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Der Major saß in seinem Fauteuil, und der Graf spazierte einige Augenblicke in dem Salon auf und ab. Als er wieder an den Kamin trat, hob der Erstere den Kopf empor und sagte: »Es ist dir recht, daß ich dageblieben bin?« »Vollkommen, lieber Freund!« antwortete der Hausherr mit einem einigermaßen trüben Lächeln. »Wir verstehen einander. Ich bin in der That froh, daß du dageblieben; obgleich ich vor den Anderen eigentlich keine Geheimnisse habe, so kann ich mich doch nur dir gegenüber recht frei und offen aussprechen.«
»Dir fehlt etwas!« bemerkte der Major in einem Tone, der deutlich aussprach, er irre sich nicht.
»Ja,« antwortete der Graf.
»Du bist nicht glücklich?«
»Das will ich eigentlich nicht behaupten. Nur fürchte ich, unglücklich zu werden.«
»Ah, mein lieber Freund, du hast nur Befürchtungen? Die zu haben, ist eine schlimme Krankheit. Laß dich einmal von ihr ergreifen, und du hast bei den angenehmsten, besten Verhältnissen keine ruhige Stunde mehr. – Befürchtungen? – Ja, was kann der Mensch nicht alles befürchten! Du stehst am Morgen gesund und munter auf, bist aber unglücklich, weil du befürchtest, im Laufe des Tages krank zu werden. Du besteigst ein junges, muthiges Pferd; aber deine Lust an dem Thiere ist plötzlich vorbei, denn du befürchtest allerlei Unfälle, die dir begegnen können. Das sind die gewöhnlichen und traurigen Arten von Befürchtungen der Menschen, ohne daß man sie Furcht nennen könnte; denn die muthigsten Männer haben dergleichen Zufälle. Woher kommen sie? Von mehr oder minder angegriffenen Nerven, von einer schlaflosen Nacht oder dergleichen. – Nur keine Befürchtungen ohne haltbare Gründe dazu!«
»Ich habe dich ruhig ausreden lassen,« entgegnete der Graf, »ohne daß du mir den gleichen Dienst vorhin erzeigtest. Wenn ich sagte, ich fürchte, unglücklich zu werden, so wollte ich hinzufügen: und ich habe hiefür meine Gründe.«
»Ah, das ist etwas Anderes! – Verzeihe mir, ich will dich ruhig anhören.«
»Du siehst, ich trage meinen Arm in der Schlinge,« fuhr der Graf fort. »Ich hatte ein kleines Rencontre. Ich sah mich veranlaßt, mit einem jungen Manne, den ich wenig kenne, ein Paar Kugeln zu wechseln. Es war eine unbedeutende Geschichte, und ich sehe es wohl ein, daß ich vielleicht Unrecht hatte.«
»Etwas zu befürchten,« warf der Major ein.
»Ah, davon war keine Rede!« entgegnete der Graf und hob sich stolz empor. »Wenigstens nicht in deinem Sinne. Die Sache war einfach die: Ich erschien mit meiner Frau in einer Soirée bei ***. Meine Frau betrat zuerst den Salon, ich folgte ihr. Zwei Reihen junger Herren, wie das leider der Brauch ist, ließen uns durchpassiren, und ich ärgerte mich schon darüber, daß sie meine Frau so rücksichtslos begafften.«
»Du hattest Unrecht. Wir haben es in unserer Zeit gerade so gemacht.«
»Einige hatten sogar ihre Augengläser eingeklemmt, was ich zu meiner Zeit niemals gethan. – Nun gut! Meine Frau schreitet voran, ich folge ihr; ich muß gestehen, die jungen Leute verneigten sich ehrfurchtsvoll; dabei bemerkte ich aber auf einmal, daß Einer meiner Frau auf eine ungemein verbindliche Art zuzulächeln schien.«
»Du hattest dich geirrt!«
»Es ist möglich. Aber damals fuhr es mir wie ein Stich durch das Herz; ich blickte den jungen Mann fest an, ich haßte den fast mir Unbekannten aus tiefster Seele. Vielleicht war ich aufgeregt. Wir traten ein; später wurde getanzt; jener junge Mann von guter Familie ließ sich meiner Frau vorstellen und tanzte mit ihr eine Française. Später bittet er noch um einen Walzer, was ich meiner Frau verbiete.«
»Daran thatest du sehr unrecht. Du verbietest deiner Frau etwas, was du nicht verbieten darfst, und durch dieses Verbot stellst du ihr einen bis dahin gänzlich unbedeutenden Menschen als etwas Wichtiges vor Augen. O, ich hätte dich für klüger gehalten!«
»Heute bin ich ganz deiner Ansicht. Aber, wie gesagt, an jenem Abende war ich aufgeregt, ich ärgerte mich. Jener Herr trat freilich augenblicklich zurück, aber – nun, er suchte mich später auf, um mich zur Rede zu stellen.«
»Das finde ich begreiflich.«
»Ich ebenfalls, hatte mir auch fest vorgenommen, es mir ein paar freundliche Worte kosten zu lassen; denn ich sah ein, daß ich im Unrecht war. Aber du weißt, wie es bei solchen Gelegenheiten geht.«
»Namentlich bei heftigen, reizbaren Menschen, wie du einer bist,« sagte ernst der Major.
»Ein Wort, ein Blick,« fuhr der Graf fort, »vielleicht an sich unbedeutend, fällt wie der Funke ins Pulver. Es flammt auf, und ehe man sichs versieht, hat man so ein kleines Duell auf dem Halse.«
»Bester Ferdinand, du mußt deine Heftigkeit mäßigen, sonst fange ich in der That an zu befürchten, daß du in deiner Ehe noch unglücklich wirst. Ich kenne deine Frau, als ob sie meine Schwester wäre. Du hast eine unendlich glückliche Wahl getroffen. Bei ihr ist Alles in der schönsten und glücklichsten Harmonie, ihr Aeußeres sowie ihr Inneres, Kopf, Herz, Gedanken und Seele – ein zusammen klingendes Ganzes. Nimm dich in Acht, mit einem rauhen, ja, nur mit einem harten Worte einen Mißton hinein zu bringen. – Lieber Freund,« fuhr er heiterer fort, als er bemerkte, wie der Graf finster in die glühenden Kohlen schaute, »man sollte dich eine Zeit lang mit Sir Robert einschließen; ich glaube, das könnte euch beide bessern.– Aber weiter!«
»Ich erhielt einen leichten Streifschuß in den Arm,« antwortete der Graf. »Natürlicher Weise sah ich bei kaltem Blute mein Unrecht ein und hätte um Alles in der Welt jenem jungen Menschen kein Leides thun mögen, sonst...«
»Ach, ich weiß, du fehlst nie ein Aß!«
»Das wußte mein Gegner auch, weßhalb er mich zu treffen versuchte, und als dies mißlang und ich mein Pistol senkte, sagte er leise zu seinem Secundanten: ›Jetzt ist Alles vorbei!‹ – Wie gesagt, ich schonte ihn, und das mochte ihn am Ende noch verstimmen, denn wir trennten uns kalt und förmlich.«
Hier machte der Graf eine Pause und schritt einmal in dem Zimmer auf und ab. Als er darauf wieder zum Kamin trat, sagte er: »Du hast Recht, Major, du kennst meine Frau. Du hast sie vorhin sehr wahr geschildert; und diese glückliche Ruhe ihrer Seele, diese wohlthuende Harmonie, dieses klare, beständig ungetrübte Auge, ihre kindliche Heiterkeit bei so hohem Verstande war mein Stolz, mein Glück.«
»Es war dein Glück?« fragte aufmerksam der Major, indem er seinen Freund ernst anblickte.
»Ich bin jetzt fünf Monate verheirathet,« versetzte der Graf, ohne eine directe Antwort zu geben. »Vor vier Wochen war jene unangenehme, jene lächerliche Duellgeschichte. Wenige Tage darauf fand ich meine Frau merklich verändert.«
»Hat sie jene Geschichte erfahren?« fragte besorgt der Major.
»Ich glaube nicht; denn mein Gegner, sowie unsere Secundanten gaben sich das feierliche Ehrenwort, nie darüber zu sprechen.«
»Auf welche Art veränderte sich deine Frau?«
Der Graf zuckte die Achseln. »Kann ich das so genau sagen?« entgegnete er. »Man ist nicht jeden Tag gleich gestimmt, man ist arglos, man beobachtet nicht immer. Aber eines Tages bemerkte ich, daß Marie nicht so heiter sei wie gewöhnlich. Ihr Lächeln schien mir etwas Gezwungenes zu haben; sie starrte oft träumend vor sich hin, ja, sie blieb mir hier und da eine Antwort schuldig; dann fuhr sie plötzlich empor, und wenn sie mich anschaute mit ihren großen dunkeln Augen, so bemerkte ich einen seltsamen Schimmer darin, eigentlich keine Thränen, aber etwas Nebelhaftes, etwas, das den früheren Glanz ihres Blickes löschte. Auch war sie gern allein; sie vermied sogar zuweilen meine Gesellschaft, und wenn ich zuweilen besorgt ihre Hand faßte und sie herzlich fragte, ob ihr etwas fehle, so zuckten ihre Lippen und eine tiefe Blässe flog über ihre Züge.«
»Und dergleichen kam häufig vor?«
»Zuerst seltener, dann häufiger,« erwiderte der Graf mit einem tiefen Seufzer. »Marie ist nicht mehr, wie sie war; es ist eine Umwandlung mit ihr vorgegangen, die sie mir zu verbergen strebt, die ich aber, trotz ihrer oft erkünstelten Heiterkeit, entdeckte. O, mein Freund, das Auge der Liebe sieht scharf! Und du weißt, wie ich meine Frau liebe! Du weißt, daß sie mir Alles ist – mein Denken, mein Fühlen! Ich bete sie an!«
»Also eine Wirkung hätten wir entdeckt,« entgegnete nachdenkend der Major, »aber keine Ursache.«
»Keine, die ich zu denken wage!« entgegnete heftig der Graf. »Diese Umwandlung meiner Frau kam so leise und allmälig, daß ich mich oft frage: Irrst du dich nicht? Ist Marie vielleicht immer so gewesen, und du hast es nicht bemerkt? Der Gedanke kann mich so beherrschen, daß ich zuweilen meine Augen schließe und mir mit Gewalt ihr Bild zurückrufe, wie ich es immer vor mir gesehen, jung, heiter, blühend und glücklich. Wenn nun dieses Bild in seinen glänzenden Farben so recht fest vor mir steht und ich dann meine Augen öffne und mein geliebtes Weib anschaue, wie sie vor mir ruht in ihrem kleinen dunkeln Sammt-Fauteuil, die weißen Hände auf beide Lehnen gestützt, tief in den Sitz geschmiegt, als wolle sie sich vor der ganzen Welt verbergen, das sonst so glänzende Auge mit dem umflorten Blick weit hinausstarrend und unter dem immer noch rosigen Teint eine krankhafte Blässe hervorlauschend – ah, dann fahre ich erschreckt empor und sehe, daß ich mich nicht getäuscht, daß Marie leidet!«
»Deine Frau ist siebzehn Jahre alt?« fragte der Major.
»Sie war siebenzehn an ihrem Hochzeitstage,« antwortete Graf Ferdinand.
»Und du hast sie nie befragt, ob ihr etwas fehle, ob sie Kummer habe?«
»O, wie oft! Sie schüttelt den Kopf und sagt Nein. Ich habe sie angefleht, mir zu sagen, warum sie nicht mehr so heiter und glücklich sei, wie noch vor kurzer Zeit, und sie antwortete mir scheinbar erstaunt, sie habe sich durchaus nicht verändert. Aber ihr bleiches Gesicht in solchen Augenblicken widerspricht ihrer Rede. Ich habe sie gebeten mit den herzlichsten Worten, die ein Liebender vor der Geliebten aussprechen kann. Ich habe ihr gesagt: Marie, verschweige mir nichts! Fehlt dir etwas? Hast du Kummer? obgleich ich mir nicht denken kann, wie das möglich ist. Vertraue deinem besten Freunde! – Umsonst! sie lächelte oft unter wirklichen Thränen und sagte: Du irrst dich, Ferdinand, mir fehlt nichts, ich bin ganz glücklich.«
»Ganz glücklich, sagte sie?«
»Ja, oder ganz zufrieden. Doch endlich fing ich an, mich über diese Antworten ein wenig zu ärgern.«
»Du wurdest heftig?«
»Wenigstens dringender in meinen Fragen. Ich wollte ihre Antworten nicht gelten lassen. Ich versicherte ihr, sie habe Unrecht, mir nicht zu vertrauen.«
»Und darauf?«
»Ah, darauf!« rief der Graf heftig aus und schritt abermals durch das Zimmer; »darauf zog sie sich vor mir zurück, verließ oft halbe Tage ihr Zimmer nicht, und wenn sie endlich zum Vorschein kam, so war es oft nur, um ihren Wagen zu verlangen und zu ihrer Mutter zu fahren.«
»Zu ihrer Mutter zu fahren!« wiederholte ernst der Major.
Bei den Worten blieb der Graf auf seinem Spaziergange plötzlich vor dem Freunde stehen, sah ihn fest an, preßte seine Hand krampfhaft in die Lehne des Fauteuils und sagte mit tiefer Stimme: »Warum wiederholtest du meine Worte, Major?«
»Ich dachte darüber nach,« entgegnete dieser erstaunt. »Ich wiederholte sie eigentlich ohne alle Ursache, ohne allen Grund. – Doch deine Frage, mein lieber Ferdinand?«
»Hat ihren guten Grund,« erwiderte der Graf rasch und heftig.
Der Major starrte fragend in die Höhe und richtete sich halb empor.
»Wenn sie sagte, sie fahre zu ihrer Mutter,« antwortete der Graf mit zitternder Stimme, »so fuhr sie auch zuweilen nicht dahin.«
»Ah, Ferdinand!«
»Wie ich dir sage! Du kannst dir denken, daß ich nicht den Spion meiner Frau mache, – nein, was ich weiß, erfuhr ich zufällig. Ihr kleiner Wagen wurde vorgestern Abends zu der Zeit, wo sie mir gesagt, sie fahre zu ihrer Mutter, in der Schloßstraße gesehen.«
»In der Schloßstraße?«
»Du weißt dagegen, ihre Mutter wohnt beim herzoglichen Palais.«
»In der Schloßstraße!« wiederholte nachdenkend der Major.
»Dort hielt er vor dem Hause Nro. 120.«
»Nr. 120. – Wer wohnt da?«
»Ich erfuhr das erst durch den Adreß-Kalender; denn mit Schrecken erinnerte ich mich, daß dort Niemand aus der Gesellschaft wohnt. Es ist ein großes Haus, die Bel-Etage besitzt der Doctor G., der Leibarzt des Königs.«
»Und dein Hausarzt!« rief lachend der Major. »Nun, was ist da weiter zu fragen?«
»Noch sehr viel!« entgegnete finster der Graf. »Der alte Medicinalrath ist freilich mein Hausarzt. Doch erinnere dich, daß er mich jede Woche ein paar Mal besucht und daß Marie vollkommen gesund ist. Auch nimmt der Doctor, wie bekannt, Abends nie Besuche an. Da macht er zur bestimmten Stunde sein Spiel auf dem Casino und ist nur dort zu finden. – Also weiter!«
»Meinetwegen weiter! Was sagt der Adreß-Kalender?«
Der Graf stützte den Kopf in die Hand, verbarg einen Augenblick sein Gesicht und sagte dann mit so leiser Stimme, als wenn er zu sich selbst spräche: »In demselben Hause, Schloßstraße Nr. 120, wohnt jener junge Mann, mit dem ich das Duell gehabt.«
»Ah, Ferdinand!« rief der Major aufspringend. »Du bist in der That unartig!«
»Habe ich etwas gesagt ...?« fragte erschrocken der Graf.
»Nein, du hast nur laut gedacht. Aber es war ein schrecklicher Gedanke! Was kommt dich um Gotteswillen an? Ich beschwöre dich bei unserer Freundschaft, glaube mir, du bist auf dem besten Wege, dich und deine arme Frau unglücklich zu machen. Ein solcher Gedanke ist wie ein böser Geist, der aufs gehorsamste erscheint, den aber keine Macht der Erde wieder zu bannen im Stande ist. Wirf ihn weg! wirf ihn weg! Schau in das klare, unschuldige Auge deiner Frau, küsse ihre beiden Hände und bitte sie in deinem Innern tausend Mal um Verzeihung.«
»Ich hatte Unrecht,« antwortete der Graf nach einem längeren Stillschweigen. »Aber was ich gesagt, ich dachte es wahrhaftig nicht. Gott soll mich in Gnaden bewahren! Du hast Recht: es war ein böser Geist, der über mich kam. Aber ich habe ihm mein Herz nicht geöffnet, gewiß nicht. Marie hat es gethan – wenn ich auch in Gottes Namen nichts Böses glauben will, so ist doch Eines wahr – sie hat ein Geheimnis vor mir.«
Hier entstand eine längere Pause, während welcher jetzt der Major seinerseits kopfschüttelnd auf und ab ging und der Graf finster sinnend an dem Kamin stehen blieb.
Endlich trat der Major wieder zu Ferdinand, legte beide Hände auf seine Schultern und sagte mit tiefer Stimme: »Lieber Freund, du warst gezwungen, dich vier Wochen lang in diesen Zimmern einzuschließen. Du bist an Bewegung, an frische Luft gewohnt, und diese stille Lebensart, die du jetzt geführt hast, ist wahrhaftig an deinen Grillen schuld; du siehst Gespenster, die aber verschwinden werden, sobald du es nur ernstlich willst. Auf, wirf sie weg, die finsteren Gedanken! Sprich mit deiner Frau ehrlich und aufrichtig, aber um Gottes willen ohne alle Leidenschaft! Sie soll dir mittheilen, was ihr Herz drückt! bitte sie darum. Und wenn sie es auf das erste Mal nicht thut, so versuch's zum zweiten und zum dritten Male. O, diese jungen guten Herzen sind leicht verstimmt! Ein rauhes Wort schüchtert sie ein, ja, sogar oftmals eine Frage, die man geradezu thut. Erlausche deinen Vortheil; ich bin überzeugt, du wirst mir in wenigen Tagen sagen, das Ganze sei eine unbedeutende Kleinigkeit gewesen.«
»Also das nimmst du doch auch an, daß Marie etwas vor mir verbirgt?« fragte traurig Graf Ferdinand.
»Du lieber Gott!« sagte der Major, »das ist wohl möglich; du wirst doch deiner Frau am Ende nicht übel nehmen, wenn sie einmal ein kleines Geheimniß vor dir hat? Das kommt bei uns auch vor.«
»Aber wegen eines kleinen Geheimnisses, wie du es nennst, ändert man nicht sein ganzes Betragen. Man sieht deßhalb nicht krankhaft aus, man zieht sich nicht von seinem Manne zurück. O, unsere Angelegenheit hat einen tieferen Grund.«
Der Major zuckte mit den Achseln und entgegnete: »Lassen wir die Sache heute Abends ruhen. Du bist aufgeregt, gereizt, du siehst unklar. Ich will mir das Alles überlegen; ich will das Für und Wider bedenken. Darf ich mit meiner Frau darüber sprechen?«
»Warum nicht! Ich kenne sie als im höchsten Grade discret.«
»Frauen haben einen besonderen Blick. Aber laß die Sache ganz gehen; verdoppele deine Aufmerksamkeit womöglich gegen Marie, aber dringe nicht weiter in sie. Du hast sie gefragt, ob ihr etwas fehle, sie hat dies verneint – gut! Es wird also eine Grille sein; sie wird von selbst wieder kommen. – Doch jetzt muß ich nach Hause, es ist spät geworden; morgen nach dem Diner komme ich wieder. Der Baron soll uns seine Geschichte zu Ende erzählen; wir müssen dich vor allen Dingen aufheitern, wir müssen die Gespenster zu verjagen suchen, von denen ich vorhin sprach. – Gute Nacht, lieber Freund!«
»Gute Nacht, Major! – Bis morgen also!«
Der Graf blieb allein; er rückte einen Fauteuil vor den Kamin, ließ sich auf denselben nieder und stieß mit der Feuerzange die glühenden Kohlenstücke durcheinander. In tiefe Gedanken versunken, blickte er den auffliegenden Funken zu, und seine Phantasie verwandelte die aufzüngelnden Flammen in allerlei seltsame Gestalten. Endlich fuhr er mit einem Seufzer empor, strich sich die dichten Haare von der Stirn und sagte: »Wie lag mein Leben vor mir, so schön, so rosig beglänzt! – Es sind jetzt vier Monate, wo ich mit ihr in diesem Zimmer war, wo draußen Alles blühte und grünte, wo wir von dem kommenden Winter sprachen und uns wie Kinder darauf freuten, hier zusammen vor der lodernden Flamme zu sitzen – wir Beiden zusammen. Und jetzt bin ich hier allein, ah, so ganz allein! – – Ich will dem Major recht geben, es soll vielleicht nur eine Grille sein, – eine Grille in der ersten so glücklichen Zeit des Ehestandes! – – Ein schöner Anfang! Und wenn es selbst eine bloße Laune ist, so verspricht sie mir ein schönes Leben für die Zukunft! Und es ist mehr als eine Laune, ich fühle es, Marie hat ein Geheimniß vor mir!«
Ein Wagen rollte in den Hof. Der Graf lauschte und stand hastig auf. Er zog an der Klingel; der Bediente erschien und meldete: »Die Frau Gräfin sind so eben nach Hause zurückgekehrt.«
Einen Augenblick war der Graf im Begriffe, sich an die Treppe zu begeben, wie er es sonst wohl gethan. Doch blieb er plötzlich stehen und sprach zu sich selber: »Ah, sie wird vielleicht hieher kommen!«
Aber die Gräfin kam nicht – statt ihrer erschien nach einer Viertelstunde die Kammerfrau und sagte, die Frau Gräfin sei ermüdet und habe sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen.
Graf Ferdinand nickte statt aller Antwort mit dem Kopfe, biß heftig die Zähne über einander und warf sich abermals in den Fauteuil, wo er bis tief in die Nacht sitzen blieb. –
Der Major war eifrig mit sich selbst redend nach Hause gegangen. Was er vorhin gehört, hatte ihn tief bewegt, weit mehr, als er es seinen Freund merken ließ. Er kannte die beiden jungen Leute so genau, er liebte sie wie ein älterer Bruder. Wie lebhaft erinnerte er sich noch der Zeit, wo er der kleinen Gräfin Marie verschiedene Bombons zugesteckt, die er von der königlichen Tafel für sie mitgenommen – wie freudig klatschte das kleine Mädchen in die Hände, wenn er ihr erzählte, dies und das von den glänzenden Papieren sei von dem Teller Sr. Majestät! Auch den Grafen hatte er heranwachsen sehen: derselbe kam als blutjunger Offizier zu der Schwadron des Majors, und dieser fühlte sich mächtig hingezogen zu dem warmen und edeln Herzen voll Uebermuth und Jugendfeuer. Aber er hatte schon damals seine Fehler: er war heftig und gleich gereizt, und das hatte ihm von dem Vorgesetzten manchen Verweis, manche väterliche Ermahnung zugezogen. Während der Major seine weiten Reisen machte, hatte er nie an die Heimat gedacht, ohne sich der beiden jungen Leute lebhaft zu erinnern. Ja, als er fast im Vaterlande zum ersten Male wieder einen Bekannten sah, der die Verhältnisse der Residenz genau kannte, war seine erste Frage: »Was macht meine kleine Gräfin Marie?« – »Sie ist verheirathet.« – »Ei der Tausend, das Kind!« – »Und Graf Ferdinand?« – »Natürlicher Weise ebenfalls verheirathet, denn die Gräfin von E. ist seine kleine Frau.« – Darauf hatte sich der Major vergnügt die Hände gerieben; denn wenn er der Vater von Beiden gewesen wäre, er hätte für sie keine bessere Partie arrangiren können. – Und wie glücklich war das junge Paar, als er sie nun zum ersten Male wieder sah – zwei heitere, lebensfrohe Kinder! Die kleine Gräfin hatte bittend die Hand zu ihm emporgestreckt und abermals um Bonbons gebeten. Und wie freudig überrascht war sie, als er ihr ein kleines Paket übergab mit einem kostbaren indischen Shawl! Sogleich hatte sie ihn anprobirt, hatte sich vor den Spiegel gestellt und sich so herzlich, so kindlich, so aufrichtig gefreut!
»Ah,« sagte der Major, indem er an alles das dachte, »dummes Zeug! Was kann dieses Kind, diese Frau von vier Monaten für ein Geheimnis; vor ihrem Manne haben? – Aber ihn kenne ich. So gut und edel sein Herz ist, so aufbrausend und heftig kann er sein. Schon diese lächerliche Duellgeschichte! Und wer weiß wie er sonst schon das arme Kind gekränkt hat! Der Teufel auch! ich will ihm den Kopf schon zurecht setzen!«
Kurz nach jenem ersten Wiedersehen hatte der Major die Stadt abermals verlassen und war erst vor einigen Tagen zurückgekehrt, ohne daß es ihm bis jetzt möglich gewesen wäre, der Gräfin einen Besuch zu machen. Er hatte sich gefreut, sie heute Abend begrüßen zu können.
Am anderen Morgen rief den Major sein Dienst in das Vorzimmer des Königs. Er dachte wieder an die Geschichte von gestern Abend und spazierte in dem weiten Gemache auf und ab. Er ließ alles, was er gehört, noch einmal an seinem Geiste vorüber gehen – die Duell-Geschichte, Schloßstraße Nr. 120, wo jener junge Mann, aber auch der königliche Leibarzt wohnte. »Ich glaube, mir ist Alles begreiflich,« dachte er. »Wer weiß, ob man nicht vor der Gräfin allerlei über jenes Duell munkelt! Man kennt ja den liebenswürdigen Erfindungsgeist der jungen Leute hiesiger Stadt. Da hat man achselzuckend von jener Begegnung gesprochen, hat die Ursache dazu vielleicht zurück verlegt in die Zeit, wo der Graf noch ledig war, irgend eine pikante Geschichte daraus gemacht, eine frühere Verbindung zu Grunde genommen, und damit die junge Frau aufs Tiefste verletzt. Ferdinand hatte, wie er selbst gestanden, das Duell verheimlicht, hatte angegeben, er sei mit dem Pferde gestürzt, und die kleine Frau – oh, entschlossen war sie immer! – macht einen Besuch bei ihrem Hausarzte, um die Wahrheit zu erfahren. So ist es gegangen,« sprach der Major zu sich selber, »es kann nicht anders sein. Jene Zuflüsterungen haben sie verstimmt, daher kleine Scenen; sie hat Näheres erfahren über die Verwundung ihres Mannes, daher ihr Besuch bei dem Leibarzte.«
In diesem Augenblicke öffnete ein Kammerdiener leise die Flügelthüren, die aus dem Gang in das Vorzimmer führten. Der Major wandte sich um und erkannte den alten Medicinalrath, der gekommen war, um seinen täglichen Besuch bei der Majestät zu machen. »Er kommt mir wie gerufen,« dachte der Offizier und schritt dem Leibarzt lächelnd entgegen. Der Doctor war ein kleiner, alter Herr mit weißen Haaren, durchdringenden Augen und sehr lebhaften Bewegungen. Schon im Hereintreten rieb er sich die Hände, sagte: »Puh! puh! wie kalt!« und ging auf den Thermometer zu, der an der Wand hing. »Zwölf Grad!« rief er dann aus. »Man sieht wohl, daß Sie den Dienst haben, Major – großer Reisender, abgehärtet unter allen Zonen. – Wie geht's? Wie geht's?« fuhr er freundlich fort, indem er ihm die Hand reichte. »Aber was frage ich da? – Die festeste Gesundheit, das blühendste Leben.«
»Unberufen,« sagte lachend der Major.
»Natürlich unberufen,« entgegnete der Leibarzt. »Wenn ein Doctor über eine gute Gesundheit spricht, so versteht sich das von selbst. Aber ich freue mich wirklich, bester Major, wenn ich Sie ohne alle Fehler und Mängel so vor mir sehe.«
»Fehler und Mängel vom medicinischen Standpunkte,« erwiderte rasch der Major. »Sonst habe ich auch die meinigen. Aber Gott sei gedankt, ich fühle mich ziemlich gesund und habe deßhalb nur Einen Kummer, weil mir dieß nämlich das Glück versagt, Sie zuweilen bei mir zu sehen.«
»O, unbesorgt!« lachte der Leibarzt. »Ew. Gestrengen haben sich in den Stand der heiligen Ehe begeben, und da werden in Ihrem Hause auch nächstens die Flickereien anfangen. – Aber ich plaudere hier und habe so viel zu thun. Kann ich zu dem Herrn hinein?«
»Sie müssen mir schon einen Augenblick Gesellschaft leisten, bester Medicinalrath. Der Kriegsminister ist Ihnen heute zuvorgekommen.«
»Puh!« machte der Doctor. »Kann das lange dauern?«
»Ich glaube kaum, denn es sind keine Paraden in Aussicht, und wir leben ja in Frieden mit der ganzen Welt.«
»Aber die Uniformen, bester Freund!« sagte wichtig der Leibarzt und faßte einen Knopf des Offiziers, den er sanft hin und her drehte. »Wenn da drinnen irgend eine neue Litze vorgeschlagen wird oder die Aenderung der Kopfbedeckung, so bin ich ein verlorener Mann; dann sterben mir zwanzig Kranke, ehe ich wieder aus dem Schlosse komme.«
»Seien sie unbesorgt, es geht heute nichts dergleichen vor.«
»Aber dem Kriegsminister fehlt immer etwas. Und wenn er mich hier erwischt, so muß ich ihm eine Audienz geben. – Sie sind erst vor ein paar Tagen zurückgekehrt? Haben Sie Ihre Bekannten wohl angetroffen?«
»O ja,« antwortete der Major, wohl und glücklich; das heißt alle diejenigen, die sich nicht gerade unter Ihren Händen befinden.«
»Ich danke Ihnen,« sagte der Leibarzt. »Doch habe ich keinen Ihrer Freunde in der Arbeit.«
»Nur den Grafen B.,« entgegnete der Major.
»Ah so, eine Kleinigkeit,« antwortete der Leibarzt. »Ein Schrammschuß!«
»Doctor! Doctor!« rief der Major. »Seien Sie nicht indiscret! Man spricht im Vorzimmer des Königs nicht von einem Schrammschusse, den Jemand im Duell erhalten. – Also sehr unbedeutend?«
»Vollkommen; er kann in den nächsten Tagen wieder ausgehen.«
»Ich habe mich recht sehr gefreut, diesen lieben Freund wieder zu sehen,« sprach der Major, indem er leicht Säbelkuppel und Schärpe herabzog. »Das ist ein glückliches Paar!«
»Sehr glücklich!« sagte der Leibarzt.
»Ist die junge Gräfin wohl? Ich habe sie noch nicht wieder gesehen, hätte aber in der Begierde, sie einen Augenblick zu sprechen, neulich fast eine Indiskretion begangen.«
»Wie so das?« fragte der Doctor.
»Ich sah die junge Gräfin vor ein paar Abenden bei Ihnen vorfahren,« antwortete der Major im ruhigsten Tone von der Welt und mit dem unbefangensten Blick auf das Gesicht des Arztes, obgleich dieser Blick aufs ängstlichste jede Zuckung im Auge des Anderen zu erfassen trachtete.
Die Züge des Medicinalrathes blieben aber vollkommen ruhig und unbewegt, als er verwundert fragte: »Bei mir?«
»Bei Ihnen,« entgegnete der Major. »Lassen Sie sehen, es mögen drei bis vier Tage sein. Die Gräfin stieg aus und ging in Ihre Wohnung. Wahrhaftig, ich hätte mich fast in dem Vorzimmer aufgestellt, so begierig war ich, die verehrte junge Dame einen Augenblick zu sehen.«
»Da haben Sie sich geirrt,« erwiderte völlig ruhig und unbefangen der Doctor. »Ich habe weder vor einigen Tagen noch überhaupt je das Glück gehabt, die Gräfin B. bei mir zu sehen. Wozu das auch, da ich seit der Verwundung ihres Mannes fast täglich ins Haus komme?«
»Dann habe ich mich wohl geirrt,« sagte der Major und that sich allen Zwang an, um seine Stimme ihren gewöhnlichen Ton behalten zu lassen.
»Das haben Sie in der That, Theuerster!« lachte der Doctor. »Und an einem Abend wäre das gewesen, sagen Sie? Die ganze Welt weiß, daß ich Abends nie zu Hause bin.«
Der Major dankte Gott im Stillen, daß der Kammerdiener vom Dienst in diesem Augenblicke die Thüre zum Nebenzimmer öffnete. Der Doctor wandte sich lebhaft dahin, um am Kriegsminister vorbei zu schlüpfen, der eben heraustrat.
»Ah,« sprach Seine Excellenz, »mein lieber Doctor, Sie kommen mir sehr erwünscht. Ich fühle noch immer jenes unangenehme Ziehen in der ganzen linken Seite. Sie sagen, es sei kein Rheumatismus. Was kann es sonst sein?«
Der Doctor warf dem Major einen verschmitzten Blick zu, als wollte er sagen: »Habe ich nicht Recht gehabt?« Dann biß er sich auf die Lippen, umfaßte den Säbel des Kriegsministers, den er langsam in der Hand wog.
»Und Euer Excellenz fühlen dieses Ziehen am stärksten, wenn Sie angezogen sind?«
»Natürlicher Weise. Im Schlafrock ist mir besser.«
»Der Säbel ist offenbar zu schwer,« versetzte der Leibarzt mit wichtiger Stimme. »Wir sollten den Versuch machen, ob das Ziehen nicht daher kommt. Könnten Euer Excellenz nicht einmal eine Zeitlang den Säbel an der rechten Seite tragen?«
»Unsinn, lieber Doctor!« antwortete der Kriegsminister. »Hat man je gehört, daß Jemand den Säbel rechts trägt? Auch ist der Schmerz weiter oben. Hier, wenn ich dahin drücke.«
»So kann ich Euer Excellenz nur den Rath geben,« sprach achselzuckend der Arzt, »einmal eine Zeitlang durchaus nicht dahin zu drücken, und Sie werden Ihr Uebel vergessen.«
Damit eilte er davon; denn der Kammerdiener war mit leisen Schritten näher getreten und hatte flüsternd gesagt: »Seine Majestät der König!«
»Es ist ein eigener Mann, unser Leibarzt,« bemerkte Seine Excellenz dem Major, indem sie abging. »Sehr geschickt, hat aber einen großen Fehler; er hätte ein paar Jahre bei uns dienen müssen – ihm fehlt die Subordination!«
Die Antwort des Leibarztes hatte in die Vermuthungen des Majors einen starken Riß gemacht. Er schüttelte den Kopf, schritt lange hin und her und war im ersten Augenblicke – er konnte sich das nicht verhehlen – einigermaßen betroffen. Doch bald faßte er sich wieder, ließ noch einmal in seinem Gedächtnisse alles Erzählte vorübergehen und sagte zuletzt ziemlich beruhigt: »Ja, ja, so wird es sein. Wer weiß, wer es ihm gesagt, daß man seinen Wagen an jenem Abend in der Schloßstraße gesehen! Wer weiß, ob Jener überhaupt im Dunkeln die Equipage des Grafen so genau kennt! Da muß der Irrthum stecken.«
Der Dienst des Majors ging nach der königlichen Mittagstafel zu Ende. Darauf fuhr er nach Hause, zog sich um und begab sich zu seinem Freunde. Als er in den kleinen Salon trat, fand er Alle von gestern schon versammelt. Der Baron hatte es sich vor dem hell lodernden Kamine bequem gemacht und schien schon irgend eine lustige Geschichte erzählt zu haben; denn der Diplomat lachte aus Leibeskräften, und selbst über das Gesicht des Grafen Ferdinand flog ein heiteres Licht. Doch wurde er wieder ernst, als er dem Major entgegen trat und ihm herzlich die Hand drückte.
»Nun?« fragte dieser.
»Es ist Alles beim Alten,« entgegnete achselzuckend der Graf. »Sie speist abermals bei ihrer Mutter, hat mir aber versprochen, früher nach Hause zu kommen.«
»Nun gut, wir wollen sehen!«