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»Six to one. Game and set and match!« – Also lautete der Spruch, den der Umpire von seinem erhöhten Sitz aus vernehmen ließ. Er schloß sein Protokoll ab und schickte sich an, von seiner würdevollen Höhe herabzuklettern. Man hatte ihm einen Stuhl auf einen Tisch gestellt, so daß er das Spielfeld genau und durch keinerlei Hindernis gestört überblicken konnte. Seinen Urteilsspruch fällte er mit lauter Stimme, aber in fast gleichmütigem Tonfall. Seine Unparteilichkeit sollte auch dadurch zum Ausdruck kommen. Nicht so gleichmütig aber nahm die fröhliche Korona, die den sonnenbeglänzten Tennisplatz umsäumte, die Verkündigung des Urteils hin. Die Spannung war zu groß gewesen. Stürmischer Beifall brach los; um so mehr fiel es dann auf, daß in diesen ein schriller Pfiff hineinstach.
* * *
Ein förmliches Tennisfieber hatte die vornehme Sommergesellschaft des malerisch gelegenen Badeortes ergriffen. Eine neue Krankheit. Denn in den früheren Jahren und selbst im Vorjahre noch war davon kaum die Rede gewesen, und doch war es immer wieder annähernd dieselbe Gesellschaft, die sich da zusammenfand. Früher hatte das Radfahren, das Fahren und das Reden darüber, alles übrige in den Hintergrund gedrängt; jetzt war mit einem Mal das Lawn-Tennis in die Mode gekommen. Man weiß, was die Herrschaft der Mode zu bedeuten hat. Das ist eine Tyrannis, gegen die es keine Auflehnung gibt; sie erzwingt sich die Anerkennung, sie setzt sich durch, sie fordert mit der Anmaßung der Ausschließlichkeit ihre Tribute.
70Eigentlich hatte sich auch niemand darüber zu beklagen, nicht einmal die armen Mamas, die auf ihre Töchter acht zu geben haben, und die bei solchen Gelegenheiten immer am schlechtesten wegkommen. Im Winter stehen sie am Ufer und frieren sich die Seele heraus, während die Töchterlein auf dem Eise sich in eleganten Schlangenbogen ergehen. Im Sommer ändert sich die Situation etwas, aber nicht wesentlich, zu ihren Gunsten. Ihr Platz ist wieder am Ufer, wo sie Todesängste ausstehen, weil die Töchterlein trotz der eindringlichsten Vorstellungen und Ermahnungen doch immer wieder weit in den See hinausschwimmen. Das ist jedesmal eine Unruhe und eine Aufregung, ganz wie bei der unglücklichen Henne, die man tückischerweise ein paar Entelein hat ausbrüten lassen, die nun bei der ersten Gelegenheit vor den Augen der entsetzten Pflegemutter davonschwimmen.
Auch beim Tennisspiel waren die Mamas aufs Ufer, will sagen auf den Rand des Spielfeldes verwiesen, wo sie darüber nachdenken konnten, was vorzuziehen und edler im Gemüte sei: zu frieren bis in die Knochen oder sich von der Sonne braten zu lassen. Und kam es einmal auch zum Radfahren – wo waren dann die Mamas und wo die Töchterlein! Es ist nun allerdings schon tausendmal dagewesen, daß die Mutterliebe aus den Mamas Eisläuferinnen, Schwimmerinnen, Radfahrerinnen und Tennisspielerinnen gemacht hat. Aber es ist doch nicht das. Wer wüßte nicht, wie die Kinder heutzutage sind! Sie sind immer viel flinker als die Mamas – kurz, es ist ein rechtes Kreuz.
Und doch hatten sich die Mamas nicht zu beklagen. Ihre Töchter – es war durchaus nicht zu ergründen, woher diese unglaublich vielen Töchter kamen, die sich da in Durlach am Durlacher See zusammengefunden hatten, ebensowenig wie man dem merkwürdigen Naturspiel auf den Grund kommen konnte, daß eine immer hübscher war als die andere – ihre Töchter also, die zu Hause immer zart und zimperlich und allen möglichen Zuständen unterworfen waren, hier blühten 71sie auf wie die wilden Röslein am Dornbusch. Ja wahrhaftig, sie verwilderten. Sie liefen in Dirndlkleidern umher, und hatte ihr Teint, als sie nach Durlach gekommen waren, dem feinen Flaum des Pfirsichs geglichen, so ähnelte er nach kurzer Zeit mehr der Färbung der dunkeln, rotglühenden Aprikose. Die frischen Wangen wurden braun und rot, die Augen klar und glänzend; es lachte nur so alles an ihnen. Und der Hunger! Wenn sie nach Hause gerannt kamen, da beliebten die jungen Damen einen Appetit zu entwickeln – einen Appetit wie die Haifische. Sie kamen aber immer nur auf einen Sprung nach Hause. Denn auf dem Tennisplatz ging den ganzen Tag etwas vor, und da durfte man nichts versäumen.
Es war aber auch zu interessant. Einer der jungen Herren, ein findiger Kopf, hatte ein Wort in die Gesellschaft geworfen: Tennisturnier! Das zündete. Nun steckten sie immer die Köpfe zusammen, die jungen Damen und die jungen Herren, und berieten lange und eingehend und mit dem Eifer, wie er der Wichtigkeit der Sache angemessen war. Es wurde viel und heiß gestritten, aber endlich einigte man sich doch über alle Bestimmungen, und die Propositionen wurden ausgegeben.
Nun ging der Rummel erst recht los. Die Termine wurden so bestimmt, daß noch drei Wochen zum Training blieben. Nicht nur gingen nun alle mit erhöhtem Eifer ins Zeug, um die eigene »Form« nach Tunlichkeit zu verbessern, es mußte auch jedes immer dabei sein, wenn die anderen spielten, um deren Leistungen zu beobachten, zu kritisieren, die Fortschritte zu kontrollieren und an der gezeigten »Form« die eigene abzuschätzen. Mau mußte also immer von früh bis abends um den Tennisplatz herum versammelt sein, und selbst der gelegentliche Regen, sofern er nur nicht gar zu grob kam, bildete kein Hindernis. Die jungen Damen waren noch viel leidenschaftlicher als die jungen Herren. Sie stritten tapfer und hitzig mit, und es schwirrte nur so in der Luft 72von den kompliziertesten sportlichen Fachausdrücken. Auch diese Fachausdrücke hatten ihr gutes – in pädagogischer Hinsicht. Die Deutschen haben an sich schon eine besondere Vorliebe für Fremdwörter, zudem ist das Tennisspiel noch nicht lange genug auf deutschem Boden eingebürgert, daß die technischen Ausdrücke einen guten deutschen Ersatz hätten finden können; so ging denn alles in der englischen Tonart. In ihrem mächtig aufgerüttelten sportlichen Ehrgeiz hätten sich die jungen Damen deutsche Ausdrücke auch nicht so ohne weiteres gefallen lassen; das wäre ja gar nicht sportgerecht gewesen. Nun ist das aber so eine Sache mit den englischen Fachausdrücken, noch dazu wenn den ganzen lieben Tag mit ihnen Fangball gespielt wird. Die Kundigen verfahren da gern mit kalter Grausamkeit. Hat man einmal die Zunge auf die englischen Kunstausdrücke eingerichtet, dann bleibt man gern bei der Sorte und plappert scheinbar absichtslos gleich ein bißchen weiter englisch.
Man blamiert sich aber nicht gern, junge Damen schon gar nicht. So manche von ihnen, die sich nicht ganz sattelfest fühlte und doch um keinen Preis sich auf einer kleinen Schwäche ertappen lassen wollte, hörte daher in kritischen Momenten mit verständnisinniger Miene zwar, aber doch lieber schweigend zu, ehe sie sich eine Blöße gab. Mitreden möchte man aber doch, und so wurde denn in mancher heimlichen Stunde zu Hause die englische Grammatik hervorgeholt, manches Vergessene aufgefrischt und im ganzen recht fleißig gebüffelt. So etwas aber schadet nie, auch der schönsten jungen Dame und der besten Tennisspielerin nicht.
* * *
Achtundvierzig Nennungen waren abgegeben worden, und drei Tage lang sollte das Turnier währen.
Man braucht kein großer Menschenkenner zu sein, um aus der Anzahl der abgegebenen Nennungen zu zwei unbedingt richtigen Schlußfolgerungen zu gelangen. Ein paar 73Dutzend junger Leute beider Geschlechter können nicht wochenlang mit hitzigem Eifer ein gemeinsames Werk betreiben, ohne daß dabei sich der Prozeß der Parteibildung vollzöge. Das ist einmal unbestreitbar, und ebenso richtig ist es, daß ein paar Dutzend junger Leute beider Geschlechter nicht wochenlang miteinander herumwirtschaften und herumstreiten können, ohne daß die Liebe ihre Strahlen in die bewegliche Gesellschaft würfe. Auch hier gab es also bald, von den kleineren Konventikeln und Fraktiönchen abgesehen, zwei große Parteien, die einander gegenüberstanden, und zwar feindlich gegenüberstanden. Man wußte nicht, warum, und worin eigentlich das trennende Element bestand, aber man haßte einander, und man fand alles geradezu infam, was drüben auf der andern Seite vorging. Was aber die Liebe betrifft, so liegen allerdings noch keine statistischen Nachweisungen vor über die Anzahl der durch das denkwürdige Tennisturnier und die langen Vorbereitungen zu demselben bewirkten Verlobungen, aber man wird schon sehen. Die Sachen werden gewiß an den Tag kommen.
Als unbestrittener Führer der einen Partei, der Blauen, galt Hans Wiking, ein junger Mann, wie geschaffen zu einer Führerrolle in dieser jungen Gesellschaft. Keiner genoß ein solches Ansehen wie er, und keiner mochte so viele heimliche Flammen in jungen Mädchenherzen entzündet haben. Äußere wie innere Vorzüge wirkten da zusammen. Die äußeren: eine schlanke, sehnige Gestalt, die aus jeder Gruppe um Haupteslänge hervorragte, von wunderbarem Ebenmaß und wie aus Erz gegossen. Gesicht und Nacken, Hände und Arme, soweit letztere im Tennisdreß sichtbar wurden, ebenfalls fast von der Farbe des Erzes, so sehr hatte sie die Sonne gebräunt. Lebhafte dunkle Augen, ein scharfes, energisches Profil. Das dunkle Haupthaar war ganz kurz geschoren, und kein Barthaar unterbrach den ehernen Glanz des Gesichtes. Nicht ohne Absicht mag da der Schere und dem Messer des Barbiers die regelmäßige Arbeit zugewiesen worden sein. 74Denn so erst kamen die unglaublich vielen Narben auf dem Kopf und im Gesicht zur vollen Geltung; sie erzählten von einer schweren Menge mannhaft bestandener Mensuren, und einzelne dieser Narben erweckten förmlich Grauen durch ihre Größe und die Unregelmäßigkeit ihrer Heilung. Das waren nicht nur mit dem Schläger abgegebene Visitenkarten, das waren auch Handschriften, die mit schwerem Säbel geschrieben waren.
Kein Wunder, daß die jungen Damen mit Bewunderung zu ihm aufblickten. Das war doch einmal ein Held, und zwar kein Salonheld, sondern ein wirklicher! Mit noch ehrfürchtigeren Schauern betrachteten ihn aber die jungen Herren von den Gymnasiasten aufwärts. Gegenüber einem Manne von solcher Riesenkraft, der schon so viele Schlachten geschlagen hatte, war es entschieden vorzuziehen, ein Freund zu sein, als dessen Mißfallen zu erregen, und es schien zweckmäßiger, ihn zu bewundern als ihn schief anzusehen. Denn das konnte er nicht vertragen.
Und nun erst die inneren Vorzüge! Die Familie Wiking bewohnte die schönste Villa in Durlach; die schnellste Segeljacht auf dem Durlacher See gehörte Hans Wiking, er hatte die besten Pferde, und über das ergiebigste Jagdgebiet war er der Herr. Kurz, Hans Wiking war reich, und sämtliche Mamas waren darüber einig, daß es keinen schöneren inneren Vorzug geben könne als den Reichtum. Wenn ihnen aber trotz einer solchen Fülle von äußeren und inneren Vorzügen doch manchmal einige Bedenken aufstiegen, so hatte auch das seinen Grund. Haus Wiking mochte doch schon achtundzwanzig Jahre alt sein, und noch immer war er Student. Er war Mediziner im siebzehnten Semester, und es galt als eine sehr unsichere Sache, wann er wohl Doktor werden würde.
Die Gegenpartei, die Roten, scharte sich zunächst um eine junge Dame, Miß Joe Evans. Das war eine schlanke, rothaarige Sporting Lady, die sich als die unzweifelhaft beste 75Tennisspielerin hohen Ansehens zu erfreuen hatte. Es galt als »tote Gewißheit,« daß die Championship im Einzelspiel ihr zufallen werde. Die Sicherheit, Ruhe und Geschicklichkeit, mit der sie spielte, riß die sachkundigen Zuschauer immer zu einmütiger Bewunderung hin. Das mochte wohl das Blut machen. Joe war englischer Herkunft, und noch hatte ihr Vater Besitzungen in England, obschon er seit seiner Kindheit in Österreich naturalisiert war und jetzt den Rang eines Obersten in der österreichisch-ungarischen Armee einnahm.
Angeregt durch die eigenartige Schönheit Joes und ihr sicheres, auf sich selbst beruhendes Wesen, das ihr eine gewisse Würde lieh und sie aus dem bunten Troß der übrigen jungen Mädchen merklich hervorhob, hatte sich Hans Wiking gleich zu Beginn der Saison mit unverkennbarer Beflissenheit, jedoch nicht mit befriedigendem Erfolg um ihre Gunst beworben. Das fiel um so mehr auf, als man allerseits fühlte und wußte, daß er fast überall sonst wohl nicht erfolglos angeklopft hätte. Joe blieb kühl und abweisend, und es wurde nun vielfach darüber getuschelt und gestritten, ob ihr seltsames und eigentlich unbegreifliches Benehmen lediglich eine Folge ihrer von Haus aus kühlen englischen Natur sei, was für die Zukunft noch nichts beweisen würde, oder die einer offenkundigen Abneigung, der gegenüber die Bewerbungen Wikings natürlich endgültig aussichtslos erscheinen mußten.
Die Ausschreibung des Turniers sollte einiges Licht in die Sache bringen. Als es galt, sich für das gemischte Doppelspiel zu Paaren zusammenzustellen, da waren alle darin einig, daß trotzdem Joe und Wiking sich zu einem Crew vereinigen würden. So wären sie unüberwindlich gewesen, und die Meisterschaft hätte ihnen nicht entgehen können. Es kam aber anders. Joe beanspruchte eine Ausnahmestellung unter ihren Gespielinnen, und wie eine Fürstin auf dem Hofball nicht von jedem Beliebigen zum Tanz geholt wird, sondern sich den Tänzer befiehlt, den sie wünscht, so dachte 76auch Joe nicht im entferntesten daran, sich »engagieren« zu lassen. Mit freier Entschließung wandte sie sich an einen jungen Mann, ob er ihr Partner sein wolle. Es war eine Frage, aber wenn fürstliche Persönlichkeiten fragen – und Joe war auf dem Tennisplatz eine Fürstin – dann ist es oft schon ein Befehl.
Einen solchen Befehl kann man sich schon gefallen lassen, dachte der Auserwählte, Dr. Paul Martini, ein junger Kunstgelehrter, der nach beendigtem Universitätsstudium eine Stelle am Kunstgewerbe-Museum gefunden hatte, mit der Anwartschaft, in kurzer Zeit zum wohlbestallten Kustos emporzurücken. Seine Ferien hatten kürzlich erst begonnen, und über seine von der Stubenluft gebleichte Gesichtsfarbe hatte die sengende Sommersonne noch nicht viel vermocht. In seinen guten braunen Augen leuchtete es freudig und stolz auf, und seine Wangen röteten sich leicht, als ihm der ehrenvolle Antrag gestellt wurde.
»Mit tausend Freuden will ich Ihr Partner sein, Miß Joe,« erwiderte er, »ich fürchte aber, einer solchen Auszeichnung nicht würdig zu sein; ich spiele nicht gut genug.«
»Wir haben noch drei Wochen Zeit zum Training.«
»Das ist nicht viel, und wenn Sie dann durch meine Schuld die Meisterschaft verlieren, Miß Joe, dann sehen Sie mich in Ihrem ganzen Leben nicht mehr an.«
Joe lächelte, als er in seiner Erregung mit einem Ruck des Kopfes die Haare aus der Stirn warf und dabei den hübschen Schnurrbart strich, der ohnedies ganz in Ordnung war.
»Ich hoffe, wir gewinnen die Meisterschaft doch,« sagte sie, »aber Sie müssen fleißig sein, Herr Doktor. Ich habe Ihr Spiel beobachtet. Ihr Finish ist nicht gut, aber Sie sind ein guter Starter, Ihr Service ist unwiderstehlich. Sie servieren flach und sehr scharf und kommen dabei doch fast nie in das Netz. Ich betrachte jedes Game, bei dem Sie servieren, von vornherein als gewonnen.«
77»Wissen Sie, Miß Joe, daß Sie mich ganz stolz machen? Ich werde jetzt verschiedene Leute nicht mehr grüßen.«
»Gut! Aber fleißig sein, Herr Doktor, und gewissenhaft trainieren!«
Joes Wahl erregte enormes Aufsehen in der Tennisgemeinde. »Ein unverdientes Glück für Martini!« meinten die einen. »Ein unverdientes Unglück für Joe!« behaupteten die anderen.
In einem Punkte waren aber alle einig, daß nämlich das Turnier dadurch nur noch interessanter geworden sei. Denn nun sei es ein ganz »offenes Rennen,« und es gebe keine »tote Gewißheit« mehr für das gemischte Doppelspiel.
Unter all diesen Verhandlungen – es wurde tatsächlich von früh bis abends von nichts anderem mehr gesprochen als von dem Turnier und den Aussichten auf Sieg oder Niederlage der einzelnen Bewerber – vollzog sich nun langsam, aber sicher die Parteibildung, die Scheidung der jungen Gesellschaft in zwei feindliche Lager. Auf der einen Seite sammelte man sich um Joe und Martini und erflehte von den Schicksalsmächten den Sieg für sie, auf der anderen scharte man sich um die gebietige Gestalt Hans Wikings. Er hatte scharf abgeschwenkt von Joe und zeichnete nun mit nicht zu verkennender Absichtlichkeit die kleine Daisy Selbitz aus. Einen englischen Vornamen zu führen, war in jener Saison fast zu einer Ehrensache für die jungen Damen geworden. Daisy war ein schwarzäugiges Mädchen von angenehmen Formen und blühender Frische, nicht ohne Koketterie. Beim Spiel war sie flink und immer ganz bei der Sache, aber doch nicht erstklassig; dazu fehlten ihr die rasche Geistesgegenwart und die Kaltblütigkeit, die Joes Spiel zu einem klassischen stempelten.
Joe und Martini saßen nun oft beisammen am Rande des Spielfeldes mit ihren Rackets in der Hand – die natürlich englisches Fabrikat und auf Bruchteile von Unzen ausgewogen waren – und plauderten immer recht 78freundschaftlich miteinander, nicht selten sogar über recht ernsthafte Dinge.
»Miß Joe,« begann bei einer solchen Gelegenheit einmal Martini wieder, »es wäre doch sicherer und im allgemeinen Interesse vielleicht besser gewesen, Sie hätten Wiking zum Partner gewählt.«
»Ich hätte ihn um keinen Preis gewählt.«
»Warum denn nun aber nicht?«
»I hate him.«
Joe liebte es, Dinge, die sie eigentlich überhaupt nicht sagen sollte, englisch zu sagen.
»Hu!« erwiderte Martini mit leisem Spott. »Gleich hassen. Ich glaube, Sie nehmen unser Spiel doch etwas zu tragisch.«
»O, es ist nicht das Spiel.«
»Was denn sonst in aller Welt?«
»He is a coward.«
Martini lachte. Das hätte er am wenigsten erwartet, daß man diesem Gladiator und Athleten jemals gerade die Feigheit zum Vorwurf machen könnte.
»Sie übersehen seine zahllosen Narben, Miß Joe, von denen jede einzelne gegen Ihren Vorwurf protestiert und die Anklage beweiskräftig widerlegt!«
»Das gerade ist es.«
»Ich verstehe Sie nicht, Joe.«
»Sehen Sie denn nicht, Doktor, wie sich alle vor ihm beugen, ihm den Willen, ihm schön tun oder bestenfalls ihm aus dem Wege gehen, um nur ja nicht sein Mißfallen zu erregen, weil sie sich alle vor ihm fürchten. Es ist eine Schande!«
»Das ist aber doch höchstens ein Beweis für die Feigheit der Umgebung und nicht für seine.«
»O, für seine! Er trägt seine Tapferkeit spazieren, damit man ja nur immer an sie erinnert werde. Er tut das, weil er Angst hat, man könnte einmal einen Augenblick 79vergessen, daß er ein Held ist. Denn was ist er sonst noch, wenn er das nicht ist?«
»Sie mögen ja recht haben, Miß Joe, aber ich kann in alledem doch noch immer keine Feigheit sehen.«
»Es ist nach meinem Gefühl eine Feigheit, eine harmlose Gesellschaft zu terrorisieren; Leute, die gar nicht daran denken, seinem Nimbus etwas anzuhaben, fortwährend auf beschämende Art die Überlegenheit in der Gewalttätigkeit fühlen zu lassen. Die Duelle? Bei uns in England gibt es genug mutige Männer, aber man duelliert sich doch niemals. I don't like the rowdies.«
»Ich glaube, Sie urteilen etwas zu streng, Miß Joe. Die Art freilich, wie er seine Narben als eine wahre Trophäensammlung zur Schau trägt, mag ja auf eine gewisse Eitelkeit schließen lassen, aber die Mannhaftigkeit ist ihm nicht abzustreiten.«
»Sie sind zehnmal mehr Mann als er.«
»Sie tun mir so viel Ehre an, daß Sie mich beinahe in Verlegenheit bringen. Ich habe bisher noch sehr wenig Gelegenheit gehabt, meine männliche Tapferkeit glänzen zu lassen.«
»Ich glaube auch nicht, daß das heutzutage noch ein Lebenszweck für gebildete Menschen ist.«
»Jedenfalls habe ich noch nicht duelliert und glaube auch kaum, daß ich es jemals tun werde.«
»Ich verabscheue das Duell.«
»Auch ich halte nichts davon, Miß Joe. Als ich die Universität bezog, habe ich meiner Mutter versprechen müssen, die Mode der Kontrahagen nicht mitzumachen. Die Arme ist sehr ängstlich – und ich bin ihr einziger Sohn.«
»Es wäre sehr unrecht von Ihnen gewesen, Doktor, das Versprechen nicht zu geben und nicht zu halten.«
»Später bin ich dann schon von selber daraufgekommen, daß ein Zweikampf nicht das richtige Mittel ist, die Streitfrage zur Entscheidung zu bringen, wer von zwei Leuten im 80Recht und wer im Unrecht ist. Und dann – wir sind nicht vermögende Leute, und ich muß meiner Mutter eine Stütze sein. Ich kann mir den Luxus nicht gestatten, mich vielleicht für einige Wochen arbeitsunfähig machen zu lassen, und ich bin in meinem neuen Amt zu glücklich, um es aufs Spiel zu setzen. Darum ist es mir verwehrt, nach den Lorbeeren Wikings zu streben.«
Endlich war der große Tag angebrochen, an dem das dreitägige Meeting beginnen sollte. Der Platz prangte in festlichem Schmuck. Der Boden war sorgfältig gewalzt, sogar ein funkelnagelneues Netz war angeschafft worden.
Schon am frühen Morgen war alles versammelt, die Spieler und die Zuschauer. Die Auslosungen waren bald vorgenommen, und dann ging es los. Das Hauptinteresse vereinigte sich natürlich auf die Leistungen der Matadore. Schon der erste Tag brachte eine Enttäuschung, die aber nachhaltiges Aufsehen erregte. Wiking traf, nachdem er bereits einige Einzelkämpfe siegreich bestanden hatte, nach dem Auslosungsplan mit Martini zusammen. Dieser hatte unter der Leitung Joes eine gute Schule durchgemacht und seine Zeit wohl ausgenutzt. Es gab eine scharfe Partie, die schärfste während des ganzen Turniers. Schon beim ersten Set kam der Umpire in die Lage, zu verkünden: »Five all!« Mit den üblichen sechs Spielen war also da eine Abteilung nicht abgetan. Endlich ging aus dem Ringen in der dritten Abteilung Martini als Sieger hervor. Es war ein Outsidersieg, aber aus dem Outsider wurde daraufhin sofort ein Favorit.
Wiking war sehr ergrimmt über sein Mißgeschick. Denn nun war er schon am ersten Tage aus der Reihe der Meisterschaftskandidaten ausgeschieden. Das Mißgeschick heftete sich auch an seine Fersen, als er am zweiten Tag mit Daisy zum gemischten Doppelspiel antrat. Das gegnerische Paar, nicht eben von Klasse, aber begünstigt vom Glück, schlug sie leicht. Die kleine Daisy vergoß bittere Tränen über die unerwartete Niederlage, und Wiking biß die Zähne zusammen.
81Joe und Martini fochten sich geschickt, tapfer und kaltblütig durch bis in die Entscheidung. So war man zur Schlußnummer des dritten Tages gelangt. Die allgemeine Spannung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Joe und ihr Partner stellten sich zum Entscheidungskampf für die Meisterschaft im Doppelspiel. Sie waren vorzüglich eingespielt und wurden mit ihren Gegnern leicht fertig. Das erste Set gewannen sie ohne Anstrengung, und als nach dem zweiten der Umpire verkündete: Six to one. Game and set and match for Miss Joe Evans and Mister Martini, da brach ein brausender Jubel los, der aber gleich einem Schweigen der Überraschung wich, als gleichzeitig ein greller Pfiff ertönte.
Martini blickte erstaunt auf; sein Blick begegnete dem Wikings. Aber nicht nur Martini hatte hinübergeblickt, sondern alle die anderen auch. Wiking stand, sie überragend, inmitten seiner getreuen Anhänger, die sich um ihn geschart hatten, weil sie wußten, daß es nun etwas geben werde. Hatte er doch im vertrauten Kreise im Hinblick auf Martini geäußert: »Der junge Mann wird mir zu üppig; den werde ich mir doch einmal kaufen!« Und nun wußte man, Martini sollte jetzt »gekauft« werden.
Martini hatte kurz aufgeblickt und dann mit der Achsel gezuckt. Hierauf hatte er so viele glückwünschende Händedrücke zu erwidern und so viel zu tun, erst Joes Racket und dann sein eigenes in den Rahmen zu spannen und im Futteral unterzubringen, daß er die häßliche Kundgebung fast schon vergessen hatte, als er an der Seite Joes den Platz zu verlassen sich anschickte. Er mußte an der Stelle vorbei, wo Wiking stand; unangefochten sollte er aber nicht vorbeikommen.
»Darf ich bitten auf ein Wort, Herr Dr. Martini!« ließ sich Wiking vernehmen, wobei er jedes einzelne Wort scharf und deutlich markierte. Die Umstehenden horchten hoch auf.
»Was steht zu Diensten?«
»Ich wollte nur sagen, daß ich es war, der gepfiffen hat.«
82»Ich habe nicht daran gezweifelt.«
»Es war mein Recht. Wo man Beifall klatscht, darf man auch Mißfallen äußern.«
»Vollkommen richtig, nur sollte eine bessere Erziehung da etwas Zurückhaltung empfehlen, wo auch eine Dame im Spiele war.«
»Es galt nicht der Dame, es galt ausschließlich Ihnen.«
»Schön. Ich danke Ihnen für das Bekenntnis, das mir sehr angenehm ist. Mich persönlich berührt Ihr Mißfallen nämlich gar nicht – und damit wären wir wohl fertig miteinander, denke ich.«
»Noch nicht ganz.«
»Wieso?«
»Sie haben sich vorhin erlaubt, mich in einer Weise zu fixieren, die ich mir nicht gefallen lasse.«
Martini fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg, und es kostete ihn eine außerordentliche Selbstüberwindung, um mit vibrierender Stimme zwar, aber äußerlich doch noch ruhig zu antworten: »Wählen Sie Ihre Worte vorsichtiger, Herr Wiking!«
»Ich wähle sie nach meinem Ermessen. Sie haben mich fixiert.«
»Ich habe Sie nicht fixiert.«
»Ich habe es gesehen, und das Urteil darüber kommt mir zu. Es war ein beleidigender Blick.«
»Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu beleidigen.«
»Gut, ich bin bereit, auch eine solche Erklärung entgegenzunehmen, aber Sie werden sie schriftlich ausstellen und von zwei Zeugen mit unterfertigen lassen. Werden Sie eine solche Erklärung abgeben?«
»Ich habe nichts mehr zu sagen und nichts zu erklären,« erwiderte Martini und wandte sich zum Gehen. Aber er sollte so nicht loskommen.
»Wir kennen die Manier,« höhnte Wiking. »Erst beleidigt man frech, und dann kneift man mutig aus!«
83Martini hemmte den Schritt und wandte sein zornglühendes Antlitz wieder dem Gegner zu.
»Ich wiederhole und halte aufrecht, was ich gesagt habe,« fuhr dieser fort. »Muß man Sie denn erst ohrfeigen, Sie Feigling, bis Sie begreifen?«
»Bube!« knirschte Martini und wollte sich auf seinen Feind stürzen. Aber da begab sich etwas Merkwürdiges, und die Gesellschaft von Durlach hatte nun ihre doppelte Sensation, erstens den Zusammenstoß der beiden jungen Männer, und dann – was beinahe noch interessanter war – Joe Evans hatte sich kompromittiert. Sie hatte sich, als sie wahrnahm, daß Martini im Begriff war, seine Besonnenheit zu verlieren, ihm an den Hals geworfen, buchstäblich an den Hals geworfen, ihn vor allen Leuten umarmt, geliebkost und endlich mit sich fortgezogen. Nun hatten sie in Durlach für lange Zeit etwas zu reden.
Martini ließ die Arme sinken und ging mit Joe davon. Hinter ihm her aber erscholl es hart, als knallte ein Peitschenhieb, noch einmal: »Feigling!« und zum drittenmal, daß er es nur ja nicht überhöre: »Feigling!«
So gingen sie nebeneinander, und Martini mußte erst tief Atem holen, ehe er begann: »Um Gottes willen, Joe, was haben Sie getan! Sie haben sich bloßgestellt!«
»I couldn't help it. I love you!«
Er blieb einen Augenblick wie angedonnert stehen. Auch Joe war erschrocken über ihre Worte. Sie hatte ihr Benehmen entschuldigen wollen, und in dem Augenblick erst war der tiefste und letzte Grund dafür ihr selbst offenbar geworden und zugleich auch das Bekenntnis entschlüpft. Er sah ihr ins Angesicht, das sie ihm nun in ihrer Ehrlichkeit voll zuwandte. Es war gerötet von der Erregung, und die Tränen rannen ihr über die Wangen. Und als er ihr Wort hörte, als er sie so vor sich sah, da stieg es auch in ihm heiß auf. Wäre es ihm nicht um seine Männlichkeit gewesen, so hätte er am liebsten mit ihr geweint, aber vor 84lauter Glück und Seligkeit. Auch er »couldn't help it«; er nahm sie ohne weiteres beim Kopf und küßte sie einmal, zweimal, dreimal herzinnig auf den Mund. Mochte es auch die ganze Welt sehen! Was lag daran? Jetzt war es doch so schon alles eins. Wie schön, wie wunderschön war das alles nach dem Häßlichen, das er soeben erlebt hatte. Hand in Hand gingen sie weiter, für Augenblicke glücklich und weltvergessen – aber nur für Augenblicke, denn das Häßliche wirkte nach. Es war einmal da, es war auf der Welt und machte sich geltend.
Sie taten, wie Joe es klüglich vorgeschlagen hatte. Sie wollte allein nach Hause vorausgehen und ihrem Vater alles erzählen. Martini sollte in einer Stunde nachkommen und dann den Abend bei ihnen zubringen. Und so geschah es. Der Oberst empfing den jungen Mann bewegt und mit vieler Herzlichkeit, doch nahm er sich im Hinblick auf seine Tochter bald zusammen, um sie durch eine möglichst harmlose Führung der Unterhaltung vorläufig über den Ernst der Sachlage hinwegzutäuschen. Freilich, ganz zu übergehen waren die Ereignisse des Tages nicht, und als sie im traulichen Schein der Hängelampe beim Mahle saßen, da machte den Obersten die Entrüstung sogar beredt, und er fand sehr scharfe Worte, die frivole Nichtswürdigkeit zu verurteilen, deren Opfer Martini geworden war. Auch Joe flammte wieder auf in heller Empörung, und sie blickte dankbar zu ihrem Vater empor, daß seine Empfindung so mit der ihrigen übereinstimmte. Der Oberst lächelte seiner Tochter gütig, fast wehmütig zu, dann warf er eine Frage an Martini hin, scheinbar in gleichgültigem Tone, als handele es sich um etwas Nebensächliches, gleichsam um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen.
»Ich bin doch recht unterrichtet, Herr Doktor, Sie sind ja auch Offizier! Nicht wahr?«
»Zu Befehl, Herr Oberst, Leutnant der Reserve im vierunddreißigsten Linieninfanterieregiment.«
85Der Oberst nickte befriedigt und warf ihm, unbemerkt von Joe, einen raschen, vielsagenden Blick zu. Martini aber fing den Blick auf und verstand ihn. Es war ein Blick, wie ihn ein Offizier einem entgleisten Kameraden widmet, wenn er, seinen letzten Besuch beendend, beim Scheiden aus Vergeßlichkeit auf dem Tische eine geladene Pistole zurückläßt.
Nun erst wurde es gemütlich. Die Herren wurden immer aufgeräumter, man plauderte, man lachte, und schließlich wurde sogar Schloß Johannisberger, der Stolz des Obersten, aus dem Keller heraufgeholt. Der Oberst füllte selbst die Gläser. Dann erhob er sich; er wollte mit Martini Bruderschaft trinken. Das geschah in aller Form. Der Oberst küßte den jungen Mann dreimal, dann zwinkerte er ihm vergnügt zu und wies mit einer Kopfbewegung neckisch, fragend und ermunternd zugleich auf Joe. Und nun stießen auch die jungen Leute an, dann küßten auch sie einander, und der Oberst sah zu, und in seinen Augen schimmerte es feucht. Ein glücklicher Vater, dem das Herz aufgeht in Rührung beim Glück seiner Tochter, seiner Kinder. –
Ein Tag später, und das Ansehen Hans Wikings hatte sich bei der jugendlichen Gemeinde in Durlach unermeßlich erhöht. Mit ehrfürchtiger Scheu blickten sie zu ihm auf, all die jungen Herrchen und Mädchen. Hatte er doch seinen Feind mitten durch die Brust geschossen.
Der Umpire stand auf dem nun verödeten Spielfeld und berichtete den wenigen jungen Damen, die ihn umgaben und schreckensbleich an seinen Lippen hingen: »Nach dem ersten Kugelwechsel war das Spiel zu Ende. 1:0, game and set and match for Mr. Wiking.« 86