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»Führen Sie die Dame in den kleinen englischen Salon,« befahl der Hausherr Dr. Franz Ritter von Kunz-Contrecourt dem galonierten Diener, nachdem er mit einiger Überraschung die ihm auf einer silbernen Tasse überreichte Visitenkarte angesehen hatte. »Kommen Sie dann rasch wieder und helfen Sie mir beim Anziehen; draußen aber geben Sie Befehl, daß ich für niemand zu sprechen bin. Verstehen Sie wohl, für niemand!«
Es war gegen zwölf Uhr mittags, und Dr. Kunz hatte nicht lange erst sein Frühstück genommen. Er war noch, eine schwere Havanna rauchend, mit den Morgenblättern beschäftigt, als ihm der Diener die Karte brachte. Mit dem An- und Umziehen hatte er nicht mehr viel zu tun. Die roten Morgenschuhe und der bequeme Samtrock für das Haus waren rasch abgelegt und nach wenigen Minuten seine Erscheinung gesellschaftsfähig. Er war es gewohnt, Fürsten und Grafen und Barone bei sich antichambrieren zu lassen; sie liefen ihm ja alle nach, ihm, dem größten und verwegensten Spieler und Großspekulanten von Wien, sie wollten von ihm ins Schlepptau genommen werden und sich an seinen immer groß angelegten Spekulationen beteiligen. Er hatte so manches verblaßte Wappen neu vergoldet und so manchem verkrachten Adelsgeschlecht wieder auf die Beine geholfen, und darum trachtete man, ihn bei guter Laune zu erwischen. Er spielte förmlich Fangball mit den Millionen, und dabei wußte man, daß er nicht nur ein verwegener, sondern auch ein glücklicher Spieler sei. Er konnte einfach alles, was er wollte. Gab es notleidende Zuckerfabriken, Bergwerke, Ziegel-, oder Schnapsbrennereien – und das 32kommt auch in sehr hochadeligen Familien vor – dann kam man zu ihm, und er tat alles zusammen und machte große Aktiengesellschaften daraus, und es war allen geholfen, ihm auch. Oder man wußte, daß er wieder einmal einen grandiosen Fischzug an der Börse vorhabe – er allein war imstande, die ganze Börse nervös zu machen – und da wollte man doch zu gern von ihm mitgenommen sein. Ihm konnte es doch wahrhaftig nicht darauf ankommen, ob es um ein paar hundert oder tausend »Stücke« mehr oder weniger waren, mit denen er sich engagierte.
Das Palais, das er, er allein mit dem Troß seiner Dienerschaft bewohnte, galt mit seiner luxuriösen Ausstattung für eine Sehenswürdigkeit von Wien. Wenn man schon Fürsten und Barone antichambrieren läßt, so kann man sie doch nicht wirklich im Vorzimmer sitzen lassen. So hatte er denn ein Dutzend reizender kleiner Salons in allen möglichen Stilarten einrichten lassen und es so ermöglicht, daß seine Besuche kommen, warten und gehen konnten, ohne lästigen und unbequemen Begegnungen ausgesetzt zu sein. Wenn er also auch hinreichend gewohnt war, vornehmen Besuch zu empfangen, so rief der soeben gemeldete doch eine gewisse Erregung in ihm hervor. Eine junge Dame, eine junge Gräfin, und nun gar die Gräfin Adrienne Stegbach, notorisch eine der allerschönsten unter den österreichischen Aristokratinnen, das war doch etwas anderes und ihm in seiner Praxis noch nicht vorgekommen. Ein rascher Blick in den Spiegel belehrte ihn, daß er äußerlich für die Begegnung vollkommen gerüstet sei. Der lange, schwarze Schlußrock saß tadellos und ließ seine schlanke, sehnige Gestalt noch höher erscheinen. Es war ein interessanter Kopf, nicht der eines »schönen Mannes,« dazu waren die Züge nicht regelmäßig genug, aber ausdrucksvoll waren sie, die braunen Augen lebhaft und scharfblickend. Der dunkle Bart verstärkte den Eindruck kräftiger Männlichkeit. Auf dem Scheitel war das Haar stark gelichtet, aber der Mangel wurde 33einigermaßen verdeckt und gemildert durch das Petrusschöpfchen, das sich oberhalb der Stirne nach Vermögen breit machte. Er mochte etwa achtunddreißig Jahre alt sein und galt in der Meinung aller für einen sehr widerstandsfähigen, ja geradezu unverwüstlichen Lebemann.
Er verneigte sich tief vor der Gräfin, als er wenige Minuten nach der Meldung den kleinen englischen Salon betrat. Er hatte mit Vorbedacht dieses Gemach bestimmt. Denn der englische Stil mit seiner lichten, freundlichen Nüchternheit schien ihm für den vorliegenden Fall der anständigste.
Er streckte ihr die Hand nicht entgegen, er wollte sehen, ob sie sie ihm aus freien Stücken reichen würde. Sie tat es aber nicht, sondern grüßte ihn nur durch ein Neigen des Hauptes.
»Gräfin« – begann er; er wollte etwas von der übergroßen Ehre sagen, die seinem Hause widerfahren sei, aber, als er aufblickend sie im hellen Mittagslicht vor sich sah, stockte er betroffen, und fast unwillkürlich entfuhr es ihm: »Gräfin, Sie sind noch schöner geworden!«
Eine leichte Röte des Unwillens flog über ihr Angesicht, und eine strenge, abweisende Miene wies ihm deutlich genug die Schranken an, hinter denen er sich zu halten habe.
»Verzeihen Sie, Herr Doktor,« sagte Gräfin Adrienne ernst, »daß ich zu Ihnen gedrungen bin, aber ich hätte geschäftliches mit Ihnen zu besprechen.«
»Verzeihen Sie, Gräfin, daß ich auch nur einen Augenblick nicht daran dachte.«
»Es mag Sie ja überrascht haben, mich bei sich zu sehen – und ohne Begleitung. Sie können sich aber denken, um was es sich handelt. Mein Bruder hat mir alles erzählt.«
»Das hätte er nicht tun sollen.«
»Er hat recht getan. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn auch Sie mir den Vorgang erzählen wollten; ich möchte ganz klar sehen in der Sache.«
»Es ist mir peinlich, über Dinge zu sprechen, über die 34man am besten überhaupt nicht spricht. Ich hielt die Sache für erledigt und hätte in meinem Leben nicht davon gesprochen.«
»Ich bitte Sie darum.«
»Wir haben heute nacht im Klub gespielt. Ich bemerke hierbei, daß ich fast jede Nacht spiele, und zwar hoch, sehr hoch und rücksichtslos. Ich erwähne das wahrheitsgetreu, nur damit Sie nicht eine ungerechtfertigt gute Meinung über mich fassen sollen.«
»Unnötige Sorge, Herr Doktor. Ich kenne Sie nun seit Jahren, und ich glaube, meine Meinung steht fest.«
Er lächelte.
»Das klingt wie ein delphisches Orakel, und ich bin klug genug, nicht zu forschen, wie diese Meinung beschaffen ist. Ich spiele, weil ich spielen muß; meine Natur verlangt diese kleinen Reizungen nach den gewaltigen Erregungen des Tages.«
»Kleine Reizungen – wo es sich um Tausende handelt!«
»Kleine Reizungen; und ich sage das nicht, um vor Ihnen groß zu tun. Denn ich weiß sehr wohl, daß mich das in Ihren Augen nur klein macht. Sie müssen sich einen Spieler vorstellen wie einen Morphinisten; er ist seiner Leidenschaft verfallen. Und ich bin ein Spieler, tagsüber an der Börse und des Abends und in der Nacht am Kartentisch. Gestern nun – oder war es schon heute? – gesellte sich Ihr Bruder Graf Bruno zu unserer Partie. Angenehm war mir das natürlich nicht, aber ich konnte ihn doch auch nicht wegweisen. Es bereitet mir ein ausnehmendes Vergnügen, mit den schweren Börsenbaronen zu ringen und ihnen so viel abzunehmen, als nur irgend möglich ist, auch mit Sr. Exzellenz, Ihrem Herrn Vater, lasse ich mich immer gern ein und kenne auch da keine Schonung. Denn erstlich tut es ihm nicht weh, was er auch verlieren mag, und dann ist er der feinste und berechnendste Spieler, an den ich bisher noch geraten bin. Ein Spiel aber, bei dem 35man Schonung walten lassen soll, hört auf, ein Vergnügen zu sein.«
»Ich verstehe nicht, wie es überhaupt ein Vergnügen sein kann.«
»Es ist eins, Gräfin; sagen Sie aber, daß es ein unedles ist, und ich stimme Ihnen sofort zu. Also ich spiele gern mit geriebenen Partnern, aber ich spiele nicht gern mit Kindern.«
»Bruno ist allerdings noch ein Kind, kaum einundzwanzig Jahre!«
»Ja, aber dieses Kind ist nebenbei auch Husarenleutnant, und ich konnte ihm doch nicht gut sagen: Kleiner, geh weg, hier wird geschossen! Wir spielten Poker. Es ist das niederträchtigste Hazardspiel, das ich kenne, und darum mir das liebste. Dabei entscheidet weniger das Kartenglück als die Psychologie. Beim Fechten müssen die Gegner einander ins Auge sehen und so auch beim Pokerspiel. Da gilt es, sich beherrschen und den Gegner mit einem Blick durchschauen. Mit einem Wort, eine freche Stirne gehört dazu, und Sie werden mir zugeben, daß in diesem Punkte sich Leutnant Graf Bruno mit mir nicht messen kann.«
»Sagen wir: in der Haltung und in der Erfahrung nicht.«
»Zu gütig, Gräfin, aber wir brauchen nichts zu beschönigen. Es kommt wirklich auf die freche Stirne an und auf noch etwas anderes, auf die Brieftasche. Wer mehr Geld hat, wer infolgedessen den Gewinn leichter verachten kann, der hat auch leichteres Spiel und sichereren Gewinn. Nun gibt es wenig Leute, die einen Gewinn im Kartenspiel so leicht verachten könnten wie ich – man weiß, daß ich in wenigen Jahren ganz unwahrscheinliche Summen erworben habe – und darum ist mit mir nicht gut Kirschen essen.«
»Bruno hat allerdings über solche Summen nicht zu verfügen.«
»Er hatte auch sehr bald einen roten Kopf, und als er 36seine Barschaft verloren hatte, gab er auf seinen Visitenkarten Bons aus. Da nahm ich ihn während einer kleinen Spielpause unauffällig beiseite und fragte ihn, wie viel er verloren habe. Er war ein wenig verzweifelt, der gute Junge, und gestand. Ich steckte ihm die genannte Summe heimlich zu, und als er alles bezahlt hatte, klopfte ich ihm brüderlich auf die Schulter und sagte ihm gute Nacht, er solle schlafen gehen. Das war die ganze Affäre.«
»Bruno hat mir also genau berichtet, und nun mag auch mein immerhin auffälliger Besuch bei Ihnen erklärt und entschuldigt sein. Sprechen mußte ich Sie, und zwar ohne daß jemand etwas davon erfahre. Zu mir konnte ich Sie nicht bitten, weil Sie im Hause vielleicht gesehen worden wären und ich doch wohl eine Erklärung hätte geben müssen. Einer Mittelsperson konnte und wollte ich mich auch nicht bedienen, und so hatte ich nur die Wahl, entweder an einem dritten Orte mit Ihnen zusammenzutreffen oder Sie hier aufzusuchen.«
»Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, Gräfin, daß auch von mir kein Mensch jemals erfahren wird –«
»Es handelt sich nicht um meinen Ruf.«
»Das ist selbstverständlich, daß der über alle Anfechtung erhaben ist.«
»Es gibt nichts, was über alle Anfechtung erhaben wäre, aber hier handelt es sich um meinen Bruder. Bruno konnte sich zu Hause niemand entdecken außer mir. Papa hatte ihm alle Freiheit eingeräumt, nur hatte er ihm das Ehrenwort abgenommen, daß er niemals spielen werde. Das Spiel hat schon viel Unglück über unsere Familie gebracht.«
»Ich verstehe. Graf Bruno hätte nicht spielen dürfen.«
»Er hat mir neuerdings versprochen, daß er es nicht mehr tun wird. Papa hätte Spielschulden ganz bestimmt nicht bezahlt, mochte geschehen, was immer. Nun weiß ich aber, wie schrecklich es bestellt ist um Spielschulden, und darum bin ich da, die Sache auszugleichen, so gut ich kann.«
37»Das ist doch Ihr Ernst nicht, Gräfin!«
»Wäre ich sonst hier? In einem Punkte freilich müssen wir um Nachsicht bitten, Herr Doktor, nur in einer Formsache natürlich. Bruno und ich, wir haben kein bares Geld, wenigstens nicht Geld genug, um die Schuld zu tilgen, und da habe ich denn meine Schmucksachen zusammengesucht und sie Ihnen mitgebracht. Es wird an Ihnen sein, Herr Doktor, zu bestimmen, ob das als Pfand oder Gegenwert ausreicht. Ich vermute wohl; denn es sind wertvolle Stücke darunter. Wir hätten vielleicht selbst die Sachen belehnen lassen oder verkaufen sollen, aber wir haben so wenig Erfahrung darin, und dann – die kurze Zeit! Die vorgeschriebenen vierundzwanzig Stunden durften ja nicht vergehen.«
Gräfin Adrienne hatte ruhig gesprochen, aber die Tränen standen ihr doch in den Augen, als sie sprach. Es war der Kummer über den Leichtsinn des Bruders und über die beschämende Lage, in die sie dadurch geraten waren. Sie kramte die Schmuckstücke aus einem Päckchen, das sie mitgebracht hatte, heraus und breitete sie auf dem Mahagonitischchen vor sich aus.
Dr. Kunz saß ganz still und sah ihr lächelnd zu. Er ließ den feinen Veilchenduft, der von ihr ausging, auf sich wirken. Er hörte das leise Klirren der kapriziösen Kinkerlitzchen, die an dem Armband hingen, das sie über dem rehledernen Handschuh trug. Er folgte dem Spiel der Sonnenstrahlen, die um ihre königliche Gestalt kosten, sich in ihrem braunen Haar verfingen, dann über die zarte Wange huschten, in den braunen Augen Glanzlichter weckten und dann ein mutwilliges Sprühfeuerwerk unter den ausgebreiteten Edelsteinen anrichteten.
»Nun, Herr Doktor, Sie sagen ja nichts?« nahm Gräfin Adrienne nach einer Weile wieder das Wort.
»Weil ich schlechterdings nicht weiß, was ich darauf sagen soll. Ich wußte wohl, daß ich bei Ihnen nicht gut 38angeschrieben bin, Gräfin, aber darauf war ich doch nicht gefaßt, daß Sie mir zutrauen, ich sei der Mann, der auf Pfänder leiht!«
»Das war auch nicht die Meinung. Wir wollten gar nicht auf Pfänder etwas geliehen bekommen, wir wollten nur, weil wir das müssen, die Spielschuld tilgen, und nur in dieser Hinsicht wollte ich Ihre Nachsicht erbitten, daß Sie mir meine Juwelen wieder zurückverkaufen, wenn ich in der Lage bin, den Betrag aufzubringen, ohne Bruno zu verraten, und das kann ja wahrscheinlich recht bald geschehen.«
»So verführerisch auch die Aussicht sein mag, mit Ihnen in Geschäftsverbindung zu treten, Gräfin – ich verzichte, und darum gestatten Sie, daß ich Ihre funkelnden Herrlichkeiten da wieder schön zusammenpacke. Solche Geschäfte mache ich nicht.«
»Ich hatte auf Ihr Entgegenkommen gehofft. Nun zwingen Sie mich, in irgend ein Versatzamt zu laufen, und ich weiß nicht, wo ein solches existiert. Ich weiß auch nicht, wie man so etwas durchführt; ich weiß nur, daß es sehr peinlich und beschämend für mich sein wird. Oder Sie zwingen Bruno, heute noch sich dem ersten besten Wucherer in die Hände zu liefern. Denn bezahlt muß die Schuld heute werden.«
»So bleiben Sie doch nur sitzen, Gräfin, und rennen Sie mir um Gottes willen nicht spornstreichs davon! Wenn Sie nicht in feindseliger Voreingenommenheit zu mir gekommen sind –«
»Warum sollte ich das?«
»Dann müssen Sie selbst erkennen, daß Sie jetzt vollständig auf dem Holzwege sind. Ich gab Ihrem Bruder das Geld. Warum? Um ihm aus einer Verlegenheit zu helfen. Oder glauben Sie, daß ich es tat, um ihn in eine noch größere hineinzusetzen?«
»Nein, das glaube ich nicht, aber – eine Spielschuld! –«
»Da steckt eben der logische Fehler Ihrer fürsorglichen 39Erwägungen, Gräfin, und darum durfte ich mir erlauben, zu bemerken, daß Sie sich vollständig auf dem Holzwege zu befinden belieben. Hier handelt es sich nämlich gar nicht um eine Spielschuld. Es war eine Spielschuld, so lange die Bons Ihres Bruders in Umlauf waren. So lange war auch die Sache sehr ernst. Denn ich weiß sehr wohl, wie unsere abgeschmackten und durch nichts zu rechtfertigenden gesellschaftlichen Regeln die Spielschulden behandeln. Ich überblickte die Situation und war vernünftig genug, der Sache eine harmlose Wendung zu geben. Die Bons sind samt und sonders eingelöst, und damit hat die Spielschuld aufgehört zu bestehen. Aus der Spielschuld ist ein einfaches und ganz gewöhnliches Darlehnsgeschäft geworden. Leuchtet Ihnen das ein, Gräfin?«
»Es leuchtet mir ein, und ich danke Ihnen – danke Ihnen vielmals!«
»Gräfin! Sie hatten soeben, als Sie mir dankten, eine edle Regung, und Sie haben diese unterdrückt.«
Gräfin Adrienne sah fragend zu ihm auf.
»Schon waren Sie im Begriff, mir die Hand zu reichen, und dann ließen Sie sie doch wieder sinken. Es hätte mir wohlgetan!«
Sie gab ihm die Hand, und er hielt sie einige Augenblicke.
»Sehen Sie, Gräfin,« fuhr er fort, »es gibt Dinge, die Sie niemals begreifen werden: das Hochgefühl eines beschränkten Parvenü, wenn er den ersehnten Adelstitel errungen hat, und die Erhebung des Augenblicks, wenn ein Mensch, der sich selbst verwirft, sich förmlich geläutert fühlt, da ihm ein Wesen, wie Sie, die Hand gibt.«
Gräfin Adrienne hatte sich erhoben. Einen Augenblick überlegte sie, ob und was sie auf die letzten Worte erwidern solle, dann sagte sie doch nur kurz: »Unser Geschäft ist vorderhand erledigt« und schickte sich an zu gehen.
»Unser Geschäft ist erledigt,« wiederholte er, »aber eine 40Bitte hätte ich noch an Sie, Gräfin. Wollen Sie mir noch ein Viertelstündchen schenken? Ich hätte noch einiges zu sagen.«
Wieder schwankte Adrienne einen Augenblick, dann setzte sie sich zurecht und sagte entschlossen: »Sprechen Sie, ich höre.«
»Haben Sie Dank, Gräfin, und zürnen Sie nicht, wenn ich ohne Umschweife rede. Bedenken Sie, es ist vielleicht – sehr wahrscheinlich das letzte Mal in meinem Leben, daß ich unter vier Augen mit Ihnen spreche. Ich glaube, ich hätte keine ruhige Stunde mehr, wenn ich diese mir vom Schicksal geschenkte Gelegenheit nicht nutzte, Ihnen zu sagen, was mir seit Jahren das Herz bedrückt. Für Sie handelt es sich um das Opfer einer Viertelstunde, für mich um die Ruhe eines Lebens.«
»Ich wüßte nicht, wie ich den Anlaß bieten könnte für so wichtige Dinge.«
»Sie könnten es wissen, Gräfin, und Sie wissen es, aber ich habe nichts dagegen, weil ich nichts dagegen haben kann, daß Sie sich mit Eiseskälte umgeben und sich hinter Ihrer unnahbaren Vornehmheit verschanzen. Denn es ist ein Hoffnungsloser, der zu Ihnen spricht.«
»Vor dem Vorwurf wenigstens glaube ich sicher zu sein, daß ich Ihnen jemals Hoffnungen gemacht hätte.«
»Sie sind von meiner Seite und wohl auch überhaupt vor jedem Vorwurf sicher. Ich sage nur mit dem griechischen Feldherrn: Schlage mich, aber höre mich!«
»Ich bin bereit zu hören, wenn ich hören darf, was Sie mir zu sagen haben. Sie sprachen von einer ›Gelegenheit‹. Sie ist ungewöhnlich und seltsam.«
»Und ich werde nicht versuchen, sie zu mißbrauchen. Sie dürfen hören, was ich zu sagen habe; ja, ich habe die Empfindung, daß Sie es hören müssen, wenn es eine Gerechtigkeit gibt. Sie sehen mich fragend an und verstehen mich nicht. Sie werden mich sofort verstehen. Vorweg lassen 41Sie mich kurz und in aller Ruhe bemerken, daß ich Sie liebe. – Bleiben Sie nur ruhig sitzen, Gräfin, das mußte gesagt werden.«
»Ich kann aber nicht ruhig sitzen bleiben, wenn –«
»Es mußte gesagt werden, und dann – Sie wußten es ja. Was Sie empört, das ist die scheinbare Unverschämtheit, die in der Ruhe liegt, mit der ich Ihnen das sage – aber ich bin ruhig. Gerade in dieser Ruhe sollten Sie auch die Rücksichtnahme erkennen. Ich hätte es nicht gewagt, Sie durch leidenschaftliche Ausbrüche zu beunruhigen. Mir liegen die pathetischen Wendungen nicht; ich bin nicht mehr jung genug für sie –«
»Ich auch nicht,« schaltete Adrienne lächelnd ein.
»Gräfin sind heute achtundzwanzig Jahre alt.«
»Sie können es allerdings wissen.«
»Bei Ihrem Stande gibt es in diesem Punkt keine Geheimniskrämerei. Der Gothasche Almanach verrät alles. Also nicht mehr jung genug, und dann fehlt mir auch die Übung. Zweimal im Leben hatte ich vorher meine Liebe gestanden, zweimal demselben Wesen – und das waren Sie, Gräfin – und beidemal mit recht wenig Glück. Das erste Mal vor zehn Jahren, das zweite Mal vor fünf Jahren. Sie haben also die schönste Aussicht, Gräfin Adrienne, nach der heutigen Episode für längere Zeit, wenn nicht für immer, unbehelligt zu bleiben. ›Hat dich gekränkt‹ – meine Ruhe so sehr, dann bedenken Sie gütigst, daß man in zehn Jahren Zeit hat, ruhig zu werden. Vor zehn Jahren war ich ein blutjunger Rechtsanwalt. Ich hatte mit Glück angefangen und war ›im Kommen‹, aber ich war doch ein armer Teufel. An Courage hat es mir nie gefehlt. Es war auf dem Ball bei Remscheids – ich vertrat Baron Remscheid in einer großen Prozeßsache – ich sah Sie – mehr als das – ich lernte Sie kennen; denn Sie gingen mit unbeschreiblicher Güte auf alles ein, was ich Ihnen vorredete. Es kam über mich wie ein Wunder, obschon es wahrhaftig 42kein Wunder ist, Sie zu lieben. Also ich sah Sie, ich liebte Sie, und ich faßte mir ein Herz und sagte es Ihnen. Sie antworteten nichts, aber ich werde ihn niemals vergessen, den Ausdruck des ungemessenen Erstaunens über die Kühnheit, die Dreistigkeit des nichtsbedeutenden jungen Menschen, der es gewagt hatte – ich wußte genug auch ohne Antwort. Ich verneigte mich und ging. Fünf Jahre später – ich war inzwischen ein reicher Mann geworden, hatte sogar ein Adelsdiplom errungen, hatte an Selbstvertrauen gewonnen – wiederholte ich mein Geständnis, der Schauplatz war derselbe. Der Bescheid war bei diesem Anlaß nicht mehr wortlos, aber so kurz und schroff ablehnend, so – Sie verzeihen, Gräfin – so hochmütig, daß Sie nunmehr wohl für alle Zeit vor mir sicher sein durften.«
Adrienne nickte mit dem Kopfe, er aber fuhr fort: »Ohne den Zufall, der uns heute zusammenführte, wäre es auch wohl niemals wieder zu einer Aussprache zwischen uns gekommen.«
»Ich vermag auch jetzt nicht den Zweck einer solchen zu erkennen.«
»Und doch sollten Sie ihn menschlich begreifen, Gräfin. Als Sie mich das zweite Mal abwiesen –«
»Das erste Mal hatte ich Sie nicht –« Sie hatte ihn mit Eifer unterbrochen, und nun stockte sie plötzlich, und tiefe Röte bedeckte ihr Gesicht.
»Vollenden Sie, Gräfin. Sehen Sie, für eine vernichtete Lebenshoffnung dürfen Sie mir doch etwas Offenheit bieten!«
»Fahren Sie nur fort! Ich werde Ihnen später offen sagen, was ich zu sagen habe.«
»Sie versprechen es mir?«
»Ich verspreche es.«
»Also: als Sie mich das zweite Mal abwiesen, geschah es mit einem so unverhohlenen Ausdruck der Verachtung, daß ich wohl Anspruch auf Genugtuung von Ihrer Seite hätte.«
43»Ist es Ihnen um diese Genugtuung zu tun?«
»Nein. Ich bin ehrlich genug, zu gestehen, daß ich tatsächlich einen solchen Anspruch nicht hatte, aber Sie konnten das nicht wissen, und das weiß kein Mensch außer mir, und darum mußten Sie das Gefühl des begangenen Unrechtes haben und bei mir das Gefühl des erlittenen Unrechtes voraussetzen. Eine gerechte Empfindung kommt darüber nicht leicht hinweg.«
»Ich habe dieses Gefühl des begangenen Unrechtes niemals gehabt, Herr Dr. von Contrecourt.«
»Strengen Sie sich nicht an, Gräfin, mit meinem neugebackenen Adelsprädikat und bleiben Sie ruhig beim ›Dr. Kunz‹, der ich für alle Welt bin. Wie wenig ich von meinem Rittertum halte, mögen Sie aus der Ironie erkennen, die aus dem Prädikat spricht. Ich wählte ›Contrecourt‹, um auf die Contremine anzuspielen, der ich meine wichtigsten Erfolge verdanke. Ich halte nichts auf meinen Adel, ich habe ihn mir nur gekauft –«
»Hoffentlich ist das doch unmöglich bei uns in Österreich!«
»Sie haben recht, es ist unmöglich, und ich habe mich nur schlecht ausgedrückt. Kaufen kann man sich den Adel bei uns tatsächlich nicht, aber ich habe eine große Stiftung gemacht, auf die er wohl oder übel verliehen werden mußte: ein Siechenhaus mit hundert Betten, dessen Bestand ich für alle Zukunft sichergestellt habe. Ich wollte den Adel haben, um es auch in diesem Punkte den übrigen Börsenmatadoren gleichzutun, im übrigen können Sie aber überzeugt sein, Gräfin, daß ich sehr gering denke von meiner Nobilitierung und vom jungen Adel überhaupt.«
»Mit Unrecht, wie mir scheint, Herr Dr. Kunz. Es will mir nicht einleuchten, daß der Adel wie der Wein durch das Alter gewinnen soll. Mein Adel ist alt, aber ich habe kein Verdienst daran, und ist der Ihrige jung, so haben doch Sie ihn, und zwar durch Ihr Verdienst erworben. Sie haben ein Anrecht darauf, während ich unschuldig dazu gekommen 44bin – aber wir wollten uns ja nicht in prinzipielle Erörterungen verlieren. Sie hatten mir ein Unrecht vorgeworfen?«
»Es war ein Unrecht, Gräfin.«
»Kein Mensch konnte mich zwingen, ein Bewerbung anzunehmen, die ich ablehnen wollte.«
»Nicht die Ablehnung meine ich, die war Ihr gutes Recht; sie war nur zu berechtigt, viel berechtigter, als Sie selbst wissen. Aber die Form, die mit Absicht kundgegebene Verachtung, die wirkte wie ein vergifteter Pfeil.«
»Sie dürfen nicht vergessen, daß zwischen der ersten und zweiten Bewerbung fünf Jahre lagen, und daß in diesen fünf Jahren sich manches ereignete.«
»Ja, und ich möchte jene Zeit nicht noch einmal durchleben, auch die späteren fünf Jahre nicht, trotz der Erfolge, die sie mir gebracht haben. Daß ich wirklich den Anspruch auf Ihre Achtung verwirkt hatte, das konnten Sie nicht wissen, aber ich will es Ihnen bekennen, Gräfin, nicht nur, um mein Gewissen zu erleichtern, sondern um Ihnen zu zeigen, daß, wenn ich schon zu verurteilen bin, nicht Sie die erste sein müßten, es zu tun. Sie haben tief eingegriffen in mein Leben; seit zehn Jahren trage ich das Gefühl der Schuld in mir, und doch, was ich tat, ich tat's um Ihretwillen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr Doktor.«
»Ich habe ein Verbrechen begangen. Ich danke Ihnen für Ihr ungläubiges Lächeln, Gräfin, das da besagt, es werde so arg nicht gewesen sein, aber ich bin nicht der Mann, der die starken Ausdrücke liebt. Es war ein Verbrechen, ein regelrechtes Verbrechen, auf welches Zuchthaus gesetzt ist. – Sie meinen, es wäre besser, Ihnen darüber keine Mitteilung zu machen? Vielleicht wäre es besser und klüger, aber wenn man zehn Jahre etwas mit sich herumgetragen hat, dann drückt die Last des Schweigens. Wollen Sie mich anhören, Gräfin Adrienne?«
45»Ja, ich will, Herr Doktor. Sprechen Sie!«
»Ich danke Ihnen, Gräfin. Es ist das erste Zeichen der Teilnahme, das ich von Ihnen empfange – Sie hätten mich ja auch jetzt schroff abweisen können – und so kümmerlich und hoffnungslos auch dieses Zeichen ist, es hat meinem Herzen doch wohlgetan. Also, es war ein gemeines Verbrechen, und daß es straflos geblieben ist, war nicht mein Verdienst. Es werden in unserer Gesellschaft mehr straflose Verbrechen begangen, als Sie ahnen mögen, Gräfin.«
»Was das Ihrige betrifft, Herr Doktor, so müssen Sie mir doch noch einige leise Zweifel gestatten.«
»Die werden sofort schwinden. Als ich Ihnen zum erstenmal meine Liebe gestand, da war ich, wie ich Ihnen schon erwähnt habe, geradezu vernichtet von dem Ausdruck unbeschreiblichen Erstaunens über meine Kühnheit in Ihren Augen.«
»Gerade über diese Sache wollte auch ich noch mit Ihnen sprechen.«
»Ich bitte, Gräfin – daneben verliert alles andere seine Wichtigkeit.«
»Nein, doch später! Vollenden Sie erst Ihre Beichte.«
»Ich war vernichtet, aber ich mußte begreifen. Ich war ein junger Advokat ohne Namen und ohne Vermögen, und auf Ihrer Seite Jugend, Schönheit, die edelsten Gaben des Geistes und des Herzens, Reichtum, hoher Rang – es war ein verwegenes Husarenstücklein, und es war wahnwitzig, darauf Hoffnungen zu setzen. Aber ich liebte Sie, und die Liebe sieht bekanntlich durch besondere Augengläser in die Welt. Die Hoffnung wollte ich nicht aufgeben, lieber das Leben. Ich war jung, und ich wollte mich aufrichten. Ich dachte mir: kommst du ein zweites Mal, dann aber als ein reicher, weit und breit angesehener Mann, der seinen Namen hat, und der etwas gilt in der Welt, dann wird das Staunen wohl nicht mehr so grenzenlos sein, und dann mag's 46vielleicht glücken, was sich zuerst so schrecklich aussichtslos anließ. Schließlich hing ja doch mein Leben daran.«
»Sie haben mich damals falsch beurteilt, Herr Doktor; doch – nur weiter.«
»Ich mußte also rasch in die Höhe kommen, und ich griff zu einem verzweifelten Mittel. Ich führte einen Prozeß für Baron Remscheid, und er hatte mir eine sehr große Summe übergeben, die ich zu Gerichtshänden erlegen sollte. Dazu hatte ich acht Tage Zeit, und diese Zeit wollte ich ausnutzen. Ich saß eine ganze Nacht und strengte all meinen Scharfsinn an, um mir die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage klar zu machen, ich erwog alle Details und alle Möglichkeiten. Am nächsten Morgen trug ich das Geld in eine Bank und gab den Auftrag zu einer großartigen Börsenoperation auf meine Rechnung. Die Spekulation glückte. Nach Ablauf von sechs Tagen hatte ich ein Vermögen erworben, und ich konnte zur rechten Zeit das Depot bei Gericht erlegen.«
»Und wenn das Wagnis mißglückt wäre?«
»Auch das hatte ich natürlich in Rechnung gezogen. Dann wäre ich eben auch vor der Welt ein Verbrecher geworden. Auch dafür war vorgesorgt. Als ich die Bank, der ich jene Summe als Deckung übergeben hatte, verließ, ging ich hin und kaufte mir einen schönen, guten, verläßlichen Revolver.«
»Es war ein Verbrechen, Herr Doktor, so mit seinem Leben zu spielen!«
»Es war ein Verbrechen, das anvertraute Geld zu mißbrauchen, und es war nicht mein Verdienst, wenn es nicht zur Veruntreuung und Unterschlagung kam. Die Grundlage war nun geschaffen, und ich konnte weiter arbeiten. Ich setzte die Spekulationen fort, und ich muß wohl Talent zu der Sache haben, wenigstens spricht der Erfolg dafür. Meine Kanzlei ging darüber freilich in die Brüche. Wie hätte ich noch den Sinn dafür haben können, mich abzuplagen, um mir im Tage zwanzig Gulden mühsam an 47Expensen zu verdienen, wo mir nun Zehntausende auf dem Spiele standen?«
»Und es muß doch ein recht trauriges Leben gewesen sein!«
»Nicht daß ich wüßte, Gräfin; wenn ich es auch natürlich nicht noch einmal wiederholen möchte. Es war ein Kampf, wenn Sie wollen, ein großartiges Schachspiel, aber interessant war es immer. Das Traurige kam erst später, als ich inne werden mußte, daß mir alles doch nichts genützt habe. Ich wurde das zweite Mal noch weit entschiedener von Ihnen abgelehnt als das erste Mal.«
»Es war nicht meine Schuld. Hatten Sie denn wirklich und im Ernst geglaubt, daß mich diese Ihre ›Erfolge‹ blenden würden?«
»Ich gestehe es, ich hatte mich verrechnet. Auch dieses Mittel taugte nichts, aber ich sah kein anderes, und ich wüßte auch heute kein anderes – es ging einfach überhaupt nicht.«
Adrienne blieb eine Weile stumm, dann murmelte sie leise für sich hin: »Es wäre wohl möglich gewesen!«
Er zuckte zusammen.
»Gräfin!« rief er beschwörend. »Das dürfen Sie nicht; Sie dürfen es nicht!«
»Was darf ich nicht?«
»Mir jetzt nach so langer Zeit, da alles für mich verloren ist, da ich bei Ihnen mein Glück verspielt habe, sagen, daß es doch noch möglich gewesen wäre. Das war grausam, zwecklos grausam!«
»›Verspielt‹, sagten Sie; das war das richtige Wort. Sie durften nicht erwarten und nicht voraussetzen, daß ich sehenden Auges mein Schicksal an das eines Spielers knüpfen werde. Sie waren ein Spieler geworden.«
»Und ein Spieler ist heute obenauf und kann morgen zugrunde gerichtet sein.«
»Sie wissen ganz gut, daß es nicht die Angst um das schöne Geld war, was mich leitete, obschon für ein Mädchen, 48das doch schon seit beträchtlich langer Zeit die Kinderschuhe ausgetreten hatte, auch solche durchaus vernünftige Erwägungen ganz angemessen gewesen wären. Was mich abstieß, das war die ganze Geistes- und Gemütsatmosphäre, in der ein Spieler lebt.«
»Ich lehne mich auf, Gräfin. Ihr Urteil ist hart, aber nicht zutreffend; es erschöpft mein Wesen nicht. Ich gelte für einen Spieler, und ich bin es gewiß auch bis zu einem gewissen Grade, und ich spiele, wo ich nur kann, aber ich bin mit dem Worte ›Spieler‹ nicht einfach abzutun. Zunächst habe ich niemals Dummheiten gemacht, beispielsweise niemals in der Lotterie gespielt, und Sie dürfen sich meine Operationen nicht so vorstellen wie ein Spiel auf ›gerad' oder ungerad'‹ oder beim ›rouge et noir‹.«
»Es ist mir bekannt, daß Sie auch das ›rouge et noir‹ nicht verachtet haben. Ich weiß, daß Sie in Monte Carlo waren und dort sehr hoch gespielt haben.«
»Richtig, und ich gehe der Erörterung auch dieser Episode nicht aus dem Wege, weil ich hoffen darf, daß Ihr Urteil milder ausfallen wird, wenn Sie alles wissen. Also: ich hatte eine Erholungsreise nach dem Süden gemacht. In Nizza sein und nicht nach Monaco hinüberfahren, um mein Glück am Spieltisch zu versuchen, das wäre gegen meine Natur gewesen.«
»Diese Natur ist es eben, die Ihnen alles erklären mag.«
»Gräfin – tout comprendre, c'est tout –«
»Das ist mir als Ausrede zu billig, Herr Doktor.«
»Ich denke nicht daran, mich auszureden. Also, es wäre gegen meine Natur gewesen. Ich legte mir zehntausend Frank zurecht – ich konnte es tun. Das wollte ich daranwagen, mehr nicht. Mein Entschluß war unerschütterlich, und ich muß es Ihnen überlassen, an diese Unerschütterlichkeit zu glauben oder nicht.«
»Es ist schwer, an die unerschütterlichen Vorsätze eines Spielers zu glauben.«
49»Ich sehe, Sie kennen mich nicht, Gräfin. Ich erzähle weiter. Ich begann zu spielen und spielte drei Tage. Nach einem langweiligen Hin und Her des ersten Tages, das keine rechte Entscheidung brachte, ging ich am zweiten Tage schärfer ins Zeug, und ich hatte Glück. Ich konnte mich bei meinen Sätzen bald an das Maximum halten, und dabei setzte ich längst nicht mehr von meinem Gelde. Ein Maximumspieler erregt immer Aufsehen, und ich hatte die Ehre, eine große Korona von Zuschauern um mich versammelt zu sehen, darunter einige der Direktoren der Spielbank, die mit einigem Mißvergnügen wahrnahmen, wie die Tausendfrankbillets, die aus der Kasse der Bank zu mir wanderten, immer zahlreicher wurden.«
»In diesem Punkte müßten solche Herren doch schon ziemlich abgehärtet sein.«
»Sie kränkten sich auch nicht allzu sehr; die Sache war nur ärgerlich. Am dritten Tag operierte ich eben so erfolgreich, und die Gesichter der Herren Direktoren wurden immer länger, aber sie trösteten sich, wie ich aus einigen aufgefangenen Bemerkungen entnahm, mit ihrer Menschenkenntnis: ›Man bringt das Gewonnene ja doch wieder zur Bank, und schließlich zahlt man ihr noch gehörige Zinsen darauf.‹«
»Und darin werden sie wohl auch im allgemeinen nicht irren.«
»Bei mir verrechneten sie sich. Was ich mir so ungefähr als den günstigsten Ausgang vorgestellt hatte, war von mir erreicht worden. Ich hatte am Ende des dritten Tages eine Viertelmillion gewonnen.«
»Das alles ist entsetzlich!«
»Man trägt es, Gräfin. Als ich am vierten Tag wieder erschien, bemerkte ich wohl die befriedigten Mienen der Direktoren. ›Aha! da ist er ja!‹ schienen die leuchtenden Mienen zu sagen. Und nun sollte sich der alte Erfahrungssatz, daß die ›Grünlinge‹ doch alles der Bank zurückbringen, wieder einmal glänzend bewähren. Sie gruppierten sich 50erwartungsvoll um mich und nickten einander verständnisinnig zu, als ich hundert Frank auf Rot setzte. Ich verlor diesen Einsatz. Da wandte ich mich mit der harmlosen Bemerkung an meine Umgebung: ›Ich habe nie verstehen können, wie man an einem solchen Hasardspiel Vergnügen finden kann!‹ Darauf machten die Herren einigermaßen verdutzte Gesichter; ich aber ließ sie stehen und fuhr ruhig wieder nach Nizza zurück.«
»Das haben Sie sehr hübsch gemacht, Herr Doktor. Und sind Sie wirklich nicht wieder nach Monte Carlo zurückgekehrt?«
»Niemals, und ich werde auch gewiß nicht dahin zurückkehren. Ich habe Ihnen die kleine Geschichte nur deshalb erzählt, damit Sie Ihr Urteil über mich vielleicht in einigen Punkten berichtigen. Nach Ihrer Meinung lebe ich in dem Taumel des Spielerwahnsinns dahin. Das ist nicht richtig. Ich nehme das eine für mich in Anspruch, daß ich in allen Lagen die nötige Kaltblütigkeit und die erforderliche Rücksichtslosigkeit aufzubringen vermag.«
»Und soll am Ende letzteres auch zu Ihren Gunsten sprechen?«
»Je nun, gnädigste Gräfin – wo Holz gemacht wird, fliegen Späne! Ich befinde mich im Kampfe mit ebenbürtigen Gegnern. Wenn ich da zarte Rücksichten walten lasse, bin ich sofort der Schwächere und unterliege. Dazu habe ich keine Lust.«
»Und die Rücksicht auf sich selbst?«
»Auch die kommt nicht zu kurz. Im Anfang hatte mich allerdings der Wahnwitz gepackt. Da spielte ich immer mit dem Einsatz meiner ganzen Existenz; es war ein waghalsiges Va-banque-Spiel. Es war – aber es ist seit langem nicht mehr. Als das Werk der Vermögensbildung gelungen war, ging ich von der Offensive zur Defensive über, und seit Jahren schon ist meine Sorge vorwiegend auf die Verteidigung meines Vermögens gerichtet. Daß es sich dabei noch immer vermehrt, darüber bin ich nicht böse.«
51»Sie spielen aber noch immer, und immer sehr hoch.«
»Wenn ich überhaupt spiele, muß ich hoch spielen. Darin liegt schon eine gewisse Bürgschaft des Erfolges. Wenn ich hundert Stück Papiere auf den Markt werfe, so ist das ganz ohne Belang für den Verkehr, sind es aber zehntausend Stück, so erzeugt schon diese Tatsache eine Stimmung, wie sie mir günstig ist.«
»Es ist doch immer das halsbrecherische Balancieren des Spielers!«
»Sie haben recht – im allgemeinen, aber im besonderen sehen Sie die Dinge nicht richtig, Gräfin. Ich will es Ihnen an einem Beispiel zeigen. Nehmen wir die Turfwetten. Die Beurteilung dieser wird Ihnen näher liegen als die des Börsenspiels, da ja auch Ihr Herr Vater einen Rennstall hält. Ein Spiel ist es nun, und zwar ein recht törichtes, wenn die Laien in Massen herbeiströmen und bei irgend einem Rennen auf gut Glück auf ein Pferd wetten. Laufen zwei Pferde, so glauben sie, daß ihre Chancen auf Gewinn eins zu zwei stehen, und laufen ihrer zehn, so meinen sie, auch ihre Gewinnchancen ständen eins zu zehn. Das aber ist falsch. Auch bei zwei Pferden können ihre Chancen eins zu zehn und bei zehn Pferden eins zu hundert stehen.«
»Das ist klar.«
»Es ist selbstverständlich, wird aber doch nicht in Betracht gezogen, und dann wundern sich die Leute über ihr enormes Pech. Anderseits kann man aber auch bei zehn Pferden seine Verlustchance auf eins zu zwei herunterdrücken, wenn man mit der nötigen Sachkenntnis und Überlegung zu Werke geht. Wenn ich auf ein Pferd wette, muß ich vollständig im klaren sein über seine Abstammung und über seine ererbten Eigenschaften, über seine bisherigen Leistungen. Ich muß genau wissen, wie weit es im Training und in der Kondition vorgeschritten ist. Ich muß das Gewicht in Betracht ziehen, das es zu tragen hat, denn ein Kilogramm Unterschied bedeutet eine Halslänge im Endkampf. Ich muß 52mir Rechenschaft darüber geben, ob die Strecke gerade die richtige ist für die besonderen Fähigkeiten des Pferdes. Ich muß mich knapp vor dem Rennen im Sattelraum von der momentanen Disposition des Pferdes überzeugen, darauf achten, ob sein Haar glänzend oder stumpf und ob das Pferd nervösen Zuständen unterworfen ist oder nicht. Dann muß ich wissen, welcher Jockey das Pferd steuern wird, und ob er ehrlich und für das heiße Finish kräftig genug ist, und weiß ich das alles, dann muß ich mich ebenso genau über alle andern Konkurrenten unterrichten. Dann ergibt sich eine vollkommen klare Rechnung, die unfehlbar stimmen müßte, wenn das Pferd eine Maschine wäre. Daß es das nicht ist, darin allein ist meine Verlustchance begründet. Sie ist noch immer groß genug, aber es leuchtet ein, daß meine Aussichten wesentlich bessere sind als die der Menge, die sich zum Totalisator drängt.«
»Ich gebe das alles zu, Herr Doktor, aber ich kann trotzdem nicht finden, daß es ein würdiger Lebensberuf ist, auf dem Rennplatz Wetten abzuschließen.«
»Ich wollte Ihnen nur ein Beispiel vorführen, Gräfin. Wenden Sie dieses Beispiel jetzt auf die Börse an. Dort handelt es sich um größere Dinge –«
»Größere Beträge vielleicht.«
»Sagen wir ›größere Beträge‹; aber es gibt auch hundertmal mehr und wichtigeres zu überlegen, um dann den schlausten und geriebensten Gegnern gegenüber doch zu bestehen. Das bietet eine Befriedigung, die über die einfache Freude des Geldgewinnens hinausgeht.«
»Ich gebe zu,« erwiderte Adrienne trocken, »daß mir dafür das Verständnis fehlt.«
»Ich hatte nicht gehofft, bei Ihnen Sympathien für meine Art der Lebensführung zu wecken, Gräfin. Ich wollte zunächst Ihnen beichten. Durch die mir auferlegte Buße hoffte ich zur Entsühnung zu gelangen. Dann aber wollte ich auch darauf hinweisen, daß, wenn ich schon verurteilt 53werden soll, nicht Sie die erste sein müßten, einen Stein auf mich zu werfen. Denn was ich tat und fehlte, es geschah um Ihretwillen.«
»Nicht mit meinem Willen und nicht mir zuliebe.«
»Ich habe es erfahren. Die zweite Ablehnung mußte mir jeden Zweifel nehmen. Ich hatte ein falsches Mittel gewählt, ich konnte aber kein richtiges wählen, weil es überhaupt keins gab, das mir hätte helfen können. Das hätte ich mir gleich nach der ersten Ablehnung klar machen sollen.«
»Herr Dr. Kunz, Sie haben mir ein Geheimnis offenbart, das Geheimnis Ihres Lebens. Es soll bei mir sicher geborgen ruhen, und ich fühle mich in der Tat nicht berufen, mich zur Richterin über Sie aufzuwerfen. Sie sagen, Sie wollten mir beichten – ich habe nicht die Macht, zu binden und zu lösen, und ich habe kein Recht, Ihnen die Absolution zu geben oder zu verweigern. Ich will Ihnen aber auch das Geheimnis meines Lebens preisgeben. Ich hätte nicht gedacht, daß ich es je im Leben aussprechen würde. Auch ich habe lange genug unter dem Schweigen gelitten, und – Offenheit gegen Offenheit!«
»Was es auch sei, Gräfin, schon für den Entschluß habe ich Ihnen zu danken.«
»So hören Sie denn, Herr Dr. Kunz. Wir, wir beide, sind das Opfer eines Mißverständnisses geworden, und Sie hatten unrecht, als Sie vor zehn Jahren Ihre jetzige Karriere begannen.«
»Das vom ›Unrecht‹ gebe ich ohne weiteres zu, aber das vom ›Mißverständnis‹ ist mir nicht klar.«
»Ich will es Ihnen sagen, ohne Rückhalt. Sie erinnern sich, wie gut wir uns sprachen – damals bei Remscheids. Ich war ein junges Mädchen, das gerade seine ersten Schritte in die Welt tat. Sie näherten sich mir, und ich will es bekennen, mein ganzes Herz gehörte Ihnen. Es war bei Ihnen der Enthusiasmus der Jugend, und nichts anderes 54war es bei mir. Ich war innerlich beglückt, denn – heute darf ich es wohl sagen – denn ich liebte.«
»Doch um Gottes willen nicht mich?«
»Jawohl, Herr Doktor, Sie. Ich hatte gerade so für mich die ganze Gesellschaft überblickt und mir klar gemacht, wie seltsam es doch sei, daß unter den hundert hoch- und hochwohlgeborenen Herren und Herrchen nur einer sich befinde, der gar nicht hoch- und hochwohlgeboren ist, und daß doch gerade dieser eine, wenn er jetzt käme und mich fragte, ob ich –«
»Vollenden Sie, Gräfin!«
»Der einzige wäre, dem ich –«
»Vollenden Sie, schonen Sie mich nicht!«
»Wäre es so schrecklich, das zu hören?«
»Es ist entsetzlich, Gräfin Adrienne!«
»Und in demselben Augenblick kamen Sie auch schon und sagten und fragten, und ich war so betroffen, so beschämt – ich fühlte mich wie ertappt bei meinen geheimsten Gedanken und Wünschen. Ich fühlte mich enthüllt, entblößt, belauscht. Ich schämte mich und war zugleich fassungslos vor Staunen, daß gerade der einzige unter hundert alles erraten, und daß nun gerade er und gerade in diesem Augenblick gekommen war. In meiner grenzenlosen Verwirrung war ich außer stande, Ihnen zu antworten. Sie nahmen meine Verwirrung für Hochmut, und ich war zu schwach und zu ängstlich, Sie zurückzurufen, und so setzte sich das Mißverständnis fest, dem wir beide zum Opfer fielen!«
»Ich kam wieder, Gräfin!«
»Da war es zu spät. Gleich darauf begannen Sie Ihre erfolgreiche Laufbahn. Das war ein anderer Mann, der wiederkam, und der interessierte mich nicht mehr. Sie waren ein Spieler geworden, und wenn Sie mir für das zweite Mal Hochmut vorwarfen, so muß ich sagen: der Vorwurf war berechtigt. Ich war mir inzwischen zu gut geworden für Sie, und nicht, weil – ich besser geworden wäre. Ich 55versprach Ihnen Offenheit. Sie sehen, ich habe mein Versprechen gehalten..«
»Ich war ein Spieler geworden und hatte doch alles schon verloren, bevor ich noch zu spielen begonnen hatte!«
»Es war eine unglückliche Idee, Herr Doktor, die Sie damals gefaßt haben – übrigens, vielleicht nicht einmal unglücklich für Sie, für mich war es ein Unglück. Sie sehen, ich bin im Begriff, eine alte Jungfer zu werden. Es ist vielleicht nicht hochmütig, wenn ich sage, ich hätte mich seither wohl an den Mann bringen können.«
»Und?«
»Und? Des Rätsels Lösung ist vielleicht einfacher, als Sie glauben. Ich hatte einmal geliebt, ein zweites Mal brachte ich es nicht zu stande. Wenn eine Saite gerissen ist, dann kann man sie wohl noch einmal knüpfen, aber denselben Ton gibt sie nicht wieder.«
»Und das Urteil über jenen – anderen Mann steht noch immer fest bei Ihnen, Gräfin?«
»Ich habe keinen Anlaß gefunden, es zu berichtigen.«
»Nun, Gräfin, ich muß Ihnen mein Kompliment machen. Ich gedachte, mit meiner Ruhe vor Ihnen ein wahres Wunderwerk von Heroismus zu verrichten, und tat mir darauf etwas zugute, und nun sehe ich, daß ich ein wahrer Stümper bin im Vergleich zu der monumentalen Ruhe, mit der Sie ein Schicksal zu nehmen und zu behandeln wissen.«
»Man hat in zehn Jahren Zeit, ruhig zu werden – wie Sie sehr richtig bemerkten.«
»Sei's drum, aber Sie dürften milder mit mir sein, Gräfin Adrienne, denn Sie haben mich auf dem Gewissen.«
»Sie sind ein großer Egoist, mein Freund, und sehen nicht, daß auch Sie mich auf dem Gewissen haben. Untersuchen wir nicht, wer dem anderen mehr vorzuwerfen hat.«
»Eine Frage, Gräfin Adrienne: Sie haben mich geliebt, Sie haben mich wirklich und wahrhaftig geliebt?«
»Ich habe es eingestanden.«
56»Und als ich dann wiederkam und all die Zeit her, da liebten Sie mich nicht mehr?«
»Da war's vorbei.«
»Vorbei! – Punktum. Streusand drauf. Die Geschichte ist zu Ende. Wir gehen nun auseinander, ohne daß wir miteinander gegangen wären.«
»Eben das ist es vielleicht, was unserem jetzigen Abschied den tragischen Anstrich nimmt.«
Adrienne hatte es lächelnd gesagt und erhob sich, um nun wirklich Abschied zu nehmen.
»Einen Augenblick noch!« bat er, »wir sind noch nicht ganz fertig.«
»Ich wüßte nicht –«
»Nur eine kleine Weile noch, Gräfin Adrienne! Ist es so schwer, dem Manne, den man geliebt hat, noch zwei Minuten zu schenken?«
»Das war damals. Ich sagte Ihnen bereits, daß das alles längst vorbei ist.«
»Ich habe es gehört. Lassen Sie mich es aber sagen: Sie haben nicht die Wahrheit gesprochen, Gräfin!«
»Der Vorwurf trifft mich nicht.«
»Ich halte es aufrecht, Sie haben nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben mich einmal geliebt, und Sie sind nicht die Natur, die heute liebt und morgen vergißt.«
»Da liegt mehr dazwischen als zwischen heute und morgen, Herr Doktor!«
»Auch in fünf Jahren und zehn Jahren nicht. Wenn Sie mich wirklich geliebt haben, dann bin ich heute nicht verwischt von der Tafel. Ich habe nun die Wahl, von beiden eins zu glauben, entweder daß Sie mich nicht lieben, oder daß Sie mich einmal geliebt haben. Beides zusammen ist nicht möglich, eins schließt das andere aus. Sie können mich niemals geliebt haben, wenn ich heute Ihnen gleichgültig bin, und ich kann Ihnen nicht völlig gleichgültig geworden sein, wenn –«
57»Wozu diese feinen Unterscheidungen? Ich denke, es ist das Klügste, wir schicken uns in unser Los.«
»Ich habe mich niemals gutwillig in etwas geschickt, wogegen ich noch ankämpfen konnte. Ich hoffe, solange ich lebe. und ich lebe, solange ich hoffe. Lassen Sie mich hoffen, lassen Sie mich leben, Gräfin! Ja, ich hatte die feste Absicht, Sie nicht mit nutzlosen leidenschaftlichen Ergüssen zu behelligen, zu beunruhigen, aber nun hat ja alles ein ganz anderes Gesicht bekommen. Ich wußte nicht, daß es jemals eine Zeit gegeben hat, wo ich Ihnen etwas war, seitdem ich es aber weiß, gibt es keinen Preis auf der Welt, der mir zu hoch schiene, um das, was war, zurückzugewinnen. Schütteln Sie das Haupt nicht, Adrienne. Die Hoffnung müssen Sie mir lassen! Ich forsche darum nicht, welche Ihrer beiden Angaben nicht der Wahrheit entspricht – beide können nicht wahr sein –«
»Fügen wir uns, Herr Doktor. Wozu soll das führen?«
»Ich füge mich nicht, Adrienne, und werde mich nicht fügen bis zum letzten Atemzug. Jetzt schon ganz gewiß nicht! Ich verlange kein Opfer von Ihnen, und ich werde Ihnen niemals wieder mit meiner Zudringlichkeit oder auch nur mit einem Worte lästig fallen; ich will nur im stillen hoffen dürfen. Mißverstehen Sie mich nicht; ich rechne auf keine Ermutigung von Ihrer Seite, ich hoffe auf keine Erklärung von Ihnen.«
»Und was ist es sonst, das Sie von mir erwarten?«
»Nichts und alles. Hören Sie mich an, Adrienne. Sie haben den Spieler verachtet, vielleicht mit Recht, aber Sie haben ihn verachtet. Von dieser Stunde an habe ich aufgehört, ein Spieler zu sein. Sie lächeln, weil Sie meinen, daß ich an dieses große Wort phantastische Hoffnungen knüpfe, daß ich voraussetze, nun sei alles gut, und es werde Ihnen unter sothanen Umständen ein ausnehmendes Vergnügen sein, gerührt in meine Arme zu sinken.«
»Es wäre in der Tat eine ungemein einfache Lösung!«
58»Nein, Adrienne, ich war niemals ein Phantast, und ich bin kein Schwärmer. Hören Sie weiter. Also – ich habe aufgehört ein Spieler zu sein. Meine bestehenden Engagements werden abgewickelt, und ich gelobe mit Manneswort, daß ich nie wieder an der Börse spielen werde. Ich verlange nicht, daß Sie meinen Worten glauben sollen. Sie halten von meinem bisherigen Lebenslauf Kenntnis erhalten, Sie werden auch von meinem zukünftigen Kenntnis erhalten, und nicht mein Wort soll entscheiden, sondern Ihre Überzeugung.«
»Ich glaube Ihrem Wort, Herr Dr. Kunz, und ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Entschlusse, aber ich kann nicht Richterin sein über Sie.«
»Sie werden es sein müssen, Adrienne. Das ist natürlich nicht genug, das Spielen aufgeben, um gleich für einen ernsthaften Mann gehalten zu werden. Ich werde mich auch wieder redlich einem ehrbaren Berufe widmen. Ich werde wieder Rechtsanwalt, und ich fühle die Kraft und das Talent in mir, es auch als solcher noch zu etwas zu bringen. Ich war schon früher nicht untüchtig in meinem Berufe. Das Leben hat mich seither noch manches dazu gelehrt. Ich stelle als Redner meinen Mann. Adrienne, glauben Sie an meine Zukunft!«
»Ich glaube an sie, Dr. Kunz, aber Sie sollen nicht mich mit Ihrer Zukunft in Verbindung bringen.«
»Ich darf es nicht – ich weiß. Aber Sie dürfen es, und Sie dürfen Gnade walten lassen einem Reuigen gegenüber. Ich will Ihnen meine guten Vorsätze nicht ausmalen, ich verspreche nichts, und niemals werde ich versuchen, Ihre Kreise zu stören und Ihnen wieder mit einer Frage zu nahen.«
»Und wie ist es dann mit der Hoffnung, die Sie niemals aufgeben wollten?«
»Die gebe ich auch nicht auf. Ich komme Ihnen nicht wieder mit einer Werbung. Ich wage es nicht mehr – und ehrlich – als Mann – ich kann es auch nicht mehr – 59aber Sie werden weiterhin meine Laufbahn verfolgen, und Sie werden mich an der Arbeit sehen in einem ehrenhaften Beruf. Und wenn Sie dann wieder Vertrauen zu mir gewonnen haben werden, wenn die verscherzte Achtung wieder hergestellt sein wird –«
»Dann?«
»Dann werde ich noch immer nicht aus freien Stücken kommen, dann werden Sie großherzig sein – und mich rufen und damit einen Menschen namenlos glücklich machen. Adrienne, soll es gelten? Wenn Sie wieder Vertrauen gewonnen haben, werden Sie mich rufen?«
Sie sah ihm ins Auge und sagte: »Ja, das will ich.«
»Wollen Sie mir darauf die Hand geben, Adrienne?«
»Ja, darauf gebe ich Ihnen die Hand!«
Sie erhob sich und gab ihm die Hand. Dann ging er selbst und öffnete ihr die Tür, und er verneigte sich tief, während sie aus dem Gemache schritt. 60