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Siebenundfünfzigstes Kapitel.
Dolores!


Es war eine kühle Nacht, denn der Wind hatte sich gelegt, und es war hell und klar geworden; der Mond stand so hoch am Himmel, daß er die eine Seite der Häuserwand beschien und die Schatten der gegenüber liegenden mit ihren unregelmäßigen Linien, Einschnitten und Schornsteinen deutlich darauf abspiegelte.

Don Larioz und sein Begleiter hielten sich dicht an der Mauer des Breiberg'schen Hauses, um von oben nicht gesehen zu werden. Bald stießen sie an die Leiter, von welcher ihnen der Kupferstecher gesagt, die sie nun behutsam aufrichteten und von der sie mit Vergnügen sahen, daß sie bis zu den Fenstern des Ateliers reiche. Unten am Fuße dieser Leiter stellten sich die Beiden auf und versanken in tiefe Betrachtungen.

Es ist eigenthümlich, daß man es liebt, in sehr spannenden Augenblicken mit einem Anderen sich zu unterhalten, es ist das eine Ableitung des allzu vollen Herzens; deßhalb brach denn auch der edle Spanier nach kurzer Pause sein Stillschweigen und sagte:

»Wenn ich den jetzigen Augenblick mit jenem vor einiger Zeit vergleiche, wo ich ebenfalls nächtlicher Weile hier stand, so muß ich gestehen, daß mich heute ganz andere Gefühle beherrschen als damals. Das Ungewisse, Bedrückende ist aus meiner Seele gewichen; die Stunde des Kampfes, der Gefahr, die nächstens schlagen wird und deren Vorgefühl mein Blut beständig durch die Adern treibt, hat etwas Erhebendes, wenn ich jenes trostlosen Abends gedenke. Glauben Sie mir, junger Freund, ich fühle es, wie innig ich dieses unvergleichliche Mädchen liebe, sie, die ich nur einmal sah, von der mich Hindernisse und Gefahren aller Art trennten, und die nun vielleicht im nächsten Momente liebeglühend an meiner Brust ruhen wird. O, es ist das ein Gefühl, dessen Süßigkeiten Sie noch nicht zu würdigen im Stande sind. Doch hoffentlich kommt die Reihe hierzu auch einstens an Sie, und dann wünsche ich Ihnen vor einem schönen Gelingen die größtmöglichen Schwierigkeiten, denn je gewaltiger das Mühen, desto süßer der Lohn. – Haben Sie etwas gehört?«

»Es ist mir gerade, als hätte man droben ein Fenster geöffnet.«

Nach diesen Worten traten Beide einen Schritt von der Mauer hinweg und blickten in die Höhe. Aber alle Fenster waren und blieben verschlossen, an keinem regte sich etwas; auf den oberen glänzte das Mondlicht, die unteren lagen in tiefem Schatten, an dessen gezackter Form man jetzt einen kleinen dunkeln Körper vorübergleiten sah.

»Ein Kater,« sagte Windspiel seufzend.

»Das Treiben dieses Thieres,« gab Don Larioz frohsinnig zur Antwort, »hat einige Aehnlichkeit mit dem unsrigen; auch er schleicht mit Gefahr zum Liebchen.«

»Hat aber eigentlich nichts zu befürchten,« sprach nachdenklich der kleine Kellner. »Er wandelt sicherer auf der scharfen Kante des Daches, als wir auf den Sprossen einer Leiter. Auch weiß er, daß er willkommen ist, er braucht keine Gebrüder Breiberg zu scheuen.«

»Vergessen Sie nicht, daß auch die Kater Nebenbuhler besitzen,«, versetzte der Spanier. »So ein Thier auf seinen nächtlichen Wegen ist auch nicht immer des Gelingens sicher. Oft auch erscheint ihm das rohe Schicksal in Gestalt eines Besenstiels, der von kräftiger Hand gegen ihn geführt wird. – Warum schaudern Sie zusammen?«

»Es ist frostig hier unten; auch dachte ich, es müßte ein höchst unangenehmes Gefühl sein, so auf der Dachrinne spazieren gehend, unvermuthet mit einem Besenstiel zusammen zu gerathen.«

»Das kann Einem auf den Sprossen einer Leiter auch passiren.«

»Auch daran dachte ich. Sie, Herr Don Larioz, bereiten sich zu einem Geschäfte vor, das viel Aehnlichkeit mit der Ersteigung einer feindlichen Wallmauer hat.«

»Gewiß, wo uns der Sieg winken kann, aber auch der kalte, blutige Tod. Glauben Sie, mein Freund, auch das habe ich überlegt, und um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht leichtsinnig in den Kampf gehe, will ich Ihnen anvertrauen, daß ich meinen letzten Willen selbst aufgeschrieben habe und hier in meiner Brusttasche verwahre.«

»O du mein Gott!« seufzte Windspiel leise vor sich hin.

»Sollte ich im glorreichen Kampfe fallen,« fuhr der edle Spanier träumerisch fort, »so bemächtigen Sie sich dieses Papieres, und Sie werden mich kennen lernen. Alles für Gott, für meine Dame und für meinen Freund!«

Der kleine Kellner faßte in tiefster Rührung mit seinen beiden Händen die Rechte des Anderen und drückte sie innig.

Aber jetzt täuschten sich Beide nicht wieder: sie hörten droben ein Fenster öffnen, und als Don Larioz hastig emporschaute, bemerkte er, daß es dasselbe Fenster war, an welchem damals die kleine weiße Hand des geliebten Mädchens erschienen und wo sich auch jetzt etwas Weißes hin und her bewegte. – »Das ist das Zeichen! Nehmen Sie Ihr Saitenspiel und lassen Sie, um unser Dasein anzuzeigen, ein paar leise Accorde ertönen.«

Und Windspiel hob seine Guitarre vor die Brust, besann sich eine Sekunde und gab dann zart und sinnig die Accorde zum Besten, mit welchen er das wunderbare Lied zu begleiten pflegte:

Dein gedenk' ich, röthet sich der Morgen,
Dein gedenk' ich, sinkt die schwarze Nacht.

»Bst! bst!« hörte man von oben, worauf sich der Spanier so gefühlvoll wie möglich räusperte.

»Bist du es wirklich, Licht meiner Augen, Stern meiner Gedanken?« klang eine zarte Stimme aus dem Fenster; »bist du es wirklich, der da unten wandelnd steht im Schatten und Mondlicht, umfangen von tiefer Stille der Nacht bei tönendem Saitenspiel?«

»Ja ich bin es, Geliebte meines Herzens,« gab Don Larioz entzückt zur Antwort; »ich bin es, der gekommen ist in Wehr und Waffen, um dich zu befreien, dich zu retten. Wirst du mir folgen?«

»O, spricht leise!« klang die Antwort; »meine Peiniger, obgleich sie von deinen tapferen Freunden überwältigt sind, könnten doch vielleicht ihre Bande brechen, und dann wehe mir und dir! Wehe! wehe!«

»Habe Dank, edle Dolores, für deine Warnungen; stumm werde ich das mir vorgesteckte Ziel erreichen. Noch zwei Augenblicke, und ich liege zu deinen Füßen.«

»A–a–h!« vernahm man die Schöne am Fenster aufseufzen, gewiß vor Entzücken über ihre baldige Rettung, doch war es gerade, als klinge ein Ton des Schmerzes durch dieses lang gezogene »Ah!«

Windspiel wenigstens erfüllte dieser Ton mit einigem Grausen.

Doch es war keine Zeit mehr, um über den Klang irgend eines Tones nachzugrübeln; der Spanier hatte bereits die Leiter bestiegen und eilte, so rasch er konnte, aufwärts, weßhalb ihm Windspiel, der seine Guitarre auf den Rücken geschoben hatte, so schnell wie möglich folgte.

Noch immer fürchtete der edle Spanier allerlei Tücken des Schicksals, wie ihm ja in der letzten Zeit so viele widerfahren waren; vor seinem Gedächtnisse zog jener Abend vorüber, wo er hier auf derselben Stelle wegen Mordbrennerei gefangen genommen und beinahe dem Gerichte überliefert worden wäre; dann trat ihm jener schmutzige Stall vor die Seele, den er sich bemühte, mit aller Kraft seines Geistes trotz alledem für einen geheimen Kerker in dem Hause Numero vier der Entenpforte zu halten. Sollte ihm auch dieses Mal etwas Aehnliches widerfahren? – O, es wäre schrecklich! – Doch nein, waren ihm nicht treue Freunde behülflich? hatte nicht Dolores trostreiche Worte zu ihm gesprochen? lächelte nicht der Mond, der Beschützer der Liebenden, so sanft selig auf ihn herab? – Nein, dieses Mal mußte es gelingen, das große Werk; die unglückliche Jungfrau mußte befreit werden – o, er fühlte die Gewißheit, daß sie schon im nächsten Augenblicke an seinem liebeklopfenden Busen ruhen werde.

Er hatte das Fenster erreicht; es gab dem Drucke seiner Hand nach, und bei den langen Beinen, womit ihn die Natur beschenkt, war es ihm ein Leichtes, den Boden des Zimmers zu erreichen. Doch hielt er hier einen Moment, an das kleine Windspiel denkend, das hinter ihm drein geklettert kam, und reichte diesem die Hand, um ihm ebenfalls herein zu helfen. Der Kellner plumpste etwas schwer von der Fensterbank herab, wobei seine Guitarre einen unheimlich kreischenden Ton von sich gab.

Allen Vorgängen nach, von denen Don Larioz gelesen oder gehört, wie im gleichen Falle edle Jungfrauen gethan, wenn der geliebte Erretter endlich am Fenster oder gar im Zimmer erschienen war, – allen Vorgängen nach mußte Dolores jetzt im Uebermaße des Glückes und der Sehnsucht in Thränen ausbrechen, dann an seine Brust sinken, um gleich darauf wieder im plötzlich erwachten Gefühle mädchenhafter Schüchternheit von ihm hinweg zu schnellen und vielleicht auszurufen: »Nein, nein! ich kann dir nicht folgen, ewig Geliebter, die Sitte, der Anstand – o Gott! was soll ich thun?«

Aber der tapfere Spanier wartete auf alles das ein paar Sekunden lang vergebens; sie schnellte weder an ihn hin, noch von ihm zurück; sie weinte nicht, sie sprach nicht; rings umher herrschte eine furchtbare Todtenstille. Ob man nur, wie bei ähnlichen Gelegenheiten, das Picken des Holzwurmes, auch Todtenuhr genannt, vernahm, sind wir nicht im Stande, genau anzugeben; genug, es herrschte eine tiefe Stille, welche beängstigend auf Don Larioz, sehr beängstigend auf Windspiel wirkte.

»Dolores,« sprach der Erstere mit sanfter Stimme, »ich bin da, dein Retter, Alles ist zur Flucht bereit; laß uns nicht lange zögern.«

Statt aller Antwort vernahm man einen tiefen Seufzer, der aber – von Windspiel ausging, dem es sehr unheimlich zu werden anfing.

»Dolores, sprich!«

Keine Antwort.

»Hier ist nicht Alles, wie es sein sollte,« flüsterte der edle Spanier seinem Begleiter zu. »Wenn mich eine finstere Ahnung nicht betrügt, so –. Doch auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, muß Licht in diesem finsteren Zimmer und in dieser furchtbaren Angelegenheit werden.«

Er zog bei diesen Worten die kleine Blendlaterne hervor, doch war das Licht derselben begreiflicher Weise längst erloschen. O, nur ein Streichhölzchen, nur ein einziges! Beide hätten sehr viel für ein einziges dieser sonst so werthlosen Dinger gegeben; aber sie hatten keines, und es mußte deßhalb ein anderer Entschluß gefaßt werden.

Zum Glück verließ die Kaltblütigkeit, welche Larioz beständig bewahrte, ihn auch in diesem wichtigen Augenblicke nichts Er reichte dem kleinen Kellner die Blendlaterne und sagte ihm: »Eilen Sie den Weg zurück, den wir gekommen sind, zünden Sie das Licht an, und bringen zum Ueberfluß noch Streichzündhölzchen mit.«

»Aber dann sind Sie allein,« erlaubte sich Windspiel kleinlaut zu sagen.

»Allein – mit Gott, meinem Recht und dem Dolche Rubens, was kann mir geschehen?« war die große Antwort, welche der Andere gab.

Windspiel verschwand auf der Leiter, eilte hinab, und da er, unten angekommen, sehr schnell lief, so hörte man die Guitarre auf seinem Rücken seltsam klingen.

Dann war wieder Alles still.

Wer vermag die beängstigenden Gefühle zu beschreiben, welche das tapfere Herz des edlen Don Larioz durchströmten! Er lauschte aufmerksam, er nicht einen Seufzer, einen Athemzug vernehme, und während er so lauschte, schritt er, mit den Händen um sich tappend, vorwärts. – Nichts regte sich, er vernahm nur den Ton der eigenen Tritte. Wohin war das unglückliche Mädchen entschwunden? Daß sie vorhin mit ihm am Fenster gesprochen, darüber konnte kein Zweifel walten. –

Larioz stieß an einen Stuhl und fuhr zurück bei dem Geräusch, welches er dadurch verursachte. In der nächsten Sekunde aber schritt er wieder vorwärts, und jetzt griffen seine Hände an die Tapetenwand, welche, wie er sich genau erinnerte, das Atelier der Gebrüder Breiberg in zwei Hälften schied, wo sich in der kleineren das Ruhebett befand, auf dem er die wunderbare Dolores an jenem unvergeßlichen Tage gesehen. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog es ihn zu jenem Ruhebette hin; er fühlte sein Herz heftig klopfen und sein Blut wallen vor Kampflust und Aufregung. Behutsam forttappend hatte er jetzt die Oeffnung erreicht, die in die andere Abtheilung des Zimmers führte. Er that einen halben Schritt hinein; flüsterte noch einmal mit inniger Stimme den geliebten Namen und – blieb dann plötzlich stehen, angefesselt vor Entsetzen.

»Halt, Barbar!« vernahm er eine Stimme, – o Gott! nicht in den süßen Tönen des geliebten Mädchens – eine wilde, unheimlich gellende Stimme. Und dann flammte mit Einem Male in der Ecke des Gemaches ein scharfes, intensives Licht auf, eine grauenhafte Gruppe hell beleuchtend, bei deren Anblick dem tapferen Manne das Haar schaudernd empor stieg und er sich schwach wie ein Kind an der Scheidewand halten mußte. – –

Vor ihm stand der verruchte Breiberg, der heuchlerische Clemens, mit wild verzerrtem Gesichte; seine boshaften Augen leuchteten wie die einer erzürnten Katze; sein zuckender Mund ließ hier und da die Zähne sehen, welche er ein paar Mal schallend zusammen klappte, wie man das wohl bei grausenhaften Automaten erblickt. – In seinem Arm aber hielt er die unglückliche Dolores, deren Haupt hintenüber fiel, deren sonst so schöne, glänzende Augen jetzt furchtbar in die Höhe starrten, deren langes Haar aufgelöst über die weißen Schultern flatterte, deren rechter Arm schlaff herab hing, während sie die linke Hand krampfhaft auf die schöne entblößte Brust gedrückt hatte, aus welcher hervor das – Heft eines Dolches ragte.

Don Larioz fühlte, wie seine Kniee unter ihm zusammen brechen wollten; er hielt sich mühsam an der Tapetenwand, die unter dem Griff seiner mächtigen Faust schwankte, er wollte auf das grinsende Ungeheuer losstürzen – er vermochte es nicht; er fühlte seinen ganzen Körper starr und gelähmt bis zu seinen Augen, die er nicht einmal im Stande war, von dem Gräßlichen, das er sah, auch nur eine Sekunde abzuwenden. Nur seine Brust vermochte sich in tiefen Athemzügen zu bewegen und aus seinem halb geöffneten Munde mit heiserem, pfeifendem Tone die Worte hervorzustoßen: »Ah, Mörder! Mörder! feiger Mörder!«

»Ja, Mörder!« rief ihm der Andere entgegen, »Mörder um deinetwillen! – Glaubst du, Verräther, uns wären deine Schritte unbekannt geblieben? Glaubst du, wir hätten nicht schon lange deine Absichten auf dieses von mir so heiß geliebte Mädchen entdeckt? Ach!« – dieses Ach! stieß er mit einem wilden Schrei heraus – »ich kümmerte mich wenig um das, was du gegen uns beginnen würdest, bis – Hölle und Teufel! – wir aus dem Munde dieses verrätherischen Geschöpfes erfuhren, daß sie dich liebe, ja, liebe wie man nichts sonst auf dieser Welt liebt. – Ja, blick hieher auf diese starren und doch so schönen Züge, auf diesen wunderbaren Körper, auf dieses ganze herrliche Mädchen. Ja, sie liebte dich mit Raserei, sie wollte dein sein, sie wäre es in der nächsten Stunde geworden, wenn nicht mein scharfes Eisen die Bänder der Brücke gelöst hätte, die euch zu einander führen sollte. Jetzt steht ihr verzweifelnd am Abgrunde; sie ist hinein gestürzt, du wirst ihr folgen.«

Erst bei den letzten Worten, die der Verruchte sprach, löste sich das krampfhafte Erstarren, welches den unglücklichen Spanier befallen. Er riß den Dolch des großen Meisters Rubens aus seinem Busen und wollte, wie der Jäger auf seine Beute, auf den feigen Mörder losstürzen, als das helle Licht ebenso plötzlich, wie es erschienen war, jetzt wieder erlosch und Don Larioz darauf durch die dichte Finsterniß, die ihn abermals umgab, die hohnlachenden Worte vernahm:

»Blöder Thor, du wirst mich nicht erreichen! Da nimm sie hin, die herrliche Dolores, nimm es hin, dein kaltes, starres Liebchen! Hahaha!«

Und hahaha! klang ein höllisches Gelächter rings umher vor den Ohren des unglücklichen Mannes. Aber er hatte kein? Zeit, darauf zu horchen; es war ihm, als vernehme er zwischen dem gräßlichen Lachen hindurch einen tiefen ersterbenden Seufzer. Dann fühlte er etwas gegen sich fallen, und als er die Arme danach ausstreckte, erfaßte er mit Schaudern den Körper des armen Mädchens. Willenlos sank er auf das Ruhebett nieder, an dem er gerade stand, und zog mit hastigem Griff das Schlachtopfer, welches auf den Boden niedergestürzt war, näher an sich. Sie lag mit dem Kopfe auf dem Ruhebett, er faßte nach ihrer Hand, um sie empor zu ziehen.

Diese kleine Hand war kalt und steif. Schaudernd ließ er sie los, und sie rutschte in ihre frühere Lage zurück; er legte seine Hand auf ihre Stirn, diese fühlte sich eisig an und war dabei von entsetzlicher Glätte; er betastete ihr langes, dickes Haar, das allein war weich und beweglich; er wagte es schaudernd, ihre Schulter zu berühren und dann mit ängstlicher Hast nach dem Griffe des Dolches zu suchen, den er mit einem Gefühl des Schmerzes aus der Wunde zog; er legte seine Finger auf dieselbe, er fühlte nach quellendem Blut – aber vergebens. Der feige Mörder hatte Dolores in ihr warmes, liebendes Herz getroffen und hatte sie augenblicklich getödtet, es floß kein Blut mehr.

Mit einer erschreckenden Geschwindigkeit war ihr vor Kurzem noch so lebensfrischer Körper jetzt kalt und starr geworden; sogar von den Lippen war alle Wärme verschwunden, sie waren unheimlich kalt anzufühlen. Ja, fast seltsam kalt, und ebenso der ganze Körper so höchst eigenthümlich starr und doch dabei wieder so beweglich, daß den unglücklichen Don Larioz fast ein Entsetzen anwandelte, nicht ein Entsetzen, wie es wohl begreiflicherweise durch die Nähe eines Todten hervorgerufen werden kann, nein, ein Entsetzen, ein Zurückschaudern wie vor einem Gespenste, einem Phantom, das uns plötzlich überfällt, vor einer gänzlich unerklärlichen, unheimlichen Entdeckung.

Hastig fühlte der Spanier auf dem Gesichte des Mädchens umher, dessen Kopf er in seinen Schooß genommen. Die Augen standen weit offen, aber er war nicht mehr im Stande, sie zu schließen; er drückte an ihre feinen Lippen – sie waren ohne alle Bewegung; er versuchte ihren Mund zu öffnen – vergebens.

O nur ein einziger Lichtstrahl! dachte er in höchster Bestürzung mit einem bisher nicht gekannten Weh im Herzen. Abermals hob er ihren Arm und ihre Hand empor; er versuchte es, den ersten zu biegen, es gelang ihm das nicht nur mit leichter Mühe, sondern der Arm blieb auch in der Biegung stehen. Jetzt fuhr er erschreckt zur Seite; er wollte aufspringen, als im Nebengemache eine tiefe Stimme laut wurde, welche zu ihm, sprach:

»Unglücklicher Sterblicher! Vergeblich ist dein Bemühen, das Leben dieses armen Mädchens zurück zu rufen. Du konntest sie nicht erretten trotz der geweihten Waffe des edlen Meisters Rubens, welche du bei dir trägst und die sonst ein Talisman ist für jegliche Gefahr. Ja, Unglücklicher! du konntest sie nicht erretten, weil du meine Lehren, meine Vorschriften vergessen.«

Larioz war bei dem Klange dieser Stimme zusammengefahren, er biß seine Zähne über einander, er hielt krampfhaft den Dolch des großen Meisters Rubens in der Rechten.

»Und wer bist du?« fragte er hierauf nach einem tiefen Athemzuge mit sanftem Tone, »der du zu mir, dem unglücklichsten der Sterblichen, also sprichst?«

»Ich bin der Geist des großen Zauberers Carabanzeros,« war die Antwort; »ich muß dir unsichtbar bleiben, aber du sollst mich hören.«

»Ich höre dich,« versetzte der Spanier, wobei er die rechte Hand mit dem Dolche langsam erhob und aufmerksam horchend jene Stellung annahm, die man an dem Andalusier sieht, wenn er in Wuth gesetzt, die Navaja zum tödtlichen Wurf bereit hält.

»Erinnere dich,« fuhr die Stimme fort, »daß schon in den ältesten Zeiten die Werke der tapfern Ritter häufig durch Künste böser Geister vereitelt wurden, weßhalb sie auch einen Gegenzauber stets bereit hatten, den sie nicht, wie du, vernachläßigten, wenn sie zur Rettung ihrer Damen auszogen. Du aber hast den Zauberspruch vergessen, der dich allein befähigen konnte, die unglückliche Dolores zu erretten, und den dir, da es zu spät ist, nun die bösen Geister hohnlachend wiederholen werden.«

»Trau, treue Trine, trügrisch trüben Träumen nicht –«

tönte das Gemurmel vieler Stimmen aus der Dunkelheit hervor. –

»Treib trotzig triumphirend fort das tolle Traumgesicht,
Trockne die Thräne tragischen Trübsals tröpfelnd auf,
Trink trauten Traubentrankes Trostes-Tropfen drauf.«

Doch war es dieser feierlichen Situation nicht angemessen, und durchaus nicht im Charakter eines höllischen Rachechors, daß einer der Geister plötzlich ausrief: »Herrgott! ich bin getroffen! Platz! das ist ernstlich.«

Und es war in der That ziemlich ernstlich, denn der Spanier hatte beim letzten Worte des Zauberspruches seinen Dolch mit solcher Gewalt in das Nebenzimmer geschleudert, daß derselbe einem der Gesellen draußen eine tüchtige Fleischwunde am Arme beibrachte und dann noch mit der Spitze in die Thür hinein fuhr, wo er zitternd stecken blieb.

Larioz hatte aber nicht sobald jenen Ausruf des Schreckens gehört, als er nun seiner Sache vollständig gewiß, um sich her tappte, um irgend eine Waffe zu finden, die ihm dazu dienen könnte, einem zweiten Saul gleich über die Philister herzufallen. Er ergriff auch einen langen Malerstock und war eben im Begriff, in das Nebengemach zu stürzen, als er vor dem Fenster Licht aufdämmern sah und Windspiel bemerkte, der mit der brennenden Blendlaterne die Leiter emporstieg. Beim Scheine dieses Lichtes, der sich im ganzen Gemache ausbreitete, sah er dort weder den weisen Magier Carabanzeros, noch Einen von der höllischen Schaar – das Zimmer war leer, die Thür verschlossen und verschwunden der Dolch Rubens, welcher in derselben gesteckt.

Die Gefühle des Spaniers nach allem, was vorgefallen, sind schwer zu beschreiben. Wenn er sich auch in den Tiefen seines Herzens empört fühlte von dem trügerischen Spiel, welches Freunde mit ihm getrieben, so war es ihm doch anderntheils zu Muth, als sei ein finsterer Bann von ihm gewichen, – ihre, des unbekannten Mädchens, Gewalt über ihn; ja, er fühlte, daß alle die süßen Regungen, welche ihn bei dem Gedanken an sie begeistert, nun von ihrer Person gelöst erschienen und seinem Herzen zurückgegeben seien, um vielleicht ein anderes, minder zweifelhaftes Wesen zu beglücken.

Und doch blickte er fast schaudernd bei dem Schein des Lichtes, mit dem nun der kleine Kellner erschien, rückwärts, wo es aber auch in der That grausenhaft genug aussah, wie sie mit dem aufwärts gekehrten Gesichte auf dem Ruhebette lag, wie die langen, schwarzen Haare ihr über Schulter und Brust fielen, und wie sie dabei mit starren, glänzenden Augen so unverwandt in die Höhe schaute und mit den kalten und doch so rothen Lippen unaufhörlich lächelte.

Beim Anblick Windspiels zog Don Larioz die Augenbrauen finster zusammen; tiefer Groll, Haß, Zorn regten sich in ihm, wenn er bedachte, daß auch der Kellner, dem er so freundlich sein Inneres erschlossen, fähig gewesen sei, ihn zu verrathen. Doch war die Bestürzung desselben beim Anblick seines Herrn und Meisters so ungekünstelt und der Schrei des Entsetzens, den er ausstieß, als er im Nebenzimmer die vermeintliche Leiche sah, zu wahr, als daß der Spanier hätte länger im Zweifel bleiben können, auch Windspiel habe geholfen, ihn zu mystificiren. Larioz nahm die Blendlaterne in seine Hand, hob sie über seinem Haupte, empor und ersuchte den Anderen, näher an das Ruhebett zu treten.

Windspiel gehorchte zitternd, und der Spanier, der ihm zur Seite schritt, betrachtete sorgfältig den Ausdruck seines Gesichtes. Dieser steigerte sich bis zum Entsetzen, als nun der kleine Kellner den leblosen Körper der unglücklichen Dolores vor sich sah, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe sein Auge einiges Mißtrauen zeigte beim Anblick des frischen Gesichtes der eben erst Verstorbenen. Dann aber lösten sich seine straff angezogenen Gesichtsmuskeln mit wunderbarer Schnelligkeit, er beugte sich rasch nieder, faßte eine von Dolores kleinen weißen Händen, strich ihr über die Stirn und rief dann laut aus:

»Alle Wetter, das ist ja eine Gliederpuppe!«

Don Larioz schaute bitter lächelnd nieder, als er kopfnickend wiederholte: »Ja, das ist freilich eine!« Dann setzte er finster und fragend hinzu: »Und Sie wußten nichts davon, junger Mensch?«

»Ich? – Gott soll mich bewahren!« rief erschrocken der Andere. »Herr Don Larioz, Sie werden mir so etwas nicht zutrauen! Aber,« fuhr er nach einer Pause mit leiser Stimme fort, »ich bin doch froh, daß es eine Gliederpuppe ist.«

»Ja,« gab der lange Mann zur Antwort, »wenn ich bedenke, daß der Dolch jenes doppelt heuchlerischen Bösewichts, jenes Breiberg, auch die weiße Brust eines lebenden Wesens nicht verschont haben würde, so will sich mir auch der Gedanke aufdrängen, als erscheine es mir angenehmer, mit diesem Wesen hier zu thun zu haben. – Armes Ebenbild eines schönen Mädchens,« sagte er darauf mit betrübter Stimme, »das du hättest lebend sein können, das du, wenn deine körperliche Hülle nicht falsch wäre, gewiß ein edles Herz, eine fühlende Seele in deinem weißen Busen trügest, ich will deiner nicht vergessen. Wenn es auch größtentheils schmerzliche Stunden waren, die ich im Andenken an dich verlebte, so gab es doch auch Augenblicke, wo in der Erinnerung an dich eine nie gekannte Seligkeit mein Herz durchströmte.«

Bei diesen Worten hatte er sich mit einem Knie auf das Ruhebett niedergelassen, und eine ihrer feinen Hände ergriffen. »Lebe wohl, Dolores! ich will an dich denken wie an eine theure Verstorbene, und will jene feige Rotte, die es gewagt, mir, einem spanischen Edelmann, diese Schmach anzuthun, wie deine Mörder halten und verfolgen. Bei San Jago! das will ich. Und wenn ich Einen derselben niederwerfe, so soll er mir, ehe seine schwarze Seele zur Hölle fährt, feierlich eingestehen, daß er dich, Dolores, dennoch für das schönste Weib dieser Erde halte. Du ohne Herz bist immer noch ein gefühlvolles Wesen gegen jene herzlosen Burschen – Friede sei mit dir!«

»Amen!« sprach Windspiel mit wehmüthigem Tone, und da er sah, wie der tapfere Spanier die schöne Puppe sanft an den Schultern faßte, um sie auf das Ruhebett zu legen, so hob er die Füße derselben nach und kreuzte ihr die Arme auf der Brust.

Don Larioz nahm darauf ein großes Stück rothen Damast's, welches auf einem Stuhle hing, decke es über den Körper, der nun, also verhüllt mit der kennbaren menschlichen Form, ungleich schauerlicher aussah. Hierauf zog er sein Taschenmesser hervor, ging in das Nebengemach und schnitt dort aus der Zimmerthür drei Späne, welche er sorgfältig auf den Damast legte, womit der Körper verhüllt war. Dann verließ er mit dem kleinen Kellner das Zimmer, warf aber an der Thür noch einen Blick rückwärts und sprach:

»Jetzt wüßte ich mir nichts Grauenhafteres zu denken, als wenn die leblose Puppe unter ihrer Hülle auf einmal zu zucken anfinge und sich langsam aufrichtete.«

Bei dieser Bemerkung schauderte Windspiel sichtbar zusammen, und ohne daran zu denken, dem Anderen den Vortritt zu lassen, kletterte er mit komischer Behändigkeit über die Fensterbrüstung auf die erste Sprosse der Leiter, während er sagte:

»Ach, Herr Don Larioz, lassen Sie um des Himmels willen Ihre grausamen Reden! So etwas bewegt und plagt mich entsetzlich! Obgleich ich weiß, daß es nur eine Puppe ist, so bliebe ich doch um nichts in der Welt in dieser Stube allein; ja, ich werde in meiner Kammer kein Auge zuthun können, sondern immer hinabblicken nach dem Fenster in der grauseligen Erwartung, die da laste sich mit ihrem rothen Tuche sehen und winke mir drohend hinauf. O, mein Gott! ich will nie mehr auf Abenteuer ausgehen.«

Er rutschte förmlich die Leiter hinab und war schon lange unten, ehe ihm Don Larioz folgte.

Es war spät geworden und rings umher Alles still. Die Beiden verließen den jetzt ganz dunklen Raum zwischen den Häusern, und als Windspiel an der Thür des Reibsteins seinen Hut abzog, um ehrerbietig eine gute Nacht zu wünschen, blieb der Spanier noch einen Augenblick vor ihm stehen/ schlug die Arme über einander und sagte:

»Wissen Sie auch wohl, lieber Freund, daß an dem heutigen Abend doch irgend etwas fast auf den Tod verwundet worden ist?«

»Nein, das weiß ich nicht!« rief erschrocken der kleine Kellner. »Um Gottes willen! wer war es, der einen Todesstoß erhalten?«

»Mein Glaube an die Menschheit,« entgegnete ernst Don Larioz. »Sie ist es im Allgemeinen nicht Werth, daß man für sie kämpft und duldet. Ich fange an zu glauben, daß die Drachen der Heuchelei, der Lüge, des Haffes, der Verleumdung in unserem Zeitalter ein nothwendiges Uebel sind, um die Schlechtgesinnten mit eben den Waffen zu peinigen, mit denen sie ihre Nebenmenschen verwunden; es will mich fast bedünken, es sei ein undankbares Werk, gegen diese Drachen zu streiten und sie nicht ruhig ihre Opfer wählen zu lassen. Aber was ich nie gedacht, fühle ich jetzt – es muß ein süßes Gefühl sein um befriedigte Rache.«

Damit ging er die dunkle Straße hinab, nicht so aufrechten Hauptes wie gewöhnlich, vielmehr trug er den Körper etwas gebeugt, wie zusammengedrückt von der Last schwerer Gedanken.


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