Balduin Groller
Der olle ehrliche Lehmann und andere Geschichten
Balduin Groller

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Das ist die Frage.

Ein stilles, heimliches Schmunzeln ging durch die Gesellschaft, wo immer auch der stattliche Herr Oberst mit seiner schlanken, zierlichen, überzarten Gemahlin erscheinen mochte. Man kannte ihre Geschichte, aber eines wußte man doch nicht, und das war eigentlich beinahe die Hauptsache. Man konnte nämlich nicht draufkommen, so sehr man sich auch die Köpfe zerbrach, welches von beiden bei der Affäre der hereingefallene Teil gewesen sei. Und so etwas möchte man doch wissen!

* * *

Der kaiserlich königliche Hauptmann Dittrich war, zu seiner Wohnung hinaufsteigend, auf der Treppe der Lehrerin Fräulein Klara Schrank ohnmächtig in die Arme gefallen. Nun, so etwas kommt ja vor; nicht allzu häufig allerdings, aber wenn es vorkommt, ist es immerhin eine große Sache für die betreffende Lehrerin. Ohnmächtige Hauptleute sind für Lehrerinnen, die nichts mit Ihnen anzufangen wissen, immer eine große Verlegenheit. Wenn sie nichts mit ihnen anzufangen wissen! Fräulein Klara gehörte aber nicht zu der Sorte jener Lehrerinnen, die über jeden unerwarteten Zwischenfall gleich den Kopf verlieren, und sollte dieser Zwischenfall auch in der Form eines ohnmächtigen Hauptmanns eintreten. Allerdings, erschrocken war sie natürlich sehr, aber die Geistesgegenwart verließ sie doch nicht. Zunächst lehnte sie also den Zwischenfall so an die Wand des Stiegenhauses, daß er, sachgemäß gestützt, nicht umfallen konnte, und dann rief sie die Frau Hausmeisterin herbei, die sie ein Stockwerk tiefer beim Abstauben des Treppengeländers an der Arbeit gesehen hatte, und mit ihrer Hilfe gelang es sodann, die 87ohnmächtig gewordene bewaffnete Macht noch die paar Stufen bis zu Klaras Wohnung hinaufzubefördern und dann endlich auf ihrem Sofa unterzubringen.

Der Frau Hausmeisterin war der Schrecken in die Glieder gefahren; sie war bei ihren samaritanischen Bemühungen ganz blaß geworden, und doch zog ein stilles Glück durch ihren geräumigen Busen. Was hatte sie nun zu erzählen und zu tratschen! Die Milchfrau und die Greislerin, die Selcherin und die Kräutlerin, die werden Augen machen! Sie hatte ja alles selber gesehen, sie war selber dabei, wie den guten Herrn der Schlag getroffen hat, und wenn er überhaupt noch davonkommen sollte, was sie für ihre Person doch sehr bezweifeln mußte, so wird es ausschließlich ihr Verdienst sein.

Der Hauptmann kam langsam zu sich und konnte sich in der fremden Umgebung gar nicht zurechtfinden. Er wußte nicht, was mit ihm vorgegangen sei, er fühlte nur, daß er recht, recht elend daran sei. Fräulein Klara gab sich ehrliche Mühe mit ihm, und als sie ihn soweit hatte, daß er doch zur Not wieder stehen und gehen konnte, da faßte sie ihn sorglich unter den Arm und führte ihn ein Stockwerk höher in seine eigne Wohnung. Der bosnische Privatdiener, der ihnen die Tür öffnete, machte ein sehr erschrockenes Gesicht, als man ihm seinen Herrn so nach Hause brachte. Er nahm ihn in Empfang, geleitete ihn in das Schlafzimmer und brachte ihn zu Bett. Als das besorgt war, trat Klara, die inzwischen im ersten Zimmer gewartet hatte, an das Lager des Kranken und fragte, wie's ihm nun sei und ob sie noch etwas für ihn tun könne und solle. Der Hauptmann dankte mit schwacher Stimme für ihre bisherige Bemühung und entschuldigte sich wegen der Ungelegenheit, die er ihr bereitet. Nun wolle er sehen, wie er allein durchkomme, und sie möge ihn nur ruhig seinem Schicksale überlassen.

Das war aber nicht so einfach, wie er es sich vorstellen mochte. Der Diener mußte jetzt um den Arzt fortgeschickt 88werden, und daß der Kranke in seinem dermaligen Zustande nicht allein gelassen werden konnte, darüber bestand für Fräulein Klara kein Zweifel. Wie es für jeden klar gewesen wäre, der ihn so gesehen hätte. Sie fügte sich also der Notwendigkeit und setzte sich zu dem Kranken, allerdings mit einem unterdrückten Seufzer. Sie hätte ja nun ihre Stunden geben sollen in dem Mädcheninstitut, an dem sie angestellt war.

Es dauerte reichlich zwei Stunden, bis der Regimentsarzt kam. Er trat recht jovial auf, um bei dem Kranken gute Stimmung zu machen.

»Ja, was machst denn du für Geschichten, Herr Hauptmann; ist das eine Aufführung?!« Und dann machte er sich an die Untersuchung. Als er damit fertig schien, begann er sie noch einmal von neuem, und wieder assistierte ihm Fräulein Klara dabei. Dann stellte er eine große Anzahl von Fragen, die der Hauptmann mit schwacher Stimme zwar, aber auch mit der allen Kranken in solchen Fällen gemeinsamen Gewissenhaftigkeit beantwortete. Darauf verschrieb der Doktor etwas und empfahl sich endlich mit der tröstlichen Versicherung, daß er abends noch einmal nachschauen kommen werde. Fräulein Klara gab ihm beim Gehen das Geleite und fragte ihn im Vorzimmer, was es mit der Krankheit auf sich habe.

»Die Sache ist ernst, sehr ernst,« erwiderte der Doktor. »Ich glaube, wir haben es mit einer Erweiterung der Aorta zu tun, und dagegen ist kein Kraut gewachsen. Lassen wir den Kranken jetzt erst ordentlich zur Ruhe kommen, dann will ich noch einmal genau untersuchen, ich fürchte aber, daß ich mich nicht geirrt habe. Jedenfalls darf er keinen Augenblick allein gelassen werden, und sollte sich ein besorgniserregender Zwischenfall ergeben, dann bitte ich, mich unverzüglich holen zu lassen.«

Fräulein Klara begab sich ins Krankenzimmer zurück, schrieb rasch eine Entschuldigungskarte für die Institutsvorsteherin und übergab sie mit dem Rezept dem Bosniaken zur 89Besorgung, und dann richtete sie sich ein als Pflegerin. Sie nahm sich vor, den ganzen Tag dazubleiben und traf umsichtig und still alle erforderlichen und zweckentsprechenden Anstalten. Sie dämpfte das allzu grelle Licht der Sommersonne im Zimmer, sie richtete dem Kranken die Kopfkissen, sie rückte das Nachtkästchen besser zur Hand, sie sorgte für frisches Wasser, trieb einen Silberlöffel auf für die erwartete Medizin, endlich brachte sie sich auch die Schulhefte herauf, um sie, wenn der Kranke einschlummern sollte, zu korrigieren.

Abends kam der Regimentsarzt wieder, und er machte beim Weggehen ein so ernstes Gesicht, daß Klara beschloß, einen Teil der Nacht bei dem Kranken zu wachen. Es wurde aber die ganze Nacht daraus. Denn der Patient zeigte sich so unruhig, daß sie sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, ihn zu verlassen.

Es folgten acht schwere Tage. Fräulein Klara hatte versucht, Misko, den Bosniaken, zum Nachtwachen abzurichten, aber es ging nicht. Nicht nur, daß er nach fünf Minuten zu schnarchen begann, er fiel dann auch im Schlafe mit solchem Getöse von seinem Sitz auf den Fußboden, daß der Kranke erschreckt auffuhr. So wachte sie denn selbst, gab dann, übernächtig wie sie war, ihre Stunden, und kam, als sie diese erledigt hatte, wieder in das Krankenzimmer zurück. Lange hätte sie das nicht mehr mitmachen können. Denn sie fühlte sich selbst schon am Ende ihrer Kräfte, zum Glück aber begannen nach Ablauf dieser acht Tage die Sommerferien, so daß sie sich nun doch freier bewegen konnte.

Der Regimentsarzt, dem sie es einmal nahegelegt hatte, daß es wohl zweckmäßig sein werde, eine Krankenwärterin aufzunehmen, war sehr überrascht, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß sie die ganze Geschichte eigentlich gar nichts anging. Er hatte Fräulein Klara für eine Verwandte, für die Braut oder sonst irgend etwas andres gehalten. Er 90besprach sich dann mit dem Hauptmann und erstattete Klara Bericht: »Es ist schwer mit ihm auszukommen,« sagte er. »Sie müssen nämlich wissen, Fräulein, daß diese tapferen Krieger, die sich in der Schlacht mit viel Anstand töten zu lassen wissen, in der Hand des Arztes sehr oft recht feig und wehleidig werden. Das zimperlichste Frauenzimmer kann sie da im Heldenmut des Duldens schlagen. Ich wollte ihn ins Spital bringen lassen. Davor graut ihm. Ich wollte eine barmherzige Schwester kommen lassen. ›Warum nicht gleich einen Totengräber?!‹ erwiderte er entrüstet. Etwas Geistliches sehen viele Kranke nicht gern; da denken sie gleich ans Sterben. Also eine gewöhnliche Krankenwärterin. Nur davon nichts; das ekelt ihn an. Ich solle Sie recht, recht schön bitten, es noch eine Weile bei ihm auszuhalten. Sehen Sie, Fräulein, die Kranken sind egoistisch, sie denken immer nur an sich.«

So begann also Klara ihre Ferien. Der Regimentsarzt, dem die Sache immer bedenklicher wurde, brachte eines Tages einen berühmten Professor zur Konsultation mit. Dieser bestätigte seine Diagnose vollinhaltlich, nahm das Honorar in Empfang, das ihm Klara reichte, die schon ganz die Wirtschaft des kranken Hauptmanns führte, und empfahl alles, was sein trefflicher Kollega, der Herr Regimentsarzt, ohnedies schon empfohlen hatte.

»Er ist verloren,« sagte am nächsten Tage der Regimentsarzt zu Fräulein Klara im Vorzimmer, »erfüllen Sie jeden seiner Wünsche, soweit es nur angeht – es sind die Wünsche eines Sterbenden. Die Wissenschaft ist machtlos, und Wunder geschehen heutzutage nicht mehr. Trachten Sie nur, nötigenfalls zwingen Sie ihn mit sanfter Gewalt, reichliche Nahrung zu sich zu nehmen, einerlei was. Es ist das einzige Mittel, ihn noch halbwegs bei Kräften zu erhalten.«

Woche um Woche verrann in stiller Eintönigkeit; mit dem armen Hauptmann ging es immer mehr bergab. Mit 91der Nahrungsaufnahme war es schlecht bestellt, er fiel vom Fleische und sein letztes Stündlein schien in der Tat nicht mehr fern zu sein. Mit Sorge sah Klara dem nahen Ende der Ferien entgegen. Auf der einen Seite konnte sie ihre Stellung nicht gefährden, auf der andern bedurfte der Kranke ihrer mehr denn je. Auch der Regimentsarzt hatte das bedacht und er war entschlossen, zu handeln.

»Du mußt schon verzeihen, Herr Hauptmann,« sagte er eines Tages zu dem Patienten, »wenn ich heute einen heiklen Punkt berühre. Es handelt sich um die arme Person, die da seit Wochen schon sich deiner Pflege widmet. Mit einem Honorar können wir sie nicht gut abfinden. Es ist sonst nicht meine Art, aber – hm – ein bißchen – hm – Erbschleichen für sie, halte ich hier für eine Anstandspflicht.«

»Steht es so mit mir?« fragte der Kranke mit mattem Augenaufschlag.

»Mit dir steht es sehr gut, mein Sohn, aber als Mann soll man an alles denken. Fürs Leben und Sterben – es ist nur, daß man davon spricht – vermache ihr etwas im Testament, und die Geschichte hat sich gehoben!«

Nun begann der Hauptmann mit dem Starrsinn und der Hartnäckigkeit der Kranken in den Doktor zu dringen, daß er ihm reinen Wein einschenke. Er wolle wissen, wie lange er noch zu leben habe. Er sei ein Mann und ein Soldat, und er wolle sich nicht von dem Tod anschleichen lassen, er wolle ihm mit ruhiger Zuversicht und Ergebenheit ins Auge blicken können. Erst wenn er über diesen Punkt beruhigt sei, wolle er abschließen und Ordnung machen, früher nicht. Und da nahm auch der Doktor seinen Mannesmut zusammen, fand auch, daß man mit einem braven Soldaten anders reden könne, als mit einem hysterischen Frauenzimmer, und gestand seinem kranken Freunde, daß er im ungünstigsten Falle noch auf sechs Monate rechnen könne.

92Nun war es heraus, obschon der Doktor zu einer frommen Lüge seine Zuflucht genommen hatte. Denn in Wahrheit gab er dem Kranken keine vier Wochen mehr, als es aber heraus war, da erlagen auch beide sofort dem drückenden Gefühl, daß sie eine Dummheit gemacht hätten. Dem Kranken war es zu Mute, als wäre ihm sein Todesurteil verlesen worden, und er verfiel in Trübsinn, und der Doktor verwünschte auf der Stelle seine brutale Aufrichtigkeit und hätte um alles in der Welt das einmal gesprochene Wort zurückhaschen mögen. Nunmehr blieb er aber beim Testament nicht stehen. Das genüge nicht. Die Schulferien seien bald zu Ende, Fräulein Klara müsse ihre Stelle wieder antreten, um das zu verhindern und sie als Pflegerin zu erhalten, gebe es nur ein Mittel – der Hauptmann solle sie vom Fleck weg heiraten.

»Eine Trauung auf dem Totenbett!« sagte mit trübem Lächeln der Kranke.

Und so geschah es. Der Regimentsarzt besorgte alles, er betrieb den nötigen Dispens vom kirchlichen Aufgebot, er schaffte Feldpater und Notar herbei und drei Tage später war aus Fräulein Klara und dem Herrn Hauptmann Dittrich ein Ehepaar geworden. Nunmehr hatte der Regimentsarzt getan, was er tun konnte. Er übergab den Kranken einem jungen Oberarzte, der ihn zu vertreten pflegte, und reiste in Erfüllung des allerhöchsten Dienstes zu den Manövern.

»Vor allen Dingen, Fräulein, werden wir jetzt einmal den Patienten acht Tage lang fasten lassen,« sagte der junge Arzt zu Klara, nachdem er den Hauptmann untersucht hatte.

»Aber, Herr Doktor! Der Herr Professor –«

»Der Herr Professor geht mich gar nichts an. Jetzt habe ich hier das Kommando, und da bin ich sogar noch ein größerer Herr als der Kaiser. Wenn Sie mich böse machen, Fräulein, da lasse ich ihn nicht acht, sondern vierzehn Tage hungern!«

93Klara verdroß es, daß er sie »Fräulein« nannte, ja der Hauptmann selbst nannte sie noch immer gewohnheitsmäßig »Fräulein Klara.« Es hatte sich aber auch gar nichts geändert. Es war einer Formalität genügt worden, und im übrigen blieb alles beim alten.

Nun mußte also der arme Hauptmann hungern! Der junge Oberarzt war nämlich der Ansicht, daß da der schauerlichste Magenkatarrh vorliege, der ihm überhaupt noch untergekommen sei, eine Errungenschaft aus der bosnischen Garnison, in der der Hauptmann ein Jahr gelegen. Die Hungerkur machte den trübselig vor sich hin sinnierenden Kranken nicht eben freundlicher, ja er war zuzeiten sogar recht unausstehlich. Wenn man schon sterben muß – mehr ist doch von einem Menschen nicht zu verlangen – dann ist man wohl zu entschuldigen, wenn man sich nicht erst viel mit kleinlichen Rücksichten für andre abplagt. Als aber die Hungerzeit um war, und er zum erstenmal wieder ein Süppchen bekam, da erfüllte ein hohes Glücksgefühl seine Brust, das freilich bald einer tiefen Wehmut wich. Es ist doch recht traurig, eine Welt verlassen zu müssen, in welcher man solche Süppchen kriegen kann. Dem Süppchen folgte bald ein halbes Hühnchen, ein Schüsselchen mit unerhört gutem Dunstobst und sogar – einfach die Krone der Schöpfung – ein Gläschen Malaga. Schade, wirklich jammerschade um eine Welt, in der man solche Orgien feiern kann!

Der Hauptmann kam schön langsam zu Kräften. »Das letzte Aufflackern der Lebenskräfte!« sagte er sich mit stiller Resignation. Die stille Resignation hinderte ihn aber nicht, seine Gehversuche im Zimmer, von Klara und dem Bosniaken unterstützt, mit allem Eifer zu betreiben. Einmal, als er mit dem Oberarzt zufällig allein im Zimmer war, stellte er ihn mit der unvermittelten Frage: »Ehrlich heraus, Doktor! Muß ich sterben?«

Der Oberarzt zuckte die Schulter. »Ja, Herr Hauptmann, sterben müssen wir alle!«

94»Ich meine – an meiner Krankheit – jetzt?«

»An deiner Krankheit? Du bist nicht krank. Die hätten wir glücklich weggebracht. und ich werde mich schon in den allernächsten Tagen empfehlen. Denn ich habe hier nichts mehr zu tun, und was das Sterben betrifft, so wird das allerdings nicht ganz zu vermeiden sein, aber du kannst dir schon Zeit lassen damit so ein vierzig oder fünfzig Jahre.«

»Du, Herr Kamerad, wenn du mich jetzt anlügst, dann – meiner Seel' – kriegst du eine fürchterliche Ohrfeige von mir!«

»Ich bin ganz beruhigt; die Ohrfeige krieg' ich nicht.«

Der Hauptmann wandte den Kopf zur Wand und zog die Bettdecke höher; es war ihm warm aufgestiegen, und die Augen gingen ihm wirklich über, und das brauchte der junge Oberarzt nicht zu sehen.

Der Oberarzt nahm wirklich nach einigen Tagen Urlaub; er wollte sich im Salzkammergut ein wenig auslüften. In Straßwalchen, wo sein Zug eine Minute hielt, lehnte er sich zum Fenster hinaus, um sich das militärische Leben und Treiben am Bahnhof anzusehen. In der Gegend spielten sich nämlich die großen Manöver ab. Plötzlich, eben als die Lokomotive wieder anzuziehen begann, hörte er sich bei seinem Namen anrufen. Er blickte auf; es war der Regimentsarzt.

»Was macht Hauptmann Dittrich?« schrie dieser vom Perron herüber.

»Er ist schon wieder gesund!«

»Wa–as? Unmöglich!«

»Vollkommen gesund!«

»Dann haben Sie ihn falsch behandelt!« schrie der Regimentsarzt, dem Zuge nachlaufend.

»Erlauben Sie, Herr Kollega –«

»An der Krankheit, an der ich ihn behandelt habe. mußte er nach allen Regeln der Wissenschaft –«

95Über die Regeln der Wissenschaft hinaus konnte die Konversation nicht gedeihen; denn die Waggons rasselten schon zu stark und der Zug ging schon zu schnell.

Der Hauptmann war inzwischen dahin gelangt, auf Klaras Arm gestützt seinen ersten Spaziergang ins Freie wagen zu können. Sie gingen in den nahegelegenen herrlichen Stadtpark. Klara achtete darauf, daß er sich nicht übermüde, und so setzten sie sich denn auf ihr Zureden auf eine Bank, nicht in den Schatten, sondern so, daß das Sonnenlicht voll auf ihn fiel. Die Sonne tat ihm so wohl!

»Mir ist's, als sei ich vom Tode auferstanden!« rief er, tief Atem holend.

»Ich habe es dem Herrn Hauptmann immer gesagt, daß man die Hoffnung nicht aufgeben dürfe.«

Klara fühlte sich in fortgesetzter Verlegenheit. Er sagte noch immer »Sie« zu ihr, und sie konnte doch nicht anfangen! Sie fühlte aber, daß es gegen ihre Würde und gegen ihr Recht wäre, wenn sie auch »Sie« sagte, und so half sie sich denn, indem sie mit ihm in der dritten Person sprach. »Hat der Herr Hauptmann? Will der Herr Hauptmann? Der Herr Hauptmann sollte doch –« und so fort.

»Der Regimentsarzt ist doch ein großes Pferd!« sagte er weich. »Wenn ich daran denke, daß er mich zum Tode verurteilt hat, und dann – alle Hagel! Bei der Gelegenheit fällt es mir ein – verheiratet hat er mich ja auch! Nun sagen Sie, Fräulein Klara, daß heißt verzeihen Sie, verzeihe du, Klara, ist das nicht ein großes –«

»Ich weiß nicht, was der Herr Hauptmann sagen wollte!«

»Ich wollte sagen – ich weiß es wirklich nicht. Mir kommt das Ganze so seltsam vor.«

»Mir auch!«

»Also verheiratet wären wir nun, Fräulein Klara?«

»Ich bin kein Fräulein mehr,« sagte sie entschieden und dabei röteten sich ihre Wangen vor Unmut und Verlegenheit; »und wenn es den Herrn Hauptmann reut, so können 96wir immer noch auseinandergehen. Gezwungene Lieb' ist Gott leid!«

»Und Sie – und du möchtest mich wirklich sitzen lassen, Klara?«

»Das habe ich nicht gesagt, aber wenn der Herr Hauptmann –«

»Der – wer?«

»Der Herr Hauptmann.«

»Spricht man so mit dem Herrn Gemahl?«

»Wenn – du – glaubst –«

»Warum wirst denn du gar so rot, Klara?«

»Ja – es ist aber auch – wenn du mich so quälst!«

»Ich – dich quälen!«

Er blickte auf; er wollte sich seine Frau doch einmal ansehen. Merkwürdig, was sie für schöne, für gute Augen hatte! Und das herrliche Blondhaar, das liebe Gesicht und die anmutige Gestalt! Er muß wirklich sehr krank gewesen sein, daß er das alles nicht früher bemerkt hatte.

»Schau, schau! Und die möchte mir wieder davonlaufen! Das wäre ja gerade so, als einen Aufgehängten abschneiden, ihn barmherzig ins Leben zurückrufen, um ihn dann wieder aufzuhängen.«

»Pfui, Oskar! So darfst du nicht sprechen.«

»Daß ich Oskar heiße, weiß meine Frau auch schon! Darf ich bei dieser Gelegenheit fragen, was meine Frau für eine ›Geborene‹ ist. Ich weiß es wirklich nicht?«

Klara nannte ihm ihren Mädchennamen und erzählte ihm von ihrer Jugend und ihrem Elternhause.

»Und jetzt glaubst du,« sagte er darauf, »daß ich dich ziehen lassen könnte? Klara, Klara – o, du Eserl!«

Ihr aber schossen die Tränen ins Auge; so mächtig wirkte die Glücksempfindung in ihr. Jetzt erst fühlte sie sich in die Rechte ihrer Liebe, in all ihre Rechte und in ihre volle Würde eingesetzt. Das hat das »Eserl« gemacht!

* * *

97Aus dem Herrn Hauptmann ist seither ein strammer Oberst geworden, und zwei seiner Söhne sind bereits Kadetten. Wenn aber der Herr Oberst mit seiner Gemahlin sich in der Gesellschaft zeigt, dann gibt es immer ein heimliches, angenehmes Schmunzeln. Man kennt ihre Geschichte, man weiß nur nicht, wer – aber uns ist das ja ganz einerlei.

 

Ende.

 


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