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George von Breda hatte sein Haus in der Absicht verlassen, sich in der frischen, angenehmen Luft ein wenig zu zerstreuen, und wenn er vor dem Thore seines Gartens der Richtung folgte, nach der auch Eugenie verschwunden war, so können wir versichern, daß dies anfänglich völlig absichtslos geschah. Gute, vertrauensvolle Gedanken hatten sich seines Herzens wieder bemächtigt; er verlachte seine Träumereien, er begriff nicht, wie man sich selbst so quälen könne, das ganze Wesen Eugeniens – an sie dachte er leider ausschließlich – lag ja offen vor ihm; man brauchte nur in ihr glänzendes Auge zu sehen, um sich zu überzeugen, daß in dem Herzen, welchem jenes zum Spiegel diente, etwas Falsches oder Unerlaubtes unmöglich Platz ergreifen könne.
Doch während er so grübelnd durch die Straßen der Stadt schritt und sich immer mehr in seine Träumereien vertiefte, war öfters seine heitere Laune in Gefahr, wieder zu verschwinden, und düstere Wolken des Mißtrauens drohten aufzusteigen. Er kämpfte jedoch gewaltsam mit sich und war endlich so weit gekommen, sein ganzes Treiben der letzten Zeit, gelinde gesagt, für lächerlich zu halten, wobei er sich all' die kleinen Zeichen und Worte ins Gedächtniß zurückrief, die ihm doch genugsam Zeugniß geben konnten von der völligen Unbefangenheit des jungen Mädchens, von der Unschuld ihres Herzens.
Aber – – und doch! – –
– – Er hatte eine Straße erreicht, die bei den inneren, wenig eleganten Quartieren der Stadt, welche an seiner linken Seite lagen, vorbeiführte, und wollte gerade eine Quergasse, die dort hineinlief, passiren, als ein rasch vorüberrollender Miethwagen ihn zum Halten zwang. Dieser war bedeckt und völlig geschlossen; der Baron blickte unwillkürlich hinein und – nein, das war unmöglich – und doch, der Anblick hatte ihn so heftig gepackt, daß er hätte laut aufschreien mögen. Aber nein! nein! es war nicht Eugenie, wie er zuerst sicher geglaubt, die, in die Ecke des Wagens gedrückt, dort hinfuhr. Einen Augenblick lächelte er über seine komische Phantasie und fand es unbegreiflich, daß er das junge Mädchen, deren Bild beständig vor ihm gaukelte, überall sah. In welcher Absicht sollte sie bei diesem herrlichen Wetter in einem verschlossenen Fiaker fahren? Sie hatte ja den kleinen Phaeton ganz zu ihrer Verfügung. – Bei dem Gedanken an den kleinen Phaeton schien sich sein Herz schmerzhaft zusammen zu ziehen; in dem Wagen hatte er so oft neben ihr gesessen, sie unzählige Male von der Seite betrachtet, und – er mochte noch so sehr darüber lächeln – gerade so wie Eugenie ruhte auch dort die Dame in die Ecke des Fiakers geschmiegt. Und wenn ihn sein gutes Auge nicht täuschte, so trug diese Dame einen grauen Mantel mit weißen Quasten und ein dunkelblaues seidenes Kleid. –
Warum sollte es unmöglich sein? dachte er, und damit knirschten seine Zähne zusammen. Gewiß, es ist möglich, fuhr er gemäßigter fort; vielleicht drängt es sie, baldigst wieder nach Hause zu kommen, und um den Weg abzukürzen, nahm sie einen Miethwagen. Aber was hätte sie in jenem Viertel zu schaffen? Dort sind keine Gewölbe, wo sie ihre Einkäufe macht, dort wohnen keine ihrer Bekannten. Oh! oh! Er drückte die Hand an die Stirn und befand sich nun am Ende der Straße, wo der Fiaker rechts um die Ecke verschwunden war. Dort mündeten aber drei Gassen nach verschiedenen Richtungen, und jede lief in solchen Schlangenlinien, daß man keine mehr als auf wenige Schritte übersehen konnte.
Der Baron blieb stehen, und zwar, um kein Aufsehen zu erregen, vor einem kleinen Laden, wo er gemalte Pfeifenköpfe zu betrachten schien, in Wahrheit aber nicht das Geringste davon sah, sondern nur mit angestrengter Aufmerksamkeit lauschte, ob er nicht das Rollen des Wagens vernähme, das ihm vielleicht den Weg verriethe, welchen derselbe genommen. – Aber er hörte nichts; ringsum war Alles still und fast menschenleer; nur selten tauchte in einem der Gäßchen eine Frau oder ein Kind auf, welche sich in einen Laden begaben, um dort Einkäufe zu machen.
Schon wollte der Baron aufs Gerathewohl eine der Straßen einschlagen, als er deutlich das Rollen eines Wagens vernahm, der sich zu nähern schien. Sollte das vielleicht derselbe Fiaker sein? dachte er und ging ein paar Schritte in die mittlere Gasse hinein, in welcher das Rasseln und der Hufschlag der Pferde deutlicher und immer deutlicher ertönte. Der Wagen, der vorhin bei ihm vorbei gefahren, war eine blaue Calesche, mit Schimmeln bespannt. Er fühlte sein Herz gewaltsam schlagen, als sich jetzt in der Biegung der Straße vor ihm zwei helle Pferde zeigten, ein blauer Fiaker – ja, er täuschte sich nicht, derselbe Wagen, den er vorhin gesehen. Der Baron stellte sich so dicht an der Stelle der schmalen Gasse auf, wo der Wagen vorüber mußte, daß er im Stande war, das Innere desselben zu übersehen und daß er zu gleicher Zeit dem Kutscher winken konnte, anzuhalten. Dieser kam näher, fuhr aber langsamer als vorhin; jetzt hatten die Köpfe der Pferde den Wartenden erreicht. Er blickte in den Wagen – derselbe war leer. Der Kutscher, der in der Meinung war, der Herr am Wege wolle mit ihm fahren, hielt an und wandte sich deßhalb mit einer höflichen Frage an den Baron.
George von Breda trat dicht an den Fiaker hin, nahm hastig einen Thaler aus der Tasche und fragte: »Willst du das mit leichter Mühe verdienen?«
Der Kutscher schmunzelte.
»Nicht wahr, du bist vor wenigen Augenblicken denselben Weg gefahren?«
»Das bin ich wohl,« antwortete zögernd der Kutscher, welcher erstaunt in das Gesicht des fremden Herrn blicke, der ein paar ganz curiose Augen machte.
»Du hattest eine einzelne Dame im Wagen?«
»Ja, das hatte ich,« lautete die Antwort, die aber erst nach einigen Sekunden Ueberlegung kam.
»Nun gut, du wirst deinen Thaler erhalten, doch sage mir, an welches Haus führtest du diese Dame?«
»Das kann ich wahrhaftig nicht sagen,« meinte der Kutscher. »Dort unten am Blumenmarkte ließ sie mich halten; wo sie von da hin ging, weiß ich nicht.«
»Die Dame war groß und schlank?« forschte der Baron weiter.
»Ja, so ziemlich.«
»Sie hatte ein blaues Kleid und einen grauen Mantel?
Der Kutscher nickte mit dem Kopfe.
»Ihr Gesicht?«
»Ja, von dem kann ich nichts sagen,« unterbrach hastig der Andere den Frager; »sie trug einen dichten dunkelgrünen Schleier.«
Einen dunkelgrünen Schleier! dachte der Baron. Einen solchen habe ich bei Eugenie nie gesehen. Auch bin ich sicher, daß sie gar keinen Schleier trug, als sie heute das Haus verließ. – Ihm kam ein anderer Gedanke. »Was bezahlte sie dir für deine Fahrt?« fragte er.
»O, etwas über die Taxe,« meinte der Kutscher, indem er sich wie über die vielen Fragen verdrießlich auf seinem Sitze hin und her wiegte.
»Du hast deinen Thaler verdient; hier ist er. Wenn du aber noch einen dazu haben willst, so hast du mir nicht nur zu sagen, was die Dame dir gegeben, sondern auch das Geldstück zu zeigen, womit sie dich bezahlt.«
Der Kutscher ließ das Erhaltene in seine Tasche gleiten und dachte: Zwei Thaler verdiene ich für meinen Herrn in einem halben Tage, wenn ich viel Glück habe; von denen aber, die ich hier erhalten kann, weiß er nichts; die sind für mich. Was geht mich die fremde Mamsell an! – Er steckte die Peitsche in das Lederfutteral neben dem Bock, nahm die Zügel zwischen die Kniee und holte dann aus seiner unendlich tiefen Hosentasche eine Hand voll Münze heraus, sehr viel Kupfer und Scheidemünze, unter denen sich ein funkelnder neuer Thaler sogleich bemerkbar machte.
»Das Stück hat dir die Dame gegeben!« rief hastig der Baron. »Nicht wahr, es ist so?«
»Ja, ich glaube, daß Sie Recht haben; aber ich habe natürlicher Weise viel darauf herausgeben müssen.«
»Gleichviel, hier ist ein zweiter Thaler und dann noch ein dritter, für den ich das andere Stück einwechsle.«
»Ich wäre schon zufrieden,« sagte der Kutscher lächelnd, indem er sich am Kopfe kratzte, »aber was bekomme ich für das Wechseln?« Da er aber auf diese Frage selbst keine Antwort zu erwarten schien, so nahm er Zügel und Peitsche wieder an sich, fuhr mit letzterer grüßend an seinen Hut und sagte, indem er davon fuhr: »Droschke Numero acht, halte mich bestens empfohlen.«
George von Breda achtete nicht weiter auf ihn; er hatte sein Taschenbuch hervorgezogen, um den neuen Thaler, den er vom Kutscher ausgewechselt, dort hinein zu legen; seine Lippen umspielte ein trauriges Lächeln, als das blanke Geldstück mit der kleinen Rosenknospe zusammen kam. Darauf schritt er langsam durch die mittlere Gasse nach dem Blumenmarkte hin. Den neuen Thaler, den er so eben bekommen, kannte er, daran war nicht zu zweifeln, wenn er sich auch mit Gewalt überreden wollte, als irre er sich in der ganzen Sache; er hatte ihn selbst als ein noch seltenes Stück neuen Gepräges vor einigen Tagen gegen andere Münze Eugenien ausgewechselt. Es müßte ein seltener, unerhörter Zufall sein, wenn eine ähnliche Dame, die ziemlich groß und schlank, mit grauem Mantel und blauem Seidenkleide das gleiche Geldstück einem Kutscher als Fahrpreis gegeben hätte.
So sehr er sich jetzt bemühte, die Handlungsweise der jungen Dame sich selbst als nicht beachtenswerth, als gänzlich verdachtlos darzustellen, so fielen doch die Zweifel wie mit Keulenschlägen über ihn her, und hohnlachende Teufel zischten ihm ins Ohr: »Das ist das gute, unschuldige Mädchen, haha! Was hat sie in diesem Stadtviertel zu machen, haha! in einem geschlossenen Miethwagen, hahaha! Ein Rendezvous! juchhe, ein Rendezvous!« Und darauf lachte er selbst grimmig mit und sprach zähneknirschend zu sich selber: »Auch Eugenie, haha, auch Eugenie!«
Während der Baron so dachte, hob sich seine Brust heftig, seine Finger öffneten und schlossen sich krampfhaft, und er schritt dahin mit tief gesenktem Kopfe. Es war gut, daß sich hier vor den Häusern keine Leute zeigten, und da, wo sich vielleicht Jemand auf der Straße sehen ließ, dieser eilig den eigenen Geschäften nachging, ohne sich viel um die zu bekümmern, die neben ihm wandelten.
George von Breda hatte so den Blumenmarkt erreicht, einen kleinen Platz, von alterthümlichen Häusern umgeben, in dessen Mitte sich ein Springbrunnen befand, der das beste Wasser der Stadt hatte, und um welchen herum Obst- und Gemüseverkäufer zur Sommerzeit ihre farbigen, duftigen Waaren ausgestellt hatten. Jetzt lag derselbe öde und verlassen, nur belebt von spielenden Sonnenstrahlen, die mit dem Wasser kosten und sich vielleicht von zukünftigen glücklichen Tagen unterhielten.
Der finstere, schweigsame und nachdenkende Mann schritt aufs Gerathewohl in eine der Gassen hinein, welche auf den Blumenmarkt mündeten, und erhob dann den Blick, um die Häuser rechts und links zu mustern, welches von ihnen für seine Phantasieen am passendsten erscheine. Die aber waren fast alle gleich alt, gleich trübe, man hätte sagen können: gleich hinfällig; denn oben neigten sich die schwarzen Giebel mit den vielen Fenstern so gegen einander, daß man nur ein schmales Stück des tiefblauen Himmels bemerken konnte, einen kleinen unbedeutenden Streifen, zu wenig für Jemand, dessen Herz betrübt ist, um ihn heiterer zu stimmen, gerade genug, um ihm zu sagen, daß es über und neben ihm klare Luft und Sonnenschein genug gebe, daß ihn aber ein trübes Geschick davon absperre. Der Baron, im höchsten Stadium der Selbstquälerei, gefiel sich darin, ein Haus sich auszusuchen, in diesem ein paar geheimnißvoll verhängte Fenster, und ließ nun die trübsten und wildesten Phantasieen mit einer wahren Lust über sich hereinbrechen.
Als wahrheitsliebender Erzähler können wir dem geneigten Leser nicht verschweigen, daß Eugenie wirklich in dem verschlossenen Wagen gewesen war; glücklicher Weise aber für ihre Ruhe hatte sie den Onkel George nicht bemerkt, so nahe er auch neben der Calesche gestanden; hatte sie doch erst nach langer Ueberlegung darein gewilligt, die alte Kammerfrau ihrer Großmutter zu besuchen, die sich so sehr nach ihr gesehnt und die ihr das durch den Jäger Klaus so oft hatte sagen lassen. Sie hatte lange geschwankt, ob sie Onkel George oder die Tante davon in Kenntniß setzen solle; doch hatte sie Eines davon abgehalten, und dieses Eine war es auch, was, wenn sie daran dachte, wie ein leiser Vorwurf in ihr Herz klang. Klaus hatte gesagt: sein Neffe, jener arme Jäger, dem sie ja mehrere Mal draußen in der Waldhütte begegnet, freue sich so sehr, sie wiederzusehen.
Oft war das junge Mädchen im Begriff gewesen, selbst das dem Onkel George zu erzählen und ihn um seine Begleitung zu bitten; aber er war in letzter Zeit so seltsam gegen sie gewesen, oft so unerklärlich hart, daß, wenn sie daran dachte, sie einen Schmerz in ihrem Herzen fühlte und oftmals kaum ihre Thränen zurückhalten konnte. Was hatte Onkel George eigentlich gegen sie? Sie konnte es sich nicht erklären; war sie sich doch vollkommen gleich gegen ihn geblieben; wußte sie doch Niemand auf der Welt, in dessen Gesellschaft sie sich lieber befand, mit dem sie angenehmer und herzlicher sprechen konnte, als mit Onkel George. Wie lauschte sie, wenn er aus war, auf das Knirschen der Räder seines Wagens im Sande, oder auf den Galopp seines Pferdes, wenn er in den Hof sprengte! Wie wäre sie ihm in solchen Augenblicken gern über Treppen und Gänge entgegen geflogen, fühlte aber dagegen auch wieder, daß sie ruhig warten mußte, bis er hinauf kam und sie ihm dann nur eine Hand reichen durfte, während sie ihm doch gern beide gegeben hätte.
Vergeblich hätte Eugenie sich lange bemüht, zu finden, was für eine Ursache es sein könne, daß der Onkel sein Betragen gegen sie geändert. Sie wußte genau den Tag, wo dies geschehen war, und nachdem sie alle Ereignisse dieses Tages genau durchdacht, so blieb sie bei Einem stehen, das aber am Ende auch nicht so eingewirkt haben konnte. Es war, als sie die Orangenblüthen der Tante hatte bringen wollen, als er ihre beiden Hände gefaßt und sie so nahe, so sehr nahe an seine Lippen geführt. Daß es sie damals seltsam durchzuckt habe, erinnerte sie sich wohl; jener Augenblick stand vor ihr, als wenn das eben erst geschehen wäre; ihr Herz war wie zusammengepreßt, ja, es war ihr gewesen, als solle sie weinen, und doch hatte sie wieder lächeln müssen, während sie tief und mühsam athmete; sie glaubte es noch zu fühlen, wie damals der Boden unter ihren Füßen gewankt, und wie es sie geschauert, als habe sie ein kalter Wind berührt.
Sollte es das gewesen sein? – Wenn sie sich auch sagen mußte, daß Onkel George seit jenem Tage anders gegen sie geworden, so konnte sie doch darin und in dem Anderen keinen Zusammenhang finden. Hatte er ihr vielleicht gezürnt, daß sie ihm ihre Hände nicht rasch entzogen? Sie hätte es damals gern gethan, aber sie fühlte heute noch, wie seine flammenden Blicke sie gebannt.
In diesen Träumereien war das junge Mädchen durch das Anhalten des Wagens gestört worden; man hatte den Schlag rasch geöffnet, und Klaus, den sie neben sich stehen sah, bot ihr mit freundlichem Blick die Hand zum Aussteigen; dann schritt er ihr voraus in eine enge Gasse hinein und darauf durch einen hohen Thorbogen in ein altes finsteres Haus. Sie stiegen eine Treppe hinauf, die unter jedem Schritte ächzte, bei Fenstern vorbei, die trotz des klaren Wetters draußen gar trübselig ausschauten; sie ließen den ersten Stock hinter sich und den zweiten, und je höher sie stiegen, desto mehr schlug dem jungen Mädchen das Herz und desto mühsamer holte sie Athem, sie, die sonst die steilsten Berge mit der Flüchtigkeit und Ausdauer einer Gemse hinauf sprang.
Im dritten Stocke angekommen, öffnete Klaus eine Thür und ließ Eugenie in ein helles, reinliches Zimmer eintreten, wo am Fenster ein Kanarienvogel in seinem Bauer lustig schmetterte, vor welchem auf einem Stuhle eine Frau saß, die alsobald aufstand und der schönen Dame mit einem freundlichen Gruße entgegen trat. Ein kleiner Bube, der an einem Faden ein hölzernes Pferd ohne Beine nach sich zog, schlich sich in einem weiten Bogen hinter den fremden Besuch und befühlte leicht mit seiner Hand die weißseidenen Quasten an dem grauen Mantel.
»Das ist das gnädige Fräulein,« sagte der Jäger Klaus, dessen Augen vor Stolz und Vergnügen strahlten. »Wir können wohl zur Großmutter hinein, Frau Brenner, nicht wahr?«
»O mein Gott, ja,« antwortete die Frau mit ihrer sanften Stimme; »sie freut sich wie ein Kind darauf; und auch wir, gnädiges Fräulein, sind so froh, Sie einmal zu sehen. Wenn man so viel Gutes und Liebes von Jemand hört, so möchte man auch gern das Gesicht dazu kennen. Und Ihres, gnädiges Fräulein, paßt so vollkommen zu all dem Herzlichen und Freundlichen, was mir mein Mann beständig von Ihnen erzählt, daß ich es gar nicht sagen kann.«
Klaus, der dem fragenden Blicke des jungen Mädchens begegnete, sprach sogleich: »Es ist die Frau des Jägers Brenner; wir sind ja in seiner Wohnung.«
Eugenie schien das vergessen zu haben, und jetzt, wo sie sich daran erinnerte, kam es ihr völlig wie ein Trost vor, in dem Hause des Mannes zu sein, den sie gern hatte und der auch ihr seit frühester Kindheit stets eine große Ergebenheit und Anhänglichkeit bezeigt. Sie reichte der Frau ihre kleine Hand, welche diese mit einer tiefen Verbeugung berührte; dann wandte sie sich gegen das Bübchen, das sie bewunderungsvoll betrachtend dastand, und sagte, dasselbe freundlich ansehend: »Das ist wohl Ihr Sohn – wie heißt er?«
»Der Vater nennt mich Palmarum,« entgegnete der Kleine lustig, »sonst heiße ich aber auch Franz.«
»Ja, er heißt Franz,« versetzte die Mutter; »Brenner macht zuweilen seine Späße mit den Kindern und gibt ihnen so komische Namen.«
»Namen aus der Jägerei,« bemerkte Klaus lächelnd, »Palmarum – Tralarum;« worauf er gegen die Thür des Nebenzimmers schritt, diese öffnete und durch seine laute Meldung, das gnädige Fräulein sei da, Eugenie veranlaßte, ihm zu folgen.
Die Großmutter saß, wie immer, in ihrem Stuhle, und obgleich sie anstandshalber den Versuch machte, sich zu erheben, so gelang ihr das doch begreiflicher Weise nicht, weßhalb sie mit einer tiefen Neigung des Kopfes sagte: »Das gnädige Fräulein müssen schon mit einem guten Willen fürlieb nehmen. Wenn die Freude, Sie zu sehen, mir neue Kräfte verleihen könnte, so würde ich Ihnen an der Thür entgegen eilen; aber so –« Sie schloß mit einem leichten Seufzer und einem wehmüthigen Lächeln.
Die junge Dame, welche von der Lähmung der Kammerfrau ihrer Großmutter und Mutter durch Klaus unterrichtet war, eilte rasch auf sie zu und bot ihr freundlich die Hand, indem sie ihr sagte: »Sie haben sich so oft für meine Großmutter und Mutter bemüht, daß es nicht mehr als billig wäre, wenn Sie auch freiwillig auf Ihrem Stuhle blieben. So aber kann ich Ihnen nur mein herzliches Bedauern aussprechen, daß es nicht anders ist; und um Ihnen so wenig wie möglich Mühe zu machen, will ich mich recht dicht zu Ihnen hinsetzen.«
Klaus hatte eilig einen Stuhl herbeigerückt, auf den sich Eugenie niederließ und dann eine der Hände der alten Frau ergriff und dieselbe zwischen ihre beiden nahm. Das glänzende Auge der Großmutter ruhte nun eine Zeit lang fest auf den lieblichen Zügen der jungen Dame, und dann sagte sie: »Sie müssen mir schon verzeihen, daß ich Sie aufmerksam betrachte; es ist das gerade so, als lese ich in einem Gedenkbuche und finde da zwischen allerlei Blättern das Bild einer Rosenknospe, die mir eine glückliche, ach! so sehr glückliche Zeit ins Gedächtniß zurückruft. – Wenn ich Sie aber länger ansehe, so verschwindet für mich die Aehnlichkeit, welche Sie, gnädiges Fräulein, wie man im ersten Momente meint, mit Ihrer Frau Mutter haben, und aus Ihrem Auge, namentlich aus dem Blick, aus Ihrem Munde, ja, aus dem ganzen Schnitte ihres Gesichtes tritt mir so lebhaft das Bild der Frau Großmutter entgegen, daß ich es Ihnen gar nicht sagen kann.«
»Das meint mein Vater auch; er sagt, ich gleiche sehr meiner Großmutter.«
»Der gute Herr Baron!« sprach die Kammerfrau. »Es geht ihm wohl, wie ich höre? – Und auch der gnädigen Frau Baronin?« setzte sie nachdenkend hinzu, »wonach ich mich eigentlich zuerst hätte erkundigen sollen.«
»Vater und Mutter geht es wohl,« antwortete Eugenie. »Sie werden wahrscheinlich wissen, daß sie draußen wohnen. Mein Vater kommt eigentlich nie in die Stadt, meine Mutter höchst selten, sonst würde sie auch gewiß häufiger nach Ihnen sehen.«
Die Großmutter lächelte, ob schmerzlich oder freundlich, war nicht recht zu unterscheiden; vielleicht flog etwas von Beidem über ihre Züge, doch behielt der freundliche Ausdruck die Oberhand, als sie erwiderte: »Es würde mich in der That recht gefreut haben, zuweilen die gnädige Frau Baronin zu sehen; aber welch großes Vergnügen mir Ihr Besuch macht, Fräulein Eugenie – Sie verzeihen, daß ich Ihren Vornamen gebrauche – kann ich Ihnen unmöglich ausdrücken; ich habe Sie ein einziges Mal gesehen, das sind aber schon manche Jahre her; die Kammerfrau der gnädigen Baronin begleitete Sie zu mir; man trug Sie auf einem weißen Kissen, das mit Rosaschleifen besetzt war. O, ich werde das nie vergessen! Es war, als wenn ein kleiner Engel in meine Wohnung käme. – Und darin haben Sie sich gewiß nicht verändert,« setzte die Frau leiser hinzu, nachdem sie Eugenie wieder einmal lange betrachtet. »Sie haben in der That ein gutes, liebes, ein glückliches Gesicht.«
»Sie haben meine Großmutter genau gekannt?« versetzte die junge Dame und schlug erröthend und lächelnd ihre Augen nieder. Die Worte der alten Frau hatten sie gefreut, wenn sie sich das auch nicht eingestehen mochte. »Bitte, erzählen Sie mir was von ihr! Sieht meine Mutter ihr nicht ähnlich?«
»Damals wenig; ich weiß nicht, ob sie sich mit den Jahren verändert hat. Die Gräfin Eller war bis in ihr Alter eine schöne, stattliche Frau mit lebhaften Augen, entschlossen in ihren Worten und Handlungen, energisch in ihrem ganzen Wesen.«
»Dann gleicht meine Mutter ihr nicht sehr,« erwiderte Eugenie. »Sie ist nicht lebhaft; sie ist kränklich und klagt häufig, und wenn man sie betrachtet, so muß Jeder sehen, daß sie mit ihren Klagen nicht Unrecht hat. Meine arme Mutter leidet zuweilen und sieht meist recht bleich und fatiguirt aus.«
»Ihr Charakter war auch eigentlich nie wie der der hochseligen Gräfin; wohl war die Gräfin Henriette lebhaft, konnte auch mit Energie einen Entschluß fassen, aber sie war so – gut und weich, daß sie sich zuweilen überreden ließ, Anderen gefällig zu sein. Es lag das schon in ihrem Blicke, sie hat, wie ich schon vorhin bemerkte, nicht die Augen der Gräfin Eller; das waren leuchtende, eigenthümliche Augen, und man sah aus ihnen, daß die Dame, der sie angehörten, sich nie dazu bewegen lassen würde, einen einmal gefaßten Entschluß zu ändern. Gewiß, gnädiges Fräulein, Sie haben denselben Blick, Sie haben sehr viel auch in Ihrem übrigen Wesen von Ihrer hochseligen Frau Großmutter.«
Indem die alte Frau so sprach, wurde leise angeklopft, worauf sich ihr Auge etwas verfinsterte und sie forschend nach der Thür schaute. Eugenie sah fragend empor.
»Das ist Niemand von den Meinigen,« sagte die Großmutter; »sie würden es nicht wagen, mich in diesem Augenblicke zu stören. Das kann nur ein thörichter junger Mensch sein, den wir aber abweisen wollen. – Wahrscheinlich der Neffe des Jägers Klaus,« setzte sie nach einer Pause hinzu, als sie bemerkte, wie die glänzenden Augen der jungen Dame forschend auf ihr ruhten. »Er kommt zuweilen hieher,« meinte sie achselzuckend; »ein armer Kranker, mit dem wir alle sehr schonend umgehen, der das Glück gehabt hat, Sie, gnädiges Fräulein, ein paar Mal draußen zu sehen, und der behauptet, das allein sei schuld daran gewesen, daß er einen leidlichen Winter verlebt.«
Während sie das sagte, hatte die Großmutter ihre scharfen Blicke etwas gedämpft, indem sie ihre Augenlider ein wenig herabsinken ließ, dabei aber das junge Mädchen forschend betrachtete, auf deren Zügen sich bei der Erwähnung des Neffen des Jägers eine ganz leichte Röthe zeigte, während sie aber dabei gänzlich unbefangen den Blick der alten Frau erwiderte. Der Gedanke, daß sie bereits um den Besuch wisse, welcher der Großmutter so ganz unerwartet zu kommen schien, war es, was das Blut in ihre Wangen trieb.
»Ach ja, ich erinnere mich des Mannes,« sagte Eugenie nach einem augenblicklichen Stillschweigen. »Als ich ihn sah, war er recht krank, und ich glaubte fast seinen traurigen Worten, als er von einem baldigen Tode sprach. Er that mir recht sehr leid; ich hatte herzliches Mitleiden mit ihm. – Also es ist ihm im vergangenen Winter besser ergangen?«
»Er hat sich fast wunderbar verändert,« antwortete die alte Frau, nicht ohne Beziehung. »Aber nicht wahr, ich will ihn abweisen?«
»Die Großmutter verschließt mir ihre Thür?« hörte man jetzt draußen eine Stimme halb ernsthaft, halb launig sagen. »Das ist recht hart, und ich werde jetzt gar nicht wieder kommen dürfen.«
Eugenie schrak fast beim Tone dieser Stimme zusammen; es war allerdings die des Neffen des Jägers, aber der Klang war doch wieder ganz anders. Sie richtete ihren Blick auf die alte Frau, und da diese zu glauben schien, derselbe gebe ihr die Erlaubnis den draußen nicht abzuweisen, so rief sie: »Herein denn!«
Darauf wurde hastig die Thür geöffnet, und der Neffe des Jägers trat ein.
Ja, es war derselbe junge Mann, den Eugenie vergangenen Sommer im Walde gesehen; es war derselbe, bis auf seine Kleidung, und doch wieder ein ganz Anderer. Die alte Frau hatte vollkommen Recht; er hatte sich wunderbar verändert; er, der sich damals mühsam an seinem Stocke fortbewegte, der ermattet auf die Bank niedersank, der vor ihrer Erinnerung stand mit den fieberhaft brennenden Augen und den zuckenden Lippen, den leidenden Zügen, der ganzen zusammengebrochenen Gestalt, er trat jetzt vor sie hin mit leichtem, fast elastischem Schritt, mit einem glücklichen Lächeln auf dem heiteren, wohl noch bleichen, aber nicht mehr krankhaft entstellten Gesichte, mit einem leuchtenden Blicke, mit der ganzen Haltung eines Menschen, der sehr krank gewesen, jetzt aber im Bewußtsein der Genesung fröhlich, ja glücklich wieder in die Welt eintritt.
Dem jungen Mädchen war fast ängstlich zu Muth, als sie den Neffen des Jägers so wieder sah; sie schaute beinahe verlegen auf die alte Frau an ihrer Seite, die mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke in ihren Zügen dabei lächelnd bald den jungen Jäger anschaute, bald das liebliche Mädchen.
Die Freude, welche sich im Auge des Ersteren, sowie in seinem Auftreten zeigte, machte tiefer Ehrfurcht Platz, als er die junge Dame vor sich sah, und er schien einen Augenblick wie unschlüssig, ob er die Thür hinter sich zumachen oder durch dieselbe wieder zurück in das Wohnzimmer treten solle. Doch half ihm die Großmutter über diese Ungewißheit hinweg, indem sie sagte: »Kommen Sie jetzt nur herein; vielleicht verzeiht Ihnen das gnädige Fräulein, daß Sie unsere Unterhaltung gestört.«
Eugenie nickte mit dem Kopfe, und der junge Mann an der Thür that einen tiefen Athemzug, worauf er langsam naher kam und sprach: »Ich habe leider kein Recht, mein gnädiges Fräulein, mich gegen Sie zu entschuldigen und Ihre Verzeihung zu erlangen; denn wenn ich aufrichtig und wahr sein will, so muß ich bekennen, daß ich mit Absicht Ihre Unterhaltung gestört, da ich draußen erfahren, daß Sie hier im Zimmer seien. – Wenn Sie mir aber noch so sehr zürnen sollten, so müßte ich Ihnen doch gestehen, daß ich nicht anders gekonnt, als hier herein zu treten, um Sie nach langer, langer Zeit wieder zu sehen.«
Das Mädchen senkte den Kopf, und da sie nicht antwortete, fuhr der Neffe des Jägers fort: »Um Ihnen zu danken, mein gnädiges Fräulein, für das Mitleiden, das Sie dem fast Sterbenden bezeigt, eine Theilnahme, deren ich mich wohl nicht rühmen dürfte, wenn ich nicht gar so leidend vor Ihnen erschienen wäre.« – Da er fühlte, daß er fast zu viel gesagt, so setzte er rasch hinzu: »Sie werden die Worte eines Menschen nicht übel deuten, der vom Rande des Grabes zurückkehrt, der sich dabei aber gern der vergangenen bitteren Stunden erinnert, noch lieber jedoch einzelner lichter, herrlicher Augenblicke gedenkt.«
Der gute Neffe des Jägers hätte aus übervollem Herzen vielleicht noch eine Stunde so fortgefahren, ohne zu Ende gekommen zu sein, und hätte dabei wahrscheinlich sehr, sehr viel mehr gesagt, als es seiner Stellung nach passend gewesen wäre, und wenn er das auch selbst fühlte, so verwirrte ihn dagegen wieder die liebliche Gestalt des jungen Mädchens so vollkommen, ließ sein Herz so heftig schlagen, brachte sein Blut in solche Aufregung, daß er am liebsten gar nichts mehr gesagt, sondern stumm und selig zu Eugeniens Füßen niedergestürzt wäre, ihr seine glühende Liebe gestehend.
Die kluge alte Frau, welche besorgt in sein leuchtendes Auge blickte, mochte wohl etwas Aehnliches befürchten, und um dem zuvorzukommen, sagte Sie: »Lassen Sie das nur gut sein; das gnädige Fräulein ist so lieb und freundlich, daß sie es wohl begreift, in welche Freude es Sie versetzen muß, daß Sie sich um so Vieles besser befinden, und ich muß gestehen, Sie haben sich in der letzten Zeit wieder auffallend verändert.«
Diese Worte, deren Nebenbedeutung der Neffe des Jägers wohl verstand, verfehlten auch auf ihn ihre Wirkung nicht, und er gab sich alle Mühe, das wirklich zu scheinen, was er verstellte: ein armer, eben genesener Kranker, der es in tiefster Unterwürfigkeit dankbarst anerkennt, daß eine so vornehme Dame, wie Fräulein Eugenie, ihn ihres Mitleids, ja, man könnte beinahe sagen, ihrer Aufmerksamkeit, gewürdigt.
So sehr er sich aber auch bemühte, in seiner Rolle zu bleiben, wozu auch gehörte, daß er es standhaft ablehnte, sich in Gegenwart des gnädigen Fräuleins zu setzen, wozu ihn die Großmutter einlud, so hatte doch sein freilich etwas eigenthümliches Wesen beim Eintritt ins Zimmer einen, wenn auch noch unbestimmten, Argwohn in die Seele des jungen Mädchens geworfen, welcher sie anders sein ließ, als sie vielleicht sonst draußen im Walde, in der Hütte des Jägers Klaus, gewesen wäre. Auch betrachtete sie den Neffen, sobald sie sich fragend an die Großmutter wandte, wenn auch flüchtig, doch sehr genau, und glaubte sogar, in seiner Art zu sprechen, in seinen Bewegungen, ja, in der einfachen und doch wieder gewählten Kleidung manches zu entdecken, was nicht zu seinem Stande zu passen schien; besonders fielen ihr seine Hände auf; da er als einfacher Jägerbursche keine Handschuhe trug, so konnte Eugenie seine Rechte, in der er den überaus feinen Castorhut hielt, gar deutlich sehen. Es waren zierliche weiße Finger, und wenn man den Umstand, daß deren Farbe nicht so war, wie die der gewöhnlichen Jäger und Waldschützen, vielleicht auch aus sein langes Kranksein, sowie die hiedurch bedingte Unthätigkeit schreiben konnte, so war doch die Form derselben so fein, wie man sie bei Leuten, die an harte Arbeit gewohnt sind, nicht leicht sieht. Auch einen schmalen goldenen Reif bemerkte man am kleinen Finger der rechten Hand, was an sich vielleicht nicht verdächtig war; doch als er sich während des Sprechens umwandte und sich zufällig so drehte, daß ein Sonnenblick, der ins Zimmer spielte, das Innere seiner Hand berührte, blitzte es dort plötzlich auf, nur eine Sekunde lang, in buntfarbigen, ziemlich verdächtigen Strahlen.
Der Neffe des Jägers wagte nach seiner ersten, viel zu langen Rede nur einige Worte an die junge Dame zu richten; dagegen munterte sein Blick die alte Frau auf, Eugenie wehr ins Gespräch zu ziehen, und als dies geschah, zog er sich ehrerbietig ans Fenster zurück, um bescheiden zuzuhorchen, in Wahrheit aber, um sie ungestört betrachten zu können; er fühlte sich zufrieden, fast glücklich in diesem Augenblicke. Er dachte an den vergangenen Herbst, wo er so tief und innig in dieses wunderbar liebliche und gute Gesicht gesehen, wo er mit namenlosem Schmerze gefühlt, wie allein dieses Mädchen im Stande sei, ihn glücklich zu machen, wenn es überhaupt für ihn noch ein Glück auf der Welt gab. Ach! er dachte schaudernd an jene Zeit, wo er, ein armer Schiffbrüchiger, in Sturm und Nacht gehüllt, auf den schäumenden Wogen des Meeres allein schwamm, angeklammert an ein zerbröckelndes Wrack, unter sich den gewissen Tod, über sich den mit schwarzen Wolken bedeckten Himmel. Und dabei dachte er auch, wie er schon im Begriffe war, ermattet die Hände sinken zu lassen, um hinabzustürzen in einen entsetzlichen Abgrund, als mit einem Male am umnachteten Horizont jener klare, mildglänzende Stern emporstieg, jener Stern, der, nachdem er ihn eine Zeit lang traurig betrachtet, ihm endlich Muth und Hoffnung einflößte, dessen Strahlen ihm die Augen zu öffnen schienen und ihn endlich das längst verloren geglaubte Land wieder erblicken ließen.
Dann nach manchem Ringen und Kämpfen hatte er den festen Boden aufs Neue betreten, das Leben lächelte ihn wieder an; die finstere Nacht war gewichen, die Wolken hatten sich zertheilt, ein junger freundlicher Tag stieg rings um ihn empor, aber mit seinem Lichte war auch der milde, traulich blinkende Stern verschwunden; er hatte sich in die Sonne verwandelt, in die strahlende, vornehme Sonne, die jetzt vor ihm aufgegangen war und deren Feuer sein Herz verzehrte, wenn er es jetzt wagte, sie in ihrem Glanze anzublicken. O diese Sonne, wie sie so schön war! zu schön, zu reich für ihn! Seine Sonne – Eugenie! Wie konnte dieses so herrliche Wesen unter Tausenden, die gewiß anbetend zu ihr emporblickten, ihn vorzüglich bemerken, ihm zulächeln? – Gewiß nicht! –
Es gab Augenblicke, wo er den Wunsch hegte, wieder allein auf dem wild empörten Meere zu treiben, dem Tode nahe, aber vor sich jenen wunderbaren Stern, seinen Stern, der ihn so wild, so traurig, so theilnehmend anblickte.