Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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11.

Also red' nicht lang und komm' mit!«

Rennert schob seinen Arm unter den Börners und drängte den noch Unentschlossenen vorwärts.

»Das Kegelschieben wird dir gut tun. Neigst so schon stark zur Korpulenz.«

»Oho – erlaub' mal!« Börner zog entrüstet den Bauch ein, um seine Schlankheit darzutun.

»Außerdem tust du mir einen riesigen Gefallen. Was soll ich denn allein den ganzen Abend mit den Schäfchen anfangen?«

»Aber mich hältst du für gut genug, daß ich mich mit ihnen abplage? Du bist ein Gemütsathlet, mein Lieber!« schalt Börner; aber er ging nun doch gutmütig mit. »Na, will dir schon mal den Gefallen tun. Außerdem hat mich auch Fräulein Hanna gebeten, mich deiner etwas anzunehmen.«

Rennert zog plötzlich seinen Arm zurück, sein Ton klang unwillkürlich wieder ernst.

»So? Wie kam sie denn darauf?«

»Sie meinte, du wärst augenblicklich stark verstimmt, hättest mit deiner Schule allerlei Verdruß gehabt, kurz, es würde dir gut tun, wenn man dich jetzt mal ein bißchen aufrappelte. Na, und so bin ich dir heut' auf die Bude gerückt. Inzwischen hast du aber ja schon selbst für dein Amüsement gesorgt, wie ich sehe: Kegelabend mit Damen, vielleicht auch noch Gesang und Tanz obendrein. Mein Sohn, was willst du noch mehr?«

»Amüsement?« Scharf kam es von Rennerts Lippen. »Glaubst du wirklich, daß mich solch Spektakel reizen kann? Notgedrungen tu ich's – ich muß den Mädels doch auch mal ein bißchen Zerstreuung bieten!«

»Mann, versteh' doch Spaß! Sei doch nicht gleich so grantig!« beschwichtigte ihn der Freund. »Aber ich seh', Fräulein Hanna hat schon recht; du bist in der Tat stark verkratzt.«

Rennert erwiderte nichts, und so schritten sie denn weiterhin schweigend dem Wirtshaus zu, wo heute der erste Kegelabend der Rennert-Schule stattfinden sollte: Börner, in seinem unzerstörbaren Gleichmut vor sich hinpaffend, Rennert, seinen Gedanken nachhängend.

Hanna! Wie sie um ihn bangte, für ihn sorgte, ihm wenigstens als ein treuer, über ihn wachender Freund, da sie ihm nicht mehr sein durfte, mit unauffälliger Unterstützung über die erste, schwere Zeit hinweghelfen wollte! – Liebe, liebe Hanna! Heiß brannte wieder das Weh in ihm auf, das er in den letzten Tagen mannhaft niedergekämpft hatte. Wie namenlos glücklich hätte er mit ihr werden können! Auch dieser heimliche Einblick in ihr gütiges Herz, so voller Selbstlosigkeit, zeigte es ihm wieder von neuem.

Aber fort mit den törichten Gedanken! Er mußte davon loskommen, damit nicht wieder neue Ketten sich um ihn schlangen, ihn zu freudloser Unlust und Schaffensüberdruß verdammend. Nein, das nie wieder! Hoch richtete er sich unwillkürlich auf. Wenn ihm auch sonst im Leben nichts mehr erblühte, die Freude an seiner Kunst, sie sollte ihm bleiben und seinem Dasein den Inhalt geben.

Du kannst ruhig sein, liebe, kleine Hanna, ganz ruhig! Mit wehmütigem Lächeln, das das Abenddunkel verbarg, dachte es Rennert. Ich verliere mich nicht wieder. Auch nicht um deinetwillen. Du sollst wenigstens die Freude erleben, daß der Mann, an den du nur noch heimlich denken darfst, dir Ehre macht und das Vertrauen nicht enttäuscht, das du so tapfer auf ihn setztest, gleich in der ersten Stunde, da du ihn kennen lerntest. Und aus jedem seiner Werke soll es fortan dich anwehen wie ein stiller Gruß an dich, die liebe, verständnisvolle Kameradin, die die ersten Schritte auf seinem neuen Wege so froh mit ihm gewandelt, die ihm aber leider nicht weiter folgen durfte, das ganze Leben hindurch.

Das gelobte sich Rennert, während er so mit Börner dahinschritt.

Nun waren sie an der Gastwirtschaft angelangt und traten durch die Toreinfahrt in den Hof hinein, wo ihnen bereits aus der hell erleuchteten Kegelbahn lebhaftes Stimmengeschwirr entgegenschallte.

»Na, dann man rein ins Vergnügen!«

Mit diesem Stoßseufzer drückte Börner die Türklinke auf. Als er mit Rennert eintrat, verstummte die laute Unterhaltung.

Namentlich die Damen Hagenow und Bergen hatten diesem ersten Kegelabend mit prickelnder Erwartung entgegengesehen. Würde er »sie« etwa auch zu dieser rein gesellschaftlichen Unterhaltung mitbringen?

Das war die große Frage, eine Kabinettsfrage! Denn Frau Hagenow war fest entschlossen, in dem Falle, daß es geschehen sollte, sofort mit ihrer Tochter in ganz ostentativer Form die Gesellschaft zu verlassen, und Fräulein von Bergen wollte sich dieser Protestkundgebung anschließen. Das hätte natürlich einen Eklat gegeben, und das große Ereignis warf daher bei den dreien seine Schatten in Gestalt einer fiebrigen, kampffreudigen Erregung voraus. Von diesen Absichten der Damen war natürlich auch schon allerlei zu den übrigen durchgesickert, die von der geheimen Erwartung gleichfalls angesteckt wurden. Kurzum, es war eine elektrisch geladene Atmosphäre, in die die beiden Herren jetzt eintraten.

Eine starke Enttäuschung war das erste, was die gesamte Damenwelt empfand. Sie war nicht mitgekommen! Schade, man hatte sich schon so auf den Eklat gefreut. Der fremde Maler – »Herr Börner«, stellte ihn Rennert jetzt vor – war für die erhoffte Sensation nur ein schwacher Ersatz. Aber was half's? Nun mußte man sich eben auf das harmlosere Vergnügen des Kegelns beschränken, das jetzt seinen Anfang nahm. Allmählich fanden aber die Damen, und mit ihnen die drei Schüler Rennerts, auch hieran Gefallen, und die Stimmung ward nach und nach ganz heiter.

Nur die Damen Hagenow trauten dem Frieden noch nicht. Die Mutter war daher entschlossen, sich erst zu vergewissern, ob die »Person« nicht am Ende doch noch auftauchen würde. Es war ja erst halb neun. Nachdem die Mitspielenden sich in zwei Parteien geteilt hatten und Herr Platen zum »Protokollanten« an der Schreibtafel ernannt worden war, ließ Rennert sich für eine Weile an ihrem Tisch nieder. Diese Gelegenheit nutzte Frau Hagenow aus, indem sie bei passender Gesprächswendung fragte:

»Wird denn Fräulein Mertens nicht auch noch kommen? Dann wäre ja alles vollzählig.«

»Nein. Fräulein Mertens hatte nicht die Absicht.«

»Ah!« Es sollte ein leichtes Bedauern markieren, aber die schlecht verhüllte Bosheit tönte heraus. Offenbar hatte also die »Person« doch eine Ahnung davon gehabt, was sie hier erwartet hätte. Nun saß sie sicherlich, sich giftend, den Abend allein zu Hause. Mutter und Tochter wechselten einen verständnisinnigen Blick.

Frau Hagenow aber ließ den günstigen Moment zu weiterer Sondierung nicht vorübergehen.

»Sie haben neulich, wie ich hörte, einen so hübschen Ausflug zusammen gemacht. Nicht wahr, in die Berge?« Mit anscheinend harmloser Liebenswürdigkeit sagte sie es. »Sie kennen Fräulein Mertens schon lange, wohl von Berlin her?«

»Ganz recht, gnädige Frau.«

Leichthin bemerkte es Rennert und sah anscheinend interessiert auf eine der Damen, die gerade ihre Kugel abrollen ließ.

»Das junge Mädchen steht wohl ganz allein auf der Welt?«

»Wieso, gnädige Frau?«

Ein Blick Rennerts traf sie, mit erwachendem leisen Befremden.

»Oh – ich hatte so den Eindruck.« Ganz unbefangen spielte Frau Hagenow an ihrem Geldtäschchen im Schoß. »Fräulein Mertens hat etwas so Entschiedenes, Sicheres in ihrem Auftreten, wie eben jemand, der auf eigenen Füßen steht. Das junge Mädchen will das Malen wohl auch zu ihrer Existenzquelle machen, oder ist es nicht darauf angewiesen?«

»Ich bedauere wirklich sehr, meine gnädige Frau.« Kühl ablehnend kamen die Worte. »Ich bin absolut nicht unterrichtet über Fräulein Mertens Privatverhältnisse. Ich kenne sie nur als Kollegin – aus dem Atelier eines Berliner Freundes her.«

Mit voller Absicht hatte Rennert diesen Zusatz gemacht, aus Rücksicht auf Hanna. Er fühlte deutlich aus Frau Hagenows Worten eine geringschätzige Meinung über sie heraus und ahnte wohl auch, daß man seine Vertraulichkeit mit ihr falsch deutete. Daher wollte er mit diesen kurzen Mitteilungen jeden unwürdigen Verdacht zurückweisen.

Die beabsichtigte Wirkung blieb nicht aus. Nun klärte sich für Frau Hagenow ja alles befriedigend auf, und ein sprechender Blick traf ihre Claire: Siehst du – es ist doch ganz harmlos! Jedenfalls von seiner Seite. Wenn sie wirklich Modell gewesen ist, so doch jedenfalls nicht das seine. Er hat davon sicherlich keine Ahnung, sondern hält sie für eine ganz einwandfreie Dame. Na ja, ich hätte mir das ja auch sonst gar nicht von ihm erklären können! Und Frau Hagenows Ton klang plötzlich ganz verändert, sehr liebenswürdig, zart interessiert, von einer fast mütterlichen Anteilnahme.

Sie hatte nämlich ein großes Wohlgefallen an Rennert, das ihr durch Claires lebhaftes Interesse für ihren Lehrer erweckt worden war. Ihre Tochter hatte von jeher für ihn als Künstler geschwärmt. Reproduktionen seiner berühmtesten Bilder schmückten ihr Zimmer, und sie war die erste gewesen, die sich bei ihm gemeldet hatte, als es bekannt wurde, daß er eine Malschule eröffnen wollte. Sie hatte ihm dann auch noch eine Anzahl Schülerinnen aus ihrem großen Freundinnenkreis zugeführt.

Nachdem aber Claire so im Atelier in persönliche Berührung mit Rennert gekommen war, fing sie alsbald auch an, ihn als Menschen »riesig apart und interessant« zu finden. Durch den Klatsch in ihren Kreisen, wo auch Rennerts viel verkehrt hatten, war sie über deren ganze Ehescheidungsaffäre unterrichtet. Das heißt, sie hatte sich die erhaschten Details so zurechtgelegt, daß alles um seiner Frau willen gekommen sei, die mit dem reichen Kunsthändler Syemondt über die Grenzen des Erlaubten hinaus geflirtet habe, so daß Rennert sie schließlich aus dem Hause gewiesen hatte. Die Tatsache, daß man jetzt, kaum ein Jahr später – die Scheidung schwebte noch – in der Gesellschaft und im Theater überall Frau Rennert und Herrn Syemondt zusammen sah, bestätigte ja offenbar diesen von ihr vermuteten Sachverhalt.

Nach alledem waren Claires Sympathien nur noch mehr bei dem interessanten Mann, der sie mehr und mehr reizte, je länger er sich gleichmäßig höflich und unnahbar, ihr wie allen den jungen Damen seiner Schule gegenüber, zeigte. Das stachelte schließlich zu allem anderen auch noch ihren Ehrgeiz an. Es wurde allmählich ihr brennender Wunsch, von ihm besonders beachtet und ausgezeichnet zu werden, schon um die anderen zu ärgern und von ihnen beneidet zu werden. Daß er ihr aber diesen Gefallen bisher nicht tat, erfüllte sie halb mit Ärger gegen ihn, halb mit einem nur noch heftigeren Verlangen, ihn für sich zu interessieren.

Frau Hagenow hatte, obwohl die Tochter sich ihr nie aufschloß, sehr wohl bemerkt, was in Claire vorging, und sie hatte nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil! Ein so renommierter Künstler, ein eleganter, hochrepräsentabler Mann mit großen Einnahmen – obwohl es darauf für Claire Hagenow gar nicht ankam – sie hätte sich keinen besseren Schwiegersohn wünschen können, und da Rennert in Kürze wieder ein freier Mann sein würde, stand ja auch in dieser Hinsicht nichts im Wege. Also, in Gottes Namen, wenn er Claire so gefiel! Und sie nahm sich vor, doch einmal auch in dieser Beziehung vorsichtig die Sonde bei ihm anzulegen.

Augenblicklich benahm ihr allerdings Rennert dazu die Gelegenheit. Er war mit Claire aufgestanden und zu dem Kugelkasten getreten; sie war gerade an der Reihe.

»Mein Gott, was für Untiere von Kugeln!«

Claire erhob in unauffälliger Koketterie ihre sehr hübschen, vornehm gepflegten Hände.

»Hier, Fräulein Hagenow, nehmen Sie die – Liliputformat!«

Sehr gnädig und liebenswürdig dankend, nahm sie die von ihm ausgesuchte kleinste Kugel, dann holte sie aus, und energisch sauste das kleine Geschoß die Bahn hinab.

Sieben Kegel polterten dumpf übereinander.

»Alle Hochachtung!« staunte Rennert.

»Sakra! Die Hagenow schiebt wie ein Alter!« lobte Loisacher, die Zigarre im Mundwinkel, die Hände in den Hosentaschen, breitbeinig dabeistehend.

Die Anerkennung machte sie stolz, und mit gleichem Elan schleuderte sie die zurückgekommene Kugel zum zweitenmal hinaus.

»An Saudusel!« rief der Loisacher.

Der König und der letzte Bauer waren richtig auch gefallen.

»Sie sind ja eine ganz gefährliche Dame, von tödlicher Treffsicherheit,« scherzte Rennert. »Vor Ihnen muß man sich ja in acht nehmen.«

»Haben Sie das je bezweifelt?« Übermütig blitzte sie ihn aus ihren dunklen Augen an; ihr Triumph machte sie sehr keck gegen ihn. »Mein Rachestrahl streckt Menschen wie Kegel.«

Er blickte ihr in das pikante, erregte Gesicht. Sieh mal, was in der Kleinen drinsteckte! Daß er das noch gar nicht bemerkt hatte. Ein gewisses, momentanes Interesse überkam ihn, da einmal näher zuzuschauen – eine Ablenkung, die ihm gut tun würde. Und mit lebhafterer Miene erwiderte er, sie anlächelnd, während sie etwas abseits in die Bahn selbst traten:

»Wirklich so wildes Zigeunerblut? Und ich hätte auf die Milch der frommen Denkungsart in Ihren Adern geschworen.«

»Das beweist, ein wie schlechter Menschenkenner Sie sind, Herr Rennert, oder – wie wenig interessant unsereiner Ihnen ist.«

Donnerwetter! Das kleine Frauenzimmer ging stark ins Geschirr. Aber es machte ihm Spaß. Steckte doch wenigstens Rasse in dem Geschöpf, das er für eine hirn- und herzlose Modepuppe gehalten hatte. Verwundert sah er daher jetzt auf sie hernieder, die sich in sicherer Nachlässigkeit auf die Balustrade der offenen Bahn gesetzt hatte und mit den eleganten Füßchen schaukelte.

»Es scheint, ich habe mich wirklich starker Unterlassungssünden schuldig gemacht,« gestand er galant, »wenigstens im vorliegenden Falle.« Er verneigte sich ein wenig zu ihr hin. »Übrigens trug die Schuld die Strafe in sich: Ich habe mich selbst um das Vergnügen gebracht, Sie wirklich kennen zu lernen.«

Ein Lächeln befriedigter Eitelkeit spielte um Claires Mund, ihr Auge fuhr unwillkürlich, stolz aufleuchtend, zu den anderen hinüber. Sahen diese auch alle, wie er sie jetzt auszeichnete? Schade nur, daß sie ihn nicht auch hören konnten.

»Tun Sie mit? Es plaudert sich besser so.«

Rennert präsentierte ihr die silberne Zigarettendose. Gern griff sie zu – auch die meisten anderen Damen rauchten schon; das gehörte ja mit dazu – und ließ sich von ihm Feuer geben. Dabei berührten einen Augenblick seine Finger zufällig ihre Hand.

Gleich durchschoß es sie: »Absicht?« Und ein fragender Blick streifte ihn schnell. Aber er blieb ganz unbefangen.

»So – und nun erzählen Sie mir ein bißchen von sich.«

Er setzte sich neben sie auf die Balustrade.

Claire schwamm in Wonne. Während sie mit aufglühenden Wangen darauf los plauderte, stellte sie durch heimliche Seitenblicke fest, wie alles zu ihnen herüberäugte, verblüfft, neidisch, erbost, und wie die Mutter aus der Ecke hinten durch die Lorgnette herübersah, mit einem kaum merklichen, nur ihr verständlichen Zunicken. Recht so, recht!

Das war eine Stunde stolzen Triumphes für Claire Hagenow.

 


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