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Zweiundfünfzigstes Kapitel.
Vor dem Spielwaarenladen


Während sich Eugenie und der Neffe des Jägers im Zimmer der Großmutter befanden, Beide mit eigenthümlichen Gedanken beschäftigt, und Beide so schweigsam, daß die alte Frau die Kosten der Unterhaltung fast allein zu tragen hatte, ging der Armenarzt, Doktor Flecker, neben der langen Gestalt des tapferen Don Larioz über den Blumenmarkt nach derselben Gasse, in der sich das Haus befand, wo wir den geneigten Leser eben verlassen.

Der Doktor, lebhaft und beweglich wie immer, focht mit seinem Stocke in der Luft herum und sagte: »Sie werden mir zugeben, mein lieber Freund, daß dieses der Weg ist, auf dem Sie sich edelmüthig und glänzend an Ihrem ehemaligen Prinzipal rächen können und nebenbei feurige Kohlen auf die Häupter sämmtlicher Angehöriger der Familie Weibel zu häufen im Stande sind, indem Sie diesen Czrabowski entlarven und ihn zur Anerkennung zwingen, daß er es gewesen ist, der das Concept des Testamentes entwendet und damit seine Allotria getrieben.«

Don Larioz schritt würdevoll wie immer einher, und auf seinem ruhigen Gesichte sah man während der Rede des Anderen keinen Muskel zucken; er blickte tief nachdenkend gerade vor sich hin, und sprach, als der Armenarzt schwieg: »Das alles ist nur durch einen ehrlichen Zweikampf zu erreichen.«

»Auch das, wenn Seine Erlaucht damit einverstanden sind,« erwiderte hastig Doktor Flecker. »Im Falle des Gelingens aber werden Sie mir zugeben, daß man sich in dieser Sache genau nach den Wünschen des Herrn Grafen richten muß. Das ist ein mächtiger Herr mit einer langen Hand, der allein im Stande ist, den Weg zu ebnen, auf dem Sie zu jenem theuren Czrabowski gelangen können, um ihn – so – nun Sie verstehen mich schon.«

Der kleine Mann machte bei diesen Worten auf höchst komische Art einen so kräftigen Ausfall mit seinem Stocke auf einen unsichtbaren Gegner, daß er einen solchen, wenn er wirklich da gewesen wäre, nothwendiger Weise durch und durch gebohrt haben würde.

»In früheren glorreichen Zeiten,« sagte der edle Spanier, nachdem sie ein paar Schritte weiter gegangen waren, mit wahrhaft heldenmäßiger Ruhe, »hätte ein einfacher Gotteskampf die Sache so schön arrangirt, als man es nur wünschen könnte.«

»Ja, in früheren glorreichen Zeiten!« warf der Armenarzt ungeduldig dazwischen. »Aber jetzt ist das was Anderes!«

»Damals,« fuhr Don Larioz fort, ohne sich im Geringsten beirren zu lassen, »hätte man die Schranken aufgerichtet, und wir wären eingeritten, der Graf Czrabowski und ich, Beide unter Vortragung unserer respectiven Wappenschilder.«

»Ja, damals, bester Larioz!« sprach dringender der Doktor und schaute fast ängstlich in das unbewegliche Gesicht seines langen Freundes.

»Allerdings damals,« fuhr dieser fort. »Wir hätten mit einander gekämpft, wahrscheinlich höchst glorreich gekämpft, und wenn ich diesen Czrabowski niedergeworfen hätte, so würde ich ihm die Spitze meines langen Schwertes auf die Gurgel gesetzt und zu ihm gesprochen haben: Unglücklicher, gib der Wahrheit die Ehre!«

»Sie werden mir zugeben, wenn ich Ihnen sage,« versetzte der Andere ungeduldig, »daß das damals alles sehr schön, sehr nobel und sehr rittermäßig war, aber –«

»Andere Zeiten, andere Sitten, wollen Sie sagen,« fiel ihm Don Larioz kopfnickend in die Rede. »Bleiben wir also bei dem gewöhnlichen Zweikampf.«

»Nach Umständen, sehr nach Umständen, lieber Freund; vor allen Dingen dagegen, wenn Sie uns und sich nützlich sein wollen, müssen Sie sich streng den Anordnungen Seiner Erlaucht fügen. Sie werden einsehen, daß das nothwendig ist. Item nur so kommen wir zum Ziele.«

Bei dieser Unterredung waren die Beiden dem Hause nahe gekommen, und während der lange Schreiber gleich darauf mit einem großen Schritte unter den weiten Thorbogen trat, blickte der bewegliche Armenarzt nach allen Seiten um sich, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, ehe er in ein Haus ging. Da sah er denn, nicht viele Schritte entfernt, vor einem kleinen Laden einen Herrn stehen, welcher die dort ausgestellten Waaren zu betrachten schien, in Wahrheit aber bald die Gasse hinauf, bald hinunter blickte. Dabei wäre nun an sich für den Doktor nichts Auffallendes gewesen; doch als er diesen Mann genauer betrachtete, erkannte er in ihm den Herrn Baron George von Breda, und wunderte sich nicht wenig, denselben in dieser abgelegenen Gasse zu sehen. Ohne aber weiter darüber nachzudenken, stieg er in Gesellschaft des Spaniers die krachenden Treppen hinauf, und Beide erreichten in kurzer Zeit ohne irgend ein Abenteuer die Wohnung des Jägers Brenner, klopften dort an die Thür der großen Stube und betraten dieselbe, nachdem von innen »Herein!« gerufen worden.

In dem Zimmer war die Frau des Jägers, der kleine Palmarum mit seinem hölzernen Pferde, und gegenüber von Madame Brenner saß der Jäger Klaus, dem der Doktor auch schon Hülfe gespendet und der sich nun ehrerbietig erhob, um dem freundlichen Arzte eine Verbeugung zu machen.

»Ich dachte, wir würden Vater Brenner hier treffen,« sagte der Doktor, nachdem er die Frau und den Jäger mit der Hand gegrüßt, Palmarum auf den Kopf gepätschelt, und um Keines zu vergessen, auch an die Stäbe des Käfichs geklopft hatte, worin sich der Kanarienvogel befand. »Wir kamen in der Absicht her,« fuhr er fort, »den würdigen Jägersmann nicht nur zu begrüßen, sondern auch Einiges mit ihm zu besprechen über die Zukunft des kleinen Gottschalk, den wir wohl nicht beim Herrn Plager wissen wollen, nachdem unser Freund Larioz das Bureau verlassen.«

»Das Kind hat doch rechtes Unglück,« sprach Frau Brenner betrübt, wobei sie kopfschüttelnd von ihrer Näherei in die Höhe sah.

»So großes Unglück – das wüßte ich gerade nicht,« entgegnete der Armenarzt. »Der Bube hat sich im Schreiben recht vervollkommnet, rechnet unter Anleitung unseres edlen Freundes wie ein alter Mathematicus, und muß nothwendig was Rechtes werden, wenn er zwei solche Helfer an seiner Seite hat, wie Don Larioz und meine Wenigkeit. Sie werden mir zugeben, Frau Brenner, daß das wahrhaftig keine Kleinigkeit ist.«

»Gott soll mich bewahren, das nicht anzuerkennen,« erwiderte die Frau mit ihrer sausten Stimme; »das ist auch ein rechtes Glück für den Gottschalk, wogegen es aber gewiß nicht gut ist, daß er wieder sein Geschäft wechseln soll, und das wird er doch wohl thun müssen, wenn er die Schreibstube des Herrn Doktor Plager verläßt. – Ich hatte mir das schon so schön vorgestellt,« setzte sie leiser hinzu, »da wäre er ein Schreiber geworden, hätte was gelernt, viel Geld verdient und könnte alsdann den Kindern etwas von seinem Wissen abgeben.«

»O, lieber Gott, Frau Brenner,« antwortete der Armenarzt, »nur keine Luftschlösser! Vorderhand muß der Gottschalk lernen, und daß er etwas Tüchtiges lernen soll, dafür will ich schon sorgen. Und über den Punkt hätte ich gern mit dem Vater Brenner gesprochen.«

Die Frau schüttelte mit dem Kopfe und sprach mehr vor sich hin als zu den Anderen: »Ihnen wird er alles thun, was Sie wünschen, und es ist mir auch schon recht, wenn Sie nur nicht die Absicht haben, einen Jäger oder so etwas aus dem Gottschalk zu machen. Das ertrüge ich nicht; der Knabe soll was Rechtes werden.«

»Wenn das Vater Brenner hörte!« meinte lächelnd der Doktor. »Doch Scherz bei Seite! Sie werden mir zugeben, daß ich, der Doktor Flecker, freilich nur Armenarzt, dafür bekannt bin, daß, wenn ich einmal A gesagt, ich fortbuchstabire bis zum Z; und das wollen wir auch redlich mit Gottschalk thun. Verlassen Sie sich darauf, Frau Brenner, wenn der Junge selbst will, so soll er, wie Sie sagen, was Rechtes werden. Da nun aber Vater Brenner nicht zu Hause ist, worüber ich in diesem Falle auch nicht besonders traurig bin, so will ich hinein zur Großmutter und mit ihr ein paar Worte über den Jungen sprechen; Großmutter versteht mich und ist eine resolute Frau, die ihre Ansichten schon geltend zu machen weiß. – Don Larioz, thut mir den Gefallen und unterhaltet Euch ein bischen mit unserer guten Frau Brenner; ich werde gleich wiederkommen.«

Damit wollte der Arzt ins Nebenzimmer hinein, doch trat der Jäger Klaus an seine Seite, indem er sagte: »Verzeihen Sie, Herr Doktor, würden Sie nicht die Güte haben, noch ein paar Augenblicke zu warten, es ist Jemand da drinnen, der –«

»So, so,« machte Doktor Flecker mit einem pfiffig lächelnden Gesichte, »es ist Jemand da drinnen, der – am Ende der – der – den – den – nun Sie werden mich schon verstehen, theurer Freund Klaus.«

»Ich verstehe Sie in der That nicht,« gab dieser sehr ernst zur Antwort. »Gewiß, Herr Doktor, ich verstehe Sie nicht.«

»Es ist am Ende gar Ihr Neffe drin, he!« lachte der Armenarzt, indem er sein linkes Auge gegen den Jäger zukniff, »der schmucke Neffe im grauen Rocke und im Jägerhute. Habe ihn schon einmal hier gesehen, den Neffen, und wenn dem so ist, so muß ich schon einen Augenblick warten. Aber lange nicht, dazu habe ich keine Zeit. Oder ich kann ja auch wieder kommen; das ist am Ende besser, denn Sie werden mir zugeben, daß es mir nicht einfallen kann, Seine Er – den Neffen, wollte ich sagen, zu stören.«

»Woher vermuthen aber der Herr Doktor, daß mein – Neffe da ist?« fragte schüchtern der Jäger.

»Woher ich das vermuthe? Sie werden mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß das ungeheuer einfach ist. Erstens sah ich Ihren Neffen schon einmal hier, und es hat mich recht sehr gefreut, daß ich ihn hier gesehen, denn er kann von der Frau Großmutter nur Vortreffliches lernen; und da nun Sie, mein theurer Klaus, mir so eifrig sagen, es sei Jemand da drinnen, so braucht's keine große Combinationsgabe, um sich zu denken, was das ist; dann aber auch wartet ja da unten wenige Schritte von hier ein Freund Ihres – Neffen auf Hochdieselben.«

»Ein Freund meines Neffen wartet da unten auf ihn?« fragte bestürzt der Jäger. »O, Sie machen einen Spaß, Herr Doktor; es ist gewiß kein Freund von ihm da unten, der auf ihn wartet.«

»Doch, doch!« sagte laut und bestimmt der kleine Armenarzt. Dann faßte er den Jäger vertraulich am Ohrläppchen, zog ihn näher zu sich und sprach sehr leise: »Es ist der Herr Baron George von Breda, der da unten rechts an dem kleinen Spielwaarenladen auf Seine Erlaucht wartet. He, mein Freund?« setzte er fragend hinzu.

Kaum hatte der Doktor den Namen des Barons von Breda ausgesprochen, so fuhr Klaus im höchsten Erschrecken zurück. »Um Gottes willen, Herr Doktor!« sagte er, »ist das wahr? scheint der Herr Baron wirklich da unten auf etwas zu warten?– Das wäre mir entsetzlich! Oder spaziert er nur so zufällig am Hause vorbei?«

»Vom zufälligen Vorbeispazieren habe ich gar nichts bemerkt, lieber Klaus,« versetzte Doktor Flecker, indem er mit Verwunderung die erschreckten Züge des Jägers betrachtete; »er hat vielmehr in der Nachbarschaft dieses Hauses, wie man zu sagen pflegt, Posto gefaßt und scheint sehr auf etwas zu warten.«

»Dann müssen Sie uns helfen, Herr Doktor, augenblicklich helfen!« rief der treue Diener in höchster Angst.

»Teufel auch! wer ist denn krank?«

»Niemand, Niemand!« gab der Jäger hastig, zur Antwort. »O, hören Sie mich einen Augenblick ruhig an.« – Damit zog er den kleinen Mann ohne Umstände in eine Ecke des Zimmers und fing nun an, gegen seine sonstige stille Art recht lebhaft in denselben hinein zu sprechen.

Der Doktor zog, nachdem er die ersten Sätze vernommen, seine Augenbrauen hoch empor, legte die Hände auf den Rücken und drehte seinen Stock wie die Flügel einer Windmühle zwischen seinen Fingern; er ließ verschiedene Oh und Ah! hören, auch: »der Tausend! – nicht so übel! – das gefällt mir!« – worauf er, nachdem er viele Donnerwetter passirt hatte, seine Ansicht dahin aussprach, »das sei eine verfluchte Position und schwer, einen Ausweg zu finden.«

»Man muß den Herrn von Breda von der Straße zu entfernen suchen,« sagte Klaus.

»Kennen Sie den Herrn von Breda?« fragte der kleine Mann mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken; »das ist keiner, der sich von einem Platz entfernen läßt, wo er sich einmal vorgenommen hat, stehen zu bleiben.«

»Ich weiß, ich weiß; aber, Herr Doktor, Ihnen ist viel möglich.«

»Ja, wenn ich mein College Figaro wäre,« lachte der Doktor, »und er ein Basilio, da könnte ich ihm allenfalls weis machen, er habe das gelbe Fieber, und ihn so nach Haus schicken. Aber dem da – da weiß ich kein Mittel.«

»Es muß aber eins geben,« sprach der Andere dringender. »Gewiß, Herr Doktor, Sie müssen eins auffinden, es gibt sonst das größte Unglück. – Das arme, arme Fräulein! – Und ich, der sie überredet! Und die beiden Herren, sonst so gute Freunde, die, wie die Sachen stehen, Todfeinde werden müßten! O Herr Doktor!«

»Ja, da hat sich was, o Herr Doktor! Nehmen Sie sich eine Lehre daraus, Freund Klaus, schießen Sie ihre Rehe und Füchse und lassen Ihre Neffen thun, was sie wollen. Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Neffen schon manchem Onkel graues Haar gemacht haben.«

»Aber – –«

Der Armenarzt war in tiefes Nachdenken versunken und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, worauf der Jäger plötzlich verstummte. Darauf hatte Ersterer seinen Stockknopf zwischen die Lippen genommen, und wenn er auch, sich über etwas besinnend, seine Blicke auf den Boden heftete, so erhob er sie doch zuweilen, um einen Moment den edlen Spanier zu betrachten, der in harmlosem Gespräche mit der Frau Brenner begriffen, für nichts Anderes Augen und Ohren hatte.

Der Jäger blickte in größter Spannung auf den kleinen Arzt, der nach einem, ihm unendlich lange scheinenden Stillschweigen endlich mit den Achseln zuckte und dann mehr zu sich selber als zu dem Anderen sagte: »So könnte es vielleicht gehen; es ist aber ein verzweifeltes Mittel, muß dagegen, wenn es gelingt, den Grafen zur größten Dankbarkeit gegen Larioz verpflichten. Versuchen wir es in Gottes Namen.«

Damit, ließ er den Jäger stehen, trat mit raschen Schritten an die Seite seines langen Freundes und bat denselben, einen Augenblick mit ihm das Zimmer zu verlassen. Vor der Thür angekommen, sprach der Doktor zu Larioz: »Sie müssen mir einen Gefallen erzeigen, bei dem es Muth und Entschlossenheit gilt; es ist also vollkommen Ihre Sache.«

Der Spanier machte eine leichte Neigung mit dem Kopfe.

»Sie setzen Ihren Hut recht verwegen auf, drapiren sich wie gewöhnlich malerisch in Ihren Mantel und nehmen Ihren Stock so in die Hand, daß man deutlich sehen kann, es sei Ihnen etwas Gewohntes, mit einem Stoßdegen umzugehen. – Verstehen Sie mich?«

»Bis jetzt – ja,« antwortete der lange Mann nach einigem Besinnen.

»Gut. Sie gehen die Treppen hinunter, wenden sich vor dem Hause rechts und sehen da an einem Spielwaarenladen einen großen und schönen Herrn stehen, den Baron von Breda. Kennen Sie ihn zufällig?«

»Nein, ich kenne ihn nicht.«

»Auch gut. Mit dem Herrn suchen Sie ein Gespräch anzuknüpfen und ihn auf irgend welche Weise zu vermögen, die Straße zu verlassen.«

»Wenn er aber hierzu keine Lust bezeigen sollte?«

»So müssen Sie – so müssen Sie – ja, was denken Sie selbst, was Sie thun müssen?«

»Hat der Mann kein Recht, da unten in der Straße zu stehen?« fragte ernst der Spanier. »Oder ist es Jemand, dessen Anwesenheit Ihnen Schaden bringen kann?«

»Allerdings ist es so. Ich sehe, Sie verstehen mich. Mir kann es Schaden bringen, wenn er da bleibt, namentlich aber jenem liebenswürdigen Grafen Helfenberg, der Sie so freundlich aufnahm. – Lieber Larioz, zu einem gescheidten Manne wie Ihnen, der in ritterlichen Händeln wohl bewandert ist, braucht man nur mit halben Worten zu sprechen. Graf Helfenberg, der eine junge Dame liebt, befindet sich hier im Hause; der da unten will ihn erwarten, um ihn und die junge Dame zu compromittiren.«

»Also ein Eifersüchtiger?«

»Wohl möglich; Graf Helfenberg ist unser Freund; was man in Spanien in ähnlichen Fällen thun würde, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«

»Gewiß nicht,« erwiderte Don Larioz mit bestimmtem Tone. »Sie sollen sehen, wie ich für die geliebte Dame eines Freundes handle; Sie werden mit mir zufrieden sein.«

Damit hob er den Stock gegen sein Gesicht, als grüße er mit dem Stoßdegen den Feind auf der Mensur, und schritt der Treppe zu. Auf der ersten Stufe aber blieb er stehen, wandte sich rückwärts und sagte mit feierlicher Stimme: »Es könnte vielleicht sein, werther Freund, daß wir hart an einander kämen, wer weiß, ob der fremde Cavalier nicht unter dem Mantel ein paar Degen führt, von denen er mir galanter Weise einen anbietet. Es ist das bei ähnlichen Veranlassungen schon häufig vorgekommen. In dem Falle nun wäre es möglich, daß mir etwas Menschliches begegnete, und habe ich alsdann nur eine Bitte auf dem Herzen. Sie werden in einem braunen Kästchen auf meinem Tische ein weibliches Portrait finden mit der Adresse einer Dame; stellen Sie derselben in einem gewissen Falle dieses Bildniß zu und sagen ihr, Don Larioz sei aus der Welt gegangen mit dem Gedanken im Herzen und dem Worte auf den Lippen, daß Dolores das schönste Weib auf dieser Erde sei.«

Mit diesen Worten schritt der lange Mann die Treppen hinab, und der Doktor, der sich über das Geländer gebeugt hätte, blickte ihm lange nach, wobei sein Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck annahm. »Es ist eigentlich Unrecht von mir,« murmelte er, »aber es gab kein anderes Mittel, und ich will schon auf der Lauer liegen, um im allerschlimmsten Falle mit einem ärztlichen Atteste, das in gewisser Beziehung leider nur zu viel Wahres hat, dazwischen zu treten.«

George von Breda war unterdessen in der engen Gasse mehrmals hin und her geschritten; wenn er sich auch in Ungewißheit befand, ob Eugenie dieselbe betreten, so war es ihm doch nicht möglich, den Ort zu verlassen, es hielt ihn mit einer unerklärlichen Gewalt hier zurück. Schon oft hatte er sich Mühe gegeben, sich das Ganze wie einen Traum vorzustellen; wenn er sich aber mit allen Künsten der Ueberredung so weit gebracht hatte, so brauchte er nur die Hand auf sein Taschenbuch zu drücken, wo er jenes Geldstück verwahrt hielt, um beinahe laut hinaus zu rufen: »Nein! nein! es ist so, sie hat mich verrathen, sie ist hier, vielleicht dicht in meiner Nähe!« Darauf wallte alsdann sein Blut so heftig empor, daß ihn die Augen schmerzten; er vertiefte sich in die wahnsinnigsten Grübeleien, Gegenwart und Vergangenheit betreffend, und endete gewöhnlich damit, daß er mit den Zähnen knirschte und hohnlachend ausrief: »Auch Eugenie! ja, auch Eugenie!«

Glücklicher Weise war die Straße gänzlich menschenleer und die Leute in ihren Häusern so beschäftigt, daß sie dem unruhig hin und her Gehenden wenig oder gar keine Aufmerksamkeit widmeten. Jetzt war er wieder einmal bis auf den Blumenmarkt gegangen, und kehrte nun zurück, um seine Stelle bei dem kleinen Spielwaaren-Magazin wieder einzunehmen.

Wenn sich aber die Bewohner der Straße um das sonderbare Benehmen des fremden Herrn nicht kümmerten, so war doch ein anderer Fremder in einem der Häuser hinter einem Fenster versteckt und schaute nicht nur neugierig, sondern auch sorgfältig beobachtend auf die Straße. Dieser Fremde aber war Niemand anders als der Kammerdiener François, von dem wir nicht genau wissen, ob er sich zufällig oder absichtlich hier befand. Doch glauben wir das Letztere annehmen zu können.

In dem Hause, wo er sich aufhielt, war eine kleine Restauration, in der er ein bescheidenes Frühstück eingenommen hatte und darauf, die Zähne stochernd, verdaulich und beschaulich am Fenster stand. Leider hatte er von hier aus alle bemerkt, welche sich in die Wohnung des Herrn Brenner begaben: den Jäger Klaus mit Fräulein Eugenie, kurze Zeit darauf den Grafen Helfenberg, und nun sah er den Baron von Breda, ihn, den er nach der jungen Dame am bittersten auf dieser Welt haßte, in gewaltiger Aufregung da unten auf und ab gehen. François, der genau wußte, um was es sich handelte, verstand alle Bewegungen, alle Mienen und Geberden des Herrn von Breda, und freute sich über alle Maßen, als er aus der entsetzlichen Unruhe desselben abnehmen konnte, wie sehr dieser sonst so ruhige, kalt scheinende Mann leiden müsse.

Nachdem der Kammerdiener außergewöhnlich lange in seinen Zähnen gestochert, ließ er sich hinter den Fenstervorhängen nieder, doch so, daß ihm nichts auf der Straße entging, wobei es ihm gerade vorkam, als befände er sich in einem Schauspiel, dessen Ausgang er gewissermaßen in Händen hatte; konnte er doch ein Lustspiel oder ein Trauerspiel daraus machen. Wenn er das Letztere wollte, so brauchte er nur auf die Straße zu gehen und dem Herrn Baron von Breda zuzuflüstern, wer sich alles da oben in dem Hause befinde. Aber er verwarf diesen Gedanken als unüberlegt und voreilig und dachte bei sich: Je mehr das Gift im Herzen des starken Mannes da unten um sich frißt, um so verderblicher wirkt es und verursacht zuletzt eine unheilbare Wunde, in welcher dann mit ruhigen, kalten Worten herumzuwühlen für mich ein außerordentliches Vergnügen sein wird. – Warten wir also ab.

Und er wartete geduldig.

Auch Herr von Breda wartete, aber mit wenig Ruhe und Geduld; er preßte vielmehr die Lippen heftig auf einander; er ballte seine Hände; er trat hart auf den Boden vor dem Spielwaarenmagazin, wo er, ohne Aufsehen zu erregen, am längsten bleiben konnte, dessen Gegenstände er aber schon alle der Reihe nach angestarrt und dies, sich unbemerkt glaubend, immer wieder von Neuem thun zu können dachte.

Um so unangenehmer war es ihm daher, als er mit einem Male einen Mann bemerkte, der aus einem der Häuser der Straße kam, sich neben ihn stellte und die Spielsachen ebenfalls zu bewundern schien. Herr von Breda wandte dem Unbekannten den Rücken zu und war im Begriff, abermals die Straße hinab zu gehen, als ihn der Andere mit den Worten anredete:

»Es ist in der That erstaunlich, was alles zur Unterhaltung dieser kleinen Kinder geschaffen wird. – Finden Sie das nicht auch, mein Herr?«

Der Baron blickte den Frager an und hätte zu jeder anderen Zeit über das seltsame Aussehen desselben unfehlbar gelächelt. Die Verwundungen und Quetschungen im Gesichte des guten Don Larioz waren nämlich in jenes Stadium getreten, wo sich die trübe, dunkelblaue Farbe derselben in ein mattes Grün verwandelt mit graugelben Rändern, die sich weit über seine eingefallenen Wangen verbreiteten. Aus diesen Schattirungen, die etwas an einen Regenbogen erinnerten, drohte seine Nase, zur doppelten Dicke angeschwollen, fast unheimlich hervor; die Verzerrung des ganzen Gesichtes wurde nicht gemildert durch den Glanz der sonst guten, ehrlichen Augen, da eines derselben roth unterlaufen war und auf diese Art einen tückischen Ausdruck angenommen hatte. Hierbei können wir nicht verschweigen, daß der edle Spanier seinen zugespitzten Hut ziemlich stark auf das rechte Ohr gesetzt und seinem Mantel eine Drapirung gegeben hatte, welche etwas verwegen, ja, man könnte sagen, fast händelsüchtig erschien.

Herr von Breda schaute den Unbekannten von oben bis unten an und gab ihm alsdann ruhig zur Antwort: »Es gibt allerdings seltsame Dinge in dieser Welt, sowohl in einem Spielwaaren-Magazin, als im wirklichen Leben. Ich habe die Ehre.« – Damit faßte er an seinen Hut und wollte sich entfernen.

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sprach die seltsame Gestalt, indem sie dem Baron fest in den Weg trat, »Sie haben, wie mich dünkt, diese Sachen so aufmerksam betrachtet, daß ich von Ihnen ein gediegenes Urtheil über dieselben erwarten kann, und da ich einige Einkäufe zu machen beabsichtige, so –«

»Thun Sie am besten,« versetzte der Andere barsch, »wenn Sie in den Laden treten und sich auswählen, was Ihrer Phantasie zusagt.«

»Das wird mir allerdings Niemand verwehren können,« erwiderte der Spanier mit großem Ernste; »ich habe mir aber sagen lassen, daß eine höfliche Frage auch eine höfliche Antwort bedingt und daß es Schuldigkeit zwischen angenehmen Leuten ist, sich mit einem guten Rath an die Hand zu gehen.«

»So gehen Sie denn zu angenehmen Leuten und lassen sich von diesen rathen, ob Sie einen Bären oder einen Affen kaufen sollen; ich für meine Person würde Ihnen unbedingt zu dem Letzteren rathen.« – Damit machte der Baron eine Wendung in die Straße hinein, um dem zudringlichen langen Manne zu entgehen.

Dieser aber ließ sich nicht so leicht abweisen, trat vielmehr an die Seite des Davoneilenden und bemerkte, immer noch mit der größten Artigkeit in Haltung und Ton der Stimme: »Für den freundlichen Rath in Betreff des Affen bin ich sehr dankbar und werde mir ihn gewiß zu Nutze machen.«

George von Breda blieb einen Augenblick stehen, warf dem Manne einen blitzenden Blick zu und sagte, indem er sich mühsam zur Ruhe zwang: »So gehen Sie denn ins Teufels Namen hin und kaufen Sie Ihren Affen! Mir aber erlauben Sie, mich zu entfernen, denn ich habe nicht länger Lust, die Ehre Ihrer Gesellschaft zu genießen.«

Er machte abermals einige rasche Schritte vorwärts, ohne aber Don Larioz entgehen zu können, der mit seinen langen Beinen gleichen Schritt mit ihm hielt und dabei freundlich sprach: »Es ist traurig, daß unsere Wünsche und Neigungen öfters mit denen unserer Nebenmenschen so wenig harmoniren. Sie eilen mit nicht sehr liebenswürdigen Worten von mir weg; ich dagegen werde mir das größte Vergnügen machen, Sie zu begleiten.«

Bis jetzt hatte der Baron von Breda den Unbekannten für einen zudringlichen Menschen gehalten; nun aber kam es ihm auf einmal vor, als habe er einen Narrn an seiner Seite oder Jemand, der darauf ausgehe, Händel zu suchen. Beides erschien ihm im gegenwärtigen Augenblicke begreiflicher Weise sehr unerwünscht, und wenn es ihm auch ein Leichtes gewesen wäre, einen Unberufenen von sich abzuweisen, so war der Ort, an welchem er sich befand, durchaus nicht dazu geeignet, durch ein auffallendes Verfahren die Bewohner der umliegenden Häuser aufmerksam zu machen. Deßhalb ging er mit raschen Schritten die Gasse hinab bis auf den Blumenmarkt, trat dort an die einsam liegende Fontaine und drehte sich hier plötzlich gegen seinen Begleiter um, indem er mit barschen Worten sagte:

»Ihr Zweck, Herr, warum Sie mich bis hieher verfolgen, ist mir unbekannt; daß aber Ihr aufdringliches Betragen nicht, ohne Absicht war, glaube ich zu erkennen. Was Sie sind, weiß ich nicht; ich aber bin der Baron George von Breda und genugsam dafür bekannt, daß es nicht zu meinen Unterhaltungen gehört, mit fremden Leuten, die mit braun und blau angelaufenen Gesichtern aus Gott weiß welchem Wirthshause kommen, auf öffentlicher Straße zu sprechen. Hier von diesem Platze führen vier Wege in die Stadt, gehen Sie, welchen Sie wollen, und ich werde so vernünftig sein, mir einen anderen zu wählen. Sie müssen doch selbst einsehen, daß es für mich keine Ehre ist, in Ihrer Gesellschaft zu wandeln. Sollten Sie es aber vorziehen, mich noch weiter zu belästigen, so werde ich den ersten, besten Polizeisoldaten anrufen und Sie irgend wohin bringen lassen, wo man untersuchen wird, ob Sie ein zudringlicher Mensch oder ein Narr sind.«

Während Beide mit einander die enge Gasse hinabgegangen waren, hatte Don Larioz rückwärts geschaut und den kleinen Doktor wohl bemerkt, der oben zum Fenster hinaus sah, um Achtung zu geben, ob sich der eifersüchtige Aufpasser entferne. Dies war nun allerdings geschehen, und derselbe befand sich hier an dem Brunnen auf dem Blumenmarkte so weit von jenem Hause entfernt, wobei obendrein die Gasse, die dorthin führte, noch eine solche Biegung machte, daß es unmöglich war, die Hausthür von hier zu überwachen. Die Aufgabe des edlen Spaniers war demnach erfüllt, und dieser überlegte eben, ob es nicht räthlicher sei, über den zudringlichen Menschen oder Narrn hinweg zu gehen, um weiter kein Aufsehen zu erregen, oder ob es nothwendig oder ehrenvoller wäre, über die beiden Ausdrücke eine Erklärung zu verlangen.

Nach einem augenblicklichen Ueberlegen entschloß er sich zu dem Letzteren und that dies, indem er sprach: »Da Sie, mein Herr Baron, mir die Wahl gelassen haben zwischen einem Narrn und einem zudringlichen Menschen, so will ich den letzteren für mich in Anspruch nehmen und Ihnen so lange zudringlich erscheinen, bis Sie mir über diese verletzenden Worte eine Erklärung gegeben. Sie sind der Herr Baron George von Breda; ich nenne mich Larioz, Don Larioz, ein Spanier von altadeliger Familie.«

Bei diesen letzten Worten streckte sich der Sprecher um ein paar Zoll länger und machte ein so würdevolles Gesicht, daß es bei den sonderbaren Farben auf demselben unwiderstehlich komisch aussah.

Der Baron zuckte einfach mit den Achseln und zog, ohne ein Wort zu erwidern, sein Taschenbuch hervor, woraus er eine Karte nahm und sie dem Anderen einhändigte. »Lassen Sie sich,« sagte er alsdann, »durch einen mir bekannten unbescholtenen Menschen bei mir einführen, und ich werde Ihnen alle Erklärungen geben, die ich für nothwendig und passend halte.«

Damit wollte er sich entfernen, doch rollte in diesem Augenblicke ein leichtes Coupé aus einer der Straßen, aber nicht aus der, in welcher der Baron so lange auf und ab gewandelt, auf den Blumenmarkt und hielt nicht drei Schritte von ihm in der Nähe des Brunnens. George von Breda blickte nach dem Wagen hin und erkannte den Grafen Helfenberg, der ihm freundlich zurief, näher zu treten, und ihm sagte: »In welcher Gesellschaft bist du denn da? Wie kommst du mit dem edlen Don zusammen?«

»Weiß der Henker, was dieser Narr von mir will!« versetzte der Baron verdrießlich. »Ich ging zufällig durch jene Gasse dort, und da hängte dieser Mensch sich an mich. Kennst du ihn?«

»O ja,« erwiderte lachend der Graf; »er ist oder war der Schreiber eines hiesigen bekannten Advokaten, desselben Doktor Plager, den du dich erinnern wirst, bei mir an einem gewissen Abend gesehen zu haben.«

»Und dieser Schreiber,« sprach der Baron finster, »ist hier nicht ganz richtig?« Damit zeigte er auf seine Stirn.

»Er hat allerdings seine eigenthümlichen Seiten, ohne darum ein Narr zu sein,« gab Helfenberg zur Antwort, »ist aber dabei ein sehr nobler und anständiger Charakter. Ich protegire ihn.«

»Nun, wenn du ihn protegirst; so kannst du ihn bei mir einführen. Er benahm sich gegen mich zudringlich, ich sagte ihm einige passende Worte, worüber er eine Erklärung verlangte.«

»Das ist echt spanisch und sieht ihm ganz gleich. Sieh, wie er dort hin wandelt, das lange spanische Rohr haltend wie einen Stoßdegen, den Mantel umgeworfen wie ein Hidalgo.«

»Ich habe mit solchen Leuten nicht gern zu thun,« versetzte George von Breda.

»Und doch versichere ich dich, es ist schade um diesen Menschen; er ist, wie ich dir schon vorhin sagte, ein zuverlässiger und sehr anständiger Charakter. Ich fürchte nur, er wird an seinen Grillen zu Grunde gehen.«

»Meinetwegen. – Wohin fährst du?«

»Nach meinem Hause, und das ist auch ein Grund, warum ich halten ließ, als ich dich vorhin bemerkte. Du mußt mir den Gefallen thun, mich zu begleiten.«

George von Breda hatte die Hand auf den Schlag des Wagens gelegt und dachte einen Augenblick nach. Sollte er noch länger hier bleiben? Es hatte ihn nach der Begegnung mit dem langen Manne das richtige Gefühl überschlichen, als sei es unwürdig für ihn, hier einen Aufpasser zu machen. Was konnte es ihm am Ende auch nützen, wenn er länger da blieb? War Eugenie wirklich fähig, Wege zu gehen, welche für sie so wenig passend waren, so hatte sie auch ihre Maßregeln getroffen, um unerkannt zu bleiben. Dieser Gedanke peinigte ihn so entsetzlich, daß er seine Finger krampfhaft in die weiche Polsterung des Wagens vergrub, wobei er aber nicht den fast erschreckten Blick bemerkte, welchen Graf Helfenberg auf ihn warf. Ja, der Ort war ihm verhaßt, wo er sich befand, die Gasse, durch welche er gekommen, gähnte ihn so dunkel, so trübselig, so unheimlich an, das Geplätscher des Wassers aus dem Brunnen, neben dem er stand, schien schadenfroh über ihn zu lachen, und dazwischen tönte es in seinem Herzen immer und immer fort: Auch Eugenie, auch Eugenie!

Hastig riß der Baron den Wagenschlag auf und warf sich neben seinem Freunde in die Kissen, wobei er zu diesem sagte: »Führe mich, wohin du willst.«

»Nach Hause!« rief Graf Helfenberg dem Kutscher zu, und der Wagen rollte dahin.

»Es thut mir leid,« sagte der Graf nach einer Pause zu seinem Nachbar, »daß du, wie ich sehe, verdrießlich bist; ich hatte vor, dich um eine kleine Gefälligkeit zu bitten.«

»Um was du willst,« versetzte Herr von Breda. »Da ich aber allerdings einigermaßen verdrießlich bin, so wirst du nicht von mir verlangen, daß ich mit dir lachen oder tanzen soll.«

»Im Gegentheil, es handelt sich um ein ernstes Geschäft.«

»Dazu bin ich der Mann.«

»Und du hast eine Stunde für mich übrig?«

»Mehrere Stunden,« erwiderte der Baron, und als er hinzu setzte: »ich wüßte nichts, was mich in diesem Augenblicke nach Hause zöge,« fühlte er ein tiefes, schneidendes Weh in seinem Herzen.

Sie hatten das Palais des Grafen Helfenberg erreicht; ein Lakai öffnete den Schlag, während der dicke Portier in bester Haltung unter der Glasthür stand. Diese Glasthür wurde übrigens in letzter Zeit nicht mehr so ängstlich verschlossen gehalten, wie das früher der Fall gewesen war; sie ließ ungehindert die Bekannten des Grafen aus und ein gehen, ebenso die warme Luft des anbrechenden Frühlings, welche das weite, kalte Treppenhaus erobert hatte; ein paar Streifen hellen Sonnenlichts beglänzten die alten Ritter desselben.

Oben an der Treppe empfing der Kammerdiener die beiden Herren und öffnete voranschreitend die Thüren, nachdem er dem Grafen zugeflüstert, daß Baron Fremont und Herr von Tondern im Schreibzimmer warteten.

So war es auch. Diese beiden würdigen Herren hatten es sich bequem gemacht; Tondern ruhte auf einem Fauteuil, in welchem er lang ausgestreckt war, hatte den Kopf hintenüber gelegt und blickte sinnend den blauen Rauchwolken nach, die er der vortrefflichen Cigarre des Hausherrn entlockte. Fremont saß in einem Lehnstuhl und blätterte in einem Journale, das er vom Tische genommen; doch schien er nicht darin zu lesen, wenigstens nicht im gegenwärtigen Augenblicke, sondern er rollte das Heft zusammen, hielt es unter sein Kinn und sprach: »Du magst mich so viel beruhigen, wie du willst, so habe ich doch eine Ahnung, daß wir mit diesem Czrabowski ein schlechtes Geschäft gemacht haben.«

»Bah! du siehst immer Gespenster,« versetzte der Andere; »ich bin das an dir gewohnt. Auch ich schenke dem Polen wahrhaftig kein übermäßiges Zutrauen; aber was hätte er davon, uns einen Streich zu spielen? Der Art Menschen sehen nur auf den Gewinnst, der für sie bei irgend einem Geschäfte heraus springt.«

Fremont schüttelte ärgerlich mit dem Kopfe und wollte etwas erwidern, doch ließ ihn sein Freund nicht zum Worte kommen, sondern fuhr fort, mit großer Ueberzeugung zu sprechen, wobei er gemessene Bewegungen mit der Hand machte, in welcher er die Cigarre hielt.

»Ueberdies,« sagte er, »ist das Geschäft, welches der Pole mit uns abgeschlossen, im Augenblicke Nebensache für ihn; er will ein junges Mädchen heirathen von ganz anständiger Familie und sich auf diese Art eine sorgenfreie Zukunft sichern. – Obendrein ist es ein hübsches Mädchen – o, er ist nicht so ganz dumm, dieser edle Polake. – Wenn du also –"

»Du hörst dich wieder einmal gern sprechen,« unterbrach ihn Fremont ärgerlich, »und wenn du so mit der allergrößten Sicherheit und Gewißheit perorirst, so sollte man glauben, du habest dich in deinem ganzen Leben noch nicht geirrt. Und doch –« setzte er hinzu, endete aber diesen Satz mit einem großen Seufzer.

»Was willst du denn eigentlich?« fragte Tondern, wobei er den Kopf so weit herum bog, daß er zu seinem Freunde hinüber blinzeln konnte. »Wenn ich dir sage: wir sind des Polen sicher, so kannst du es mir glauben; ich habe Lebenserfahrung genug, um so einen Kerl zu beurtheilen.«

»Dein Pole genirt mich weniger!« rief ungeduldig der Baron. »Mir liegt etwas Anderes auf der Seele; aber du lässest Einen ja nie zu Worte kommen. Ich sagte vorhin, mich quäle eine Ahnung, als hätten wir mit Czrabowski ein schlechtes Geschäft gemacht.«

»Nun?«

»Dabei will ich diesen Menschen nicht verdächtigen; er kann vielleicht gegen uns redlicher handeln, als es sonst seine Gewohnheit ist, aber – mir gefällt Helfenberg nicht, oder eigentlich er gefällt mir zu gut.«

»Wie?«

»Spare dein Nun und Wie; was ich denke und fühle, darüber hast du auch schon nachgedacht. Du mußt mir nicht weis machen wollen, daß dem nicht so ist; ich fürchte, ich habe mich da in etwas eingelassen, das mir mein schönes Geld kostet und mich am Ende noch gar ridicul macht. Dann aber verstehe ich keinen Spaß, Tondern, darauf kannst du dich verlassen.«

Ein verächtliches Lächeln zeigte sich auf den Zügen des Angeredeten, machte aber gleich darauf einem finsteren Ausdrucke Platz, der sich jedoch bald wieder in das gewöhnliche gleichgültige Gesicht des Herrn von Tondern verwandelte, als er sich gegen seinen Freund wandte und diesem zur Antwort gab: »So ruhig und besonnen du zu sein scheinst, so gehen deine Gedanken in Wahrheit doch immer mit dir oben hinaus. Du brauchst dich nicht deutlicher zu erklären; ich weiß ganz genau, worauf du lossteuerst, finde es aber von dir unverantwortlich, dem armen Grafen das letzte Aufflackern seiner Lebenskraft zu mißgönnen. Es ist das auf Ehre, im höchsten Grade undankbar von dir. Helsenberg ist im Begriff, dir zu einer schönen und liebenswürdigen Frau zu verhelfen, wobei du als Aussteuer eine der prachtvollsten Besitzungen des Landes erhältst, und du mißgönnst es ihm, daß er sich in den letzten Tagen seines Lebens etwas besser befindet. Pfui Teufel, Fremont, das hätte ich nicht von dir erwartet! – Spar' deine Gegenreden, glaube mir, du irrst dich, der arme Graf ist übler daran als je. Sage mir lieber, was du in den letzten Tagen in unserer großen Angelegenheit gethan, ob du Fortschritte in der Gunst Eugeniens gemacht und wie dich Frau von Braachen aufgenommen.«

Der Baron murmelte unwillig etwas in sich hinein und schien Lust zu haben, das Gespräch von so eben fortzusetzen; da er aber die erhobene Hand seines Freundes sah, bereit, in diesem Falle abwehrende Bewegungen zu machen, so fügte er sich, wenngleich empört, in das Joch, das er sich selbst auferlegt, und sagte, indem er die Worte heftig herausstieß: »Was Frau von Braachen anbelangt, so bin ich ihr höchst willkommen, das kann ich dich versichern; aber das Mädchen ist ein lächerlicher Fratz, bei dem es sich wahrhaftig der Mühe nicht verlohnt, die man sich um sie gibt.«

»Ja, sie ist kalt,« sprach Tondern, »hochfahrend, eigensinnig, übermüthig, – aber schön,« setzte er boshaft lächelnd hinzu, »sehr schön, ein seltener Geist und kann über alle Begriffe liebenswürdig sein. Eine solche Eroberung wiegt hundert andere auf, nicht zu gedenken, daß in ihrer kleinen Hand das wunderbare Stromberg ruht.«

»Wenn du mir glauben wolltest, –« entgegnete Fremont kleinlaut mit einem tiefen Seufzer.

»Was soll ich dir glauben? Graf Helfenberg ist ein kranker, verlorener Mensch; das glaube mir.«

»Stille, Tondern! dort kommt dein kranker, verlorener Mensch.«

Und wirklich hörte man in diesem Augenblicke sich von draußen Schritte nähern, und eine klangvolle Stimme, welche den Refrain eines lustigen Liedes sang.


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