra. Daß e sellige Grieggel es selligs Mönsch, e Zyberlitochter, angends wien e Fluh, überleben könne, dachten sie sich nicht in der Möglichkeit.

Jakobli hatte das Papier lange in Händen, drehte es um und um und wußte nicht, was damit machen. In der Schule hatte er viel Gschriebnigs gelesen, aber so wenig gewußt vom Inhalt des Gelesenen, als er das in der Kinderbibel Gelesene wieder zu erzählen wußte.

Jakobli drehte also die Schrift um und um und wußte nicht, was sie bedeuten sollte. Anne Bäbi meinte, das sei Bosheit, schalt, bis Jakobli sagte: «Muetti, ich weiß gwüß nit, was das z'bidüte het.» «Ehtage sys, Ehtage, du Lädi! Weischs jetzt?» «Was sy das, Ehtage, Mutter?» fragte Jakobli. Jetzt war Anne Bäbi nicht mehr zu helfen, daß ihr Jakobli neunzehnjährig geworden und nicht wußte, was Ehetage seien. «Eh aber Bueb! Eh aber Bueb! Du bist doch dr dümmst Hung, wo Brot frißt. Das ist dGschrift, wo me macht, we zweu, die öppis hey, enangere hürate wey, damit me wüß, wies mit de Mittle gah söll. Weischs jetzt?» «Aber Mutter, wer wott de hürate?» fragte Jakobh.

Da stand Anne Bäbi mit offenem Munde, als ob es den Kifelkrampf bekomme, und sah Jakobli an, wie wenn er vom Mond gefallen wäre. «Hürate? Wer hürate well? Jetzt ist mr nimme z'helfe. We de e Narr ha witt, so la de e ysige mache, du Donnstigs Bueb du! Da laufe ich mir die Beine ab, um ihm eine Frau zu bekommen, stehe das Wüstest alles aus, und wenn ich endlich alles in der Richti habe, fragt mich dä Lumpebueb: ‹Wer wott hürate?›, grad als ob die Sache ihn nichts angehe. Eh aber Jakobli, Jakobli, geyhst du so mit deiner Mutter um? O Herr Jemer, was werde ich noch erleben müssen! Aber ich habe es manchmal gehört, je mehr man für die Kinder tue, desto wüster würden sie gegen einen.» Anne Bäbi nahm ds Fürtuch vor die Augen, und die Tränen kamen ihm wirklich; Jakobli war ganz verblüfft über beides, daß er heiraten und daß er gegen die Mutter so grob gefehlt haben sollte. «Aber Mutter, was kann ich dafür? Du hast mir ja gar nichts davon gesagt, und zSinn cho ists mr gwüß nit.» «Nüt drvo gseit? Chumm mir jetzt!» sagte Anne Bäbi, «längs Stück hat man ja von nichts anderem brichtet!»

Anne Bäbi war von den Menschen, die nie recht wissen, was sie sagen, und was sie denken; bald denken sie laut, bald denken sie nur und meinen zu reden. Wenn es so recht mit etwas in sich beschäftigt war, so ward das ihm so tief, laut und deutlich, daß es meinte, alle Leute müßten es wissen, wüßten, was da in ihm vorgehe. Darum kam es mit den Seinigen oft in Zank, daß es etwas befohlen haben wollte, das niemand gehört hatte. Jakobli kannte der Mutter Art; darum disputierte er nicht länger, sondern fragte: «Aber wen soll ich heiraten?» Vor seinen Augen stand hell und freundlich wie ein Stern am blauen Himmel ein Mädchen mit blauen Augen und seidenem Haar, und recht warm ward ihm ums Herz, gerade als ob ihm die Sonne hinein schiene. «Jetzt ist mir nicht mehr zu helfen! Kommt mit mir auf Kriegstetten, läßt sich selbst mit dem Mönsch an, verspricht ihm, ihns zu besuchen, und weiß nicht, wen er heiraten solle! Daß du so ein Wüster gegen deine leibhafte Mutter werden könntest, hätte ich nicht geglaubt.»

Jakobli stund da, als wäre er aus dem Himmel gefallen, und ums Herz ward es ihm, als wie es einem schönen Baum voll Bluest wird, wenn der Reif kömmt über Nacht, und längs Stück konnte er nichts sagen. Endlich sagte er: «Das wird öppe nüt sy, Mutter.» «Jawohl, das ist öppis», sagte Anne Bäbi, «und dSach muß abtriebe sy so gschwing als möglich. Der Ätti muß ungerschrybe und du auch; und denn mußt du die Schrift nehmen und sie zu ihnen tragen, daß der Zyberlibur und dTochter auch unterschreiben. Da kannst du einen Tag bleiben und zmornderist wiederkommen; es ist anständig, daß du einmal auf Gschaui gehest. Am andern Dienstag müssen wir dann alle wieder auf Burgdorf mitsamt der Gschrift und müsse drzu globe. Du siehst, wie das verflümeret Umtriebe gibt, und das alles deinetwegen, und dann stellst du dich noch, als gehe dich alles nichts an. Jakobli, Jakobli, wird mr nit e sellige!»

Dem Jakobli ward es schwer zumut; ganz kalt ward ihm im Gesicht, und im Halse würgte es ihn, als steckte eine ganze Kannebirne darin; wie ein Berg auf Drachenfüßen kam die Zyberlitochter gegen ihm zu, und es dünkte ihn, er müsse fliehen, und konnte doch nicht; er wollte sagen: «Öppe doch das nicht!» und konnte auch dieses nicht; da streckte Mädi den Kopf hinein und schrie: «Chumm gschwing, gschwing, dSäu sy use und springe gegem Kabis!»

Ja, Kabis und Säu gingen dem Anne Bäbi doch noch über Heiraten und Zyberlibure Tochter, und mit dem Mädi schoß es den Säuen nach, fragend in der Hitze: «Wer Tüfel lat se use?» «Was weiß ich!» sagte Mädi boshaft, «du wirst vielleicht heute morgen nicht gut aghäicht ha.» «Dreck!» sagte Anne Bäbi.

Da stand nun Jakobli mit der Schrift in der Hand mitten im Stübchen, und die Gedanken schwammen um ihm her wie Haifische um ein Schiff, und Weh und Leid bedeckten wie schwarzer Nebel seine Seele; er wußte längs Stück nicht, wo er war, wußte nicht, daß er weinte, daß die Tränen stromweis ihm übers Gesicht liefen.

Da streckte plötzlich Mädi den Kopf wieder zur Türe hinein und sagte: «Eh du arme Bueb, was hesch?» Mädi war nicht dumm, hatte die Privataudienz wohl bemerkt und wollte ihren Inhalt wissen. Daher mußten die Säue springen, und als sie glücklich wieder im Stalle waren, hatte es im Vertrauen Anne Bäbi gesagt, es dueche ihns, Hansli und Sami möchten ihnen je länger je weniger die Freude am Pflanzen gönnen, sie führen Land um zum Säen wie dNarre, und für ds Pflanzen und Flachs und Hanf bliebe keines mehr. Das war Anne Bäbi ins Haupt gestiegen, und weil es sich für eine Frau nicht schickte, so mitts im halben Tag z'leerem aufs Feld zu gehen, packte es Brot und Brönz in ein Körbchen, marschierte stracks dem Acker zu und sagte auf dem Wege allen Leuten, so hätte mans, wenn man zwee sellig Schnürfline hätte wie es; wenn man ihnen nicht alles in die Finger stoße, so vergäßen sie alles. Es hätte ihnen das zNüni zweggestellt gehabt und es ihnen noch gezeigt, da ließen sie es doch stehen, und jetzt könnte es einen halben Tag versäumen und es ihnen nachtragen.

So hatte Mädi sich freies Feld gemacht, und als es Jakobli in Tränen fand, machte es es gerade wie vor sechzehn Jahren, wenn Jakobli weinte. Es wischte ihm die Tränen ab, fragte: «Du arms Bübli, was brieggist, wer hat di höhn gmacht? Sägs ume, dene will ihs reise!»

Mädis freundliche Worte waren Balsam in Jakoblis Jammer. Mädis Gesicht kam ihm vor wie einem in der Nacht Verirrten der Morgenstern, ob sie sonst keine Gleichheit hatten. «Denk ume o», sagte er, «jetzt soll ich noch heiraten.» «He, ich habe gemeint», sagte Mädi, «das sei dir aparti nicht zwider?» «Aber denk ume o, Mädi, da soll ich Eine heiraten, welche ich nicht mag, ds Zyberlibure Tochter, von welcher du gesagt hast, daß sie so eine Wüste sei.» «Gell, ich habe es dir gesagt», sagte Mädi, «aber so geht es, wenn man einem nicht glauben will, und wenn me nit öppe zur rechte Zeit selber für Eini luegt.» «Wie hätte ich wollen?» sagte Jakobli, «ich bin ja immer daheim, und die Mutter begehrt nicht, daß ich allein fortgehe.» «Ho», sagte Mädi, «man braucht ds Beste nicht immer weit ußume z'suche, es läuft einem manchmal an der Nase herum; aber die sind rar, wo es da suchen. Lue, ih will dr öppis säge, aber sägs keim Mönsche! Du erbarmist mi, so e selligi müsse z'näh, u wes dr grusam dra gläge wär u du mi frugist, was ih seyti, we du mi begehrtest, so lue de, was ih seyti! Mir wärs lang wohl eso; aber ih has nit wie anger Lüt; wenn ih em Nebetmönsch diene cha u bsungerbar dir, so ist es nie Nei. U was dBrävi u ds Werch isch, so lue, wo ds besser miechist!»

Wie es bewegten Gemütern oft geht, so faßte Jakobli nur die eine Seite der Antwort auf und sagte: «Nein, die will ich nicht, lieber will ich sterben!» «He», sagte Mädi, «häb mi drfür u lue de, was ih imstang bi, für di z'tue!» Das hörte endlich Jakobli und sagte: «Das ist dir nicht Ernst; aber hundertmal lieber wollte ich dich als das große Tier; aber du und dMutter ginge nit zäme, und dr Vater hätts ungern wegem Gred.» «Ho», sagte Mädi, «es hat schon manches Gred gegeben, das wüster war, als das wäre, und wegen Anne Bäbi fürchtete ich mich nicht, dem wollte ich schon den Meister zeigen, wenn ich einmal Söhniswyb wär. Aber es ist geng so gange und wird geng so gah: wers am besten meint, den schätzt man nichts. Meinethalb, wenn d nit witt, su la's hocke, aber de lue, wer dr hilft!» So sagte Mädi und schoß zur Türe hinaus wie dr Byswind.

Am Abend selben Tages frug Hansli Anne Bäbi: «Was fehlt dem Jakobli, er het neue ke Mut?» «Er schücht si neue, am Sunntig zu Zyberlibure z'gah; es macht ihm Kummer, aber einist muß es doch sein. Wenn er einmal gwybet het, su wirds ihm schon bessere», antwortete Anne Bäbi. Aber es besserete Jakobli nicht. Die bevorstehende Gschauete und ihre Folgen stunden Tag und Nacht vor seinen Augen und immer grauenhafter. Wer einen feurigen Ofen vor sich sieht und weiß, er muß in einer halben Stunde hineinspazieren, dem muß es arg ums Herz sein; aber noch ärger war es Jakobli. Wer kecken Mut im Leibe hat oder einen zähen Widerstandsgeist oder eine zur Wehr geschliffene Zunge, der kennt die Not eines armen Menschen nicht, der ein lebendiges Gefühl hat, ein bereits erwärmtes Herz, den aber eine äußere, rücksichtslose Macht gegen einen Abgrund drängt einem Zustande zu, vor dem ihm schaudert, seine Seele sich windet und sträubt, und er ist kraft- und machtlos, sieht in einer Art geistiger Unbehülflichkeit kein einzig Mittel zur Wehr, keine Waffe zur Hand, nicht einmal die verneinende Rede weiß er zu gebrauchen, ja nicht einmal das stumme Weigern fällt ihm ein. Wie es einem Lamm, das man zur Schlachtbank führt, zumute ist, wie das Herz längst verblutet ist, ehe das Messer seinen Hals berührt, das fühlt eben keiner, dem kecker Mut im Leibe steckt.

Freitag wars, und am Sonntag sollte er auf die Fahrt zum ersten Male allein in die Welt hinaus, und noch dazu wohin! Und Stunde um Stunde rann vorüber, und Jakobli konnte sie nicht halten. Die Sonne ging unter, ging auf, brachte den Tag, nahm die Nacht, hatte kein Erbarmen mit dem armen Buben, dem das Herz im Leibe zerrann, und auch kein Mensch hatte Erbarmen mit ihm. Anne Bäbi hätte nicht begriffen, was es sich erbarmen solle, wo ja das Glück ins Fenster gucke. Mädi kupete und fand, es geschehe ihm recht, wenn er einen Schuh voll herausnehme, da er es ihm so wüst mache. Sami mischte sich wenig in die innern Angelegenheiten; bloß Hansli duechte es, der Bub schleiche so ums Haus wie ein Schatten an der Wand. Er fragte ihn: «Fehlt dir neuis?» Da hätte Jakobli fast geweint; aber er sagte bloß, es sei ihm so schwer in den Gliedern, bsunderbar in den Beinen, worauf Hansli meinte, es sei ihm auch manchmal so; aber es bessere ihm de neue grad von ihm selber.

So ging der Samstag vorbei, und die Nacht kam; aber kein Schlaf kam Jakobli, und doch wars ihm schrecklich in dieser Nacht, wie eine Stunde die andere jagte, wie eine Stunde die andere verschlang, wie die wilde Jagd der Zeit herauf toste aus der Zukunft, wie ein scheues Wild die laufende Stunde vor sich her trieb, die Nacht mit sich riß, den Morgen brachte, Anne Bäbi weckte, es vor Jakoblis Bett trat mit dem Sonntagsstaat. «Seh, Ching, stang uf!» sagte es, «bätt zerst, de mach di zweg, ih will go zMorge mache, es ist Zyt, daß de di uf e Weg machist.»

Anne Bäbi kochete zMorge, machte einen tüchtigen Eiertätsch für e Bueb zweg, mußte ihn aber dreimal rufen, ehe er kam, mußte dreimal mahnen, ehe er einen Bissen hinunterbrachte, und sagte endlich, er solle doch nicht so dumm tun; wenn ers auf dem Zyberlihoger so mache, so lachten sie ihn aus, und es früge sich, ob es aus der ganzen Sache etwas gebe. Jakobli sagte nicht einmal, das wäre ihm gleich. Das Wort blieb bei einem Stück Eiertätsch im Halse stecken.

Als er nicht mehr mochte, nahm ihn Anne Bäbi unter selbsteigene Hände, strählte ihn schön glatt und die Haare so weit in die Augen hinein als möglich, schob ihm ein Nastuch in die Tasche, befahl dem Hansli, er solle ihm einen Stecken bringen, der sich öppe schicke, brachte ihm aus dem Gänterli einen Schübel Neutaler, füllte sein Geldseckeli damit, ermahnte ihn, er solle sich ein paar Batzen nicht reuen lassen, unterwegs kramen, am Abend sie heißen ins Wirtshaus kommen und dort zeigen, daß er Geld habe; er solle die Schrift nicht verlieren, solle am Montag nicht spät heimkommen und jetzt gehen in Gottes Namen und de dr Gruß vrrichte uf em Zyberlihoger.

Da sagte endlich Jakobli Jammers voll: «Aber Mutter, wodüre muß ih, ih weiß ja dr Weg nit!» «Eh aber Bueb, weißt dr Weg nit! Du bist doch e Dumme! Dr Sami muß e Plätz mit dr, und de mußt frage; es git überall dütsch Lüt. Bist bald zwänzgi und weißt dr Weg nit emal uf e Zyberlihoger.» Anne Bäbi war auch von den Müttern eine, welche die Kinder wohlverwahrt unterm Flügel halten und dann doch, wenn sie dieselben darunter hervor in die Welt lassen müssen, sich einbilden, sie sollten die Welt kennen und alle Stege und Wege darin.

Sami mußte sich erst zwegmachen. Hansli schnitt draußen den zu langen Stecken ab, und Anne Bäbi war in den Keller gegangen, um für den Reisenden noch einige gute Birnen auszulesen, konnte aber lange keine finden, da die meisten schon teig waren. Diesen Augenblick benutzte Mädi, schoß zu Jakobli, der in stiller Trostlosigkeit alleine in der Stube war, und sagte ihm, es wolle nicht mehr höhns sein und ihm verzeihen, wenn er nur nicht dä Zyberlichratte heimbrächte; das solle er ihm nicht zuleid tun, selligs hätte es nicht um ihn verdient. Wenn es gwybet sein müsse, so wolle es zuletzt nichts dawider haben; er könne ihm bringen, wen er wolle, und es wolle ihm darzu verhelfen, was es könne, aber ume die nicht; und wenn dMutter e gute Blutstropf gege ihm hätt, so wett si ne nit am ene sellige Ort ychesprenge. Er solle sich nur wehre; wenn er nicht wolle, so könne ihn kein Mensch zwingen. Und dann zuletzt –. Da kam Anne Bäbi und machte saure Augen und fragte Mädi, warum es das Geschirr und das Wasser zusammen in der Gepse kalten lasse; und Mädi wich, sagte aber unter der Türe, gleichsam eine Batterie, die noch im Weichen feuert, es hätte nicht gewußt, daß es ihm nicht erlaubt sei, in der Stube zu sein, und wenn Anne Bäbi das Geschirr nicht sehen möge in der Gepse, so hätte es dasselbe selber chönne usewäsche.

Anne Bäbi packte nun dem Bueb die Säcke voll Birnen und gab ihm die Weisung, wenn er öppe durstig werd, so söll er a eyre chätsche; das sei hundertmal besser, als Wasser zu trinken bei jedem Brunnen, man wisse nie, wie das Wasser sei; es gebe Wasser, das grusam Bauchweh mache. Und wenn es doch Wasser getrunken sein müsse, so solle er die Rohre allemal mit dem Daumen gut auswischen; man könne nie wissen, wer vorher dGosche draghäycht gha heyg, und es sei nicht gut, enere jedere Gosche nachetreyche.

Endlich war Sami in den Lederschuhen, was allemal eine Staatsarbeit für ihn war, das heißt eine Arbeit, die eigentlich alle Tage gemacht sein sollte, aus Faulheit aber unterlassen wird, und wenn sie einmal zur Seltenheit gemacht werden muß, unter Krachen und Schnauben, unter Donner und Blitz, unter Toben und Tubeln gemacht wird, ungefähr wie die Hagelsteine in der Luft oder die Lavasteine in des Berges Bauch; gewöhnlich herrscht auch in den Wirkungen solcher Himmelssteine und den Staatsarbeiten wenig Unterschied: 's ist halt Hagel, und Hagel ist Hagel.

Jakobli hatte kaum Stimme genug, zu sagen: «Adie Mutter, adie mitenangere!» «Adie wohl!» sagte Hansli. Dem Anne Bäbi schoß das Wasser in die Augen, Mädi stund unter der Küchentüre und drückte ein Kaffeechacheli abeinander, und als Anne Bäbi an ihm vorbei schoß, ließ es die Stücke fallen und schrie: «Tüfel! Häb doch Sorg!» Aber Anne Bäbi achtete sich dessen nicht, lief bis unters Dachtrauf, sah den Dahinwandelnden nach, sah dann zum Himmel auf, rief nach: «Wartit! Wartit!» brachte aus dem Hause einen alten Parisol, vo wege es könnte heute cho regne. «U tuene de uf, wes regnet, ghörst?» sagte Anne Bäbi. «Aber lue, dr Bängel wott dr ufgah», setzte es hinzu, zog dann den Schuhbändel schön zweg, den Zipfel des Halstuches ebenfalls noch, den Hemdekragen zuletzt und sagte endlich: «Su göht i Gotts heilige Name!»

Es war dem Anne Bäbi doch warm im Herzen und Liebe zum Bub darin; aber die Liebe wird manchmal gar wunderlich, wie die süßeste Milch rächelig wird in einem unsaubern Geschirr. So wanderten sie nebeneinander fort. Jakobli stellte langsam seinen langen Stecken vorwärts, und Sami suchte sich noch einen im Hag. Als er endlich einen hatte, fragte er Jakobli: «Aber was sollst du eigentlich auf dem Zyberlihoger machen?»

«Ih soll ga wybe», sagte Jakobli und brach in ein Weinen aus, als ob ihm das Herz brechen wollte, daß er absitzen mußte und längs Stück kein Wort hervorbringen konnte. «Eh tue nit so!»sagte Sami, «Wybe geyht nit z'töde.» «Es ist nicht wegen dem Wybe», sagte endlich Jakobli, «aber das Meitli gefällt mir nicht, das verachtet mich, und ich habe es wohl gemerkt, es ist ihm nur wegen dem Geld, und es meint, es hätte mich bald getötet, und dann sei es eine reiche Witwe und könne nehmen, wer ihm gefalle. An mir ists ihm nichts gelegen, es spottet mich nur aus, und es ist es Mönsch wie e Fluh; wenn es niedertrappet, so zittern all Wäng, und wenn es taubs würd, so vrchroseti das mi eis Gurts.» «Warum nimmst es de, we d nit mußt?» sagte Sami. «DMutter wotts, was soll ich?» antwortete Jakobli. «Es hat schon manche Mutter etwas wollen und hat es nicht zwängen können», sagte Sami. «Wenns ume das ist, so häb du nit Kummer, dSach wird wohl z'chehre sy. Es wär bös, we alles düremüßt, was dWyber zwänge wette. Stang uf u chumm und bricht mr punktum alles, wies isch! Es müßt wunderlig sy, wenn du nit us em Lätsch chönntisch; won es Loch isch für dry, isch o nes Loch für drus.»

Jakobli erholte sich ob diesen Zusprüchen, erhob sich und erzählte dem Sami im Weitergehen den ganzen Handel, und wie er der ganzen Sache sich nicht geachtet, bis die Mutter mit dem Ehetag heimgekommen und ihn geheißen habe, nach dem Zyberlihoger auf Besuch zu gehen. Sami sagte: «Zeig die Gschrift!» Jakobli gab sie, und Sami sah lange hinein und studierte an derselben recht handlich, gab sie endlich zurück und sagte: «DSach ist gwunne, es isch no nüt ungerschribe; ke einzige Name isch drunger, und da giltet alles nüt, we du nit wottsch, und so zwänge ließ ich mich auch nicht.» «Aber Herr Jemer, Sami, was soll ich machen? Hest nit ghört, dMutter wotts absolut!» «Wehr di!» sagte Sami. «Ja, wie soll ich mich wehre, wenn sie es will absolut?» fragte Jakobli kleinlaut.»He, tues nit; säg, du wollest nit; zwänge wird dich niemand, und wenn d di wehrst, su hilft dr Hansli, und ds Wüstest alles wird Anne Bäbi nit mache», sagte Sami. «Aber was soll ich machen, und was soll ich sagen? DMutter seyt, ih muß wybe, und eine wie die bekomme ich nicht mehr, und het gar ruch mit mir gredt, won ih erschrocke gsi bi», antwortete Jakobli. «He, weißt du was», sagte Sami, «gehe du herzhaft auf den Zyberlihoger und la di nüt y; aber lue wohl und bsinn di a alles! Es müßt wunderlich gah, wenn de nit öppis gsächtest, wo de Grund hättest z'säge, du mögest sie nicht. Und dann sage nur herzhaft, wybe wollest, nur die nicht, eher dingest du zKrieg, und sollte es unter die Stuckroß sein. Am beste wärs, du könntest gerade sagen, du wollest die und die und keine andere, es ging in einer Strubelten zu. Weißt keine?» «Keine», sagte Jakobli. «Mädi het gseit, es wett mi; aber das man ih neue o nit.» «Ich glaube es wohl», lachte Sami, «das hat mich auch schon manchmal wollen; aber ich biß auch nicht an. Dä alt Narr, jawolle, het di welle? Es wär nit dumm von ihm; aber das wurd de lustig gah, Anne Bäbi und Mädi zäme!» «Es hat mich gmüht für ihns», sagte Jakobli, «aber es het mi duecht, es wär doch neue nit recht schickig.» «Dä Narr das!» sagte Sami, «aber häb nit Kummer, das hintersinnet sich deswegen nicht; es hat schon Manchen wollen und ihns noch Keiner, und deswegen hat es noch nie ein Kacheli Kaffee weniger getrunken.»

So unterrichtete und steifte Sami den Jakobli, solange sie beisammen waren, daß Jakobli ganz kuraschiert wurde; hatte er doch jetzt einen, der ihm die Mittel zum Widerstand angab; aber ob er dann auch die Kraft hätte, sie anzuwenden, das wußte er nicht, er meinte es.

Als sie endlich voneinander schieden, war Jakobli recht ordentlich zweg und schritt, den Parisol unter dem Arm, den Stecken in der Hand, kuraschierter in die unbekannte Welt hinaus.


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