Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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5.

Fast drei Wochen waren verflossen. Rennert hatte sich durch eifriges Regen über die erste, schwerste Zeit hinweggebracht.

Seine Frau war zu einer Jugendfreundin gegangen, der Gattin eines reichen Börsenmaklers, die ihr mit Vergnügen so lange Aufenthalt bei sich gewährte, bis die kleine Wohnung instand gesetzt sein würde, die sie sich gemietet hatte.

Die Scheidungsklage war schon eingereicht, und die einstigen Gatten verkehrten nur noch durch ihre Rechtsanwälte miteinander. Rennert hatte in vornehmer Weise bis zum gerichtlichen Austrag der Sache seiner Frau eine für seine jetzigen Verhältnisse sehr hohe Jahressumme zugesichert, die er überhaupt nur aufzubringen vermochte, wenn seine Pläne mit der Malschule ganz einschlugen. Aber auch dann blieb für seine persönlichen Bedürfnisse nur ein äußerst bescheidener Betrag übrig. Doch was fragte er danach. Er wollte es sich selbst beweisen, daß er auch »in der Mansarde« glücklich sein konnte. Und, abgesehen davon, er wollte seiner Frau, die er nun einmal jahrelang mit Luxus aller Art verwöhnt hatte, den Sturz in kleinere Verhältnisse, wenigstens so weit es in seinen Kräften stand, nach Möglichkeit erträglich machen.

Zum Glück ging mit der Begründung der Malschule alles ganz nach Rennerts Wunsch. Noch stand ihm ja gerade in den Gesellschaftskreisen, die ihm Schülerinnen liefern sollten, der Ruhm zur Seite, an dessen Wurzel er, ohne daß jene es ahnten, bereits die Axt gelegt hatte. Eine Schülerin von Knut Rennert zu sein, dem gefeierten Liebling der Ausstellungen, das war ja etwas, womit sich renommieren ließ, wozu sich die müßigen Töchter reicher Häuser mit Wonne drängten.

Schon oft waren früher deswegen Anfragen und Bitten an ihn ergangen. Aber er hatte sie stets abgelehnt. Was sollte er sich mit solchen Stümperinnen aufhalten? Die lumpigen paar tausend Mark, die ihm das jährlich eingetragen hätte, hatte er ja damals bei seinen glänzenden Einnahmen nicht nötig gehabt.

Nun aber mußte er anders denken: Jetzt sollten diese verachteten paar tausend Mark fast sein ganzes Einkommen bilden. Freilich, hätte es sich nur um seine eigene Existenz gehandelt, niemals hätte er das angefangen. Es war ihm gegen die innerste Natur, talentlosen höheren Töchtern mühsam das Pinseln beizubringen. Er sah dies als eine vergeudete Zeit an, die er besser für sich selbst hätte nützen können, draußen in der Natur. Für seinen eigenen Unterhalt hätten schon die bescheidenen Zinsen hingereicht, die ihm seine Ersparnisse einbrachten. Wenn Not am Mann war, konnte er auch ein paar Aufträge für illustrierte Zeitschriften oder etwas Ähnliches übernehmen. Aber seine Frau sollte versorgt sein. Um ihretwillen mußte er das Opfer bringen.

So verbreitete sich in der Gesellschaft, bei den malenden jungen Damen, plötzlich die frohe Kunde: »Kinder, wißt Ihr denn schon das Neuste? Rennert nimmt jetzt Schülerinnen an! Sehr mit Auswahl natürlich!« Man mußte doch die Sache gehörig herausstreichen, da man selbst des Glücks teilhaftig geworden war. »Nur ganz Befähigte, selbstverständlich!«

Da war es natürlich Ehrensache, auch seine Befähigung durch die Tatsache zu beweisen, und so hatte Rennert in wenigen Wochen sein Atelier voll, trotz des hohen Honorars, das er forderte. Von einem so berühmten Mann wie Knut Rennert hatte man das ja auch gar nicht anders erwartet, und überdies, nun konnte man als Mutter doch auch noch mit dem enormen Honorar renommieren, das man sich die Ausbildung der Tochter kosten ließ.

So war beiden Teilen geholfen. Mit einem geheimen ironischen Lächeln freilich belustigte Rennert die liebe Eitelkeit, die sich da zu ihm drängte. Was sie wohl dazu sagen würden, wenn sie wüßten, wie er selbst über diesen Ruhm dachte, vor dem sie so viel Respekt hatten. Wenn sie ahnten, daß dieser Ruhm sehr bald erblassen würde, wenn kein »neuer Rennert« mehr auf der Ausstellung und in allen Kunsthandlungen paradieren würde. Wer weiß, wie es dann noch mit dem Zulauf zu seinem Atelier stehen würde.

Aber so weit brauchte er ja jetzt noch nicht zu denken. Vorläufig ging alles, wie es sollte, und er stand jeden Tag seine sechs bis sieben Stunden im Atelier, belehrte und korrigierte und hatte seine grimmige Freude, wieviel Talentlosigkeit es auf der Welt gab, die sich für das gerade Gegenteil hielt.

Aber wie gering er auch von dieser seiner neuen Tätigkeit dachte, sie hatte doch das eine Gute, daß sie ihn von der Beschäftigung mit sich selbst ablenkte, und ihn schneller über das Schwere hinwegbrachte, das zu überwinden galt.

Drei Wochen hatte Rennert so dahingelebt, eigentlich völlig einsam. Denn wenn seine Schülerinnen, die als Menschen für ihn ja nicht in Betracht kamen, am Nachmittag gegangen waren, war er ganz allein in der großen Wohnung, an die ihn noch ein längerer Kontrakt band. Er hatte seine drei Dienstboten sämtlich noch am Tage von Ellens Fortgang entlassen, und alle Räume, bis auf sein Atelier und sein Schlafzimmer, abgeschlossen. So hauste er wieder wie ein Junggeselle. Morgens erschien eine Aufwartefrau, und seine Mahlzeiten nahm er im Restaurant.

Aber es war doch so ganz anders als damals in der Junggesellenzeit. Da hatte mit ihm in traulicher Enge der Frohsinn gehaust. Aus den verschlossenen Gemächern der öden, großen Wohnung aber, in der noch überall der Parfümhauch seiner Frau hing, drangen die Erinnerungen oft qualvoll zu ihm, wenn er so einsam für sich saß.

Da sagte er sich: Es ist nicht gut, daß du immer allein bist, du mußt unter Menschen gehen. Aber wohin, zu wem? Es kamen für ihn ja alle die Leute nicht mehr in Betracht, bei denen er mit seiner Frau verkehrt hatte. Die gehörten ja alle innerlich zu ihr, und standen gewiß auch äußerlich auf ihrer Seite. Nun, mochten sie! Er trauerte ihnen nicht nach.

Und andere Bekannte hatte er nicht mehr gehabt. Seine alten Freunde von ehedem waren ihm durch seine Ehe fremd geworden. So blieb ihm eigentlich nur noch Huber.

Zu dem aber hatte er bis jetzt absichtlich nicht gewollt. Denn dort traf er ein paar klare, still beobachtende Augen, denen er sich nicht zeigen wollte, solange die Wunde in seinem Herzen noch frisch war.

Nun aber war er über das Schlimmste hinweg; jetzt konnte er sich wohl in der Dörnbergstraße sehen lassen, und es verlangte ihn danach.

Es war ein Sonntag, um die Mittagstunde, als Rennert sich auf den Weg machte. Heute war er ja frei von seinen Lehrerpflichten. Es war doch ein ganz wohliges Gefühl, einmal zu feiern nach einer Woche voll regelmäßiger Arbeit. Früher hatte er den Sonntag nie empfunden. Da hatte er sich die Arbeit je nach Lust und Laune gelegt, manchen Wochentag gefeiert und den Feiertag zum Werktag gemacht. Die spießbürgerlich strenge Innehaltung der Arbeitsordnung, über die er so manchmal gespottet, hatte – das fand er jetzt – doch aber auch ein Gutes; sie verlieh ein Gefühl innerer Sicherheit: Du hast deine Schuldigkeit getan; nun hast du auch ein gutes Recht, zu ruhen und dich zu erfreuen.

Über Rennert lag daher eine stille Behaglichkeit, wie er sie seit langer Zeit nicht mehr gekannt hatte, als er jetzt Hubers Wohnung zuschritt, und im tiefsten Grund der Seele eine heimliche, keimende Freude, daß er nun zu den beiden dort treten würde als ein ihnen wieder Ebenbürtiger, ein Freier, der den Götzen nun wirklich zerschlagen hatte.

Auf sein Klingeln kamen diesmal leichte, schnelle Schritte zur Tür – sicher nicht die brave Frau Hippel, auch nicht Hubers schwere Tritte – nein, er ahnte, wer, und wie selbstverständlich sah er nun im Türrahmen aus dem Halbdunkel des Flurs heraus Hanna Mertens' stets etwas blasses Gesicht ihm entgegenleuchten.

»Ah – Herr Rennert!«

Es klang im ersten Augenblick überrascht; dann aber ergriff sie seine Rechte, die er ihr in schneller Bewegung entgegengestreckt hatte. Sein Druck war kraftvoll, fast froh. Sie sah ihm mit einer ernsten Frage tief ins Auge.

Er verstand sie und noch einmal preßte er ihre Hand.

»Ja – frei!«

Da fühlte er, wie ihre Finger sich einen Augenblick freudig in seine Hand schmiegten.

»Gott sei Dank! Ich fürchtete schon – da Sie gar nichts mehr von sich hören ließen.«

Sie standen immer noch auf der Schwelle; nun aber löste sie ihre Hand aus der seinen und trat, ihn einlassend, zurück.

»Veno ist doch zu Hause?« fragte Rennert, indem er Hut und Mantel im Flur ablegte.

»Ja – drinnen in der Küche, bei seinen Sonntagsknödeln.«

Es war fast ganz dunkel in dem Vorraum, so daß er ihre Züge nicht erkennen konnte und sie ihm zu Hilfe kommen mußte, um ihm den Kleiderhaken zu zeigen. Aber er hörte an ihrer Stimme, daß sie lächelte, wie sie von Hubers Küchentätigkeit erzählte. Er freilich kannte ja die Junggesellengewohnheit seines alten Freundes, sich das Mittagessen im Hause selbst zu bereiten. Besonders die Leberknödel waren seine Spezialität – die und der Gulasch, das machte kein Berufskoch besser als der Veno Huber.

»Richtig, die Sonntagsknödel!« kam es über Rennerts Lippen in froher Erinnerung. Wie manchmal hatten sie die in München zusammen gegessen, ehe es zum Sonntagnachmittagbummel in die Isarau hinausging, nach Talheim oder St. Wolfgang.

»Wo geht es in sein Allerheiligstes?« forschte Rennert lächelnd und tastete auf gut Glück zur Linken nach einer Tür. Dort mußte die Küche ja wohl sein.

»Hier!« Plötzlich legte sich eine Hand auf die seine, die zufällig gerade an der Klinke gewesen war. Ein flüchtiges, sekundenlanges Berühren nur, aber es hatte ihn bei diesem unerwarteten Begegnen ganz sonderbar durchzuckt. Was hatte sie doch für eine zarte, weiche Hand! Das hatte er vorhin bei der Begrüßung gar nicht so empfunden wie jetzt im Dunkeln, wo die Gefühlsnerven doppelt wach waren.

Inzwischen hatte Rennert die Küchentür schon aufgeklinkt. Da stand im hellsten Licht vorm Küchentisch am Fenster der Huber in Hemdsärmeln, seine blaue Bildhauerschürze voll Gipsspritzer, das Lodenhütchen keck auf dem Ohr, die unvermeidliche Pfeife im Munde, und knetete eifrig an der Knödelmasse, die auf einem Nudelbrett vor ihm lag.

Er hatte sich um das Aufgehen der Tür nicht sonderlich gekümmert. Gewiß war es Hanna Mertens mit einer Meldung. Aber nun scholl eine fremde Stimme – Rennert verstellte sich – an sein Ohr.

»Guten Tag, Herr Professor! Verzeihen Sie gütigst.«

Da fuhr er herum, fuchsteufelswild, daß ein Wildfremder ihn so antraf:

»Himmelherrgott noch einmal! Was für a Sauwirtschaft is denn dös?«

Doch da sah er Rennert an der Tür stehen und lachen, wie er es ihm nicht mehr zugetraut hatte, und hinter diesem Hanna Mertens, auch mit einem Schelmengesicht.

»Ah – du bist's! – Nun dank' deinem Herrgott! A Fremder, wenn d' g'wesen wärst, hätt' i dir's G'nack abdreht.«

Bei diesem freundlichen Willkommen wischte er sich die Rechte an der Schürze ab und streckte dann dem Gast, der inzwischen herangekommen war, die Hand hin, die dieser herzhaft schüttelte. Prüfend schaute er Rennert ins Gesicht. Ja, ganz verändert! So etwas Freies, Sicheres im ganzen Äußeren.

»Es geht dir gut, wie's scheint?«

»Gottlob ja, mein Alter. Ich habe dir allerlei zu erzählen.«

Einen Moment sahen sich die beiden in die Augen, Rennert nun wieder ernst. Da ahnte Huber, was geschehen war; Hanna hatte ihm ja neulich von der Unterredung mit Rennert erzählt. Und wie im Glückwunsch preßte des Bildhauers Eisenhand Rennerts Rechte.

»Dös freut mi, dös freut mi!« Dann aber blickte er auf seine Knödel. »Erzählst mir nachher fei alles – gelt? Aber jetzt mußt mich schon entschuld'gen.«

»Versteht sich!« erwiderte Rennert und klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Will dir die Andacht bei deinem Kunstwerk hier nicht stören.«

»Du tust doch mit? Natürlich!«

»Wenn's noch für einen dritten langt, gern. Aber ich bring' einen Wolfshunger mit, du! Wenn man so drei Wochen Restaurationsfutter hinter sich hat!«

»Na, da sollst halt mal wieder an anständige Mahlzeit halten!« versprach ihm Huber und wendete sich wieder eifrig seinen Knödeln zu. »Woll'n ihn schon rausfüttern, den armen Schlucker, gelt, Fräulein Hanna?«

Die nickte nur; doch eine frohe Stimmung lag über ihr.

Huber aber fuhr in einem wahren Hausfrauenstolz, der an dem schwarzbärtigen Riesen doppelt komisch wirkte, fort:

»Und an Schmarr'n mach i dir hintennach, mei Bua, wie d'n überhaupts noch net gessen hast!« Er schnalzte vielverheißend mit der Zunge. »Aber jetz' macht, daß ihr naus kommt! Topfgucker könn'n mir hier fei net brauch'n. Müßt euch derweil schon allein unterhalt'n.«

»Werden wir schon besorgen, nicht wahr, Fräulein Mertens? – Hab' nur keine Sorge um uns.«

Und scherzend gingen die beiden wieder hinunter ins Atelier. Hier begann sich das Mädchen die Malschürze aufzuknöpfen; sie hatte gearbeitet, bis Rennert kam. Aber dieser bat:

»Bitte, bleiben Sie doch so. Unter uns Kollegen!«

Doch sie tat die farbenbetupfte Schürze wirklich ab.

»Ich arbeite jetzt doch nicht mehr.« In einer einfachen, aber hübschen, hellen Bluse stand sie nun vor ihm, und ihre Augen blickten ihn plötzlich wieder ernst an. »Erzählen Sie mir nun – das heißt, wenn Sie wollen.«

Er dankte ihr mit einem warmen Blick. Dann setzte er sich wieder in den alten Lehnstuhl wie damals. Sie saß in seiner Nähe auf dem niederen breiten Fensterbrett des großen Atelierfensters, die Füße übereinandergeschlagen und die Hände um das Knie gefaltet, in einer ruhigen, vornüber geneigten Haltung. So lauschte sie, die Augen vor sich hingerichtet, dem, was er ihr von der großen Entscheidung erzählte, die nun eingetreten war.

Nun war er am Ende. Da hob sie ernst und forschend die Augen zu ihm auf.

»Und es wird Sie nie gereuen?«

»Nie!«

Fest klang seine Antwort durch den Raum. Da mußte er daran denken, wie er nun dasselbe Wort zu ihr sprach, das sie damals hier an derselben Stelle ihm zurief, als er die gleiche Frage an sie richtete. Und er hatte das Gefühl, daß er ihr durch ein gleiches Schicksal eng verbunden sei. Sie hatten alle beide um ihrer Kunst willen die Familie geopfert. Ob sie das jetzt auch empfand? Und er blickte sie an.

Hanna Mertens' Brust aber hob sich in einem tiefen Atemzuge, als befreite sie sich von einer inneren Last. Dann sagte sie:

»Ich habe mir hinterher fast Vorwürfe gemacht, daß ich neulich so zu Ihnen gesprochen hatte. Ich mußte immerfort an Ihre Frau denken. Aber nun, wo Sie alles mit ihr versucht haben!«

»Es braucht Sie nicht zu bedrücken, Fräulein Mertens,« sprach er fest, »die Verantwortung liegt allein bei mir und ich trage sie aufrechten Hauptes.«

Da sah sie ihn in heimlicher Freude an. Wie anders war der Mann jetzt! Und es machte sie im stillen froh, daß sie dazu ein wenig mitgeholfen, daß sie es war, die den äußeren Anstoß zu der Tat gab, die sich schon lange in ihm vorbereitet hatte. So sprach sie mit warmem Aufleuchten im Blick:

»Nun kann ich mich erst wirklich freuen, daß alles so gekommen ist. – Sie müssen sich doch wie neugeboren fühlen.«

»So ist mir auch!«

Und er erhob sich mit einer elastischen Bewegung, bei der sich alles an ihm straffte, wie in einem neu erwachenden Lebensdrang.

»Jetzt nur noch eine Weile Ruhe und Sammlung, dann beginne ich von neuem – auch meine Arbeiten.«

Still sah sie zu dem hochgewachsenen Mann hin. Jetzt erst gefiel ihr seine Schönheit, wo das Matte, Verweichlichte von ihm abgefallen war. Und die feinen Linien, die Leidensspuren, die die bösen Jahre in dem ernsten Antlitz gezogen hatten, machten es ihr nur lieb. Sie mochte die glatten, inhaltlosen Gesichter, die nur schön waren, nicht leiden.

Rennert stand gerade vor der Staffelei. Nun sah er auf ihr Bild. Er merkte, daß es nicht viel weiter gekommen war als damals.

»Sie haben inzwischen nicht viel gearbeitet,« sagte er und sah sich ein wenig verwundert nach ihr um.

»An dem Bilde allerdings nicht,« klang es unsicher zurück. »Aber ich habe inzwischen allerlei anderes angefangen – Studien nach der Natur.«

»Sie sind aber nicht zufrieden damit?«

»Nein!« Energisch kam es von ihren Lippen. Doch er merkte, wie sie sich mit Gewalt zu diesem Tone zwang, als wollte sie einen geheimen Zweifel abschütteln. »Aber ich glaube, es liegt an den äußeren Schwierigkeiten. Ich finde hier in der Nähe keine Motive, die mich interessieren, oder, wo es allenfalls ginge, stört mich die Zudringlichkeit der Menschen. Ich bin in dieser Beziehung leider sehr empfindlich. Ein lästiger Gaffer, eine witzelnde Bemerkung verdirbt mir die ganze Stimmung zum Arbeiten.«

Rennert sah sie nachdenklich an.

»Sie sollten hinaus; Berlin ist freilich nicht der Ort für Naturstudien.«

»Das hat mir Herr Börner neulich auch schon gesagt,« gab sie zu.

»Nun also – warum zögern Sie da noch?«

Sie antwortete nicht gleich, dann aber sah sie ihn offen an.

»Des Geldpunktes wegen. Ich lebe hier von Musikunterricht, den ich in den Nachmittagstunden gebe. Das fiele alles fort, wenn ich zum Beispiel nach Dachau ginge, wie Herr Börner will.«

»Ja, freilich, da –«. Bedauernd sah Rennert sie an. Das arme Mädel – daß sie ihre Malstudien sich so teuer erkaufen mußte!

»Ich habe mir ja nun wohl ein paar hundert Mark erspart, so daß es vielleicht ein halbes Jahr ginge. Aber das sollte eigentlich mein Notpfennig sein – für alle Fälle. Soll ich das Geld denn nun wirklich dranwenden?«

Zweifelnd sah sie auf ihre Arbeit. Sie dachte an seine Worte von neulich. Wenn sie nun die innere Stimme täuschte? Wenn alles umsonst geopfert würde, ihre sicheren Einnahmen hier und der Notpfennig noch dazu?

Sehr ernst blickte sie drein.

Rennert sah in warmer Teilnahme auf sie. Ein beschämendes Gefühl kam zugleich über ihn. Wenn er an die Summen dachte, die er in all diesen Jahren für eiteln Tand weggeworfen hatte! Was hätte er damit in einem Falle wie diesem hier Gutes wirken können.

»Was rät Ihnen denn Huber?« fragte er schließlich. Es war schwer, ihr hier etwas zu sagen.

»O, Herr Professor redet mir ja natürlich zu. Aber –«

Sie vollendete den Satz nicht, und ihr Blick, der ihn gesucht hatte, wandte sich plötzlich wieder dem Bilde zu. Huber mochte ihr irgendeinen tröstlichen Ausblick für den Notfall gezeigt haben, von dem sie aber nichts wissen wollte, so schien es Rennert. Und wieder drängte sich ihm die Frage auf: Ist da etwas zwischen den beiden?

Eindringlich sah er sie an.

»Ja, wenn der Veno Ihnen nicht abrät, der doch Sie und Ihre Verhältnisse gewiß am besten kennt –«

»So würden Sie mir also zureden?«

Sie sah nicht auf bei der Frage.

»Wenn Sie hinterher nicht Ihre ganze Existenz in Frage stellen – was ich natürlich nicht übersehen kann – dann ja.«

Sie holte tief Atem und sah ihn nun voll an.

»Ich glaube, ich tu's doch – ich muß!«

Nun kamen Hubers schwere Schritte von drinnen näher, und noch aus dem Wohnzimmer schallte seine Baßstimme:

»So, sie dämpfen schon – da kann i mal auf'n Sprung abkommen,« berichtete er von seinen Knödeln und erschien jetzt droben auf der Balustrade, breitbeinig hingepflanzt, und setzte sich die ausgegangene Pfeife gemächlich wieder in Brand.

»So, mein Liaber.« Er kam nun paffend herunter und auf Rennert zu. »Also du bist deine Frau glücklich losgeworden?«

Und als Rennert keine Miene zum Widerspruch machte, schlug er ihm krachend auf die Schulter.

»Dös is das G'scheitste, was du in deinem ganzen Leben g'macht hast! 's nur schad, daß du's net längst schon tan hast. Na, is ja Gottlob noch net zu spät!« Er schüttelte noch einmal dem alten Kameraden mannhaft die Rechte.

Rennerts Zartgefühl war im ersten Moment etwas verletzt; er war der ungeschlacht-derben Art Hubers entwöhnt. Aber dann fühlte er die aufrichtige Freude, das Interesse des anderen heraus und erwiderte ehrlich dessen Händedruck.

»So, aber jetzt red'n wir nimmer davon!« entschied Huber. »Fidöl woll'n m'r sein mitsamm'n. Nur eins noch, mei Liaber. Wirst ja jetzt manchmal Langeweil hab'n, so allein dahoam – no, da weißt ja, wo der Huber wohnt. Wenn's nix besser anzufangen weißt mit dir – sollst mir allemal willkommen sein! Verstehst?«

Und abermals klopfte er Rennert die Schulter. Der wechselte unwillkürlich einen Blick mit Hanna Mertens, und es war ihm in diesem Moment ganz eigen ums Herz. Ein Prachtkerl, ein goldenes Herz – der Huber! So stand es in seinem Auge, und ein warmer Widerschein leuchtete in des Mädchens Blicken, wie sie nun von ihm weg auf den schwarzbärtigen Riesen sah, der sich bemühte, sein Mitgefühl mit dem vereinsamten Manne hinter einer phlegmatisch gelassenen Miene zu verstecken.

Und sie empfand es auch in dieser Stunde wieder: Man mußte ihm gut sein trotz seiner rauhen Art – ja gerade deswegen. Es barg sich dahinter, fast verschämt, so viel selbstlose Mannesgüte.

 


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